War er es? - Zweig Stefan - E-Book

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Zweig Stefan

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Beschreibung

"Persönlich bin ich soviel wie gewiß, daß er der Mörder gewesen ist, aber mir fehlt der letzte, der unumstößliche Beweis. "Betsy", sagt mein Mann immer zu mir, "du bist eine kluge Frau, du beobachtest rasch und scharf, aber du läßt dich von deinem Temperament verleiten und urteilst oft zu voreilig." Schließlich, mein Mann kennt mich seit zweiunddreißig Jahren und vielleicht, ja sogar wahrscheinlich, hat er recht mit seiner Mahnung. Ich muß mich also gewaltsam zwingen, da mir jener letzte Beweis fehlt, meinen Verdacht vor allen andern zu unterdrücken. Aber jedesmal, wenn ich ihm begegne und er kommt bieder und freundlich auf mich zu, stockt mir das Herz. Und eine innere Stimme sagt mir: er und nur er war der Mörder."

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War er es?

Titel SeiteImpressum

Stefan Zweig

War er es?

Persönlich bin ich soviel wie gewiß, daß er der Mörder gewesen ist, aber mir fehlt der letzte, der unumstößliche Beweis. »Betsy«, sagt mein Mann immer zu mir, »du bist eine kluge Frau, du beobachtest rasch und scharf, aber du läßt dich von deinem Temperament verleiten und urteilst oft zu voreilig.« Schließlich, mein Mann kennt mich seit zweiunddreißig Jahren und vielleicht, ja sogar wahrscheinlich, hat er recht mit seiner Mahnung. Ich muß mich also gewaltsam zwingen, da mir jener letzte Beweis fehlt, meinen Verdacht vor allen andern zu unterdrücken. Aber jedesmal, wenn ich ihm begegne und er kommt bieder und freundlich auf mich zu, stockt mir das Herz. Und eine innere Stimme sagt mir: er und nur er war der Mörder.

Ich will also versuchen, vor mir selbst und für mich allein den ganzen Hergang noch einmal zu rekonstruieren. Vor etwa sechs Jahren hatte mein Mann seine Dienstzeit in den Kolonien als hoher Regierungsbeamter beendet, und wir beschlossen, uns an einen stillen Ort in der englischen Provinz zurückzuziehen, um dort gemächlich – unsere Kinder sind längst verheiratet – mit den kleinen stillen Dingen des Lebens wie Blumen und Büchern die restlichen, schon ein wenig abendkühlen Tage unseres Alters zu verbringen. Unsere Wahl fiel auf einen kleinen ländlichen Ort in der Nähe von Bath. Von dieser alten, ehrwürdigen Stadt zieht sich, nachdem er sich durch vielerlei Brücken hindurchgeschlängelt, ein schmaler, gemächlicher Wasserlauf gegen das immer grüne Tal von Limpley Stoke, der Kenneth-Avon-Kanal. Vor mehr als einem Jahrhundert war diese Wasserstraße sehr kunstvoll und kostspielig mit vielen hölzernen Schleusen und Wärterstationen angelegt worden, um die Kohle von Cardiff bis nach London zu befördern. Auf dem schmalen Seitenweg rechts und links von dem Kanal zogen Pferde in schwerem Trott die breiten, schwarzen Barken gemächlich den weiten Weg entlang. Es war eine großzügige Anlage und vielversprechend für ein Zeitalter, dem die Zeit noch wenig galt. Aber dann kam die Eisenbahn, die rascher, billiger und bequemer die schwarze Fracht nach der Hauptstadt beförderte. Der Verkehr stockte, die Schleusenwärter wurden entlassen, der Kanal verödete und versumpfte, aber eben diese völlige Verlassenheit und Nutzlosigkeit macht ihn heute so romantisch und zauberhaft. In dem stockenden schwarzen Wasser wachsen die Algen vom Grunde so dicht empor, daß die Fläche dunkelgrün schimmert wie Malachit, Wasserrosen schaukeln sich farbig auf der glatten Fläche, die in ihrer schlafenden Unbewegtheit die blumenbestandenen Hänge, die Brücken und Wolken mit photographischer Treue spiegelt; ab und zu liegt halb eingesunken und schon mit buntem Gewächs überwuchert, ein alter zerbrochener Kahn aus jener geschäftigen Vorzeit am Ufer, und die eisernen Nägel an den Schleusen sind längst verrostet und von dichtem Moos überzogen. Niemand kümmert sich mehr um diesen alten Kanal, selbst die Badegäste von Bath kennen ihn kaum, und wenn wir beiden ältlichen Leute den ebenen Weg an seinem Rande, von dem früher die Pferde die Barken an den Seilen mühsam vorwärtsschleppten, entlanggingen, begegneten wir stundenlang niemandem andern als etwa einem heimlichen Liebespaar, das sein junges Glück, solange es noch nicht durch Verlöbnis oder Heirat befestigt war, in diesem Abseits vor dem Gerede der Nachbarn verbergen wollte.

Gerade dieser stille romantische Wasserlauf inmitten einer milden und hügligen Landschaft gefiel uns über alle Maßen. Wir kauften uns an einer Stelle, wo der Hügel von Bathampton sich als schöne üppige Wiese bis zum Kanal freundlich niedersenkt, mitten im Leeren ein Grundstück. Auf der Höhe bauten wir ein kleines ländliches Haus, von dem sich dann ein Garten mit behaglichen Pfaden, vorbei an Früchten, Gemüsen und Blumen, bis zum Kanal niederzog, so daß wir, wenn wir an seinem Rande auf unserer kleinen freien Gartenterrasse saßen, im Wasserspiegel noch einmal Wiese, Haus und Garten beschauen konnten. Das Haus war friedlicher und behaglicher, als ich es mir jemals geträumt, und ich klagte nur, daß es ein wenig einsam sei, ohne jede Nachbarn. »Sie werden schon kommen«, tröstete mein Mann, »wenn sie erst sehen, wie schön wir hier wohnen.« Und tatsächlich, noch hatten unsere Pfirsichbäumchen und Pflaumen nicht recht angesetzt, so erschienen schon eines Tages die Vorboten nachbarlichen Baus, erst geschäftige Agenten, dann die Vermesser und nach ihnen Maurer und Zimmerleute. Innerhalb eines Dutzends von Wochen stellte sich ein Häuschen mit roter Ziegelmütze freundlich neben das unsere; schließlich rollte das Lastautomobil mit den Möbeln an. Wir hörten in der stillen Atmosphäre unablässig hämmern und pochen, aber noch immer hatten wir unsere Nachbarn nicht zu Gesicht bekommen.

An einem Morgen klopfte es an unsere Tür. Eine schmale hübsche Frau mit gescheiten freundlichen Augen, kaum älter als acht- oder neunundzwanzig Jahre, stellte sich als die Nachbarin vor und bat, ihr eine Säge zu leihen; die Handwerker hätten die ihre vergessen. Wir kamen ins Gespräch. Sie erzählte, ihr Mann sei in Bristol bei einer Bank angestellt, aber es wäre schon lang beider Wunsch gewesen, lieber etwas abseits und mehr in der Landschaft zu wohnen, und unser Haus hätte, als sie einmal sonntags den Kanal entlangschlenderten, es ihnen sofort angetan. Für ihren Mann bedeute es freilich morgens und abends je eine Stunde Fahrt von Haus zu Haus, aber er würde unterwegs schon Gesellschaft zu finden wissen und sich leicht daran gewöhnen. Wir machten ihr den nächsten Tag Gegenbesuch. Sie war noch immer allein im Haus und erzählte heiter, ihr Mann käme erst herüber, wenn alles fertig sei. Vorher könne sie ihn nicht brauchen, und schließlich sei es ja nicht so eilig. Ich weiß nicht warum, aber die gleichgültige, beinahe zufriedene Art, mit der sie von der Abwesenheit ihres Mannes sprach, gefiel mir nicht. Ich machte dann, als wir zu Hause allein bei Tisch saßen, eine Bemerkung, es scheine ihr nicht viel an ihm gelegen zu sein. Mein Mann wies mich zurecht, ich solle nicht immer derart vorschnell urteilen, die Frau wäre durchaus sympathisch, klug und angenehm; hoffentlich sei es auch der Mann.