Wenn ich lebe - Katharina Ferihumer - E-Book

Wenn ich lebe E-Book

Katharina Ferihumer

5,0

Beschreibung

Irgendwann holt sie dich ein. Sie packt dich, hält dich fest, lässt nicht mehr los. Die Vergangenheit. Es gibt Momente im Leben, da steht man vor einem Wendepunkt und man muss sich entscheiden, ob man kämpfen will oder aufgeben muss. Caitlin hat beschlossen aufzugeben und sich das Leben zu nehmen. Doch anstatt endlich frei zu sein, wacht sie in einer psychiatrischen Klinik auf. Jeder neue Tag wird zum Kampf, begleitet von Verzweiflung und Trauer. Doch dann trifft sie auf Ryan, der selbst ein dunkles Geheimnis mit sich trägt...

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Für alle,

die an einem Wendepunkt

ihres Lebens stehen.

Für alle,

die sich für das

Leben entscheiden.

Für alle Kämpfer,

Träumer,

Hoffnungsträger.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Tag 1

Tag 2

Tag 3

Tag 4

Tag 5

Tag 6

Tag 7

Tag 8

Tag 9

Tag 10

Tag 11

Tag 12

Tag 13

Tag 14

Tag 0

Prolog

Das warme, dunkelrote Blut quoll aus meiner Wunde am Arm. Es floss langsam hinunter, über meine reglose Hand, ergoss sich am steinernen Boden und bildete eine dunkle Lache. Ich ließ das Messer fallen und glitt ungewollt zu Boden. Meine Augen schlossen sich wie von selbst. Ich spürte nur das warme Brennen der Wunde und die Kälte des Bodens auf meiner Haut. Alles um mich herum wurde dumpf und still. Dumpfer als sonst, stiller denn je.

Wenn ich sterbe, dann so …

Tag 1

Langsam erwachte ich aus einem tiefen, schwarzen Nichts. Ich wusste, ich hatte überlebt.

Mein Leben war nicht vorbei. Mein Leiden nicht zu Ende. Ich hatte nicht geschafft, mein Dasein zu beenden. Leider.

Und doch wollte ich nur eines: Leben!

Nicht überleben, sondern leben!

Ein grelles Licht ließ meinen Blick verschwimmen. In meinem Kopf hämmerte der Schmerz der Verzweiflung. Die Sehnsucht nach dem Tod und dem Leben. Ich versuchte meine Hand zu heben, doch sie war kraftlos. Sie schmerzte. Alles schmerzte. Und doch war da nichts. Nichts von Bedeutung. Nichts als Leere, die mich wieder hinab zog in das tiefe, schwarze Loch. Eine bleierne Schwere umhüllte meinen Körper, meine Seele, mein Ich.

Vielleicht sterbe ich ja doch…

Tag 2

››Caitlin?‹‹

Ich konnte eine Stimme hören. Wie ein Gesang, ganz leise und so weit entfernt, als hätte sie der Wind zu mir getragen. Ich erkannte meinen Namen. Immer wieder.

Widerwillig öffnete ich meine Augen. Es war hell. Zu hell. Meine Augen konnten sich kaum an das grelle Licht, das von der Decke schien, gewöhnen. Eine kleine, zierliche Gestalt stand leicht gebeugt vor mir. Es dauerte einige Augenblicke, bis ich sie als Krankenschwester ausmachen konnte. Sie sah mich besorgt an.

››Ich bin im Krankenhaus.‹‹, murmelte ich benommen, doch es sollte eigentlich eine Frage sein.

Für einen kurzen Moment wusste ich nicht mehr, warum ich im Krankenhaus war.

Erst langsam kamen die Erinnerungen wieder. An das Messer, an meine Hand, an das Blut und an die Verzweiflung, die so übermächtig schien.

››Caitlin. Guten Morgen. Schön dass sie wieder bei uns sind.‹‹

Wie kam ich hier her?

Der hämmernde Kopfschmerz erschwerte das Denken. Jeden einzelnen Gedanken musste ich heran ziehen. Ihn lesen, wie aus einem fremdsprachigem Buch.

Und doch hatte es auch etwas Gutes. In meinem Kopf herrschte endlich Stille. Trostlose Leere, die befreiender gar nicht sein konnte.

››Möchten sie etwas essen?‹‹

Ich wusste es nicht. Ich hatte kein Gefühl für Hunger und auch nicht für Zeit.

Wieviel Zeit wohl schon vergangen war? Stunden?

Tage?...

Vor dem Fenster sah ich helle Umrisse. Es musste also Tag sein.

Ich versuchte mich umzusehen, doch alles war verschwommen. Vor mir stand noch immer diese zierliche Krankenschwester, die mehr Ähnlichkeit mit einem kleinen Mädchen, als einer erwachsenen Frau hatte, und stellte den Infusionstropf ein. Ich fokussierte den Blick auf ihr Gesicht, auf ihre Augen. Doch alles blieb eine einheitliche, graue Masse, unscharf umrandet.

Es machte mir Angst nicht richtig sehen zu können. Ich wollte sie fragen, doch ich war zu schwach um zu sprechen. Zu schwach zum Essen.

Ich wollte nichts, nur schlafen! Und noch bevor ich darüber nachdenken konnte, war ich schon wieder gefangen. Hinab gezogen in das schwarze Nichts.

Tag 3

Ich wachte durch starke Schmerzen auf.

Es dauerte einige Minuten, bis ich festmachen konnte, woher der Schmerz kam.

Mein Magen zog sich krampfhaft zusammen und schob die Übelkeit des Hungers immer höher.

Ich wusste nicht wann ich das letzte Mal etwas gegessen hatte, aber es war lange her.

Dumpf erinnerte ich mich an die Worte der Krankenschwester, als ich Stunden zuvor erneut das Essen verweigerte.

››Wenn du so weiter machst, müssen wir dich zwangsernähren…‹‹

Da war es mir auch noch egal, ich war wie in Trance, nur halb anwesend und wollte nur weiterschlafen, aber nun ängstigte mich diese Vorstellung. So wie mir alles hier Angst machte. Ich war gefangen in einem Bett, mit einem Lederriemen an die Bettstange gefesselt. Völlig hilflos und ausgeliefert. Ich hatte keine Kontrolle. Weder über meinen Körper, noch über mein Leben. Ständig wurde die Stille durch Krankenschwestern unterbrochen. Sie kamen herein, sahen mich an, blickten mir in die Augen, sprachen zu mir. Belanglose Worte. Stumpfsinnig, ohne Bedeutung für mich.

Erst jetzt fiel mir auf, dass ich wieder richtig sehen konnte. Die Kopfschmerzen waren noch da, aber die Bilder waren klar und deutlich.

Als ich endlich wieder alleine war, setzte ich mich etwas auf und betrachtete mein Zimmer.

Meins, für die nächsten Tage oder gar Wochen? In diesem kahlen Raum konnte man sich nicht wohl fühlen. Alles war kalt und weiß, selbst die Bettwäsche. Es gab keine Vorhänge und keine Uhr. Nur ein abstraktes, grün-blaues Bild unterbrach das kahle Weiß der Wand.

Gefühllos.

Zeitlos.

Sinnlos.

Es wirkte wie ein Krankenzimmer und doch ähnelte es einem Gefängnis. Meine Hand war am Bettgitter festgeschnürt, so eng, dass ich sie kaum bewegen konnte. Die Toilettentür war abmontiert worden und die kleinen Fenster waren verriegelt. Ich fühlte mich eingesperrt und das, wo ich doch bloß frei sein wollte, für immer.

Welche Ironie.

Die Tür ging erneut auf und endlich kam ein richtiger Arzt herein.

Jemand, der sich auskannte, der Bescheid wusste, vielleicht auch über mich? Mehr als ich?

››Hallo Caitlin!‹‹

Er lächelte mich an und reichte mir seine Hand. Zögernd gab ich ihm meine und erschrak über mein heftiges Zittern. Er hatte einen festen Händedruck, meine Hand lag eher schwach in seiner. Es tat gut etwas Halt zu haben, auch wenn es nur Sekunden anhielt.

Ich betrachtete diesen Mann, der sich einfach neben mich an den Rand des Bettes setzte. Er war sehr stämmig, fast dicklich. Sein Schnurrbart wirkte autoritär, auch sein militärischer Haarschnitt. Nur sein Lächeln, das sogar seine rehbraunen Augen erreichte, zeigte Freundlichkeit und Verständnis.

››Hallo.‹‹, hörte ich mich sagen.

Meine Muskeln fühlten sich schlaff und müde an. Sogar das Sprechen fiel mir schwer.

››Wie geht es dir Caitlin? Ich darf doch Caitlin sagen, oder?‹‹

Es war mir egal, sollte er mich doch nennen, wie er wollte.

Ich nickte nur und er sah mich geduldig an und wartete, bis mir wieder einfiel, dass er mir eine Frage gestellt hatte.

Wie es mir geht...

Fast musste ich lachen über diese Frage. Wen interessierte die Antwort schon? Niemanden.

Stets hatte man das Wort „Gut“ abrufbereit, egal ob es so war oder nicht.

Die Menschen fragten aus Höflichkeit, nicht aus Interesse. Und so holte ich auch dieses Mal diese größte aller Lügen hervor. Dabei versuchte ich so gelassen wie möglich zu wirken.

››Gut!‹‹

Vielleicht komme ich so schneller raus hier? Und dann? Was wäre dann?

Es gab keinen Ort wo ich hinwollte, nichts was ich noch vorhatte.

Keine Träume, kein Ziel, keinen Sinn.

Skeptisch beobachtete er mich. Sekunden verstrichen wie kleine Ewigkeiten.

››Warum hast du das getan, Caitlin?‹‹

Er zeigte auf mein verbundenes, schmerzendes Handgelenk, das mich stets an mein Versagen erinnerte. Das konnte ich gut - versagen.

Warum?Schon wieder so eine dumme Frage. Wenn ich die Antwort auf meine Fragen hätte, wäre es nicht so weit gekommen.

Ich spürte plötzlich etwas Nasses auf meinen Wangen. Unweigerlich sah ich nach oben, als würde es hier drin regnen, doch ich selbst benetzte meine Wangen mit den Tränen, die einfach so kamen. Ungeplant, ungewollt.

Noch immer sah er mich verständnisvoll an. Dieser Blick, als würde er verstehen, wie es mir ging.

Was mit mir los war.

››Wann kann ich hier raus?‹‹

Ich erschrak über meine raue, traurige Stimme.

Wie gerne würde ich fröhlich sein, alle Menschen zum Strahlen bringen.

››Das wird noch eine Weile dauern. Du hast versucht dir das Leben zu nehmen. Wir möchten dir hier helfen. Es wird dir aber bald besser gehen.‹‹

Besser? Ich konnte mir nicht einmal vorstellen, dass ich überhaupt noch sein wollte.

››Sagst du mir, warum du das gemacht hast, Caitlin?‹‹

Ständig sagte er meinen Namen, bei jedem Satz. Das war vermutlich so eine Psychologenstrategie, um das Vertrauen der Patienten zu gewinnen. Es sollte wohl beruhigend wirken.

Aber seine ehrliche und direkte Art gefällt mir. Sein Lächeln blieb fortwährend. Eintrainiert für die Verrückten hier.

Und plötzlich schämte ich mich. Wie viele Menschen es schafften, glücklich zu sein, einfach leben, soviel schaffen. Und ich versagte, selbst bei dem Versuch, mein Leben zu beenden.

››Wenn ich lebe, bin ich verletzlich und allein. Wenn ich sterbe, bin ich endlich frei …‹‹

››Verletzlich bleibt man ein Leben lang, Caitlin. Aber das mit dem Alleinsein kannst du ändern.‹‹

Er hatte ja keine Ahnung. Ich war nicht so wie die Anderen. Ich passte in keine Psychologenschiene.

Stur sah ich aus dem Fenster, Hinaus in die Freiheit, durch die Gitter hindurch.

››Möchtest du Besuch empfangen?‹‹

››Nein!‹‹

Das war zu laut.

››Nein.‹‹

Auf diese mitleidigen Blicke konnte ich verzichten. Vor allem meine Mutter sollte nicht kommen, sie würde weinen, sich entschuldigen, alles an mir abladen.

Keine Kraft, keine Kraft.

Ich könnte es nicht ertragen.

Wenn ich schon weiterleben muss, dann ohne sie.

Meine Mutter Matilda hatte sich stets eine fröhliche Tochter gewünscht, jemanden, den man voller Stolz vorzeigt, aber das hat auch sie mitzuverantworten. Zu schmerzhaft um daran zu denken. Wortlos stand der Arzt auf, dessen Namen ich nicht einmal wusste und ging hinaus. Es machte mir nichts. Mir war nicht nach Reden, nach Scheinheiligkeit.

Was sollte ich auch erzählen, nicht einmal ich selbst wusste, wie es mir ging.

Ich sah lieber den Vögeln auf dem Baum vor dem Fenster zu, sie beruhigten mich mit ihrem fröhlichen Gezwitscher. Sie flogen von Ast zu Ast. Einer davon, ein besonders schön gefiederter, sah mich sogar an. Ich wünschte mir, ich wäre so wie er. So frei und unabhängig.

Und doch war er nicht alleine. Ständig waren andere Vögel in seiner Nähe, es schien als würden sie sich unterhalten. Ich lauschte der Melodie, stellte mir vor, was sie sich erzählen würden. Was Vögel wohl von uns Menschen halten? Darüber nachzudenken erschöpfte mich mehr, als ich es je für möglich gehalten hatte.

Denken war schwer, fast lähmend, zäh wie Honig…

Als ich schon fast wieder eingeschlafen war, kam erneut eine Krankenschwester und wechselte die Verbände an meinen Händen. Sie blieb still, arbeitet schnell und achtsam und sah mir dabei nie direkt in die Augen. Ich konnte nicht auf meine Wunden sehen. So beobachtete ich sie. Es war wieder diese kleine, zierliche Krankenschwester. Ihre Gesichtszüge veränderten sich kaum. Solche Wunden hatte sie bestimmt schon öfters gesehen. Sie war weder erstaunt, noch angeekelt. Danach reichte sie mir noch eine Tablette und ein Glas Wasser. Ohne weiter darüber nachzudenken, schluckte ich sie hinunter, legte mich zurück auf mein Kissen und war auch schnell wieder eingeschlafen.

Tag 4

Ich war ständig müde. Ich schaffte es nicht länger als ein paar Stunden wach zu bleiben. Keine Spur mehr von der quälenden Schlaflosigkeit, die mich nachts verrückt werden ließ. Das musste wohl an den Medikamenten liegen, die sie mir ständig gaben. Als ich aufwachte, stand schon das Frühstück am Bett. Ich beschloss etwas zu essen und merkte schnell, wie viel Hunger ich bereits hatte. Die Krankenschwester freute sich sichtlich über den leeren Teller und entfernte sogar die schrecklichen Lederriemen von meinen Händen, nachdem sie meine Wunden versorgt hat. Nach dem Essen durfte ich das erste Mal, seit ich hier war, duschen gehen. Ich fühlte mich verschwitzt und ekelhaft. Das eiskalte Wasser prasselte auf meine Brüste. Ich fühlte mich wach und frisch. Fast frei, richtig auf gepuscht. Für eine winzige Sekunde huschte sogar so etwas wie ein Lächeln über meine Lippen. Ich wünschte dieser Moment würde ewig währen. Wenn nur alles im Leben so einfach wäre. Doch meine Gedanken wurden schnell wieder schwer und träge. Mein Lächeln verschwand aus meinem Gesicht. Die Traurigkeit in mir nahm wieder überhand.

››Caitlin!‹‹, rief jemand.

Hier hat man ja nie seine Ruhe.

››Sie haben gleich ihre erste Sitzung bei Herrn Doktor Baskin. Soll ich sie begleiten, oder schaffen sie das alleine?‹‹

Sie wartete nicht auf meine Antwort.

››Fünfte Tür rechts!‹‹, und schon war sie wieder weg.

Mit nassen Haaren und meinem grün-blauen Kuschelpyjama, der am Fußende meines Bettes lag, machte ich mich auf den Weg. Vermutlich hatte meine Mutter ein paar Sachen vorbei gebracht. Es war mir egal wie ich aussah. Es war mir auch egal was er zu sagen hätte, ich wollte nur wieder schlafen. Ich ging langsam durch den langen, grellen Flur. An den Wänden hingen abstrakte Bilder, die einen wohl fröhlich stimmen sollten. Ein Bild stach mir besonders ins Auge. Ein schwarzer Rabe mit dichten Federn saß auf einem Ast und sah mich an. Ich konnte seine Kraft und Entschlossenheit spüren und obwohl es nur ein Bild war, beneidete ich diesen Vogel. Wie gerne wäre ich so wie er. Interessiert betrachtete ich jedes einzelne Gemälde.

Soll er doch warten, der werte Herr Doktor. Ich habe ohnehin nichts zu sagen. Langsam öffnete ich die Tür, auf der „Dr. Baskin“ stand und trat ein. Der feine Duft von Lavendel stieg mir in die Nase.

››Guten Tag!‹‹, sagte ich aus reiner Höflichkeit, denn wirklich gut war er natürlich nicht. Hier drin schon gar nicht. Und auch sonst nirgends.

Ich blickte mich um und staunte über die Größe dieses Büros mit vielen wandhohen Regalen an den Wänden, gefüllt mit Büchern. Viele davon lagen aufgeschlagen auf dem kleinen Tisch neben der Couch, die wie ein Filmrequisit wirkte. Dr.

Baskin begrüßte mich ebenfalls und stand von seinem übermächtigen, dunklen und überaus ordentlichen Schreibtisch auf.