Wenn ich rede, bin ich tot - Andreas Pietzsch - E-Book

Wenn ich rede, bin ich tot E-Book

Andreas Pietzsch

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Beschreibung

Ein mysteriöser Doppelmord in der Dominikanischen Republik veranlasst Hauptkommissar Asbach zu Ermittlungen vor Ort. Die Spur des Verbrechens führt nach Deutschland. In der Bau - und Immobilienbranche stößt der Hauptkommissar auf ein Betrugssystem ungeahnten Ausmaßes. Als er bei seinen Recherchen dem Chef eines großen Baukonzerns zu nahe kommt, greift der zu drastischen Abwehrmaßnahmen. Eine junge Frau, für die Asbach mehr als nur Freundschaft empfindet, wird entführt und der Hauptkommissar damit erpresst. Ihre Rettung bringt beide in höchste Lebensgefahr.

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Buch

Ein deutsches Paar wird in der Dominikanischen Repblik brutal ermordet. Bei seinen halbprivaten Ermittlungen vor Ort stößt der vom Dienst suspendierte Hauptkommissar Arnt Asbach auf ein Betrugssystem ungeahnten Ausmaßes. Der Chef des Baukonzerns ST&T, Markus Steigenberger, gerät erneut ins Visier der Ermittlungen des Hauptkommissars. Als die kriminellen Machenschaften Steigenbergers aufzufliegen und weitere schwere Vergehen aus seiner Vergangenheit an die Öffentlichkeit zu geraten drohen, gerät er in Panik.

Durch die Entführung und Folterung einer jungen Frau, die dem Hauptkommissar nahe steht, versucht er, das brisante Material, das aus seinem Tresor gestohlen wurde, wieder in seinen Besitz zu bringen.

Unter Einsatz seines Lebens gelingt es Asbach, den Tod der jungen Frau zu verhindern.

Der Autor

Horst A. Jacopie wurde 1937 in Dresden geboren, arbeitete als Chemiearbeiter, Heizer, auf dem Bau und in der Landwirtschaft. Er studierte Naturwissenschaften und Pädagogik und wurde Lehrer. Sein Roman „Wenn ich rede, bin ich tot“ ist das zweite Buch aus der Krimireihe um Hauptkommissar Arnt Asbach.

Die in diesem Roman agierenden Personen sind vom Autor frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Sie waren den ganzen Tag am Strand gewesen. Gegen Mittag, als die Sonne senkrecht über ihnen stand, zogen sie ihre Liegen in den Schatten der Kokospalmen.

Gina hatte sich nicht vorstellen können, dass es auf dieser Welt noch ein solches Paradies geben könnte – bis sie es mit eigenen Augen sah. Schneeweiße Strände, gesäumt von Palmen, im Hintergrund grüne Hügel und sanfte Berghänge, alte Fischerhütten und kleine, verschlafene ländliche Dörfer.

Von Mitte Januar an kamen die Buckelwale in die Bucht von Samana. Ein alter Fischer hatte ihnen erzählt, dass die gewaltigen Säugetiere zur Paarung und zum Kalben seit Jahrhunderten in die Gewässer vor der Dominikanischen Republik kamen.

Gina freute sich auf morgen, denn der alte Fischer wollte sie mit raus auf das Meer nehmen.

Sie warf einen Blick auf Burkhard, der im Schatten sofort wieder eingeschlafen war. Der letzte Whisky gestern Abend in der Diskothek war einer zu viel gewesen. Sie hatten im Hotel zu Abend gegessen. Dann waren sie zurück zu ihrem Bungalow, der zum Hotel gehörte, geschlendert und waren übereinander hergefallen. Burkhard war zu einem wilden Karnickelbock mutiert.

Wahrscheinlich war es das Essen gewesen. Die scharfen Gewürze hatten auch bei ihr die Gier entfacht. Sie waren kaum bis zum Schlafzimmer gekommen. Burkhard hatte ihr förmlich die Kleider vom Leibe gerissen, sich an ihren Brüsten festgesaugt, war nach unten geglitten und hatte sein Gesicht in ihren Schamhaaren vergraben. Als sie seine Zunge an ihrer intimsten Stelle spürte, waren ihre Knie so weich geworden, dass sie nach hinten aufs Bett gefallen war.

Burkhard hatte sie mit seinen Berührungen in den sexuellen Wahnsinn getrieben. Als sie die Wellen der Lust schüttelten, war er in sie eingedrungen, und sie hatten beide zur gleichen Zeit einen solchen Orgasmus gehabt, dass sie danach wie tot auf dem Bett lagen.

Sie strich dem Mann, den sie seit über 10 Jahren liebte, behutsam über die Wange. Burkhard war erst hier, auf dieser traumhaft schönen Halbinsel, die zur Dominikanischen Republik gehörte, wieder zur Ruhe gekommen.

In Pirna, einer kleinen Stadt vor den Toren Dresdens, hatte er in letzter Zeit wie ein gehetztes Tier gelebt. Als seine Schlafstörungen, das Zittern seiner Hände und der Alkoholkonsum ein Ausmaß erreichten, dass alles nur noch in einer Katastrophe enden konnte, hatte sie die Reißleine gezogen.

„Entweder du gibst diese Firma auf oder unsere Wege trennen sich!“ Es war ihr voller Ernst gewesen. Ein Leben mit einem Mann, der nicht mehr Herr seiner Sinne war und zwischen euphorischen Alkoholexzessen und tiefster Depression seine Tage verbrachte, hätte sie kaum noch länger ertragen.

Sie wusste, dass sich Burkhard nach der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten einen Traum erfüllt hatte. Er war mit Leib und Seele Gerüstbauer. Nach der Wende hatte er sich selbständig gemacht, einen Kredit aufgenommen, eine völlig heruntergewirtschaftete Baufirma von einem alten, versoffenen Krauter übernommen und ein kleines, solides Unternehmen daraus gemacht. Das Elend begann, als Burkhard mit seiner Gerüstbaufirma als Subunternehmer für ST&T zu arbeiten begann. Die Zahlungsmoral vieler großer, privater Unternehmen war schlicht und einfach kriminell, die von ST&T schien mafiös zu sein. Zweimal war Burkhard knapp an einer Insolvenz vorbeigeschlittert.

Er hatte dann drei LKW für den Transport von Schüttgut gemietet und für ST&T, ein großes Unternehmen, beim Bau der neuen Autobahn fahren lassen. Burkhard wurde reizbar, begann zu trinken und litt unter Schlafstörungen. Eines Abends erzählte er ihr, dass er in kriminelle Machenschaften verstrickt war.

Er hatte von einem Angestellten des ST&T-Bauimperiums den mündlichen Auftrag erhalten, das teure Schottergestein, das am Tag an die Autobahntrasse geliefert wurde, nachts an eine andere Baustelle zu fahren. Die entstandenen Lücken wurden mit minderwertigem Kies und billiger Erde aufgefüllt. Kurz nach seinem Geständnis hatte er die LkW zurückgegeben und seine Gerüstbaufirma an einen Kumpel verkauft.

Sie waren in die Karibik geflogen. Geld schien keine Rolle mehr zu spielen. Burkhard mietete den teuren Hotelbungalow, und sie hatten sich häuslich eingerichtet. Sonderbar war allerdings, dass er in bestimmten Abständen nach Deutschland flog.

Vor einiger Zeit war ihr eine ziemlich große Anzahl Geldbündel in seiner Reisetasche aufgefallen. Ihr war klar, dass er bald wieder fliegen würde. Aber er flog nicht. Sie würde ihn zu gegebener Zeit zur Rede stellen, denn ihr Bauchgefühl sagte ihr, dass hier mindestens ein Rad im Dreck lief.

Dieses Gefühl einer inneren Unruhe war gestern Nacht in der Diskothek noch gewachsen. Sie hatten ausgelassen und wild getanzt, diesen Tanz, der sich Meerengue nannte, von Piraten stammen sollte und von Rafael Trujillos, dem Diktator, hoffähig gemacht worden war. Der Meerengue wurde mit Hüften und Armen getanzt. Er war einer der erotischsten Tänze, die sie je getanzt hatte.

Sie war immer schon eine hervorragende Tänzerin gewesen und dieser Tanz lag ihr im Blut. Ihr Hüftschwung löste bei den Männern, deren Augen wie Saugnäpfe an ihrem Hintern hingen, Gefühle aus, die man unschwer erraten konnte. Was ihr durchaus nicht unangenehm war.

Die zwei Männer allerdings, die sie und Burkhard seit Mitternacht zu beobachten schienen, waren ihr nicht geheuer vorgekommen.

Sie hatte regelrecht gespürt, wie die Kerle sie mit ihren Blicken auszogen. Im Allge-meinen gefiel es ihr, wenn die Männer scharf auf sie waren, es kitzelte ihrer Gefallsucht, die in jeder Frau steckte.

Die Blicke dieser zwei Gestalten allerdings waren ihr unangenehm aufgefallen. Der eine Kerl mit dem primitiven Gesichtsausdruck und dem untersetzten, kräftigen Körper hatte ihr Angst gemacht. Die stechenden schwarzen Augen in dem Narbengesicht standen eng beieinander und verliehen dem Kerl etwas Brutales und Gieriges. Sie spürte förmlich, wie er sie mit den Augen begrabschte.

Sie hatte dann im Verlauf der Nacht und einigen Cuba Libre nicht weiter auf die zwei Männer geachtet. Heute Mittag waren ihr die Kerle allerdings am Strand wieder aufgefallen und sie bemerkte, wie sie verstohlen Blicke in ihre Richtung warfen. Sie würde Terrassentür und Fenster diese Nacht fest verschließen.

Gina wusste, dass mehr als dreißigtausend Deutsche sich hier in der Dominikanischen Republik niedergelassen hatten. Sie wusste auch, dass dieser Inselstaat der ideale Unterschlupf für Betrüger, Drogendealer, Pädophile und Mörder war und Entdeckung und Auslieferung die Ausnahme waren.

Aber auch unter der einheimischen Bevölkerung war die Kriminalität ziemlich hoch. Gut jeder zehnte Mann hier hatte eine Schusswaffe, und pro Jahr gab es so an die zwanzig bis dreißig Morde pro hunderttausend Einwohner.

Gina hatte allerdings noch keine negativen Erlebnisse hier auf der Insel gehabt. Im Gegenteil, die Leute hier waren freundlich, und selbst wenn man auf dem Markt nichts kaufte, blieben sie liebenswürdig.

Trotzdem sollte man vorsichtig sein. Sicherlich wurde nicht umsonst gewarnt, Wertgegenstände im Hotelsafe aufzubewahren, und auf Märkten und sonstigen Menschenansammlungen wachsam zu sein, dunkle Straßenzüge und Armenviertel zu meiden und bei Überfällen keine Gegenwehr zu leisten.

War im Grunde kein Wunder, wenn ein Viertel der Bevölkerung an Unter-ernährung litt. Seit Einführung der Guthabenkarten sollten über fünfhundert Millionen Euro für Bedürftige bereitgestellt worden sein. Ob das Geld immer bei den wirklich Bedürftigen ankam, da hatte Gina so ihre Zweifel. Immerhin belegte die Dominikanischen Republik in der Liste der korrupten Länder einen Platz, der zwar noch vor Russland lag, aber immerhin dreistellig war.

Das ungute Gefühl in ihrem Bauch, das sie seit dem Morgen verspürte, war zu einem regelrechten Bauchgrummeln geworden, als sie die beiden Kerle aus der Bar am Strand gesehen hatte.

Sie rüttelte Burkhard sanft an der Schulter. „Ich hab Hunger, mein Herr.“

Burkhard blinzelte in die Sonne, die sich dem Horizont näherte. „Auf mich?“

„Auch, aber vorher möchte ich was essen.“

Sie staunte über sich. Hier, in dieser herrlichen Sonne, dem weißen Strand und der Gelassenheit der Karibik hatte sich ihr Bedürfnis nach Sex so entwickelt, dass es genügte, wenn Burkhard ihr in die Augen sah und leicht ihr Brüste berührte. Sie würde heute Abend Burkhard nach allen Regeln der erotischen Kunst verwöhnen. Sie wollte seinen Körper genießen, ohne diese Gier und diese animalische Wildheit von gestern.

Sie drückt Burkhard die Badetasche in die Hand und sie gingen zu ihrem Bungalow.

Gina erwachte von einem schabenden Geräusch, das sie nicht sofort zuordnen konnte.

Auf alle Fälle kam es aus dem Küchenbereich. Sie setzte sich im Bett auf und horchte. Ihr Körper war verspannt, und diese undefinierbare Unruhe, die sie in der Diskothek und auch heute am Strand empfunden hatte, war wieder da.

Sie stieß Burkhard leicht an, aber der drehte sich nur auf die andere Seite und schlief weiter. Sie wusste, das er nur mit Kanonendonner aus der ersten Schlafphase zu wecken war.

Da war es wieder. Es klang, als würde etwas Hartes über Glas kratzen. Sie hatte, bevor sie zu Bett gegangen waren, alle Fenster verschlossen und die Tür verriegelt. Dieses Gefühl einer drohenden Gefahr war sie den ganzen Abend nicht losgeworden. Die Lust auf Sex, die sie noch so heftig am Strand empfunden hatte, war nach dem Abendessen verebbt.

Gina knipste die Nachttischlampe an und stieg aus dem Bett. An der Schlafzimmertür blieb sie stehen und lauschte. Nichts, kein Laut war zu hören. Sie schob die nur angelehnte Tür langsam auf. Im Wohnzimmer rührte sich nichts, nur der leichte Gazeschleier gegen die Moskitos vor der Küchentür bewegte sich leicht.

Sollte sie die Tür, die von der Küche nach draußen führte, nicht richtig verschlossen haben? Als sie zur Küchentür tappte, sah sie aus den Augenwinkeln einen Schatten aus dem Vorratsraum auf sich zuspringen. Sie stieß einen gellenden Schrei aus. Gleich darauf presste sich eine harte, stinkende Hand auf ihren Mund, ein Arm umklammerte ihren Oberkörper und die andere Hand quetschte ihre linke Brust schmerzhaft zusammen.

Vom Schlafzimmer her hörte sie ein Poltern. Burkhard war Gott sei Dank von ihrem Schrei erwacht.

Sie sah mit angstgeweiteten Augen, wie er mit vorgehaltener Pistole – von der sie nichts geahnt hatte – das Wohnzimmer betrat. Gina wollte einen Schrei ausstoßen, aber nur ein dumpfer Laut kam aus ihrem verschlossenen Mund.

Die Gestalt, die rechts neben der Tür im Schatten stand, schlug blitzschnell mit der Handkante auf Burkhards Unterarm. Die Pistole fiel zu Boden, der Mann krachte mit aller Kraft Burkhard die Faust in den Magen und hob danach die Pistole auf.

Burkhard gab einen erstickten Laut von sich, krümmte sich nach vorn und landete auf dem Fußboden. Gina trat mit dem rechten Bein nach hinten und traf das Schienbein des Mannes, der sie fest umklammert hielt. Die Umklammerung lockert sich, der Mann drehte sie um und schlug ihr die Faust gegen die Schläfe.

Es wurde schlagartig dunkel um sie.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie mit an den Oberkörper gefesselten Armen auf der Eckliege. Burkhard saß gefesselt auf einem Stuhl. Der Größere der beiden Kerle, der einen eigenartig verschleierten Blick hatte, stand breitbeinig vor ihm.

„Das Geld! Wo hast du verdammtes Schwein das Geld versteckt, das dir nicht gehört?“

Burkhard blickte den Mann mit vor Wut verzerrtem Gesicht an und schrie wie von Sinnen: „Fick dich ins Knie, du Wichser!“

Der Mann schlug ihm mit der Rückhand ins Gesicht.

„Verrecke, du Schwein!“, schrie Burkhard mit sich überschlagender Stimme.

„Dann wird sich jetzt mein Partner mit deiner schönen Nutte beschäftigen. Zum letzten Mal, wo sind die zweihunderttausend Euro, die du nicht abgeliefert hast?“

Gina sah, wie Burkhard die Zähne aufeinanderbiss und an seiner Fesselung zerrte.

Der Mann vor Burkhard gab dem Pockennarbigen mit der Hand ein Zeichen. Der beugte sich zu Gina hinunter, riss mit einem brutalen Handgriff ihr Pyjamaoberteil in Fetzen und presste seine harten, groben Hände auf ihre Brüste.

Burkhard schnellte mitsamt dem Stuhl, an den er gefesselt war, mit dem Kopf voran auf seinen Gegner zu.

Beide Männer gingen zu Boden. Burkhard hatte keine Chance. Der Mann hob seinen rechten Arm und schlug mit aller Kraft die Pistole auf Burkhards Kopf. Es gab ein knirschendes Geräusch, wie wenn ein trockener Ast bricht. Burkhard zuckte kurz mit den Beinen und lag dann still am Boden.

Gina, die bis jetzt wie gelähmt gewesen war, stieß einen gellenden Schrei aus. Der Pockennarbige schlug ihr seine harte Hand auf den Mund, schob ihr ein altes Taschentuch als Knebel hinein und verknotete ihr Pyjamaoberteil so hinter ihrem Kopf, dass sie nur noch durch die Nase atmen konnte.

Sie sah, wie der Mann mit der Pistole sich erhob und Burkhard mit dem Fuß anstieß.

Keine Reaktion.

Er bückte sich und legte zwei Finger auf Burkhards Hals.

„Scheiße, das Arschloch ist hin!“

„Was machen wir jetzt, fragte der Pocknnarbige?“

„Vielleicht weiß die kleine Nutte, wo der Kerl die Moneten versteckt hat. Nimm dir die Schlampe vor und mach sie gesprächig. Die weiß bestimmt, wo das Geld deponiert ist.“

Der Pockennarbige riss Gina mit einem Ruck die Schlafanzughose vom Körper, spreizte brutal ihr Schenkel auseinander und stellte sich zwischen ihre Beine.

„Möchtest du uns was sagen, Schlampe?“, knurrte der Mann sie an.

Gina nickte.

Der Mann lockerte den Knebel.

„Red!“

„Ich habe keine Ahnung ...“, stotterte Gina.

Der Mann zog die Knebelung wieder fest, löste seinen Gürtel und zog den Reißverschluss seiner Hose nach unten.

Gina begann sich in ihrer Fesselung zu winden und Tränen strömten über ihr Gesicht.

Der Mann beugte sich über sie und griff grob nach ihren Brüsten. Sein Atem, der nach Knoblauch und Alkohol stank, raubte ihr nahezu die Besinnung.

„Warte!“, rief der Mann mit der Pistole und winkte den Pockennarbigen zu sich.

Die beiden Männer verscwanden in der Küche.

„Der Kerl ist hinüber“.

„Also Mord! Schöne Scheiße!“ Pocke kratzte sich am Bauch.

„War so nicht geplant, hätte nicht gedacht, dass der Kerl so losgehen würde.“

„Die Schlampe muss ebenfalls weg, die kann uns jederzeit identifizieren.“

„Heiße Entsorgung?“

„Heiße Entsorgung, es bleibt uns nichts anderes übrig.“

„Schade um die hübsche, kleine Nutte“, grinste Pocke teuflich.

„Wenn du noch deinen Spaß haben willst …?“

„Will ich!“

„Zuerst alles, was brennbar ist, in den Wohnraum!“

Die Männer rissen Gardinen von den Fenstern, zerknüllten alles, was sie an Papier fanden, traten Stühle entzwei und häufte alles an der Fensterfront auf. Die Scheibe würde zuerst platzen und das Feuer würde mit Sauerstoff versorgt.

Gina sah mit angstgeweiteten Augen, was die Männer taten. Ihr war klar, die würden den Bungalow anzünden, um Spuren zu beseitigen. Würden die Verbrecher sie am lebendigen Leibe mit verbrennen? Sie zerrte wie wild an ihrer Fesselung.

Der Pockennarbige kam zu ihr herüber. Seine Augen glitzerten vor Geilheit. Er ließ seine Hose zu Boden gleiten, schmiss sich auf sie, packte mit beiden Händen ihre Brüste und drang brutal in sie ein.

Als er von ihr abließ, goss der andere Kerl den Inhalt einer Flasche hochprotzendigen Rum über den Sperrmüll, zündete einen mit Alkohol getränkten Lappen an und warf ihn in den Haufen vorm Fenster. Dann reichte er dem Pockennarbigen die Pistole.

Gina sah genau in die Mündung, als der Schuss krachte.

***

Hauptkommissar Asbach saß am Schreibtisch seines neuen Büros in der Detektei Kowalski und Partner.

Kowalski, der Inhaber einer Privatdetektei am Stadtrand, der inzwischen so etwas wie ein Freund für ihn geworden war, hatte sein Angebot, bei ihm einzusteigen, wiederholt, und er hatte kurz entschlossen angenommen.

Klar, des Geldes wegen musste er keine Arbeit mehr anfassen. Seine Börsengeschäfte liefen gut. Er hatte, kurz bevor der Neue Markt zusammenbrach, verkauft.

Nein, arbeiten hätte er nicht mehr gemusst. Aber in den Tag hineinleben, ohne Sinn und Verstand, war nun einmal nicht sein Ding. Und es gab noch eine offene Rechnung.

Ganz oben auf dieser Rechnung stand der Name Steigenberger.

Den Auftrag allerdings, an dem er jetzt recherierte, hatte er mit sehr gemischten Gefühlen übernommen.

Versicherungsbetrug mit schwerer Körperverletzung. War ein klarer Fall für die Kripo. Er könnte in Schwierigkeiten geraten. Seine Suspendierung war immer noch nicht aufgehoben.

Irgendwo saß jemand an dem be-rüchtig-ten langen Hebel und drückte mit großem Kraftaufwand seine Seite der Wippe konstant nach oben, so dass er keinen Fuß auf die Erde bekam. Der Fall jedenfalls, den Kowalski erst vor kurzem von einer großen Versicherung an Land gezogen hatte, war schon eine Nummer für sich. Die Versicherung wollte sich nicht nur auf die Ermittlungen der Polizei verlassen.

Kowalski hatte ihn gebeten, das Umfeld zu sondieren.

Asbach wusste, dass Versicherungsbetrug eine Art moderner Volkssport geworden war. Der Schaden, der daraus entstand, sollte so bei vier bis fünf Milliarden pro Jahr liegen.

„Das macht doch jeder mal!“, war die gängige Ausrede, wenn einer erwischt wurde.

In diesem Fall ging es um mehrere hunderttausend Euro und einen schwerverletzten Juwelier, der im Koma lag.

Die Versicherung hatte die Zahlung ausgesetzt. Die verantwortlichen Leute waren misstrauisch geworden.

Obwohl die Polizei bereits ermittelte, hatte die Versicherung die Privatdetektei „Kowalski und Partner“ eingeschaltet.

Er, Asbach, suspendierter Hauptkom-missar, ehemals Mitglied der Sonderermittlungsgruppe gegen Korruption und organisierte Kriminalität, kurz KoK genannt, hatte den Fall unter die Lupe genommen. Er hatte das gesamte Umfeld der in die Sache verwickelten Personen durchleuchtet.

Der Juwelier hatte vor einigen Jahren eine äußerst attraktive junge Frau kennengelernt. Der Mann, dessen Ehefrau vor Jahren an Brustkrebs gestorben war und die er bis zu ihrem Tod aufopferungsvoll gepflegt hatte, war eine leichte Beute gewesen.

Bei einer Party unter Juwelieren war Theresa am Arm eines Mannes aufgetaucht, der angeblich ihr Bruder sein sollte. In Wirklichkeit war er der Geliebte der jungen Frau. Die Dame wurde dem Juwelier vorgestellt. Dem nach Liebe ausgehungerten Manne erging es wie der Fliege, die sich einer Venusfalle nähert. Die Falle schnappte zu, bevor der Juwelier überhaupt hätte merken können, dass es eine Falle war.

Wenige Monate nach dieser Party heiratete der ältere, gutsituierte Herr die schöne, junge Frau. Sie zog zu ihm in die Villa am Weißen Hirsch, einer Nobelgegend Dresdens.

Theresa verwöhnte den Juwelier nach allen Regeln der erotischen Kunst. Der Mann erlebte zum ersten Mal in seinem Leben, wie eine Frau mit ihren verschiedenen Körperöffnungen den Mann in sexuelle Raserei versetzen konnte.

Der Juwelier wäre vom Dresdner Rathausturm gesprungen, wenn sie ihm gesagt hätte, dass er fliegen könne.

Leider gab es für das absolute Wohlbefinden der jungen Frau ein Hindernis. Sie selbst hatte bei den Liebesspielen mit dem neuen, nicht mehr ganz taufrischen Ehegatten keinerlei sexuelle Höhepunkte. Die verschaffte ihr nur Guido, der als Bruder getarnte Liebhaber. Der allerdings war ein Hallodri und Tunichtgut allerersten Kalibers.

Spielsüchtig und drogenabhängig, hatte er sich in eine Situation hineinmanövriert, aus der er ohne die Hilfe seiner Geliebten nicht mehr herauskommen würde.

Das Paar schmiedete einen perfiden Plan, in den sie den Juwelierehegatten einzubinden gedachten. Es ging um mehr als einhunderttausend Euro, die der Windhund Guido brauchte, wenn er ohne größere Blessuren aus der Nummer, die er sich eingebrockt hatte, herauskommen wollte.

Guido schlug seiner Geliebten und Juweliersgattin vor, zwei Ganoven zu organisieren. Die sollten in die Villa einbrechen und den Juwelier mit dessen Einverständnis fesseln. Die Geheimzahlen für die Öffnung des Safes würden sie durch eine Scheinbedrohung mit einem Messer aus dem Manne herauskitzeln. Geld, Juwelen und teurer Schmuck würden geraubt werden. Die Versicherung würde zahlen, und das geraubte Gut würde wenige Tage später zu seinem Besitzer zurückkehren.

Die Ganoven sollten für den Bruch zwanzigtausend Euro kassieren. Der Brudergeliebte sollte seine reichlich hunderttausend Euro erhalten, und für den Juwelier würde noch einmal so viel bleiben.

Mit diesem Geld würde er seiner geliebten Ehefrau endlich den heißersehnten Porsche kaufen, mit dem die Schöne herrliche Ausflüge machen konnte, wenn der Ehemann seinen Geschäften in der Stadt nachgehen würde. Am Steuer des Wagens säße allerdings nicht sie, sondern der geliebte Bruder. Letzteres wurde allerdings dem Ehemann vorenthalten.

Der einzige Einwand des Juweliers, der sich vor sexueller Gier auf dem geistigen Niveau eines Pavianmännchens befand, war, was wäre, wenn die Ganoven einfach mit der Beute verschwanden?

Der Hallodribruder seiner geliebten Frau konnte seine Bedenken dadurch ausräumen, dass er behauptete, die beiden Kleinganoven seit langem zu kennen und fest in der Hand zu haben.

Spätestens hier hätte der Juwelier hellhörig werden müssen. Aber Hirnsubstanz eines Mann in der Rauschzeit, dachte Asbach, unterscheidet sich nur unwesentlich von dem einer Fruchtfliege, die eine aufgeplatzte, nicht mehr ganz frische Aprikose umschwirrt.

Ein weiterer Vorschlag des Bruders war, eine Kamera in dem Zimmer zu installieren, in dem sich der Safe befand.

So könne einwandfrei bewiesen werden, dass die Preisgabe der Geheimzahlen unter schwerer Gewaltandrohung erfolgte.

Alles war gewissenhaft vorbereitet und lief doch völlig aus dem Ruder. Kowalski hatte auf Wegen, die Asbach immer noch Rätsel waren, eine Kopie des Films besorgt.

Was sofort ins Auge sprang, war, dass der Juwelier während der ganzen Aktion ständig Blicke in Richtung der versteckten Kamera warf.

Der Film zeigte allerdings, dass es zwischen dem Juwelier und den beiden Ganoven zu einem nicht gespielten Streit gekommen sein musste. Wahrscheinlich ging es um die Höhe der vereinbarten Summe für den Einbruch, welche mit den Einbrechern vereinbart worden war.

Der nur lose gefesselte Juwelier war während des Wortwechsels aufgesprungen und hatte einen der beiden Kriminellen bedroht. Der zweite Kerl hatte blitzschnell zugeschlagen. Seine Faust war mit voller Wucht in der Lebergegend des nicht mehr ganz topfitten Juweliers gelandet.

Es war zu schweren inneren Blutungen gekommen.

Die beiden Ganoven hatten den Safe leergeräumt und waren getürmt. Die besorgte Ehefrau hatte wenig später das Haus betreten und ihren geliebten Ehemann bewusstlos auf dem Boden liegend vorgefunden. Statt den ärztlichen Notdienst anzurufen, hatte sie ihren Geliebten verständigt. Der hatte sich am Sicherheitsschloss der Eingangstür zu schaffen gemacht, damit es nach einem echten Bruch aussah, dann den Notruf gewählt und war schnell wieder verschwunden.

So oder so ähnlich musste die ganze Sache abgelaufen sein, war sich Asbach sicher.

Die beiden Ganoven saßen bereits in Untersuchungshaft und schwiegen. Von der Beute fehlte jede Spur. Die Versicherung war nicht gewillt zu zahlen, und der Juwelier lag im Koma.

Gegen die schöne, junge Frau und ihre Mittäterschaft an dem Gaunerstück gab es bis jetzt allerdings noch keine hieb- und stichfesten Beweise.

Asbach überlegte, wie er den Bruderliebhaber dazu bringen könnte, einen Fehler zu begehen, als sein Telefon klingelte.

„Asbach.“

„Maibach!“

„Das wird ja Zeit, dass sich der gefürchtetste Ganovenschreck der Stadt wieder mal meldet.“

„Ich muss doch sehr bitten, Herr Privatdetektiv, du sprichst mit einem Ersten Hauptkommissar der berühmten Polizeibehörde auf der Schießgasse.“

„Dann gratuliere ich dem Ersten Hauptkommissar zu seiner Beförderung ganz herzlich.“

„Kannst du stecken lassen, Arnt Die Beförderung hat, wie fast immer auf dieser unvollkommenen Welt, den Falschen getroffen. Die Idioten haben mir das Verdienst zugesprochen, das Kinderbordell ausgehoben zu haben.“

„Wer Ungerechtigkeit sucht, braucht keine Laterne, sagt eine alte Volksweisheit, mein lieber Hannes. Aber ich denke, dass der Falsche doch der Richtige war, und es wird höchste Zeit, dass der Beförderte einen ausg ...“

„Heute zwanzig Uhr Zschoner Mühle, Arndt.“

„Ist ganz schön weit draußen.“

„Soll es auch. Wir müssen nicht unbedingt zusammen gesehen werden.“

„Schämt sich der Erste Hauptkommissar etwa mit einem suspendierten ...“

„Red kein Blech, Alter. Es gibt da so einiges, wo unser gemeinsamer Freund mit drin hängen könnte. Alles weitere heute Abend.“

***

Asbach verließ gegen 17 Uhr sein neues Büro auf der Grundstraße und fuhr Richtung Albertplatz. Er wohnte immer noch im Hotel bei Eric. Zwischen den beiden Männern war im Laufe der Zeiz eine echte Freundschaft entstanden.

Eric hatte dafür gesorgt, dass das große Zimmer des Hauptkommissars inzwischen seinen anonymen und stereotypen Hotelzimmercharakter verlor-en hatte. Es war ein Wohnzimmer geworden. Mit den Annehmlichkeiten des Hotellebens.

Du verlässt deine Bude wie nach einer Handgranatenexplosion. Zeitungen und Zeitschriften liegen auf dem Tisch, Klamotten hängen über Stühlen, das Bett ist ungemacht, Schuhe stehen kreuz und quer an der Tür, und im Bad sieht es nicht besonders erfreulich aus. Du kommst am Abend nach Hause und alles ist aufgeräumt, das Bad geputzt, und auf dem Kopfkissen liegt das obligatorische Schokoladentäfelchen.

Kein vorwurfsvoller Blick.

Kein tadelndes Wort.

Alleinstehende Männer, dachte Abach, die in die Jahre gekommen waren, sollten besser im Hotel wohnen. Nur konnten die Wenigsten es sich leisten.

Wenn der Mann anfing, Wäsche zu waschen, Hemden zu bügeln, das Klo zu putzen und Kekse zu backen, verlor er ganz schnell seine Identität.

Asbach hatte oft bemerkt, dass sich diese Männer unmerklich, aber unaufhaltsam in jene verknöcherten Hagestolze verwandelten, die alles wussten, alles konnten, jeden belehrten und deren geistige Nahrung einzig und allein im Lösen von Kreuzworträtseln bestand.

Er wusste, dass heutzutage die Hausarbeit, wenn beide Partner berufstätig waren, von beiden erledigt werden musste, aber der Mann sollte trotzdem Mann bleiben.

Komisch, dass der Macho allerorten geschmäht, aber insgeheim von der Damenwelt bevorzugt wurde.

Er dachte flüchtig an Hanna. Mit ihr hätte es vielleicht etwas werden können. Aber nach ihrer Enttarnung als IM war nichts mehr von ihr zu hören gewesen. Manchmal, nachts, träumte er von Leona. Es waren die erotischsten Träume, die er je gehabt hatte.

Hör auf zu spinnen, Alter. Er stellte das Auto im Hof des Hotels ab und ging durch den Hintereingang ins Restaurant, um Eric zu begrüßen.

„Nanu“, Eric sah auf die Uhr, als Asbach das Hotel betrat.

„Manchmal macht eben auch ein Privatdetektiv zeitig Feierabend“, lachte Asbach.

„Ein Date?“, fragte Eric.

„Ein Date mit einem Mann!“, grinste Asbach.

„Du wirst doch nicht …?“

„Ganz sicher nicht!“

„Maibach?“

„Maibach!“

„Die wollen dich zurückholen?“

Asbach schüttelte den Kopf. „Sieht nicht danach aus. Die KoK steckt wahrscheinlich wieder mal irgendwo fest und braucht einen privaten Ermittler.“

„Wo trefft ihr euch?“

„Zschoner Mühle.“

„Ganz schön weit ab vom Schuss, aber eine gute Wahl.

Wenn` s nicht zu spät wird, schau noch mal rein.“

„Mach ich.“

Maibach saß an einem Tisch am Fenster. Das Lokal war schon gut gefüllt. Asbach bahnte sich einen Weg durch den Raum.

Die Männer gaben sich die Hand.

„Ich grüße den Ersten Hauptkommissar.“ Asbach verbeugte sich.

„Lass den Scheiß. Du verdirbst mir die Bierlaune.“

„Mit des Bieres Hochgenuss wächst des Bauches Radius.“ Asbach sah grinsend auf Maibachs Rundungen oberhalb des Gürtels.

„Grins` nicht, du Fahrradspeiche. Leb` du mal mit einer Frau zusammen, deren tägliches Hobby das Kochen geworden ist.“

Asbach sah Maibach verständnislos an.

„Gertrud ist zu Hause. Die Ämter wurden zusammengelegt und einige Leute waren damit überflüssig.“

„Tut mir leid für Gertrud.“

„Solltest lieber mit mir Mitleid haben.“ Maibach zeigte auf seinen Bauch.

„Ein Mann ohne Bauch ist ein Krüppel, sagt der Volksmund.“

„Haben der Herr und der Krüppel gewählt?“ Die Kellnerin stand schmunzelnd vor ihrem Tisch.

Asbach sah der jungen Frau ins Gesicht und kniff ein Aug zu. „Für den Herrn“, er zeigte diskret auf Maibach, „einen Löwenzahnsalat mit doppelter Portion Essig und einen gedämpften Maiskolben mit Petersilie. Für mich bitte den Lammbraten auf Cranberrykarotten und Herzoginkartoffeln. Dazu ein Schwarzbier. Für den Herrn bitte ein sehr kalorienarmes Wasser und ...“

„Das reicht aber jetzt, du alter Es … Für mich bitte das gebackene Lachsfilet mit Spargel und Schwenkkartoffeln.

Dazu ebenfalls ein Schwarzbier.“

Die junge Kellnerin verschwand lachend in Richtung Küche, nicht ohne vorher Asbach noch einen verführerischen Blick zuzuwerfen. Was für ein Mann.

Mindestens sportliche einsfünfundachtzig, markantes Kinn, schmaler Kopf und warme, braune Augen Die Männer sahen sich eine Weile schweigend an, dann sagte Asbach: „Was liegt an, Hannes?“

„Hast du von dem Doppelmord in der Dominikanischen Republik gehört oder gelesen?“

„Gelesen ja, aber was hat das mit eurer Arbeit zu tun? Ist doch ziemlich weit weg und kommt in solchen Gegenden schon mal vor.“

„Da hast du recht, Arnt, nur führen ganz feine Fäden nach Deutschland, speziell nach Dresden. Wir ermitteln seit einiger Zeit in der Baubranche, Autobahnbau. Da scheinen extreme Betrügereien zu laufen, und es ist sehr naheliegend, dass der Doppelmord etwas damit zu tun hat. Wir agieren mit höchster Vorsicht und Geheimhaltung, um an die Drahtzieher heranzukommen.“

„Und du meinst, unser gemeinsamer Bekannter, der bei der Aushebung des Kinderbordells bis jetzt ungeschoren davongekommen ist, hat seine klebrigen Finger auch da mit drin?“

„Ich bin ziemlich sicher, Arnt. Die ST&T-Baugesellschaft ist die klebrigste aller klebrigen Baugesellschaften im Umkreis von 500 Kilometern. Da müssen in letzter Zeit Dinge gelaufen sein, dass dir die Haare zu Berge stehen.

Die haben sämtliche Großaufträge beim Autobahnbau aquiriert. Das geht nur, wenn du alle anderen Unternehmen durch Dumpingangebote ausschaltest. Wenn du dann noch was verdienen willst, musst du Teilaufträge an Subunternehmen vergeben. Ist dann die Zahlung fällig – ab in die Insolvenz. So spart man Löhne und Sozialabgaben.“

„Es gibt aber doch, soweit ich davon gehört habe, Bauüberwachungsämter.“

„Natürlich gibt es die, zum Beispiel die Fernstraßenplanungs-und-bau GmbH Deutsche Einheit, kurz DEGES genannt, aber deren Sitz ist in Berlin und Berlin ist weit weg.“

„Aber die Stadt muss doch ebenfalls Ämter haben, die Großbaustellen kontrollieren und überwachen.“

„Hat sie, die Stadt, aber in diesen Ämtern sitzen Menschen. Stell dir vor, der verantwortliche Bauleiter bestellt eine Flutlichtanlage, damit seine Leute bis in die späten Abendstunden an einem bestimmten Abschnitt arbeiten können. Stell dir weiter vor, einer der Männer im Autobahnamt, sexuell stark unterversorgt, hat einer sehr jungen und schönen Sekretärin in diesem Amt einen tollen Wellnessaufenthalt in einem 5-Sternehotel versprochen. Bedingung: Die Massagen, auf die es ihm ankommt, werden im Hotelzimmer vorgenommen.“

„Die Anlage wird nicht geliefert, aber abgerechnet“, grinste Asbach.

„Der Vorteil für beide Seiten liegt auf der Hand. Der Beamte kann seine heißersehnte ornithologische Reise mit seinem Superschneckchen antreten und in der Schwarzgeldkasse des Baukonzerns klingelt es ebenfalls kräftig. Vielleicht braucht die heiße Meise aus dem Bauamt auch ein neues Auto. Aber woher das Geld nehmen, denn die liebe Ehefrau des Beamten kontrolliert seine Finanzen. Da käme doch ein weiterer kleiner Nebenverdienst, zum Beispiel bei der Landvermessung, goldrichtig. Man unterschreibt ja heutzutage so viel Papiere, da kann schon mal was durchrutschen.

„Soll ich mich jetzt im Autobahnamt als Landschaftsvermesser bewerben?“, grinste Asbach.

„So dumm ist die Idee gar nicht. Im Auftrag der ST&T-Baugesellschaft wurden Vermessungstrupps über Land geschickt, um Täler und Berge zu vermessen. Bei der Planung der Trasse müssen solche Landschaftsunebenheiten natürlich berücksichtigt werden. Ist schließlich eine Frage der Kosten.“

Maibach holte tief Luft. „Auf der ganzen, scheinbar vermessenen Trasse gibt es aber keinerlei nennenswerte Erhebungen oder in die Landschaft einschneidende Täler.“

Asbach schüttelte den Kopf. „Wenn das nicht von dir käme, Hannes, würde ich sagen, hier spinnt sich einer was zusammen.“

„Das ist nur die Spitze des Eisberges, mein Lieber. Das Abholzen größerer Waldgebiete und das Ausgraben der Wurzelstöcke wurden abgerechnet. Es gab allerdings weit und breit keinen Wald.

Riesige Findelsteine mussten beseitigt werden. Der größte von ihnen hatte einen Durchmesser von zwanzig Zentimetern. Pumpaggregate mussten angeschafft werden, um Grundwasser abzu-pumpen. Dabei war der Boden so trocken wie früher die berühmte Konsumbebe.

Erdaushub wird abgerechnet. Die Erde liegt immer noch an Ort und Stelle.

Die schlimmsten Schweinereien werden aber mit den Subunternehmen gemacht. Die werden nämlich, wenn die Arbeit getan ist und die Zahlungen fällig werden, gnadenlos in die Insolvenz geschickt. Die Forderungen der Arbeitnehmer laufen dann ins Leere und ...“

„Warum schlagt ihr nicht zu, wenn das alles bekannt ist?“ Asbach sah Maibach kopfschüttelnd an.

„Uns fehlen handfeste Beweise, die den gesamten Bauklüngel hinter Gitter bringen würden.“

„Und die ganze Schweinerei wird von unseren Steuergeldern finanziert, nicht zu fassen. Man könnte denken, wir leben im Sudan oder irgend so einem Korruptionsparadies dieser Welt.“

„Und genau in so ein Korruptionsparadies sollst du reisen. Der Inselstaat liegt in der Liste der korrupten Länder knapp über der Hundertermarke, aber immerhin noch vor Russland … „ „Dominikanische Republik?“

„Du hast es erfasst, Arnt. Wir brauchen Hinweise und Informationen zu dem Doppelmord in Samana. Nach unseren bisherigen Erkenntnissen war der Ermordete Subunternehmer bei ST&T und hat mit größter Wahrscheinlichkeit diese Baugesellschaft oder einen der dort agierenden Manager beschissen.“

„Auftragsmord?“

„Sehr wahrscheinlich. Die Täter wurden schnell von der dortigen Polizei gefasst. Es kam zu einem Schusswechsel, bei dem einer der Ganoven erschossen wurde.

Du musst versuchen, an den zweiten Mann, der dort im Knast sitzt, heranzukommen. Wenn der kooperationsbereit ist, kann er unter Umständen nach Deutschland überstellt werden.“

„Ist das ein offizieller Auftrag, Hannes?“

„Natürlich nicht, mein Freund. Sonst hätte ich ja fliegen können. Du ermittelst rein privat und absolut diskret. Wir wollen das ganze Nest der betrügerischen Baufirma ausheben. Die dürfen keinen Schimmer haben, dass gegen sie ermittelt wird. Wenn wir zuschlagen, muss das wie der berühmte Blitz aus heiterem Himmel kommen.

Auf dein Wohl, Arnt!“

„Prost Hannes!“

Maibach setzte sein Glas ab, sah seinen Gegenüber an und sagte: „Grüße von Hartmann, unserem Chef. Er bedauert sehr, dass du immer noch suspendiert bist. Er lässt dir bestellen, dass er von der Aktion ''Samana'' keine Kenntnis hat, falls was schief geht. Du bist also rein privat dort.“

„Hast du sonst noch Neuigkeiten auf Lager, Herr Erster Hauptkommissar?“

„Hab ich.“

„Schieß los!“

„Du erinnerst dich sicher noch an diesen zwielichtigen Polizisten, diesen Klimpke, der nach Leipzig versetzt wurde?“

„Allerdings, der Kerl, der geholfen hat, mir das Falschgeld unterzuschieben.“

„Genau der. Wurde in Leipzig aus dem Polizeidienst ausgemustert. Hat dort wieder krumme Dinger gedreht.

Ist jetzt Projektmanager bei ST&T.“

„Was ist der?“

„Projektmanager!“

„Der Kerl hat doch vom Bau genauso viel Ahnung wie eine Kellerassel von der neunten Sinfonie. Der kann doch sicher nicht einmal die Bauzeichnung eines Baumhauses für Kinder lesen.

„Muss er auch nicht, mein lieber Arnt, der kriegt gesagt, was er zu sagen und zu tun hat, und dann sagt er und tut er das. Ahnung vom Geschäft muss der nicht haben, es genügt, wenn er funktioniert.“

„Erinnert mich irgendwie an verschiedene Bundesminister“, lachte Asbach.

„So zum Lachen ist das nicht unbedingt. Es gab im Lande schon Physiker und Studienräte, die Finanzminister wurden oder aus der Bundeswehr ausgemusterte Reserveoffiziersanwärter, die dann das Amt des Verteidigungsministers innehatten. Wer weiß, was da noch alles kommt? Wichtig ist, dass in so einem Amt alles, was du sagst, im Brustton der tiefsten Überzeugung vorgetragen wird, du niemals Fehler eingestehst und du möglichst den Kurs steuerst, den der über dir Thronende vorgibt.

Asbach starrte nachdenklich in sein fast leeres Bierglas, dann sah er Maibach an.

„Du bist sicher, dass dieser Klimpke wieder in Dresden ist?“

„Ganz sicher, Arnt!“

Asbach dachte kurz an Leona Nachterstedt. Er musste die junge Frau unbedingt warnen.

Die Männer tranken ihr Bier aus und verließen das Lokal.

Auf dem Weg zu ihren Autos sagte Maibach: „Du fliegst morgen Abend, Arnt. Dein Hinflug ist gebucht und bezahlt. Alle deine sonstigen Kosten werden über mich abgerechnet.“

Die Männer gaben sich zum Abschied die Hand.

Maibach wandte sich auf dem Weg zu seinem Wagen noch einmal um. „Hätt ich beinahe vergessen, dieser Steigenberger will seine ST&T-Baugesellschaft an die Börse bringen. Behalt das mal im Auge Arnt.“

***

Asbach stieg kopfschüttelnd in seinen BMW. Der Schweinehund an die Börse. Das wird ein oberfaules Ding, aber darüber nachzudenken war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Er sah auf die Uhr am Armaturenbrett.

22.00 Uhr. Für einen Besuch bei einer jungen Frau, die ihr Atelier in der Neustadt hatte, war es jetzt wohl eher später Nachmittag.

Asbach entschloss sich, noch bei Leona vorbeizuschauen.

Dieser Klimpke lag ihm schwer im Magen und stellte für Leona eine echte Bedrohung dar. Leona und er hatten nie den Kontakt zueinander verloren. Ihr und dieser Anja war übel mitgespielt worden. Sie waren trotz massiver Einschüchterungs- und Bestechungsversuche gegen die Herren, die Stammkunden im Kinderbordell Lolita gewesen waren, bei ihrer Aussage geblieben. Die Herren aus den oberen Etagen der Gesellschaft hatten daraufhin die Mädchen mit Verleumdungsklagen überzogen, von denen einige immer noch liefen.

Die Mädchen waren standhaft geblieben.

Ihr Zorn war größer als ihre Angst.

Es war überhaupt erstaunlich, was aus dieser Leona Nachterstedt geworden war. Sie hatte ihre Vergangenheit als Gelegenheitsprostituierte und Drogenkonsumentin abgestreift, wie die Schlange die zu eng gewordene Haut.

Ihre erotischen Miniaturen mit dem Pinselstrich eines Van Gogh verkauften sich in den Galerien der Neustadt wie geschnittenes Brot.

Das Mädel war zu Geld gekommen und wusste nichts damit anzufangen. Er hatte sie davon überzeugen können, dass jeder Markt irgendwann gesättigt ist und neue Leute mit neuen Ideen auf den Markt nachdrängen. Für diesen Fall war das Vorhandensein von möglichst viel Geld immer die Gewähr für eine Freiheit, ohne die ein kreativer Mensch vor die Hunde ging. Nur Geld kann, so lange es diese Welt regiert, dem Menschen Freiheit gewährleisten. Das ganze Gefasel der Philosophen von Freiheit oder der Autonomie des Subjekts ist für die Katz, wenn du Schütze Arsch im dritten Glied bist und jeden Euro drei mal umdrehen musst, bevor du ihn ausgibst.

Frag einen Hartz-IV-Empfänger nach der Freiheit, von der gewisse Politiker zu bestimmten Jahrestagen lautstark ihre nichtssagenden Reden zu würzen versuchen. Der Harzer wird sagen, meine Freiheit besteht darin, dass ich zwar theoretisch nach Acapulco fliegen und mich dort in einem Nobelhotel einchecken könnte, aber leider reicht meine Penunze gerade mal für den Baggersee, eine Currywurst und eine Büchse Bier am Imbiss.

Frag einen Mindestlohnempfänger nach der Freiheit. Er wird dir sagen, dass er schon oft davon geträumt hat, endlich mal ausgiebig mit seinen zwei Kindern shoppen zu gehen, ihnen die heißersehnten Markenklamotten für die Schule zu kaufen, damit sie von den privilegierteren Klassenkameraden nicht mehr gemobbt werden. Das Scheißgeld reichte aber immer nur für Kik, Woolworth oder Ernstings family.

Frag einen Obdachlosen nach der Freiheit. Die Antwort wirst du dir zwischen die Arschbacken klemmen können.

Asbach fiel der Spruch von Oscar Wilde ein. 'Als ich klein war, glaubte ich, Geld sei das Wichtigste im Leben.

Heute, da ich alt bin, weiß ich: Es stimmt'.

Als er Leona vorgeschlagen hatte, einen Teil ihres Geldes in Aktien oder Aktienfonds anzulegen, hatte sie ihn zweifelnd angesehen und gesagt: „Soll ich die Mäuse dann lieber nicht gleich verschenken oder zum Heizen verwenden.“

Das entsprach in etwa der Meinung, die viele Leute von der Börse hatten. Nicht verwunderlich nach dem Platzen der Dotocm-Blase, bei der viele Anleger sehr viel Geld verloren hatten. Gauner, Betrü-ger, Bauernfänger, Beutelschneider, Falschspieler, Gang-ster, Scharlatane, Lügenbeutel und nicht zuletzt die Medien hatten die Börse in eine üble Zockerbude verwandelt. Die Börseneuphorie war mit einem Schlag vorbei.

Er war trotzdem mit ihr zur Bank gegangen. Sie hatte ein Depot eröffnet und zusammen mit seinem Bankberater, einem jungen Mann mit großer Sachkenntnis, fünf Aktienfonds ausgewählt. Nach drei oder vier Jahren würden sie das Depot überprüfen und die zwei Fonds, die am schlechtesten gelaufen waren, aus dem Depot schmeißen und durch besser laufende ersetzen.

Asbach fuhr die Alaunstraße entlang Richtung Bischofsweg, fand noch eine der wenigen Parklücken und stieg aus. Ganz oben unterm Dach, in Leonas Atelier, brannte noch Licht. Er drückte den Klingelknopf.

„Ja.?“

„Hier ist eine gewisser Privatdetektiv, der früher mal Polizist war.“

„Arnt, komm rauf!“ Er hörte die freudige Überraschung in ihrer Stimme. Es war schon eine ganze Weile her, dass sie sich gesehen hatten.

Oben, in der weit geöffneten Tür standen Leona und Mäuschen, ein gewaltiger Leonberger mit dem Kopf eines Löwen. Mäuschen schob sich vor und rieb sich an seinem Bein.

Asbach fuhr dem Hund über den Kopf und lachte. „Der Kerl soll dich bewachen? Der lässt doch jeden Einbrecher und Ganoven rein.“

„Der lässt nur die zu mir rein, von denen er weiß, dass ich sie mag. Und die lässt er dann auch nicht wieder raus.“