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Wie ein bunter Teppich liegt die australische Landschaft unter ihr. Während des Rundflugs über das Anwesen von Dennis Kinane spürt Charlotte, wie sehr sie sich verliebt hat - in das Land und den Mann. Vielleicht war hierher zu kommen doch die richtige Entscheidung?
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Seitenzahl: 194
IMPRESSUM
Wem gehört dein Herz, Charlotte? erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2004 by Lindsay Armstrong Originaltitel: „The Australian‘s Convenient Bride“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe Band 1586 - 2004 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg Übersetzung: Annette Stratmann
Umschlagsmotive: max-kegfire / GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 08/2017 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733779665
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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Dennis Kinane bog vom Highway ab und schimpfte leise vor sich hin, als er den Range Rover am Straßenrand zum Stehen brachte. Eine junge Frau stand einsam an der Landstraße und hielt hoffnungsvoll den Daumen hoch.
Hier auf dem Land war es Ehrensache, gestrandete Anhalter mitzunehmen, doch Dennis hatte einen langen Tag hinter sich und keine Lust auf einen Umweg. Auch wirkte die junge Frau aus der Nähe nicht mehr ganz so schutzlos, wie er gedacht hatte. Sie war in Begleitung eines zuverlässigen, starken Bodyguards, eines schwarz gefleckten australischen Schäferhundes, den sie an der Leine hielt. Diese Rasse war nur mittelgroß, aber für ihre bedingungslose Treue bekannt.
Vorsichtig öffnete Dennis die Autotür, und der Hund fing an zu bellen. Ein einziges Wort seiner Herrin brachte ihn zum Verstummen. Gehorsam setzte er sich auf die Hinterpfoten, ohne Dennis aus den Augen zu lassen.
„Hallo“, sprach Dennis die junge Frau an. „Wo soll es denn hingehen?“
Sie war eine attraktive Blondine, deren Alter er auf Anfang zwanzig schätzte. Ihre hellen Locken waren im Nacken zusammengefasst, darüber saß ein blauer Sonnenhut. Aus wachen grauen Augen sah sie Dennis an, während er anerkennend ihre schlanke Gestalt in Jeans und T-Shirt musterte.
„Vielen Dank, dass Sie angehalten haben“, antwortete sie. „Ich möchte zur Mount Helena Farm, etwa zehn Meilen von hier.“
Er runzelte die Stirn. „Werden Sie dort erwartet?“
„Soll das heißen, Sie kennen die Farm?“, fragte sie höflich mit einem Blick auf seine fleckigen, ausgefransten Jeans, sein Arbeitshemd, seine abgenutzten Schuhe und schmutzigen Hände.
Dennis blickte an sich herab. „Ich … arbeite dort“, antwortete er nicht ganz wahrheitsgemäß. Warum, wusste er selbst nicht. Ein Gefühl, das er nicht näher erklären konnte, hielt ihn zurück.
Die junge Frau schien beruhigt zu sein. „Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie mich mitnehmen könnten. Dies ist nicht gerade eine viel befahrene Straße, oder?“ Nervös ließ sie den Blick über die einsame Landschaft schweifen, dann wandte sie sich wieder Dennis zu. „Mein Name ist Charlotte Winslow.“ Vertrauensvoll streckte sie ihm die Hand entgegen.
Er ergriff sie und bemerkte die leichte Sonnenbräune auf der glatten, zarten Haut ihres Armes. Der Hund knurrte warnend.
„Schon gut, Rich“, sagte sie leise und entzog ihm die Hand.
„Tut mir leid, aber der Name Charlotte Winslow sagt mir nichts“, meinte Dennis.
„Tja, also … vielleicht ist niemand dazu gekommen, Ihnen von mir zu erzählen.“
„Gut möglich“, erwiderte er spöttisch und musterte sie noch einmal eingehend von Kopf bis Fuß.
Sie atmete tief durch und musste es hilflos über sich ergehen lassen, dass er sie förmlich mit Blicken auszog, bevor er fragte: „Sie sind nicht zufällig hinter Mark Kinane her?“
„Wie kommen Sie darauf?“
„Sie wären nicht die Erste. Ist es so?“
Charlotte überlegte kurz und beschloss, ihm der Einfachheit halber recht zu geben. Sollte er doch denken, was er wollte! „Ja.“
„Und wieso?“
„Wir … ich meine, Mark hat mir von der Farm erzählt und mich eingeladen, ihn zu besuchen. Und jetzt bin ich hier!“ Er merkt bestimmt, dass ich lüge, dachte sie.
„Wie sind Sie denn hierher gekommen?“
„Ein Freund, der nach Augathella wollte, hat mich von Brisbane aus mitgenommen. Er hätte mich auch bis zur Farm gebracht, aber sein Wagen hatte keinen Allradantrieb, und er hatte Angst um seine Stoßdämpfer.“
Sie blickte viel sagend in Richtung Westen auf die staubige rote Landstraße mit ihren vielen Schlaglöchern.
„Was hätten Sie getan, wenn niemand vorbeigekommen wäre?“
Sie zuckte die Schultern und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, wie fassungslos sie selbst darüber war, dass ihr Bekannter sie hier abgesetzt hatte. „Ich hätte noch eine Stunde gewartet, dann wäre ich zum Highway zurückgegangen. Irgendjemand hätte mich sicher bis zur nächsten Ortschaft mitgenommen, und dann … Morgen ist auch noch ein Tag!“
„In Ordnung“, sagte Dennis schließlich. „Der Hund kommt nach hinten, zusammen mit Ihrem Gepäck.“ Er lud die Reisetasche auf den Rücksitz.
Kurz darauf waren sie alle zusammen im Range Rover unterwegs zur Farm. Der Hund hockte angespannt auf der Rückbank. Dennis war gar nicht wohl dabei, den heißen Atem des Tieres im Nacken zu spüren.
Charlotte dagegen bewunderte insgeheim die Geschicklichkeit, mit der er den Wagen über die holprige Straße lenkte. Sie ertappte sich bei dem Gedanken, dass dieser große, schlanke Farmarbeiter mit den starken Händen ein recht attraktiver Mann war. Bei der Erinnerung daran, wie er sie von oben bis unten angesehen hatte, wurde sie nachträglich rot vor Verlegenheit.
Dann wurde ihr klar, in welche Richtung ihre Gedanken schweiften, und sie rief sich zur Ordnung. Dies war weder die richtige Zeit noch der richtige Ort für solche Fantasien. Entschlossen sah sie zum Fenster hinaus und konzentrierte sich auf die vorbeiziehende Landschaft. Es war noch immer eine verlassene Gegend, aber nicht mehr ganz so eintönig. Malerische Felsformationen und immer mehr Bäume kamen in Sicht.
„Wie lange kennen Sie Mark schon, Charlotte Winslow?“, fragte ihr Begleiter.
Sie dachte nach. „Seit einigen Monaten.“
Dennis sah sie von der Seite an. Jetzt, da sie den Hut abgenommen hatte, sah er ihr hübsches Profil. Ihre Nase war klein und gerade, der Mund schön geformt, das Kinn zierlich und der Hals glatt und schlank. Sogar ihr Ohr – Dennis konnte sich nicht erinnern, jemals auf Ohren geachtet zu haben – sah entzückend aus mit den dahinter geklemmten blonden Locken.
Eins muss ich ihm lassen, dachte er – Mark hat Geschmack. Allerdings hatte er das unbestimmte Gefühl, dass sich sein Bruder mit dieser Frau übernommen hatte.
„Wie haben Sie ihn kennen gelernt?“, fragte er.
„Auf einer Party.“ Das stimmte zwar, aber ihr war klar, dass sie sich in Schwierigkeiten brachte, wenn sie weiterhin in die Rolle von Marks Freundin schlüpfte. Lächelnd, um ihren Worten die Schärfe zu nehmen, fragte sie: „Wird das hier ein Kreuzverhör?“
Ihr Lächeln gefiel ihm, und amüsiert erwiderte er: „Ich bin nur neugierig. Sie sind eine willkommene Abwechslung zu all den dummen Kühen hier.“ Er deutete auf eine Viehherde, die sich um eine Wasserstelle in der Nähe scharte. „Manchmal treiben sie einen wirklich zum Wahnsinn.“
Charlotte lachte, ein schönes, melodisches Lachen. „Das kann ich mir vorstellen. Ich schätze, Mark ging es genauso.“ Sie verstummte und presste die Lippen zusammen. Bevor sie Mark nicht gefunden hatte, wollte sie mit niemandem über ihn reden, schon gar nicht mit diesem Mann von der Farm.
„Ich könnte Ihnen etwas von mir erzählen“, bot sie an. „Ich bin Lehrerin.“
Der Range Rover geriet kurz aus der Spur, bevor Dennis ihn wieder unter Kontrolle brachte.
„Sie sehen nicht aus wie eine Lehrerin.“ Sie tauschten einen kurzen, intensiven Blick.
„Danke, aber Ihre Vorstellung von einer Lehrerin ist vielleicht etwas überholt“, erwiderte sie, plötzlich nervös geworden.
„Mag sein. Was unterrichten Sie?“
„Hauswirtschaft. Kochen und Nähen, unter anderem. Beides tue ich zum Glück sehr gern.“
Was er merkwürdig fand. Häusliche Frauen waren noch nie Marks Typ gewesen, jedenfalls bisher nicht. Models und Starlets schon eher. Schöne, flatterhafte Mädchen ohne jedes praktische Talent.
Die junge Frau neben ihm aber sah nicht nur blendend aus, sie unterrichtete etwas so Bodenständiges wie Hauswirtschaft und schien darüber hinaus eine vernünftige, praktisch veranlagte Person zu sein. Immerhin war sie allein bis in diese Einöde vorgedrungen, und ihr Hund war ausgezeichnet erzogen.
„Übrigens male ich auch und spiele Klavier“, sagte sie ernst, aber er hatte den Eindruck, dass sie sich über ihn lustig machte.
„Was wissen Sie über die Mount Helena Farm?“, fragte er unvermittelt.
Sie durchforschte ihr Gedächtnis. „Nicht allzu viel.“
„Mark muss Ihnen doch irgendetwas erzählt haben!“
Charlotte merkte, dass er misstrauisch wurde und das Ganze gar nicht komisch zu finden schien. Unmittelbar darauf wurde ihr bewusst, dass er zwar nur ein Angestellter, aber auch ein großer, kräftiger Mann war, der sich durchaus weigern konnte, sie mitzunehmen. Und dem zuzutrauen war, dass er umkehren und sie am Straßenrand absetzen würde, wenn er glaubte, dass sie auf der Farm nichts zu suchen hätte.
„Nun … soviel ich weiß, hat Mark sich noch nicht entschieden, ob er Farmer werden will. Er hat erwähnt, es sei ein ziemlich großes Anwesen. Ich habe noch nie eine Rinderfarm gesehen.“
„Reden Sie weiter.“
Es war ein Befehl, und Charlotte reagierte gereizt. „Was wollen Sie denn noch alles wissen? Er hat einen älteren Bruder, der die Farm leitet und sich wie ein Diktator aufführt, aber da Sie dort arbeiten, dürfte Ihnen das bekannt sein.“
Rich knurrte leise, als wollte er ihr beistehen.
Dennis Kinane sah verärgert aus, aber sein Misstrauen schien sich gelegt zu haben. „Und Sie haben keine Hemmungen, Ihren ahnungslosen Gastgebern Ihren Hund aufzuhalsen?“, fragte er mürrisch.
„Rich ist darauf trainiert, zur Not im Freien zu schlafen. Ich mache ihn gern mit allen Hausbewohnern bekannt, sodass niemand Angst vor ihm haben muss. Er ist ein sehr gutmütiger Hund.“
„Solange niemand die Hand oder die Stimme gegen Sie erhebt.“
Ihre Blicke trafen sich.
„Ich habe ihn als Hundebaby in einem Müllcontainer gefunden“, sagte sie kühl. „Es ist ein Wunder, dass er überlebt hat. Ich musste hineinklettern und ihn unter dem Abfall ausgraben. Seitdem ist er mein ständiger Begleiter.“
„Und Ihnen entsprechend dankbar und treu ergeben“, bemerkte Dennis, fügte aber besänftigend hinzu, als er ihren zornigen Blick sah: „Regen Sie sich nicht auf, ich hätte genauso gehandelt.“
Er bog ab in eine Einfahrt, und der Wagen holperte über das in den Boden eingelassene Viehgitter. Der Schriftzug über dem Tor – MOUNT HELENA – war schlicht, aber der Straßenzustand besserte sich sofort. Nach kurzer Fahrt hielten sie vor einem Gartenzaun.
Durch die Windschutzscheibe war ein lang gezogenes weißes Gebäude mit rotem Dach zu sehen. Es war von Rasen und Gebüsch umgeben, machte einen sauberen, gepflegten Eindruck und erstrahlte, obwohl es alt war, in einem frischen Anstrich. Die Wassertanks im Hof waren von blühenden Rankpflanzen überwuchert. Hinter dem Haus erstreckte sich das Land sanft ansteigend bis hin zu einer Hügelkette, deren gold schimmernde Grasdecke von Sträuchern bewachsen war, die wie dunkle Tupfer aussahen.
Was für wunderbare Farben, dachte Charlotte beim Anblick der roten Erde, des tiefblauen Himmels, des Grases und des Hauses und seufzte erleichtert.
Dennis Kinane sah sie fragend an.
Sie lächelte verlegen. „Es sieht recht zivilisiert aus.“
„Dachten Sie, Sie wären hier in der Wildnis gelandet?“
„Ehrlich gesagt, ich war mir nicht ganz sicher. Mark … ich meine, die meisten Männer sind nicht gerade gut darin, ein Haus zu beschreiben, oder?“
Er antwortete nicht, aber hätte sie sich die Mühe gemacht, ihn anzusehen, wäre ihr sein grimmiger Blick nicht entgangen.
„Ich setze Sie hier ab“, sagte er und öffnete die Wagentür. „Da vorne ist der Wirtschafter, ich spreche kurz mit ihm.“
Charlotte sah ihm verwirrt nach, als er zum Gartentor ging. Der Wirtschafter war ein raubeinig wirkender, wettergegerbter Mann Mitte vierzig mit Stirnglatze und grauem Pferdeschwanz, der während der kurzen Unterhaltung mehrmals ungläubig den Kopf schüttelte.
„Charlotte, das ist Slim.“ Ihr Fahrer, dessen Namen sie immer noch nicht kannte, trat ans offene Wagenfenster und stellte ihr den anderen Mann vor. „Er führt den Haushalt und wird sich um Sie kümmern, bis … bis alles geklärt ist.“
„Guten Tag, Slim.“ Charlotte reichte dem Mann die Hand und wurde mit einem kräftigen Händedruck begrüßt. Rich bellte.
„Tag“, sagte Slim mit Reibeisenstimme und, nachdem er Charlotte und den Hund eingehend betrachtet hatte: „Willkommen in Mount Helena, Miss.“
„Danke. Ist Mark da?“
„Nein, im Moment nicht.“
„Oh.“ Charlotte war verunsichert.
„Das heißt nicht, dass wir Ihnen keinen angenehmen Aufenthalt bereiten können. Lassen Sie uns das Gepäck ausladen. Ist der Hund ans Haus gewöhnt?“
Charlotte bejahte und erfuhr von Slim, dass es auf der Farm gerade keinen Hund gab und nichts dagegen sprach, Rich ebenfalls zu beherbergen.
Sie konnte nicht widerstehen, dem Mann, der sie mitgenommen hatte, einen triumphierenden Blick zuzuwerfen, aber er ignorierte sie. Kurz darauf war sie in einer Gästesuite auf Mount Helena einquartiert. Ihr Fahrer war verschwunden, bevor sie ihm danken oder ihn nach seinem Namen fragen konnte.
Slim brachte ihr Tee aufs Zimmer, kündigte das Abendessen für sieben Uhr an und empfahl ihr, sich auszuruhen. Auf ihre Frage, wann mit Marks Rückkehr zu rechnen sei, zuckte er nur die Schultern und winkte lässig ab, als spielte das keine Rolle.
Nun saß sie auf dem breiten Bett, und Rich hatte den Kopf auf ihren Knien liegen. „Stell dir vor …“, sagte sie stirnrunzelnd und streichelte ihm über die Nase, „… ich veranstalte diese wilde Jagd, und Mark ist nicht da!“
Sie sah sich im Zimmer um, das altmodisch, aber geräumig und komfortabel war und zu dem eine überdachte Veranda und ein eigenes Bad gehörten. Die Einrichtung bestand aus großen, schweren Mahagonimöbeln, vor den Fenstern hingen hübsche geblümte Vorhänge, auf dem Bett lag eine dicke, mit rosa Seide bezogene Daunendecke.
Das Badezimmer schien erst vor kurzem modernisiert worden zu sein, auf der Veranda standen bequeme Korbmöbel, und alles war makellos sauber.
Während Charlotte ihren Tee trank, grübelte sie über die unglücklichen Umstände nach, in denen sie sich befand. Einer davon war, dass man sie nun für Mark Kinanes Freundin hielt. Unglückliche Umstände waren auch der Grund dafür, warum sie überhaupt nach Mount Helena gekommen war, die aber betrafen ihre Schwester Bridget und nicht sie.
Du meine Güte, dachte sie seufzend, Bridget ist wirklich ein Sorgenkind. Als Vollwaisen waren sie beide bei einer Tante aufgewachsen, die sie jedoch als Last empfunden hatte. Jetzt, als bildhübsche Neunzehnjährige und angehendes Model, war Bridget immer noch genauso verletzlich und hilflos wie damals nach dem Verlust ihrer Eltern. Vielleicht würde sie immer das warmherzige, liebevolle, großzügige und manchmal erschütternd naive Mädchen bleiben, das jemand an die Hand nehmen musste.
Und vielleicht, überlegte Charlotte, ist es eben meine Aufgabe, mich um meine Schwester zu kümmern. Manchmal fühlte sie sich hundert Jahre älter als Bridget, obwohl sie selbst erst zweiundzwanzig war.
Als Mark Kinane auf einer Party ihrer Schwester mit seinem guten Aussehen und seinem Charme den Kopf verdreht hatte, war sie es gewesen, die dafür sorgte, dass Bridget nicht völlig den Boden unter den Füßen verlor. Nach der Trennung dann war es an ihr gewesen, ihrer Schwester mit Trost und liebevollen Worten über den Schmerz hinwegzuhelfen.
Nur einmal hatte sie die Fassung verloren. Das war, als Bridget ihr das positive Ergebnis eines Schwangerschaftstests zeigte. Das Baby sei von Mark, hatte Bridget erklärt, und sie würde nie wieder einen anderen Mann lieben.
„Weiß er davon?“, hatte Charlotte entsetzt ausgerufen. „Wie konnte das passieren?“
Mark wusste nichts davon, denn Bridget hatte es bis dahin selbst nicht gewusst. Es folgte eine für Bridget typische, verworrene Geschichte von verwechselten Daten, vergessenen Pillen und einer leidenschaftlichen Nacht, in der sie und Mark den Kopf verloren hatten.
Zum ersten Mal in ihrem Leben war Charlotte wirklich streng zu ihrer Schwester gewesen und hatte darauf bestanden, den wahren Grund für die Trennung zu erfahren anstatt der beschönigten Version, mit der sie bis dahin abgespeist worden war.
Mark Kinane, im selben Alter wie Charlotte, schien ein recht wankelmütiger junger Mann zu sein, wie sich herausstellte. Er hatte bereits eine gescheiterte Verlobung hinter sich und war sich nicht sicher, welchen Weg er im Leben einschlagen sollte. Sein älterer Bruder hatte ihm befohlen, nach Hause zurückzukommen, auf eine abgelegene Rinderfarm im australischen Outback.
Diesem herrschsüchtigen Bruder, der offenbar der Lieblingssohn des Vaters gewesen war, gab Bridget die Hauptschuld an Marks Problemen. Angeblich zwang er Mark zu einem Leben, das ihm zuwider war, und untergrub sein Selbstwertgefühl. Doch mit ihr an seiner Seite und einer eigenen Familie, für die er sorgen musste, würde Mark sich ändern, hatte Bridget eigensinnig erklärt.
Er war charmant, das musste Charlotte zugeben, doch ob er genug Rückgrat hatte und sich überhaupt über die Neuigkeit freuen würde, stand auf einem anderen Blatt. Zweifellos aber hatte er ein Recht darauf, informiert zu werden, fand sie, und Bridgets Baby hatte Anspruch auf Unterstützung.
Gegen Bridgets Vorhaben, Mark die Nachricht persönlich zu überbringen, hatte sie jedoch energisch Einspruch erhoben. Bridget sah schwach und elend aus und litt an morgendlicher Übelkeit. Ausgeschlossen, dass sie sich auf die Reise machte und einem Glück hinterherjagte, das sich womöglich als Illusion erwies. Also hatte Charlotte sich bereit erklärt, selbst zu fahren.
Bridgets überschwängliche Dankbarkeit war rührend gewesen, aber sicherheitshalber hatte Charlotte gewisse Vorkehrungen getroffen. Sie hatte auf der Farm angerufen, nach Mark gefragt und erfahren, dass er gerade draußen bei der Herde war. Vermutlich hatte sie mit Slim gesprochen. Dann hatte sie eine gute Freundin bei sich zu Hause einquartiert und sie gebeten, ein Auge auf Bridget zu haben, falls ihre Reise länger als geplant dauern sollte …
„Als hätte ich es geahnt“, sagte sie jetzt zu Rich, der sich inzwischen zu ihren Füßen zusammengerollt hatte. „Aber wenn Mark vor zwei Tagen noch hier war, kann er doch nicht weit sein, oder?“
Rich öffnete ein Auge und klopfte mit dem Schwanz auf den Boden.
„Bleibt die Frage, wie ich damit umgehe, dass mich alle für Marks Freundin halten.“
Jetzt kratzte sich der Hund am Ohr, und Charlotte lachte leise. „Ich weiß, es ist ein ziemliches Verwirrspiel. Vielleicht muss ich einfach improvisieren. Wenn ich an den Mann denke, der uns mitgenommen hat, scheinen die Leute hier ziemlich misstrauisch zu sein.“
Sie sah im Geist ihren Fahrer vor sich und runzelte nachdenklich die Stirn. Möglicherweise ist es Einbildung, überlegte sie, aber er hatte etwas Besonderes an sich. Etwas, das so gar nicht zu einem Arbeiter auf einer Rinderfarm passen wollte, die zwar nicht gerade am Ende der Welt, aber doch im westlichsten Zipfel von Queensland lag.
Was war so auffällig an ihm gewesen? Alles, woran sie sich erinnerte, war, dass er zwar verstaubt und schmutzig ausgesehen hatte, aber auch sehr attraktiv mit seinem dichten dunklen Haar, den dunklen Augen und dem muskulösen Körper.
„Die Muskeln hat er vermutlich von der Arbeit mit den Rindern“, sagte sie verächtlich, aber er ging ihr nicht aus dem Kopf. Sie sah seine Hände vor sich, seine große, kräftige Statur, und erinnerte sich daran, wie er sie mit Blicken förmlich ausgezogen hatte. Es hatte sie irritiert, aber auch nicht kalt gelassen …
Schluss damit, befahl sie sich und gähnte. Es war ein anstrengender Tag gewesen, und obwohl sie nicht schlafen wollte, fielen ihr die Augen zu.
Als sie zwei Stunden später aufwachte, war es dunkel im Zimmer. Zuerst wusste sie nicht, wo sie war, dann fiel es ihr wieder ein. Sie verzog das Gesicht, tastete nach dem Schalter der Nachttischlampe und knipste das Licht an. Es war halb sieben.
Mit Rich an der Leine ging sie über die Veranda in den Garten hinunter, machte einen kurzen Rundgang und kehrte dann in ihr Zimmer zurück, um zu duschen. Sie war gerade fertig, als es an der Tür klopfte. Es war Slim.
„Das Essen ist fertig, Miss, und Mr. Kinane erwartet Sie zu einem Drink.“
„Mark?“
Slim schüttelte den Kopf. „Ich habe Futter für Ihren Hund vorbereitet. Glauben Sie, er kommt mit?“
Charlotte bedankte sich und gab ihm die Hundeleine. „Wie viele Mr. Kinanes gibt es eigentlich? Soviel ich weiß, hat Mark keinen Vater mehr und nur einen Bruder.“
„Genau der ist es. Ich zeige Ihnen den Weg.“
Dennis Kinane führte gerade sein Whiskyglas zum Mund, als er Slims Stimme hörte: „Hier hinein, Miss.“
Er drehte sich zur Tür um und sah in die erstaunt blickenden grauen Augen seines Gastes.
Charlotte Winslow hatte sich zum Dinner umgezogen. Während er selbst lediglich eine saubere Jeans und ein frisch gebügeltes Khakihemd angezogen hatte, sah sie einfach umwerfend aus.
Die blonden Locken, die ihr jetzt offen über die Schultern fielen, schimmerten im Licht der Deckenlampe. Ihre Kleidung war von schlichter Eleganz – eine cremefarbene Hose und eine hellbraune Seidenbluse, die ihre hübsche Figur betonten. Außerdem war sie, wie er feststellte, der einzige Mensch, den er kannte, der auch mit verblüfftem Gesichtsausdruck attraktiv aussah.
„Kommen Sie herein, Charlotte. Was möchten Sie trinken?“
„Sind Sie der, für den ich Sie halte?“, stieß sie hervor.
„Ich bin Dennis Kinane, Marks älterer Bruder. Der Diktator, ganz recht.“
„Warum haben Sie das nicht gleich gesagt?“
Dennis zuckte die Schultern. „Ich hatte das Gefühl, dass auch Sie mir etwas verschweigen, Miss Winslow. Möchten Sie etwas trinken?“
Sie musterte ihn zornig. „Ja, ich könnte einen Drink gebrauchen.“
„Was darf es denn sein?“
„Ein Glas eisgekühlter Weißwein wäre nicht schlecht …“
„Kein Problem.“ Er stellte sein Whiskyglas ab, holte eine Flasche Weißwein aus dem Barschrank und öffnete sie, während Charlotte ihn beobachtete.
Dennis Kinane hatte wenig Ähnlichkeit mit seinem Bruder Mark. Er war Anfang dreißig, aber im Gegensatz zu dem feingliedrigen Mark mit dem hellen Haar und den blauen Augen wirkte dieser Mann kräftig und robust. Beide Männer waren gleich groß, etwa einen Meter neunzig, Dennis aber war, wie sie bereits festgestellt hatte, muskulös und durchtrainiert. Wie hatte sie übersehen können, dass das gewisse Etwas an ihm die Autorität war, die er als Besitzer von Mount Helena ausstrahlte?
Besonders beeindruckt war sie allerdings nicht davon, was auch Dennis Kinane zu bemerken schien. Er lächelte spöttisch, als er ihr das volle Weinglas reichte.
„Nehmen Sie Platz, und entspannen Sie sich.“
Sie sah sich um und setzte sich auf einen grünen Polstersessel. Der Salon war ähnlich gediegen eingerichtet wie das Gästezimmer, mit Möbeln aus Mahagoni und Zedernholz, und in harmonisch aufeinander abgestimmten Grün- und Brauntönen gehalten.
Dennis nahm, sein Glas in der Hand, auf dem Sessel gegenüber Platz. „Nun?“
Charlotte stärkte sich mit einem Schluck Wein. „Was verschweige ich Ihnen denn Ihrer Meinung nach?“, fragte sie kühl.
Ihm fiel auf, wie hübsch sie aussah mit ihrem trotzig gehobenen Kinn. „Warum Sie meinem Bruder nachlaufen, zum Beispiel“, meinte er.
„Wie kommen Sie darauf, dass ich ihm nachlaufe?“
„Ihr Besuch, der im Übrigen völlig unerwartet kommt, lässt darauf schließen. So etwas ist schon öfter passiert, und ich sage Ihnen lieber gleich, dass ich Sie so bald wie möglich dahin zurückschicken werde, wo Sie hergekommen sind.“
„Warum?“, fragte sie empört.
„Weil Mark vor zwei Tagen abgereist ist.“
Charlotte sah ihn fassungslos an.
Er trank einen Schluck Whisky und musterte sie prüfend über den Rand seines Glases hinweg. „Wann haben Sie das letzte Mal etwas von ihm gehört?“
„Was spielt das für eine Rolle? Und was geht Sie das an? Warum haben Sie mir nicht gleich gesagt, dass Mark nicht da ist?“