Weltengesang - Bernhard Trecksel - E-Book

Weltengesang E-Book

Bernhard Trecksel

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Beschreibung

Das Schicksal des Kontinents steht auf dem Spiel Nach ihrer Reise in das Reich der Zwerge findet sich die ungleiche Heldengruppe rund um die Elfe Tanaqui nun in der Hauptstadt der Menschen wieder, die von einem Heer Furcht erregender Kreaturen belagert wird. Warum plötzlich diese Wesen angreifen, die Schmieden unter der Erde ungehindert brennen, und die Welt auf den Abgrund zuzurasen droht, weiß niemand. Zudem macht eine mysteriöse Macht aus einem Reich namens Nadir von sich reden. Tanaqui und ihre Gefährten müssen sich ihren persönlichen Prüfungen stellen und weiter fest zusammenstehen, um ihre Welt noch vor dem Untergang bewahren zu können.

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© Piper Verlag GmbH, München 2024

Redaktion: Friedel Wahren

Karte und Vignetten: Timo Kümmel

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Guter Punkt, München

Coverabbildung: Christl Glatz, Guter Punkt München unter Verwendung von Motiven von iStock / Getty Images Plus

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

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Gjalar

Aganthyr

Baudhilin

Fuchstochter

Der Vierte König

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Aufzeichnungen

Aus den Aufzeichnungen des Hohen Runenschmieds Danghbran, des geistlichen Oberhaupts von Kundrheim, des Meisters von allem Geritzten, Gebrachten und Gewordenen, des Hüters der Geheimnisse der Tiefen Glut.

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Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

1

Die Tür flog mit solcher Gewalt auf, dass die Erschütterungen, die von draußen an ihr Ohr drangen, sich wie ein Flüstern anhörten. Er preschte in den Raum wie ein Stadtgardist, der eine Lasterhöhle ausheben will. Schulter voran, zartfühlend wie ein Rammbock. Nur kochte das tumbe Belagerungsgerät nicht selbst noch vor Zorn.

Die Fratze, die den Schwergerüsteten entstellte, brannte jedoch vor Wut. Er riss sich heftig den Umhang vom Leib, unter dem sogleich der halb zerlumpte Waffenrock seines Tempels zum Vorschein kam. Die Scham darüber steigerte seinen Zorn, als er in die Dachwohnung preschte.

»Gleich wirst du zugeben, dass es ein Fehler war!«, rief sie und kam damit seinem Bellen zuvor. »Es ekelt dich an, dass du deine wahre Würde verbergen sollst. Wie kleinmütig wiederum!« Von ihrem Sitz aus seufzte sie tief auf.

»Vorsicht, Messerohr!«, presste er hervor. Eine solche Begrüßung schätzte er gar nicht. Der Tonfall ließ keinen Zweifel an seinem Groll. Dass er sich am Deckenbalken der Stube noch gediegen den Kopf stieß, verbesserte seine Laune auch nicht gerade. Statt zu fluchen, zischte er wie eine Echse. Eine, die am eigenen Gift würgt.

Mit einem Ächzen ließ er sich so schwer auf eine der Bänke fallen, dass sie zusammenzukrachen drohte.

Sie knarrte nur heftig.

Geschmeidig glitt sie neben ihn, er saß nur stumm da, die Arme verschränkt, und starrte zur Eingangstür der Wohnung hinüber, die Tanaqui in den letzten Stunden nicht aus den Augen gelassen hatte. Hier ging es ums Überleben.

Das Schweigen schien zu schwären. Aus einem Nebenzimmer drang das beharrliche Kratzen einer Feder auf Pergament, aus der anderen Stube nur schmerzliche Stille. Einer aus ihrer Mitte fehlte.

Scheinbar endlos harrte Tanaqui neben dem Paladin und seiner schier greifbaren Wut aus. Dieses starke Gefühl stand in der Stube wie eine Stele. Müßiggang in der Henkersschlinge, so nannten die Untertanen das stinkende Elendsviertel im Herzen der Hauptstadt ihrer Königin. Die Frage, wie viel Gewalt draußen tobte. Wie lange sie noch hier ausharren mussten. Die stumpfe Bedrängnis beschwerte Tanaquis Seele. Wo fand sie Halt?

Der Geist, der aus ihren Hautbildern sprach, Cathwyn, der Große Jäger, spie auf jeden Trost. Er lechzte nach Taten. Wollte hinaus aus der Untätigkeit. Ein solch quälender Inkubus bemächtigte sich einer Waldelfe, wenn sie im Krieg den Seelenbaum verlor und bei ihren Verwandten in der Wüste lebte.

Die im Geheimen webenden Hautbilder gewährten der in die Fremde Geworfenen eine neue Unsterblichkeit, vorausgesetzt, sie bestand die gnadenlosen Prüfungen des unerbittlichen Ahnengeistes.

»Der Gestank lässt sich einfach nicht vertreiben. Was auch immer wir versuchen. Verdammter Minendunst!« Bowden grummelte nur gepresst durch die Zähne. Unvermittelt blickte er nun auf. »Irgendwelche Fragen?«

»Wie viele unserer eifrigen Häscher du gesehen hast, zum Beispiel. Und hier wabert kein abgestandener Kohlengestank. Es stinkt nach Brand, nach den Flammen, die fortwährend den Archipel verzehren.« Tanaqui schüttelte den Kopf.

»Kato mag zwar ein ehrloser Halunke und Mistkerl sein, aber auf seine Weise auch wieder ein großer Geist. Ein Beseelter.« Bowdens Blick schweifte in Richtung des Nebenraums.

Das Kratzen des Federkiels fand kein Ende, unbeirrt vom Stimmengewirr der Schenke. »Zehn«, bestimmte der Paladin brüsk.

»Zehn also. Acht, dachte ich.« Mit zwei Fingern schob Tanaqui einen spröden Aschezopf in den Nacken. Die trockene Luft und das Fristen im Versteck setzten nicht nur ihrer Seele zu. »Wissen die, wo wir uns verbergen?«

Ein Achselzucken des Ritters war die Antwort. »Schwer zu sagen. Ich bezweifle es.« Darauf, gedankenverloren: »Der Deserteur war ein ganz andersartiger Mann. Bevor er zur Armee kam, bevor ihn der Krieg … veränderte, hauste er hier. In diesen Straßen. Inmitten des Abschaums.«

Tanaqui verspürte stets einen Stich im Herzen, wenn Katos Schicksal zur Sprache kam. Es war ihr eigener Kriegstrupp gewesen, der einst in schrecklicher Nacht seine Familie vernichtet und ihn als Waisen einem feindlichen Leben ausgeliefert hatte. »Zehn.« Sie fröstelte. »Wissen wir, wem sie dienen?«

»Du hast doch gehört, dass man dich auf jemandes Befehl hin jagt. Und seit deinem trauten Stelldichein mit dem Eulenreitergecken und seinem Lakaien vor Kundrheim wissen wir auch, wer da Hand an dich legen will.« Bowden schnaubte. »Ich habe erwogen, dich auszuliefern. Der Mission wegen. Und wegen deines lästigen Elfengehabes. Wir hätten dann endlich unbehelligt dem geheimnisvollen Runenstab nachgeforscht.«

Herausfordernd trommelte er mit dem Panzerhandschuh auf die Tischplatte. Streukugeln prasselten auf ein Bronzetor, so klang es.

»Feinsinnig ist dein Humor ja nicht gerade, doch du kannst dich noch so abscheulich gebärden, du hast uns alle mit deinem Schild vor dem Angriff bewahrt. Wir kämpften als Waffengeschwister«, erwiderte Tanaqui verärgert.

Er reckte sich. Rüstplatten schabten. »Vielleicht bin ich einfach nur ein guter Lügner.«

»Dein Gott verabscheut Lügen ebenso wie du.« Sie wollte Weiteres entgegnen, doch er hob den Finger.

»Es geht um weitaus Größeres.«

Der Ausdruck in Bowdens Augen jagte ihr ein Frösteln über den Rücken, trotz der künstlichen Schwüle. Sie schlang die Arme um den Leib. »Größeres«, hauchte Fuchstochter, wie Tanaqui ursprünglich hieß. »Das verheißt selten Gutes.«

Der Grimm in seinem Gesicht trat noch schneidender hervor. »Unsere Belagerungsgäste vor der Stadt sind über Nacht näher gerückt und kesseln uns ein.«

»Damit haben wir gerechnet. Die Ruhe vor dem Sturm ist endgültig vorüber«, murmelte Fuchstochter.

Der Paladin verzog das Gesicht. »Wie ich schon bemerkte, hätten wir nie herkommen dürfen.«

»Ihr Rundohren pflegt euch über verschüttete Milch zu beklagen, du geradezu meisterlich.« Sie lächelte verschmitzt.

»Ich weise nicht mit dem Finger auf eure Schwächen, weil ich ein widerlicher Rechthaber bin«, schnaubte Bowden.

»Aber auch deshalb«, versetzte Tanaqui. Es war nur Gefrotzel, verglichen mit früherer Feindseligkeit.

»Ja, vielleicht.« Er faltete die Hände auf dem Tisch. Dann atmete er mehrmals tief ein und aus und bedachte sie mit ernstem Blick. »Fällt mir nicht leicht, auch nur einem von euch zu vertrauen. Die Zwergin lebte ihr Leben lang eine Lüge. Mein Mündel Kato erwies sich als todbringender Deserteur. Und was dich betrifft … Nun ja, man hat mir eingebläut, deinesgleichen zu hassen. Abgesehen davon haust in dir die Macht eines Götzen. Und dann wäre da noch der feiste, schmierige, brabbelnde Vaga …« Er hielt inne. Schaute verwirrt drein. Die Schmähung hatte er aus Gewohnheit hervorgestoßen, doch sie wich einem Ausdruck der Scham.

»Limbo ist tot, Bowden«, erinnerte ihn die Waldelfe. »Er hat sich für uns geopfert.« Schmerzhaft erinnerte sie sich stets daran, wie unverzagt der Vagabund ihr und Katos Hund Kincaid das Leben gerettet hatte.

Bowden stierte selbstvergessen ins Leere, als hätte sein Geisteslicht Schaden genommen.

Tanaqui wagte einen Sprung nach vorn. »Was geschah in deinem Elternhaus, Bowden? Du bist mit blutiger Klinge von der Hofstatt zurückgekehrt. Kato meint …«

»Kato hält besser das kokelnde Maul, bevor ihn der verhexte Runenstab vollends in den Wahnsinn treibt. Meine Händel mit den Skraemar sind verweht. Wer von denen jetzt erschlagen liegt, erhielt seine verdiente Strafe. Andere winden sich bei den Emissären in Eisen … wozu immer genau die Mächte der Tiefen ihre Sklaven zwingen. Hast du vergessen, dass die Skraemar von Kallasfjord Menschenhandel betrieben? Diesen Ort wollte ich meiden.«

»Es ist die Stadt deiner Königin, Bowden. Nur hier gibt es Bibliotheken und Weise. Kato rät uns richtig. Wir können uns schlecht bis zu den Minaretten tief im Mirvaali durchschlagen, um für ihn die große Zauberformel zu finden.« Ihre Stimme wurde eine Spur sanfter. »Sei milder zu deinem Volk! Im Fjord gab es auch Kinder und Frauen.«

»Die sind nicht von meinem Volk«, giftete er. »Niemals.«

»Kinder, Bowden.«

Er verschränkte die Arme. Der abwesende Blick verengte sich nun auf die Eingangstür, als lauerten dahinter ihre Verfolger. Er hatte sich im Verlauf ihrer Kämpfe verändert. Seinen Architektengott erwähnte er höchstens noch zur Drohung.

»Vesshelin hat sie gedungen, jede Wette. Ihr Netz zieht sich zu. Und es wird immer wärmer. Wir können hier nicht weiter eitel herumsitzen und Zeit vertändeln«, polterte er.

»Hast du eine Vorstellung, wer die sind?«, fragte sie. »Sie lauern am Rand unserer Wahrnehmung, warten, ohne zuzuschlagen. Wie Hyänen. Bereit und doch zu feige.«

»Wird Zeit, dass der Deserteur auftaucht. Er braucht ein Bad … mehr alle hier«, brummte Bowden.

»Er könnte eines für uns aufwärmen«, meinte Tanaqui schmunzelnd. Die Vorstellung, wie der Magier in einem Zuber hockend das eigene Badewasser zum Kochen brachte, hatte etwas Erheiterndes. Sie ertappte sich, wie sie das Dampfzischen mit Zunge und Zähnen nachahmte.

»Genau das.« Erfolglos versuchte der Paladin, ein Lächeln zu unterdrücken. »Außerdem kennt er diese Straßen besser als ich. Er weiß um die Banden, die Verbrecherfürsten. Hing mit dem Gesindel von früher herum, wenn er Freigang hatte. Sicher weiß er, welche Brut uns da belagert.«

2

Die Hauptstadt der Königin, starrend vor Pracht und Reichtum, lag träge goldschimmernd unter dem eisengrauen Himmel und erwartete ihren Untergang. Die Straßen waren mit edlen Kopfsteinen aus Rosengranit gepflastert, die unzählige Füße glatt geschliffen hatten. Die Alleen säumten entweder schwindelerregend hohe Fachwerkbauten von kunstfertig vorgetäuschter Zerbrechlichkeit oder ganz aus Marmor errichtete, mit kostbaren Farbsteinmustern verzierte Villen, überkrustet von bewegten Szenen des Heldentums und der Tragödie. Anmutige Türme durchbohrten den rauchigen Himmel. Fast schien es so, als spießten ihre Spitzen die Wolken auf.

In Braithwairn herrschte eine trügerische Aura von Vornehmheit, Kunstsinn und Bildung. Die Bewohner plauderten, mit Purpurgewändern angetan, in honigfarben beleuchteten Gemächern bei einer Tasse Tee über Schönes. Die Luft war geschwängert vom Weihrauch, durchzogen von Lautenklängen.

Man überspielte die Hitze. Man wollte Berichte von den Nordküsten nicht wahrhaben, die vor uralten Schiffswracks und schwimmenden Festungen warnten, an gewaltigen Ketten gezogen von Ungetümen und allesamt dem Meer entstiegen. Nichts erfahren über die Besatzungen dieser gleitenden Bollwerke, die Stadt um Stadt in die Sklaverei führten.

Auch die Nachricht, dass eine Meute untoter Frostriesen durch die Ödnis zwischen den Städten streifte, war unwillkommen.

Nein, derlei Kunde wies man weit von sich, um weiter einem Leben zu frönen, dessen zuckendes Erlöschen man nicht begreifen wollte.

Im Herzen der Hauptstadt erhob sich der Palast der Königin mit einer Vielzahl an Kammern, Höfen und Galerien, ganz errichtet aus gehärtetem Alabaster. Er stand so prunkvoll wie Furcht einflößend aufgerichtet, kündete von der Stärke und Weisheit der Herrscherin Königin Kyralia der Dritten von Emrick. Jenseits seiner Umfriedung schob sich das Gewimmel der Stadt voran, ein Menschenteppich, vielfältig und bunt wie die Banner, die auf den Wällen flatterten.

Vielfältig in seiner Torheit und bunt besessen vom Wahn, das nahende Unheil in Abrede stellen zu wollen, dachte die einsame Gestalt. Die massig untersetzte kleine Frau wandelte durch diese Straßen, wann immer sie sich ohne das Wissen der Begleiter aus der Henkerschlinge davonschleichen konnte.

Sicher, an diesem Ort wurde das Wissen über alles verehrt, und Gelehrte, Philosophen und Dichter ergingen sich neben Dirnen und Adligen. Man wetteiferte in allen Künsten.

Niemand wusste das besser als Gjala, die lange unter ihnen gelebt und für sie musiziert und rezitiert hatte. So sehr liebten diese Narren ihre ausgeschmückte Weisheit und Vernunft, dass sie beschlossen hatten, nunmehr, da die Stadt dieser Tugenden in nüchterner Form während höchster Not bedurfte, beiden Lebewohl zu sagen.

Gjala Ausmundarsdottir, genannt Bierschaum, verachtete die Rundohren für diese Verleugnung des Unausweichlichen, kam aber nicht umhin, sie angesichts drohender Gefahr vor ihren Stadtmauern um diese Fähigkeit zu beneiden.

Es mochte ein erhabenes Gefühl sein, sich der Wirklichkeit so gelassen entziehen zu können, eine Fähigkeit, die nicht einmal eine Zwergenbardin wie sie besaß, die doch mit Worten Legenden zum Leben erwecken und die Ränkereigen der Großen nachzuspinnen imstande war. Ihr Gesicht spiegelte nicht nur beim Gedanken an das Gelichter in der Hauptstadt tiefe Gefühle der Trauer, Wut und Schuld wider.

Gjala seufzte schwer bei der Erinnerung an Limbo, jenen lieb gewonnenen Schurken, der durch die Hand der Emissäre ein schlimmes Ende gefunden hatte. Er war der unschicklichste aller Freunde für sie gewesen und doch zur Quelle des Trosts und der Kameradschaft geworden. Säule des Halts auf einer vom Sturmwall umgebender Wettermächte eingepferchten Inselgruppe, deren Landstriche verbrannten oder von seltsam mächtigen Invasoren ins Meer gesogen wurden und deren Bewohner nach Maßgabe der wohl letzten lebenden Zwergin den Verstand verloren.

Limbo war fort, dahingegangen. Von Kräften verschlungen, die sie weder begreifen noch aufzuhalten vermochte.

»Verflucht seien sie alle!«, stieß Bierschaum grimmig und mit erstickter Stimme hervor. »Verdammt seien sie in ihren Tiefen!« Sie ballte die Fäuste. Das Gewicht von Limbos Tod lastete schwer auf ihrem Gemüt, wie eine Ankerkette drohte sie der ziehende Schmerz zu den Invasoren in die Tiefe des Ozeans hinabzureißen.

Einer ihrer geliebten Freunde. Tot nun. Sein Leben geopfert, um das ihre zu retten. Ihr Volk, ins Dunkel entschwunden. Schmiedegott Kurzukhuun allein mochte wissen, wo die Drazok Dhar nun steckten.

»Limbo«, flüsterte sie. Der Name drang als erstickter Laut aus ihrer Kehle. »Es tut mir so leid. Ich meine auch, wie wir dich behandelten. Du hättest Besseres verdient.«

Sie blinzelte die Tränen weg, wollte sich schwächliche Trauer nicht erlauben. Das verbliebene ihrer einst zwei Herzen pochte im Gegentakt zum Vibrieren des Amuletts, das ihr Vater ihr nach dem Schicksalstag im Stollen geschenkt hatte. Sie schnaubte.

Es blieb kein Augenblick für Trauer, nicht wenn solch furchtbare Gefahr allgegenwärtig war. Die Emissäre hatten angesichts der Blindheit der Rundohren den Belagerungsring um die Hauptstadt zugezogen, ihre Heere standen bereit zum Angriff.

»Limbo«, beschwor Bierschaum den Toten erneut und mit härterer Stimme. Sie sprach klar, geleitet von Kampfeswillen, sie, die gezögert hatte, nach der Axt zu greifen und einen Frostriesen zu erschlagen, als es um ihr eigenes Leben ging. »Ich schwöre beim Schmied, dich zu rächen. Ich lasse die Befehlshaber der Emissäre bluten für die gemeine Untat an dir. Das schwört dir die einzig Wahrhaftige aus einem Volk von Lügnern.«

3

Er brauchte dringend einen Schnaps … und zugegebenermaßen seit Wochen ein Bad. Irgendwann klebten abgelagerte Ausdünstungen selbst an einem Leib, dessen Haut Schmutz und Parasiten verbrannte. Mit eigenem Duft.

Im Zwielicht des Unterschlupfs ließ Kato Tamasine die müden Augen einmal mehr über die in den Runenstab geritzten Symbole gleiten. Seine mit eigenen rot glühenden Zeichen bedeckten Finger fuhren ohne jeden Schutzhandschuh fiebernd unermüdlich jede Windung ab.

Als könne er die darin verborgenen Geheimnisse zwingen, nach Monaten des Schweigens ihr Innerstes preiszugeben.

Diese Besessenheit verzehrte den Lohenmagus brutaler als das Feuer seines Fluchs. Er vergaß darüber die Sorgen und Ängste der Freunde.

Kincaid winselte anrührend. Kato warf einen Seitenblick auf den Hund. Dem Tier mangelte es an Auslauf und gutem Fressen, seit Katos Studium der Geheimschrift des Runenältesten der Drazok Dhar aus Kundrheim alles andere beherrschte. »Du bekommst bald etwas Leckeres, alter Knabe. Herrchen muss nur eben verhindern, dass Selachis verbrennt und von Meeresrittern verheert wird. Feststellung: Ein gewöhnlicher Wochenanfang beim tausendsten Versuch, Runenvater Danghbrans Mysterium zu lüften.«

Der Magier gönnte sich das verschmitzt müde Lächeln, das Bowden Verdian so sehr hasste.

Als hätte bereits dieses schüchterne Schmunzeln ihn heraufbeschworen wie einen Dämon, stießen die beschlagenen Panzerstiefel des Paladins fordernd gegen die Tür von Katos Dachzimmer.

»Deserteur«, bellte Bowden heiser und betrat den Raum, ohne anzuklopfen. »Wir müssen reden.«

»Die Kakerlaken in diesem Loch werden fetter und immer dreister«, murmelte Kato seinem Hund zu. »Muss die Miete mindern. Falls hier nicht alles vorher abfackelt.«

»Alles außer dir, meinst du«, knurrte der Paladin. »Du wirst am Ende einsam auf Selachis hocken. Du zwischen kokelnden Baumstümpfen und Brandleichen. Kennst du ja.«

Statt Bowden anzusehen, betrachtete Kato den Runenstab, die lodernden Augen an die Muster geheftet. »Gemach, Blechmann! Ich bin nahe daran. Ich fühle es.«

»Deserteur, du findest keine Lösung, wie schief du auch auf das Ding glotzen magst. Gjala ist in Aufruhr, büxt dauernd aus. Die hätten sie längst in Fängen, würde Tanaqui ihr nicht zum Schutz folgen. Wir brauchen Antworten, rasch.« Bowdens Atem ging schwer. »Du weißt es, auch wenn du diese Kammer nie verlässt. Irgendwelche Galgenstricke belauern dieses Haus. Die Emissäre haben uns umzingelt. Da ist eine Armee von krummem Gezücht. Bestien, wie ich keine je gesehen habe. Jeder Entsatz, alle Gegenwehr, scheint im Staub zu liegen. Die Stadt spielt blinder Mann, säuft und hurt sich in den Untergang. Nur eine Frage der Zeit, bis der Abschaum im Viertel wittert, was im Busch ist. Und schon fließt Blut.«

»Umso wichtiger, dass wir bleiben«, erwiderte Kato ohne Zögern, den Stab fest im Blick. »Die ersehnten Antworten liegen hier vor mir. Ich gehe nicht, bevor ich sie begriffen habe.«

»Soldat!«, blaffte Bowden im Befehlston, doch der versagte ihm den Dienst. »Wir sitzen in dieser Stadt gefangen, und Gnade uns, wenn wir nicht bald entkommen.« Gram färbte jede Silbe aus dem Mund des Paladins.

»Wähnst du mich einen Narren, Wachhund? Ich spüre die Glut am Horizont jede Nacht glosen, bevor ihr sie nur seht. Ich merke, wie viel schwerer das Atmen fällt. Die Luft schwindet, der Wald kann nicht genug davon spenden, so viel wie das Feuer vertilgt. Wir besitzen keine Gegenkraft als die Zeichen des Runenvaters von Kundrheim, Blechmann. Ich will dieses Rätsel unbedingt lösen.« Kato spürte, wie Zorn in ihm aufwallte. Sein Versagen beim Entziffern der allein rettenden Botschaft, die Kameraden Tag für Tag vertrösten zu müssen, alles dies forderte seinen Tribut.

»Wir müssen den Schlüssel anderswo suchen«, seufzte der Paladin.

Kato versagte dem Gotteskrieger die Antwort. Seinem feurigen Blick wohnte nichts mehr inne als der unbedingte Wille, das Rätsel zu lösen. Kincaid gab ein tiefes Brummen von sich, so voller Überdruss, wie Kato sich fühlte.

Bowden schnaubte. Schließlich nickte er feierlich und fügte sich der Weisung des Schicksals. Kein heiliges Gepolter mehr. Was im Herrenhaus der Verdians geschehen war, hatte Bowden tiefgreifend verändert.

Der Kamerad aus Kriegstagen setzte zur Entgegnung an.

Doch als Bowden den Raum wortlos verließ und die Tür sacht hinter sich schloss, richtete sich Katos Blick wieder auf den Runenstab. Seine Mysterien verschlangen ihn.

»Dieser Dialekt …«, hörte er sich murmeln. »Wenn Gjala die Runen nicht entziffern kann, eine Bardin der Zwerge … wie soll es mir gelingen!? Uns bleibt nur eine Wahl, alter Knabe. Ich weiß genau, wer das hier versteht. Ihn aufzusuchen, davor graut mir mehr als vor allen Emissären.«

4

Der fahle Mond ergoss seinen Schimmer über das nasse Pflaster. Kaum durchdrangen müde Kienspanlichter die rußige Patina über dem Gassengewirr.

Bowden und Tanaqui huschten durch die Schatten.

»Geduckt halten!« Tanaqui zischte gegen fernes Hundekläffen an. »Bleib hinter mir!«

Verdian nickte, seine Augen flackerten wie Zwillingsglut, als er es Tanaqui nachtat. Er wusste um die Meisterschaft einer Elfenkundschafterin im Anpirschen.

Die beiden verbargen sich unter Kapuzenumhängen, schwarz wie die Nacht selbst, und verließen den Unterschlupf durch eine Geheimtür des Kohlenkellers. Vorsicht war vonnöten.

Als sie tiefer in das Elendsviertel vordrangen, spürte Bowden, wie sich ein Knoten eiskalter Wachsamkeit aus Kriegstagen in seinem Leib zusammenzog. Die Gesetzlosen, die hier hausten, waren für ihre Gerissenheit berüchtigt. Und das Messerohr besaß kaum Erfahrung im Straßenkampf.

Doch trotz aller Gefahr mussten sie erkunden, wer das Haus ausspähte und für wen ihre Häscher arbeiteten. Weder er noch Fuchstochter ertrugen weitere Untätigkeit.

»Warte!«, raunte Tanaqui, packte Bowden am Arm und zog ihn in den Schutz einer Gasse. Ihre scharfen Sinne witterten Gefahr, und Bowden vertraute ihrem Spürsinn.

Sie drückten sich stramm an die Ziegelwände, hielten den Atem an und spähten in das weiterführende Sträßchen.

Ein Trio von Raufbolden trat aus den Schatten und schlenderte raubtierhaft über das Pflaster. Bowden erfasste das grausame Funkeln in ihren Augen, die Dolche in abgewetzten Scheiden. Goldglanz.

»Gildennadeln. Zunftzeichen«, hauchte er ihr ins Ohr.

»Haben bei euch Rundohren sogar Verbrecher eine Zunft? Überaus abstoßend«, murmelte sie.

Er nickte angewidert, ausnahmsweise ihrer Meinung.

Bandensoldaten, ohne Zweifel. Mordbrut.

»Siehst du den da?« Tanaqui flüsterte, ihr Atem heiß an Bowdens Ohr, als sie auf den größten der drei zeigte. Verdian erschauerte vor so viel weiblicher Nähe. »Wie der sich ständig umschaut? Er sichert sie ab.«

»Gut erkannt«, wisperte der Paladin, während sich seine Finger um den Griff seines Stoßschwerts auf Hüfthöhe schlossen. »Hinterher. Sie führen uns zum Auftraggeber.«

»Einverstanden«. Die Augen der Wüstenelfe glommen. »Aber wenn sie Wind von der Verfolgung bekommen …«

»Schon klar«, unterbrach sie Bowden, die Stimme selbst im Raunen schwer und entschlossen.

Insgeheim erhoffte er sich einen Kampf. Der Architekt ließe keine Gnade über das Gesindel walten. Bowden bekäme wieder Luft.

Gemeinsam glitten sie durch die Dunkelheit, vorsichtig bei jeder Bewegung, während sie den Banditen durch das Labyrinth des Viertels folgten. Ein Stolpern mochte ihnen allerlei übles Volk auf den Hals hetzen.

Bowden rechnete damit, dass ein üppiges Kopfgeld auf sie ausgesetzt war. Er erinnerte sich an den Hass der Riesin, der über den Fjord hallte. Sie würde alles tun, um Gjala in die eisigen Pranken zu bekommen.

Es dauerte nicht lange. In der Düsternis einer tödlich stillen Gasse lehnten Bowden und Tanaqui an rauem Fachwerk.

Sie sahen, wie sich die Raufbolde um eine schemenhafte Gestalt scharten. Ihr Anführer strahlte etwas von einem Patrizier aus, der freilich üble Zeiten erlebt hatte, mit silbrigem Haar und schütterem Bart im Falkengesicht.

Der Verbrecherfürst musterte seine Soldaten mit stählernem Blick, geschmiedet aus unzähligen Grausamkeiten.

»Den kenne ich«, flüsterte Bowden Tanaqui zu. »Rennick heißt er. Hohes Tier im Rattenbau.«

»Geduld«, mahnte sie mit kaum vernehmlicher Stimme.

Bowdens scharfem Ohr entging kaum etwas. Tanaqui lauschte besser als Fuchs und Eule. Sie hörten jedes Wort.

Rennicks Knurren geisterte durch die klebrige Nachtschwüle. »Mein Schätzchen Kato bleibt vorerst am Leben. Wir greifen den Unterschlupf nicht an, bis ich es sage. Will erst mit dem Jungen reden. Das schulde ich ihm.«

Bowden knirschte mit den Zähnen. Er wusste bestens, woher Rennick Kato kannte. Aber das ging die Elfe nichts an.

Unter Rennicks Männern rumorte es bei dem Gedanken, eine lebende Kriegswaffe mit Drachenatem nicht sofort und mit einem Machtschlag unschädlich zu machen. Doch keiner wagte, den Anführer infrage zu stellen.

»Seltsam«, überlegte Tanaqui. »Wieso sollte er zögern, Kato zu töten, wenn er ihn kennt?«

Bowden lenkte rasch ab. »Weshalb auch immer, uns nutzt es.«. Seine Gedanken rasten. »Wir müssen mehr erfahren«.

»Schnappen wir uns einen von denen!« stieß sie hervor.

»Siehst du den Haufen Unrat auf Beinen?« Bowden deutete auf einen drahtigen Kerl, der etwas abseits stand und sich an räudigen Entzündungen kratzte. »Schon der Atemzug eines aufrechten Mannes fällt ihn.«

»Beute«, hauchte Tanaqui.

Als sich die Gesetzlosen zerstreuten, folgten Bowden und Tanaqui dem Räudigen leiser als Schatten durch die Nacht.

An einer Ecke verrichtete er prompt seine Notdurft.

»Bereit?«, fragte Bowden, die Hand am Schwertgriff.

Tanaqui antwortete nicht, sondern zückte ihren Dolch.

Im Handumdrehen rückten sie dem Schurken auf den Leib, der mit schiefem Grinsen seine Pfütze maß. Bowden schoss vor, packte den Kerl und schleuderte ihn gegen die Wand. Eine mächtige Pranke legte sich über dessen Mund.

»Hör gut zu!«, zischte Bowden dem Überrumpelten ins Ohr. »Du verrätst uns Rennicks Pläne. Hilfst du uns, kommst du vielleicht mit heiler Haut davon.«

Die Augen des verlausten Schlägers weiteten sich vor Schreck und sprangen zwischen Bowden und Tanaqui hin und her, auf der Suche nach einem Fluchtweg. Beim Anblick der dämonisch leeren Augen des Messerohrs nickte er eifrig, Angstschweiß überzog sein Gesicht wie ranziges Öl.

»Gut. Dann rede. Aber hübsch leise.«

Doch mit jeder Silbe, die das dreckige Maul des Burschen verließ, wuchsen in Bowden Unglaube und Wut. Als er bei Rennicks Auftraggeber anlangte, reichte es dem Paladin. »Du lügst«, fuhr er den Gefangenen an.

»Jedes Wort stimmt«, versicherte der Räuber flehend. »Der Auftrag stammt von ihr und …«

Bowdens Faust und sein Ellbogen machten sich selbstständig. Er drosch den Galgenstrick mitten im Satz bewusstlos und ließ ihn schwer aufs Pflaster fallen.

»Bist du von Sinnen?«, empörte sich Tanaqui. »Er kam gerade zum Kern der Sache. Wenn stimmt, was er sagt …«

Bowden wandte sich ihr mit einem solchen Ruck zu, dass sie zusammenschrak. Er sah ihr geradewegs in die Augen, ihr Dolch schwebte stoßbereit vor seiner Brust.

»Wir bewahren Schweigen über sein Gestammel«, befahl er.

5

Der Tag danach endete wie alle seine Vorgänger der letzten Monate, trist und zu schwül, während die Sonne ihre Reise hinter Mauerzinnen und Spitztürmen antrat.

Die Götterschmieden wüteten in leeren Zwergenstädten unter den Inseln, es ließ sich nicht leugnen. Ebenso wenig, wie die Tatenlosigkeit des Menschenkönigreichs Emrick, der einzig kriegsfähigen Großmacht auf dem Archipel.

Bowden umklammerte die Blechtasse so fest, dass Tanaqui schon befürchtete, er könne eines der wenigen sauberen Trinkgefäße des Unterschlupfs zermalmen.

»Wenn du dein Schwarzwasser nicht willst, gib es nur mir!«, schlug sie munter vor. Seit ihrer Zeit in der Wüste liebte sie den Geschmack des Gebräus und wie es die Sinne schärfte.

Aufreizend langsam schlürfte er das Getränk und ließ sie nicht aus den Augen, bis er sich wortlos zu einem der wenigen Gaubenfenster ihres Dachverstecks umwandte. Mit einem Finger schob er den Vorhang beiseite.

»Die verschwinden nicht nur auf böse Blicke hin.« Gjala kippelte am roh gezimmerten Tisch, die Beine auf die Platte gelegt, die Arme an der Wand im Nacken. Eine wagemutige Sitzhaltung, so als fordere die letzte Zwergin des Archipels das Schicksal heraus.

Tanaqui begriff, welch begnadete Schauspielerin die Unterirdische war und eigene Seelenqualen verbarg.

»Hartnäckig wie die Fischritter und ihr Kroppzeug«, fuhr die Zwergin fort. »Gute Wünsche bringen einen Skitja. Wäre es anders, meine Leute befänden sich noch hier. Und Limbo.«

»Gjala«, bat Tanaqui. Das Dunkel in den Worten der Freundin schmerzte. Sie ertrug kaum ihre Bitterkeit.

»Sie hat recht«, grollte Bowden, während er die windschiefen Häuser der Würgeschlinge im Blick behielt. »Fromme Wünsche schaffen uns die Häscher nicht vom Hals. Sie vertreiben auch keine Emissäre.«

»Nur allzu wahrer Gedanke, doch bekämpft von deiner hehren Kirche, Blechmann«, spottete Bierschaum.

»Was?«, gab Bowden verärgert zurück und suchte die Straße mit unruhigen Blicken ab. »Denkst du, ich kehre dem Architekten den Rücken, nur weil ich fromme Wünsche verwerfe? Nein, der Herr der Städte hilft den Tüchtigen und Mutigen.«

»Ich meinte das nicht so ernst«, wehrte Gjala mit winkender Geste ab.

Tanaqui preschte vor. »Und eine solch treue Gesellschaft habt ihr Menschlinge ins Werk gesetzt. Nicht wahr, Bowden?«

Mit einer Mischung aus Gram und ihn selbst verstörender Offenheit fuhr der Paladin herum.

»Nein. Das haben wir ganz und gar nicht. Ich kehre in die Stadt zurück, die ich mit Eiden, Diensteifer, Glauben und Leib auf Schlachtfeldern verteidigte. Und keiner hier schert sich einen Dreck um tödliches Dräuen in der Welt. Die Ungeheuer, Feuersbrünste, die Teile des Landes verheeren – die Mächtigen in ihrer Schwelgerei ficht das nicht an.«

»Man spürt, wie sehr es dich schmerzt«, meinte Tanaqui und lächelte Bowden schüchtern an.

Eher würde er deinen Schädel am nächsten Stein zermalmen als zurückzulächeln, schalt der Große Jäger in ihrem Geist. Schon juckten ihre Hautbilder.

Sie konnte schwerlich widersprechen. Seit ihrer Nachtmission plagte Bowden so schlechte Laune wie einen Vielfraß sein Eiterzahn.

Zu ihrer Überraschung – und der des Jägers – setzte der Paladin zu einem Lachen an. »Vermaledeit seien sie alle!«, platzte er so brüsk heraus, dass Gjala fast vom Stuhl fiel. »Was denn?«, fragte Bowden großspurig. »Ich muss nur verteidigen, was sich Schild und Schwert auch verdient. Ich habe gelobt, Heil, Land und Volk des Architekten mein Leben zu weihen und nicht jede Lügenratte, jeden käuflichen Magistrat mitzuschleppen. Pech und Schwefel über sie! Kato windet sich aus jeder Zwangslage und findet stets den Stein der Weisen.«

Gjala räusperte sich so auffällig, dass Tanaqui und Bowden hinsehen mussten. »Ich weiß, du magst es nicht, wenn man deine Tiraden nicht gar so ernst nimmt«.

Tanaquis Blick schweifte zu Bowden hinüber. Nachdrücklich bestätigte er die Zwergin, indem er zu verschränkten Armen gleichsam die Nüstern blähte wie ein mürrisches Streitross.

Gjala ließ sich nicht beirren. »Aber vergiss nicht, du kannst dein Volk wenigstens verachten. Meine Stämme entpuppten sich als Sklavenhändler, Menschenschinder, bevor sie durch Zauberwerk verschwanden. Ich erwache jeden Tag und weiß nicht, ob ich verzweifelt sein soll, mit all dem Schmerzenswissen weiterleben zu müssen. Oder eher glücklich, dass die Lügner niedergingen.« Ihre Augen schwammen in Tränen.

»Gjala!« Tanaqui sprang auf. »Sag so etwas nicht!«.

Statt zu antworten, bedachte Bierschaum sie mit traurigem Lächeln. »Von dir hätte ich mehr Verständnis erwartet, Tanaqui. Die Rundohren haben eure Wälder gerodet, eure Heimat ihren Reichen einverleibt und euch selbst in Schemen verwandelt, die entweder in Ruinen das Gestern beklagen oder ziellos durch die Wüste streifen.«

Tanaqui setzte zur Erwiderung an, doch Bierschaum ließ ihren Stuhl nach vorn kippen und gebot ihr Einhalt. »Kein Streit! Wir schlagen uns mit wahrhaft anderen Wunden und Sorgen herum. Was mich zu meiner Frage zurückführt, die ich stellen wollte, bevor Hochwürden seine Elendsviertel-Predigt vorbetete.«

»Gib bloß acht!«, spuckte Bowden vom Fenster zurück. Beide Frauen hörten ein Lächeln mitschwingen.

»Im Namen liegt nun einmal Macht«, betonte die Zwergin.

»Danke für die Rückbesinnung auf mein erstes Jahr als Klosterschüler«, unkte der Paladin.

»Worauf willst du hinaus, Bierschaum?«, fragte die Waldelfe. Sie stieß sich von der Wand ab und ließ sich neben der Freundin auf einem Stuhl nieder.

»Auf die Emissäre. Ihr erinnert euch sicher, dass Tanaqui einem Dokument nach Norden folgte, genasführt von einem Zwergennamen darin, einem reinen Wortspiel der Drazok Dhar. Eine Finte, um die Männer des Emirs zu narren.«

»Sicher«, entfuhr es Tanaqui und Bowden wie aus einem Mund.

»Putzig.« Gjalas Miene wurde todernst. »Jedenfalls habe ich mich gefragt, warum man die Tiefen, die uns Limbo gewissenlos entrissen, Emissäre nennt.«

Schlafwandlerisch langsam wandte sich der Paladin zu der Zwergin um. Düster versonnen runzelte er die Stirn. Wangen bebten, Kiefer mahlten.

Woran denkt er?, fragte sich Tanaqui innerlich erregt. »Ein gewichtiger Hinweis«, gestand die Reiterin der Freundin gegenüber ein. »Zumindest hat Bowden seine Geschimpfe eingestellt.«

»Wichtig in der Tat!«, spann der Paladin die Eingebung weiter. »Ein Emissär ist so etwas wie ein Herold. Ein Abgesandter. Wenn hier kein Sinnbild versteckt liegt, wo sonst?«

Bierschaum nickte. »Genau darauf zielte ich ab. Das Herumlungern hier wollte ich nutzen. Bis sich der Robenknecht eingesteht, die Geheimsprache unseres ältesten Runenschmieds niemals entziffern zu können, bin ich simpler Kunst gefolgt: dem Wörterschmieden. Zumindest dazu tauge ich.«

»Stell dein Licht nicht unter den Scheffel, Gjala! Du bist eine Großmeisterin der Verse«, pries sie der Ritter.

Gleich wird er sie töten. Er ist von Sinnen, befand der Große Jäger, den die jähe Milde des Paladins so wild zu beuteln schien wie Tanaqui und Gjala.

»Entsandte«, bekräftigte Gjala mit düsterer Miene. »Niemand nennt sich so, wenn er nicht im Auftrag handelt. Beinahe jeder andere Titel hätte für sie getaugt. Wir wissen, welche magische Kraft im Bezeichneten steckt, denn Magie ist ein Schöpfungsakt. Alles hängt an den Zeichen. Denkt an Runen, Amulette …«

»Anmerkung: Es liegt gewissermaßen auf der Hand«, ging eine raue Stimme dazwischen. Kato stand im Türrahmen der Dachstube. »Heiße Lohe verschlingt den Archipel, und plötzlich regen sich Gestalten, welche die Wasser des Meers aufs Land wälzen. Schöpfungsakt, nicht zu kurz gegriffen! Und guten Abend …«

Tanaqui musterte den Lohenmagus, der über Monate ihr Gefährte geworden war, nach allem, was sie ihm als Kind angetan hatte. Bisher hatte sie Kato nicht zu gestehen gewagt, dass sie als Elfenkriegerin das alchemische Kontor seines Vaters mit angezündet und die Familie des zukünftigen Magiers ausgelöscht hatte. Seine Vergeltung wäre furchtbar, ihre Mission verloren.

Am meisten fürchtete sie die eigene Reue. Für die jugendliche Frühlingselfe bar jeder Moral – als Soldatin im Dritten Unwerthkrieg – zählten Menschen noch zur Jagdbeute. Bei Kato hatte sich das gewandelt. Bei allen Gefährten.

Sogar Limbo hatte sie seinerzeit schätzen gelernt. Der eklig wirkende Gesetzlose hatte sich als tiefgründig und opfermütig erwiesen. In der Zwergenstadt unter dem Dorf Dunkelfall hatte der Dicke ihr Leben gerettet. Doch seine offenbar gewordene übermenschliche Kraft hatte ihn selbst nicht vor dem Tod bewahrt, als es galt, Gjala zu retten.

Als läse er ihre Gedanken, blickte Kato zu ihr herüber. Er lächelte schief, was durch die Glut unter der Kapuze zur gewohnten Fratze eines verschmitzten Dämons gerann.

»Kaffee?«, erkundigte sich der Magier, der auf Tanaqui weit verhärmter wirkte als zu Beginn ihrer Reise im Hochsommer. Dafür zeigte sich sein Hund Kincaid seltsam ausgelassen. Selbst im düsteren Unterschlupf glänzte sein Fell gesünder als früher.

»Seine Durchlaucht, Bowden Rumpelstahl aus dem Hause Verdian, hat sich vor kurzer Weyl an jenen famosen gebrühten Spezereien des fernen Südens gar sehr delektieret«, spöttelte Gjala mit todernster Miene.

»Schandmaul halten!«, versetzte Bowden grinsend. Für diesen einen kostbaren Augenblick erschienen sie als verletzliche, herrlich unbeholfene Familie.

»Wer hat sie nun geschickt, die Emissäre?« Tanaqui platzte in die traute Stille hinein. Augenblicklich wandte sich Bowden wieder der Wacht am Fenster zu und starrte ins tödlich samtige Nachtdunkel.

Kato schlurfte durch den Raum und verzog das Gesicht.

Der Feuerzauberer merkte, wie lange er grübelnd nebenan gesessen hatte. »Zugeständnis: Schwer zu sagen«, erwiderte er unwirsch, hielt aber inne. »Derartige Macht lässt eher auf einen Zirkel von Anführern schließen. Dazu noch Handlanger und Häscher.«

»Was ist mit der Riesin?«, erkundigte sich Bierschaum. »Diese Jötnar, die über dem Fjord thronte und uns allesamt austilgen wollte?«

Kato schnappte sich die leere Blechtasse vom Tisch und kochte sich mithilfe von Eigenhitze einen Kaffee. Es zischte, als die Zauberzeichen in seiner Haut aufglommen, das Gebräu blubberte und dampfte. Er nahm einen versonnenen Schluck und wies mit der Tasse zu Gjala hinüber.

Tanaqui begriff und erklärte die Geste. »Auf dich hatte es die Königin der Frostriesen abgesehen. Auf die letzte Zwergin. Das schrie sie über den Fjord. Und vergessen wir den Schamanen nicht, den Berserker unter Dunkelfall.«

»Ihr Name ist Velkha Whulfbodhir«, ergänzte Bowden vom Fenster her über die Schulter hinweg. »Sie ist eine Küstenlegende, und man hatte ihr aufs Übelste zugesetzt.« Er schnaubte. »Ich war ein Kind, als man ihren Vater harpuniert und von Gäulen gezogen ausstellte wie einen Finnwal zum Abtranen. Laut den Skraemar suchte die Jarlin Velkha im Meer den Freitod, doch sie sprang hinein, um eine Streitmacht für ihre Rachepläne auszuheben.«

»So schwer es mir zuzugeben fällt: Bowden hat recht.« Kato nickte über sein Schwarzgebräu hinweg. Kincaid winselte und schnappte nach einem Schatten, erwischte stattdessen seine Zunge und jaulte. Keiner machte sich über ihn lustig.

Bowden schnaubte. »Ein großes Lob von einem dreckigen Deserteur, der nicht auf meinen Rat gehört und uns in die Falle getrieben hat. Wir könnten längst auf der Insel unterwegs sein und Götterschmieden löschen.«

»Weil sich das als so überaus wirksam erwies, oh, mächtiger Wachhund«, spöttelte Kato. »In Kundrheim versuchten wir es doch. Tagelang trieb ich euch ohne Nahrung und Rast durch eine Mine entflammter Kohleflöze und erzürnter Riesensalamander. Und der zweite Runenstab war unser ganzer Lohn. Und richtig, wir können in Braithwairn kaum jemandem vertrauen. Aber das Wissen, die Geheimsprache zu entschlüsseln, finden wir nur hier. Das war uns doch allen bewusst.«

»Und deshalb schmorten wir monatelang in diesem Loch, statt Archive zu durchwühlen«, presste Bowden hervor.

»Äußerste Vorsicht war das Gebot«, entgegnete Kato kühl.

Tanaqui entging der flackernde Blick des Zauberers nicht. Sein Puls ging rascher. Ihr Elfenohr, im Krieg zur Menschenjagd geschult, erlauschte jede Regung.

Warum lügt er?, fragte sie sich.

»Geht das Gebicker wieder los?«, schimpfte die Zwergin. Bierschaum rang innerlich mit dem Gram um Limbo. »Das führt doch zu nichts«, entfuhr es ihr. »Es befreit uns weder aus dieser Falle, noch löst es das Runenrätsel. Kato, eure Weisen und ihre Folianten kenne ich zur Genüge, habe bei einigen sogar studiert, mit heißem Bemühen. Eine angehende Bardin bildet Herz und Geist.« Sie schüttelte den Kopf. »In Wahrheit stecken wir einfach nur gemeinsam im Schlamassel. Und eure Magier in deinem Turm sind verblendet. Ohnehin würde ich ihnen den heiligen Stab niemals anvertrauen. Er trägt die Geheimnisse meines Volkes, wie der oberste Runenvater sie niedergelegt hat. Vergiss nicht, wie tief sein Priester unter Dunkelfall überzeugt war, dass der Langbart einem Irrweg folge. Der Stab ist meine Bürde, ich allein bestimme, wer ihn zu sehen bekommt.«

»Gjala hat recht.« Tanaqui lächelte traurig. »Wir gelangen nicht dorthin zurück, wo wir im Leben einst standen, können Fehler nicht ungeschehen machen. In dieser Stadt sind wir nur unnütz. Wir könnten den Menschentruppen nichts von Belang über die Emissäre mitteilen. Selbst wenn wir ihnen vertrauten. Auf dem Schlachtfeld bei einer Belagerung zu verbluten, darin sehe ich keinen Sinn. Ich bin hier, um Wälder zu retten.«

»Sah vor den Toren von Kundrheim anders aus«, erinnerte sie Bowden.

»Seinerzeit blieb uns keine Wahl. Sie rückten so nahe, dass mich ihr fischiger Pesthauch fast schon durch Ekel besiegte.« Allein bei der Erinnerung lief es Tanaqui kalt über den Rücken.

»Und fischig entglitten ist uns nochmals das Wichtigste. Eine Wahl.« Kato schlürfte seinen Zauberkaffee aufreizend langsam und tunkte glühende Tätowierungen ganz nach Laune in das Gebräu, sobald es abkühlte.

Gjala wurde es zu bunt. »Ich habe keine Lust mehr, weitere Zeit zu vergeuden, und schäme mich jetzt schon, wie übel wir Limbo mitgespielt haben. Er ist doch nicht so jämmerlich und zugleich tapfer von uns gegangen, nur damit wir hier ein stichelndes Schwarzwasserkränzchen abhalten.«

Wieder nahm Tanaquis Feingefühl wahr, wie sich Kato bei den Worten der Zwergin kaum merklich zusammenkrümmte. Kein Zweifel, etwas trieb ihn um. Beiläufig nahm sie den Speer von der Wand, spielte mit den Daumen in den feinen weißen Handschuhen, die wie ihre übrige Gewandung die bleiche Haut vor der Sonne schützen sollten. Spielerisch drohend musterte sie den Magier, als wäre er nicht mehr als eine Jagdbeute. »Du weißt weit mehr, als du uns verrätst, Kato«, flötete Tanaqui begleitend.

Er betrachtete sie einige Herzschläge lang belustigt, durchschaute sie aber. »Das Vorrecht jedes Magiers. Jedes Wesens eigentlich.«

Bowden schnaubte verächtlich. »Ganz neue Töne!«

»Bowden!«, flehte Gjala.

Kato seufzte. Er betrachtete seinen Trunk wie ein Mann, der aus langem Traum erwachte. »Mich trieb Besessenheit, den Stab zu deuten, doch aus gewichtigen Gründen. Ich glaube, ich kenne Eingeweihte in die Runen, allerdings wenig freundliche.« Er nahm einen kräftigen Schluck.

Statuensteif wandte sich Bowden um. Er erinnerte Tanaqui an eine Lawine, die sie einst gesehen hatte. Seinerzeit hatte sie nicht begreifen können, wie etwas zugleich den überstürzten Tod brachte und doch sich so gemächlich wälzend wirken konnte. Der dauernde Sturm, der sich in den Augen des Paladins beim Anblick seines Vaters gelegt hatte, kehrte ungebändigt zurück.

»Du glaubst … Eingeweihte zu kennen. Das erfahren wir nach Monaten in dieser Punze von einem Haus«, schnaubte der Gotteskrieger.

Gemessen und ohne jedes schiefe Grinsen hob Kato die Hand, um seinem Wachhund Einhalt zu gebieten. »Gut aufgemerkt: Gefahr haftet ihnen an. Starke Gründe ließen mich verzweifelt forschen, statt sie aufzusuchen, Bowden.«

Es klang wie eine Lüge. Offenbar wollte er sich selbst nicht eingestehen, wie lange ihn der Runenstab genarrt hatte. Zwei Schritte von Tanaqui entfernt ballte Bowden den Panzerhandschuh so fest zur Faust, dass das Metall knarrte. Das Mahlen seiner Zähne stimmte mit ein. Sie erlebte einen Vulkan vor dem Ausbruch.

Schlagartig verrauchte sein Zorn, als Kato zwei Worte aussprach. »Die Sümpfe.«

Bowden ließ die Faust sinken.

»Was ist mit den Sümpfen?«, erkundigte sich Gjala. Nur Weniges verbarg sich vor der Weltkenntnis einer zwergischen Bardin. Katos zwiespältiges Geheimnis vertrieb für einen Moment sogar den Gram über Limbo aus ihrem Blick.

»Gemach!« Kato winkte ab. »Lageeinschätzung: Palastbibliothek oder Turm durchforsten wir niemals, ohne diese listigen Sklavenhändler aufzuscheuchen. Wir stehen vor dem Durchbruch der Feinde. Die Emissäre warten nicht ewig. Sie wollen nach dem ganzen Archipel ausgreifen. Tanaqui betont zu Recht, dass wir hier nichts ausrichten.«

»Doch unser Wissensvorsprung verpufft, solange sich kein Weg aus der Stadt auftut.« Gjala seufzte. »Und selbst wenn wir entkommen, machen wir uns dann nicht etwas vor? Ich bin mir so unsicher. Mein Volk ist verschollen, und warum sollte es uns anders ergehen als Limbo? Zahllos scheinen diese Emissäre auszuschwärmen. Nach drei Kriegen stehen nur wenige Kampfbereite unserer Inseln gegen sie. Und selbst wenn wir sie irgendein Wunder zurückdrängt – was verheißt uns, dass wir kurz darauf nicht jämmerlich verbrennen oder ersticken, wie Kato es oft genug ausgemalt hat? Feuer löschen wir schwerlich mit Axtschwüngen.«

»Genug von dieser Schwarzseherei, Meisterin!« Bowden lächelte aufmunternd, nachdem er eben noch vor Wut schier geplatzt war. »Wir wollen in unserer schönen Heimatstadt nicht erbärmlich krepieren, darin gebe ich dem Messerohr recht. Wir aber halten einen geheimen Schlüssel in Händen.«

»Und der wäre?«, fragte Tanaqui gespannt.

»Die Gunst des Architekten hat uns zusammengeführt. Zwei verdiente Veteranen aus dem Unwerthkrieg, zumindest ein Verdienter und ein Abtrünniger. Dazu gesellt sich eine ihrer erbitterten Feindinnen, eine Waldläuferin des Mirvaali. Nun Verbündete. Und Gjala voller Weisheit.«

»Worauf willst du hinaus?«, erkundigte sich Bierschaum, obgleich ihre Augen eine Ahnung verrieten, wohin die Gedanken des Paladins schweiften.

Auch Tanaqui las in seinen Worten. Die Fuchstochter spürte, wie ihre Herzen pochten und ihr Atem rascher ging. Verzweifelt versuchte sie sich zu beruhigen und hoffte, ihr verhülltes Gesicht würde ihre Furcht vor dem nun Kommenden nicht verraten. Nicht jetzt, nicht hier, flehte sie innerlich. Bitte frag nicht!

Unbeirrt schritt Bowden in seiner Rede fort. »Ich will Tanaqui etwas fragen. Warst du vielleicht Kämpferin in jenen Messerohrkommandos, die auch die Hauptstadt überfielen? Denn wenn du damals mit eindrangst, verschafft uns das heute einen entscheidenden Vorteil. Ich kenne alle Schwächen der Landwehr im Krieg, die Braithwairn plagen. Und eure Strategien. Du kannst Wissenslücken schließen, die bei mir klaffen, damit wagen wir den Ausfall. Mit gemeinsamer Stärke finden wir die geheimen Pfade. Nun?«

Die Frage stand zwischen ihnen, ragte anklagend auf, als hätte sie jemand als Schwert mitten in den Tisch gerammt.

Tanaqui linste zu Kato hinüber. Schauer durchfuhren ihre Glieder, als er seine Tasse neben sich auf einen Schemel stellte und sie durchdringend anstarrte.

Peinliches Schweigen folgte, während Tanaqui Fuchstochter um Antwort rang. Im Lügen war sie nicht ausgebildet, das war ihr stets fern gewesen. Sie trug ihren Namen nicht zu Unrecht und war als Frühlingskind der Wälder unter Füchsen aufgewachsen, doch deren List und Schläue dienten dem Natürlichen. Lüge und Eidbruch gingen ihr gegen die Natur.

»Nun, Tanaqui?«, hakte Kato nach. »Die Frage ist leicht.«

»Ich habe möglicherweise Erfahrungen«, presste Tanaqui hervor. Dazu reichte ihr Geschick in der verstellten Sprache. Doch ihr Gewissen duldete kein Getändel. Es erwartete einen Feuerstoß, der sie einäschern würde. Ihr Nacken verkrampfte sich, und vor ihren Augen flimmerte es.

Kato musterte sie beklommen. Sie wollte sich verkriechen wie eine Maus. Der Widerwille des Großen Jägers wuchs unermesslich in ihr heran. Sie erschrak vor dem Bild, das der Ahn ihr sandte. Wie sie urplötzlich mit der Waffe blutig unter den Kameraden wütete …

»Tanaqui?« Kato lächelte, es war ihr unerträglich. Doch schlagartig schaute sie wach in die Welt. »Ich fragte, ob Bowden recht hat. Führst du uns hier heraus?«

»Mühelos.« Dabei lächelte sie.

6

Prinz Vesshelin hasste es, auf die Knie zu fallen. Kein Bauernlümmel der Rundohren sollte sich derart gedrungen bücken und erniedrigen müssen. Und erst recht nicht er, der letzte Gott des Archipels. Doch er kniete.

Denn die Schemen, die vor ihm aufragten, hatten viel für ihn getan. Zudem steckten sie voll alter List, und er musste ihnen auf die Schliche kommen. Doch für diesem Augenblick galt: Er schuldete der Versammlung Hochachtung.

Die Gestalten wirkten auf Vesshelin verstörend, ganz unnahbar streng. Ihre Roben und Togen warfen in der kaltblauen Düsternis feierliche Falten, jede von ihnen verbarg die Züge hinter einer Tragödienmaske. Eiseskälte herrschte in diesem Marmorsaal. Kunstvolle Bildwerke reihten sich zum Steinsockel.

Vor den drei Unwerthkriegen hatte er so viele Menschen erlegt, oft allein Holzfäller beobachtet, wie sie furchtsam in den Mirvaali gestarrt hatten. In das trügerische Grün und die mitleidlosen Schatten, begierig, die Fangarme um die Eindringlinge zu schließen, sie in Stille zu hüllen.

Der hilflose Schrecken in den Augen der Beute, wenn der Tod über sie kam. Erbärmliches Los dummen Kriechvolks, nicht bestimmt für den Gott von Selachis, geboren aus dem nie versiegenden Mondlicht der Elfenmutter Selachia.

Doch in drei Kriegen unter ihrem wahngetriebenen Magierberater hatten die Äffchen aus Emrick Veshelins Volk aufgerieben. Mit jedem Seelenbaum, den die kurzlebige Brut abgefackelt hatte, war der Stern der Elfenheit gesunken. Mit jedem Verräterherz, das den Ewigkeitsweg des Schwertwinds gegen raunende Hautbilder und irren Ahnenkult der Wüste tauschte, zeichnete sich der Niedergang von Selachis ab.

Die Waldelfen waren die letzten Erben jenes goldenen Reichs, das vom Alten Kontinent aus die Inseln besiedelt hatte. Auf das Flehen des Menschenkönigs Aganthyr nahmen die Hochelfen sein kurzlebiges Volk mit auf die Schiffe jener glorreichen Neulandfahrt.

Narren. Die Äffchen befielen Selachis wie eine Seuche.

Es war nicht das erste Mal, dass Vesshelin von den Türmen, Herr über die letzte Stadt aus Glas, so hoch oben im Nadir weilte. Er wusste, was sein Volk über ihn dachte. Ein Geck, nur Dynast, weil er sein eigenes Geschlecht niedergemacht hatte, um den Thron zu erringen. Er, Vesshelin ohne Volk, Kind der Eule, der Schwelger.

Er würde sie alle Lügen strafen, wenn er den Ruhm der Eltern als letzte würdige Könige der Waldelfen für alle Zeiten auslöschte. Denn ihm dienten Erkenntnisgröße und Tatkraft.

Die eigens in diesen Saal geschafften kunstvoll bewegten Reliefs und farbschimmernden Mosaiken der Hochelfen von gewaltiger Größe zu deuten, hatte Vesshelin auf den richtigen Weg geführt. Sie zeigten die elementaren Schöpfer, welche im Auftrag Selachias den Archipel Selachis bestellten wie einen Acker. Saat, Hege, Formung. Der Sand der Schicksalsuhr des Alten Kontinents zerrann bereits.

In zäher Demut hatte er den Herren des Nadirs über Monate hinweg zwischen den Eisnebeln dieser Rotunde Geheimnisfetzen des Zukünftigen entrissen.

Eine der maskierten Gestalten ergriff das Wort.

»Entweder wir belustigen dich, oder du erwägst unseren Tod«, argwöhnte eine Herrin des Weltenbaums, dessen Blätterdach sich außer für die Eingeweihten ungesehen über den Archipel erstreckte. Hinter der Maske der Tragödie klang ihre Stimme kalt spöttelnd. Wie oft hatte Vesshelin Todgeweihte in diesem Ton gequält.

Es bereitete ihm wenig Freude, dieses Mal als Maus vor der Katze zu zittern. In Gedanken malte er sich aus, wie sein Jagdmeister Kaelanos seine Schlitzkünste an den geweihten Hängesäcken erprobte.

»Ich will nicht lügen«, versicherte Vesshelin und erntete glucksenden Hohn aus dem Reigen der Maskenschemen im Eisnebel. »Ich meine damit, dass mir eure Antworten nicht behagen«, brachte er mutiger hervor. »Vor allem auf meine letzte Frage. Habe ich denn nicht ganz und gar nach eurem Willen gehandelt? Wann also werdet ihr mich und mein Volk freigeben?«

Die Masken erbebten, zitterten, einige neigten sich zur Seite. So blickten Schmetterlingsjäger auf einen besonders bunt gemusterten Falter.

Sich seine ängstliche Beklommenheit nicht anmerken zu lassen, forderte dem Prinzen überelfische Kräfte ab. Gut, dass er zum Gott dieser Insel aufstiege, sobald die Krallen dieser Teufel sich nicht länger in seine Kehle bohrten.

»Du kennst unseren Ursprung, unsere Kräfte und unsere Vorbestimmung, Vesshelin. Als uns Verpflichteter nutzt dir selbst am meisten, unser Ansinnen mit Macht voranzutreiben. Vergeht der Archipel, gibt es auch uns nicht mehr«, ermahnte ihn eine andere augenlose Maske mit einem lachenden und einem weinenden Mundwinkel aus dem Schatten.

Die Maske einer Gorgone mit Schlangenhaar pflichtete in hohem Singsang bei. »Du kannst versuchen, deinen Henker auf uns zu hetzen. Befiehlst du es dieser Missgeburt, die du gegen unseren ausdrücklichen Willen mit der Macht dieser Insel erschaffen hast, könnte sie uns sicher größeren Schaden zufügen. Aber töten? Selachis lässt nicht zu, dass wir sterben, bis das Werk verrichtet ist.« Die Gorgo kicherte anzüglich.

»Unsere Anweisungen müssen eilfertig und ohne den geringsten Zweifel oder Widerstand befolgt werden«, bestimmte die Maske eines trunken lüsternen Ziegenmannes. Der Bariton, der dahinter rumorte, erinnerte wie alle Stimmen dieser Wesen an etwas Volltönendes und Melodiöses. Zugleich klang er so dünn und beinahe geisterhaft, als ritte er auf einer letzten Woge der Zeit, die er längst zurückgelassen hatte.

»Was ich zusichere. Ich gehorche aufs Wort«, antwortete Vesshelin ohne Zögern. »Aber eine Kunde drang an mein Ohr, die ich nicht begreife. Meine Pläne scheinen gefährdet, was gegen unsere Vereinbarung wäre. Heißt das vielleicht, dass ihr mich im Dunkeln tappen lasst?« Ein Lächeln umspielte seinen Mund, und ein Prickeln rann ihm bis in seine Lenden hinunter. Eigentlich liebte er es, gefährlich aufzutreten. Hier war nicht der Platz dafür.

»Das heißt es wohl«, beschied ihn eine Stimme aus der hinteren Reihe jener Masken, die auch seine elfische Nachtsicht ihm nicht enthüllen wollte.

»Wir können deine Fragen nicht beantworten«, stimmte ein weiteres hallendes Organ in den Chor ein.

»Selbst wenn wir wollten«, pflichtete eine weitere Stimme bei.

Langsam erhob er sich mit gesenktem Blick. »Ihr wollt mir nicht sagen, was das große Unterfangen der schmutzigen Druchuul war? Die dreckigen Zwerge haben heimlich Götterschmieden entfacht, und ich erfahre das durch Riesen und Äffchen? Vermaledeit!«, entfuhr es ihm, und er hätte gerne Pfeile in die tönenden Fratzen abgeschossen. »Haltet ihr es nicht für notwendig, eure werten Vorhaben mit dem Statthalter dieses Lands zu teilen?«

»Was du wissen musst, überlässt du uns«, versetzte eine der Masken ungewohnt barsch.

Vesshelin musste seinen Zorn beherrschen.

»All dies wird in einigen Monden unerheblich sein«, fügte eine mildere Stimme hinzu. »Dann sind unsere Ketten gefallen, deine wie unsere.«

»Dann bist du Herr der Welt«, kicherte es aus dem Pulk.

»Was soll das heißen?«, begehrte der Elfenprinz auf.

Er bekam keine Antwort. Belogen sie ihn, um sich hinterher ihr widerspenstiges Werkzeug vom Hals zu schaffen? Hegten sie Selbstzweifel? Wer Masken trug, der verbarg und überspielte oft tief greifende Ängste.

Nein, die Herrscher des Nadirs wiegten sich in trügerischer Sicherheit »Wohin sind die Drazok Dhar verschwunden? Ich hätte einige von ihnen peinlich befragen können.«

»Ihr Ansinnen, Götterschmieden zu verbergen, war uns von Anfang an bekannt«, räumte der Bariton ein und brachte damit Unruhe in die schwebende Maskensammlung. Zu Vesshelins hämischer Genugtuung hatte er offenkundig zu viel ausgeplaudert. »Wir haben sie in dem Glauben belassen, uns mit ihrem Großen Unterfangen belügen zu können«, folgte noch etwas kleinlaut.

Der Prinz fühlte sich weiter hinters Licht geführt. »Der Äffchenzauberer mit der Flammenhaut meint, die Zwerge hätten Menschen gezüchtet. In einem abgeschiedenen Garten, zwischen Schlamm und Gold, wo sie mit ihren Stummelfingern anmaßend die Schöpfung verunglimpften. Die Götterschmieden fügen sich in diesen Frevel. Zahlten sie nur für ihren Hochmut, oder gehört ihr Verschwinden zu einem höheren Plan?«

Bevor er weiter aufbegehren konnte, hob eine der Masken, ein höhnisches Grinsen in Form eines Sichelmonds unter schalkhaft zusammengekniffenen Augen, den Finger zum Tadel vor den Lippenschlitz. »Dein Jagdmeister erfährt auch nicht alles von dir. Ganz zu schweigen davon, dass du mit den Zwergen als Demiurgen milder verfahren solltest, Prinz. Oder wurde das Wesen Kaelanos nicht auch von unserem Mirvaali nach deinem Willen gefügt?«

Vesshelin ballte die Fäuste, und das Leder seiner Jagdhandschuhe spannte sich. Doch er gab klein bei und senkte in gespielter Unterwürfigkeit das Haupt.

»Weiß deine Holde von solchem Tun?«, flötete eine der Masken.

»Sie wäre töricht, ahnte sie es nicht«, pflichtete eine weitere Stimme bei. »Dem kundigen Auge lässt sich nicht verhehlen, woraus du deinen dämonischen Schlächter gebarst.«

»Die böse Tat bricht ihre Herzen«, kicherte Schlangenhaar. »Zu köstlich. Wir müssen sie beobachten.«

»Solange sie noch lebt.« Bariton klang grimmig.

»Niemand legt Hand an sie!«, rief Vesshelin zornig aus.

»Das Kätzchen hat Krallen«, äffte eine der Masken den liebestrunkenen Elfenprinzen täuschend nach.

»Vorsicht, Vesshelin! Vergiss nicht, wer dir Kioni zur Seite stellte, um dich fürs Leben zu formen, nachdem deine Eltern dich als Frühjahrself in die Wäldern verbannten, froh, ihre unwerte Brut loszuwerden«, mahnte die Tragödie.

»Wir haben dich stets geschützt und gestärkt«, pflichtete der Satyr bei. »Waren es nicht wir, die dich die Alten Wege lehrten? Nun willst du dich kurz vor der Erfüllung unserer Ziele von uns abwenden? «

»Die Waldelfen wollten dich nicht mehr achten, allzu satt von der Unsterblichkeit, die sie bei ihren Meistern gesehen hatten. Sie vergaßen die Gesetze des Schwertwinds. Halfen wir da nicht?«, fragte eine Stimme.

Der Reigen der Masken rückte zusammen und schwebte in seinen Togen und Roben aus dem Schatten heraus auf Vesshelin zu. Beunruhigt wich er widerwillig zurück und beugte das Haupt noch tiefer, uneinig mit sich selbst.

»Waren es nicht wir, die den lächerlichen Friedensdusel deiner Eltern in Kriegsrufe gegen den Affenmagister Unwerth verwandelten, der nach den Schätzen ihres Bodens gierte?«, zischte die Schlangenhaarige.

»Wer ließ die Eule Kioni dich lehren, wie man gnadenlos und ungesehen seine Beute mit der Macht des Himmels schlägt?«, fragte Bariton.

»Uns verdankst du den starken Mut, deine Eltern zu beseitigen und im Krieg nicht zu wanken.«

»Doch mein Volk wurde nahezu ausgelöscht«, klagte Vesshelin. »Ich bin der Prinz ohne Land, wie in einem Äffchenmärchen. Der Spott der Untertanen, erstickt nur durch Furcht.«

»Das siehst du falsch, Vesshelin«, befand der Satyr mit aufrichtiger Milde, die Vesshelin zugleich mit Hoffnung und Selbstekel erfüllte. »Dein Volk wurde nicht vernichtet, sondern die Reihen des Schwertwinds ausgedünnt, von all den Schwachen gereinigt, die im Kriege gegen die Äffchen darin versagten, ihre Seelenbäume zu verteidigen. Folge uns weiterhin, Prinz! Dann wirst du mit Tanaqui dein Reich neu begründen.«

»Wir gaben dir die Macht, Kraft aus den Wurzeln des Mirvaali zu ziehen, Vesshelin«, erläuterte Bariton.

»Wir halfen dir, als deine Holde ihren Weg verlor und das Erbe unseres Volks durch ihre Unzucht mit einem Weib bedrohte. Lehrten wir dich nicht durch die Eule Kioni, über alle Tiere des Mirvaali zu gebieten, wie es nur der Waldläufer selbst vermag, der Große Jäger? Konntest du so nicht der Metze angedeihen lassen, was ihr zukam, um deine Tanaqui von dem schädlichen Einfluss ihrer Einflüsterungen und ihrer Verführungskunst fernzuhalten?« Die Maskengestalt der Artemis verschränkte die Arme.

»Verhalf dir all dies letztlich nicht zu deinem Jagdmeister Kaelanos?«, fragte die Schlangenhaarige.

Sie bedienten sich seiner, doch sie hatten ihm in allem gedient. Veshelin gestand dies zu. Hatten ihn erschaffen aus Einsamkeit und Zorn, seiner größten Begabung.

Unziemlich! So nannte die Mutter seine Heftigkeit.

Nun, Mutter, die Unziemlichen leben noch.

»Oh, ich habe Fragen«, vermeldete er etwas kläglich, spannte sich aber zum taktischen Gegenzug an. »Wenn schon nicht nach den Zwergen und was sie mit eurer Gunst in ihren Schmieden aushecken, so will ich doch wissen, warum ihr dieser Frostriesin Audienz gewährt habt.«

Die Masken wippten für einen Augenblick und gaben sich kleine Winke. Sie hatten bei Vesshelins nicht mit solchem Wissen gerechnet.

»Velkha darf ihrer Bestimmung folgen. Das ist zugleich ihr ganzer Lohn«, erklärte der Satyr.

Die Schlangenhaarige kicherte. »Sie ist ein kindisches Wesen. Sie dürstet nach Gerechtigkeit und einer Bestimmung, ist zugleich auch von edlem, altem Blut und trachtet den Drazok sowie den letzten Menschen nach dem Leben. Eine wohlfeile Verbündete.«

»Du bist unter unseren Ästen einhergeflogen«, erinnerte ihn der Satyr. »Hat dein Auge mehr erspäht als das unsere? Half Kioni dir, den Archipel zu überblicken?«

»Kaelanos und ich zogen einige Kreise. Über alle Inseln strömt das Äffchengeschmeiß und sucht Zuflucht und Schutz. Viele der Flüchtlinge zieht es in die Sümpfe im Westen des Nadirs. In die alten Lande von Vaile, ihrem Untergang entgegen. Die falsche Königin Emrick und der Wüstenmolch, der sich Emir der Glassande nennt, sichern ihre Machtkreise, kurzsichtig gegenüber der Gefahr.«

»Drängen die Flüchtlinge nicht verzweifelt in Richtung Hauptstadt?«, erkundigte sich die hallende Stimme.

»Genau dies«, bestätigte der Prinz. »Die Flüchtlinge wollen sich hinter den Mauern Braithwaithes verschanzen, aber Emrick wird ihrem Ruf des Sklavenschacherns mit dem eigenen Volk gerecht. Die Königin des Trugs lässt viel Gold fließen, um im Zusammenspiel mit ihren Zauberern zu verhindern, dass zu viel Wissen und aufgebrachtes Volk in ihre Mauern gelangen.«

»Wie erreicht sie dies?«, fragte eine klare Stimme hinter dem Maskenpulk.

»Die Magier ihrer Zitadelle wirken Abwehrzauber. Gleichzeitig verbindet diese Heuchlerfürsten schon lange ein fruchtbarer Handel mit den Hyänenenhäuptern. Man mag sie als Altes Volk hoch achten, doch die Bestien von Kal-Xosun rühren sich am hehrsten, wenn es Aas und Sklaven zu erringen gilt. Wohlverstanden bei fettem Lohn. Nun arbeiten sie für beide Seiten, den Emir und die Königin, und halten reiche Ernte. Fliehende führen Kinder mit sich, und der Fressergötze, den die Kicherer aus dem Schlund verehren, ist allzeit hungrig. Man möchte Mitleid mit den Äffchen haben.«

»Den Menschenhandel, dem deine Holde und ihre Begleiter auf die Spur kamen, betrieben nicht nur die Zwerge und die Nordleute«, enthüllte die Schlangenhaarige. »Inzwischen steht die Königin von Emrick wohl am Rand der Verzweiflung, ebenso wie der Emir, der seine Kundschaft bestens kennt. Wenn die Brut der Gefleckten wittert, wie schwach und schlecht verteidigt das Königreich dasteht, zudem noch von den Emissären belagert, werden sie zuschlagen«.

»Ist das von Vorteil für uns?«, fragte Vesshelin.

»Das ist unerheblich«, gab die hallende Stimme zurück. Bei dieser Antwort bildete der Maskenreigen eine Front, rückte unwillkürlich zusammen. »Unsere Pläne werden sich zeitgerecht vollenden.«

Sie fürchten sich, dachte der Elfenprinz. Davor, dass jemand noch den Untergang aufhalten könnte. Was habt ihr vor? »Wenn das Ende bereitet wird, vergehen Menschen, Hyänenhäuptige, Riesen und das ganze Geschmeiß zu nichts. Sämtliche Luft wird von den Flammen der zwergischen Narretei verzehrt sein. Was nicht verbrennt, erstickt, bis die Feuer den Nadir erreichen. Wenn diese Lande wieder rein und jungfräulich sind, ist es dir beschieden, ein neues Zeitalter zu begründen.« Die Schlangenhaarige verschränkte die schlanken Arme in ihrer Toga vor einem Körper, dessen Bewegungen unter den Stoff so anmutig wie albtraumhaft bedrohlich wirkten.

Augenblicklich spürte Vesshelin wieder die Verwandlung in seinem Leib, mit der er beschenkt worden war. Das Feuer des Mirvaali hatte ihn in jener Nacht, da die Hure Sahar starb, auf ewig verändert.

Was immer Vesshelin nun war, was immer die Schöpfungsmacht des ganzen Archipels, die seinen Jagdmeister geboren hatte, in seinem Inneren anrichtete. Er spürte die Macht der Chimaerae, die sich in seinem Fleisch regte, es umzuckte und auf ihren Tag wartete. Göttlichkeit wohnte in seinem Innern. Einst würde er selbst die Mondmutter von ihrem Silberthron stürzen und die Gezeiten regieren.

»Sagtest du, einige Stämme fliehen nach Vaile?«, wollte eine schrille Stimme wissen.

»Ins Herz des Wahns, ja. Von Emrick abgewiesen, machten sie sich nach Westen auf und verschwanden in den Nebeln, die einst Unwerth verschlangen.«

»Doch diesem einen hätten wir nie erlauben dürfen, so leicht zu entrinnen«, tönte eine klagende Stimme.

»Uns blieb keine Wahl«, sinnierte der Bocksbeinige. »Doch er bleibt eine Gefahr für den großen Wandel.«

»Wisst ihr es denn nicht?«, wunderte sich Vesshelin.

»Da sich die Nebel des Wahnsinnigen nie verzogen haben, vermuten wir, dass diese Ausgeburt äffischer Zauberkunst noch lebt und alles in Bann zieht, was ihm zu nahe kommt.« Der Satyr klang, als erschauere er.

Vesshelin genoss seine Furcht.

»Im Ersten Unwerthkrieg griff er nach den Machtorten des Mirvaali. Niemand weiß, warum er den Thron Emricks Ahnen überließ.«

»Ihr fürchtet ihn«, stellte der Prinz laut fest.

»Wir versiegelten den Nadir, damit nichts aus Vaile in seine Adern strömt. Nicht zu uns herauf und schon gar nicht zu seinen Wurzeln, wo die Macht entspringt. Wir fürchten, was eine Vergiftung mit Unwerths Geistesbürden dem Weltenbaum antun wird, bevor unsere Absichten vollendet sind.« Die Schlangenhaarige zuckte zusammen, den anderen Masken entfuhren missbilligende Töne. Offenkundig hatte sie zu viel verraten.

Vesshelin zwang sich eine Unschuldsmiene auf. Er besaß nun eine Waffe gegen jene, die ihn am Halsband führten. War schon einmal jemand gegen den Willen der Tyrannen in den Bannkreis eingedrungen und hatte den Baum vergiftet? Rasche Ablenkung der Quälgeister tat not.