Weniger arbeiten, mehr leben - Hajo Neu - E-Book

Weniger arbeiten, mehr leben E-Book

Hajo Neu

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Beschreibung

»Wie lange soll das noch so weitergehen?« Viel zu viele Berufstätige stellen sich diese Frage – abends, wenn in allen Büros schon die Lichter aus sind, sie selbst aber noch am Schreibtisch sitzen. Hajo Neu zeigt, dass es durchaus Wege gibt, aus dem Wahnsinn von Überstunden, Stress und Burn-out auszusteigen, die Überholspur der Karriereautobahn zu verlassen und die Ausfahrt in Richtung »Leben« zu nehmen. Tests und Checklisten helfen dem Leser, sein individuelles Downshifting-Programm zu entwickeln und so seine Lebensqualität entscheidend zu verbessern.

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Neu, Hajo

Weniger arbeiten, mehr leben

Strategien für konsequentes Downshifting

www.campus.de

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2003. Campus Verlag GmbH

Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de

E-Book ISBN: 978-3-593-40336-6

|11|Einleitung: Glücklich ohne die Million

Was wäre, wenn Sie morgen 1 Million Euro auf dem Konto hätten? Steuerfrei, ohne jede Verpflichtung und völlig zu Ihrer freien Verfügung. Ein verlockender Gedanke, den sicherlich jeder von uns schon einmal hatte. Denken Sie ihn für einen Moment weiter. Sie wären reich, keine Frage – Sie müssten sich zumindest um materielle Dinge keine Sorgen mehr machen. Was wäre in so einem Fall mit Ihrer Arbeit, Ihrem derzeitigen Job? Würden Sie kündigen? Würden Sie ernsthaft mit dem Gedanken spielen, auszusteigen und Ihr bisheriges (Arbeits-)Leben komplett und für immer hinter sich zu lassen? Wahrscheinlich nicht.

Die meisten erfolgreich im Beruf stehenden Menschen antworten auf dieses Gedankenspiel Folgendes: »Ich würde nicht aufhören zu arbeiten. Aber ich würde etwas kürzer treten. Mich um andere Dinge kümmern, die mir wichtig sind. Wahrscheinlich hätte ich mehr Zeit für meine Familie, meine Freunde.« Um dann meist resignierend hinzuzufügen: »Aber was soll’s, ich habe das Geld nicht, und der Job nimmt mich voll in Beschlag. Es geht eben nicht.« Und bei dieser Überlegung belassen sie es – Menschen, die einen ausgeprägten Wunsch nach mehr Lebenssinn und Lebensqualität verspüren. Deren Welt von Hektik und Alltagsstress und bisweilen vielleicht auch von Existenzangst geprägt ist, und die gerne mehr leben und weniger arbeiten würden – wenn sie nur genug Geld auf dem Konto hätten, um diesen Traum zu verwirklichen.

Was aber, wenn Sie das Geld gar nicht brauchen? Vergessen Sie die Million, am besten sofort. Sie müssen nicht reich sein, um sich den Wunsch nach einem Leben zu erfüllen, in dem Zeit für Ihre Partnerschaft, Ihre Familie und die Erfüllung einiger lang gehegter Träume bleibt.

|12|Glückwunsch!

Sie gehören also auch zu denen, die es geschafft haben – Sie haben einen gut bezahlten, spannenden Job mit reichlich Sozialprestige, und der nächste Schritt nach oben auf der Karriereleiter ist selbstredend nur noch eine Frage der Zeit. Auf Ihrer Visitenkarte steht ein wohlklingender Titel, Sie telefonieren immer mit dem neuesten Handy, und möglicherweise stellt Ihnen die Firma einen anständigen Dienstwagen. Auf jeden Fall haben Sie eine Menge erreicht und genießen fraglos hohe Anerkennung durch Ihren Chef, Ihre Kollegen, Ihre Kunden. Eigentlich müsste es Ihnen verdammt gut gehen.

Nein? Fehlt etwas? Vermutlich ist es etwas, das nichts mit Ihrem Konto oder dem Firmenwagen zu tun hat. Denn Sie haben Opfer gebracht. Wenn Sie ein Mann sind, sind Ihre Kinder vielleicht drei, vier oder acht Jahre alt, und Ihnen ist schmerzlich bewusst, wie schnell sie groß geworden sind – ohne dass Sie ihnen dabei zusehen oder sie ein größeres Stück des Weges begleiten konnten. Wenn Sie eine Frau sind, haben Sie wegen der Karriere vielleicht ganz auf eine Familie verzichtet. Und Sie fragen sich manchmal, wie jene erfolgreichen Frauen »Kinder und Karriere« so perfekt unter einen Hut bringen, die regelmäßig in den einschlägigen Magazinen porträtiert werden. Wenn Sie Single sind, stellen Sie vielleicht fest, dass Sie außerhalb des Büros kaum noch Freunde haben. Vielleicht blicken Sie manchmal erstaunt auf alte Schul- oder Studienkollegen, die trotz ihres Berufs in der Lage sind, sich Zeit für Dinge wie Kino, Klavierspielen oder Kanufahren zu nehmen.

Auf jeden Fall sind Freizeit, Familie und Freunde ins Abseits geraten, und Sie leiden unter dem dummen Gefühl, dass Sie praktisch Ihr halbes Leben damit verbracht haben, dorthin zu gelangen, wo Sie heute stehen. Schlimmer noch: Sie wissen, dass das, was vor Ihnen liegt, keine große Veränderung in Bezug auf einen ganz bestimmten Punkt bringen wird – Lebensqualität, Lebenssinn.

Im Moment beschäftigen Sie sich fraglos mit einer Vielzahl interessanter Projekte. Sie entwickeln Marketingkampagnen, verwalten Firmenabschlüsse oder optimieren Systemprogramme. Spannend und herausfordernd das alles, keine Frage, wäre da nicht die bittere Erkenntnis, dass es |13|Wichtigeres im Leben gibt, als dem nächsten großen Deal hinterherzulaufen und den nächsten Karriereschritt zu planen. Denn Ihnen ist klar geworden, dass all diese Dinge nicht den gleichen Stellenwert haben wie ein Wochenende, das man nicht hinter dem Schreibtisch, sondern mit Freunden verbringt, wie das Engagement für ein soziales Projekt oder die Verwirklichung irgendeines verrückten Traums, den Sie schon in der Schule hatten – sei es, ein Boot zu bauen, einen Obstgarten anzulegen oder ein Buch zu schreiben. Mit einem Satz: Es ist die nüchterne Erkenntnis, dass Ihr so genanntes Leben nur noch um eines kreist – die Arbeit.

Von der Karriere-Autobahn aufs Abstellgleis

Vielleicht gehören Sie auch zu denjenigen, bei denen das Karriere-Pendel plötzlich brutal zur anderen Seite ausgeschlagen ist und die jetzt denken: »Na wunderbar, aber ich bin gefeuert worden. Ich wäre froh, wenn ich einen Job hätte!« Natürlich ist auch das ein mögliches Szenario: Dass Sie in diesen Tagen mehr oder minder unerwartet und fassungslos vor jenen zertrümmerten Teilen ihres Lebens stehen, die einmal eine vielversprechende Karriere waren. Vielleicht haben Sie die letzten Jahre geackert wie ein Irrer – selbstbewusst, energisch, aber stets auch mit dem Hintergedanken: »Es ist schließlich nicht für die Ewigkeit. Ich zieh das hier noch eine Weile durch und fahre den Job dann etwas herunter, um mich anderen Dingen zu widmen.« – Der berühmt-berüchtigte »Noch ’X’ Jahre, dann steige ich aus«-Gedanke also, den Millionen Menschen jeden Tag im Stau oder in der überfüllten Straßenbahn auf dem Weg ins Büro haben. Und dann das. Ein Anruf, ein kurzes Gespräch, ein nüchtern verfasster Brief von der Geschäftsleitung: »Für Ihren unermüdlichen Einsatz möchten wir Ihnen trotzdem herzlich danken!«

Im Grunde ist es gar nicht so entscheidend, ob Sie in einem fordernden Job ihr Bestes geben und bis zum Umfallen arbeiten oder einen scharfen Einschnitt in der Karriere verkraften mussten und nun voller Verbitterung resümieren, dass der Einsatz der letzten Jahre ein Stück weit nutzlos war. Ihr Wunsch und alle Planspiele, die Belastung durch den Job zugunsten |14|anderer Dinge herunterzufahren, scheint in weite Ferne gerückt zu sein. Der nächstliegende Gedanke ist: In so schwierigen Zeiten kann man unmöglich darüber nachdenken, weniger zu arbeiten. Die Devise jetzt kann nur lauten: Ärmel hochkrempeln und noch mehr Gas geben. Im Moment sind Sie deshalb wahrscheinlich drauf und dran, sich noch tiefer in die Tretmühle aus Dauerbelastung und Jobangst einzugraben – mit so vermeintlich guten Argumenten wie »Schließlich machen es alle so« oder »Noch ist die Zeit nicht reif, aber ich kann das Licht am Ende des Tunnels schon sehen!« Tatsächlich, es gibt ein schwaches Glimmen da ganz hinten. Und tröstlich ist allemal: Spätestens mit 65 (oder auch 70, je nachdem, wie groß die Löcher in den Rentenkassen tatsächlich sind) haben Sie es ohnehin geschafft. Aber wie viele Jahre wären das noch ...?

Wie wäre es stattdessen, wenn Sie den Blick nicht auf die Straße richten, sondern auf das, was sich am Wegesrand abspielt. Wenn Sie versuchen würden, mehr von jenen Dingen in Ihr Leben aufzunehmen, die Sie aufbauen, und weniger von allem, was Sie belastet, vor allem in beruflicher Hinsicht. Wie immer Ihre persönliche Situation auch aussieht: Nehmen Sie sich die Zeit, und denken Sie für die Länge dieses Buches über eine Alternative nach – eine Alternative, in der die Arbeit einen kleineren, aber wesentlich feineren Teil im Leben einnimmt.

Zwischen High-Speed-Karriere und Existenzangst

Man mag es kaum glauben, doch es ist bittere Realität: Es gibt nicht wenige Menschen, die einen angesehenen, einträglichen Job haben, ein hohes Lebensniveau mit den üblichen Insignien des Erfolgs und materiellen Wohlstands, Menschen, von denen man gemeinhin sagt, dass sie »es« geschafft hätten, und die trotzdem nicht zufrieden sind. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die Arbeitswelt, in der wir heute leben, ist abwechslungsreicher und spannender als jemals zuvor. Einerseits. Andererseits ist das Berufsleben um ein Vielfaches unberechenbarer und rücksichtsloser geworden, als dies beispielsweise noch zur Zeit unserer Eltern der Fall war. Niemand kann sich heute mehr darauf verlassen, ein Leben lang bei derselben Firma beschäftigt zu sein. Im Zeitalter von multinational agierenden |15|Großunternehmen, von Mega-Fusionen und -Pleiten, ist es sinnlos, auf einen lebenslang sicheren Job zu spekulieren. Viele haben es bei Kollegen oder Bekannten bereits miterlebt oder sogar am eigenen Leib erfahren: Ein Arbeitsplatz, der heute noch sicher scheint, eine Karriere, die scheinbar steil aufwärts weist, geht morgen verloren, weil Mitarbeiter wegrationalisiert werden, das Unternehmen seinen Standort schließt oder schlichtweg Pleite geht. Gleichzeitig ist bei Angestellten des mittleren und höheren Managements der Kampf im und um den Job alltäglich geworden. Ständig erreichbar, ständig präsent, immer auf dem Sprung, wenn es um die nächste Herausforderung geht. Anstatt um halb sechs den Stift fallen zu lassen und den Rechner runterzufahren, hängt der durchschnittliche Ingenieur, Journalist, Werber oder Produktmanager heutzutage lieber noch ein oder zwei Überstunden dran, schließlich will man ja vorankommen und Karriere machen.

Es ist ein Teufelskreis: Immer mehr persönlicher Einsatz und Engagement sind gefordert für einen Arbeitsplatz, der doch nie sicher ist, und an dem stets die Angst präsent ist, eines Tages wegrationalisiert oder Opfer der nächsten Fusion zu werden. In der unausweichlichen Konsequenz steigen Zeit und Lebensenergie, die in den Beruf fließen, oft ins Unerträgliche. Und der Druck fordert seinen Tribut. Zu den Belastungen im familiären und sozialen Bereich kommen die üblichen Symptome eines stressigen Berufslebens: Abgespanntheit, Unausgeglichenheit, im schlimmsten Falle Krankheiten. Wie in einer Achterbahn bewegen sich die meisten von uns beständig zwischen zwei Extremen: In Hoch-Zeiten, in denen man buchstäblich alles gibt, steht die Karriere im Mittelpunkt des Lebens. Dann folgen die stets wiederkehrenden, konjunkturell schlechten Phasen, die nicht selten in Existenzangst münden. Anders gesagt: Entweder befinden wir uns mit Vollgas auf der Überholspur oder wir liegen mit Motorschaden auf dem Standstreifen und warten auf den Abschleppdienst.

|16|Wege aus dem Hamsterrad

Auswege aus der alltäglichen Tretmühle gibt es reichlich, nur muss man sie aktiv suchen und gestalten. Denn die neue Arbeitswelt, die sich in den letzten Jahren rasant entwickelt hat, hält auch reichlich Chancen bereit – Chancen für die vielen Menschen, die einen Weg suchen, der sinnvoll und lebenswert in der Mitte zwischen den Extremen liegt.

Wie immer Ihre individuelle Situation auch aussieht, in einem Punkt können Sie sicher sein: Früher oder später erwischt es jeden, und der Wunsch, das Leben zu verändern und neuen Lebenssinn zu finden, wird drängender. Unterschiedlich sind allerdings die Konsequenzen, die die Menschen aus ihren Selbstzweifeln ziehen. Die einen wischen alle Bedenken zumindest zeitweise beiseite und beschließen, so weiter zu machen wie bisher. Und die anderen entschließen sich, ein anderes, ein neues Gleichgewicht zwischen Berufs- und Privatleben zu etablieren.

Sie als Leser dieses Buches gehören vermutlich eher zur letzten Kategorie. Sicher haben Sie sich schon einmal gefragt, wie es wäre, weniger zu arbeiten, eine Auszeit zu nehmen oder sogar »spätestens mit 50 ganz aufzuhören«. Soviel gleich zu Beginn: Der Traum vom Ausstieg mit 50 bleibt für die allermeisten Menschen leider auch nur einer – für immer. Unter den vielen, erfolgreich im Berufsleben stehenden Menschen, deren Biografien in dieses Buch einflossen, gab es keinen Einzigen, der oder die eine realistische Perspektive zur Verwirklichung dieses Traumes gehabt hätte. Der Grund ist relativ banal: Diejenigen, die mit 50 aussteigen möchten, schieben ihr Lebensproblem vor sich her, anstatt es zu lösen. Im ungünstigsten Falle verschlimmern sie ihre Job- und Lebenskrise nur noch und erkaufen sich den Traum durch noch mehr Arbeit und Stress in den Jahren, die die Vorbereitung des Ausstiegs erfordern. Nur um hinterher zu erkennen, dass sie tiefer im Schlamassel stecken als zuvor.

Die vernünftigere Alternative lautet deshalb: Beginnen Sie, Ihren Lebens- und Berufsstil in vielen kleinen Schritten zu verändern. Weg von Stress, Hektik und materiellem Überfluss – hin zu jenen Lebens-Werten, die bislang zu kurz kamen.

|17|Ausstieg aus der Aufstiegsgesellschaft

Ein Begriff, der sich für diese schrittweise Veränderung des eigenen Lebens etabliert hat, lautet Downshifting. Downshifting meint nichts anderes, als einen oder mehrere Gänge herunterzuschalten, Druck und Ruhelosigkeit des beruflichen Alltags abzuschütteln und sich den Dingen zu widmen, die tatsächlich lohnens- und lebenswert sind.

Vielleicht gehören Sie zu denjenigen, die mit den traditionellen Ratgebern zum Thema Work-Life-Balance wenig anfangen können. Der Grund könnte darin liegen, dass bei diesen Ansätzen häufig eines ignoriert wird: Für viele Menschen besteht das zentrale Lebensproblem nicht darin, dass sie unorganisiert sind, zu wenig verdienen oder keine Freunde finden. Es ist schlicht und einfach die gnadenlose Dominanz der Arbeit über den Rest des Lebens, die diese Menschen erdrückt.

Vielleicht ist deshalb die Downshifting-Idee der weitaus bessere Ansatz für Sie. Anders als bei den herkömmlichen Work-Life-Balance-Konzepten geht es dabei vor allem und zuerst um eines: Die Neudefinition Ihres persönlichen Verhältnisses zur Arbeit. Egal, ob Sie nun seit Jahren 50 oder mehr Stunden in der Woche schuften oder infolge einer Kündigung aus Pflichtgefühl von einem Headhunter zum nächsten hetzen: Sie bestimmen Rolle, Umfang und Bedeutung von Arbeit und Beruf in Ihrem Leben neu und gestalten in notwendiger Konsequenz auch viele andere Aspekte des Lebens mehr oder weniger stark um. Wie stark, das hängt alleine von Ihren Wünschen und Ihrer persönlichen Situation ab. Dabei hat Downshifting nur auf den ersten Blick etwas mit »weniger« zu tun. In Wahrheit geht es beim Downshifting-Ansatz vor allem um »mehr« – mehr von den richtigen und wichtigen Dingen, die bislang zu kurz kamen und die Ihr Leben bereichern. Downshifting bedeutet deshalb nicht, völlig mit dem Arbeiten aufzuhören. Downshifter sind keine Aussteiger im klassischen Sinne, es sind Umsteiger oder besser noch: Einsteiger. Sie wählen den Einstieg in ein anderes Leben. Es sind im Beruf erfolgreiche, positiv denkende Menschen, die ihre Probleme anpacken und denen klar geworden ist, dass ihr anspruchsvolles Arbeitsleben, ihr materieller Wohlstand und meist auch Überfluss teuer erkauft sind – durch den Verzicht auf ein Leben außerhalb der Arbeit.

|18|Wobei Ihnen dieses Buch hilft

Weniger arbeiten, mehr leben soll Ihnen nicht einfach nur die Augen öffnen. Dieses Buch erzählt alles, was Sie wissen müssen, um den so genannten »High Pressure Lifestyle« mit seiner Geschwindigkeit und all seiner lebensraubenden Hektik hinter sich zu lassen. Es enthält detaillierte Checklisten und praktische Ratschläge, wie der Traum eines sinnreicheren Lebens Wirklichkeit wird. Von dem Zeitpunkt, an dem der Wunsch nach mehr Lebensqualität erwacht, bis hin zu den Schritten, in denen Sie Ihr Berufsleben verändern und nach Ihren eigentlichen Wünschen neu gestalten – mit allen Herausforderungen und Problemen, die dabei ebenfalls auftauchen können. So viel allerdings gleich vorweg: Der Weg dorthin ist vielgestaltig, ein Patentrezept gibt es nicht. Mithilfe von Fragen und Checklisten am Ende eines jeden Kapitels werden Sie deshalb Ihre persönlichen Bedürfnisse nach mehr Lebensqualität genau eingrenzen können. So werden Sie klären, wie ernst es Ihnen mit Ihrem »Projekt Downshifting« tatsächlich ist, und dass es durchaus sinnvoll sein kann, einen fertigen Plan auch dann schon in der Tasche zu haben, wenn Sie Ihr Leben nicht von heute auf morgen komplett verändern möchten.

In diesem Zusammenhang deshalb auch gleich folgender Hinweis: Ein neues Lebens-Gleichgewicht zu definieren und schließlich auch zu etablieren ist keine Sache von wenigen Tagen. Es braucht einiges an guter Planung und Vorbereitung. Und wenn Sie sich jetzt fragen, ob Sie dazu überhaupt in der Lage sind, dann sollten Sie wissen: Es sind genau die menschlichen Qualitäten gefordert, die Sie persönlich im Beruf bereits dorthin gebracht haben, wo Sie jetzt stehen, nämlich Entscheidungsfreude, Willenskraft und Optimismus. Weniger arbeiten, mehr leben ist deshalb für Menschen geschrieben, die es schon einmal geschafft haben – im Beruf. Und die sich nun einer neuen Herausforderung stellen möchten, die ihr Leben betrifft.

Downshifting besteht aus insgesamt vier Schritten, die wir Meilensteine nennen. Stellen Sie sich vor, Sie sind mit Ihrem Wagen auf der Karriere-Autobahn unterwegs. Ihr Ziel ist es, einen oder mehrere Gänge herunterzuschalten oder die Rennstrecke vielleicht sogar ganz zu verlassen. Bevor Sie so weit sind, geht es an die Vorbereitungen: Jeder Meilenstein |19|bringt Sie Ihrem Ziel auf dem Downshifting-Weg ein großes Stück näher. Dabei müssen diese Markierungen nicht in jedem Fall Meilen voneinander entfernt sein; es ist gut möglich, dass Sie den einen Meilenstein schnell und unkompliziert erreichen, während die Reise zum nächsten etwas mehr Zeit kostet.

Den ersten Downshifting-Meilenstein erreichen Sie, indem Sie zunächst den Abstand definieren, den Sie zu Ihrem bisherigen (Berufs-)Leben herstellen möchten. Sie klären, wie groß Ihr Veränderungspotenzial ist und wie weit Sie Ihr Leben tatsächlich neu definieren und verlangsamen möchten.

Der zweite Meilenstein trägt die Inschrift »Geld und Glück – Mehr Leben ohne den alten Überfluss«. Sie erreichen ihn, indem Sie klären, auf welche materiellen Dinge Sie in Zukunft verzichten können, um sich so auch von geistigem Ballast zu befreien.

Der dritte Meilenstein ist ganz Ihrem bisherigen und zukünftigen Beruf gewidmet. Es geht darum, Ihren Job auf ein vernünftiges und lebenswertes Maß zurechtzustutzen und notwendige Veränderungen für Ihre berufliche Zukunft zu planen.

Anlässlich des vierten und letzten Meilensteins geht es schließlich darum, all das auf- und auszubauen, was in Ihrem Leben bislang unterrepräsentiert war. Je nachdem, zu welchen Ergebnissen Ihre bisherige Reise geführt hat, werden Sie den neu entstandenen Freiraum neu ausfüllen und Ihrem Leben neuen Sinn geben.

Am Ende dieses Buches finden Sie zu guter Letzt einen detaillierten Plan und eine neue »Straßenkarte«, mit deren Hilfe Sie Ihre Ziele auch sicher erreichen. Auf dieser Karte erkennen Sie die Lage der Meilensteine und die Entfernungen, die noch vor Ihnen liegen. Sie können Erfolge überprüfen, aber auch feststellen, ob Sie vielleicht zu weit vom festgelegten Weg abgewichen sind.

Sind Sie bereit? Die ersten Meter auf dem Weg zum ersten Downshifting-Meilenstein haben Sie bereits zurückgelegt!

|21|Der erste Meilenstein: Gewinnen Sie Abstand

|23|»Mir reicht’s!«

Jeder hofft, es möge nicht ihn erwischen, doch letztlich ist niemand sicher: Die Zeiten des ungetrübten Wachstums und der scheinbar niemals endenden Prosperität sind endgültig vorbei, die Jahre, in denen eine glanzvolle Karriere alleine das Ergebnis von Fleiß und Ausdauer war, damit ebenfalls. Den Erhebungen der Industrie- und Handelskammern zufolge wird sich die Phase der Konsolidierung und des schleichenden Arbeitsplatzabbaus auch in den nächsten Jahren unerbittlich fortsetzen. Jedes dritte Unternehmen in Deutschland will weiterhin Arbeitsplätze abbauen. Und im Unterschied zu den achtziger und neunziger Jahren trifft es diesmal auch die hoch qualifizierten und gut ausgebildeten Mitarbeiter im Management und in der Entwicklung – Ingenieure, Produktmanager, Juristen. Menschen, die über eine exzellente Ausbildung verfügen und die bisher glaubten, der Weg nach oben sei ohne Hindernisse.

Mittlerweile ist in vielen Firmen das Klima frostiger geworden. Die Herzlichkeit, der freundliche Umgangston, die hehren Ideen der neunziger Jahre, die im Zuge der kurzen New-Economy-Revolution aufflackerten – Gemeinschaft, Eigenverantwortung, gute Laune, denn heitere Menschen arbeiten einfach lieber – sind passé. Niemand redet heute mehr von einer Arbeitswelt, in der die Menschen fröhlich an gemeinsamen, großen Zielen arbeiten. Im Gegenteil: Selbst in Unternehmen, denen es gut geht, fragen sich die Mitarbeiter, wie sicher ihr Job noch ist. Und wem der neue Umgangston nicht passt, der kann ja gehen. Nicht nur die Globalisierung, auch das rasende Tempo der Entwicklungen verwandelt Unternehmen und die Art, wie die Menschen in ihnen arbeiten. Zusammenschlüsse und Fusionen, Änderungen der Firmen- und Marktstrategie, die Konkurrenz, die einfach schneller ist – wenn sich Marktbedingungen |24|ändern, sind die Angestellten die ersten Leidtragenden. Dies gilt mehr denn je auch für die Informationstechnologie- und die Dienstleistungsbranche, die dem Wandel am härtesten unterworfen sind. Und es gilt für Spezialisten ebenso wie für Generalisten, auf jeder Ebene der Hierarchie. Bittere Konsequenz: Viele Mitarbeiter wissen heute nicht, wem sie morgen gehören. Ob ihr Arbeitsplatz sicher ist oder ob sie auf der Straße stehen werden.

Arbeitslosigkeit, Jobverlust, das waren für den gelernten Bankkaufmann und studierten Betriebswirt Markus Q. lange Zeit Dinge, die außerhalb seiner Welt stattfanden. Der 31-Jährige legte sein Diplom mit Auszeichnung ab, studierte in London und Genf. Als ihn schließlich eine Frankfurter Großbank im Investment-Bereich anstellte, war das für den ehrgeizigen Diplom-Kaufmann nur die logische Forsetzung seines bisherigen Lebensweges, auf dem es außer der Karriere bisher nicht viel gegeben hatte. Markus Q.s Misere begann im Sommer 2002 mit den Stellenstreichungen der Großbanken. Als auch in seiner Abteilung die ersten Kündigungs-Gerüchte aufkamen, wiegelte sein damaliger Chef noch ab und versicherte, sich für ihn einzusetzen – ein Versprechen, das genau zwei Wochen hielt. Dann kam das Kündigungsschreiben. Seine anschließende Phase der Wut und Selbstzerfleischung dauerte genau zwei Wochen, bis ihm endlich klar wurde, dass sein bisheriges Leben zu einseitig auf die Karriere fixiert war.

Dynamisch und flexibel

Nicht nur die äußeren Bedingungen, auch die Intensität unserer Beschäftigung hat sich dramatisch verändert. Noch vor 30 Jahren gehörten Menschen, die mehr als 50 oder sogar 60 Stunden in der Woche arbeiteten, zu den Ausnahmeerscheinungen – eine Randgruppe, weit abseits des Durchschnitts der arbeitenden Bevölkerung. Heute dagegen ist es selbst für Angestellte des mittleren Managements üblich, abends Überstunden zu schieben und am Wochenende Seminare und Fortbildungen zu besuchen. Dynamisch, flexibel und auch nach einem 12-Stunden-Tag noch bereit für ein forderndes Meeting – das sind die Vorgaben, die viele Unternehmen an ihre Mitarbeiter stellen. Und das ist das Selbstbild, das |25|viele erfolgreiche Berufstätige von sich haben. Dabei merken wir lange Zeit oft nicht, welche Konsequenzen ein solcher Lebensstil hat. Der Druck und die tägliche Belastung sind mit Ende zwanzig und Anfang dreißig noch verkraftbar, oft spüren wir nicht einmal, wie Zeit und Energie unaufhaltsam von unserem Lebenskonto abgezogen werden. Doch spätestens mit 40 oder 50 Jahren schlägt das Pendel unerbittlich zurück. Dann nämlich, wenn es darum geht, so fit sein zu müssen wie ein Mittzwanziger – oder der Umwelt diese Kraft vorzuspielen.

Dass diese Belastungen nicht ohne Folgen für die körperliche Verfassung bleiben, versteht sich von selbst. Allzu häufig ist es die Gesundheit, die wir als Erstes auf dem Altar unseres beruflichen Daseins opfern. Gesundheitskiller Nummer eins ist der Stress, das heißt ständige Anspannung, Druck von außen und natürlich das Bestreben, stets erstklassig und fehlerfrei zu funktionieren. Die Folgen sind Nervosität, Abgespanntheit, Schlafstörungen und nicht selten auch Angst. Die fatale Konsequenz: Wer Herausforderungen nicht mehr als Chance, sondern als Bedrohung wahrnimmt, ist nicht nur unglücklich, sondern auch krankheitsanfälliger.

Was die Sache noch schlimmer macht: Menschen, die viel arbeiten, ernähren sich ungesund und treiben meist auch weniger Sport – die größten Risikofaktoren für die eigene Gesundheit. Eine Untersuchung des Instituts für Arbeits- und Sozialhygiene Stiftung (IAS) in Karlsruhe aus dem Jahre 2001 bescheinigt deutschen Führungskräften den gefährlichen Trend, sich selbst zu vernachlässigen: »Gerade in Phasen hoher beruflicher Belastung besteht eine Tendenz, die sportlichen Aktivitäten einzuschränken.« Und die Autoren der Studie folgern: »Dass dies erhebliche negative Konsequenzen sowohl hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos als auch des Stressabbaus und des psychischen Wohlbefindens hat, wird durch neuere Untersuchungen unterstrichen.« Als Folge diagnostiziert das Institut, das jedes Jahr mehrere tausend Manager auf ihren Gesundheitszustand hin checkt, bei jedem dritten Untersuchten Bluthochdruck, Übergewicht oder erhöhte Blutfettwerte – allesamt erhebliche Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Infarkt oder Schlaganfall. Mit anderen Worten: Wer viel arbeitet, ist fatalerweise auch am ehesten bereit, zugunsten der Karriere auf die billigste und beste gesundheitsfördernde Maßnahme zu verzichten, die es gibt: regelmäßigen Sport. Die boomende Gesundheitsindustrie |26|hat dies längst erkannt und bietet für jeden Geschmack und Geldbeutel das passende Programm, um gestresste Berufstätige in (falscher) Sicherheit zu wiegen. Ob Tai-Chi-, Töpfer- oder Paragliding-Kurse: Als Teilnehmer hat man für kurze Zeit das beruhigende Gefühl, der Hektik entflohen zu sein. Dauerhafte Veränderungen, gar ein veränderter, gesünderer Lebensstil werden dadurch jedoch fast nie bewirkt. Häufig geraten die frisch Therapierten schon kurze Zeit später erneut in die Tretmühle.

Zu den körperlichen Leiden kommt ein weiterer negativer Aspekt: Einseitig aufs Berufsleben fixierte Menschen laufen Gefahr, dass sich ernste Jobkrisen schnell zu ernsten Lebenskrisen ausweiten. Wer alles für die Karriere gibt und außerhalb des Berufs keine Haltepunkte hat, gerät in Gefahr, die schwache Balance vollends zu verlieren, sobald Rückschläge eintreten. Das kann ein vergeigtes Projekt, ein verlorener Auftrag oder auch nur ein Rüffel vom Chef sein. Wer solche Niederlagen nicht durch Erfolge außerhalb des Berufs ausgleichen kann, kommt über Rückschläge nur schwer hinweg und stellt mit dem (vermeintlichen) Versagen im Beruf auch gleich einen erheblichen Teil seiner Persönlichkeit infrage. Wer dagegen über ein von Psychologen so genanntes »selbstkomplexes Selbstbild« verfügt, kennt solche Probleme nicht. Denn selbstkomplexe Menschen definieren ihr Ich nicht ausschließlich über Job und Karriere, sondern ebenfalls über eine Vielzahl weiterer Identitäten: als sozial engagierte Menschen, als Familienväter und -mütter, als erfolgreiche Hobby-Künstler oder Sportler.

Am Anfang steht meist einfach nur Zeitmangel, wie bei Karen G., einer Werbe-Managerin aus Hamburg. Die 34-Jährige hatte eine Full-Speed-Karriere absolviert und sich in Rekordzeit von der Praktikantin zur Etat-Direktorin in einer großen Werbeagentur hochgearbeitet. Der Preis für ihren spannenden und gut bezahlten Job, aus dem die Power-Frau einen Großteil ihres Selbstbewusstseins zog: Zehn- bis Zwölf-Stunden-Tage, Wochenendarbeit, permanenter Stress und Druck von den Kunden. Was die sozialen und menschlichen Defizite betraf, ging es ihr nicht anders als vielen Kollegen: »Man sagt sich, mein Gott, ich mach das noch ein paar Jahre, dann spring ich ab auf einen ruhigeren Posten.«

|27|Naturgemäß besitzt jeder Mensch eine ganze Reihe von unterschiedlichen Talenten und Fähigkeiten; eine wunderbare Vielseitigkeit, die in uns schlummert, die jedoch bei Menschen verkümmert, deren einseitiges Selbstbild nur die Karriere als Maßstab für Erfolg und Misserfolg kennt. Bittere Konsequenz: Eine kleine Niederlage im Büro wird zur großen Niederlage im Lebensentwurf.

Der arbeitende Mensch vor seiner größten Veränderung

Es klingt paradox, aber die Chance, eine positive Veränderung im persönlichen Arbeits- und Lebensstil herbeizuführen, liegt eben in der sich wandelnden Arbeitswelt, die Downshifting und damit einen anderen, vom Berufsstress befreiten Lebensstil für viele Menschen zu einer echten Alternative werden lässt. Der »Homo Laborans«, der arbeitende Mensch, steht vor einem Prozess fundamentaler Umgestaltung, nach Expertenmeinung der tiefgreifendste Wandel seit der industriellen Revolution.

Das konstante, beständige Arbeitsleben, das wir noch von der Generation unserer Eltern kennen, und damit auch der klassische Lebenslauf (Ausbildung, eventuell Uni, jahrelange Anstellung bei einem einzigen Unternehmen mit anschließender feierlicher Verabschiedung) werden schon bald endgültig der Vergangenheit angehören. Karriere, Job, Geld verdienen – all dies wird immer weniger eine Sache sein, die einfach stur in eine Richtung verläuft. Dagegen werden Arbeitsverhältnisse für viele von uns zu Zweckbündnissen auf Zeit. Es wird immer mehr begrenzte und kürzere Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer geben, die so lange gelten, wie beide Seiten davon profitieren. An die Stelle von Festangestellten treten freie Mitarbeiter und Teilzeitbeschäftigte, an die Stelle von festen Abteilungen Projektteams, die so lange zusammen arbeiten, wie es der Auftrag erfordert. Job-Sicherheit und lebenslange Garantien gibt es nicht mehr.

Der Grund dafür ist einfach: Produkte werden in immer kürzeren Abständen auf den Markt geworfen, das technische Innovationstempo verlangt von Unternehmen, dass sie ihre Strategien und Marktauftritte in |28|immer kürzerer Zeit verändern. Dem müssen die Anzahl und die Qualifikation der Mitarbeiter fortwährend angepasst werden. Wer jetzt glaubt, diese neue Art der Beschäftigung sei eine zeitweilige oder zyklische Erscheinung, irrt. Es handelt sich um einen langfristigen und tiefgreifenden Strukturwandel. Ein Trend, der nach Zukunftsmusik klingt, der aber in vielen Unternehmen und Bereichen bereits Realität ist.

»Interessant«, denken Sie jetzt vielleicht immer noch. »Aber mich betrifft das noch nicht. Mein Job ist sicher.« Das Statistische Bundesamt – wahrlich keine Institution, der man Panikmache oder einseitige Parteinahme vorwerfen könnte – hat in einer Umfrage zu diesem Thema, dem »Mikrozensus 2001«, ermittelt, dass die Zahl der Teilzeitbeschäftigten in Deutschland von April 1991 bis April 2001 um 44 Prozent von 4,7 auf 6,8 Millionen Menschen gestiegen ist. Die Zahl der Selbstständigen erhöhte sich in diesen zehn Jahren um 20 Prozent auf 3,6 Millionen. Die Anzahl aller Vollzeitstellen in Deutschland sank dagegen um 11 Prozent. Überzeugt? Die einfache Konsequenz, die jeder von aus dieser Entwicklung ziehen sollte: Das Berufsleben künftig flexibler und vor allem eigenverantwortlicher zu gestalten.

Erwarten Sie also besser keine bruchlose, strikt geradeaus gerichtete Karriere mehr, an deren Ende Ihnen Ihr Chef einen goldenen Füller überreicht und Sie in den wohlverdienten Ruhestand schickt. Stellen Sie sich stattdessen auf den Wandel und die neuen Bedingungen ein. Wenn Sie vorbereitet sind, kann Sie nichts überraschen. Und genau damit sind Sie bereits mitten im Thema Downshifting. Ein erfolgreich umgesetzter Downshifting-Plan bedeutet auch, dass Sie zu einem flexiblen und gleichzeitig unabhängigen Lebens- und Arbeitsstil finden: Flexibel im Job und unabhängig von den stark schwankenden Anforderungen und Beschäftigungsmöglichkeiten eines einzelnen Unternehmens. Personalberater sprechen in diesem Zusammenhang bereits von der »Patchwork-Karriere«: Ein Arbeitsleben, das auch mal seitwärts oder (scheinbar) rückwärts verläuft, das Sprünge und Umwege zulässt. Und das die Möglichkeit bietet, den Job individuell an das Leben anzupassen.

Gerade für Downshifter bieten also die Stürme, durch die wir augenblicklich segeln, zahlreiche Ankermöglichkeiten. Und wer den Wandel begriffen und sich auf mögliche Veränderungen eingestellt hat, kann von |29|der neuen Arbeitswelt profitieren und wählt den günstigsten Zeitpunkt zum Downshifting selbst.

Die neuen Statussymbole

Die Gründe, den Weg zu wechseln sind dabei so vielfältig wie das Leben selbst und haben nichts mit einer besonderen Herkunft oder Ausbildung zu tun. Menschen, die beschließen, in ihrem Arbeitsleben einen oder mehrere Gänge herunterzuschalten, kommen aus völlig unterschiedlichen sozialen Schichten und haben völlig unterschiedliche Biografien. Sie hatten und haben alle ihre ganz persönlichen Gründe. Eines allerdings ist ihnen gemeinsam: Eine tiefgehende Unzufriedenheit mit dem bisherigen Lebensentwurf und das sichere Gefühl, mit einem Wechsel die Dinge zum Besseren zu verändern. Es sind Menschen, die erkannt haben, dass sie für ihr bisweilen ansehnliches Einkommen und den daraus resultierenden Lebensstandard einen zu hohen Preis zahlen, wie Stress und Krankheiten, gestörte Beziehungen, viele Stunden der Trennung von Partnern und Freunden, von Familie und Kindern.

Auch wenn Sie sich bisher noch nicht in einem der geschilderten Beispiele wiedergefunden haben – in Ihrem Wunsch nach mehr Lebensqualität haben Sie in jedem Fall prominente Fürsprecher. So rief vor gar nicht langer Zeit ausgerechnet in den USA einer der Hohepriester des Managements und Turbo-Kapitalismus zur inneren Einkehr auf: »Es gibt keinen Erfolg im Geschäftsleben, der ein Versagen im privaten Bereich kompensieren könnte!« gab der Dekan der Harvard Business School seinen Absolventen mit auf den Weg (Wirtschaftswoche Nr. 32/2000, S. 100 ff.). Auch in Deutschland suchen immer mehr erfolgreiche Menschen Auswege aus dem beschriebenen Dilemma. In einer Studie des Magazins Wirtschaftswoche aus dem Jahr 2000 zur »Elite der Zukunft« (Nr. 15 und 25/2000) erklärten mehr als 50 Prozent aller Manager unter vierzig Jahren, dass der Stellenwert der Familie »deutlich höher« liege als der von Beruf und Karriere und betonten gleichzeitig die Wichtigkeit eines ausgeglichenen Privatlebens. Der Grund ist: Gerade die jüngeren Berufstätigen haben häufig noch die Generation ihrer Eltern vor Augen, die sich von der Arbeit auffressen |30|ließen. Ein Wertewandel findet also statt hin zu Familie und Freizeit als den neuen Statussymbolen. Die Menschen streben nach der Erfüllung ihres Lebens wieder in einem umfassenderen Sinn, anstatt die berufliche Karriere unbedacht zum alleingültigen Maßstab zu erheben.

Reif für die Entscheidung

Lebenskrisen werden von vielen Menschen gerne vorschnell als negative Erfahrungen abgetan, auf die man gut verzichten kann. Solche Überzeugungen stammen dabei meist von Leuten, die selbst noch nie durch eine echte Krise gegangen sind – und die nicht wissen, dass eine Krise ihren Nutzen und Sinn hat. Vergegenwärtigen Sie sich an dieser Stelle einmal kurz, was dies im Zusammenhang mit Wirtschaftskrisen bedeutet, von denen es gemeinhin heißt: »Nach den notwendigen Anpassungen und Restrukturierungen werden die gesunden Unternehmen aus dieser Krise gestärkt hervorgehen.« Dies ist ein Punkt, der auch in anderer Hinsicht noch von entscheidender Bedeutung sein wird: Was für Unternehmen gilt, gilt nämlich auch für die darin beschäftigten Menschen, mithin für Sie persönlich.

Krisen sind Chancen – Chancen, die man statt ins Grübeln zu verfallen und mit seinem Schicksal zu hadern aktiv nutzen sollte, um die persönlichen Ziele zu überdenken und nötigenfalls zu verändern. Radikaler ausgedrückt, kann eine Lebenskrise der längst überfällige Auslöser sein, sich endlich auf den Weg zu begeben, von dem man vielleicht schon seit längerer Zeit geträumt hat. Der Anstoß, sich zu dem Menschen zu entwickeln, der man immer sein wollte, bevor man sich durch irgendwelche Zufälle verleiten ließ, dem Lebensweg eine andere Richtung zu geben.

Das wohl populärste Beispiel in diesem Zusammenhang ist die so genannte Midlife-Crisis. Was immer Sie bis jetzt darüber gehört und gelesen haben: Die Midlife-Crisis ist nichts Schlimmes. Das bemerkenswert Dümmste daran ist allenfalls der Zeitpunkt, zu dem sie auftritt und wie wir sie (wenn wir sie denn bekommen) verarbeiten. Im Idealfall sollten wir unsere Midlife-Crisis spätestens mit Ende zwanzig hinter uns gebracht haben, um gestärkt und von Selbstzweifeln gereinigt das anzupacken, was |31|wir vom Leben wirklich erwarten. Leider haben natürlich die wenigsten von uns in den Zwanzigern den Mut, das Selbstvertrauen und das Wissen, einen solchen, manchmal radikalen Schritt zu wagen. Stattdessen passen wir uns in allzu vielen Fällen den Wünschen unseres äußeren Umfelds an und das Unglück nimmt seinen Lauf. Eines sollten Sie deshalb um jeden Preis vermeiden: Nach der (oberflächlichen) Bewältigung einer Lebenskrise so weiter zu machen wie bisher. Verglichen mit einem Unternehmen könnte das bedeuten, dass Sie Ihre strukturellen Probleme weiter mit sich herumschleppen und spätestens beim nächsten Abflauen der Konjunktur erst richtig in Schwierigkeiten geraten.

Ein Auffahrunfall bei hoher Geschwindigkeit – so beschreiben viele Menschen den entscheidenden Moment, der bei ihnen der Auslöser war, ihr Berufs- und Privatleben zu überdenken und neu zu ordnen. Das Ende von Karen G.s »erster Karriere«, wie sie es heute nennt, begann mit dem überraschenden Tod ihres Vaters, der mit Mitte fünfzig an einem Schlaganfall starb. Bis dahin war der Architekt in vielen Dingen für seine Tochter ein nie ernsthaft hinterfragtes Vorbild: Er war wie sie ein ausgesprochener Workaholic, immer auf Achse, gönnte sich kaum einmal einen Urlaub und lebte stets im festen Glauben daran, nur ein unter Hochdruck arbeitender Mensch könne auch erfüllt und glücklich sein. Was für die erfolgreiche Werberin folgte, war ihre erste große Lebens- und Sinnkrise und eine weitreichende Entscheidung: Nicht sofort wieder auf den Karriere-Zug aufzuspringen, sondern sich endlich dem lange vernachlässigten Privat- und Freizeitleben zuzuwenden; mithin all jenen Aspekten, die bisher nie dazu ausersehen waren, in ihrem Terminkalender auf Prioritätsstufe »2« oder gar »1« vorzurücken.

Ihr Downshifting-Tipp: Auf die innere Stimme hören! Und wenn das nichts hilft: Das neutrale Urteil anderer Menschen zurate ziehen, die sich außerhalb des beruflichen Umfelds bewegen.

Viele Menschen, die erkannt haben, dass im Beruf etwas falsch läuft, dass sie im Grunde weder mit ihrem Chef noch den Kollegen klarkommen, dass ihr Arbeitsplatz nicht mehr sicher ist, reagieren darauf zunächst mit Fassungslosigkeit, teilweise sogar Ohnmacht. Sie fühlen sich betrogen und |32|sind wie gelähmt. Das führt nicht weiter. Denn wer sich selbst bedauert oder hasserfüllt auf seine Arbeit oder seinen Arbeitgeber starrt, kommt spätestens bei der nächsten Turbulenz erneut ins Trudeln.

Ganz gleich, ob Sie persönlich nun tatsächlich in einer ernsten Job und Lebenskrise stecken und alles, wirklich alles hinschmeißen möchten oder einfach nur den Wunsch haben, einen halben Tag in der Woche weniger zu arbeiten, um Joggen zu gehen oder Ihren Kindern bei den Schularbeiten zu helfen: Zögern Sie nicht länger. Zufriedenheit mit sich selbst und dem eigenen (Arbeits-)Leben ist kein Zustand, der sich von alleine einstellt, sondern der geplant und gestaltet werden muss. Die Angst vor falschen Entscheidungen ist dabei völlig überflüssig, denn den Grad, die Intensität des Downshiftings und damit die Ausgestaltung Ihres neuen, veränderten Lebens bestimmen natürlich Sie selbst. Sie müssen nicht gleich ihren Job kündigen, das Auto verkaufen und das Handy in die Mülltonne werfen. Downshifting ist vielfältig, und nur Sie alleine können entscheiden, was für Sie passt. Und selbst wenn Sie noch keine konkrete Absicht hegen – einen Plan zu haben ist niemals verkehrt! Viele Menschen beginnen bereits bei den ersten Anzeichen beruflicher Unzufriedenheit oder Unsicherheit, Szenarien für ein verändertes Arbeits und Privatleben zu entwickeln. Denn eine fertig ausgearbeitete Alternative kann wie eine gute Versicherung sein, die Sie unter Umständen niemals brauchen.

Den Downshifting-Kompass ausrichten

Kommen wir nun zu den ersten Vorbereitungen. Es gibt verschiedene Lebensbereiche, die sich mehr oder weniger stark verändern, wenn Sie es mit Downshifting ernst meinen und Ihr Berufsleben neu definieren:

Ihre Finanzen und Ihr Konsumstil,

Ihr Job und die Intensität, mit der Sie in Zukunft arbeiten werden,

Ihre Freizeit und Ihre persönlichen Interessen,

und schließlich auch die Erwartungen, die andere Menschen an Sie haben.

|33|Die wichtigsten Fragen, die sich daraus ergeben und die Sie sich stellen müssen, sind: Wie und wo möchten Sie in Zukunft arbeiten, um Ihren Lebensunterhalt zu verdienen? Worauf können und wollen Sie verzichten – materiell wie ideell? Was werden Ihre Familie, Ihr Partner und Ihre Freunde zu Ihrem Entschluss sagen, und wie können Sie sie möglichst sinnvoll in Ihren Plan miteinbeziehen? Und schließlich: Was waren bisher die Momente in Ihrem Leben, in denen Sie sich besonders gut gefühlt haben? Wo Sie wussten: Jetzt tue ich genau das, was ich tun will! Darauf werden Sie aufbauen.

Vor all diesen Überlegungen aber müssen Sie zunächst die Frage klären, wie ernst es Ihnen tatsächlich ist mit dem Wunsch nach einem neuen Gleichgewicht zwischen der Arbeit und einem nach Ihren eigenen Bedürfnissen gestalteten Leben. Ob Sie wirklich reif für einen Spurwechsel sind oder ob Sie – auch das ist möglich – nur durch eine vorübergehende Phase beruflicher Frustration gehen. Anders gesagt: Im Moment rauschen Sie mit Tempo 180 inmitten einer Lawine von weiteren Fahrzeugen auf einer achtspurigen Autobahn dahin; Sie sind Teil einer hektischen, bisweilen auch aggressiven Welt, in der sich Erfolg und Lebensqualität fast ausschließlich über berufliche Leistung definieren. Halten Sie dieses Tempo und den damit verbundenen Stress weiter aus? Gehören Sie vielleicht zu den Typen, die auch auf der Überholspur noch in der Lage sind, per Handy ein Gespräch mit einem wichtigen Geschäftspartner zu führen und sich gleichzeitig in Gedanken ganz entspannt auf das anschließende Zusammentreffen mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin vorzubereiten? Oder ist Ihr Frustrationspotenzial überschritten? Sollten Sie das Tempo verlangsamen und einen oder mehrere Gänge herunterschalten?

Bedenken Sie dabei auch Folgendes: Genauso wichtig wie der Wille, einen Wechsel einzuleiten, ist das klare Bewusstsein darüber, dass man einen Downshifting-Plan nicht vorschnell romantisieren oder gar ohne reife Planungen umsetzen sollte. Das könnte für kurze Zeit anregend und erholsam sein wie ein überraschender Urlaub, danach würden Sie jedoch mit hoher Wahrscheinlichkeit in die alte Mühle zurückfallen, ohne die wirklichen Ursachen bekämpft und beseitigt zu haben.

|34|Der erste Test: Wenn der Job zur Lebensfalle wird

An dieser Stelle deshalb die Frage: Wie schlimm ist es um Ihren Job, um Ihre Arbeitszufriedenheit bestellt? Sind die Akkus so leer, dass Sie es nicht einmal mehr zur nächsten Steckdose schaffen? Das könnte der Fall sein, wenn Sie bereits seit Jahren in einer beruflichen Situation stecken, in der Sie weit mehr geben, als Sie zurückbekommen. Das klassische Symptom ist in solchen Fällen das berühmt-berüchtigte Licht am Ende des Tunnels, von dem wir glauben, es käme näher und näher, doch in Wahrheit handelt es sich um eine Fata Morgana. Damit wären Sie schlimmstenfalls bereits über das viel zitierte Burnout-Syndrom hinaus, weil Sie den Ernst der Lage schon gar nicht mehr wahrnehmen, und es wäre tatsächlich höchste Eisenbahn.

Die Fragen im folgenden Test ermöglichen es Ihnen festzustellen, ob alles nur halb so schlimm ist oder ob Sie Ihren Downshifting-Plan besser heute als morgen angehen sollten.

Test: Lesen Sie die nachstehenden Statements aufmerksam durch und entscheiden Sie ehrlich und wahrheitsgetreu, inwieweit sie auf Sie zutreffen. Nutzen Sie dafür ein einfaches Bewertungs-Schema:

Für jede Aussage, die Sie mit »Das trifft voll auf mich zu« beantworten, notieren Sie 2 Punkte.

Wenn Sie der Meinung sind, dass die jeweilige Aussage teilweise zutrifft, geben Sie sich 1 Punkt.

Und für jeden Fall, bei dem Sie sagen, »Das kann ich von mir nicht behaupten«, gibt es 0 Punkte.

Aussage

Ihre Punktzahl

Sie haben das Gefühl, dass die Arbeit Sie emotional auslaugt, dass Sie wesentlich mehr geben, als Sie zurückbekommen.