Vorsehung - John Piper - E-Book

Vorsehung E-Book

John Piper

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Beschreibung

Die Bibel zeigt uns von Anfang bis Ende einen handelnden Gott, der die gesamte Geschichte lenkt. Gottes Vorsehung umfasst alles vom kleinsten Molekül bis zur entferntesten Galaxie, ebenso auch die Gedanken und Handlungen der Menschen. John Piper definiert Gottes Vorsehung als seine zielgerichtete Souveränität. Sie wird zum Ziel kommen: Ein begnadigtes und erlöstes Volk wird über seinen herrlichen Gott jubeln und ihn in alle Ewigkeit loben, zur Ehre und Freude Gottes. Piper lädt uns zu einer Reise durch die Bibel ein, um unseren Blick dafür zu öffnen, wie mächtig, herrlich und liebevoll Gott wirklich ist. Dieses Wissen bewirkt schon jetzt tiefere Anbetung, Freude, Hoffnung und Sicherheit.

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Seitenzahl: 1086

Veröffentlichungsjahr: 2022

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Für alle Missionare, die ihr Leben gegeben haben oder noch geben werden, um Gottes Erwählte aus allen Völkern der Erde zu sammeln, im festen Vertrauen, dass die Heilsabsichten der Vorsehung in Christus Jesus nicht scheitern können.

Impressum

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.

Titel des englischen Originals

Providence

Copyright

© 2020 by Desiring God Foundation

Published by

Crossway

a publishing ministry of Good News Publishers

Wheaton, Illinois 60187, U.S.A.

This edition published by arrangement with Crossway.

All rights reserved.

Bibelübersetzung

Schlachter Version 2000,

© 2000 Genfer Bibelgesellschaft

(Wenn nicht anders angegeben)

© 2022 Verbum Medien gGmbH, Bad Oeynhausen

verbum-medien.de

info@verbum-medien.de

Übersetzung

Friedemann Lux

Buchgestaltung und Satz

Annika Felder

1. Auflage 2022

Best.-Nr. 8652 004

ISBN 978-3-98665-004-9

E-Book 978-3-98665-005-6

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Inhalt

Cover

Impressum

EinleitungVier Einladungen

Teil 1Eine Definition und eine Schwierigkeit

1Was ist Gottes Vorsehung?

2Ist Gottes Selbsterhöhung eine gute Nachricht?

Teil 2Das Endziel von Gottes Vorsehung

Abschnitt 1Das große Ziel von Gottes Vorsehung vor der Schöpfung und bei der Schöpfung

3Vor der Schöpfung

4Der Akt der Schöpfung

Abschnitt 2Das große Ziel von Gottes Vorsehung in der Geschichte Israels

5Überblick: Von Abraham bis zur kommenden Weltzeit

6Der Exodus

7Der Exodus aus der Rückschau

8Das Gesetz, die Wüste und die Eroberung Kanaans

9Die Zeit der Richter und die Zeit der Könige

10Die Bewahrung, Zerstörung und Wiederherstellung Jerusalems

Abschnitt 3Das große Endziel von Gottes Vorsehung im Plan und in der Einsetzung des Neuen Bundes

11Der Sinn des Neuen Bundes

12Die Stiftung des Neuen Bundes durch Christus

13Der Einzug der Sünde in die Welt und die Herrlichkeit des Evangeliums

14Die Herrlichkeit Christi in der Verherrlichung seines Volkes

Teil 3Wesen und Ausmaß der Vorsehung

Abschnitt 1Die Bühne vorbereiten

15Die Vorsehung des Gottes kennen, der ist

Abschnitt 2Gottes Vorsehung über die Natur

16Der Verlust und die Wiedergewinnung eines Panoramablickes, durch den man Wunder sieht

17Erde, Wasser, Wind, Pflanzen und Tiere

Abschnitt 3Gottes Vorsehung über den Satan und die Dämonen

18Der Satan und die Dämonen

19Warum gibt es den Satan immer noch?

Abschnitt 4Gottes Vorsehung über Könige und Nationen

20Israels göttlicher König ist der König der Nationen

21Das Königtum der Menschen und der König der Könige

22Freudiges Wissen: Der Höchste regiert

Abschnitt 5Gottes Vorsehung über Leben und Tod

23Ein Bad in der Wahrheit und die Gabe der Geburt

24Der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn

25Wir sind so lange unsterblich, bis unser Werk getan ist

Abschnitt 6Gottes Vorsehung über die Sünde

26Das natürliche Wollen und Handeln der Menschen

27Was wir wissen und was wir nicht wissen müssen

28Joseph

29Das gehasste Israel, der verhärtete Pharao, Gottes Ruhm und Rettungstat

30Kaputte Familien

31Der Betrug und die Trägheit des Herzens

32Gottes Gnade ist jeden Morgen neu

33Eine Bosheit, die Gott ganz besonders verabscheut

Abschnitt 7Gottes Vorsehung über unsere Bekehrung

34Unser Zustand vor unserer Bekehrung

35Geburt, Ruf, Schöpfung: drei biblische Bilder, wie Gott Menschen zum Glauben führt

36Rettender Glaube als Geschenk von Gottes Vorsehung

37Vor aller Ewigkeit: zurück zu den kostbaren Wurzeln der Erwählung

Abschnitt 8Gottes Vorsehung über unser Christenleben

38Vergebung, Rechtfertigung, Gehorsam

39Gottes Strategie des Gebietens und Warnens

40Die er berufen hat, die hat er auch verherrlicht

41Gute Werke, durch Christi Blut erkauft

42Wie Gott das in uns bewirkt, was in seinen Augen wohlgefällig ist

43Die Sünde töten und Liebe schaffen – durch Glauben

Abschnitt 9Das Endziel der Vorsehung

44Die Sammlung der Erwählten und die Wiederkunft Christi

45Neue Körper, eine neue Welt, nicht endende Freude in Gott

Schluss

Die Vorsehung Gottes sehen und schmecken

Bibelstellenverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Über John Piper

Über Desiring God

Über Evangelium21

Einleitung Vier Einladungen

Gott hat uns das Ziel, das Wesen und das Ausmaß seiner Vorsehung geoffenbart. Er hat sich nicht in Schweigen gehüllt, sondern hat uns diese Dinge in der Bibel gezeigt. Das ist einer der Gründe, warum der Apostel Paulus sagen kann: »Alle Schrift […] ist nützlich« (2Tim 3,16). Der Nutzen liegt dabei nicht in erster Linie in der Bestätigung einer theologischen Position, sondern in der Offenbarung eines großen Gottes, im Lob seiner unerschütterlichen Gnade und in der Befreiung seines unwürdigen Volkes. Gott hat seine zielgerichtete Souveränität über Gut und Böse geoffenbart, um den menschlichen Stolz zu demütigen, unsere Anbetung zu vertiefen, unsere Hoffnungslosigkeit zu zerschlagen und dem ramponierten Schiff unseres Glaubens Stabilität zu verleihen. Er hat diese zielgerichtete Souveränität offenbart, um unserem Mut den Rücken zu stärken, uns Freude inmitten von Leid zu geben und Herzen, die nicht mehr weiterwissen, mit Liebe zu füllen.

Was wir in der Bibel finden, ist echt und ungeschönt. Die Verkündigung und das Lob von Gottes allumfassender Vorsehung wird dort geschmiedet in den Flammen von Hass und Liebe, Betrug und Wahrheit, Mord und Barmherzigkeit, Massakern und Sanftmut, Fluch und Segen, Mysterium und Offenbarung und schlussendlich durch Kreuz und Auferstehung. Ich hoffe, dass meine Darstellung der Vorsehung Gottes das Aroma dieser ebenso schockierenden wie hoffnungsvollen Realität entfalten wird.

In dieser Einleitung möchte ich vier Einladungen aussprechen.

SPERRIGE WUNDER

Als Erstes möchte ich Sie in eine biblische Welt der seltsamen Wunder einladen. Ich werde zu zeigen versuchen, dass diese Wunder nicht unlogisch oder widersprüchlich sind, sondern nur anders als unsere übliche Art, die Welt zu sehen – so anders, dass unsere erste Reaktion oft lautet: »Das gibt’s doch nicht!« Doch dieses »Gibt’s nicht« ist in unseren Köpfen, nicht in der Realität. »Wie unergründlich sind seine Gerichte, und wie unausforschlich seine Wege!« (Röm 11,33).

Da geschieht es, dass Gott in seinem gerechten Gericht einen grausamen Hirten für sein Volk schickt, den er anschließend bestraft:

16 Denn siehe, ich lasse einen Hirten im Land aufkommen, der das Vermisste nicht sucht, das Zerstreute nicht sammelt, das Verwundete nicht heilt, das Gesunde nicht versorgt, sondern das Gemästete frisst und ihre Klauen zerreißt.

17 Wehe dem nichtsnutzigen Hirten, der die Herde verlässt! Ein Schwert komme über seinen Arm und über sein rechtes Auge! Sein Arm soll gänzlich verdorren und sein rechtes Auge völlig erlöschen!(Sach 11,16-17)

Das befremdet uns. So haben wir uns Gottes Handeln nicht vorgestellt. Er erweckt einen brutalen Hirten für sein Volk – ist Gott hier nicht in etwas Böses, ja Sündiges verwickelt? Und dann bestraft er diesen Hirten für seine Nichtsnutzigkeit – wie passt das zusammen? Er hatte es doch so angeordnet, und jetzt verurteilt er – launenhaft, willkürlich?

Es gibt viele ähnliche Szenen in der Bibel, und ich werde zeigen, dass Gott dort keineswegs sündig oder launenhaft ist. Wenn wir eher dazu neigen, kritisch zu sein, statt uns verändern zu lassen, dann sollten wir nun die Hand auf den Mund legen und zuhören. Wir sind sündig und endlich; Gott ist unendlich und heilig.

8 Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR,

9 sondern so hoch der Himmel über der Erde ist, so viel höher sind meine Wege als eure Wege und meine Gedanken als eure Gedanken.(Jes 55,8–9)

Ich lade Sie ein in eine Welt der sperrigen Wunder. Ich hoffe, Sie widerstehen der Versuchung, die Bibel in den Rahmen dessen hineinzupressen, was Sie schon wissen, und erlauben stattdessen dem Wort Gottes, Ihrem Denken neue Dimensionen zu eröffnen. Wenn Paulus uns auffordert: »Lasst euch in eurem Wesen verwandeln durch die Erneuerung eures Sinnes« (Röm 12,2), denkt er unter anderem an das Aufgeben unseres natürlichen Widerstandes gegen das Merkwürdige an Gottes Wegen. Unmittelbar vor dieser Aufforderung schreibt er:

33 O welche Tiefe des Reichtums, sowohl der Weisheit als auch der Erkenntnis Gottes! Wie unergründlich sind seine Gerichte, und wie unausforschlich seine Wege!

34 Denn wer hat den Sinn des Herrn erkannt, oder wer ist sein Ratgeber gewesen?

35 Oder wer hat ihm etwas zuvor gegeben, dass es ihm wieder vergolten werde?

36 Denn von ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge; ihm sei die Ehre in Ewigkeit! Amen.(Röm 11,33–36)

Meine Einladung in die biblische Welt der sperrigen Wunder ist letztlich eine Einladung zur Anbetung. Gott ist so viel größer und fremder und herrlicher und schrecklicher und liebevoller, als wir es uns vorstellen können. Das Eintauchen in den Ozean seiner Vorsehung soll uns helfen, ihn so zu erkennen und zu fürchten, ihm so zu vertrauen und ihn so zu lieben, wie wir es tun sollten.

DIE REALITÄT HINTER DEN WORTEN

Zweitens möchte ich Sie einladen, die Realität hinter den biblischen Worten zu entdecken. Das Wort Vorsehung findet sich in der Bibel (je nach Übersetzung) selten bis nie – aber auch Begriffe wie Dreieinigkeit, Jüngerschaft, Evangelisation, Auslegung, Seelsorge, Ethik, Politik oder Charismatiker sucht man vergeblich. Wer die Bibel liebt und glaubt, dass sie Gottes Wort ist, möchte erfahren, was die Bibel lehrt, und nicht nur, was sie sagt. Er will die Realität kennenlernen, um die es geht, und nicht nur die Worte auf den Buchseiten.

Die Bibel macht selbst deutlich, dass es nicht genügt, nur ihre Worte nachzusprechen. Das Neue Testament verlangt, dass alle Gemeinden Lehrer haben. Alle Gemeinden brauchen Älteste (Tit 1,5) und diese müssen fähig sein zu lehren (1Tim 3,2). Der Lehrer hat die Bibel nicht nur vorzulesen, sondern auch zu erklären, und »erklären« bedeutet, dass ich andere Worte zu Hilfe nehme als die im Text. Im Laufe der Kirchengeschichte haben Häretiker immer wieder darauf bestanden, ihre Irrlehre allein mit wörtlichen Bibelzitaten zu begründen. Ein Paradebeispiel dafür waren im 4. Jahrhundert die Arianer, die die Gottheit Jesu leugneten und zur Begründung gerne Bibelzitate heranzogen.1

R. P. C. Hanson kommentiert: »Langsam, aber sicher kamen die Theologen der alten Kirche zu der Erkenntnis, dass sich die tiefsten Fragen des christlichen Glaubens nicht allein mit biblischen Begrifflichkeiten beantworten lassen, weil es in diesen Fragen um die Bedeutung der biblischen Begriffe geht.« 2

Je länger ich die Bibel studiert und dann versucht habe, sie zu predigen und zu lehren, desto klarer ist mir die Notwendigkeit geworden, Prediger wie auch Laien zu ermutigen, durch die Worte der Bibel zur biblischen Realität vorzudringen. Wie leicht bilden wir uns ein, wir hätten Gemeinschaft mit Gott gehabt, wenn sich unser Verstand und unser Herz in Wirklichkeit mit Wortdefinitionen, grammatischen Beziehungen, historischen Illustrationen und ein paar praktischen Anwendungen begnügt haben. Wo man so vorgeht, kann selbst der biblische Text zu einem Konkurrenten des von Paulus so genannten »geistlichen Verständnisses« (συνέσει πνευματικῇ, Kol 1,9; Elbf.) werden.

Ich benutze das Wort Vorsehung als Bezeichnung einer biblischen Realität. Diese Realität wird nicht durch ein bestimmtes biblisches Wort abgedeckt, sondern ergibt sich aus der Art, wie Gott sich durch zahlreiche Texte und Geschichten in der Bibel geoffenbart hat – so ähnlich, wie viele verschiedene Fäden zu einem schönen Wandteppich zusammengeknüpft werden, der mehr ist als der einzelne Faden. Wir benutzen ein Wort, das sich im Prinzip nicht in der Bibel findet, um diese große Wahrheit der Bibel auszudrücken.

Dieses Vorgehen birgt natürlich Gefahren – wie es andererseits auch gefährlich ist, biblische Worte zu benutzen und den Schein der Bibeltreue zu erwecken, während man in Wirklichkeit die Bibel verdreht (vgl. 2Petr 3,16). Eine dieser Gefahren möchte ich hier besonders erwähnen.

Da das Wort Vorsehung nicht an konkreten Bibeltexten festzumachen ist, besitzen wir keine biblische Definition seiner Bedeutung. Wir können nicht sagen: »Die Bibel definiert Vorsehung folgendermaßen: [...] « Wir könnten dies nur dann sagen, wenn die Bibel das Wort Vorsehung klar benutzen würde. Wenn wir fragen, was ein bestimmtes Wort bedeutet, muss es jemanden geben, der diese Bedeutung festlegt. Sonst stochern wir im Nebel herum. Und wenn diese Festlegung nicht durch einen (oder mehrere) der biblischen Autoren erfolgt, muss ich, wenn ich das Wort Vorsehung benutze, selbst seine Bedeutung festlegen. Das tue ich in Kapitel 1 dieses Buches. Ich gehe dabei nicht willkürlich vor, sondern versuche, in der Nähe dessen zu bleiben, was andere im Laufe der Kirchengeschichte mit dem Wort gemeint haben. Aber ich lege die Bedeutung fest.

Daraus folgt: Das Thema dieses Buches ist nicht die Bedeutung des Wortes Vorsehung, sondern vielmehr die Frage: Ist die Realität, die ich in der Bibel entdecke und »Vorsehung« nenne, wirklich da? Es bringt nichts, darüber zu streiten, ob Vorsehung die beste Bezeichnung für diese Realität ist; das ist relativ unwichtig. Die entscheidende Frage ist, ob es in der Bibel eine Realität gibt, die meiner Beschreibung des Ziels, des Wesens und des Ausmaßes von Gottes zielgerichteter Souveränität entspricht. In Kapitel 1 wird genauer erklärt, warum ich die Kurzdefinition »zielgerichtete Souveränität« für Vorsehung benutze. Im Augenblick möchte ich lediglich darauf hinweisen, welch ein fataler Fehler es wäre, vor lauter Fixiertsein auf ein Wort die biblische Realität zu übersehen.

EINE VON GOTT ERFÜLLTE WELT

Drittens lade ich Sie in eine von Gott erfüllte Welt ein. Jesus fordert uns auf, uns die Vögel anzusehen, weil Gott sie ernährt (Mt 6,26), und die Lilien, weil Gott sie kleidet (Mt 6,28–30). Dabei geht es ihm nicht um Ästhetik, sondern er möchte seine Leute von Angst und Sorgen befreien. Er meint das ganz ernst: Wenn unser himmlischer Vater die Vögel ernährt und die Lilien kleidet, wird er erst recht seine Kinder ernähren und kleiden.

Das ist wahrlich erstaunlich. Diese Argumentation greift ja nur dann, wenn Gott wirklich derjenige ist, der dafür sorgt, dass Vögel ihre Würmer finden und Lilien erblühen. Wenn Vögel und Lilien ausschließlich den Naturgesetzen unterliegen, ohne dass Gott seine Hand im Spiel hat, dann jongliert Jesus hier nur mit Worten. Aber er jongliert nicht. Er glaubt tatsächlich, dass Gott persönlich selbst in den kleinsten Details der Natur am Wirken ist. Dies wird noch deutlicher in Matthäus 10,29–31:

29Verkauft man nicht zwei Sperlinge um einen Groschen? Und doch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. 30Bei euch aber sind selbst die Haare des Hauptes alle gezählt. 31Darum fürchtet euch nicht! Ihr seid mehr wert als viele Sperlinge.

Gott ernährt nicht nur die Vögel und kleidet die Lilien, er entscheidet darüber, wann jeder einzelne Vogel (pro Jahr sind das viele Millionen) stirbt und auf die Erde fällt. Die Grundaussage ist dieselbe wie in Matthäus 6 und lautet: »Gott ist euer Vater; ihr seid ihm wichtiger als jeder Vogel, und darum braucht ihr keine Angst zu haben.« Gottes Vorsehung ist lückenlos, seine Fürsorge wahrhaft väterlich. Deshalb kann und wird er für euch sorgen. Sucht also zuerst sein Reich, mit ganzer Hingabe, und habt keine Angst (Mt 6,33).

Voll von der Herrlichkeit Gottes

Jesus war nicht der Einzige, der die Welt als von Gott erfüllt betrachtete. Schon der Psalmist besingt Gottes Fürsorge für seine Geschöpfe:

27 Sie alle warten auf dich, dass du ihnen ihre Speise gibst zu seiner Zeit.

28 Wenn du ihnen gibst, so sammeln sie; wenn du deine Hand auftust, so werden sie mit Gutem gesättigt;

31 verbirgst du dein Angesicht, so erschrecken sie; nimmst du ihren Odem weg, so vergehen sie und werden wieder zu Staub;

30 sendest du deinen Odem aus, so werden sie erschaffen, und du erneuerst die Gestalt der Erde.(Ps 104,27–30)

Gott krempelt in der Natur gleichsam die Ärmel hoch. Er packt an und packt zu, wie die Verfasser der Bibel immer wieder bezeugen: »Er lässt auf Bergen grünes Gras sprießen« (Ps 147,8; NLB). »Und der HERR entsandte einen großen Fisch, der Jona verschlingen sollte« (Jona 2,1). »Da entsandte Gott, der HERR, eine Rizinusstaude« (Jona 4,6). »Da entsandte Gott einen Wurm, […] sodass [der Rizinus] verdorrte« (Jona 4,7). »Er […] holt den Wind aus seinen Speichern hervor« (Ps 135,7). »Er lässt Dünste aufsteigen vom Ende der Erde her, er macht Blitze beim Regen« (Ps 135,7). »Er […] befahl dem Wind und den Wasserwogen« (Lk 8,24). Dies ist keine poetische Verklärung gottloser natürlicher Prozesse, dies ist Gottes Vorsehung zum Anfassen.

Gott will nicht, dass wir uns oder die Welt oder irgendetwas sonst als Rädchen im Getriebe eines unpersönlichen Mechanismus betrachten. Die Welt ist keine Maschine, die Gott konstruiert und dann sich selbst überlassen hat. Sie ist ein Gemälde, eine Skulptur, ein Drama. Der Sohn Gottes erhält sie durch das Wort seiner Kraft (Kol 1,17; Hebr 1,3). Der englische Dichter Gerard Manley Hopkins hat dies unvergesslich in seinem Sonett »God’s Grandeur« zum Ausdruck gebracht:

Die Welt ist voll der Herrlichkeit des Herrn.

Sie strahlt und blitzt und flammt lamettagleich,

sie duftet schwer wie ausgepresstes Öl.

Warum, o Mensch, achtest du Gottes Stecken nicht?

Generationen trotten stumpf dahin.

Versengt ist alles von der Müh’ um’s Geld,

beschmutzt vom Menschen, dass der Boden hart,

den, weil beschuht, der Fuß nicht spüren kann.

Und doch ist diese Schöpfung nie verbraucht;

tief drinnen lebt in ihr der frische Kern.

Und wenn auf Abenddämm’rung Schwärze folgt,

springt bald im Osten Morgen hell empor.

Denn Gottes Geist, er schwebt über dem Rund

mit Herzensglut und heller Schwingen Schein.3

Die Sonne aufgehen sehen

Ich bin noch heute dankbar dafür, dass einer meiner Literaturprofessoren im Studium Clyde Kilby war. Einmal hielt er eine Vorlesung, in der es um das Staunen über den merkwürdigen Glanz des ganz Alltäglichen ging. Er beendete die Vorlesung mit zehn Vorsätzen zur »geistigen Gesundheit«, wie er es nannte.4 Zwei davon lauteten:

Ich werde meine Augen und Ohren öffnen. Einmal jeden Tag werde ich einen Baum, eine Blume, eine Wolke oder einen Menschen einfach anschauen. Ich werde mir nicht den Kopf darüber zerbrechen, was sie sind, sondern mich einfach freuen, dass sie sind. Ich werde ihnen freudig und gern das Geheimnis dessen gönnen, was [C. S.] Lewis ihre »göttliche, magische, schreckliche und erhebende« Existenz nennt.

Selbst wenn es sich als Irrtum erweisen sollte: Ich setze in meinem Leben auf die Annahme, dass diese Welt weder idiotisch ist noch von einem Herrn regiert wird, der verreist und unerreichbar ist. Sondern dass heute, in diesem Augenblick ein neuer Pinselstrich auf die Leinwand des Kosmos gemalt wird, den ich zur rechten Zeit voller Freude als Pinselstrich jenes großen Schöpfers erkennen werde, der sich das A und das O nennt.

Dank Kilby, der mir die Augen geöffnet hat, aber auch, weil ich heute in der Bibel eine alles umfassende und durchdringende Vorsehung Gottes erkenne, lebe ich bewusster in einer Welt, die von Gott erfüllt ist. Ich sehe die Realität mit anderen Augen. Wenn ich beispielsweise früher beim Joggen die Sonne aufgehen sah, musste ich denken: »Was für eine schöne Welt hat Gott doch erschaffen.« Doch das blieb nicht so allgemein, sondern wurde mit der Zeit spezifischer und richtete sich mehr auf Gottes Person. Ich dachte jetzt: »Jeden Morgen malt Gott einen anderen Sonnenaufgang.« Er macht das immer wieder, ohne dass es ihm langweilig wird. Aber dann merkte ich plötzlich: Nein, er macht das nicht »immer wieder«, er hört überhaupt nie auf damit. Jede Minute geht irgendwo auf der Welt die Sonne auf. Jeden Tag lenkt Gott 24 Stunden lang den Lauf der Sonne, jeden Augenblick malt er seine Sonnenaufgänge, ein Jahrhundert nach dem anderen – ohne Pause und ohne dass er je müde würde oder dass seine Freude über das Werk seiner Hände nachlassen würde. Selbst wenn Wolken die Sonne verhüllen, malt Gott seine fantastischen Sonnenaufgänge, nur eben über den Wolken.

Es ist nicht Gottes Wille, dass wir diese Welt ansehen, die er gemacht hat, und dabei gleichgültig bleiben. Wenn der Psalmist singt: »Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes« (Ps 19,2), tut er dies nicht nur, um unsere Theologie zu bereichern; er will unsere Seelen erfreuen, wie die darauffolgenden Verse zeigen:

5b Er hat der Sonne am Himmel ein Zelt gemacht.

6 Und sie geht hervor wie ein Bräutigam aus seiner Kammer und freut sich wie ein Held, die Bahn zu durchlaufen.(Ps 19,5b–6)

Was will uns das sagen? Wenn wir uns das Werk Gottes in der Schöpfung ansehen, soll uns Freude packen – die Freude eines Bräutigams am Tag seiner Hochzeit oder die Freude eines Eric Liddell5 im Film Die Stunde des Siegers, als er mit zurückgelegtem Kopf, rudernden Armen und einem Strahlen auf dem Gesicht die letzten Meter zum olympischen Gold läuft, in der Gewissheit, dass Gottes Wohlgefallen auf ihm ruht.

Ich lade Sie ein in eine Welt, die von Gott erfüllt ist. Nein, wir sind nicht naiv; wir wissen sehr wohl auch um das Elend, auf das das Licht jedes Sonnenaufgangs fällt. Es kann sein, dass es Sie schockieren wird, was Gottes Vorsehung im Hinblick auf das Leiden und den Tod in dieser Welt bedeutet. Der HERR gibt, und der HERR nimmt (Hiob 1,21). Jeden Morgen ergießt die Sonne ihren frohen Schein auch über 150 000 neue Leichname; so viele Menschen sterben jeden Tag. Wir leben in einer Welt, in der es so viel von Gott erfüllte Schönheit und so viel von Gott regierten Schrecken gibt. An einem solchen Ort bedeutet die biblische Anweisung: »Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden!« (Röm 12,15), dass wir immer wieder neu »Betrübte, aber immer fröhlich« (2Kor 6,10) sein werden.

GOTT KENNENLERNEN

Viertens und letztens möchte ich Sie einladen, diesen Gott neu und vielleicht so intensiv wie nie zuvor kennenzulernen. Diesen Gott, dessen Engagement im Leben seiner Kinder und in der Welt so allgegenwärtig, umfassend und machtvoll ist, dass seinen Kindern nichts geschehen kann als nur das, was nach seinem Willen ihrer Verherrlichung in ihm und seiner Verherrlichung in ihnen dient (2Thess 1,12).

Durch den Tod seines Sohnes hat sich Gott ein Volk aus allen Stämmen, Sprachen und Nationen erlöst (Offb 5,9). Das Zusammenwirken des Vaters und des Sohnes im Tod Christi war so kraftvoll, dass es für Zeit und Ewigkeit absolut alles geleistet hat, was nötig ist, um die Braut Christi sicher und in voller Schönheit in die ewige Freude zu geleiten.

Römer 8,32 ist möglicherweise der wichtigste Vers in der ganzen Bibel, weil er eine felsenfeste Verbindung herstellt zwischen dem größten Ereignis, das jemals im Universum geschah, und der größten Zukunft, die man sich vorstellen kann: »Er, der sogar seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat, wie sollte er uns mit ihm nicht auch alles schenken?«

So ist es. Wie sollte er nicht? Alles. Alles!

21So rühme sich nun niemand irgendwelcher Menschen; denn alles ist euer: 22es sei Paulus oder Apollos oder Kephas oder die Welt, das Leben oder der Tod, das Gegenwärtige oder das Zukünftige – alles ist euer; 23Ihr aber gehört Christus an, Christus aber gehört Gott an.(1Kor 3,21–23)

Alles ist unser. Weil der Vater den Sohn nicht verschont hat. Der Tod Christi hat alles – absolut alles – für alle Zeiten erwirkt, was sein Volk benötigt, um in Heiligkeit und Liebe durch diese Welt zu kommen. Gott, der Vater, hat das alles – alles, was wir brauchen – vorherbestimmt und festgelegt und uns verheißen (Hes 36,27; Röm 8,29). Gott, der Sohn, hat es für uns erkauft (Tit 2,14). Gott, der Heilige Geist, bewirkt es in uns (Gal 3,5; Hebr 13,21). Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes in Christus (Röm 8,35–39).

Ich möchte so vielen Menschen wie möglich helfen, den Gott der allumfassenden, alles durchdringenden, unerschütterlichen Vorsehung kennenzulernen. Sein Wort ist randvoll mit Informationen über sein großes Ziel. Von der ersten bis zur letzten Zeile verkündet es den Reichtum seiner Gnade für sein unwürdiges Volk. Eine Seite nach der anderen erzählt uns die atemberaubende Geschichte des Wesens und des Ausmaßes seiner Vorsehung. Nichts kann ihn davon abhalten, seine Ziele zu erreichen, genau zu dem Zeitpunkt und exakt auf die Art, wie er das will.

9 Gedenkt an die Anfänge von der Urzeit her, dass Ich Gott bin und keiner sonst; ein Gott, dem keiner zu vergleichen ist.

10 Ich verkündige von Anfang an das Ende, und von der Vorzeit her, was noch nicht geschehen ist. Ich sage: Mein Ratschluss soll zustande kommen, und alles, was mir gefällt, werde ich vollbringen.(Jes 46,9–10)

ZIEL, WESEN, AUSMASS

Dieses Buch hat drei Teile. In Teil 1 definiere ich Vorsehung und wende mich dann einer Schwierigkeit zu – der Selbsterhöhung, die Gottes Ziel, seine eigene Herrlichkeit zu demonstrieren, mit sich bringt. In Teil 2 konzentriere ich mich auf das Endziel der Vorsehung, in Teil 3 dann auf ihr Wesen und Ausmaß. Ich habe diese Reihenfolge (erst das Ziel, dann Wesen und Ausmaß) deswegen gewählt, weil ich glaube, dass wir das, was jemand tut, besser verstehen, wenn wir wissen, was für ein Ziel er hat. Wenn ich weiß, dass es Ihr Ziel ist, ein Haus in Minnesota zu bauen, verstehe ich besser, warum Sie dieses große Loch ausheben, denn in dieser Klimazone sind Keller wichtig. Wüsste ich nicht, dass Sie ein Haus bauen wollen, könnte ich mit dem Loch im Boden nicht viel anfangen. Art und Größe des Lochs erklären sich durch das Ziel des Bauherrn.

Ich rede vom Endziel der Vorsehung, weil Gott mit jedem Akt der Vorsehung zehntausend Dinge gleichzeitig tut (und das ist noch untertrieben). Jedes dieser zehntausend Dinge ist von Gott beabsichtigt. Das bedeutet, dass Gott in jeder Stunde Millionen und Abermillionen von Zielen hat, die er auch alle erreicht. Die meisten von ihnen (auch das ist untertrieben) kennen wir nicht. In Teil 2 dieses Buches geht es also nicht darum, alle diese Ziele kennenzulernen; das ist unmöglich. Sondern was ich wissen will, ist: Worauf läuft die ganze Sache zu? Was ist das übergeordnete Ziel, das allem anderen die Richtung gibt?

Mit diesem Wissen können wir das Wesen und das Ausmaß der Vorsehung Gottes besser verstehen. Mit Ausmaß meine ich Folgendes: In welchem Umfang und wie vollständig steuert Gott die Dinge, einschließlich der Menschen? Mit Wesen meine ich zum Beispiel: Was für Mittel benutzt Gott, um die Dinge zu steuern? Ist steuern überhaupt das richtige Wort? Es ist nicht mein Lieblingswort, um Gottes Vorsehung zu beschreiben. Nicht weil es falsch wäre, sondern weil es leicht Assoziationen in Richtung mechanischer Prozesse und Zwangsmaßnahmen weckt. Ich werde es benutzen, aber dabei (hoffentlich) immer wieder aufzeigen, warum die genannten Assoziationen für Gottes Vorsehung nicht gelten.

Gottes Vorsehung ist allumfassend und alles durchdringend. Aber wenn Gott den menschlichen Willen lenkt, erlebt der Betreffende dies geheimnisvollerweise so, als ob er seinem Eigenwillen folgt, in einem authentischen, von ihm selbst verantworteten Willensakt. Gott ist der Herr über die Wünsche und Entscheidungen des Menschen, und gleichzeitig ist dieser für seine Entscheidungen verantwortlich. Gottes verborgenes Wirken beim Lenken aller Dinge und seine geoffenbarten Befehle, die unseren Gehorsam verlangen, passen in seinem Geist perfekt zusammen, nicht aber in unserer sichtbaren Erfahrung. Unsere Aufgabe ist es, seinen geoffenbarten Weisungen zu gehorchen, nicht seinen verborgenen Absichten.6 Wir werden sehen, dass dies das Wesen der Vorsehung ist.

Eine Definitionund eineSchwierigkeit

Teil 1

Kapitel 1 Was ist Gottes Vorsehung?

Warum wurde als Thema dieses Buches die Vorsehung, und nicht die Souveränität Gottes gewählt? Weil der Ausdruck Souveränität nicht den Gedanken des zielgerichteten Handelns enthält, der Ausdruck Vorsehung dagegen sehr wohl. Die Souveränität Gottes beschreibt seine Berechtigung und Macht, alles zu tun, was er will, aber das Wort drückt keinen Plan und kein Ziel aus.

Selbstverständlich ist Gottes Souveränität der Sache nach sehr wohl zielgerichtet, sie hat einen Plan und verfolgt ein Ziel. Aber das wissen wir nicht deswegen, weil Gott souverän ist, sondern weil er auch weise ist und weil die Bibel ihm bei allem, was er tut, Ziele zuschreibt. »Mein Ratschluss soll zustande kommen, und alles, was mir gefällt, werde ich vollbringen« (Jes 46,10b).

Der Schwerpunkt dieses Buches liegt auf Gottes Souveränität, insofern sie sich nicht nur als machtvoll, sondern auch als zielgerichtet erweist. Das Wort Vorsehung ist in der Geschichte als Kürzel für diese spezifische Bedeutung benutzt worden.

DIE BAUSTEINE VON »VORSEHUNG«

In deutschen Bibelübersetzungen kommt das Wort »Vorsehung« selten vor. In der Lutherübersetzung 2017 erscheint es nur in Apostelgeschichte 2,23 und 1. Petrus 1,2, dazu noch zwei Mal in den Apokryphen. Es ist nicht leicht, Gewissheit über die Geschichte eines Wortes zu erlangen, und wie es zu seiner modernen Bedeutung kam. Hier ein Versuch: Zu dem Wort Vorsehung, das in die Elemente Vor und sehung zerfällt, gibt es das (seltene) Fremdwort Providenz, nach dem lateinischen providentia, welches wiederum eine Substantivierung des Verbes providere ist. Pro bedeutet »nach vorne« oder auch »für«, videre bedeutet »sehen«. Das ergibt zusammen »vorhersehen« bzw. »voraussehen«, doch dies ist nicht die einzige mögliche Bedeutung; providere kann auch »Sorge tragen«, »Vorsorge treffen« bedeuten. Und so hat sich, wenn es um Gott geht, für das Wort Providenz bzw. Vorsehung folgende Bedeutung etabliert: »Gottes zielgerichtete Versorgung, Erhaltung und Lenkung der Welt«.

Wie ist es dazu gekommen? Zwei interessante Fährten finden wir in einer Redewendung und in einer alten biblischen Geschichte.

DER GOTT, DER SIEHT (1)

Wir sagen manchmal: »Ich werde zusehen, dass [...] [nichts fehlt; o. ä.].« Normalerweise bedeutet »zusehen«, bei etwas zuzuschauen, also etwas zu sehen, aber in dieser Redewendung bekommt es eine andere Bedeutung. »Ich werde zusehen, dass [...]« bedeutet: »Ich kümmere mich darum«, »Ich werde dafür sorgen, dass es geschieht.« Aus dem Sehen wird das Dafür-Sorgen. Das Gleiche können wir für das lateinische providere annehmen. Und genauso könnte man Gottes Vorsehung definieren: Er sorgt dafür bzw. kümmert sich darum, dass bestimmte Dinge geschehen bzw. auf eine bestimmte Weise geschehen.

DER GOTT, DER SIEHT (2)

Noch interessanter ist die Geschichte von der Opferung Isaaks. Bevor Abraham und Isaak den Berg im Land Morija besteigen, fragt Isaak seinen Vater: »Wo ist aber das Lamm zum Brandopfer?« (1Mose 22,7b). Abraham erwidert: »Mein Sohn, Gott wird für ein Lamm zum Brandopfer sorgen!« (V. 8). Und nachdem Gott dann Abraham den Widder gezeigt hat, der sich im Gestrüpp verfangen hatte, heißt es: »Und Abraham nannte den Ort: ›Der HERR wird dafür sorgen‹« (V. 14).

Überall, wo in 1. Mose 22 »sorgen« steht, findet sich im hebräischen Urtext das Wort für »sehen«. Abraham sagt zu Isaak: »Gott wird das Lamm für sich sehen« V. 8). Ähnlich V. 14: »›Der HERR wird dafür sorgen‹ [der HERR wird sehen: sodass man noch heute sagt: ›Auf dem Berg wird der HERR dafür sorgen‹ [wird gesehen werden: Luther übersetzt deshalb in V. 8: »Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer«, und in V. 14: »Und Abraham nannte die Stätte ›Der HERR sieht‹. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der HERR sich sehen lässt« (LÜ 2017). Modernere Übersetzungen bevorzugen mal die Variante »sehen« (NLB, Einh.), mal die Variante »dafür sorgen« (Schlachter 2000, HFA).

In Bezug auf die Lehre von der Vorsehung Gottes stellt sich hier die Frage: Wie kommt es, dass sich Gottes Sehen in 1. Mose 22 auf sein Dafür Sorgen bezieht, also seine Vorsehung?

Ich schlage folgende Antwort vor: Im Denken Moses und anderer biblischer Verfasser ist Gott kein passiver Zuschauer, wenn er etwas »sieht«. Als Gott ist er nie ein bloßer Beobachter. Er ist kein passiver Beobachter der Welt und auch kein passiver Vorhersager der Zukunft. Wo Gott sieht, da handelt er. Mit anderen Worten: Es gibt einen tiefen theologischen Grund dafür, warum Gottes Vorsehung nicht einfach nur bedeutet, dass er sieht, sondern dass er sich kümmert. Wenn Gott etwas sieht, macht er es zur Chefsache. Gottes zielgerichtetes Handeln an Abraham war für Mose, den Autor von 1. Mose 22, so offensichtlich, dass für ihn in Gottes perfektem Sehen sein zielgerichtetes Handeln mitgedacht war. Dass Gott sah, bedeutete, dass er sich kümmerte. Seine Wahrnehmung schloss seine Fürsorge, also seine Vorsehung, mit ein.

EINE ZWICKMÜHLE FÜR DIESES BUCH

So also stelle ich mir vor, wie sich die Bedeutung des Wortes Vorsehung im Sinne von »Gottes Fürsorge für bzw. Erhaltung und Lenkung der Welt« entwickelt haben kann. Dabei ist nicht so wichtig, ob ich in allen Punkten richtig liege. Wenn es um Worte geht, ist das Wichtigste nicht, dass wir wissen, wie sie entstanden sind oder wie sie ihre Bedeutung bekommen haben. Wichtiger ist, dass wir korrekt erfassen, was der Schreiber oder Redner mit diesen Worten kommunizieren will.

Und dann beginnt die eigentliche Aufgabe: Entspricht das, was dieser Mensch mit seinen Worten ausdrücken will, der Realität? Ist das, was er da über die Vorsehung sagt, wahr? Oder, um dieses Buch zu nehmen und die Tatsache, dass für mich die Bibel der große Prüfstein der Wahrheit ist: Ist uns klar – wirklich klar –, was die Bibel über Gottes Vorsehung lehrt?

Wenn ich im Folgenden genauer darlegen will, was ich unter Gottes Vorsehung verstehe, bedeutet das, dass ich dabei in einer gewissen Zwickmühle stecke. Einerseits sollte ich eigentlich als Erstes den biblischen Befund referieren, um mein Verständnis der Vorsehung Gottes zu untermauern. Doch andererseits muss ich, wenn ich diesen Befund darstelle, zwangsläufig bereits den Begriff Vorsehung benutzen, und dieser Begriff sollte eine klare Bedeutung für meine Leser haben – die aber nur aus dem biblischen Befund kommen kann. Entweder ich erkläre Ihnen zuerst, was ich überhaupt mit dem Begriff Vorsehung meine, und liefere anschließend den biblischen Befund, oder ich benutze das Wort Vorsehung mehrdeutig und undefiniert, bis sich dann am Ende des Buches eine klare Definition herausgeschält hat.

Ich mag keine Mehrdeutigkeit. Ich finde, sie führt nur zu Verwirrung und Irrtum. Und so wähle ich die erste Option. Hier, gleich am Anfang des Buches, erkläre ich Ihnen so klar wie möglich, was ich unter der Vorsehung Gottes verstehe, wohl wissend, dass dieses Verständnis auf Fakten beruht, die ich noch nicht genannt habe. Sie können dann den Rest dieses Buches als biblische Untermauerung, Erklärung, Anwendung und Feier dieser Vorstellung von Vorsehung lesen.

Ich möchte in diesem Buch keine neue Definition von Vorsehung erarbeiten, die sich von den historischen Glaubensbekenntnissen der Kirche lösen würde. Vielmehr möchte ich aus der Bibel einen Vorrat an uraltem »Anzündholz« zusammentragen, dieses Holz für alle sichtbar aufschichten und anschließend ein Streichholz daranhalten. Nein, ich möchte diesen Stapel nicht verbrennen, ich möchte seine Brenneigenschaften freisetzen, zur Beflügelung der wahren Anbetung, zur Stärkung angefochtenen Glaubens, zur Festigung freudigen Glaubensmutes und zur Förderung von Gottes Sache in dieser Welt.

EINIGE KLASSISCHE DEFINITIONEN VON VORSEHUNG

Gehen wir ein paar Jahrhunderte zurück. In der Zeit der Reformation und danach finden wir Definitionen von Vorsehung, die ich nur bejahen kann, da sie, wie ich meine, biblische Wahrheiten wiedergeben.

Heidelberger Katechismus (1563) Frage 27: Was verstehst du unter der Vorsehung Gottes?

Die allmächtige und gegenwärtige Kraft Gottes, durch die er Himmel und Erde mit allen Geschöpfen wie durch seine Hand noch erhält und so regiert, dass Laub und Gras, Regen und Dürre, fruchtbare und unfruchtbare Jahre, Essen und Trinken, Gesundheit und Krankheit, Reichtum und Armut und alles andere uns nicht durch Zufall, sondern aus seiner väterlichen Hand zukommt.7

Wie in praktisch allen kirchlichen Bekenntnissen bedeutet die Vorsehung Gottes eine »allmächtige und gegenwärtige Kraft Gottes«. Diese Kraft »erhält« und »regiert« alle Dinge. Aber was dieser Definition einen Dreh in Richtung Vorsehung (und nicht bloß Souveränität) gibt, ist die Formulierung »aus seiner väterlichen Hand«, die Entscheidendes über das Ziel von Gottes Regiment in allen Dingen beinhaltet. Sie impliziert nicht weniger, als dass alles im Universum letztlich zum Besten der Kinder Gottes geschieht! Aber dazu später Genaueres.

Confessio Belgica (1561) Artikel 13: Von der Vorsehung Gottes

Wir glauben, dass der liebe Gott, nachdem er alle Dinge geschaffen hatte, sie keineswegs der Willkür des Zufalls oder Schicksals überlassen hat, sondern dass er selbst, nach Vorschrift seines heiligen Willens, sie immerwährend so regiert und lenkt, dass nichts in dieser Welt ohne seinen Willen und seine Anordnung geschieht.8

Wieder »regiert und lenkt« Gott alle Dinge so, dass nichts dem »Zufall oder Schicksal« überlassen bleibt. Und wieder geht es nicht nur um Gottes Souveränität, sondern um seine Vorsehung, denn nichts geschieht »ohne seinen Willen und seine Anordnung«. Wobei der Ausdruck Anordnung den Gedanken der Ordnung beinhaltet. Ordnung impliziert Plan und Zweck. Was ist das Ziel dieser Ordnung? Darauf wollen wir uns in Teil 2 dieses Buches konzentrieren.

Großer Westminster Katechismus (1648) Frage 18: Was sind die Werke der Vorsehung?

Die Werke der Vorsehung Gottes sind sein allerheiligstes, weises und mächtiges Bewahren und Regieren aller seiner Geschöpfe; er leitet sie und all ihr Tun zu seiner eigenen Ehre.

Gottes Vorsehung »bewahrt« und erhält also nicht nur die Existenz »aller seiner Geschöpfe«, sondern »leitet […] all ihr Tun«. Und was ist der Zweck des Ganzen? Er wird explizit genannt: »zu seiner Ehre«. Dies ist zielgerichtete Souveränität, also das, was wir Vorsehung nennen.

Westminster Glaubensbekenntnis (1646) Kapitel 5: Von der Vorsehung

5.1 Gott, der große Schöpfer aller Dinge, erhält, lenkt, ordnet und regiert alle Geschöpfe, Handlungen und Dinge vom Größten bis zum Kleinsten durch seine höchst weise und heilige Vorsehung, nach seinem unfehlbaren Vorherwissen und dem freien und unabänderlichen Ratschluss seines eigenen Willens zum Preis der Herrlichkeit seiner Weisheit, Macht, Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit.9

Dies ist die umfassendste Definition, die wir bisher gesehen haben. Gott »erhält, lenkt, ordnet und regiert alle Geschöpfe, Handlungen und Dinge«. Das ist allumfassende Souveränität. Und dazu kommt das Element der Vorsehung: Die Souveränität wird gelenkt durch Weisheit und Heiligkeit, und all dies »zum Preis der Herrlichkeit seiner Weisheit, Macht, Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit«.

Es wird sich noch zeigen, dass diese Formulierung des Ziels von Gottes Vorsehung entscheidend ist, um der biblischen Botschaft treu zu sein. Manche Modelle der Vorsehung sind so auf Gottes Ziel, seine Gnade zu erweisen, konzentriert, dass alle anderen Aspekte seiner Herrlichkeit aus dem Blick geraten. Dass die Westminster-Texte der Versuchung zu dieser Engführung widerstehen, halte ich für weise und biblisch. Das Ziel der Vorsehung Gottes, so sagt es das Westminster Bekenntnis, heißt »Preis« der Herrlichkeit Gottes – seiner ganzen Herrlichkeit, nicht nur eines Aspektes (wie etwa seiner Liebe oder Gnade oder Barmherzigkeit): die »Herrlichkeit seiner Weisheit, Macht, Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit«.

WAS IST DER UNTERSCHIED ZWISCHEN VORSEHUNG UND SCHICKSAL?

Diese starken Formulierungen, wie Gott alle Geschöpfe, Handlungen und Dinge erhält, lenkt, ordnet und regiert, werfen manchmal die Frage auf, inwieweit sich die biblische Sicht von der Vorsehung Gottes vom Schicksal unterscheidet. Die Schicksalsidee hat eine lange Geschichte, von der griechischen Mythologie bis zur modernen Physik. Vielen Menschen ist an der Vorsehung und am Schicksal nicht geheuer, dass sie eine Festlegung der Zukunft zu bedeuten scheinen, die das Leben letztlich bedeutungslos macht. Charles Spurgeon (1834–1892) hat sich mit diesem Einwand auseinandergesetzt:

Er beginnt mit seiner felsenfesten Überzeugung von Gottes allumfassender, bis ins Allerkleinste hinein wirkenden Vorsehung. In einer Predigt über Hesekiel 1,15–19 zu Gottes Vorsehung sagt er:

Ich glaube, dass sich in jedem Stäubchen, das in einem Sonnenstrahl tanzt, nicht ein Atom mehr oder weniger bewegt, als Gott will – dass jeder Tropfen Gischt, der gegen ein Dampfschiff spritzt, seiner Bahn folgt, so wie die Sonne am Himmel – dass die Spelzen, die von der Worfschaufel fallen, gerade so gelenkt werden wie die Sterne in ihrer Bahn. Das Kriechen einer Blattlaus über die Rosenknospe ist ebenso festgelegt wie der Gang einer verheerenden Pestilenz – das Fallen der […] Blätter von einer Pappel ist ebenso verordnet wie der Abgang einer Lawine.10

Erstaunlich. Jede noch so winzige Blase in dem Schaum, der sich beim Öffnen einer Cola-Dose bildet. Jedes Staubpartikel, das man nur im ersten Morgensonnenstrahl sehen kann, der in das Schlafzimmer fällt. Jede Ähre auf den Getreidefeldern der endlosen Ebenen Nebraskas. Alles, jede noch so kleine Bewegung, ist von Gott verordnet und gelenkt.

Spurgeon weiß, welcher Einwand jetzt kommen wird, und fährt in seiner Predigt fort:

Jetzt wirst du an diesem Morgen sagen: »Unser Pastor ist ein Fatalist.« Euer Pastor ist nichts dergleichen. Einige werden sagen: »Ah, er glaubt an das Schicksal!« Er glaubt überhaupt nicht an das Schicksal. Was ist denn Schicksal? Dieses: Alles, was ist, muss sein. Aber das ist nicht dasselbe wie Vorsehung. Die Vorsehung sagt: Alles, was Gott anordnet, muss sein – und die Weisheit Gottes ordnet nie etwas an, ohne ein Ziel zu haben. Alles, was in dieser Welt geschieht, läuft auf ein großes Ziel hinaus. Das sagt das Schicksal nicht. Das Schicksal sagt einfach, dass die Dinge sein müssen; die Vorsehung sagt, dass Gott die Räder bewegt und dass sie ihm gehorchen.

Wenn etwas schiefzugehen droht, biegt Gott es wieder gerade, und wenn sich etwas in die falsche Richtung bewegt, greift er mit seiner Hand ein und ändert dessen Kurs. Es läuft äußerlich auf dasselbe hinaus, aber das Ziel ist ein anderes. Der Unterschied zwischen Schicksal und Vorsehung ist wie der zwischen einem Mann mit guten Augen und einem Blinden. Das Schicksal ist blind; es ist die Lawine, die den Hang hinunter auf das Dorf donnert und Tausende tötet. Die Vorsehung ist keine Lawine; sie ist ein Fluss, der als kleines Bächlein beginnt, das den Hang hinunterplätschert, sich mit anderen Bächen vereinigt und schließlich zu einem mächtigen Strom wird, der am Ende in den Ozean der ewigen Liebe mündet, zum Besten der Menschheit. Die Lehre von der Vorsehung lautet nicht: Alles, was ist, muss sein, sondern: Alles, was ist, wirkt zum Besten von uns Menschen zusammen, und ganz besonders zum Besten des Volkes, das Gott sich erwählt hat. Die Räder sind voller Augen; sie sind nicht blind.11

Ich hoffe, dass in diesem Buch klar werden wird (vor allem in Teil 2): Gottes großes Ziel in seiner allumfassenden Vorsehung ist so zielgerichtet, so weise, so heilig, so gnädig und so voller Freude, dass das letzte Wort, mit dem ein vernünftiger Mensch es bezeichnen würde, das Wort Schicksal ist.

ZUR IMMER GRÖSSEREN FREUDE ALLER, DIE GOTT LIEBEN

Ich stimme all den Beschreibungen der Vorsehung Gottes, die wir gerade in den historischen Glaubensbekenntnissen sowie in Spurgeons Predigt gefunden haben, zu. Sie stimmen miteinander und mit der Bibel überein, und wenn ich in diesem Buch den Begriff Vorsehung benutze, meine ich ihn in diesem Sinne. Aber vielleicht sollte ich noch eine andere Quelle zitieren, um meine Definition noch deutlicher zu machen.

Während meiner 33 Jahre als Pastor der Bethlehem Baptist Church in Minneapolis (Minnesota, USA) verfassten die dortigen Gemeindeältesten ein sorgfältig formuliertes Dokument – die Bethlehem Baptist Church Elder Affirmation of Faith. Ich war an diesem Prozess beteiligt, und die Aussagen zu Gottes Vorsehung in diesem Dokument enthalten einige Punkte, die ich in diesem Buch näher beleuchten werde. Hier die Schlüsselzitate zum Thema »Vorsehung«:

3.1 Wir glauben, dass Gott von Ewigkeit her durch den allerweisesten und heiligsten Ratschluss seines Willens aus freien Stücken und unabänderlich alles, was geschieht, verordnet und im Voraus gewusst hat, um das ganze Ausmaß seiner Herrlichkeit zur ewigen und immer größeren Freude aller, die ihn lieben, zu zeigen.

3.2 Wir glauben, dass Gott alle Dinge erhält und regiert – von den Galaxien bis zu den subatomaren Partikeln, von den Kräften der Natur bis zum Handeln der Völker, von den öffentlichen Plänen der Politiker bis zu den geheimen Taten des Einzelnen –, und all dies in Übereinstimmung mit seinen ewigen, allweisen Plänen, sich selbst zu verherrlichen, aber so, dass er dabei nie sündigt und nie jemanden zu Unrecht verurteilt, sondern dass er alle Dinge so verordnet und lenkt, dass sie mit der moralischen Verantwortung aller Personen, die nach seinem Bild erschaffen sind, vereinbar sind.12

Diese Aussage, dass Gott seine Herrlichkeit »zur ewigen und immer größeren Freude aller, die ihn lieben« zeigt, ist, wie ich glaube, in den historischen Glaubensbekenntnissen implizit enthalten – wenn zum Beispiel der Westminster Katechismus feststellt, dass das höchste Ziel des Menschen ist, »Gott zu verherrlichen und sich für immer an ihm zu erfreuen«.13 Aber ich betrachte dieses Ziel der Freude an Gott, und wie diese mit der Verherrlichung Gottes zusammenhängt, als so wichtig im Hinblick auf die Ziele Gottes bei seiner Vorsehung, dass ich es explizit formuliere und betone. In Teil 2 wird hoffentlich klar werden, dass nicht nur ich dies tue, sondern dass die Bibel das Gleiche macht.

Bevor wir uns dem Thema von Teil 2 zuwenden, also der Frage nach Gottes Ziel bei der Vorsehung, wird es hilfreich sein, zunächst einen häufig genannten Stolperstein aus dem Weg zu räumen – nämlich die Selbsterhöhung, die in Gottes Ziel, seine eigene Herrlichkeit zu demonstrieren, enthalten ist. Dies wird das Thema von Kapitel 2 sein.

Kapitel 2 Ist Gottes Selbsterhöhung eine gute Nachricht?

Für den modernen Menschen scheint es – so jedenfalls mein Eindruck – so gut wie unmöglich zu sein, das durchgängige Zeugnis der Bibel, dass Gott immer zu seiner eigenen Ehre handelt, freudig und dankbar zu akzeptieren. Ich denke hier an Texte wie Jesaja 48,9–11:

9 Um meines Namens willen bin ich langmütig, und um meiner Ehre willen halte ich mich zurück, dir zugute, um dich nicht auszurotten.

10 Siehe, ich habe dich geläutert, aber nicht im Silber[schmelzofen]; im Schmelzofen des Elends habe ich dich geprüft.

11 Um meinetwillen, um meinetwillen will ich es vollbringen! Denn wie würde ich sonst gelästert! Und ich will meine Ehre keinem anderen geben.

Ich habe gerade gesagt, dass ich den Eindruck habe, dass der moderne Mensch sich über solche Selbsterhöhung Gottes nicht freut, sondern sie ablehnt. Ich muss mich korrigieren: Dieser Widerstand findet sich nicht nur beim modernen Menschen. Er ist allgemeinmenschlich. Und er ist vielschichtig.

UNSER WIDERSTAND GEGEN GOTTES SELBSTVERHERRLICHUNG

Das Phänomen der Selbsterhöhung ist uns Menschen einerseits wohlvertraut. Wir kennen es aus unserer persönlichen Erfahrung. Wir alle haben uns schon selbst erhöht. Wir alle haben eine angeborene Neigung, gelobt werden zu wollen. Wir stehen gern im Mittelpunkt. Andererseits – und dies ist fast ebenso verbreitet – mögen wir es nicht, wenn jemand so im Mittelpunkt steht (in unseren besten Momenten selbst dann nicht, wenn wir dieser Jemand sind). Wir haben eine Hass-Liebe-Beziehung zu dem Wunsch, groß dazustehen.

Unser Widerstand gegen das durchgehende biblische Zeugnis von der Selbstverherrlichung Gottes wird noch dadurch verkompliziert, dass wir (oder jedenfalls wir Amerikaner) im Allgemeinen eine Vorliebe für Helden auf dem Bildschirm oder auf den Seiten eines Buches haben, die großtuerisch daherkommen und vor Selbstsicherheit nur so strotzen. Wir sind begeistert, wenn sie wieder einmal gegen eine zehnfache Übermacht gewonnen haben. Wir mögen ihr egoistisches »Ich bin der Größte« -Getue. Es ist irgendwie cool. Und weil Selbsterhöhung so cool ist, hat sie sich (mit all ihren kulturellen Mutationen im Laufe der Jahrzehnte) als tiefe Sehnsucht unseres Herzens und als etwas, das wir an unseren Helden bewundern, halten können. Sie ist sozusagen das positive Gegenstück zum Peinlich-Sein. Wir hassen es, als die Dummen dazustehen. Wir möchten gern die Smarten und Kompetenten sein. Eben das erwarten wir auch von unseren Helden, und wenn sie dabei noch so großspurig werden.

Aber ganz so einfach ist es auch wieder nicht. Wenn diese großspurigen Helden nämlich anfangen, ihr Talent für ungerechte Dinge zu verwenden oder Unschuldige – oder Menschen, die uns lieb sind – zu verletzen, dann beginnt ihr Stern in unseren Augen zu sinken. Es dauert nicht lange, und dieselbe Cleverness und körperliche und verbale Schlagfertigkeit, die sie erst so cool erscheinen ließ, macht sie zum Bösewicht. Sie verlieren ihre Attraktivität, und ihr selbstsicheres Angebertum, das uns vorher so sympathisch war, stößt uns ab.

Und noch weiter verkompliziert wird unser Widerstand gegen Gottes Selbsterhöhung dadurch, dass kein Geringerer als Jesus gesagt hat: »Wenn ich mich selbst ehre, so ist meine Ehre nichts« (Joh 8,54). Und der Apostel Paulus sagt: »Die Liebe […] sucht nicht das Ihre« (1Kor 13,4–5) und: »Niemand suche das Seine« (1Kor 10,24).

EIGENTLICH WOLLEN WIR GAR KEINEN GOTT

Doch hinter unserem Widerstand gegen Gottes Selbsterhöhung steckt noch etwas Tieferes. Wir mögen uns auf ein noch so hohes moralisches Ross setzen gegen Gottes angebliche Selbstherrlichkeit, doch eigentlich geht es um noch viel mehr: In uns steckt eine rebellische Ader, die nicht nur einen sich selbst verherrlichenden Gott ablehnt, sondern jeden Gott, der existiert und der Autorität über die Welt und über uns beansprucht. Paulus erklärt, dass dies ein absolutes Kennzeichen des menschlichen Herzens ist, das die große Transformation durch den Kreuzestod Christi und das Wirken des Geistes Gottes (noch) nicht erfahren hat:

7Die Gesinnung des Fleisches ist feindselig gegen Gott, denn es ordnet sich Gottes Gesetz nicht unter, ja es kann das gar nicht. 8Die, die im Fleisch sind, können Gott nicht gefallen.(Röm 8,7–8; Übersetzung John Piper)

Paulus kontrastiert diejenigen, die »die Gesinnung des Fleisches« haben, mit denen, die die Gesinnung des Geistes haben (Röm 8,6). Und dann beschreibt er diese vom Geist bestimmten Menschen: »Ihr aber seid nicht im Fleisch, sondern im Geist, wenn wirklich Gottes Geist in euch wohnt« (Röm 8,9). Wir werden aus Menschen, die die Gesinnung des Fleisches haben, zu solchen, die die Gesinnung des Geistes haben, wenn der Geist Gottes durch den Glauben an Christus in uns Wohnung nimmt (Gal 3,2). Ohne den durch den Glauben empfangenen Geist sind wir von Natur aus Rebellen gegen Gott und seine Autorität.

Das tiefste Problem, das wir mit Gottes Selbsterhöhung haben, ist also nicht, dass wir allergisch sind gegen bestimmte Arten von überheblich ausgeübter Autorität, sondern dass der Mensch seit dem Sündenfall keinerlei göttliche Autorität über sein Leben akzeptiert. Die Überlegung, dass wir Gott nicht mögen, weil er zu seiner eigenen Ehre agiert, verdeckt einen viel tieferen Widerstand: Wir mögen Gott nicht, weil er Gott ist.

ABER WAS, WENN ...?

Aber was, wenn Gottes beständiges Handeln zu seiner eigenen Ehre nicht das Verhalten eines großspurigen Wichtigtuers wäre, hinter dem sich ein kleiner Junge mit Minderwertigkeitsgefühlen verbirgt? Sondern eher das eines Fußballstars der Champions League, der mit seinem Porsche in ein Problemviertel fährt, weil er die Kids dort wirklich mag und ihnen den Traum erfüllen möchte, eine Stunde lang mit ihm zu kicken?

Was, wenn Gottes Hervorheben seiner Ehre nicht die Werbung eines Kurpfuschers wäre, der auf seinem Praxisschild behauptet, der beste Arzt aller Zeiten zu sein? Sondern die eines echten Therapeuten, der tatsächlich der Beste seines Fachs ist und der als Einziger ein Heilmittel gegen die verheerende Epidemie anbietet, die durch das Land geht?

Was, wenn Gottes Betonung, dass er der Höchste ist, nicht zu vergleichen ist mit einem karrierebeflissenen Dozenten an einer renommierten Kunsthochschule, der seine Vorlesungen anpreist, um den Hörsaal voll zu bekommen? Sondern mit einem absoluten Spitzenkünstler, der freiwillig an eine obskure Provinz-Uni geht und dort seine Vorlesungen kostenlos anbietet, damit auch mittellose Studenten die Geheimnisse seiner Kunst kennenlernen können?

Was, wenn Gott in den öffentlichen Erweisen seiner Macht nicht einem narzisstischen, ruhmsüchtigen General entspräche, der seine Soldaten zu Tausenden für den Sieg verheizt, während er in sicherer Entfernung zur Front zuschaut? Sondern einem wahrhaft großen General, der Sieg und Ruhm erringt, indem er an vorderster Front bereitwillig für seine Truppen, die er liebt, in den Tod geht?

Mit anderen Worten: Was, wenn wir schlussendlich die Entdeckung machen würden, dass die Schönheit Gottes jene Art von Schönheit ist, die dadurch zur Vollendung kommt, dass sie andere an sich teilhaben lässt?

Und was, wenn das, was wir für bloße »Selbstvermarktung« gehalten haben, in Wirklichkeit darauf abzielt, jedem, der sie haben will, die größtmögliche Freude zu schenken?

Was, wenn es stimmt, was der große amerikanische Theologe Jonathan Edwards (1703–1758) schrieb:

Ohne Zweifel wird die Glückseligkeit der Heiligen im Himmel so groß sein, dass die ganze Majestät Gottes über alle Maßen sichtbar wird in der Größe, Herrlichkeit und Fülle der Freuden und Wonnen der Heiligen.14

DAS GROSSE ZIEL DES WIRKENS GOTTES

Ich spreche das Thema der Selbsterhöhung Gottes absichtlich bereits zu Beginn dieses Buches an. Denn wenn wir uns der Frage zuwenden, was das Endziel von Gottes Vorsehung ist, dann zeigt der biblische Befund, dass Gottes häufigstes und allumfassendes Ziel seine eigene Herrlichkeit ist – nämlich die Schönheit des vollen Panoramas seiner Vollkommenheiten [d. h. seiner Eigenschaften, von denen er jede einzelne in vollkommenem Maß besitzt]. Nach gründlichem Studium und Durchdenken der Bibel zu diesem Thema bin ich davon überzeugt, dass die Schlussfolgerung korrekt ist, zu der Jonathan Edwards in seiner Dissertation Concerning the End for Which God Created the World [deutsch etwa: »Abhandlung über den Zweck, zu welchem Gott die Welt erschuf«] kommt.15 Edwards’ Buch ist eines der wichtigsten und richtungweisendsten, die ich je gelesen habe. Mit einem Argument nach dem anderen und einer Bibelstelle nach der anderen entfaltet Edwards dort diese These:

Und so sehen wir, dass das größte und letzte Ziel der Werke Gottes, das in der Bibel so vielfältig zum Ausdruck kommt, schlussendlich ein einziges ist, und dieses eine Ziel wird am korrektesten und umfassendsten »die Herrlichkeit Gottes« genannt; dies ist der Name, der ihm in der Heiligen Schrift am häufigsten gegeben wird.16

Mit anderen Worten: Wenn wir uns mit der Frage nach Gottes Ziel bei seinen Werken der Vorsehung beschäftigen, kommen wir nicht an der Tatsache vorbei, dass die Bibel uns wiederholt und durchgehend versichert, Gott vollbringe diese Werke zu seiner eigenen Ehre. Und wenn Edwards Recht hat mit dem, was wir gerade von ihm zitiert haben, dann bedeutet »zu seiner Ehre« nicht, dass Gott sich eine Ehre verschafft, die er noch nicht hatte. Sondern es bedeutet, dass er seine Ehre demonstriert, verteidigt und verkündigt, zur ewigen Freude seines Volkes – also all derer, die Gott seine Selbsterhöhung nicht verübeln, sondern ihn als ihren höchsten Schatz annehmen.

Das ist ein großes Wenn – wenn Edwards Recht hat. In Teil 2 dieses Buches werden wir dieses Wenn anhand der Bibel auf Herz und Nieren prüfen. Wir werden uns in Teil 2 nicht in erster Linie mit dem Wesen oder Ausmaß der Vorsehung Gottes beschäftigen, sondern mit dem letzten Ziel, das Gott mit seiner Vorsehung in der Welt verfolgt. Es wird dabei zunehmend deutlich werden, warum Gottes Ziel, uns seine Herrlichkeit zu zeigen, nicht im Widerspruch steht zu seinem Ziel, uns volle und ewige Glückseligkeit zu geben. Wir werden in der Bibel (und nicht nur bei Edwards) sehen, warum die Majestät Gottes in der Fülle der Freude der Heiligen über seine Herrlichkeit aufleuchtet.

HERRLICHKEIT ALS DAS VOLLE PANORAMA DER ERHABENEN EIGENSCHAFTEN GOTTES

Lassen Sie uns im Klaren sein über das, was Edwards und ich meinen. Wenn Edwards sagt, dass das eine große Ziel Gottes bei der Vorsehung »am korrektesten und umfassendsten ›die Herrlichkeit Gottes‹ genannt« wird, meint er damit nicht, dass diese Herrlichkeit eine Eigenschaft Gottes unter vielen ist. Seine Aussage ist nicht, dass im Blick auf das große Ziel von Gottes Vorsehung seine Herrlichkeit zum Beispiel mit seiner Liebe oder mit seiner Gnade um den ersten Platz wetteifert. Gottes Herrlichkeit steht nicht in Konkurrenz zu seiner Liebe; sie schließt sie ein.

Ich habe oben die Formulierung »die Schönheit des vollen Panoramas seiner Vollkommenheiten« als Definition der Herrlichkeit Gottes benutzt. Mit anderen Worten: Gottes Herrlichkeit ist nicht eine seiner vielen vollkommenen Eigenschaften, sie ist die Schönheit, die in jeder einzelnen davon sichtbar wird, und sie zeigt sich in ihrem vollkommenen Zusammenspiel und in der Art, wie Gottes Eigenschaften in der Schöpfung und der Menschheitsgeschichte zum Ausdruck kommen.

Es ist wichtig, auf diesen Sachverhalt hinzuweisen, weil manche Theologen in ihrem Verständnis der Vorsehung eine der Eigenschaften Gottes so betonen, dass andere gleichsam deaktiviert werden. Am häufigsten geschieht dies mit Gottes Liebe. Da findet zum Beispiel jemand, dass Gottes Liebe nicht vereinbar ist mit einem bestimmten Akt seiner Vorsehung – sagen wir, mit dieser Tatsache: »Und der Engel des HERRN ging aus und erschlug im Lager der Assyrer 185 000 Mann« (Jes 37,36). Da wendet man dann ein: »Die Liebe sucht doch das Beste des Geliebten! Wie kann Gott zulassen, geschweige denn aktiv bewirken, dass über Nacht Hunderttausende Assyrer zu Witwen und Waisen werden?«

Aus diesem Grund habe ich in Kapitel 1 die ebenso kluge wie biblische Formulierung des Zieles Gottes in den Werken seiner Vorsehung im Westminster Bekenntnis betont. All diese Werke dienen, so hieß es dort, »zum Preis der Herrlichkeit seiner Weisheit, Macht, Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit«. Also nicht nur zum Preis einer dieser vollkommenen Eigenschaften, sondern aller. Ich sehe dies genauso. Wenn ich also sage, dass Gottes letztes Ziel in seiner Vorsehung die umfassende Demonstration, Verteidigung und Verkündigung seiner Herrlichkeit ist, zur ewigen Freude seines erlösten Volkes, dann will ich damit dieses Ziel nicht auf einen Einzelaspekt seiner Herrlichkeit reduzieren. Sondern ich will sagen, dass die Größe und Schönheit von Gottes Herrlichkeit im perfekten Zusammenspiel aller seiner göttlichen Eigenschaften besteht.17

Das Endziel von Gottes Vorsehung

Teil 2

Das große Ziel von Gottes Vorsehung vor der Schöpfung und bei der Schöpfung

Abschnitt 1

Kapitel 3 Vor der Schöpfung

Es ist nicht üblich, dass man das Wort Vorsehung zur Bezeichnung von Gottes Wirken vor der Schöpfung benutzt. Aber hier, in Teil 2 unseres Buches, liegt unser Augenmerk auf dem Ziel und Zweck Gottes bei seiner Vorsehung. Und wir erhalten ein volleres, exakteres Bild dieses Ziels, wenn wir auf das biblische Zeugnis hören, wie dieses Ziel bereits existierte, bevor Gott die Welt erschuf. Die Bibel lüftet den Vorhang ein Stückchen, der die zurückliegende Ewigkeit vor uns verbirgt, und lässt uns einen Blick darauf erhaschen, wie Gott sich bereits vor Grundlegung der Welt ein Eigentumsvolk erwählte. Gottes Ziel wird dabei klar und deutlich formuliert:

4[Gott] erwählte uns in [Christus] vor der Grundlegung der Welt, damit wir heilig und makellos vor ihm seien. 5In Liebe bestimmte er uns zur Adoption als Söhne für ihn selbst durch Jesus Christus, nach dem Ziel seines Willens, 6zum Lob der Herrlichkeit seiner Gnade.(Eph 1,4–6; Übersetzung John Piper)

Ein ausdrückliches Ziel von Gottes Erwählung eines Eigentumsvolkes »vor der Grundlegung der Welt« ist, dass »wir heilig und makellos vor ihm seien« (Eph 1,4). Aber wie drückt sich diese Heiligkeit konkret aus? Gibt es ein noch höheres Ziel? Jawohl! Unsere Erwählung durch Gott bringt eine Vorher-Bestimmung mit sich, unsere Bestimmung durch Gott entspricht einem Plan, der bereits vor der Schöpfung existierte. Genau das steht in den Versen 5 und 6: »In Liebe bestimmte er uns zur Adoption als Söhne für ihn selbst durch Jesus Christus, nach dem Ziel seines Willens, zum Lob der Herrlichkeit seiner Gnade.«

Wenn wir diesen Akt der Vorherbestimmung (Eph 1,5–6) in seine vier Bestandteile aufgliedern und diese so anordnen, dass wir mit der tiefsten Wurzel beginnen, bis hin zur letztendlichen Frucht, dann ergibt sich folgende Reihenfolge: 1. Das Ziel von Gottes Willen führt 2. zu einem Plan, dass durch Jesus Christus 3. Gottes Erwählte als seine Söhne adoptiert werden, mit 4. dem letzten Ziel, dass sie ihn für die Herrlichkeit seiner Gnade loben und preisen.

Das endgültige Ziel des ganzen Heilsplanes Gottes, den er schon vor der Schöpfung ersann, war, dass die Herrlichkeit seiner Gnade gepriesen würde.

NICHT BLOSS HERRLICHKEIT, SONDERN LOB DER HERRLICHKEIT

Was vor fünf Jahrzehnten, als ich diese Erklärung von Gottes höchstem Ziel bei unserer Erlösung das erste Mal las, meine Aufmerksamkeit fesselte, war nicht nur die unmissverständliche Deutlichkeit dieser Zielformulierung (»zum Lob der Herrlichkeit seiner Gnade«), sondern auch die Tatsache, dass Paulus in Epheser 1 diese Worte noch zwei Mal aufgreift.

In Epheser 1,11–12 schreibt er, dass »wir vorherbestimmt sind nach dem Vorsatz dessen, der alles wirkt nach dem Ratschluss seines Willens, damit wir zum Lob seiner Herrlichkeit dienten, die wir zuvor auf Christus gehofft haben«. Wir sind da, um Gottes Herrlichkeit zu preisen! Und zwei Verse später nennt Paulus den Heiligen Geist »das Unterpfand unseres Erbes […] bis zur Erlösung des Eigentums, zum Lob seiner Herrlichkeit« (Eph 1,14). Unser Erbe ist da, um Gottes Herrlichkeit zu preisen! Man beachte: Gottes Ziel ist, dass wir zum Lob seiner Herrlichkeit dienen (also: da sind) und dass wir zum Lob seiner Herrlichkeit unser Erbe in Besitz nehmen. Mit anderen Worten: Gottes Ziel bereits vor der Erschaffung der Welt war es, dass das, was wir sind und was wir haben, dem Lob seiner Herrlichkeit dient.

Im ersten Kapitel des Epheserbriefes sehen wir also, dass Gott uns zu seiner Ehre erwählt hat (1,4), uns zu seiner Ehre vorherbestimmt hat (1,5), uns zu seiner Ehre adoptiert hat (1,5), uns dazu bestimmt hat, zu seiner Ehre da zu sein (1,12) und zu seiner Ehre unser Erbe in Besitz zu nehmen (1,14). Oder, um es ganz genau zu formulieren: Sein Ziel, das hier drei Mal genannt wird, ist nicht nur »Gottes Herrlichkeit«, sondern »das Lob seiner Herrlichkeit« (Eph 1,6.12.14).

Wir sehen hier, was Jonathan Edwards meinte, als er sagte, dass »das größte und letzte Ziel der Werke Gottes […] am korrektesten und umfassendsten ›die Herrlichkeit Gottes‹ genannt« wird.18 Gottes Ziel besteht nicht nur darin, dass die Herrlichkeit seiner Vollkommenheit erstrahlt, sondern dass wir diese Herrlichkeit auch des Lobes und Preises würdig finden.

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