Was im Leben wichtig ist - Richard Reed - E-Book

Was im Leben wichtig ist E-Book

Richard Reed

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Beschreibung

Bill Gates, Judi Dench, Stephen Fry, Margaret Atwood, David Attenborough, Annie Lennox, Jude Law, Marina Abramović, Andy Murray, Patrisse Khan-Cullors – das sind nur einige von über sechzig faszinierenden Persönlichkeiten, die Richard Reed für sein Buch getroffen hat. Reed hat sie gebeten, ihren wertvollsten Ratschlag fürs Leben mit seinen Lesern zu teilen. Jede der beschriebenen Begegnungen wird ergänzt um ein eigens angefertigtes Porträt des britischen Künstlers Samuel Kerr. Was im Leben wichtig ist ist ein kluges, hochunterhaltsames Buch für alle Lebenslagen, das sich zudem sehr gut verschenken lässt.

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Seitenzahl: 278

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Das Buch

Bill Gates, Judi Dench, Stephen Fry, Margaret Atwood, David Attenborough, Annie Lennox, Jude Law, Marina Abramović, Andy Murray, Patrisse Khan-Cullors – das sind nur einige von über sechzig faszinierenden Persönlichkeiten, die Richard Reed für sein Buch getroffen hat. Reed hat sie gebeten, ihren wertvollsten Ratschlag fürs Leben mit seinen Lesern zu teilen. Jede der beschriebenen Begegnungen wird ergänzt um ein eigens angefertigtes Porträt des britischen Künstlers Samuel Kerr. Was im Leben wichtig ist ist ein kluges, hochunterhaltsames Buch für alle Lebenslagen, das sich zudem sehr gut verschenken lässt.

Richard Reed

mit Illustrationen von Samuel Kerr

WAS IM

LEBEN

WICHTIG IST

Begegnungen mit außergewöhnlichen Menschen und ihre wertvollsten Ratschläge

Aus dem Englischen übersetzt von Dorothea Traupe

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

Die Originalausgabe If I could tell you just one thing … erschien 2016 bei Canongate Books Ltd., 14 High Street, Edinburgh EH1 1TE.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Vollständige deutsche Erstausgabe 04/2018

Copyright © 2016 by Richard Reed

Porträts © 2016 by Samuel Kerr

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe

by Wilhelm Heyne Verlag,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Lars Zwickies

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,

unter Verwendung der Motive von Samuel Kerr

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

ISBN: 978-3-641-21851-5V001

www.heyne-encore.de

Für Chicken und Sausage

Inhalt

Einleitung

Mit Präsident Clinton in der Blase

Marina Abramović ist anwesend

Terry Waite, ein geduldiger Mann

Caitlyn Jenner – keine Geheimnisse mehr

Der wortgewandte Mr. Fry

Die erotische Intelligenz der Esther Perel

Heston Blumenthal ganz privat

Die zwei Stimmen von Annie Lennox

Recherchen über Frederik Obermaier

Shami Chakrabarti: Jetzt alle zusammen

Der wahre Ari Emanuel

Martha Lane Fox, Gute Fee 2.0

Harry Belafonte, Kingsman

Sir David Attenborough, eine seltene Spezies

Auf einen Schwips mit Dame Judi Dench

Kameradenhumor mit Korporal Andy Reid

Friedensgespräche mit Patrisse Khan-Cullors

Sir Richard Branson, Inselbewohner

Katie Piper, Supermodel mit Vorbildfunktion

Mike Bloomberg, New Yorks bestes Stück

Die unkonventionelle Diana Athill

Andy Murray oder das Ende der Dürre

Die Schuhe von Dr. Maki Mandela

Super Mario Testino

Mit Oberstleutnant Lucy Giles in der Kaserne

Anthony Bourdain, Grill- und Drillmeister

Laila Ali – ohne Samthandschuhe

Im Knast mit Alexander McLean

Der undefinierbare Nitin Sawhney

Die Essenz von Jo Malone

Bear Grylls, Survival-Experte

Dambisa Moyos Bildung

Der Rhythmus von Mickey Hart

Nancy Hollander, Jiu-Jitsu-Anwältin

Jude’s Law

Ahmed »Kathy« Kathrada und Denis Goldberg, Freiheitskämpfer

Lily Ebert, Auschwitz-Überlebende

Herzensbrecher Richard Curtis

Jude Kelly für alle

Michael McIntyres drei Jas

Noella Coursaris Musunka, Modellbürgerin

Frühstück mit Bill Gates

Mit Indra Nooyi durch die Nacht

Gipfelstürmer Ueli Steck

Margaret Atwood, Kummerkastentante

Der neue Tony Blair

Ruthie Rogers und »la familia«

Jony Ive sagt einfach Nein

Erziehungstipps von Baronin Helena Kennedy

Lord Waheed Alli, Held der Herren

Olivia Colman macht sauber

James Rhodes gibt nicht auf

Die furchtlose Bischöfin Libby Lane

Alain de Botton, Geisterjäger

Mit Shep Gordon im Dunkeln

Die jugendlichen Gehirne von Professor Sarah-Jayne Blakemore

Mit Lawrence Dallaglio siegen

Margaret Busby, Tochter Afrikas

James Corden, Mann von Welt

Nicola Sturgeon, Braveheart

Einssein mit dem Dalai Lama

Muchas Gracias

Gute Zwecke

Hinter den Kulissen

Einleitung

Ein einziger Ratschlag kann den Lauf eines Lebens ändern. Das ist mir mehrfach passiert. Mit den Jahren habe ich es sehr zu schätzen gelernt, mich von Menschen inspirieren zu lassen, die weiser und erfahrener sind als ich. Vor zehn Jahren nahm ich mir deshalb einfach etwas vor: Wann immer ich einen bemerkenswerten Menschen treffe, werde ich ihn nach seinem besten Rat für das Leben fragen. Das schien mir deutlich sinnvoller, als um ein Selfie zu bitten.

Was im Leben wichtig ist bringt uns die ganze Vielfalt menschlicher Erfahrungen und Emotionen näher, seien es nun die von Schauspieler Jude Law oder die der Auschwitz-Überlebenden Lily Ebert. Dazwischen finden wir die Weisheiten von Präsidenten und Popstars, Unternehmern und Künstlern, Promis und Überlebenskünstlern. Es sind Menschen dabei, die es nach ganz oben geschafft haben, und andere, die unglaubliche Torturen durchlitten. Einige gehören in ihren Bereichen zu den erfolgreichsten Menschen aller Zeiten, während andere das Schlimmste erlebt haben, was Menschen einander antun können.

Ein guter Rat ist wie eine nahrhafte Brühe, für die man die Knochen des Lebens auskocht. Wenn man von dem Gebräu, in das die Gedanken so vieler kluger Menschen eingeflossen sind, dann so viel trinkt wie ich, bereichert es das eigene Leben und das Verständnis für die Mitmenschen enorm. Wenn jemand seine Worte richtig wählt, gelingt es ihm, die wichtigsten Erkenntnisse, die er über viele Jahre durch harte Erfahrungen gewonnen hat, auf den Punkt zu bringen und uns alle daran teilhaben zu lassen. Das war bei jeder der Begegnungen in diesem Buch das Ziel.

Ich habe alle Gesprächspartner und -partnerinnen persönlich kennengelernt, entweder durch die Arbeit für mein eigenes Unternehmen oder bei verschiedenen anderen Projekten, denen ich für Politik, Wohltätigkeitsorganisationen, Kunst oder Medien nachgegangen bin. Einige sind Freunde von mir, andere haben sich freundlicherweise bereit erklärt, sich von mir interviewen zu lassen, und manche waren völlig ahnungslos, als ich sie mit meiner Frage überfiel. Das Schicksal hat es gewollt, dass wir uns bei einer Party, einer Konferenz oder – in einem Fall – auf der Herrentoilette über den Weg liefen.

Frage ich Menschen nach ihrem besten Rat, dann möchte ich, dass sie wirklich über das Allerwichtigste nachdenken. Ich stelle allen dieselbe Frage: Vor dem Hintergrund all dessen, was Sie erfahren, was Sie wissen und gelernt haben, was wäre Ihr Ratschlag, wenn Sie nur einen einzigen weitergeben könnten? Wenn man Menschen bittet, sich auf den Kern zu konzentrieren und nur eine Weisheit auszuwählen, scheint das eine besondere Wirkung zu haben. Es bringt sie dazu, genauer nachzudenken, tiefer zu graben und offenere Antworten zu geben. Dieses Vorgehen hat zu einigen bemerkenswerten Aussagen geführt. Die Themen waren äußerst bunt und vielfältig. Es ging darum, wie man erfolgreich wird und mit Misserfolgen umgeht, wie man die große Liebe findet oder besseren Sex hat, wie man das Beste aus Menschen herausholt oder wie man Misshandlungen überlebt. Es sollte für jeden etwas dabei sein.

Die meisten Menschen geben ihren Rat gerne weiter. Beim Wunsch zu helfen kommt die gute Seite der menschlichen Natur zum Ausdruck. Ein Ratschlag kostet nichts, kann beliebig oft geteilt werden und behält seine Gültigkeit. Ich hoffe, dass dies das erste von mehreren Büchern ist. Auf diesem Planeten leben so viele außergewöhnliche Menschen, dass diese erste Sammlung natürlich nur die Einsichten von sehr wenigen einfangen konnte. Es warten noch unendlich viele Geschichten darauf, erzählt zu werden, und noch mehr Weisheiten wollen entdeckt sein.

Ich möchte im Laufe der Zeit eine globale Sammlung mit Ratschlägen zusammentragen, eine gemeinsame Quelle der Weisheit, zu der jeder beitragen und von der alle profitieren können. Letztlich sind unsere Gemeinsamkeiten so viel größer als die Unterschiede. Alle Lebenspfade verlaufen verschieden, aber wir können doch vom Wissen derjenigen profitieren, die uns auf dem Weg etwas voraus sind und uns verraten können, wo es die schönsten Dinge zu sehen gibt oder wo man den Fluss am einfachsten überqueren kann.

Richard Reed, Juni 2016

Mit Präsident Clinton in der Blase

Seine Mitarbeiter nennen das Reisen in Präsident Clintons Gefolge »in der Blase sein«. Man fliegt mit der Präsidentenmaschine, fährt in der bewaffneten Kolonne mit, sitzt an seinem Tisch. Es ist weniger ein Fortbewegen als vielmehr ein Gleiten. Keine Schlange an der Passkontrolle, kein Check-in, kein Check-out, all das passiert hinter den Kulissen. Man geht dorthin, wohin auch Mr. President geht.

Bei einer Afrikatour der Clinton-Stiftung hatte ich Gelegenheit, in der Blase zu reisen. Es war ein knallhartes Programm: acht afrikanische Länder in acht Tagen. Jeden Tag dasselbe: Wir wachten in einem neuen Land auf, reihten uns in die Kolonne ein, fuhren stundenlang über staubige Straßen und Pisten voller Schlaglöcher bis ans Ende der Welt und besuchten ein Projekt – eine HIV-Klinik, eine Malariaeinrichtung, eine Gruppe, die sich für Frauenrechte einsetzt –, dann stiegen wir wieder in die Jeeps und fuhren weiter zum nächsten Projekt. Das Ganze wiederholte sich mindestens viermal am Tag.

Bei den Besuchen strotzte der Präsident vor Energie: raus aus dem Geländewagen, die Gemeindeschwester umarmen, mit den Würdenträgern sprechen, bei den Stammestänzen mitmachen, fürs Foto lächeln, eine Rede halten, einen Preis verleihen, mit den Einheimischen ins Gespräch kommen, mit den Kindern spielen, die stille Person in der letzten Reihe bemerken, sie gezielt ansprechen, umarmen und ihr ein Lächeln entlocken. Bei jeder Veranstaltung. Bei Staub und glühender Hitze, den ganzen Tag, acht Tage am Stück. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Und wahrscheinlich auch sonst niemand.

Er überlegte einen Moment, als ich ihn bei einer seltenen Gelegenheit zwischen zwei Stopps nach seinem Rat für das Leben fragte. Seine Antwort verlieh dem, was wir zu sehen bekamen, einen unmittelbaren Sinn:

»Am wichtigsten ist es, Menschen zu sehen. Die Person, die dir die Tür öffnet, die Person, die dir den Kaffee einschenkt. Bemerke sie. Respektiere sie. Die traditionelle Begrüßung des Zulu-Volks in Südafrika ist ›Sawubona‹. Das heißt ›Ich sehe dich‹. Genau das versuche ich zu tun.«

Selten hat jemand sich so sehr an seinen eigenen Rat gehalten. Es war völlig verrückt. Nach zwölf Stunden kehrten wir müde, staubig und erschöpft ins Hotel zurück. Doch während wir Normalsterblichen uns verkrochen und den Zimmerservice riefen, war Präsident Clinton im Speisesaal und sprach mit den Kellnern, scherzte mit den Gästen, versüßte einem amerikanischen Pärchen die Hochzeitsreise, ließ sich zu einer Familie an den Tisch bitten und saß dort gemeinsam mit Mutter, Vater und zwei Kindern, die große Augen machten. Er hört nicht auf. Er weiß, was es für die Leute bedeutet, wenn sie einen Präsidenten, genauer, wenn sie ihn treffen. Jeder fühlt sich willkommen. Jeder wird ernst genommen. Jeder wird gesehen.

»Am wichtigsten ist es, Menschen zu sehen. Die Person, die dir die Tür öffnet, die Person, die dir den Kaffee einschenkt. Bemerke sie. Respektiere sie.«

BILL CLINTON

Marina Abramović ist anwesend

Ich laufe mitten durch New York auf der Suche nach Suppe. Genauer gesagt Hühnernudelsuppe mit Garnelen, oder, frage ich mich jetzt, hatte sie ohne Garnelen gesagt? Vor einem Monat habe ich mich mit Marina Abramović, der berühmten aus Serbien stammenden Performance-Künstlerin, zum Mittagessen verabredet und versprochen, ihre Lieblingssuppe mitzubringen. Ich kann mich aber nicht mehr erinnern, welche das war.

Um einen möglichen Fauxpas zu vermeiden, kaufe ich beide Varianten. Als ich in Marinas Studio in Greenwich Village ankomme, ist unsere erste Amtshandlung also, zu entscheiden, wer welche Suppe bekommt. Persönliche Vorlieben zählen nicht – sie besteht darauf, eine Münze zu werfen. Das Schicksal soll entscheiden.

Daran, dass ich mir Sorgen mache, ob sie verstimmt ist, wenn sie nicht die richtige Suppe bekommt, merkt man, wie hoffnungslos britisch ich bin. Denn anscheinend verdränge ich völlig, dass ich es mit einer Künstlerin zu tun habe, die sich im Namen der Kunst mehrfach öffentlich nackt gegeißelt, geschnitten und verbrannt hat. Wahrscheinlich ist sie nicht der Typ, der sich den Kopf über Suppe zerbricht.

Sie ist eine Frau, die in keine Schublade passt. Auf herrliche Weise einzigartig. Und dabei schafft sie es gleichzeitig, aufrichtig, frivol (sie erzählt sehr gerne dreckige serbische Witze*), freiheitsliebend, diszipliniert, draufgängerisch und liebevoll zu sein, und ist so ziemlich der interessanteste und lebendigste Mensch, den ich jemals getroffen habe.

Im Rahmen ihrer Performance-Kunst ist sie an viele Grenzen gegangen, hat im Laufe der Jahre das Bewusstsein verloren, Blut vergossen, Narben bekommen und ihr Leben riskiert. Bei einem ihrer frühen Werke, Rhythm 0, lag sie auf einem Tisch, während den Besuchern zweiundsiebzig verschiedene Objekte zur Verfügung standen – Schere, Feder, Skalpell, Honig, eine Peitsche usw. –, um sie damit so zu behandeln, wie sie es für richtig hielten. Zum Schluss war sie nackt, hatte einen tiefen Schnitt am Hals, jemand hatte ihr Dornen in den Bauch gepresst und eine Pistole an den Kopf gehalten.

Vor Kurzem ist sie siebzig geworden. Heute ist sie gefragter denn je. Die MOMA-Retrospektive von 2010 The Artist Is Present (Die Künstlerin ist anwesend) hat ihr ohnehin schon großes internationales Ansehen noch verstärkt. Als Teil der Ausstellung saß sie über siebenhundert Stunden lang unbeweglich und schweigend auf einem Stuhl, während Tausende von Besuchern Schlange standen, um ihr gegenüber Platz zu nehmen. Marina hielt mit jedem einzelnen von ihnen Blickkontakt, war völlig präsent und zeigte nur dann eine Reaktion, wenn die Besucher weinten. Dann weinte sie auch.

Sie erklärt, dass Präsenz und die Ausformung des Bewusstseins wichtige Themen ihrer Arbeit sind. Die Pflege der Achtsamkeit ist für sie der beste Weg, um sich von den künstlichen Strukturen der Gesellschaft zu befreien und das Gefühl von Macht- und Hilflosigkeit zu überwinden.

»Viele Leute glauben, dass die Welt auseinanderfällt, und das bringt sie dazu, einfach aufzugeben. Trägheit ist die eigentliche Gefahr für unsere Gesellschaft.

Die Menschen müssen begreifen, dass sie Veränderungen bewirken können, indem sie sich selbst verändern.«

Zugang zu einem höheren Bewusstsein erreichen wir nur, wenn wir aufhören zu denken und einen Zustand mentaler Leere herstellen. Nur dann können wir das empfangen, was Marina »liquides Wissen« nennt, ein »universelles Wissen, das allen gehört«. Der Wunsch, anderen zu diesem Wissen zu verhelfen, inspirierte ihr jüngstes Projekt, bei dem sie die Besucher aufforderte, Reiskörner oder Wassertropfen zu zählen, dieselbe Tür immer wieder und wieder zu öffnen, »Ablenkungen zu schaffen, um Ablenkung zu beenden und die Gegenwart wiederzuentdecken, sodass sie dann sich selbst wiederentdecken können«.

Betrachtet man die Originalität und kompromisslose Art ihrer Arbeit, die Risiken und Opfer, die sie in Kauf genommen hat, überrascht es nicht, dass ihr zentraler Ratschlag ist, sich voll und ganz dem hinzugeben, was man glaubt, tun zu müssen.

»Heute sind hundert Prozent nicht mehr genug. Gib hundert Prozent und dann geh weiter, gib mehr, als du kannst. Nimm den unbekannten Weg, dorthin, wo noch niemand war, denn nur so entwickelt sich die Zivilisation weiter. Hundert Prozent sind nicht genug. Hundertfünfzig Prozent reichen gerade so.«

Ich respektiere ihren Ratschlag völlig, gebe aber zu bedenken, dass die meisten Menschen möglicherweise nicht bereit sind, sich für ihre Leidenschaften ernsthaften Gefahren und körperlichen Schmerzen auszusetzen, so wie sie das getan hat. Aber auch da weiß sie einen Rat. »Ja, der Schmerz kann schrecklich sein, aber wenn du dir sagst: ›Was soll’s? Schmerz, was kannst du mir anhaben?‹, wenn du den Schmerz akzeptierst und dich nicht länger davor fürchtest, dann wirst du die Schwelle zum schmerzfreien Zustand überschreiten.«

Ein Rat, den ich akzeptiere, ohne ihn unbedingt in der Praxis ausprobieren zu wollen.

* »Wie masturbieren Männer aus Montenegro? Sie stecken ihn in die Erde und warten auf ein Erdbeben.« (Anscheinend ein beliebter serbischer Witz über die Faulheit der montenegrinischen Männer. Ich entschuldige mich bei allen männlichen Lesern aus Montenegro. Quelle: Ambramović, M.)

»Heute sind hundert Prozent nicht mehr genug. Gib hundert Prozent und dann geh weiter, gib mehr, als du kannst. Nimm den unbekannten Weg, dorthin, wo noch niemand war, denn nur so entwickelt sich die Zivilisation weiter. Hundert Prozent sind nicht genug. Hundertfünfzig Prozent reichen gerade so.«

MARINA ABRAMOVIĆ

Terry Waite, ein geduldiger Mann

Soeben habe ich wohl einen der untertriebensten Sätze aller Zeiten gehört. Ich sitze mit Terry Waite beim Mittagessen in seiner Heimatstadt Bury St Edmunds. Er erzählt mir von seiner fünfjährigen Geiselhaft, in die er in den späten 1980er-Jahren im Libanon geriet, während er als Abgesandter der Church of England dort über die Entlassung inhaftierter Geiseln verhandeln sollte. Vier Jahre lang war er alleine in einer kleinen, fensterlosen Zelle an die Wand gekettet. Er berichtet von Schlägen und Scheinhinrichtungen. Immer wenn ein Wächter in die Zelle kam, musste er sich die Augen verbinden, vier Jahre lang sah er also kein menschliches Gesicht. Er bekam weder Bücher noch Stift und Papier und hatte keinerlei Kontakt mit der Außenwelt, auch nicht mit seiner Familie. Er denkt einen Moment nach und sagt: »Ja, es war ein bisschen einsam.«

Terry Waite ist die Verkörperung von Demut, Aufopferung und Hingabe. Er hat sich in große Gefahr begeben, weil er hoffte, anderen helfen zu können. Fünfundzwanzig Jahre später arbeitet er immer noch unermüdlich, um Menschen zu helfen, deren Familienmitglieder in Geiselhaft geraten sind. Das sagt eigentlich alles.

Das Verrückteste ist, dass er behauptet, er hätte das alles vor allem für sich selbst getan. Ich kenne die Theorie, dass keine barmherzige Geste selbstlos ist, aber das geht doch ein bisschen zu weit. Er besteht aber darauf und sagt, dass es in seinem Beruf immer um Versöhnung gegangen sei und dass der Weg, dem er gefolgt ist, ihm geholfen habe, die verschiedenen Seiten seiner Persönlichkeit miteinander zu versöhnen.

Viele Menschen müssten mehr erleiden als er, sagt er. Manche Menschen werden in ihren eigenen Körpern zu Geiseln, wenn Krankheit oder Unfall sie zur Bewegungsunfähigkeit verdammen. Und er weiß nur zu gut, wie viele Geiseln nie wieder nach Hause zurückkehren.

Terrys Worte und Taten zeigen, wie unendlich wichtig Empathie ist: Sie bildet das Fundament seiner Lebensphilosophie. Er erzählt von einem Treffen mit einer britischen Mutter, deren Sohn im Irak von Terroristen enthauptet wurde. Trotz ihrer schrecklichen Trauer sagte sie, dass ihr Leid sich nicht von dem einer Mutter im Irak unterscheide, die ihren Sohn im Krieg verloren habe. »Mit dieser einfachen Aussage hat sie mutig etwas zusammengefasst, was wir nie vergessen sollten: Wir sind alle Teil der großen Menschheitsfamilie. Wir alle haben Ängste, Hoffnungen und Träume. Wir sind alle verletzlich und sollten bei der Zuordnung negativer Stereotype vorsichtig sein.«

Die Empathie hat Terry geholfen, sich an die drei Regeln zu halten, die er festlegte, als er in Geiselhaft geriet: keine Reue, kein Selbstmitleid, keine Sentimentalität. Er folgte außerdem dem Prinzip der Gewaltlosigkeit, das auf eine sehr harte Probe gestellt wurde, als er eines Tages auf der Toilette eine Waffe fand, die sein Wächter dort vergessen hatte. (Terry sagte lediglich: »Ich glaube, Sie haben etwas vergessen«, und gab sie ihm zurück.)

Aber wie kommt man mit vier Jahren völlig ungerechter und erbarmungsloser Einzelhaft klar?

»Ich habe mich bemüht, den Tag zu strukturieren. Erst habe ich mir etwas Zeit für Gymnastik genommen, dann habe ich ein bis zwei Stunden im Kopf geschrieben und anschließend Rechnen geübt. Viel Zeit habe ich damit verbracht, mir Gedichte auszudenken. Und dann war wieder Gymnastik dran. Und so weiter.«

Ich sage ihm, dass es mir unheimlich hart erscheint, all diese einsamen Stunden auszufüllen. Terry nickt und sagt mit beispielloser Untertreibung: »Ja, das Ganze wäre nicht so schlimm gewesen, wenn ich wenigstens ein paar Bücher bekommen hätte.«

Er behauptet, dass die Tortur aber auch unerwartete Vorteile mit sich gebracht habe. Sie gab ihm das Selbstvertrauen, seinen Job als Angestellter aufzugeben und ein freieres Leben zu führen. Eng damit verbunden ist seine Erkenntnis, dass jede Katastrophe im Leben sich in den meisten Fällen umkehren lässt und etwas Kreatives daraus entstehen kann. »Das heißt nicht, dass das Durchleiden nicht schwierig und verdammt hart ist, aber es muss nicht völlig destruktiv sein. Es kommt darauf an, wie du mit der Situation und anschließend mit dem Leben umgehst.«

Wie sollte man vor diesem Hintergrund dann am besten mit dem Leben umgehen?

»Das ist die Lektion, die ich in der Zelle gelernt habe. Du musst für den Tag leben, dir klarmachen, dass du dein Leben jetzt lebst, in genau diesem Moment. Nicht morgen, nicht gestern: jetzt. Also leb es so intensiv, wie du kannst. Investiere in jeden Tag.«

Nachdem ich mit Terry gesprochen habe, werde ich genau das tun.

»Du musst für den Tag leben, dir klarmachen, dass du dein Leben jetzt lebst, in genau diesem Moment. Nicht morgen, nicht gestern: jetzt. Also leb es so intensiv, wie du kannst. Investiere in jeden Tag.«

TERRY WAITE

Caitlyn Jenner – keine Geheimnisse mehr

Sieht man alte Aufnahmen von Bruce Jenner beim Gewinn der Goldmedaille im Zehnkampf der Männer bei den Olympischen Sommerspielen 1976 in Montreal – ein fast zwei Meter großer Adonis mit Löwenmähne –, dann versteht man leicht, warum er von der Nation als Sinnbild des amerikanischen Mannes gefeiert wurde. Was man allerdings nicht sieht, sind der versteckte Widerspruch und die dunkle Energie, die ihn dorthin brachten – Bruce fühlte sich als Frau.

Ich bin mit Caitlyn Jenner verabredet, der bekanntesten Transgender-Person der Welt. Sie spricht über ihr füheres Leben als Bruce Jenner und wie es ihm gelang, die Goldmedaille zu gewinnen. »Wenn ich mich heute daran erinnere, wie viel ich trainiert und geopfert habe und wie besessen ich von Technik und Timing war, frage ich mich: ›Irre, warum habe ich das alles auf mich genommen?‹«

Die Antwort ergibt sich aus dem qualvollen Rätsel ihres Lebens, das im April 2015 endlich aufgelöst wurde, als Bruce zu Caitlyn wurde. »Als ich aufwuchs, hatte ich Probleme mit meiner sexuellen Identität. Ich wusste bereits sehr früh, dass irgendetwas nicht stimmte, aber das war in den 1950er-Jahren. Damals hielt man den Mund und sah zu, dass man es zu etwas brachte. Also versuchte ich, es zu ignorieren und so zu tun, als wäre ich ein typischer Kerl.«

Während Bruce’ Schulzeit wurde das Unbehagen noch durch seine Legasthenie verstärkt. Diese wurde allerdings nicht als solche erkannt. Vielmehr führte man seine Lese- und Rechtschreibschwäche darauf zurück, dass er faul und dumm sei. Sowohl seine innere Stimme, als auch die der Erwachsenen gaben ihm zu verstehen, dass etwas mit Bruce Jenner nicht stimmte. Als sich dann herausstellte, dass Bruce schneller laufen konnte als alle anderen Kinder im Sportunterricht, war es das erste Mal, dass er für etwas gelobt wurde, und er beschloss, dabei zu bleiben und weiter zu laufen. Viel weiter.

Was als Interesse für Leichtathletik begann wurde zu einer Sucht. »Es ging nicht nur darum zu gewinnen, sondern mir selbst zu beweisen, dass ich ein wertvoller Mensch war. Ich wollte nicht nur der Beste im Team sein, sondern der Beste auf der ganzen Welt. Gab es einen besseren Weg, um meine Männlichkeit unter Beweis zu stellen, als der weltbeste Sportler zu werden?«

Nach außen wirkte Bruce förmlich unschlagbar. Aber der Widerspruch, einerseits international für seine Männlichkeit gefeiert zu werden, und sich andererseits innerlich eigentlich als Frau zu fühlen, war unerträglich, und er durchlebte schwere Zeiten.

Bruce’ Qualen haben einen medizinischen Namen: Wenn Menschen sich nicht mit dem bei ihrer Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizieren können, nennt man das Geschlechtsidentitätsstörung. Eine erschreckende Statistik verdeutlicht, wie extrem diese Qualen sein können: In den Vereinigten Staaten versuchen über vierzig Prozent der Menschen mit einer solchen Störung sich das Leben zu nehmen. Im Vergleich dazu liegt der nationale Durchschnitt bei weniger als einem Prozent. Manchmal überlegte Bruce, sich diesen vierzig Prozent anzuschließen.

Er dachte auch über ein Coming-out nach. Bruce war es leid, mit einer permanenten Lüge zu leben, und unterzog sich Anfang der 1980er-Jahre einigen plastischen Operationen, um weiblicher auszusehen. Aber aus Angst vor der Öffentlichkeit und einem überwältigenden Gefühl von Scham gab er seine Versuche wieder auf. Er begrub sein Geheimnis erneut und trat weiterhin als Mann auf, auch wenn er heimlich unter seinem Anzug Damenunterwäsche trug – ein versteckter Tribut an sein inneres Selbst.

Alle Bereiche von Bruce’ Leben litten unter der Selbstverleugnung und dem Kampf, den Erwartungen der Gesellschaft gerecht zu werden: Ehen und Beziehungen zerbrachen daran, es beeinflusste seine Karriere und begünstigte Abhängigkeiten. »Wenn du Probleme mit deiner Geschlechtsidentität hast, dann ist das immer präsent. Du kannst nicht einfach zwei Aspirin nehmen und dann ist es vorbei.«

Der Wendepunkt kam, als er mit Anfang sechzig Single war. »Alle meine Kinder waren erwachsen, und ich saß ganz allein zu Hause, während mich immer noch dieselben Themen beschäftigten wie zehn Jahre zuvor. Ich dachte mir: ›Was soll ich tun? Ich halte das nicht mehr aus.‹« Nach jahrelangen Gewissenskämpfen stellte er sich seinen Ängsten, fragte seinen Gott um Rat (ein Pastor half Bruce bei der Erkenntnis, dass es vielleicht genau seine Aufgabe auf Erden war, sich in aller Öffentlichkeit als Person zu verwandeln) und beschloss, Bruce in Rente zu schicken und mit vierundsechzig Jahren Caitlyn zur Welt zu bringen.

Jene Frau, die mir nun von diesem früheren Leben berichtet, verblüfft mich durch ihre anmutige, sanfte und offene Art, mit der sie davon erzählt. Sie ist großmütig und nicht verbittert, weder gegenüber den Medien, die sie permanent belästigten, noch gegenüber den Menschen, die sie diffamierten. Sie bemerkt dazu nur: »Das Internet kann fürchterlich sein.« Ich spreche sie auf diese Friedfertigkeit an, und sie antwortet leise und tiefsinnig: »Meiner Seele geht es besser als je zuvor. Ich habe keine Geheimnisse mehr, und das ist ganz wunderbar.« Sie spricht viel über die große Unterstützung, die sie von ihrer Familie bekommen hat; einer ihrer Söhne sagte ihr, dass er niemals stolzer gewesen sei.

Einen Teil ihrer Aufgabe sieht Caitlyn inzwischen darin, das Bewusstsein für Geschlechtsidentitätsstörungen und die stillen Qualen, die Menschen deshalb durchleben, zu schärfen. Sie weiß, wie schmerzhaft es ist, wenn man Dinge verheimlicht, kennt jetzt aber auch die Freude und Erlösung, wenn man sie ans Licht holt. Bruce war von inneren Konflikten gebeutelt, Caitlyn ist mit sich im Reinen.

Ihr bester Rat ist Ausdruck ihrer Lebensgeschichte und Mission:

»Es ist letztlich das Beste, ohne Geheimnisse durchs Leben zu gehen. Geh offen damit um, wer du bist. Wache morgens auf und sei du selbst. Lebe dein Leben ohne dich dafür zu schämen, wer du bist, und belaste dich nicht mit Geheimnissen.«

Für diese Haltung kann es wirklich keine bessere Botschafterin als Caitlyn Jenner geben.

»Lebe dein Leben ohne dich dafür zu schämen, wer du bist, und belaste dich nicht mit Geheimnissen.«

CAITLYN JENNER

Der wortgewandte Mr. Fry

Das letzte Mal, als ich mit Stephen Fry sprach, war er ein Roboter. Wir befanden uns auf einer Technik-Konferenz, und er nahm via iPad teil, das an einem Maschinenmenschen auf Rädern befestigt war und mithilfe eines Joysticks und einer Kamera aus seinem Schlafzimmer ferngesteuert wurde. Diesmal treffen wir uns persönlich und nippen in einem gemütlichen, exklusiven Londoner Club Tee aus feinen Porzellantassen. Die Verschiedenartigkeit der Begegnungen illustriert wunderbar die zwei Seiten dieses faszinierenden Mannes: einerseits ein bekennender Technologiefreak, der sich für den neuesten Stand der Technik interessiert, andererseits ein eleganter britischer Gentleman mit Vorliebe für klassische Tradition und Kultur.

Wie Sie sicher schon vermutet haben, ist es bereichernder, ihm real und nicht nur virtuell zu begegnen. Wenn man Stephen Fry persönlich trifft, spürt man seine Wärme und Besonnenheit und bekommt durch die vielen kleinen Geschichten und Geständnisse, die er in die Unterhaltung einfließen lässt, das wunderbare Gefühl von Komplizenschaft. Er ist ein Mensch, mit dem man sehr gut Zeit verbringen kann.

Bescheiden sagt er, dass er mit Ratschlägen normalerweise sparsam sei, sich aber ein paar Gedanken gemacht habe, die er gerne teilen würde. Ich erwarte also etwas Literarisches oder Spirituelles. Überraschenderweise ist sein erster Gedanke jedoch ein offener Angriff auf das Gewerbe der Lebenshelfer. »Mein Ratschlag ist, auf jedwede Lebensberatung oder Coaching-Sitzung zu verzichten. Das sind ohne Ausnahme Quacksalber, sehr begabt darin, das so verdammt Offensichtliche zu benennen, bis einem das Blut aus der Nase läuft.«

Das hatte ich ehrlich gesagt nicht erwartet.

Als ich nach dem Grund frage, holt er weiter aus. Zum einen liegt es daran, »dass diese Leute wie besessen Ziele setzen. Und wenn ich meine Ziele erreiche, was passiert dann? War’s das, ist mein Leben vorbei? Ich habe mein Ziel erreicht, setze ich mir jetzt einfach ein anderes? Welche Bedeutung hat das erste Ziel, wenn man dann doch ein zweites setzen muss? Und wenn ich das Ziel nicht erreiche, bin ich dann ein Versager?«

Während er spricht, blättere ich unauffällig die Seite in meinem Notizbuch um, auf der ich meine Ziele für den heutigen Tag notiert habe.

Es überrascht nicht, dass Stephen keinen Lebensberater hat. Aber er hat Noël Coward. Ein Zitat von ihm, das über Stephens Schreibtisch hängt, fasst seine Lebenseinstellung zusammen: Arbeit macht mehr Spaß als Spaß.

»Wenn du es schaffst, dass das auf deine Arbeit zutrifft, dann wirst du ein wunderbares Leben haben. Ich weiß, wie viel Glück ich habe, dass es bei mir so ist, und wie unglücklich viele sind, denen es nicht so geht. Die Leute reden immer über die ›Work-Life-Balance‹. Die Idee, das eine gegen das andere aufzurechnen, ergibt aber keinen Sinn. Meine Arbeit ist nicht das Gegenteil meines Lebens – meine Arbeit ist mein Leben.«

Es reicht natürlich nicht, wenn man seine Arbeit liebt. Wenn man etwas erreichen will, muss man bereit sein, sehr hart dafür zu arbeiten. »Alle erfolgreichen Menschen, die ich kenne, arbeiten sehr hart. Wirklich hart. Vielleicht ist das mein Ratschlag: Reiß Dir den Arsch auf.«

Aber noch wichtiger ist Stephens Empfehlung, nicht fälschlicherweise zu glauben, dass es für alle anderen einfacher wäre.

»Es ist ungesund, einen erfolgreichen Menschen zu betrachten und zu denken: ›Diese Person hat Geld, sieht gut aus, spielt gut Cricket … für sie ist es einfacher.‹ Damit liegst du vermutlich in 90 Prozent der Fälle falsch. Aber selbst, wenn es manchmal stimmt, hat dieser Gedanke eine destruktive Wirkung. Er führt zu Missgunst, und die ist zerstörerisch und macht alles kaputt außer sich selbst.«

Stephens Meinung nach ist es besser, wenn man versucht, sich in die Person hineinzuversetzen, sich vorzustellen, wie das Leben für sie ist.

»Es ist das Geheimnis der Kunst und das Geheimnis des Lebens: Je mehr Zeit du dir nimmst, dir vorzustellen, was es heißt, jemand anderer zu sein, desto mehr Empathie für andere entwickelst du, und umso einfacher ist es, dich selbst zu kennen und du selbst zu sein.«

Was für uns alle wiederum das Beste ist.

»Reiß dir den Arsch auf.«

STEPHEN FRY

Die erotische Intelligenz der Esther Perel

Wahrscheinlich ist das ein Zeichen der Zeit: Ich bin bei einer internationalen Technik-Konferenz, wo sich Tausende Gründer innovativer Internetfirmen treffen, aber der Vortrag, den alle hören wollen, wird von Esther Perel gehalten, der weltweit bekanntesten Beziehungstherapeutin und Chefratgeberin für den Umgang mit Intimität in der Moderne.

Esther ist bereit, aber die Organisatoren geben noch kein Okay. Wir sind im größten Vortragssaal, und es sind fünfhundert Leute mehr anwesend, als Plätze zur Verfügung stehen. Gründer sitzen auf den Stufen, stehen hinter den Sitzreihen, drängen sich an den Eingängen. Laut Brandschutzrichtlinie ist das nicht erlaubt, also gibt es eine Ansage: Esther wird erst anfangen, wenn fünfhundert Personen den Raum verlassen haben. Allerdings ist niemand bereit, den Vortrag zu verpassen. Es entsteht eine Pattsituation, die sich erst auflöst, als Esther verspricht, den Vortrag später noch einmal für diejenigen zu halten, die nicht im Raum bleiben können. Die Nachfrage ist so groß, dass sie im Laufe des Wochenendes dann insgesamt vier Vorträge hält. Nur zum Vergleich: Der Erfinder von Uber hält gerade mal einen.

Ich treffe Esther später in ihrer Wahlheimat New York und frage sie, warum ihrer Meinung nach so viele Menschen versessen darauf waren, ihren Rat zu Sex und Beziehungen zu hören. »Wir haben uns heute an einen digitalisierten Lebensstil gewöhnt, eine Generation, die seit Jahren vor sich hin klickt, in einer Umgebung ohne sinnliche Reize. Das schafft das Bedürfnis nach Korrektur, nach menschlichem Kontakt, nach direkten, persönlichen Beziehungen. Aber oft haben wir nach unserem Aufenthalt in der digitalen Welt Probleme mit der imperfekten Natur echter Menschen.«

Sie bewertet und verurteilt die Menschen nicht, die in einer Parallelwelt versunken sind und Hilfe dabei brauchen, ihr echtes Leben auf die Reihe zu bekommen. Es bereitet ihr jedoch manchmal Sorgen. »Die Unmittelbarkeit von Verbindungen im Netz kann etwas sehr Schönes sein. Andererseits können Dating-Apps, bei denen wir nach links oder rechts wischen, Menschen auch das Gefühl geben, jederzeit verfügbar zu sein oder sogar zu einer Ware zu werden, und diese Kommerzialisierung tut weh und wirkt entwürdigend.«

Internationale Anerkennung erlangte Esther mit dem Buch Wild Life: Die Rückkehr der Erotik in die Liebe, das sich mit »erotischer Intelligenz« beschäftigte und der Frage nachging, wie man Sex in langjährigen Beziehungen lebendig halten kann. Sie zeigte die tiefer liegenden Widersprüche bei der Partnerwahl auf: Wir sehnen uns nach Freiheit, aber auch nach Sicherheit, Liebe braucht Vorhersagbarkeit, gleichzeitig sucht das Begehren Neues. Sie nahm kein Blatt vor den Mund, gab einige pragmatische Ratschläge und soll zahllose Beziehungen gerettet haben.

Noch spannender als ihre Arbeit ist der Grund, warum Esther ursprünglich überhaupt auf die Idee gekommen ist, sich mit Menschen und Beziehungen zu beschäftigen. »Mein Interesse an Menschen, am Menschsein, der Art, wie Menschen leben, ob sie ein bedeutungsvolles Leben führen oder nicht, geht auf meine Eltern zurück, die beide Holocaust-Überlebende waren. Sie haben mehr als vier Jahre in Konzentrationslagern verbracht und waren völlig mittellos, als sie wieder herauskamen. Alles, was sie hatten, waren sie selbst, ihr Anstand und ihre Beziehung. Das hatte überdauert. Und mein Vater sagte, dass das alles war, worauf es ankam.«

Man spürt die Weisheit ihres Vaters in dem Rat, den Esther gibt, einer der besten und tiefgründigsten, die ich je gehört habe:

»Die Qualität deines Lebens hängt letztendlich immer von der Qualität deiner Beziehungen ab. Nicht von deinen Erfolgen oder davon, wie schlau oder wie reich du bist, sondern von der Qualität deiner Beziehungen, die im Kern deinen Sinn für Anstand, deine Fähigkeit, an andere zu denken, und deine Großzügigkeit widerspiegeln. Wenn Menschen dich am Ende deines Lebens würdigen, dann werden sie sagen, was für ein wundervoller Mensch du warst, und dann wird es nicht um dein dickes Bankkonto gehen, wirklich nicht. Es wird darum gehen, wie du die Menschen um dich herum behandelt hast und wie sie sich in deiner Gegenwart gefühlt haben.«