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Phileas Fogg erhält von der geheimnisvollen Victoria Griffin den Auftrag, im Nordpolarmeer nach Spuren der längst verschollenen Arktis-Expedition des Engländers John Franklin zu suchen. Doch als das eigens dafür gecharterte Schiff "Emily" am nächsten Morgen auslaufen soll, erwartet Fogg eine unangenehme Überraschung: Kapitän Sharingham wurde ermordet. Das Schiff läuft dennoch aus, angeblich unter einem neuen Kapitän, den jedoch niemand kennt. Als sie das Nordpolarmeer erreichen, ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Die Masken fallen, und Fogg wird mit aller Macht in ein neues Abenteuer katapultiert. Im ewigen Eis des Nordpols stößt er auf ein lange Zeit gut gehütetes Geheimnis
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Seitenzahl: 154
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In dieser Reihe bisher erschienen:
4901 Die schwarze Perle des Verderbens
4902 Verschollen unter dem Meer
4903 Die vergessene Kolonie
4904 Die Söhne des Abgrunds
4905 Weiße Hölle – schwarzes Gold
4906 Gefahr für Eden 2
JULES VERNE – DIE NEUEN ABENTEUER DES PHILEAS FOGG
BUCH FÜNF
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
© 2024 Blitz Verlag & martim eBooks
Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH
Mühlsteig 10 • A-6633 Biberwier
Redaktion: Danny Winter
Titelbild & Logogestaltung: Mark Freier
Alle Rechte vorbehalten
eBook Satz: Gero Reimer
www.BLITZ-Verlag.de
ISBN 978-3-689-84100-3
1005 vom 27.07.2024
Bereits als Phileas Fogg die Treppe zum oberen Geschoss hinaufstieg, beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Es war eine Art Vorahnung, die von ihm Besitz ergriff und die seine Schritte langsamer und bedächtiger werden ließ.
Als er die letzten beiden Stufen hinter sich gebracht hatte, blickte er i einen spärlich beleuchteten Korridor.
Von unten war noch immer der Lärm aus der Hafenspelunke zu hören. Ein verstimmtes Klavier, das Klirren der Biergläser und krakeelende Matrosen, die an ihrem letzten Abend an Land alles daran setzten, den allerletzten Rest ihrer Heuer zu verprassen.
Fogg bemühte sich, all diese Einflüsse auszublenden.
Man hatte ihm gesagt, wohin er zu gehen hatte.
Das Zimmer mit der Nummer Sieben lag ganz am Ende des Korridors. Fogg erkannte mit einem Blick, dass die Tür nicht ganz geschlossen war. Hinter dem Spalt befand sich ein Keil aus Dunkelheit.
Vorsichtig durchquerte er den langen Gang. Die Bodenbretter knarrten leise unter seinen Schritten.
Hatte sich die Tür bewegt? Fogg war sich beinahe sicher.
Zugluft, dachte er. Und tatsächlich glaubte er, von irgendwoher einen kühlen Windhauch wahrzunehmen, als er seine Hand nach dem Türknauf ausstreckte.
Foggs Sinne waren alarmiert. Der Gast in diesem Zimmer erwartete ihn hier. Zumindest hatte er ihm dies glaubhaft versichert.
Und nun lag der Raum in vollkommener Dunkelheit.
Obwohl, ganz richtig war das nicht, denn die Jalousien an den Fenstern waren nicht heruntergezogen worden.
Es fiel ein schwacher Lichtschimmer von der beleuchteten Straße hinein.
Die Tür knarrte leise, als sie sich weiter nach innen öffnete.
Phileas Fogg blieb auf der Schwelle stehen.
„Kapitän Sharingham?“
Er erhielt keine Antwort.
Fogg fingerte in seiner Westentasche nach einem Päckchen Streichhölzer, das er so gut wie immer bei sich führte.
Doch dann wurde seine Aufmerksamkeit durch etwas anderes abgelenkt. Eine Gestalt saß kerzengerade in dem Bett, das sich an der linken Zimmerwand befand und mit dem Fußende bis in die Mitte des Raums hineinragte.
„Kapitän? Können Sie mich hören?“, fragte Fogg noch einmal.
Der Unheimliche reagierte nicht. Fast schien es dem Abenteurer als würde Sharingham einfach dasitzen und ihn aus der Dunkelheit heraus anstarren.
Foggs Finger tatsteten wieder nach den Streichhölzern in seiner Tasche. Hier war etwas ganz und gar nicht in Ordnung, das spürte er.
Zudem lag ein Geruch in der Luft, der ihm vage vertraut war.
Mit flinken Bewegungen riss er ein Zündholz an.
Sharinghams Augen waren gebrochen. Sie waren weit aufgerissen und starrten verdreht zur Decke. Sein Mund stand offen, so als hätte er zum Zeitpunkt seines Todes noch einen letzten verzweifelten Schrei ausgestoßen. Was es auch gewesen sein mochte, schien ziemlich plötzlich über den Mann gekommen zu sein.
Das ehemals weiße Hemd des Kapitäns war blutgetränkt.
Neben ihm auf dem Bett, in dem er vollkommen angekleidet saß, lag ein aufgeschlagenes Buch.
Der Körper des Kapitäns war noch warm, wie Fogg mit einem raschen Griff nach Sharinghams Handgelenk feststellte. Was auch immer hier geschehen war, konnte noch nicht allzu lange her sein.
Das Streichholz erlosch. Fogg hatte die Kerze neben dem Bett zu spät erkannt. Also bemühte er sich um ein neues Hölzchen und riss es an.
Im selben Moment wusste er, dass er nicht allein im Zimmer war.
Es war kaum mehr als eine leichte huschende Bewegung, die er aus den Augenwinkeln heraus wahrgenommen hatte.
Jemand versuchte, hinter seinem Rücken hinaus auf den Balkon zu gelangen.
Fogg entzündete hastig den Kerzendocht und wirbelte auf der Stelle herum. Doch der Unbekannte war bereits durch die geöffnete Balkontür nach draußen gelangt.
Gedämpfte Schritte waren zu hören.
Fogg rannte auf die Tür zu, fegte die langen Vorhänge beiseite und befand sich im nächsten Moment im Freien.
Der Balkon war leer!
* * *
Der Abenteurer blickte sich um. Der Balkon war viel zu klein als dass sich hier jemand hätte verstecken können.
Mit einem Satz war er am Geländer und beugte sich nach vorne.
Auf der hell erleuchteten Straße herrschte noch viel Betrieb.
Im letzten Augenblick erkannte Fogg eine Gestalt in einem langen Mantel, die hastig davon eilte und sich mit unsanften Mitteln einen Weg durch die Menge bahnte. In der nächsten Sekunde war der Fremde an der Ecke verschwunden.
„Verdammt“, flüsterte Fogg und schlug mit der flachen Hand auf das Geländer. Er blickte noch für einige Sekunden auf die Straße herunter, dann drehte er sich widerwillig um und kehrte in das Zimmer zurück.
Die Flamme der Kerze flackerte unruhig und blakte Ruß gegen die Zimmerdecke.
Noch einmal beugte sich Fogg über den Toten. Er war kein Arzt, doch er brachte genügen Erfahrung mit sich, um die Wunde annähernd analysieren zu können. Foggs bescheidener Meinung nach musste es sich um eine Schusswunde handeln.
Da der Tote keine Austrittswunde aufwies, musste die Kugel noch im Körper stecken.
Sharingham hatte seinen Mörder gesehen, so viel stand für Fogg fest. Er versuchte, den Tathergang zu konstruieren.
Der Kapitän hatte sich hier in seinem Zimmer befunden, auf dem Bett sitzend, in der Bibel blätternd und nichts Böses ahnend.
War der Täter durch die Zimmertür gekommen? Für einen Moment wägte Fogg diesen Gedanken ab. Er begab sich zur Türschwelle und blickte in das Zimmer. Die Tür in seinem Rücken gab ein knarrendes Geräusch ab, als er sie bewegte.
Sofern der Kapitän nicht über seinem Buch eingenickt war, hätte er bei diesem Geräusch bereits auffahren müssen. Er hätte beim Anblick des Mörders versucht, aus dem Bett zu springen. Zwar bestand die Möglichkeit, dass er es versucht und der Täter ihn nach Ausführung des Mordes wieder in die sitzende Position zurück gedrückt hatte, aber irgendwie wollte Fogg nicht daran glauben. Die Art, wie Sharingham gegen die Decke starrte und letztlich auch die kleine Einschusswunde in seiner linken Brust erzählten eine andere Geschichte.
Fogg trat an das Bettende heran, richtete seine rechte Hand mit ausgestrecktem Zeige- und Mittelfinger auf den Toten und simulierte einen Schuss. Ja, das passte schon besser ins Bild.
Fogg drehte sich um. Hinter ihm befand sich ein Wandschrank.
Die Tür war nur angelehnt, wie er bei näherer Betrachtung feststellte.
Daher war er also gekommen. Der Mörder musste sich bereits im Zimmer befunden haben. Er hatte auf seine Gelegenheit gewartet. Fogg öffnete die Tür weiter. In seinem geräumigem Innern befanden sich ein prall gefüllter Seesack und ein verwaist wirkender Mantel, der allein an der Kleiderstange hing. Ganz sicher waren das Sharinghams Sachen. Fogg inspizierte sie oberflächig und wollte gerade die Tür wieder schließen, als ihm auf dem Schrankboden ein kleiner Gegenstand auffiel, der im Schein der Kerze schimmerte.
Fogg nahm ihn rasch an sich. Als er seine Hand öffnete, lag darin ein goldener Siegelring, in den in auffälliger Form der Buchstabe G eingearbeitet war.
Ob er Sharingham gehört hatte? Fogg versuchte sich zu erinnern, aber er konnte sich nicht entsinnen, dass der Mann bei ihrer ersten Begegnung ein solches Schmuckstück getragen hatte.
Selbstverständlich konnte es für das Vorhandensein des Rings Dutzende von Erklärungen geben, überlegte Fogg. Der Vormieter des Zimmers könnte ihn beispielsweise hier vergessen haben.
Es bestand allerdings auch die vage Möglichkeit, dass der Mörder ihn verloren hatte, als er im Schrank kauernd auf seinen großen Auftritt gewartet hatte.
Der Abenteurer steckte den Ring in seine Westentasche und drückte die Schranktür zu.
Ein letztes Mal wandte er sich dem Bett mit dem Toten darin zu. Sein Blick fiel auf das aufgeschlagene Buch. Er jetzt erkannte er, dass es sich dabei um die Bibel handelte.
Eine Stelle in den Aussagen des Propheten Sacharja war angestrichen worden:
Zu der Zeit wird kein Licht sein, sondern Kälte und Frost.
Fogg nahm das Buch in die Hand, las die Stelle noch einmal und dachte plötzlich an das Gespräch zurück, das er noch am Morgen desselben Tages mit Kapitän Edward Sharingham geführt hatte.
„Champagner?“
Der Mann in der dunkelblauen Uniform mit den goldenen Knöpfen machte ein Gesicht, als hätte er in eine saure Frucht gebissen.
„Bah! Das ist doch was für das weibliche Geschlecht oder solche, die sich wünschen, sie würden dazugehören.“
„Und was bevorzugen Sie stattdessen?“, fragte Fogg mit einem Augenzwinkern.
Der Mann in der Kapitänsuniform beugte seinen Oberkörper leicht zu seinem Gesprächspartner herüber und senkte seine Lautstärke einen Deut. „Echte Weiber!“
Phileas Fogg schlug den Nagel seines Zeigefingers gegen sein hohes Glas, dass es leicht klirrte. „Ich dachte eigentlich eher an etwas Trinkbares.“
Edward Sharingham räusperte sich dezent, bevor er seinen Rücken straffte.
„Whisky“, antwortete er. „Echter schottischer. Nicht so eine nachgemachte Plörre von Leuten, die sich einbilden, sich damit auszukennen.“
„Ich werde sehen, ob ich einen auftreiben kann“, antwortete Fogg. Bereits im Gehen wandte er sich noch einmal um. „Bevorzugen Sie Ihr Getränk mit Eis?“
Sharingham hob seine buschigen Augenbrauen an. „Beabsichtigen Sie, mich zu einem Drink einzuladen oder wollen Sie mich vergiften?“
Fogg breitete lächelnd die Arme aus und ließ die Antwort auf die Frage offen. Nach zwei Minuten war er wieder zurück.
Der Kapitän nickte ihm zu, als er das Glas mit der goldgelben Flüssigkeit darin entgegen nahm.
„Kann Eis nicht ausstehen“, brummte der bärbeißige Mann. „Bekomme in nächster Zeit noch genug von dem Dreck zu sehen.“ Sharingham hob sein Glas und setzte es gierig an die Lippen.
„So?“, machte Fogg und nippte an seinem Champagner.
Der Mann in der Uniform schwenkte das Glas in seiner Hand und betrachtete des Rest darin mit einem wohlwollenden Gesichtsausdruck. Anschließend deutete er damit zu einer Frau hinüber, die sich beim Kamin mit zwei älteren Herren unterhielt.
„Sehen Sie die da?“
„Sie meinen die Dame?“, hakte Fogg nach.
Sharingham schüttelte den Kopf. „Ich meine das Weibsbild. Ich kann Ihnen versichern, dass sie alles andere als eine Dame ist. Hat `ner Menge Männer den Kopf verdreht. Gott allein weiß warum, denn sie ist hässlich wie die Nacht. Aber sie hat ein gutes Herz. Ja, das hat sie. Kann man nicht anders behaupten.“
Fogg, der allmählich das Gefühl bekam, dass der Whisky nicht der erste Drink des Kapitäns an diesem Tag war (und vermutlich auch nicht der letzte bleiben würde), musterte die Frau im langen blauen Kleid eingehender. Sie hatte ihr dunkles Haar hochgesteckt und gab damit einen etwas zu lang geratenen Hals frei, an dem an einer Kette ein kleines, silbernes Medaillon hing. Ihre Augen standen eng beisammen, und sie hatte einen klugen Blick, wie Fogg entschied.
„Das ist Victoria Griffin“, raunte Sharingham, der plötzlich wieder näher gekommen war. Sein Atem sang ein Lied, das direkt aus dem schottischen Hochland zu stammen schien.
„Sie meinen …“, setzte Fogg an.
„Ich meine DIE Victoria Griffin“, kam ihm der Kapitän zuvor. „Sie ist die Tochter von Lady Jane Franklin und ihrem Mann John Franklin.“
„Der berühmte Polarforscher“, fügte Fogg mit einer Spur Anerkennung hinzu.
„Der verschollene Polarforscher“, stellte Sharingham richtig. „Wie Sie zweifellos wissen werden, ist Franklin seit dreißig Jahren verschwunden. Er brach mit 129 Mann Besatzung in die Arktis auf. Hatte zwei verdammt gute Schiffe unter sich. Die HMS Terror und die HMS Erebus. Keiner ist wieder zurückgekommen, und auch die Schiffe sind auf der Strecke geblieben. Hören Sie mir überhaupt zu, Fogg?“
„Ich höre.“
„Keiner ist je wieder von dieser vermaledeiten Expedition zurück gekommen. Keiner!“
Fogg streckte seinen rechten Ellenbogen einen Deut aus, um den angetrunkenen Mann ein wenig auf Abstand zu halten. „Und warum genau haben Sie mich heute hierher eingeladen, und dass, wo Sie noch nicht einmal der Gastgeber sind?“
Sharingham setzte sein Glas an und leerte den Rest in einem Zug. „Sehen Sie genauer hin, Fogg. Wie sie sich mit den beiden alten Zauseln unterhält. Unterhalten muss.“
„Muss?“
Der Kapitän gab ein meckerndes Lachen von sich. Einige der geladenen Gäste drehten sich zu ihnen um, was Sharingham nicht im Geringsten zu interessieren schien.
„Zufällig weiß ich, dass der linke der beiden Hamish Gustavson ist, der Direktor der Midwestern Bank. Und der alte Knacker da neben ihm ist niemand Geringeres als Stanford Uckbridge. Der Name wird Ihnen vielleicht nichts sagen, aber ich wette, Sie kennen das grässlich trockene Bones-Teegebäck?“
Fock nickte. „Uckbridge gehört die Firma?“
„Nein“, gab Sharingham abfällig zurück. „Aber seinem Neffen. Jedenfalls stehen dort am Kamin gut und gerne eine halbe Million englische Pfund beisammen, die in die Expedition geflossen ist.“
„Die Expedition?“, hakte Fogg nach.
Sharingham holte tief Luft und plusterte seinen Brustkasten auf. „Ich spreche von der Arktis-Expedition, die morgen unter meiner Leitung aufbrechen wird. Die Emily liegt bereits im Hafen bereit. Zur Stunde werden die letzten Ausrüstungsgegenstände und noch etwas Proviant an Bord genommen. Wir brechen morgen Früh auf.“
Fogg nickte anerkennend. „Mit welchem Ziel?“
Mit einem Mal wirkte der Kapitän wieder vollkommen nüchtern, als er antwortete.
„Wir werden John Franklin und seine beiden Schiffe finden. Und nebenbei auch noch die verflixte Nordwestpassage, die zu entdecken er sich damals aufgemacht hatte.“
Phileas Fogg, der Abenteurer und Weltenbummler, war einigermaßen sprachlos. Der Mann vor ihm sprach mit einer Selbstverständlichkeit von einem Unterfangen, an dem schon seit mindestens vierhundert Jahren die erfahrensten Seemänner gescheitert waren.
Ausgerechnet der Whiskygläser-schwingende Edward Sharingham, von dem Fogg bis zum Anbruch dieses Tages noch niemals gehört hatte, wollte das Unmögliche schaffen.
„Ich sehe es Ihnen an“, sagte Sharingham mit einem leicht süffisanten Lächeln und einem gewissen Glitzern in den Augen. „Ich sehe Ihnen an, dass Sie unsere Expedition jetzt schon zum Scheitern verurteilen. Sie würden es niemals zugeben, aber Sie tun es.“
„Mein lieber Sharingham“, begann Fogg, „ich habe auf dieser Welt schon zu viel gesehen und erlebt, so dass ich selbst Wunder inzwischen für absolut möglich halte. Und warum sollte ich daher auch nur eine Sekunde an der Glaubhaftigkeit Ihrer Worte zweifeln?“
Der Kapitän baute sich vor Fogg auf und musterte ihn von Kopf bis Fuß. Er wartete ab, und als das Schweigen zwischen ihnen langsam unangenehm zu werden begann, nickte er mehrmals entschieden.
„Sie sind der richtige Mann, Fogg. Die Leute vom Reform Club haben mir nicht zu viel versprochen. Also machen wir es kurz: Ich möchte, dass Sie mich auf meiner Expedition begleiten.“
Fogg ließ sein Glas langsam sinken. Beinahe hätte er den restlichen Champagner verschüttet.
„Ich bitte um Verzeihung?“
„Sie haben schon richtig gehört“, antwortete der Mann in der Uniform. „Kommen Sie mit auf diese Reise. Wenn jemand in der Lage ist, seinen Verstand zu gebrauchen, dann sind Sie es. Sie sind in achtzig Tagen um die Welt gereist, und seither haben Sie etliche andere Abenteuer bestanden, wie ich hörte.“
Fogg hob abwehrend die Hände. „Aber das waren doch alles …“
„Die Sache mit der Eissphinx zum Beispiel.“
„Nun ja“, räumte Fogg ein.
„Haben Sie sie nun gefunden oder nicht?“
„Ja“, gab der Abenteurer zu und dachte dabei an jenes gefährliche und zugleich atemberaubende Abenteuer zurück, das ihn, seine Frau Aouda und ihren gemeinsamen Freund und Diener Passepartout in das Südpolarmeer geführt hatte. Dort hatten sich Foggs Wege nach langer Zeit mit dem seines Widersachers Victor Frankenstein gekreuzt. Frankenstein, dem er zuletzt in dessen Heimatland, der Schweiz, begegnet war. Es war ein sonderliches Zusammentreffen gewesen, bei dem der Wissenschaftler selbst eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatte.
Wesentlich bedeutsamer und zugleich entscheidender war da das Wiedersehen mit einer ganz anderen Person gewesen …
„Mir ist bewusst, dass ich Sie mit diesem Ansinnen überfalle“, platzte Sharingham in seine Überlegungen. „auf der anderen Seite: was haben Sie zu verlieren?“
„Eine ganze Menge, wenn ich es recht bedenke“, erwiderte der Abenteurer. „Meine Frau, meine Existenz, mein Leben.“
Sharingham wiegelte ab. „Unsinn. Sie wären nicht der, für den ich Sie halte, wenn Sie nach derlei Grundsätzen leben würden. Kommen Sie, ich möchte Sie mit Victoria Griffin bekannt machen. Na kommen Sie schon, Fogg. Worauf warten Sie?“
* * *
„Mein Vater war von dieser Idee besessen“, sagte die Tochter des Polarforschers. „Er wollte als erster Mensch den Weg finden, den noch nie zuvor jemand genommen hat. Er wollte der Erste sein.“
Und vielleicht nebenbei das enorme Preisgeld einheimsen, dass damals auf die Entdeckung der Nordwestpassage ausgesetzt worden war, dachte Fogg im Stillen.
Victoria Griffins graue Augen ruhten auf dem Abenteurer. Dann bekamen sie einen seltsamen Glanz und schienen plötzlich durch ihn hindurch zu sehen. „Wissen Sie, was eigenartig ist? Manchmal, da denke ich, dass mein Vater die Passage gefunden hat. Und nicht nur das, vielleicht hat er einen Ort entdeckt, an dem es sich viel mehr noch lohnt zu leben, als in unserer bekannten Welt. Wie denken Sie darüber, Mister Fogg?“
Der Angesprochene hielt es in der Tat für sehr wahrscheinlich, dass Franklin vor dreißig Jahren jenen anderen Ort gefunden hatte, vielmehr seine Seele. Laut sagte er: „Ich möchte sehr gerne an diese Möglichkeit glauben, Mylady. Aber darf ich fragen, was Sie zu der Annahme verleitet, Ihr Vater könne noch immer am Leben sein?“
Victoria kehrte von ihrer gedanklichen Abwesenheit zurück, ihr Blick wurde wieder klarer.
„Die Tatsache, dass man ihn niemals gefunden hat, Mister Fogg. Weder ihn, noch seine engsten Kameraden.“
Fogg räusperte sich dezent. Er wechselte einen kurzen Blick mit Sharingham, der ihn warnend ansah.
„Aber wurden nicht inzwischen einige Gräber auf der Beechey-Insel gesichtet, und existiert nicht ein auf der King-William-Insel hinterlassener Brief eines Mannschaftsmitglieds, wonach Ihr Vater, Mylady, dort seinen Tod gefunden habe?“
Die Züge der Frau verhärteten sich. Für einen Moment schien es, als würde sie explodieren, dann jedoch hatte sie sich offenbar wieder im Griff.
„Die Rede ist von drei oder vier Gräbern“, antwortete sie leise. „Mein Vater war nicht darunter. Seine Leiche wurde nicht gefunden, und auch nicht die der anderen weit über einhundert Teilnehmer der Expedition. Alles, was auf den Tod meines Vaters hindeutet, ist jenes Stück Papier, das genauso gut gefälscht sein kann.“
Fogg verkniff sich, sehr zur Erleichterung Kapitän Sharinghams, die Frage, warum jemand so etwas hätte tun sollen.
„Sie wünschen also, dass ich Ihre Expedition begleite, Mylady“, fasste Fogg zusammen. „Darf ich erfahren, aus welchem Grund?“