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Eine mutige Boxerdame rettet Weihnachten Seit Melissa ihren gewalttätigen Ex-Mann verlassen hat, lebt sie in ständiger Angst. Als sie dann dem Sicherheitsexperten Lennart und seiner jungen Boxerdame Sissy begegnet, will sie instinktiv auf Abstand gehen. Zu groß ist Melissas Angst vor Nähe, und sie hat sich geschworen, ihren kleinen Sohn Andy vor jeglicher Gefahr zu schützen, koste es, was es wolle. Doch Lennart ist so ganz anders als ihr Ex und setzt sanft alles daran, sie näher kennenzulernen. Bald schon kann sie sich ihrer Gefühle für ihn kaum noch erwehren. Doch dann überschlagen die Ereignisse sich, und Santa Claus und seine Crew haben alle Hände voll damit zu tun, das Weihnachtsfest doch noch zum Fest der Liebe zu machen.
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Seitenzahl: 733
Zum Buch:
Melissa, die seit eineinhalb Jahren im Laden der Glaskünstlerin Jana Weißmüller arbeitet, hat zum ersten Mal seit Langem wieder etwas Hoffnung auf ein normales, angstfreies Leben. Vieles hat sich verändert, seit sie ihren gewalttätigen Ex-Mann verlassen hat. Als sie dem ebenso attraktiven wie beeindruckenden Sicherheitsexperten Lennart und seiner jungen Boxerdame Sissy begegnet, die wie immer Janas Verkaufszelt auf dem Weihnachtsmarkt bewachen, will sie instinktiv auf Abstand gehen. Zu groß ist Melissas Angst vor Beziehung und Nähe. Doch Lennart bemüht sich behutsam, sie kennenzulernen, und gibt so schnell nicht auf. Und auch Melissa fasst Vertrauen und lässt sich immer mehr auf ihn ein. Doch dann scheint ihre Vergangenheit sie einzuholen, und Melissa muss sich erneut ihren Ängsten stellen.
Zur Autorin:
Seit Petra Schier 2003 ihr Fernstudium in Geschichte und Literatur abschloss, arbeitet sie als freie Autorin. Neben ihren zauberhaften Liebesromanen mit Hund schreibt sie auch historische Romane. Sie lebt heute mit ihrem Mann und einem deutschen Schäferhund in einem kleinen Ort in der Eifel.
Lieferbare Titel:
Nur eine Fellnase vom Glück entfernt
Plätzchen gesucht, Liebe gefunden
Kleines Hundeherz sucht großes Glück
Auf tapsigen Pfoten ins Glück
Kuschelglück und Gummistiefel
Das Kreuz des Pilgers
Das Geheimnis des Pilgers
Die Liebe des Pilgers
Originalausgabe
© 2023 by HarperCollins in der
Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
Covergestaltung von zero Werbeagentur, München
Coverabbildung von Jagodka, evrymmnt / Shutterstock
E-Book-Produktion von GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783749906086
www.harpercollins.de
Es war noch früh an diesem Montagmorgen; der Wecker in Form eines Delfins auf dem Nachtschränkchen zeigte gerade halb sechs an, doch Andy war bereits hellwach. Er hatte so leise wie möglich die Toilette benutzt und schlich sich nun an das Schlafzimmer seiner Mama heran, das ihnen gleichzeitig als Wohnzimmer diente. Die Tür stand wie immer einen winzigen Spalt weit offen. Vorsichtig schob er das Türblatt ein wenig weiter auf und schlüpfte hindurch. Im Licht der Straßenlaterne, das durch das Fenster hereinfiel, konnte er alles in dem kleinen Raum ganz genau erkennen: die uralten Schränke aus dunklem, abgenutztem Holz, die graue Couch, die man mit ein paar Handgriffen zu einem Bett umfunktionieren konnte, auf der man allerdings nicht besonders gut schlafen konnte, weil die Polster total durchgelegen waren und ein Brett schief stand, sodass es in den Rücken drückte. Außerdem gab es noch einen niedrigen, klobigen Couchtisch und unter dem Fenster einen winzigen Schreibtisch, vor dem einer der beiden Küchenstühle stand, weil Mama gestern Abend noch irgendwelche Papiere durchgesehen hatte. An der Wand gegenüber der Couch hing ein kleiner Fernseher. Für viel mehr war in dem Zimmer kein Platz, und wenn die Couch ausgezogen war, konnte man nicht einmal zum Fenster gehen, sondern musste, wenn man dorthin wollte, über die Möbel klettern.
Dicht vor dem provisorischen Bett blieb Andy stehen und betrachtete seine Mama, die noch tief und fest schlief. Sie lag auf der linken Seite, das Gesicht ihm zugewandt, und hatte ihre Decke bis zur Nasenspitze hochgezogen. Sie wirkte im Schlaf ganz ruhig und entspannter, als wenn sie wach war. Trotzdem kam es Andy so vor, als ob er auf ihrem Gesicht ein bisschen was von dem besorgten Ausdruck erkennen könnte, den er so oft an ihr sah, obwohl sie ihn fast immer zu verstecken versuchte.
Obwohl er erst sechseinhalb Jahre alt war, wusste er doch genau, dass seine Mama ganz, ganz viele Sorgen hatte. Das war schon immer so gewesen, aber noch schlimmer geworden, als sie beide einen Tag nach seinem vierten Geburtstag von zu Hause abgehauen waren. Die Leute glaubten immer, Kinder würden sich in seinem Alter nicht an viel erinnern, was in der Vergangenheit passiert war. Doch Andy hatte alles noch genau vor Augen. Die Tasche und seinen Rucksack, die Mama ganz heimlich gepackt und unter dem Bett versteckt hatte, wie sie ihn mitten in der Nacht geweckt hatte und sie mucksmäuschenstill mit ihrem wenigen Gepäck aus dem Haus geschlichen waren, und das Taxi, das an der nächsten Straßenecke auf sie gewartet hatte. Dann waren sie total lange gefahren, mindestens zwei Stunden oder so, raus aus Berlin in irgendeine kleine Stadt. Dort hatte der Taxifahrer sie vor einem Haus abgesetzt und gefragt, ob er ihnen noch irgendwie helfen könnte. Doch Mama hatte Nein gesagt und war zusammen mit Andy ganz schnell zum Eingang gegangen, der offen gewesen war, obwohl es immer noch Nacht war.
Drinnen hatte es ausgesehen wie eine Mischung aus einem Wohnzimmer, einer Küche und dem Hotel, in dem sie mit Papa mal ein Wochenende verbracht hatten. Jedenfalls gab es da auch so einen komischen Tresen, hinter dem eine Frau stand und sie freundlich begrüßte. Was Mama mit der Frau geredet hatte, hatte er nicht alles verstanden, aber trotzdem wusste er, dass sie jetzt in Sicherheit waren und nicht mehr nach Hause zurückkehren würden. Die Frau hatte ihnen ein kleines Zimmer gezeigt, in dem ein Bett stand, das groß genug für sie beide war, und außerdem ein Kleiderschrank mit drei Türen. An den Wänden hingen Fotos von Bäumen und Wiesen und Blumen. An die Blumen konnte Andy sich noch besonders gut erinnern; es waren Sonnenblumen gewesen. Auch eine Uhr hatte an der Wand gehangen, das wusste er ebenfalls noch ganz genau, weil sie so laut getickt hatte.
Das war jetzt schon mehr als zwei Jahre her, und trotzdem standen die Bilder Andy noch so deutlich vor Augen, als wäre alles erst gestern passiert. Er konnte sich an den Geruch in dem Zimmer erinnern – ein bisschen wie Seife mit Zitrone – und an Mamas erleichtertes Seufzen, als die Tür sich hinter der Frau geschlossen hatte und sie beide sich ins Bett gelegt hatten.
»Jetzt wird alles wieder gut, Andy«, hatte sie geflüstert und ihn ganz fest in die Arme genommen. »Alles wird wieder gut.« Dann hatte sie geweint.
Andy konnte sich nicht erinnern, ob seine Mama seit jener Nacht noch einmal geweint hatte. Wenn sie mit ihm zusammen war, versuchte sie immer, gut gelaunt und lieb und fröhlich zu sein, außer natürlich, wenn er sich mal danebenbenommen hatte. Dann schimpfte sie auch schon mal mit ihm, aber sie wurde nie so böse, wie Papa es werden konnte, und schon gar nicht hatte sie ihn jemals gehauen.
Papa hatte das aber gemacht, nicht bei ihm, dazu war er wahrscheinlich noch zu klein gewesen, aber bei Mama. Andy hatte ihn einmal davon abhalten wollen, doch Mama hatte ihn ganz böse und laut angeschrien, dass er sich in seinem Zimmer verstecken sollte. Das hatte er danach immer gemacht, wenn Papa böse geworden war und ihr wehgetan hatte. An die Angst, die er damals gehabt hatte, konnte Andy sich ebenfalls noch ganz genau erinnern. Manchmal träumte er heute noch davon, dass er in dem Schrank saß, in den er sich dann jedes Mal geflüchtet hatte. Als er ein bisschen älter gewesen war, hatte Mama ihm erklärt, dass sie hatte verhindern wollen, dass Papa auch auf ihn böse wurde und ihn schlug. Das verstand er zwar inzwischen, aber trotzdem weinte er manchmal heimlich, weil er Mama damals nicht geholfen hatte. Natürlich war er noch viel zu klein, auch jetzt noch, um wirklich etwas gegen seinen Papa ausrichten zu können, aber er hatte seine Mama einfach im Stich gelassen, und deshalb hatte sie Papas Zorn immer ganz allein aushalten müssen.
Auch jetzt stiegen Andy brennend heiße Tränen in die Augen, als er seine Mama beim Schlafen beobachtete. Heftig rieb er sich über die Augen, um nicht wirklich zu weinen anzufangen. Mama hatte die Schläge und das Gebrüll immer ertragen, und vielleicht wären sie nicht abgehauen, wenn sein Papa nicht eines Tages plötzlich doch angefangen hätte, auch Andy anzuschreien und ihm Ohrfeigen zu geben und ihn heftig am Arm zu zerren, nur weil er nicht leise genug gewesen war, als der Fernseher lief.
Aus dem Haus mit der netten Frau, es war ein Frauenhaus gewesen, wie er später gelernt hatte, waren sie nach einem halben Jahr ausgezogen. Zu dem Zeitpunkt war Mama bereits von Papa geschieden gewesen. Die Leute in dem Frauenhaus und eine andere nette Frau, die eine Anwältin war, hatten ihr dabei geholfen. Danach waren sie mehrmals umgezogen und schließlich hier gelandet. Die Fahrt in die kleine Stadt in der Nähe von Köln hatte mit dem Bus fast einen ganzen Tag gedauert, weil sie mehrmals angehalten und Pausen gemacht hatten.
Auch als sie hier in die kleine Wohnung eingezogen waren, hatte Mama ihm versichert, dass jetzt alles gut werden würde. Das war es eigentlich auch. Andy war hier in den Kindergarten gekommen, und Mama hatte schnell eine Halbtagsstelle bei einer ganz lieben Frau gefunden, die eine Künstlerin war und voll schöne Sachen aus Glas machte, die Andy aber nicht anfassen durfte, um sie nicht kaputt zu machen. Jana war wirklich lieb und hatte sie sogar letztes Jahr zu Weihnachten und danach auch noch einmal zu Ostern zu ihrer Familienfeier eingeladen. Das war total schön gewesen, denn Andy hatte noch nie ein richtiges Familienweihnachtsfest – oder Ostern – erlebt. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern. Janas Mama und Papa waren auch dabei gewesen und ihre Schwester und Janas Mann. Oder Verlobter. Mama hatte gesagt, die beiden wären jetzt verlobt und wollten bald heiraten. Oliver war auch lieb. Er spielte manchmal mit Andy, und das Beste war, dass er einen großen Hund hatte, Scottie.
Scottie spielte immer mit Andy, aber man musste aufpassen, weil er so groß und tollpatschig war und Andy schon ein paarmal versehentlich umgeworfen hatte. Andy fand das lustig, weil Scottie dann immer über sein Gesicht schleckte und an ihm herumschnüffelte, so als ob er sich entschuldigen wollte.
Ein Lächeln erschien auf Andys Lippen, als er die kräftige Bordeauxdogge vor sich sah. Dann fiel sein Blick wieder auf seine Mama, die sich ein bisschen im Schlaf bewegte und etwas Unverständliches murmelte. Am besten war es, wenn er sie schlafen ließ. Ihr Wecker würde erst um halb sieben gehen, das war noch fast eine Stunde. Zwar war es verlockend, sich zu ihr unter die Decke zu kuscheln, auch wenn ihr Bett total unbequem war, aber ihm kam eine andere Idee. Es war zwar noch ganz lange hin bis Weihnachten, mehr als einen Monat, aber in der Schule – er ging ja jetzt in die erste Klasse! – hatten ein paar Kinder erzählt, dass sie jetzt schon ihren Wunschzettel an den Weihnachtsmann oder das Christkind schrieben. Oder vielmehr malten sie ihren Wunschzettel, weil sie noch gar nicht alle Buchstaben gelernt hatten und noch nicht richtig schreiben konnten.
Am liebsten hätte Andy seiner Mama kurz über das Gesicht gestreichelt, tat es aber nicht, weil er Angst hatte, sie vielleicht doch zu wecken. So leise, wie er gekommen war, verließ er das Wohn-Schlaf-Zimmer und kehrte in sein eigenes Zimmer zurück. Es war noch kleiner als das Wohnzimmer. Hier gab es nur sein Bett, seinen schmalen Kleiderschrank und einen kleinen Schreibtisch mit Drehstuhl, an dem er manchmal saß und malte oder Buchstaben übte. Leise zog er sein Federmäppchen aus dem alten Schulranzen, den Mama auf dem Flohmarkt für ihn gekauft hatte, und öffnete es. Dann kramte er aus der Schublade unter der Tischplatte seinen Malblock hervor, setzte sich auf den Stuhl und begann im Licht der Schreibtischlampe ein Bild zu malen.
***
Melissa stöhnte, als der Wecker piepste. Rasch schaltete sie ihn aus und reckte sich gähnend. Dabei verzog sie schmerzlich die Lippen, weil das verdammte Brett unter dem dünnen Polster der Couch ihr wieder mal in den Rücken drückte. Lange würde sie diese Folter zum Glück nicht mehr aushalten müssen, denn ihr Mietvertrag lief Ende November aus, und bei ihrem Umzug würden sie die blöde Couch ganz sicher nicht mitnehmen. Sie gehörte zur Einrichtung, genauso wie die anderen alten Möbel. Da das Haus voraussichtlich sowieso bald abgerissen werden würde, brauchte sich wohl auch kein Nachmieter über das unbequeme Ding zu ärgern.
Sie stand auf und huschte rasch ins Bad, um sich zu waschen, die Zähne zu putzen und sich anzuziehen. Als der Vermieter ihr mitgeteilt hatte, dass der Mietvertrag nicht verlängert werden konnte, war sie gehörig in Panik geraten. Für eine alleinerziehende Mutter mit einem gerade eben schulpflichtig geworden Sohn und ohne eine abgeschlossene Ausbildung gestaltete sich die Suche nach einer geeigneten Wohnung oftmals zu einem Horrortrip. Sie war ihrer Freundin, der Glaskünstlerin Jana Weißmüller, unendlich dankbar, die über eine ehemalige Klassenkameradin eine neue Wohngelegenheit für sie gefunden hatte. So würde sie mit Andy in eines der abgelegenen, aber sehr gemütlich eingerichteten Blockhäuser einziehen, die als Feriendomizile etwas versteckt im Wald errichtet worden waren, und das bereits am ersten Dezember, also in weniger als zwei Wochen.
Melissas Herz schlug höher, als sie sich vorzustellen versuchte, wie es wohl sein würde, in einem eigenen kleinen Haus zu wohnen. Nicht nur würde sie endlich ein eigenes Schlafzimmer haben, sondern auch viel mehr Platz und vor allen Dingen Ruhe! Das alte Mehrfamilienhaus, in dem ihre jetzige winzige Zweizimmerwohnung lag, war grausam hellhörig. Auch jetzt vernahm sie von irgendwoher das Kreischen eines Rocksongs aus einem Radio, das Poltern von Schritten über ihr und immer wieder das Rauschen von Wasser und das Klappen der Haustüren. Doch sie hatte vor etwas mehr als anderthalb Jahren und einer fast sechsmonatigen Odyssee von Ort zu Ort keine große Wahl gehabt und war froh gewesen, dieses Domizil gefunden zu haben. Es war bezahlbar, das war für sie das Wichtigste gewesen. Damals hatte sie so gut wie gar kein Geld gehabt und nur eine Halbtagsstelle in Janas Kunsthandwerksladen vorweisen können. Da Andy inzwischen in der Grundschule die Ganztagsbetreuung in Anspruch nahm, war es ihr möglich, Vollzeit für Jana zu arbeiten. Diese war glücklicherweise so erfolgreich, dass sie sich eine Vollzeitkraft leisten konnte. Melissa kümmerte sich inzwischen nicht mehr nur um den Verkauf der Glaskunstwerke im Laden, sondern auch um einen Großteil der Abrechnungen und, was ihr besonders gut gefiel, um die Betreuung des Onlineshops, der Website und aller Profile der Künstlerin in den sozialen Netzwerken. Zwar bloggte Jana immer selbst und verfasste auch alle ihre Social Media Posts, doch sie überließ es meistens Melissa, diese zu den besten Zeiten hochzuladen, zu veröffentlichen und zuvor passende Fotos dafür auszusuchen.
Rasch schlüpfte Melissa in eine hellblaue, hautenge Jeans und eine lange Bluse mit V-Ausschnitt. Prüfend blickte sie in den Spiegel und war beinahe versucht, das Oberteil wieder auszuziehen. Es war bunt gemustert auf pinkfarbenem Untergrund. Zu auffällig? Sie hatte sich in den vergangenen beiden Jahren angewöhnt, ihre Kleidung möglichst wenig farbenfroh zu halten, um nirgendwo aufzufallen. Doch vor einer Woche hatte Jana sie zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Ellie zu einem Einkaufsbummel überredet und sie dazu verleitet, sich ein paar wunderschöne neue Kleidungsstücke zuzulegen – viel bunter als das, was Melissa gewohnt war. Doch war es wirklich entscheidend, welche Kleidung sie trug? Sie war geschieden und lebte viele hundert Kilometer von Berlin entfernt. Matthias, ihr Exmann, hatte sie bisher nicht hier gefunden; vielleicht hatte er es auch gar nicht versucht. Vielleicht hatte er eingesehen, dass er nicht mehr über sie bestimmen konnte. Vielleicht …
Immerhin hatte sie es mithilfe einiger sehr engagierter Sozialarbeiter geschafft, ihre Spuren so weit zu verwischen, dass sie nun seit etwas mehr als achtzehn Monaten unbehelligt in dieser wunderschönen kleinen Stadt im Rheinland leben konnte.
In einem kleinen Anflug neuen Mutes zupfte sie die Bluse glatt, griff nach ihrer Bürste und strich sich damit durch das glatte, schulterlange dunkelblonde Haar. Vielleicht wäre es auch an der Zeit für einen neuen Haarschnitt. Ihr Herzschlag beschleunigte sich erneut ein wenig. Zu früh? Vielleicht sollte sie lieber ganz langsam einen Schritt nach dem anderen tun, sonst bekam sie noch Angst vor ihrer eigenen Courage. Andererseits hatte ihr die Frisur noch nie besonders gut gefallen. Ihr Haar war zwar dicht und ein klein wenig wellig, sodass es ihr wenigstens nicht einfach nur wie Sauerkraut auf die Schultern hing, doch insgeheim hatte sie immer davon geträumt, sich einen pfiffigen Kurzhaarschnitt zuzulegen. Solange sie noch bei ihrer Mutter gelebt hatte, war diese strikt dagegen gewesen.
Später dann, als Melissa noch während ihres letzten Schuljahres von Matthias schwanger geworden war und ihn gleich nach ihrem Abitur, nur wenige Wochen vor Andys Geburt, geheiratet hatte, war an so etwas Unwichtiges wie einen neuen Haarschnitt ebenfalls nicht zu denken gewesen. Denn wenn Melissa gedacht hatte, durch diese Ehe ihrem bedrückenden Elternhaus entfliehen zu können, so war ihr rasch klar geworden, dass sie vom Regen in die Traufe geraten war.
Energisch verdrängte sie die Gedanken an ihre Ehe. Es hatte sie viel Mut gekostet, alle Brücken hinter sich abzubrechen und mit Andy ein neues Leben anzufangen. Seit zwei Jahren nun stand sie auf eigenen Füßen, doch über ihre Haare hatte sie sich tatsächlich bisher keine Gedanken gemacht. Nun aber, als sie sich in dem quadratischen und an den Ecken bereits angelaufenen Badspiegel musterte, wurde das Bedürfnis nach einer Veränderung immer größer. Testweise nahm sie ihr Haar im Nacken zusammen und hob es so hinter ihrem Kopf an, dass es ihr etwas leichter fiel, sich vorzustellen, wie sie mit kurzen Haaren aussehen mochte.
Im gleichen Moment wurde ihr bewusst, dass es unnatürlich still in der Wohnung war. Alarmiert ließ sie ihr Haar fallen. Normalerweise wurde Andy von ihrem Wecker ebenfalls geweckt und stürmte nur Augenblicke später wie ein Wirbelwind durch die Wohnung. Doch heute rührte sich nichts.
Melissas Herz verkrampfte sich kurz. War er vielleicht krank?
Alle Gedanken an ihre Frisur waren vergessen; sie riss die Badezimmertür auf und stürmte die wenigen Schritte über den schmalen Flur zu Andys Zimmer. Die Tür stand einen winzigen Spalt offen, und erst jetzt bemerkte sie, dass ein wenig Licht in den Flur fiel. Sie atmete einmal tief durch, um sich zu beruhigen, und stieß die Tür langsam auf.
Zu ihrer grenzenlosen Überraschung saß Andy in seinem Schlafanzug am Schreibtisch und war gerade dabei, ein Blatt Papier zweimal zu falten. Als er sie hörte, drehte er sich mit einem strahlenden Lächeln zu ihr um. Die Erleichterung durchfuhr sie wie ein Stich.
»Guten Morgen, Mama«, grüßte er sie so höflich-lieb wie jeden Morgen.
Mit zwei Schritten war sie bei ihm und legte ihm einen Arm um die Schultern. »Guten Morgen, mein Schatz. Was machst du denn da? Bist du schon lange auf?«
»Ja.« Andy nickte. »Schon ganz lange. Ich konnte nicht mehr einschlafen, und da habe ich gemalt.«
»Gemalt?« Neugierig beäugte Melissa das gefaltete Blatt Papier. »Darf ich mal sehen?«
»Mhmh, nein.« Grinsend schüttelte Andy den Kopf. »Das ist mein Wunschzettel für den Weihnachtsmann. Josef und David aus meiner Klasse haben ihren auch schon gemalt und gesagt, man darf nicht verraten, was man sich wünscht, weil es nämlich sonst gar nicht in Erfüllung geht. Der Wunschzettel ist nur für den Weihnachtsmann, und man muss ihn mit der Post zum Nordpol schicken. David sagt, seine große Schwester, die schon zehn ist, schreibt ihren Wunschzettel immer als E-Mail über das Internet, weil der Weihnachtsmann nämlich eine eigene Internetseite hat. Aber das kann ich ja noch nicht, weil ich noch nicht alle Buchstaben kenne und mir die vielen Wörter noch zu schwierig sind. Vielleicht kann ich ja nächstes Jahr schon eine E-Mail schreiben, wäre das nicht cool?«
Melissa lächelte. »Total cool. Soll ich dir einen Briefumschlag holen? Beschriften können wir ihn ja dann zusammen, wenn du willst. Allerdings müssen wir uns die Adresse wirklich erst aus dem Internet suchen. Die kenne ich nämlich nicht.«
»Nordpol«, beschied Andy ihr.
Sie nickte. »Das ist richtig, aber wenn der Weihnachtsmann sogar eine eigene Internetseite hat, dann bestimmt auch eine vollständige Adresse mit Straße und Hausnummer, meinst du nicht?«
»Klar.«
Sie wuschelte ihrem Sohn durch den braunen Haarschopf, der durchaus auch wieder einmal ein bisschen in Form geschnitten werden müsste. Am besten machte sie einen Termin bei Ellie im Friseursalon. »Also gut, dann hole ich den Briefumschlag, und du gehst in der Zwischenzeit ins Bad. Ich habe dir gestern Abend schon die Hose und das T-Shirt herausgelegt, die du dir ausgesucht hast. Du musst aber noch Unterwäsche und Socken mitnehmen.«
»Klar«, wiederholte Andy und sprang auf. Eifrig wühlte er in seinem Kleiderschrank nach der Unterwäsche und rannte damit hinüber ins Bad. »Nicht gucken«, rief er, bevor die Tür sich hinter ihm schloss. »Der Wunschzettel ist total geheim.«
»Ehrenwort«, rief sie zurück und rückte das gefaltete Papier, das ganz an den Rand des Tisches gerutscht war, ein wenig in die Mitte, damit das Blatt nicht zu Boden fiel. Dann eilte sie hinüber in ihr Wohn-Schlaf-Zimmer, kletterte über das Bett und suchte aus der Schreibtischschublade einen passenden Briefumschlag heraus.
»Einen wunderschönen guten Morgen, Melissa!« Mit einem warmherzigen Lächeln trat Sabine Weißmüller, Janas Mutter, durch die Tür des Kunsthandwerksladens. Das lustige Klingeln des altmodischen Glöckchens an der Tür unterstrich ihre offensichtliche gute Laune. Obgleich sie bereits zweiundsechzig Jahre alt war, fand sich in ihrem dunkelbraunen Haar nicht eine einzige graue Strähne. Melissa nahm an, dass sie sie regelmäßig färbte, denn immerhin war sie Friseurmeisterin und besaß einen eigenen Salon in der Innenstadt. Vermutlich nutzte sie ihr eigenes Haar als besten Werbeträger, was man auch an den häufig wechselnden Frisuren erkannte. Seit etwa zwei Wochen trug sie ihr Haar in einem todschicken asymmetrischen Schnitt, bei dem sich eine lange Strähne von ihrer Stirn bis zu ihrem Kinn um ihre linke Wange schmiegte. Ihre ebenfalls dunkelbraunen Augen blitzten unternehmungslustig. »Hat Jana an meine Girlanden gedacht? Die mit den Spinnen und Hexen habe ich jetzt lange genug im Salon hängen lassen, ebenso wie die herrliche Glasvogelscheuche, die sie für mich entworfen hat. Halloween ist ja nun schon drei Wochen her, deshalb will ich anfangen, alles ein bisschen vorweihnachtlich zu dekorieren.« Sie lachte. »Ich weiß, das macht man normalerweise erst nach dem Ewigkeitssonntag, aber immerhin gibt es schon seit August Lebkuchen in den Supermärkten, und irgendwie erwartet meine Kundschaft inzwischen, dass ich schon im November ein bisschen Adventsstimmung verbreite. Man sollte ja meinen, dass das in einem Friseursalon nicht so wichtig ist, aber weit gefehlt.« Amüsiert schüttelte sie den Kopf. »Früher hätte ich so etwas als verrückt abgetan, aber man muss wohl mit der Zeit gehen. Wenn meine Kundinnen und Kunden sich in weihnachtlicher Atmosphäre wohlfühlen, will ich sie ihnen nicht vorenthalten.«
Melissa lächelte der älteren Frau zu, die ihr in den vergangenen Monaten ein bisschen zur Ersatzmutter geworden war. »Jana will hier in den nächsten Tagen auch alles für Weihnachten umdekorieren, das hat sie mir bereits angedroht. Sie arbeitet seit Wochen schon sehr eifrig an ihrer neuen Kollektion.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Sabine trat näher an den Tresen heran. »Gerade um diese Jahreszeit ist sie immer unheimlich fleißig, weil sie ja eine Menge Sachen für den Weihnachtsmarkt herstellen muss. Ich hoffe doch, dass sie und Oliver sich zwischendurch auch ein bisschen Zeit für sich nehmen. Immerhin ist er ebenfalls mit seiner Detektei beruflich stark eingebunden.«
»Heute Morgen hat er mir erzählt, dass sie gestern einen Ausflug mit Scottie in die Eifel unternommen haben«, berichtete Melissa. »Sie haben eine große Wanderung gemacht und in einem Ort namens Rodderbach eine mittelalterliche Burg oder Burgruine besichtigt. Bestimmt erzählen sie dir noch davon. Sie haben mindestens fünfhundert Fotos aufgenommen.«
Sabine gluckste. »Das denke ich mir. Wahrscheinlich hat sich Jana dort zu neuen Kunstwerken inspirieren lassen. Aber was ist denn nun mit den Girlanden? Hat sie daran gedacht?«, kam sie auf das ursprüngliche Thema zurück.
»Hat sie.« Melissa eilte in das Zimmer hinter den Verkaufsraum und holte den rechteckigen Karton, in dem sich die gläsernen und mit LED-Lichtern versehenen Girlanden befanden. »Hier, bitte sehr. Drei Stück, jeweils zweieinhalb Meter lang. Einmal Schneeflocken, einmal Sterne und einmal Tannenbäumchen und Glöckchen. Sie meinte, du kannst gerne auch später bezahlen.«
Mit strahlendem Lächeln nahm Sabine die Schachtel entgegen und hob vorsichtig den Deckel an, um hineinzulinsen. Ihre Augen leuchteten auf beim Anblick der Kunstwerke. »Nein, nein, kommt gar nicht infrage! Ich bezahle die Sachen hier und jetzt.« Sie legte die Box auf dem Verkaufstresen ab und zog ihre Geldbörse aus der Handtasche. »Ich bezahle mit Karte.« Während Melissa ihr das Kartenlesegerät hinschob, musterte Sabine sie eingehend. »Du siehst heute so hübsch und rosig aus. Bist du frisch verliebt?«
Erschrocken zuckte Melissa zusammen und hob ruckartig den Kopf. »Wie bitte?«
Sabines Lächeln vertiefte sich, gleichzeitig hob sie jedoch beschwichtigend die linke Hand. »Ich dachte ja nur. Diese neue Bluse steht dir unglaublich gut und lässt deinen Teint strahlen, und da habe ich mich einfach gefragt, ob es einen besonderen Grund dafür gibt, dass du dich neuerdings etwas bunter kleidest. Verliebt zu sein, wäre doch eine sehr schöne Erklärung.«
»Nein.« Melissa biss sich auf die Unterlippe und hob verlegen die Schultern. Ihr Ton war eindeutig zu ruppig gewesen. »Nein«, wiederholte sie etwas gelassener. »Es gibt keinen besonderen Grund dafür, außer dass ich mit Jana und Ellie vergangene Woche einkaufen war und sie mich dazu gedrängt haben, mir ein paar neue Sachen zuzulegen.« Sie schluckte. »Verliebt bin ich jedenfalls ganz bestimmt nicht. Das … kommt gar nicht infrage.« Schon während sie die Worte aussprach, wusste sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte, denn auf Sabines Gesicht zeichnete sich prompt neugieriges Interesse ab.
»Warum denn nicht? Du bist doch eine liebenswerte, kluge und hübsche junge Frau. Ich bin sicher, dass es auf diesem Planeten mehr als nur einen netten Mann gibt, der sich für dich interessiert. Oder auch die eine oder andere Frau, falls dir das lieber wäre«, setzte sie hinzu.
Energisch schüttelte Melissa den Kopf. »Ich bin nicht interessiert an … so etwas. Ich habe Andy und … und …«
»Ach was.« Sabine schenkte ihr ein weiteres warmes Lächeln. »Dein Sohn wäre bestimmt kein Problem, wenn du dem oder der Richtigen begegnest.«
»Auf keinen Fall.« Noch einmal schüttelte Melissa rigoros den Kopf. »Ich will nicht …« Sie zögerte, denn sie sprach normalerweise nicht über ihre Vergangenheit. »Ich will keinen Mann mehr in meinem Leben.« Unwillkürlich strich sie mit den Fingerspitzen über die verblasste Narbe an ihrer linken Schläfe, die sie nach einer äußerst schmerzhaften Begegnung mit Matthias’ Faust zurückbehalten hatte. Rasch, um Sabines Aufmerksamkeit nicht darauf zu lenken, ließ sie die Hand wieder sinken. »Andy braucht einen Haarschnitt«, wechselte sie das Thema. »Und da dachte ich, ich könnte es auch einmal mit einer neuen Frisur versuchen.«
Glücklicherweise war Sabine einfühlsam genug, um nicht weiter in sie zu dringen. Stattdessen nickte sie enthusiastisch. »Sehr gerne! Am besten schreibst du Ellie eine Textnachricht, dann gibt sie dir den nächstmöglichen Termin.« Mit schräg gelegtem Kopf musterte sie Melissa erneut. »Ich hätte da schon ein paar Ideen, was wir mit deinen Haaren anstellen könnten. Ellie mit Sicherheit auch.« Sie zwinkerte Melissa fröhlich zu und schnappte sich die Schachtel mit den Girlanden. »Wir machen eine völlig neue Frau aus dir … Wenn du möchtest.« An der Tür drehte sie sich noch einmal kurz um. »Grüß Jana und Oliver von mir, und gib Andy unbedingt in meinem Namen einen Knutscher. Wir sehen uns.« Damit verließ sie den Laden.
Hin- und hergerissen zwischen Erheiterung und Besorgnis blickte Melissa ihr nach. Sie fragte sich inzwischen immer häufiger, ob es sinnvoll sein könnte, zumindest der Familie Weißmüller und natürlich Oliver, der ja ebenfalls dazugehörte, etwas über Matthias zu erzählen. Es wurde immer schwieriger, ihr Geheimnis vor solch guten Freunden zu bewahren. Andererseits verfolgte sie ständig die Angst, dass jemand sich versehentlich verplappern könnte und so die Nachricht über ihren Aufenthaltsort auf irgendeinem Wege Matthias zugetragen werden könnte. Das wollte sie unbedingt verhindern – sie musste es, schon um Andy zu schützen.
Wahrscheinlich würden sie früher oder später wieder von hier wegziehen müssen, wenn sie nicht riskieren wollte, dass Matthias sie doch irgendwann entdeckte. Das Problem war, dass sie nicht mehr wegwollte. Sie fühlte sich in dieser Kleinstadt sehr wohl, hatte neue Freunde gefunden, und auch Andy war glücklich hier. Es würde ihr unsagbar schwerfallen, sich und ihn erneut zu entwurzeln und irgendwo anders neu anzufangen, besonders weil sie ganz genau wusste, dass sie wahrscheinlich immer auf der Flucht sein und nirgendwo ein wirkliches Zuhause finden würde.
Seufzend rieb Melissa sich mit beiden Händen übers Gesicht und versuchte, die trüben Gedanken zu vertreiben. Noch musste sie keine Entscheidung treffen. Zunächst einmal hatte sie für die nächsten zwölf Monate eine neue Bleibe gefunden. So lange sollte der neue Mietvertrag zunächst gelten. Danach oder vielleicht auch schon im Laufe der kommenden Monate würde sie sich überlegen, wie es weitergehen sollte.
Sie wollte gerade ins Hinterzimmer gehen, um zu überprüfen, ob es über den Onlineshop neue Bestellungen gab, als das Klingeln des Glöckchens an der Ladentür erneut Kundschaft ankündigte.
Melissa drehte sich wieder um und erschrak zutiefst, als sie die große, breitschultrige Gestalt eintreten sah. Für einen Moment rang sie unwillkürlich nach Atem.
Der Mann war mindestens einen Meter fünfundachtzig und sehr muskulös. Sein dichtes blondes Haar hatte er zu einem etwas über schulterlangen Zopf gebunden, Kinn, Wangen und Oberlippe waren von einem Fünf- oder Sechstagebart bedeckt, der seine herben Gesichtszüge noch rauer wirken ließ. Er trug schwarze Jeans, ein grauweißes gemustertes Shirt und darüber eine schwarze Lederjacke, die ihn noch breiter und imposanter wirken ließ. Er war ein regelrechter Schrank von einem Mann.
Glücklicherweise erkannte Melissa ihn auf den zweiten Blick, andernfalls hätte sie womöglich die Flucht vor ihm ergriffen. »Herr Overbeck, guten Tag.« Dass ihre Stimme ein klein wenig gepresst klang, überspielte sie mit einem, wie sie hoffte, freundlichen Lächeln. »Was kann ich für Sie tun?«
»Guten Tag. Melissa, nicht wahr?« Auch auf seinen Lippen erschien ein Lächeln, das den furchteinflößenden ersten Eindruck seiner Erscheinung sogleich abmilderte. »Sagen Sie bitte ruhig Lennart zu mir, immerhin kennen wir uns ja schon ein wenig vom vergangenen Jahr.« Bewundernd sah er sich im Laden um. »Wie ich sehe, war Jana wieder einmal sehr fleißig. Wo nimmt sie nur immer ihre Ideen für diese ganzen Skulpturen her? Sie hat wirklich ein außergewöhnliches Talent.«
»Das hat sie«, stimmte Melissa ihm zu. »Möchten Sie etwas kaufen? Ein Geschenk vielleicht?«
»Nein.« Er lachte, ein leicht rauer Ton, der, ebenso wie seine dunkle Stimme, seltsam, aber nicht unangenehm zwischen ihnen vibrierte. »Oder vielleicht doch. Es schadet wahrscheinlich nicht, mich hier einmal umzusehen. Immerhin ist Weihnachten nicht mehr allzu fern, und meiner Schwester gefallen Janas Skulpturen ausgesprochen gut. Allerdings bin ich heute aus einem anderen Grund hier. Ich bin mit Jana wegen der Absprache für den Securityeinsatz auf dem Weihnachtsmarkt verabredet. Außerdem müssen wir noch einen Termin für die jährliche Wartung der Sicherheitsvorrichtungen hier im Laden, in der Werkstatt und in Janas und Olivers Haus ausmachen.«
»Sie sind mit ihr verabredet?« Rasch zog Melissa das Tablet aus dem Fach unter dem Verkaufstresen hervor, über das sie auf Janas Terminkalender zugreifen konnte. Tatsächlich war dort ein Vermerk über das Treffen mit Lennart Overbeck eingetragen. Verlegen sah sie ihn an. »Das hat sie bestimmt vergessen. Sie ist schon seit heute Morgen in ihrer Werkstatt und will nicht gestört werden. Wenn die Muse sie küsst, vergisst sie meistens alles um sich herum. Ich weiß leider nicht, wann sie mit ihrer Arbeit fertig sein wird.«
»Da störe ich mal besser nicht.« Lennart lächelte unvermindert weiter, und es war ihm nicht anzumerken, dass ihn der ausgefallene Termin in irgendeiner Form störte. »Ich habe bereits oft genug gehört, dass so etwas bei Jana böse enden kann. Oliver hat mir in dieser Hinsicht einiges erzählt.« Aus dem Lächeln wurde ein Schmunzeln. »Anscheinend hat er ja diesbezüglich selbst ein paar Erfahrungen gesammelt, insbesondere als er Jana kennengelernt hat.«
Das amüsierte Funkeln in seinen Augen reizte Melissa ebenfalls zu einem Lächeln. »Ich glaube, er hat sich anfangs einiges von ihr anhören und gefallen lassen müssen. Inzwischen sind sie aber ein eingespieltes Team.«
»Das ist schön zu hören.« Lennart zog sein Smartphone aus der Innentasche seiner Lederjacke hervor. »Anderenfalls hätte er sie aber auch wohl kaum gebeten, ihn zu heiraten, oder? Am besten mache ich mir einen Vermerk, Jana später anzurufen. Dann vereinbaren wir einfach einen neuen Termin.« Während er sprach, tippte und wischte er auf dem Display seines Smartphones herum, dann schob er es zurück in die Jackeninnentasche. Noch einmal sah er sich um, diesmal wanderten seine Blicke jedoch sehr gezielt von der Kasse zur Überwachungskamera und dann zur halb offen stehenden Tür, die in das Büro hinter dem Ladenlokal führte. »Gibt es irgendwelche Probleme mit der Sicherheitsanlage hier im Laden? Sie arbeiten doch jeden Tag hier, nicht wahr? Dann gehen Sie ja auch täglich damit um. Wenn es irgendetwas geben sollte, was noch verbessert werden könnte, dann wäre jetzt gerade der richtige Moment, mir das mitzuteilen.« In seinen dunkelblauen Augen funkelte es fröhlich. »Immerhin habe ich jetzt fast eine ganze Stunde freie Zeit.«
»Oh, also …« Auch Melissa blickte hinauf zu der Kamera und dann auf ihre Kasse. Sie fühlte sich ein wenig überrumpelt. »Ich weiß nicht. Ehrlich gesagt habe ich mir nie …« Sie brach ab, als sich die Ladentür erneut öffnete und eine ältere Dame eintrat. »Entschuldigen Sie bitte. Ich muss mich rasch um die Kundin kümmern.«
»Aber klar doch.« Lennart trat zwei Schritte zur Seite, damit er nicht im Weg stand.
»Frau Meisenbach, guten Tag«, begrüßte Melissa die ältere Dame freundlich. »Sie sind bestimmt hier, um sich die neuen Vasen anzusehen, nicht wahr?« Zuvorkommend trat sie hinter dem Tresen hervor und führte die Kundin zu einer Vitrine auf der rechten Ladenseite. Dabei wich sie Lennart möglichst weiträumig aus. Obwohl er sehr nett wirkte, konnte sie sich eines Anflugs von Verunsicherung ihm gegenüber nicht erwehren. Männer wie er, groß, rau und selbstbewusst, machten ihr Angst. Sie war jedoch entschlossen, sich nichts anmerken zu lassen, deshalb konzentrierte sie sich ganz auf ihre Kundin. »Sehen Sie, hier ist eine ganz neue Kollektion. Einmal in Rosa, einmal in Grün und einmal in Elfenweiß. Zumindest nennt Jana diese Farbe so, weil sie die Vasen so filigran und leicht wie Elfen wirken lässt.«
»Wunderschön!« Die Kundin streckte die rechte Hand aus, berührte die Vasen jedoch nicht. »Und sehe ich das richtig, es gibt immer gleich drei Größen im Set?«
»Sie können gerne das Set erwerben«, bestätigte Melissa. »Es ist aber auch möglich, nur einzelne Vasen zu kaufen.«
»Hach, da kann ich mich ja gar nicht entscheiden!« Die Kundin lachte. »Ich dachte mir schon, dass ich heute hier fündig werde. Als Jana mir vor einiger Zeit erzählte, dass sie Mitte November mit der neuen Kollektion Vasen fertig sein würde, habe ich mir den Termin gleich rot im Kalender angestrichen. Wissen Sie was? Ich nehme das Set in Weiß und ein weiteres in Grün für meine Schwester. Wir sind Zwillinge, wissen Sie? Deshalb gefällt uns so gut wie immer dasselbe. Ihre Lieblingsfarbe ist allerdings Grün, das passt doch perfekt, nicht wahr? Wir haben nächste Woche Geburtstag, dann habe ich gleich ein schönes Geschenk für sie. Können Sie mir das grüne Set hübsch einpacken?«
»Selbstverständlich, Frau Meisenbach.« Melissa nahm erst die weißen, dann die grünen Vasen aus der Vitrine und trug sie vorsichtig zum Tresen. Dort packte sie sie sorgsam in gepolsterte Pappschachteln. Die mit den grünen Vasen umwickelte sie routiniert mit weiß-golden gemustertem Geschenkpapier und wand eine ebenfalls weiß-goldene Schleife darum. Sie hörte Lennart Overbeck deutlich Luft holen, als sie der Kundin den Preis nannte, den diese, ohne mit der Wimper zu zucken, mit ihrer Kreditkarte beglich.
»Nobel geht die Welt zugrunde«, kommentierte er, nachdem Frau Meisenbach den Laden wieder verlassen hatte. »Die Preise sind ja ganz schön happig.«
»Sie sind aber angemessen für die Kunstwerke, die Jana erschafft. Ihre Skulpturen, Schmuckstücke und Gebrauchsgegenstände sind jeden Cent wert, den sie dafür verlangt«, widersprach Melissa und erschrak dabei über sich selbst. Noch immer hatte sie Schwierigkeiten damit, jemandem ein Widerwort zu geben, und sei es auch noch so angebracht. Jemandem wie Lennart Overbeck gegenüber traute sie sich normalerweise überhaupt nicht, den Mund aufzumachen, zumindest nicht, wenn es über allgemeine Floskeln oder ein Verkaufsgespräch im Laden hinausging.
»Das will ich gar nicht bestreiten.« Sein Blick richtete sich auf sie; von der Nervosität, die sie ergriffen hatte, schien er nichts zu bemerken, denn auch das Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. »Ich habe mir nur gerade überlegt, dass ich mein Budget für das Weihnachtsgeschenk meiner Schwester noch einmal überdenken sollte. Für das, was ich angedacht hatte, werde ich hier nämlich nicht mehr als eine daumengroße Figur bekommen, vermute ich.«
Melissa versuchte, sich wieder zu entspannen. »Ich bin sicher, wir finden etwas für Ihre Schwester.«
»Wir?« Seine Augenbrauen hoben sich ein klein wenig, und in seine Augen trat wieder dieses fröhliche Funkeln, das sie jedoch erneut nervös werden ließ.
»Ja, also, natürlich.« Sie bemühte sich mit aller Kraft, seine überaus intensive Ausstrahlung zu ignorieren, und flüchtete sich in einen geschäftsmäßigen Ton. »Dazu bin ich ja hier, um Ihnen, also den Kunden, bei der Auswahl zu helfen. Jana macht das auch immer wieder sehr gerne selbst. Sie liebt es, Kundschaft hier im Laden zu bedienen, aber im Augenblick ist sie ja …«
»… beschäftigt«, vervollständigte Lennart den Satz. »Sobald ich mir über das neue Budget Gedanken gemacht habe, werde ich darauf gerne zurückkommen.« Er zwinkerte ihr sichtlich gut gelaunt zu.
»Sehr gerne«, quetschte Melissa gerade noch einigermaßen normal hervor und verräumte rasch, um ihre Hände zu beschäftigen, die Überreste des Geschenkpapiers. Auf diese Weise konnte sie auch seinem Blick ausweichen, was es ihr leichter machte, weiterzureden: »Obwohl der Wert eines Geschenks ja eigentlich nicht an der Höhe seines Preises gemessen werden sollte. Ein kleines Geschenk, das von Herzen kommt, ist doch hundertmal schöner als ein großes, das nur ausgesucht wurde, weil ein möglichst hoher Preis dafür bezahlt wurde.« Während sie sprach, hatte sie sich kurz gebückt, um in dem Fach mit dem Geschenkpapier ein wenig für Ordnung zu sorgen.
Als sie sich nun wieder aufrichtete, erschrak sie erneut, weil Lennarts Blick unverwandt auf sie gerichtet war. Das Lächeln auf seinen Lippen war ein klein wenig verblasst. Stattdessen konnte sie auf seiner Miene einen besorgten Ausdruck erkennen. Er ging einen Schritt auf den Tresen zu, was sie veranlasste, etwas zurückzuweichen.
Sein Lächeln verschwand ganz. »Mache ich Sie nervös, Melissa?«
»Ich, äh, nein, natürlich nicht.« Prompt zitterte ihre Stimme leicht, ebenso wie ihre Hände, die sie daraufhin fest ineinander verschränkte.
»Sind Sie sicher?« Er kam noch näher, und wieder wich sie automatisch zurück und stieß mit dem Rücken gegen die Tür zum Büro, die daraufhin ein Stück weit aufschwang. Nun sichtlich besorgt runzelte er die Stirn. »Sie wirken nämlich im Augenblick so, als ob Sie kurz davor wären, vor mir die Flucht zu ergreifen.«
»Das ist«, sie schluckte krampfhaft, »ich meine, nein, also …« Hilflos blickte sie links und rechts an ihm vorbei. Sie hatte tatsächlich das Bedürfnis, Ausschau nach einem Fluchtweg zu halten, dabei wusste sie, dass das ganz bestimmt unnötig war und außerdem sinnlos gewesen wäre. Dieser Mann war so viel größer als sie und ihr körperlich derart überlegen, dass sie mit einer Flucht ganz sicher nicht weit kommen würde. Einer Flucht wohlgemerkt, die vollkommen irrational wäre, denn er hatte sie ja mit keinem Wort und keiner Geste bedroht.
Zu ihrer Überraschung machte Lennart drei Schritte rückwärts und schob die Hände bis zur Hälfte in die Taschen seiner schwarzen Jeans. »Besser so?«
Tatsächlich führte der vergrößerte Abstand zwischen ihnen dazu, dass sie ein wenig leichter atmen konnte. Tief sog sie die Luft in ihre Lungen, dann nickte sie verlegen. »Danke. Es … tut mir leid. Ich weiß auch nicht, was mit mir los ist.«
»Wirklich nicht?« Er musterte sie gleichermaßen freundlich wie aufmerksam. »Auf mich machen Sie den Eindruck, als wären sie schon einmal von einem Mann bedrängt oder sogar überfallen worden.« Ehe sie auch nur Luft holen konnte, um etwas zu erwidern, hob er beschwichtigend beide Hände. »Darauf brauchen Sie nicht zu antworten, Melissa. Ich möchte nur deutlich machen, dass Sie von mir nichts zu befürchten haben.« In seinen Blick trat wieder dieses fröhliche Funkeln, und er zwinkerte ihr erneut zu. »Solange Sie mich nicht angreifen, bin ich vollkommen handzahm.«
Mit dieser Bemerkung brachte er sie tatsächlich dazu, ganz kurz zu lächeln. »Selbstverständlich«, murmelte sie.
»Nein, nicht selbstverständlich«, antwortete er leise. »Aber in meinem Fall trifft es zu. Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben.« Er blickte an sich hinab und dann mit einem schiefen Lächeln wieder in ihr Gesicht. »Gerade kürzlich hat mich meine Schwester darauf hingewiesen, dass ich auf manche Leute möglicherweise ein bisschen furchteinflößend wirken könnte.« Aus dem schiefen Lächeln wurde ein Grinsen. »Rockermäßig hat sie es genannt. Ich sehe das allerdings im Allgemeinen nicht als Nachteil, denn in meinem Beruf, als Leiter einer Sicherheitsfirma, wirken Selbstsicherheit, dominantes Auftreten und ein gewisses Maß an respekteinflößender Erscheinung in der Regel durchaus vertrauenerweckend auf die Kundschaft. Nicht, dass ich nicht auch denselben Effekt in einem maßgeschneiderten Anzug mit Krawatte herbeiführen könnte, aber das ist doch mehr der Stil meines Vaters. Ich versuche, die Anlässe, zu denen ich mich in einen Anzug quetschen muss, auf ein Minimum zu reduzieren. Geschadet hat es mir bislang nicht, aber wahrscheinlich ist mir nicht immer bewusst, dass es auch Menschen gibt, die zu dem hier«, er zupfte an seiner bei genauerem Hinsehen schon etwas abgeschabten schwarzen Lederjacke, »nicht unbedingt gleich Vertrauen fassen.«
»Ich, na ja …« Hier konnte sie ihm nicht widersprechen.
»Soll ich lieber ein andermal wiederkommen, wenn Jana Zeit hat?« Als sie fragend die Stirn runzelte, fügte er hinzu: »Wegen meiner Fragen zu der hier verbauten Sicherheitstechnik und ihrem Handling.«
Ja! Melissa hätte sich am liebsten selbst geohrfeigt. Sie würde im Leben niemals weiterkommen und schon gar nicht selbstbewusster werden, wenn sie schwierigen Situationen immer wieder auswich. Deshalb versuchte sie, sich zusammenzureißen. »Nein, das ist schon in Ordnung. Was genau wollen Sie denn wissen? Ich habe noch nie darüber nachgedacht, ob hier alles richtig eingerichtet ist. Was könnte man denn überhaupt verändern?«
Lennart schob seine Hände wieder in die Hosentaschen und trat vorsichtig erst einen, dann einen weiteren Schritt auf den Tresen zu. Dabei behielt er sie aufmerksam im Auge, doch da sie diesmal nicht zurückwich, blieb er an Ort und Stelle stehen. Sein Blick wanderte erneut zu der Kamera in der hinteren linken Raumecke hinauf. »An der Position der Kamera würde ich nichts ändern. Sie ist so eingestellt, dass jeder Winkel des Ladens perfekt erfasst wird. Auch draußen haben wir alle Kameras so justiert, dass sie im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben weitestgehend perfekt ausgerichtet sind. Mir ging es mehr darum, ob sie mit der Software zurechtkommen oder ob es irgendeinen Bereich gibt, den wir hinsichtlich der Sicherheit noch besser abdecken könnten. Wie gesagt, ich nehme an, dass Sie täglich mit unserer Software umgehen. Wenn es etwas gibt, das noch nicht ganz rund läuft, dann dürfen Sie uns das jederzeit mitteilen. Das hatte ich Jana auch bereits gesagt, aber da sie wahrscheinlich nicht so oft mit der Technik in Berührung kommt wie Sie, wollte sie, soweit ich das verstanden hatte, das letzte Wort darüber Ihnen überlassen.«
»Wirklich?« Überrascht hob Melissa den Kopf. »Das wusste ich gar nicht.« Sie runzelte die Stirn. »Das heißt, doch, sie hat vor einiger Zeit mal etwas darüber gesagt, aber irgendwie habe ich es wieder vollkommen vergessen. Ich bin ja, wenn ich nicht hier arbeite, die meiste Zeit mit meinem Sohn beschäftigt und habe andere Dinge im Kopf.«
»Andy heißt er, nicht wahr?«, hakte er nach. »Wie alt ist er jetzt? Sechs oder sieben Jahre? Oliver hat mal erwähnt, dass er jetzt zur Schule geht.«
»Er ist sechseinhalb und geht in die erste Klasse.« Wie immer beim Gedanken an ihren Sohn erschien ein Lächeln auf ihren Lippen. »Er ist ganz stolz darauf, endlich ein Schulkind zu sein. Aber ich glaube, er ärgert sich ein bisschen, dass er noch nicht alle Buchstaben gelernt hat und deshalb seinen Wunschzettel dieses Jahr noch nicht schreiben konnte. Stattdessen hat er ihn gemalt, und wir haben ihn heute Morgen auf dem Weg zur Schule in den Briefkasten geworfen.« Verlegen hielt sie inne. »Entschuldigen Sie, das interessiert Sie natürlich überhaupt nicht.«
»Behauptet wer?« Lennart lächelte ihr warm zu. »Als stolze Mama dürfen Sie jederzeit mit Ihrem Sohn angeben. Dafür habe ich volles Verständnis. Mein Vater war, glaube ich, genauso, als wir klein waren. Eigentlich ist er bis heute noch so, wenn ich es recht bedenke.« Er lachte wieder sein dunkel-raues Lachen, was seltsamerweise dazu führte, dass sich die Härchen auf Melissas Armen und Rücken aufstellten. »Er hat uns allein großgezogen, seit ich drei und meine Schwester ein Jahr alt waren.«
»Tatsächlich?« Überrascht musterte sie ihn. »Allein mit zwei Kleinkindern? Das stelle ich mir irrsinnig schwer vor. Ich habe ja schon nur mit Andy alle Hände voll zu tun.«
»Einfach war es ganz sicher nicht«, stimmte er ihr zu. »Aber was ist ihm anderes übrig geblieben? Meine Mutter hat uns damals einfach sang- und klanglos verlassen, um sich selbst zu finden.« Er verdrehte ein wenig die Augen. »Ob die Suche erfolgreich war, ist uns nicht bekannt. Sie schreibt hin und wieder mal einen Brief oder eine Postkarte, und alle Jubeljahre kommt sie ein paar Tage zu Besuch. Für Lena und mich ist sie bestenfalls so etwas wie eine entfernte Tante, aber eigentlich mehr eine vollkommen fremde Person.«
»Das tut mir leid.« Betroffen blickte Melissa auf ihre Hände. Sie hatte ja selbst Erfahrungen mit schwierigen und belasteten Eltern-Kind-Beziehungen, doch zumindest kannte sie ihre beiden Elternteile und wusste, was sie von ihrer Mutter zu erwarten hatte.
»Muss es nicht.« Lennart winkte ab. »Man kann nur vermissen, was man einmal besessen hat oder gekannt. Unser Vater hat immer dafür gesorgt, dass wir auch ohne unsere Mutter eine schöne Kindheit und Jugend hatten. Er hat viel für uns getan – und vermutlich auch viel aufgegeben.« Nachdenklich hob er die Schultern. »Wahrscheinlich wäre es allmählich an der Zeit, dass er sich mehr seinem eigenen Leben widmet. Immerhin ist er erst dreiundfünfzig Jahre alt, also theoretisch noch jung genug, um noch einmal neu anzufangen.« Er schmunzelte. »Aber das wiederum interessiert Sie wahrscheinlich nicht die Bohne, oder?«
»Doch, doch.« Sie räusperte sich, dann konnte sie sich eines Lächelns nicht erwehren. »Als stolzer Sohn dürfen Sie ebenfalls sehr gerne mit Ihrem Vater angeben.«
»Guter Punkt.« Lachend trat er noch einen halben Schritt auf sie zu. »Wie ist es nun? Kommen Ihnen irgendwelche Verbesserungsmöglichkeiten in den Sinn?«
»Keine Ahnung.« Stirnrunzelnd rief sie sich die Funktionen der Sicherheitssoftware vor Augen. »Eigentlich läuft alles ganz gut damit.«
»Und uneigentlich?«
Sie räusperte sich. »Die Speicherkarten sind immer ziemlich schnell voll und müssen dann gelöscht und neu formatiert werden. Meistens jeden dritten Tag. Wir haben schon Ersatzkarten besorgt, damit wir wenigstens die Daten der letzten zehn Tage behalten können. Viel länger wollen wir das aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht tun, aber zehn oder vierzehn Tage wären schon sinnvoll, nur für den Fall, dass wir einmal eine Aufnahme zu Nachweiszwecken benötigen.« Sie schauderte beim Gedanken an die Vorfälle vor einem Jahr, die dazu geführt hatten, dass Jana die Sicherheitstechnik rund um ihren Laden und ihre Werkstatt rigoros aufgerüstet hatte. »Natürlich hoffen wir, dass das nicht noch einmal notwendig sein wird, aber man hört doch immer wieder von Einbrüchen und Diebesbanden und so.«
Während sie sprach, hatte Lennart erneut sein Smartphone hervorgezogen und machte sich darauf nun mithilfe eines kleinen Plastikstifts handschriftliche Notizen. »Wir können die Speicherkarten ganz einfach durch externe Festplatten ersetzen. Darauf lassen sich wesentlich mehr Daten speichern. Ich halte sogar bis zu dreißig Tagen für sinnvoll, zum Beispiel für Zeiträume, in denen hier überhaupt niemand ist. Während des Urlaubs zum Beispiel. Die Umrüstung kann ich zeitnah veranlassen. Allerdings müssen wir dann das Verfahrensprotokoll hinsichtlich des Datenschutzes entsprechend abändern, aber das kann Lena ebenfalls schnell erledigen, sobald wir wissen, ob noch weitere Anpassungen nötig sind.« Er neigte den Kopf ein wenig zur Seite. »Noch andere Ideen?«
Melissa überlegte angestrengt. »So auf Anhieb fällt mir jetzt nicht viel mehr ein. Oder doch! Immer, wenn ich die Speicherkarten neu formatiert habe und den Zwischenspeicher geleert, stürzt das Programm für einen Moment ab oder friert ein. Ich habe mich inzwischen daran gewöhnt, weil ich herausgefunden habe, dass ich es wieder aufwecken kann, wenn ich die Escape-Taste fünf- oder sechsmal drücke. Haben Sie eine Idee, woran das liegen könnte?«
Diesmal war es an Lennart, die Stirn zu runzeln. »Auf Anhieb nicht, aber wenn Sie mich kurz an den Computer lassen, kann ich mir das gerne mal ansehen.« Da in diesem Moment das Glöckchen klingelte und zwei junge Frauen eintraten, ging er erneut ein Stückchen zur Seite, um ihnen nicht im Weg zu stehen.
Melissa begrüßte die beiden neuen Kundinnen freundlich, da diese sich jedoch offenbar erst einmal umsehen wollten, nickte sie Lennart zu und deutete auf die immer noch halb offen stehende Tür in ihrem Rücken. »Der Computer ist eingeschaltet und die Software über das Icon auf dem Desktop zu erreichen.«
»Okay, dann bis gleich.« Mit ruhigen Bewegungen und ganz offensichtlich darum bemüht, sie nicht noch einmal zu erschrecken, umrundete er den Verkaufstresen und schob sich an ihr vorbei ins Büro, ohne sie auch nur mit einem Zipfel seiner Jacke zu berühren. Dennoch hielt Melissa unwillkürlich die Luft an und musste sich zwingen, ruhig stehen zu bleiben. Als sie hörte, wie er sich auf dem Drehstuhl am Schreibtisch niederließ, atmete sie tief durch. Dabei stieg ihr der herbe Duft seines Deos in die Nase. Unwillkürlich richteten sich die Härchen auf ihrem Körper erneut auf, und ihr Herzschlag beschleunigte sich ein wenig. Verärgert über sich selbst, versuchte sie, sich zusammenzureißen. Es wurde wirklich Zeit, dass sie etwas gegen diese Art von Angstzuständen tat.
***
Lennart hörte mit einem Ohr zu, wie Melissa in ruhigem, freundlichem Ton mit den beiden Kundinnen sprach und ihnen einige der Skulpturen und Schmuckstücke zeigte, während er die Software für das Sicherheitssystem aufrief und im Backend ein paar Testläufe durchführte. Dann setzte er testweise eine der SD-Karten ein, die er fast immer bei sich trug, und konnte tatsächlich den von Melissa beschriebenen Fehler reproduzieren. Stirnrunzelnd rief er erneut die Einstellungen auf und justierte hier und da eine Kleinigkeit. Dann verband er die Software mit dem Server seiner Firma und lud ein Update herunter.
Nur Augenblicke, nachdem ihm das Türglöckchen verriet, dass die Kundinnen wieder gegangen waren, hörte er Melissa das Büro betreten. »Kommen Sie«, sagte er und winkte sie zu sich heran, ohne sie anzusehen. »Ich habe die Software auf den neuesten Stand gebracht und ein paar kleine Veränderungen vorgenommen. Hier«, er deutete auf die Bedienoberfläche auf dem Bildschirm. »Die Daten werden jetzt automatisch komprimiert, nachdem sie aufgezeichnet wurden. Das ist nicht nur bei den Speicherkarten sinnvoll, sondern auch bei den externen Festplatten, die wir noch installieren werden. Offenbar hatten der interne Speicher sowie der Cache nicht genug Volumen. Bei den Daten auf meiner Test-Speicherkarte tritt der Fehler jetzt nicht mehr auf.« Er nahm seine Karte aus dem Lesegerät und ersetzte sie wieder durch die, die sich ursprünglich darin befunden hatte. »Geben Sie mir bitte umgehend Bescheid, falls das Programm noch einmal abstürzen oder einfrieren sollte, dann müssen wir noch ein bisschen weiterjustieren.« Nun blickte er sich doch zu ihr um, da sie nur ein klein wenig näher gekommen, jedoch in respektvollem Abstand stehen geblieben war. Rasch erhob er sich und deutete auf den Stuhl. »Sie können es auch gerne gleich ausprobieren. Oder gibt es sonst noch etwas, was ich für Sie tun kann?«
Zögernd kam Melissa näher und setzte sich auf den Drehstuhl. Kurz hatte er den Eindruck, als würde ihre Hand ein wenig zittern, als sie sie auf die Maus legte. Er tat jedoch so, als würde er es nicht bemerken, um sie nicht noch nervöser zu machen.
Sie blickte die Aufnahmen auf der Speicherkarte zwar an, löste jedoch keinen Löschvorgang aus, da es sich natürlich um ganz aktuelle Daten handelte. »Ich glaube, ich mach das am besten morgen früh.« Sie drehte den Kopf kurz in seine Richtung, sah ihn aber nicht direkt an, sondern sofort wieder auf den Bildschirm. »Dann habe ich mehr Ruhe und muss nicht darauf achten, ob jemand in den Laden kommt.« Sie schwieg einen Augenblick, bevor sie erneut das Wort ergriff. »Bieten Sie eigentlich auch Sicherheitsvorkehrungen für Internetseiten an? Jana hat mir die Betreuung ihrer Website anvertraut, und die Seite ist wirklich toll, aber wir kämpfen neuerdings immer mehr mit Spam-Einträgen in unserem Kontaktformular und irgendwelchen automatisierten Angriffen von Hackern oder Bots. Ich habe zwar eine Firewall installiert, bin mir aber nicht sicher, ob ich sie wirklich korrekt konfiguriert habe. So gut kenne ich mich nämlich damit auch nicht aus. Eigentlich soll ich ja hauptsächlich den Onlineshop betreuen, aber da hatten wir sogar trotz der Firewall einmal einen Angriff, bei dem eine ganze Seite mit Fotos gelöscht und eine andere durcheinandergebracht worden ist. Zum Glück habe ich herausgefunden, wie man den Hacker, oder wer auch immer das war, wieder rauswerfen konnte. Aber gibt es nicht auch Möglichkeiten, so etwas ganz zu verhindern?«
»Die gibt es natürlich«, bestätigte Lennart. Vorsichtig trat er neben sie und stützte sich auf der Lehne des Drehstuhls mit einer Hand ab. So beiläufig wie nur möglich beugte er sich ein klein wenig vor. »Eine hundertprozentige Sicherheit wird es zwar nie geben, denn die Technik schreitet irrsinnig schnell voran, insbesondere hinsichtlich künstlicher Intelligenz, sodass man ständig auf Zack sein und die Sicherheitseinstellungen regelmäßig an neue Gegebenheiten anpassen muss. Aber wenn Sie möchten und wenn Jana auch damit einverstanden ist, kann ich gerne meine Schwester bitten, ein speziell auf diese Website angepasstes Sicherheits-Plug-in zu programmieren.«
»Das wäre, glaube ich, ganz gut.« Melissa blickte zu ihm auf, und er konnte genau erkennen, wie sich ihre Augen vor Schreck ein wenig weiteten, als ihr bewusst wurde, wie nah er bei ihr stand. Sofort zog er sich einen Schritt zurück und schob seine Hände in die Hosentaschen.
Sie schluckte sicht- und hörbar. »Ich muss natürlich noch mit Jana darüber reden, aber ich bin sicher, dass sie damit einverstanden sein wird.« Sie erhob sich und ging rasch zurück in den Laden.
Lennart folgte ihr bewusst gemächlich, umrundete den Tresen und stützte sich lässig mit den Unterarmen darauf. Er lächelte ihr zu, in der Hoffnung, ihr damit erneut ein wenig die Nervosität zu nehmen. »Sehen Sie, es war gut, dass wir darüber gesprochen haben.« Ohne seine gebeugte Haltung zu ändern, zückte er ein weiteres Mal sein Handy und den Plastikstift und notierte sich in Stichworten den neuen Auftrag. »Falls Ihnen noch weitere Verbesserungen einfallen sollten, können Sie diese ja bei unserem nächsten Termin vorbringen.«
»Okay.« Sie nickte. »Das werde ich tun, also, wenn mir noch etwas einfallen sollte. Aber eigentlich läuft ja alles, wie es soll.«
»Was nicht bedeutet, dass man nicht hier und dort noch etwas verbessern könnte.« Nun richtete er sich doch wieder auf. »Ich denke, ich mache mich jetzt wieder auf den Weg. Ich habe nämlich Sissy im Auto, und man weiß nie, wie lange sie es alleine aushält, bevor sie irgendetwas in kleine Fetzen zerpflückt. Sie hat zwar in ihrer Box nur eine Decke, aber auch die lässt sich vermutlich leicht zu Konfetti verarbeiten.«
»Sissy?« Überrascht hob Melissa den Kopf. »Sie haben Ihren Hund mitgebracht?«
»Normalerweise passt Lena auf sie auf, wenn ich zu einem Kunden muss, aber sie hatte heute einen Zahnarzttermin. Deshalb habe ich Sissy ausnahmsweise mitgenommen. Möchten Sie sie kennenlernen?« Noch während er sprach, hatte er die Ladentür geöffnet und war hinausgetreten. Mit einem kurzen Winken bedeutete er Melissa, ihm zu folgen. Da er direkt vor dem Laden geparkt hatte, musste sie das Ladenlokal nur wenige Schritte verlassen.
Kaum hatte er sich dem Kofferraum seines orangefarbenen SUVs mit dem hellgrauen Schriftzug Securifant und dem Emblem sowie der Adresse seiner Firma auf beiden Seiten des Fahrzeugs genähert, als aus dem Inneren des Wagens ein herzerweichendes Jaulen, dann ein empörtes Bellen zu vernehmen war.
Da bist du ja endlich wieder! Ich dachte schon, du wärst für immer verschwunden. Wie kannst du mich nur so scheußlich lange allein hier drin lassen? Das ist gemein und außerdem total langweilig. In Ermangelung einer anderen Beschäftigung habe ich versucht, meiner Decke eine Ecke abzubeißen, aber so richtig gelungen ist es mir nicht. Außerdem schmeckt dieser weiche Stoff nicht so gut, wie ich gedacht hatte. Aber wenn du mich noch länger hier warten lassen hättest, wäre mir das auch egal gewesen. Mach das bitte nicht wieder, sonst bin ich ganz trau-au-aurig!
Er lachte. »Schon gut, Sissy, schon gut. Ich bin ja wieder da.« Er warf Melissa einen vielsagenden Blick zu. »Sie tut immer so, als würde sie mindestens am Spieß gebraten, wenn ich sie irgendwo zurückgelassen habe und dann wieder zu ihr zurückkehre. Dabei bleibt sie doch inzwischen meistens sehr brav für eine ganze Weile allein. Länger als eine halbe Stunde riskiere ich es aber meistens nicht, wenn ich keinen Hundesitter habe.« Er öffnete die Kofferraumklappe und dann mit ruhigen Bewegungen die stabile Hundebox, in der Sissy sich bereits wie ein Derwisch immer noch bellend und jaulend um die eigene Achse drehte. Kaum war die Box offen, als sie auch schon herausspringen wollte, was Lennart jedoch mit einem ruhigen »Stopp!« verhinderte und indem er seine Hand sanft, aber bestimmt, gegen Sissys Brust legte.
Hey! Ich will hier raus. Warum darf ich denn nicht? Sissy winselte ungeduldig, setzte sich schließlich jedoch hin und beruhigte sich ein wenig. Besser so? Darf ich jetzt endlich nach draußen?
»Warte mal.« Betont langsam griff er nach Sissys Leine, die neben der Box im Kofferraum lag, und hakte sie an ihrem Geschirr fest. »So, jetzt darfst du raus.« Er lachte, denn kaum hatte er die Worte ausgesprochen, als das quirlige, gerade sieben Monate alte Boxermädchen mit einem regelrechten Hechtsprung aus dem Kofferraum sprang und ihn wild mit der Rute wedelnd umkreiste.
Na endlich! Viel länger hätte ich es da drinnen nicht mehr ausgehalten. Nicht nur, weil es total langweilig war, sondern auch, weil ich dich vermisst habe. Ich mag es nicht, wenn du weggehst und mich allein lässt.
Erst jetzt schien Sissy zu bemerken, dass er nicht allein war. Mitten in ihrem Gewusel hielt sie inne, hob den Kopf, legte ihn ein wenig schräg, dann sprang sie mit einem freudigen Wuffen so schnell auf Melissa zu, dass ihm beinahe die Leine entglitten wäre. Gerade noch konnte er mit einem erneuten »Stopp« verhindern, dass die junge Hündin Melissa begeistert ansprang.
»Langsam, mein Mädchen. Nicht so stürmisch, sonst machst du Melissa ja Angst.« Prüfend warf er der jungen Frau einen Blick zu, die tatsächlich unwillkürlich einen Schritt rückwärts gemacht hatte, sich jedoch nicht vor Sissy zu fürchten schien. Sie lächelte sogar und noch dazu so offen und geradezu zärtlich, dass ihm ganz warm ums Herz wurde. Trotzdem näherte er sich ihr mit Sissy nur langsam und vorsichtig. »Alles okay? Die Kleine kann ziemlich wild sein. Wenn man darauf nicht vorbereitet und auch nicht einigermaßen standfest ist, kann sie einen schon umwerfen.«
Zu seiner Überraschung lachte Melissa. »Ich habe einen sechsjährigen Sohn. Um meine Standfestigkeit brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.« Vorsichtig streckte sie die Hand aus und ließ die aufgeregte Sissy daran schnuppern. »Die ist aber süß. Und noch nicht ganz ausgewachsen, oder?«
Hallo, hallo, wer bist du denn? Ich kenne dich noch gar nicht. Aber das lässt sich ja ganz leicht ändern. Sissy schnüffelte nun nicht nur an Melissas Hand, sondern auch laut prustend an ihren Hosenbeinen und Füßen. Du riechst schon mal sehr angenehm. Und du hast eine schöne Stimme, das gefällt mir. Möchtest du mich streicheln? Unvermittelt drängelte sie sich gegen Melissas Beine, die dadurch ein klein wenig ins Straucheln geriet, sich jedoch sofort wieder fing und erneut lachte.
»Na, du? Möchtest du gestreichelt werden?«
Und wie! Am Kopf bitte und hinter den Ohren und am Hals und an der Brust. Ach, am besten überall, wenn du schon dabei bist.
Leise kichernd, streichelte und kraulte Melissa das Boxermädchen überall dort, wo es ihr offensichtlich gefiel.
Lennart grinste. Vielleicht hätte er Sissy gleich mit in den Laden nehmen sollen. Wo auch immer er hinkam, fungierte sie ganz schnell als Eisbrecher. Andererseits wären wohl die wertvollen Glasskulpturen bei der Kraft und dem Übermut, die in der Hündin steckten, in höchster Gefahr gewesen. »Sie ist gerade sieben Monate alt. Ich habe sie mit neun Wochen von einem befreundeten Züchter übernommen, und seitdem versuchen wir, uns auf gemeinsame Regeln in unserem Zusammenleben zu einigen. Wir hatten schon immer einen Hund, solange ich denken kann. Meistens allerdings Schäferhunde, weil mein Vater diese Rasse sehr liebt. Jeder Einzelne von ihnen war etwas ganz Besonderes, doch ich wollte schon immer einen Boxer haben.« Da Sissy sich mittlerweile ein wenig beruhigt hatte, ging er neben ihr in die Hocke und streichelte sie ebenfalls. »Und jetzt habe ich dich, nicht wahr, mein Mädchen?«
Na klar hast du mich, und ich hab dich. Du bist das beste Herrchen auf der ganzen Welt. Unter seinen Händen rekelte sich Sissy genüsslich und lehnte sich fest an ihn.