Wenn sich nichts richtig anfühlt - Meg Arroll - E-Book

Wenn sich nichts richtig anfühlt E-Book

Мег Арролл

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Beschreibung

Der SPIEGEL-Bestseller über die große Wirkung kleiner Verletzungen

Sie können nicht genau sagen, woran es liegt, aber irgendwie haben Sie einfach nicht das Gefühl, dass es Ihnen gut geht? Das ist das Ergebnis einer Vielzahl von kleinen Wunden und seelischer blauen Flecken, die für sich genommen gar nicht so gewichtig erscheinen. Fehlender Zugang zu den eigenen Emotionen, Mikro-Aggressionen, herausfordernde familiäre Beziehungen, toxische Positivität und Gaslighting sind einige Beispiele für das, was Dr. Meg Arroll »kleine Traumata« nennt. Die Auswirkungen dieser winzigen Verletzungen sind enorm und führen unter anderem zu

• Angstgefühlen,
• Erschöpfung,
• übertriebenem Perfektionismus,
• emotionalem Essen oder
• Schlafstörungen.

Dr. Arroll hilft dabei, sich dieser kleinen Traumata bewusst zu werden, sie anzunehmen und zu überwinden, um das Leben führen zu können, das wir uns wünschen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 390

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Buch

Kleine Traumata haben einen großen Einfluss auf unser Leben, darauf, wie wir mit der Welt um uns herum interagieren, und auf unsere körperliche sowie mentale Gesundheit. Dennoch erkennen die wenigsten sie als solche, sie werden als nichtig abgetan oder sogar totgeschwiegen. Diese Mini-Traumata lassen die Grenzen zwischen psychischem Wohlbefinden und Krankheit verschwimmen. Vielleicht kennen Sie das Gefühl, noch nicht symptomatisch genug zu sein, um eine Diagnose oder Behandlung zu erhalten, während es Ihnen gleichzeitig auch nicht wirklich gut geht.

Aber so müssen Sie nicht leben. Mit über 20 Jahren Forschung und therapeutischer Erfahrung hat Dr. Meg Arroll hilfreiche Strategien entwickelt, um unsere kleinen Traumata und den Schaden, den sie verursachen, anzuerkennen, und anzugehen. Mit Hilfe von Fallstudien, praktischen Übungen und Anregungen zur Selbstreflexion lädt sie dazu ein, sich Ihren Gefühlen und der Selbstsabotage bewusst zu werden, und leitet Sie an, Lösungen zu finden, um endlich das Leben zu leben, das Sie wollen.

Autorin

Dr. Meg Arroll ist zugelassene Psychologin, Wissenschaftlerin und Autorin, die sich auf Gesundheit und Wohlbefinden spezialisiert hat. Ihr lösungsorientierter Ansatz liefert praktische Tipps und Strategien für die alltäglichen Probleme des Lebens. Außerdem schreibt sie für Zeitungen und Zeitschriften wie The Daily Mail oder Psychologies und ist regelmäßig als Expertin zu Gast bei BBC World News und UK Health Radio. Dr. Arroll macht komplexe wissenschaftliche Sachverhalte und Forschungsergebnisse einem breiten Publikum zugänglich und gibt praktische Ratschläge für die geistige und körperliche Gesundheit.

Dr. Meg Arroll

Wenn sich nichts richtiganfühlt

Die große Wirkung kleiner Traumata und wie wir sie überwinden

Aus dem Englischen

von Gabriele Lichtner

Die englische Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »Tiny Traumas« bei Thorsons, einem Imprint von HarperColllinsPublishers, London.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung der Autorin beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage bedauerlicherweise einmal nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Deutsche Erstausgabe Juni 2024

Copyright © 2023 der Originalausgabe: Dr. Meg Arroll.

Published by Arrangement with Dr. Meg Arroll.

Copyright © 2024 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Redaktion: Anna Sulik

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

AR ∙ IH

ISBN 978-3-641-31738-6V001

www.goldmann-verlag.de

Für meinen wunderbar sanften und gutherzigen Papa – oh Gott, ich vermisse dich.

Inhalt

Einleitung

Kapitel 1Kleine Traumata und warum sie wichtig sind

Kapitel 2Kein Glück, nirgends

Kapitel 3Bequem betäubt

Kapitel 4Geboren, um gestresst zu sein

Kapitel 5Das Perfektionismus-Paradox

Kapitel 6Menschlicher Schein, nicht menschliches Sein

Kapitel 7Kleines-Trauma-Essen

Kapitel 8Was hat Liebe damit zu tun?

Kapitel 9Schlafen! Vielleicht auch träumen

Kapitel 10Übergänge, Übergänge, Übergänge

Kapitel 11In den Abgrund springen, nicht starren: Ihr Kleine-Traumata-Rezept fürs Leben

Schlussbemerkung

Anhang

Danksagungen

Einleitung

Es ist nichts Besonderes, nichts Großes … und man kann es nicht genau benennen, aber irgendwie … fühlt man sich »zu wenig« – zu wenig wahrgenommen, zu wenig geschätzt, zu wenig geliebt. Man hat eine ziemlich nette Familie, eine Arbeit, die okay ist (immerhin hat man eine Arbeit), eine Gruppe von Freunden. Man hat Essen auf dem Tisch, ein Dach über dem Kopf, man hat es warm, also geht es einem gemessen an der Hierarchie der Bedürfnisse eigentlich gut. Aber irgendwie fühlt man sich nicht richtig … glücklich. Und ist das nicht das Ziel, das uns die Gesellschaft vorgibt, das uns immer wieder eingebläut wird von unseren Eltern, Lehrern, Freunden, bei der Arbeit oder praktisch überall, wohin man auch schaut?

Man hat im Leben nichts wirklich Schlimmes erlebt … aber genau das ist es: Man lehrt uns, die »kleinen Traumata« zu ignorieren, die nach und nach heimtückisch einen hohlen Raum in uns hinterlassen, mit ihrer unterschwelligen, konstanten Melancholie und ihren Stichen der Angst – alles begleitet von einem Film, der uns das perfekte Leben anderer Leute auf Instagram zeigt.

Die überwiegende Mehrheit meiner Patienten hat in ihrem Leben kein großes Trauma erlitten, wie etwa sexuellen oder körperlichen Missbrauch, das Leben in einem Kriegsgebiet oder den Tod einer Bezugsperson in früher Kindheit. Aber im Laufe der Zeit gibt es immer winzige Schrammen und kleine Dellen, die Spuren hinterlassen. Kleine Wunden, fast nicht wahrzunehmen, da allgegenwärtige gesellschaftliche Normen uns beibringen, »ruhig zu bleiben und weiterzumachen«. Doch diese kleinen Verwundungen häufen sich tief in unserem emotionalen Kern an und summieren sich wie Zinseszins. Und schließlich wirkt sich diese Ansammlung psychischen Schlamms auf unser Wohlbefinden aus – auch wenn wir immer noch funktionieren, spüren viele von uns dieses Gewicht in Form von Mattigkeit, Ängsten und mangelndem Selbstvertrauen. Die Anhäufung der kleinen Traumata sollte auf keinen Fall ignoriert werden, da diese sonst zu vielen unserer heutigen psychischen und körperlichen Gesundheitsproblemen führen kann.

Glücklicherweise erleiden die meisten von uns keine wiederkehrenden großen Traumata oder wenigstens nicht solche sich wiederholenden Traumata und Missbräuche, die zu psychischen Krankheiten führen.

Wir verlieren geliebte Menschen, etwa die Hälfte von uns erlebt eine Scheidung, und viele müssen mit Krankheiten oder körperlichen Verletzungen fertigwerden. Es ist bekannt, dass solche Traumata zu diagnostizierbaren mentalen Gesundheitsproblemen wie zu Angstzuständen oder Depressionen führen können.

Aber dies macht nicht das Gros der Probleme aus, die ich in meiner Praxis Tag für Tag sehe; es sind eher die subtilen Erlebnisse wie eine schlechte Eltern-Kind-Beziehung, der psychische Druck im Umgang mit falschen Freunden, Erniedrigungen in der Schule, Instabilität durch häufiges Umziehen (mit Schul- und Arbeitsplatzwechsel), Leistungskultur oder der dauernde Versuch, finanziell zurande zu kommen, die zu einem diffusen Gefühl führen, bei dem man sich häufig fragt: »Warum soll ich überhaupt etwas versuchen?« Aber ein ständiges »Sich-etwas-mies-Fühlen«, dauernde Mattigkeit, eine hochfunktionale Angststörung und krankhafter Perfektionismus sind keine Zustände, die Ihr Hausarzt diagnostizieren oder behandeln wird. Sie entsprechen nicht den ordentlich abgegrenzten Kriterien in medizinischen Fachbüchern, und wenn Ihr Arzt Sie fragt, ob sich im vergangenen Jahr bei Ihnen etwas Besonderes ereignet hat, kann die Antwort durchaus »Nein« lauten. Und so werden die Menschen alleingelassen, weil ihr Zustand nicht wirklich ernst genug ist, auch wenn er ihr Leben beeinträchtigt. Der Grund ist, dass wir den schleichenden Einfluss der kleinen Traumata nicht erkennen.

Ich nenne diese psychischen Probleme kleine Traumata, weil diese ziemlich universellen Erfahrungen das Recht haben, in den alltäglichen, allgemeinen Sprachgebrauch aufgenommen zu werden. Denn es sind die kleinen Dinge, die dem Leben eine Bedeutung geben – und es sind auch die kleinen, alltäglichen Dinge, die uns unsere Lebendigkeit, unsere Antriebskraft und unser Potenzial nehmen. Werden wir uns jedoch unserer eigenen kleinen Traumata bewusst, können wir sie zu unserem Vorteil nutzen, indem wir eine robuste psychische Immunität aufbauen, die uns vor dem zerstörerischen Einfluss eventueller zukünftiger großer Traumata schützt.

Denn Sie sind wichtig! Glauben Sie mir – das sind Sie. Viel mehr, als Sie im Moment glauben. Und am Ende dieses Buches werden Sie das nicht nur selbst zu glauben beginnen, sondern diese täglichen Ängste und Frustrationen werden nach und nach verschwinden. Vertrauen Sie mir, ich bin Psychologin – aber nicht die Art Psychologin, die Sie sich vielleicht vorstellen. Es gibt keine Couch, keinen Bart, kein wertendes Kopfnicken, denn es gibt keinen Grund dafür, uns für unsere Erlebnisse, unsere Fehler oder unsere dunkelsten Gedanken zu schämen.

In diesem Buch steht das, von dem ich aus meiner mehr als zwanzigjährigen Erfahrung in Forschung und Praxis weiß, dass es wahr ist. Jede einzelne Person, mit der ich gearbeitet habe, hatte irgendein kleines Trauma. Diese Traumata sind sehr unterschiedlich, ihre Folgen äußern sich jedoch auf bestimmte, erkennbare Arten. In diesem Buch möchte ich Ihnen die Themen vorstellen, die ich dabei identifiziert habe. Ich verwende den Begriff Themen, da sie an sich keine medizinischen Leiden sind, ihr Einfluss auf die Menschen aber dennoch Muster aufweist, die sich beschreiben lassen. Eines oder vielleicht auch mehrere dieser Themen könnten Ihnen vertraut vorkommen, und vielleicht haben Sie das Gefühl, die einzige Person zu sein, die darunter leidet. Doch genau hier und genau jetzt möchte ich Ihnen sagen, dass diese Themen, Leiden oder wie wir die Gruppe von Anzeichen und Symptomen in jedem Kapitel sonst nennen möchten, tatsächlich sehr weitverbreitet sind. Da es keine medizinischen Definitionen gibt, kann ich Ihnen keine genauen Zahlen dazu nennen, wie viele Menschen sich ähnlich fühlen, aber aus meiner Erfahrung und basierend auf meinen Beobachtungen kann ich Ihnen sagen: Sollte keines der Themen kleiner Traumata für Sie persönlich relevant sein, dann ist bestimmt jemand, den Sie kennen, jemand, der Ihnen sehr nahesteht, davon betroffen.

Während ich Sie durch die Spannungsfelder kleiner Traumata führe – zum Beispiel leichte Panik, das Gefühl, nie genug zu sein, und sogar gesundheitliche Probleme wie Schlaflosigkeit, Gewichtszunahme und chronische Müdigkeit –, werde ich Ihnen natürlich auch praktische Möglichkeiten aufzeigen, um mit diesen Problemen zurechtzukommen – damit Sie die Kontrolle über Ihr Leben zurückerlangen und nicht länger Ihren kleinen Traumata unterworfen sind. Es ist heutzutage nicht einfach, Zugang zu psychologischen Dienstleistungen zu bekommen, aber aus der Forschung wissen wir, dass Bibliotherapie – das, was Sie mit dem Lesen dieses Buches gerade tun – helfen kann, Symptome zu verringern.

Weil wir uns im Leben mit genug kniffligen Problemen auseinandersetzen müssen – mit komplexen und alltäglichen –, machen wir es uns hier so einfach wie möglich. Daher verwenden wir meine lösungsorientierte, dreistufige Methode:

Die BAA-Methode

Schritt 1: Bewusstmachung – Ihre einzigartige Konstellation kleiner Traumata aufdecken und deren Einfluss auf Ihre gelebte Erfahrung ergründen, um die Kontrolle über Ihr Leben zurückzuerlangen.Schritt 2: Akzeptanz – Dies ist oft der herausforderndste Schritt des Prozesses und das Stadium, das viele Menschen am liebsten überspringen wollen – aber ohne Akzeptanz werden die kleinen Traumata Ihr gegenwärtiges Leben weiter über Gebühr beeinflussen.Schritt 3: Aktion – Akzeptanz ist jedoch nicht genug; Sie müssen aktiv Schritte unternehmen, um das Leben so zu gestalten, wie Sie es sich wünschen.

Zumindest am Anfang, während Sie den Prozess kennenlernen, ist es wichtig, dass Sie diese Schritte einen nach dem anderen vornehmen. In meiner Praxis sehe ich oft Menschen, die unglaublich frustriert sind, weil sie sofort mit den Techniken aus der Aktionsphase begonnen haben – das ist jedoch, als würde man einen schlimmen Kratzer mit einem Pflaster verarzten, ohne die Verletzung zuerst zu reinigen. Der Schmutz ist darunter gefangen und verursacht schließlich eine Infektion, die für den Verletzten ein ernsthafteres Problem darstellt als die ursprüngliche Wunde. Auch führt das sofortige Eintreten in die Phase der Aktion oft nur zu kurz anhaltenden Ergebnissen, wenn man vorher nicht die Stufen von Bewusstmachung der Traumata und Akzeptanz dessen, was einem im Leben geschehen ist, durchlaufen hat. Es gibt auch Menschen, die ein großes Maß an Bewusstsein haben – vor allem diejenigen, die eine Reihe psychologischer und Selbsthilfetechniken versucht haben –, die aber vom Stadium der Bewusstmachung direkt in das der Aktion übergehen, ohne das der Akzeptanz zu durchlaufen. Dies ist keineswegs eine Unzulänglichkeit des Einzelnen – wir leben in einer hektischen Gesellschaft, in der jeder Wunsch und jedes Bedürfnis sofort befriedigt werden, daher ist es verständlich, dass wir alle eine zweiminütige, TikTok-fähige Lösung wollen. Aber es ist wie bei allen Fähigkeiten – wenn Sie sich erst einmal an den Prozess gewöhnt haben, werden Sie es einfacher finden, die drei Stadien zu absolvieren, und Sie werden sie souverän meistern.

Noch eine letzte Anmerkung, bevor wir loslegen. Eine der häufigsten Fragen, die mir gestellt werden, lautet: »Wie lange wird es dauern?« Die einzig richtige Antwort ist, dass es von Person zu Person anders ist. Genau wie körperliche Heilung ihre Zeit braucht, muss man psychischer Erholung Raum und Zeit geben, damit sie stattfinden kann. Je tiefer die Wunde ist oder je mehr kleine Traumata vorhanden sind, desto intensiver muss man an einer Genesung arbeiten. Und es ist Arbeit, oder besser, es kostet Mühe – aber ich versichere Ihnen, dass es das wert ist. Denn Sie sind es wert.

Doch das führt uns zu einer ziemlich rauen Realität: Zwar tragen Sie nicht die Schuld an Ihren kleinen Traumata, aber Sie sind die einzige Person, die etwas dagegen tun kann. Doch schon in diesem Moment haben Sie den wichtigen ersten Schritt getan, um mit den vielfältigen Schwierigkeiten fertigzuwerden, die ich jede Woche sehe. Und ich werde auf dieser Reise bei Ihnen sein. Sie sind nicht allein.

Zuerst möchte ich Ihnen mehr darüber erzählen, was kleine Traumata sind und warum sie im Leben eine Rolle spielen, um dann den übergreifenden Prozess der BAA-Methode mit dem ersten Schritt zu beginnen – der Bewusstmachung.

Kapitel 1

Kleine Traumata und warum sie wichtig sind

In diesem Kapitel werden wir uns damit befassen:

wie Trauma die körperliche und psychische Gesundheit beeinflusstwie sich ein großes Trauma von einem kleinen Trauma unterscheidetdie vielen verschiedenen Quellen kleiner Traumatadas psychische Immunsystemwie wir kleine Traumata als psychische Antikörper nutzen können

In diesem ersten Kapitel sehen wir uns die Unterschiede zwischen großen und kleinen Traumata an, denn jede einzelne Erfahrung in unserem Leben prägt uns. Daran gibt es keinen Zweifel. Diese Traumata zu definieren, ist hilfreich, denn damit hängt zusammen, warum sich so viele von uns so oft irgendwie nicht gut fühlen. Wir schauen uns auch einige Quellen kleiner Traumata mit Beispielen aus der realen Welt an, um diese Art emotionaler Verletzungen in einen Kontext zu setzen, denn häufig verbergen sie sich im Offensichtlichen. Tatsächlich ist genau das einer der Gründe, aus dem sie so viel Schaden anrichten können.

Die Psychologie ist eine relativ junge Disziplin, in der erst seit etwa einem Jahrhundert mit validen Methoden geforscht wird, also vergeben Sie den Experten, dass es einige Zeit gedauert hat, bis sie begonnen haben, sich mit niederschwelligen Traumata zu befassen. Der erste Schritt dieser Auseinandersetzung besteht darin, das zu beobachten, was sich im Alltag abspielt, und sicherzustellen, dass das, was Experten wie zum Beispiel Psychologen untersuchen und erforschen, eindeutig das Leben der Menschen reflektiert. Sie können Ihre eigenen Beispiele in den sozialen Netzwerken unter dem Hashtag #tinyt (»Tiny T« steht dabei im Englischen für »tiny T trauma«, die kleinen Traumata) teilen, damit andere sich mit ihren Erlebnissen vielleicht weniger isoliert fühlen und um zur Datengrundlage beizutragen. Und nun lassen Sie uns anfangen …

Große Traumata und Gesundheit

Bis vor relativ kurzer Zeit haben sich Forscher und Psychologen vor allem auf bedeutende negative Ereignisse im Leben von Menschen konzentriert. Das ist nachvollziehbar, da diese akute psychische Leiden hervorrufen, für die die Menschen professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Zu den Folgen großer Traumata gehören lebensverkürzende (und manchmal herzzerreißend lebensbedrohliche) mentale Gesundheitsprobleme wie starke Depressionen, allgemeine Angstgefühle, posttraumatische Belastungsstörungen und eine Reihe anderer Leiden, die im Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM), der amerikanischen »Bibel« für psychische Gesundheit, dokumentiert sind. Im DSM und früheren Versionen davon fanden die großen Traumata bei vielen der aufgeführten Krankheiten Erwähnung – dabei handelt es sich um eindeutig schreckliche Situationen, von denen wir wissen, dass sie oft zu psychischen und körperlichen Gesundheitsproblemen führen: Leben in einem Kriegsgebiet; sexueller, körperlicher oder emotionaler Missbrauch in der Kindheit; Vergewaltigung oder sexuelle Belästigung; das Überstehen natürlicher Katastrophen wie Feuer, Erdbeben, Tornados oder Hurrikanen sowie das Überleben als Opfer eines Gewaltakts wie bewaffnetem Raubüberfall oder Terrorismus – all dies kann zu großen Traumata führen.

Die aktuellste, fünfte Version des DSM (das DSM-5) beschreibt 157 verschiedene diagnostizierbare Leiden, über 50 Prozent mehr als im Jahr 1952, als dieses Buch zum ersten Mal veröffentlicht wurde. Bedeutet das, dass wir Menschen so viele neue Probleme der psychischen Gesundheit entwickelt haben? Ich würde sagen, vielleicht sind einige neue dazugekommen, aber hauptsächlich werden wir immer besser darin, menschliche Erfahrungen und Leiden zu erkennen und zu definieren. Heute sind wir uns dessen bewusst, dass auch andere Ereignisse, von denen viele recht verbreitet sind, zu emotionalen und funktionellen Problemen führen können.

Bedeutende Lebensereignisse, die die meisten an irgendeinem Punkt in ihrem Leben erleben werden

Glücklicherweise werden die meisten von uns die erwähnten einschneidenden, zu großen Traumata führenden Ereignisse nicht erleben müssen. Aber an irgendeinem Punkt werden wir alle geliebte Personen verlieren und viele werden eine Scheidung durchmachen. Sogar freudige Ereignisse können eine große Belastung sein (Geburten, Hochzeiten, selbst Weihnachtsfeiern). Diese Ereignisse beschreiben die Psychiater Thomas Holmes und Richard Rahe mit dem Begriff »bedeutende Lebensereignisse«. Die zwei Ärzte untersuchten anhand von 5000 Krankenakten den Zusammenhang von belastenden Lebenserfahrungen und späteren Gesundheitsproblemen und stellten auf dieser Grundlage eine Liste zusammen, in der sie Ereignisse nach der Stärke von Stressfaktoren ordneten – von den am stärksten belastenden Ereignissen (Tod des Lebenspartners oder eines Kindes) bis zu weniger bedeutsamen, aber immer noch belastenden Ereignissen wie kleineren Rechtsverletzungen (Wer hat nicht schon einmal einen Bußgeldbescheid bekommen?). Neben der Schwere dieser Ereignisse schien ein weiterer wichtiger Indikator für Gesundheitsprobleme zu sein, wie viele davon im Verlauf eines Jahres eintraten. Holmes und Rahe erarbeiteten eine Skala, in der sie den Ereignissen Stresswerte von 0 bis 100 zuwiesen, und stellten fest, dass ein Gesamtwert von 300 oder mehr ein großes Risiko für die Gesundheit des Menschen bedeutete, ein Wert zwischen 150 und 299 ein moderates Risiko und ein Wert unter 150 ein leichtes Risiko.1

Wir sehen also, dass einige Ereignisse in unserem Leben uns sowohl für körperliche als auch für psychische Gesundheitsprobleme anfällig machen können, vor allem wenn wir in einer kurzen Zeitspanne mehreren davon ausgesetzt sind. Aber das ist nicht das ganze Bild; zwar stützen viele Untersuchungen diese Theorie, andere fanden jedoch auch heraus, dass Menschen, die nicht an die magische Grenze der Stressskala heranreichen, trotzdem Probleme entwickeln. Warum werden diese Personen krank, andere aber nicht? Hier kommen meiner Meinung nach die kleinen Traumata zur Geltung.

Kleine Traumata – das fehlende Bindeglied?

Zu Beginn meiner akademischen Laufbahn gehörte ich zu einer Forschungsgruppe zu chronischen Krankheiten. Wir untersuchten alle Arten von Krankheiten und deren Auswirkungen auf die Patienten. Das ist der eigentliche Grund, aus dem ich begann, Bücher zu schreiben, denn die Studenten, die mit unserem Modul »Die Psychologie somatischer Erkrankungen« befasst waren, hatten oft eine Geschichte langfristiger Gesundheitsprobleme oder fühlten sich zu dieser Zeit niedergeschlagen und von Ängsten heimgesucht (obwohl das für Psychologiestudenten im dritten Jahr eigentlich nicht erstaunlich war!).

Als Reaktion darauf begannen meine Kollegen und ich, Bücher für die Allgemeinheit zu schreiben anstatt nur staubige Artikel für wissenschaftliche Zeitschriften. Und dann wurde mir immer klarer, dass die bedeutenden großen Traumata und Lebenssituationen, über die die Forscher redeten, für viele der Leiden, die wir untersuchten und mit denen wir zu tun hatten, nicht die Ursache sein konnten. Bei meiner Beschäftigung mit der Arbeit der Psychologin Dr. Francine Shapiro, die heute vor allem für die Entwicklung der EMDR-Traumatherapie bekannt ist (EMDR steht für »Eye Movement Desensitization and Reprocessing«, auf Deutsch etwa »Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen«), erfuhr ich von den kleinen Traumata. Dr. Shapiro erweiterte das Traumakonzept um häufige Ereignisse, denen die meisten Menschen ausgesetzt sind – wie zum Beispiel emotionale Vernachlässigung oder Gleichgültigkeit, soziale Erniedrigung und Probleme in der Familie –, die jedoch nicht die Bedeutsamkeit eines großen Traumas oder einschneidender Lebensereignisse aufwiesen. In ihrer Forschung und Praxis sah Dr. Shapiro, dass auch diese kleineren Verletzungen zu langfristigen emotionalen und/oder körperlichen Problemen führen konnten. Manchmal werden diese Ereignisse als Small-t-Traumata bezeichnet oder eben kleine Traumata. Nach welchem Begriff ich aber auch in akademischen Datenbanken suchte, ich mühte mich vergeblich, diese Art Trauma in wissenschaftlichen Schriften, klinischen Berichten oder sogar allgemeineren Publikationen zu finden. Wie so viele andere wichtige Themen wurde dieses irgendwie ignoriert oder unter den Teppich gekehrt. Bis jetzt.

Ein wissenschaftliches Papier, das ich zu dem Thema fand, beschäftigte sich sowohl mit großen als auch mit kleinen Traumata bei Menschen mit Reizdarmsyndrom. Ich erwartete die gleichen alten Ergebnisse, nämlich dass größere Traumata stärkere Symptome verursachten und einen bedeutenderen Einfluss auf das Leben der Patienten hatten usw. Doch im Gegenteil – es waren eher die kleinen Traumata, die die Vorhersage von Reizdarmsymptomen zuließen, und nicht die großen Traumata oder bedeutsamen Erlebnisse, von denen Psychologen lernen, dass sie zu gesundheitlichen Problemen führen.2 Menschen, deren Eltern kalt oder unnahbar gewesen waren, bekamen dieses Darmleiden eher als diejenigen, die Missbrauch oder Vernachlässigung erlitten hatten. Das fand ich faszinierend – kennen Sie diese Momente, in denen sich in Ihrem Gehirn ein Feuerwerk entzündet? Die kleinen Traumata waren nicht nur wichtig – SIEWARENBEIDIESENPATIENTENWICHTIGERALSGROSSETRAUMATA! Dieser Heureka-Moment führte dazu, dass ich eine Art Obsession mit kleinen Traumata entwickelte und damit, mit ihrer Hilfe viele Probleme zu erklären, die ich bei meinen Studenten und später bei meinen Therapiepatienten sah.

Denn sogar mit den 157 diagnostizierbaren Leiden in dem oben erwähnten DSM-5 kann man nicht sagen, dass wir alles abgedeckt hätten. Die Mehrheit der Menschen, die ich in meiner Klinik sehe, erfüllen nicht alle Kriterien für eine bestimmte Diagnose, aber heißt das, dass sie keine Hilfe benötigen oder ihrer nicht würdig sind? Meine Meinung dazu ist ein sehr lautes NEIN. Wir brauchen alle ab und zu ein bisschen Hilfe, aber mit unseren Gesprächen über psychische Gesundheit kratzen wir erst an der Oberfläche, und wie bei jeder Disziplin beginnt dieses Gespräch mit den offensichtlichsten und schwerwiegendsten Beispielen. Dann bewegen wir uns in wissenschaftlichen Studien nach und nach hin zu weniger auffälligen, aber genauso bedenkenswerten Erscheinungsformen des jeweiligen Themas – in diesem Fall emotionaler Schmerz und gestörtes Gleichgewicht.

Das Boot des Lebens

Mit der folgenden Analogie möchte ich verdeutlichen, warum auch weniger bedeutsame Ereignisse im Leben eines Menschen einen großen Einfluss haben können. Stellen Sie sich vor, Ihr Leben ist ein Boot und Jahr für Jahr segeln Sie damit. Im Laufe der Zeit stößt Ihr Boot manchmal gegen Felsen, ab und zu gibt es einen schweren Sturm, und Fische knabbern am Boden des Schiffsrumpfes. Jede dieser kleinen Abnutzungserscheinungen stellt an sich noch kein Problem dar, vor allem dann nicht, wenn Sie sich des möglichen Schadens bewusst sind und das nötige Werkzeug für die Reparaturen besitzen. Aber Segeln ist harte Arbeit und manchmal übersehen Sie ein kleines Leck, vor allem, wenn Sie sich gerade durch Wind und Regen kämpfen. Oft wird einem erst dann klar, dass man in Schwierigkeiten steckt, wenn ein Problem auftritt – zum Beispiel verlieren Sie an Tempo, ohne zu wissen, warum. Das sind die kleinen Traumata.

Eine Reise, um kleine Traumata zu verstehen

Mit dieser Analogie im Hinterkopf fing ich an, einige Ereignisse zusammenzutragen, die für Menschen besonders problematisch zu sein scheinen – vielleicht noch nicht einzeln, aber zusammen mit anderen kleinen Traumata und eventuell mit von der Gesellschaft ausgeübtem Druck. Die Beispiele im Rest dieses Kapitels sind nicht vollständig (da dies sonst ganz sicher ein sehr langes Buch werden würde!), stellen aber einige der häufigsten kleinen Traumata dar, die ich sehe.

Wie große Lebensereignisse passieren kleine Traumata zu irgendeinem Zeitpunkt, und wenn sie diese erste psychische Kerbe geschlagen haben, wird dieses geringfügige Trauma oft über die Jahre verstärkt. Diese Verstärkung ist es, die ein Muster zu bilden beginnt – daraus kann ein psychisches Gesundheitsmuster oder ein Verhaltensmuster resultieren. Das sind die in der Einführung erwähnten Themen kleiner Traumata, die wir im weiteren Buch erforschen werden. Aber erst mal lassen Sie uns eine schnelle Reise unternehmen, bei der wir einige weitverbreitete kleine Traumata kennen lernen, die Ihnen vielleicht bekannt vorkommen werden.

Kleine Traumata aus der Kindheit

Ein großer Teil der Traumaforschung legt den Fokus auf frühkindliche Erfahrungen. Das ist nachvollziehbar, denn dies ist die Zeit, in der sich neuronale Netzwerke bilden und das, was uns geschieht, daher den größten Einfluss haben kann. Niemand durchläuft seine Kindheit wirklich unbeschadet – und das sollten wir auch nicht, denn diese Erfahrungen sind langfristig wirksam und machen uns zu denen, die wir sind.

Bei vielen Menschen hinterlassen Ereignisse, die viele Jahre zuvor passiert sind, dauerhafte Spuren. Hier sind einige Beispiele von kleinen Traumata aus der Kindheit, die Ihnen oder Ihnen lieben Menschen vielleicht bekannt vorkommen werden.

Die Elternfalle

Die Verbindungen, die wir mit unseren hauptsächlichen Betreuungspersonen knüpfen (oft Mütter oder Väter, aber es können auch Pflegeeltern, Tanten, Onkel oder andere Menschen sein, die sich um uns kümmern, wenn wir jung sind), prägen das, was in der Psychologie Bindungsstil genannt wird. In den späten 1950er-Jahren und in den 1960er- und 1970er-Jahren beobachteten renommierte Psychologen wie John Bowlby und Mary Ainsworth, dass Kinder als Reaktion auf ihre Umgebung eines von vier unterschiedlichen Verhaltens- und Charaktermustern zu entwickeln schienen.3 In Kapitel acht, in dem es um die Liebe geht, werden wir uns näher mit diesem Thema beschäftigen. Diese Bindungsstile wurden in zahlreichen Experimenten untersucht, und diese haben gezeigt, dass die Art, wie eine Betreuungsperson auf ein Baby oder Kleinkind reagiert, Einfluss darauf hat, wie sicher sich das Kind in der Welt fühlt. Eine sichere Bindung entsteht in Familien, in denen Kinder Beständigkeit und einfühlsame Reaktionen erfahren, während sich ein vermeidender Bindungsstil bildet, wenn sich Eltern distanziert oder abgelenkt verhalten. Dies sind wichtige Erfahrungen, da sie auch unsere Beziehungen als Erwachsene prägen. Alles andere als ein sicherer Bindungsstil (die anderen zwei Typen sind der ambivalente und der desorganisierte Bindungsstil) kann später zu Situationen führen, in denen man sich einen Großteil der Zeit irgendwie nicht richtig gut fühlt.

Und so können sich kleine Traumata auch durch Generationen hindurch fortsetzen. Vielleicht haben unsere Betreuungspersonen selbst mehrere kleine Traumata, die sie niemals aufarbeiten konnten. Auch praktische Probleme können dazu führen, dass Kinder sich manchmal etwas einsam fühlen – zum Beispiel waren viele von uns sogenannte Schlüsselkinder, die nach der Schule in eine leere Wohnung kamen und allein zurechtkommen mussten, bis die Eltern nach der Arbeit wieder zu Hause waren. Das ist kein großes Trauma – viele Eltern und Betreuungspersonen müssen einfach lange arbeiten, um Rechnungen zu bezahlen und der Familie ein Dach über dem Kopf zu geben, denn die Lebenshaltungskosten sind heute in vielen Ländern sehr hoch. So ist es auch die Gesellschaft selbst, die bei vielen Menschen kleine Traumata verursacht.

Aber bevor ich überempfindlich genannt werde – ich sage nicht, dass dies allein schon tiefgreifenden psychischen Stress für die Kinder bedeutet. Es spielt jedoch eine Rolle, da diese Muster sich in Beziehungen zwischen Erwachsenen wiederfinden – nicht nur in romantischen, sondern auch in Freundschaften und den Interaktionen mit anderen Menschen. Wenn wir diese Programmierung durchschauen, können wir beginnen, das Schema zu verändern, falls es uns Probleme bereitet.

Oder vielleicht haben Sie und Ihre Betreuungspersonen ganz unterschiedliche Persönlichkeiten – manche Menschen haben Eltern, die ihnen wie Aliens erscheinen und ihren Kindern nicht im Geringsten ähneln. Der extrovertierte Vater, der seinen Sohn zu jedem Footballspiel und jeder Pfadfindergruppe schleppt, obwohl der Junge eigentlich nur mit einer Taschenlampe unter seiner Bettdecke Geschichten schreiben möchte. Niemand würde sagen, dass dieser Vater ein schlechter Vater ist, und tatsächlich würden viele sogar sagen, dass es gut für die Kinder ist, mal aus ihrer Komfortzone herausgeholt zu werden. Aber aus der Forschung wissen wir, dass diese Widersprüchlichkeit unserem Bindungsgefühl ein paar winzige Schrammen zufügen kann.4 Es geht eben darum, sich als die Person geliebt und akzeptiert zu fühlen, die man ist – bedingungslos.

Es gibt also unzählige subtile Möglichkeiten, wie unsere frühen Jahre uns prägen können, und dabei muss die Betreuungssituation keinesfalls vernachlässigend, missbräuchlich oder »schlecht« gewesen sein, sie entsprach vielleicht nur nicht unserer einzigartigen Persönlichkeit und unserem Temperament. Genau deshalb ist es wichtig, kleine Traumata zu verstehen – auch ohne offensichtliches Fehlverhalten können wir doch durch unsere Erfahrungen, unsere Zusammenhänge und unsere Beziehungen beeinflusst sein. Ohne dieses Bewusstsein (behalten wir im Kopf, dass Bewusstmachung der erste Schritt der BAA-Methode ist) bleiben wir ständig in einem Zustand, in dem wir uns nicht ganz wohlfühlen, einem Zustand, der sich weder gut noch schlecht anfühlt, sondern einfach einen etwas mäandernden, Zeit verschwendenden Ort darstellt.

Kleine Traumata aus der Schulzeit

Ob wir wollen oder nicht, die Schulzeit ist eine entscheidende Zeit für unsere Entwicklung. Sie mögen in der Schule Ferris Bueller gewesen sein, von dem die Schulsekretärin in dem Film »Ferris macht blau« aus dem Jahr 1986 zum Schuldirektor sagt, dass er so beliebt ist, dass ihn praktisch alle mögen, seien es nun die Sportler, die Streber, die Nerds oder die Versager. Oder Sie waren vielleicht dieser Sportler, der Streber, der Nerd, der Versager – die Schule ist ein Mikrokosmos der Welt, in dem wir oft kategorisiert und in Schubladen gesteckt werden. Nicht nur von unseren Mitschülern, sondern oft auch durch unser eigenes aufkeimendes Gefühl persönlicher Identität.5

Die kleinen Traumata resultieren eher aus subtileren Interaktionen als aus ernsthafteren Misshandlungen, wie zum Beispiel Mobbing oder Schikanen. Offenes Schikanieren ist ein starkes Kindheitstrauma, das leider viele Kinder erleiden, aber bei vielen anderen können weniger offensichtliche Bosheiten zu kleinen Traumata führen: ein Gefühl, nicht dazu zu passen, Erniedrigungen auf dem Sportplatz, Prüfungsstress, der Druck, in einer auf Ranglisten statt auf sinnvolles Lernen fokussierten Umgebung erfolgreich sein zu müssen – all dies kann Spätfolgen haben.

Vor ein paar Jahren arbeitete ich mit jemandem, den man als äußerst erfolgreich bezeichnen würde – er hatte eine Führungsposition mit einem ansehnlichen Gehalt, eine langjährige Ehe und zwei aufgeweckte Kinder. Mo bereicherte jede Party, hatte viele gute Freunde, ein tolles Haus, ein schnelles Auto und schien vollkommen zufrieden zu sein. Und doch nahm er ein Pfund nach dem anderen zu und es schien kein Ende in Sicht. Mo begründete seine Gewichtszunahme mit vielen Geschäftsessen und damit, dass er sich jetzt das beste Essen und die besten Weine leisten konnte, mit denen er auch seinen Liebsten gern eine Freude machte. Aber diese Erklärung brachte weder ihn noch uns sehr weit, also bat ich Mo um Folgendes:

»Denken Sie an ein Ereignis oder eine Erfahrung, die Sie stark beeinflusst oder verändert hat, die Sie aber bisher nicht für ernst genug hielten, um sie zu erwähnen.«

Diese Aufgabe stelle ich fast all meinen Patienten in einer der ersten Sitzungen, und fast immer kommt dabei eine Form von Trauma zum Vorschein. Bei manchen Menschen ruft diese Frage eine positive Erinnerung hervor, aber negative Ereignisse sitzen meist hartnäckiger in den Tiefen unseres Bewusstseins als positive, daher geht es hier meist um irgendeine Form eines kleinen Traumas.

Bei Mo kam Folgendes heraus:

»Als ich neun Jahre alt war, wurde bei meinem Bruder ADHS diagnostiziert. Das war nicht wie heute; damals redete man nicht über ADHS, und die Schule, andere Eltern und die Gesellschaft sahen es nicht so wie heute, wo jeder es versteht. Damals fühlte es sich an, als würden die Leute einfach denken, dass Van, mein Bruder, ein ungezogenes Kind sei, das dauernd versuchte, Aufmerksamkeit zu bekommen. Den größten Teil meiner Schulzeit hatte ich ein Auge auf Van, um dafür zu sorgen, dass niemand – einschließlich der Lehrer – ihn schikanierte. Dabei rede ich hier nicht von Faustkämpfen, ich alberte einfach mit den anderen herum, bis sie ihn in Ruhe ließen. Ich war ohne Zweifel der Klassenclown – je mehr ich die anderen Kinder und die Lehrer zum Lachen brachte, desto weniger achteten sie auf Van. Vielleicht lache ich deswegen immer alles weg (er lacht). Aber ich habe das Gefühl, dass es nicht richtig ist, das überhaupt zu erzählen, denn es ist ja nicht Vans Schuld, dass ich so viel wiege. Van kann man gar nichts vorwerfen – und ich meine wirklich nichts.«

Damit waren wir eindeutig auf etwas sehr Wichtiges gestoßen und hatten einen empfindlichen Nerv getroffen. Es war der erste Schritt dabei, zu erkennen, wie unsere Erfahrungen sich ansammeln und zu Gefühlen und Verhaltensweisen führen können (in Mos Fall das Überessen), die uns nicht guttun und manchmal ausgesprochen schädlich sind; denn Mo hatte inzwischen Bluthochdruck, und sein Arzt hatte ihn gewarnt, dass er an der Grenze zum Diabetes stand. Er wusste, dass er etwas unternehmen musste, um das gedankenlose Konsumieren von reichhaltigem Essen und Getränken zu beenden.

Kleine Traumata sind kontextabhängig und häufen sich an

Als Mo das nächste Mal in meine Praxis kam, war er nicht in seiner üblichen heiteren Stimmung. Er setzte sich mit herabhängenden Schultern und blickte zu Boden. Er sagte, er könne nicht glauben, wie diese einzige Frage so viele Erinnerungen bei ihm wachgerufen haben könne, bei denen ihm ein Licht aufgegangen sei. Er sei fassungslos und finde es unglaublich schwer zu akzeptieren, dass etwas, das mit der Diagnose seines Bruders zu tun hatte, ihn heute noch beeinflussen sollte. Wir nahmen uns also Zeit, um uns durch das Labyrinth von Mos kleinen Traumata zu arbeiten und herauszufinden, wie wir die einzelnen Aspekte verbinden konnten.

In der Einleitung habe ich die BAA-Methode vorgestellt – Bewusstmachung, Akzeptanz und Aktion. Mo versuchte, die Bewusstmachung zu überspringen und direkt zur Akzeptanz zu gelangen, und das verursachte ihm starkes emotionales Leid. Wir mussten mehr Arbeit auf die Bewusstmachung verwenden, um die Grundlage für die Akzeptanz zu legen. Denn Mo sah nicht ein, dass es eine Verbindung zwischen Vans ADHS und seinem eigenen immer größer werdenden Bauchumfang geben sollte – jedenfalls nicht ganz. Ich stimmte zu, dass dies viel zu kurz gedacht sei, und so machten wir uns an die Erforschung von einem der fundamentalsten Grundsätze kleiner Traumata: dass sie sich anhäufen und ihren Einfluss damit steigern.

Dies ist ein wichtiger Unterschied zwischen großen und kleinen Traumata – ein großes Trauma beruht normalerweise auf einem eindeutig und leicht zu definierenden Ereignis (oder einer Reihe von Ereignissen wie zum Beispiel oft beim Missbrauch), von dem wir sofort akzeptieren, dass es einen sehr schädlichen Einfluss auf Psyche und Körper hat. Dagegen handelt es sich bei kleinen Traumata um eine Kombination kleinerer Ereignisse in jeweils anderem Kontext, die sich mit der Zeit anhäufen.

Wie Mo selbst gesagt hat, hätten Van und er ganz andere Erfahrungen gemacht, wenn sie heute zur Schule gegangen wären. Unser Kenntnisstand über Störungen wie ADHS verändert sich ständig, und inzwischen hat sich die Unterstützung für Menschen mit ADHS und ihre Familien sehr verbessert. Die Situation vor mehr als 40 Jahren war eine andere, deswegen war es entscheidend, dass wir dieses kleine Trauma in seinen historischen und chronologischen Kontext stellten. Das ermöglichte Mo, vom Gedanken wegzukommen, dass das kleine Trauma impliziere, sein geliebter Bruder wäre irgendwie schuld. Das Bewusstmachen des Kontextes eines kleinen Traumas kann der Schlüssel sein, um Platz für die Akzeptanz zu schaffen.

Zusammenhänge finden

Wenn wir die Detektivarbeit rund um ein kleines Trauma beginnen, werden die Zusammenhänge oft mit einem Mal deutlich – ein bisschen so, als wenn zum ersten Mal die Schleusentore geöffnet werden. Mo fing an, die Verbindung mehrerer kleiner Traumata zu erkennen – so überaß er sich in den Schulpausen, beim Mittagessen und nach der Schule, um damit seine Gefühle und Ängste zu unterdrücken. In seiner Familie war Essen wichtig und mit Liebe und Trost verbunden, aber es war nicht nur dieser Zusammenhang, der zu seinem übermäßigen Essverhalten führte. Während Mo Pfunde anhäufte, entdeckte er die Rolle des Spaßvogels für sich, und das war so etwas wie seine Superkraft – sie schützte nicht nur Mo selbst, sondern seine ganze Familie vor den schmerzhaften Dingen, die die Leute hätten sagen und tun können. Alle schienen Mo zu lieben, und als er die Schule verließ und seine erste Stellung als Vertriebsmitarbeiter antrat, führte er potenzielle Kunden zu teuren Essen aus, womit er immer Verträge einzuheimsen schien. Eine echte Win-win-Situation! Oder nicht …? Humor und Essen führten jetzt zu Erfolg und finanzieller Sicherheit und waren nicht mehr nur ein Puffer gegen Mobbing. Was als kleines Trauma begonnen hatte, wurde jetzt zu einem Muster, das so fest verankert war, dass es für Mo unmöglich schien, Veränderungen an seiner Ernährung und seinem Lebensstil vorzunehmen – sogar dann nicht, als sein Arzt ihm immer wieder die Notwendigkeit dazu vor Augen führte.

Ich hoffe, es wird deutlicher, wie wichtig es ist, kleine Traumata zu verstehen, die leider oft übersehen werden. Die Scham, die Mo dabei empfand, als er seinen Bruder erwähnte und damit deutlich wurde, dass dessen Diagnose womöglich einen Einfluss auf ihn gehabt hatte, verhinderte, dass Mo diese Ereignisse überhaupt in sein Bewusstsein vordringen ließ. Und beim Vergleich seiner eigenen Probleme mit denen seines Bruders tat Mo seine eigenen Gefühle ab, denn was er erlebt hatte, war nicht so schlimm wie das, was sein Bruder gefühlt haben musste. Dies ist wiederum ein Charakteristikum von kleinen Traumata und gibt uns das Gefühl, keine Fürsorge und kein Mitgefühl zu verdienen. Diese Gedanken erschweren es den Patienten, bei der BAA-Methode vom Bewusstmachen ihrer Probleme zur Akzeptanz weiterzugehen, denn schon von Natur aus scheinen kleine Traumata nicht so schlimm zu sein wie große Traumata.

Es ist so viel einfacher, ein großes traumatisches Ereignis zu erkennen und zu glauben, dass nur solche bedeutenden Traumata oder großen Ereignisse im Leben unsere Aufmerksamkeit wert sind – aber das stimmt einfach nicht. Bei Mo war es nicht nur die Situation in der Schule, die ihn in meine Praxis führte – er ist ein komplexes Wesen wie wir alle –, aber sie war bedeutsam, aufschlussreich und übte über die Jahre Einfluss auf ihn aus. Die Liebe zu seinem Bruder und der Instinkt, Van zu beschützen, führten dazu, dass Mo überempfindlich gegenüber jeder Gefahr von Hänselei und Mobbing wurde, sodass es für ihn leichter war, einfach immer die Rolle des Klassenclowns zu spielen. Dieses Beispiel macht deutlich, warum es in der Therapie nützlich sein kann, mit einer bestimmten Episode anzufangen und sich von da aus zurückzuarbeiten – aber es kann auch nützlich sein, nach weiteren kleinen Traumata zu suchen.

Kleine Traumata aus Beziehungen

Unsere Beziehungen zu unseren ersten Bezugspersonen sind nicht die einzigen, die mit kleinen Traumata zusammenhängen können – auch Beziehungen zwischen Erwachsenen, sowohl platonische als auch romantische, können unserer Psyche Verletzungen beibringen. Denn über seine erste Liebe kommt man nie hinweg – oder? Eine kleine Warnung: Dieses Buch ist voller Klischees – nicht beabsichtigt, sondern einfach weil Klischees aus gutem Grund Klischees sind. Sie beschreiben ein allgemein geteiltes Verständnis von universellen Phänomenen, die leicht zu verstehen und zu identifizieren sind. Wie kleine Traumata sich auf zukünftige Beziehungsentscheidungen und -erfolge auswirken können, behandeln wir in Kapitel acht, jetzt wollen wir erst mal einen Blick auf kleine Traumata und ihren Zusammenhang mit Beziehungen im Allgemeinen werfen.

Da gab es jemanden …

Unsere Art zu lieben, oben als Bindungsstil bezeichnet, wird in der Kindheit entwickelt, aber die Geschichte endet nicht mit unseren Eltern oder Betreuungspersonen. Während die Art dieser ersten Bindungen oft unsere erwachsenen Beziehungen prägt, ist damit noch nichts für immer festgelegt. Selbst wenn wir das Glück hatten, eine starke, sichere Bindung zu denjenigen aufzubauen, die in der Kindheit für uns gesorgt haben, können spätere schwierige Beziehungen kleine Traumata verursachen und unseren inneren Kompass durcheinanderbringen. 

Gibt es jemanden, an den Sie noch immer denken? Sie gehen vielleicht nicht so weit, diese Person auf den sozialen Medien zu stalken, aber ab und zu denken Sie an sie, meist dann, wenn sich Ihr Leben gerade nicht besonders gut anfühlt. Dann könnte es sich um ein kleines Trauma handeln, auch wenn Sie die Partnerschaft beendet haben, da man sich in allen intimen Beziehungen öffnet und verletzlich macht. Vielleicht ist es dieses Ereignis, das Ihnen zu Beginn dieses Kapitels in den Kopf kam. Und ich sage Ihnen: Was auch immer der Grund für das Ende der Beziehung war, daraus kann man etwas lernen. Aber die Erforschung eines solchen kleinen Traumas kann sehr schmerzhaft sein, gehen Sie also geduldig und sanft mit sich um.

Bei einer anderen Sitzung mit Mo erzählte er mir, dass seine größten Herausforderungen als Erwachsener seine Beziehungen waren. Jetzt war er glücklich verheiratet, aber es gab ein anderes kleines Trauma, das immer noch an ihm nagte:

Ich war Anfang zwanzig und an der Uni, als ich Sarah kennenlernte – wir waren im selben Freundeskreis, also verbrachten wir fast unsere ganze Freizeit gemeinsam und hatten auch Stunden zu zweit, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ich dachte also, dass wir zusammen wären. Eines Tages fragte ich sie dann nach ein paar Bieren, ob sie mit mir kommen würde, um meine Eltern zu besuchen. Ihren entsetzten Blick werde ich niemals vergessen! Dann brach sie in Lachen aus und sagte: »Weißt du, die Mädchen haben für alle Jungs eine Rangliste aufgestellt und du stehst an LETZTER Stelle!« Danach bin ich sehr lange mit niemandem mehr ausgegangen.

Mo war sich sicher, dass der Grund für diese Ablehnung sein Gewicht und seine Rolle als der lustige Typ in ihrer sozialen Gruppe war. Es kam zu einem Teufelskreis – der emotionale Schmerz führte zu noch mehr Überessen. Darüber hinaus beeinflusste diese Abfuhr nicht nur seine Beziehung zu Sarah, nach und nach zog sich Mo auch von seinem ganzen Freundeskreis zurück.

So ist es mit den kleinen Traumata – die Verletzung des Herzens kann von einer zehnjährigen Beziehung stammen, aber genauso auch von einem kurzen Flirt. Es gibt keine kleinen Traumata, die mehr oder weniger »wert« sind als andere – es hängt davon ab, wie diese Sie beeinflussen, was zählt, sind Ihre eigenen Gefühle. Nur diese sind wichtig, denn Sie sind Sie, und die Verletzungen, die Sie im Leben mit sich tragen, beeinflussen nicht nur Ihre Zukunft, sie sind auch (zumindest in einem bestimmten Ausmaß) für tägliche und kurzzeitige emotionale Zustände verantwortlich. Aber es gibt auch einen ermutigenden Teil dieser Geschichte: Durch die Erforschung seiner kleinen Traumata gewann Mo nicht nur ein Bewusstsein davon, sondern er konnte in einen Zustand der Akzeptanz eintreten und verstehen, wie diese angehäuften Ereignisse, Gefühle und Verhaltensweisen ihn in die Welt des Trostessens befördert hatten. Das Erkennen der Zusammenhänge seiner kleinen Traumata wurde für Mo zu einer Quelle der Selbstermächtigung und des psychologischen Trainings und nicht zu einem Mühlstein um den Hals. Wie es weiterging und wir mit Mo in die Aktionsphase der BAA-Methode gelangten, erzähle ich Ihnen in dem Kapitel »Kleines-Trauma-Essen«, denn in den weiteren Kapiteln dieses Buches geht es um genau solche Themen kleiner Traumata und das, was Sie tun können, um die Kontrolle über Ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu übernehmen und ein Leben zu führen, in dem Sie aufblühen und nicht nur überleben.

Gemeine Mädchen und falsche Freunde – von Freundschaften verursachte kleine Traumata

Auch wenn wir am häufigsten von dem Schmerz und den Verletzungen sprechen, die wir aufgrund einer unerwiderten Liebe oder des Endes einer romantischen Beziehung erleiden, haben doch auch Freundschaften, Bekanntschaften und Interaktionen zwischen Kollegen einen nicht unerheblichen Anteil an kleinen Traumata. In meiner Praxis hat sich vor allem gezeigt, dass weibliche Freundschaften die emotionale Gesundheit meiner Patientinnen beeinflussten – sowohl positiv wie auch negativ. Dafür gibt es einen evolutionär bedingten Grund, den wir in unserem Bemühen um Gleichberechtigung von Männern und Frauen oft übersehen und der auf deren unterschiedlichen Überlebensstrategien beruht.

Die klassische Kampf-oder-Flucht-Reaktion auf Bedrohungen ist allgemein bekannt und wird viel diskutiert. Um im Angesicht einer akuten Gefahr lebend davonzukommen, mussten unsere Vorfahren entweder mit aller Macht kämpfen oder so schnell wie möglich fliehen. Zur Verbesserung einer Überlebenschance findet dann in unserem Körper eine komplexe Abfolge physiologischer Prozesse statt. Unser Herz pumpt mehr Blut in unsere Muskeln, für einen Energiekick wird Glukose ausgeschüttet, unsere Pupillen weiten sich, um die Gefahr besser erkennen zu können. Aber dies ist nicht die einzige Art, auf eine Gefahr zu reagieren.

Die große Mehrheit früher medizinischer Forschungsstudien wurde nur mit Männern durchgeführt, einschließlich der Forschung, die sich unserer Reaktion auf Gefahr widmete. Spätere Studien erforschten diesen Prozess in unterschiedlichen Personengruppen, und man fand heraus, dass Frauen zwar ebenfalls eine Kampf-oder-Flucht-Reaktion zeigten, aber eben auch ein Reaktionsmuster, das sich darauf konzentriert, sich um andere zu kümmern und soziale Kontakte zu knüpfen (»Tend and befriend«). Wenn wir an unsere Vorfahren denken, hatten Frauen vor allem die traditionelle Rolle, für die Kinder zu sorgen und zu ihrer Sicherheit soziale Bindungen aufzubauen. Wenn eine Frau eine andere Frau mit höherem Status in der Gruppe vor den Kopf stieß, konnte das zu Problemen und im schlimmsten Fall zum völligen Ausschluss aus dem Clan führen. Dies hätte zu jenen Zeiten eine Katastrophe für die betreffende Frau und ihre Familie bedeutet. Das ist der Grund, aus dem Frauen häufiger direkte Konfrontationen vermeiden und stärker unter Streitigkeiten mit ihren Partnern und Familien leiden. Dieses Reaktionsmuster – sich ständig in andere hineinversetzen, sich so verhalten, dass es anderen gefällt, und wie auf Eiern gehen, um die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten (was bedeutet, den Frieden zu erhalten) – kann Frauen dazu bringen, kulturell unerwünschte Gefühle zu verbergen oder in extremen Fällen ihr eigenes Selbst zu unterdrücken. Männer können natürlich genauso handeln, aber die Programmierung der weiblichen »Tend-and-befriend«-Reaktion im Gehirn und Nervensystem als Überlebensstrategie in komplexen Gruppendynamiken macht diese Reaktion bei Frauen sehr viel wahrscheinlicher. Männer können einen Streit hingegen austragen, ihn danach schnell zu den Akten legen und sich verhalten, als wäre gar nichts passiert. Das ist natürlich sehr vereinfacht und ich will auf keinen Fall die Komplexität menschlichen Verhaltens infrage stellen, aber wenn wir diese unterschiedlichen Verhaltensweisen mit bedenken, ergeben einige verblüffende Phänomene mehr Sinn. Dann können wir noch die kleinen Traumata hinzufügen, um ein detaillierteres Bild und Verständnis davon zu entwickeln, warum wir tun, was wir tun, und warum wir auf bestimmte Art fühlen.

Wenn im Wald ein Baum umfällt …

Sowohl Männer als auch Frauen sind jedoch im Kern soziale Wesen – das Bedürfnis nach Zugehörigkeit zu einer Gruppe und danach, von unserer Umgebung akzeptiert zu werden, ist für unser Überleben genauso entscheidend wie Wasser, Luft, Essen und Sicherheit. Ich übertreibe nicht. Auch wenn wir erwachsen genug sind, um für uns selbst zu sorgen, beruht unser Identitäts- und Sicherheitsgefühl auf unseren Interaktionen mit anderen Menschen. Bei einem berühmten Gedankenexperiment geht es darum, ob ein Baum, der im Wald umfällt, auch dann ein Geräusch macht, wenn niemand da ist, um ihn zu hören; stattdessen möchte ich Sie fragen: Wer wären Sie, wenn Sie sich selbst nicht im Verhältnis zu anderen sehen könnten?

Kleine Traumata durch die Arbeit

Ist Ihre Arbeit nur ein Job, eine Karriere oder eine Berufung? Wenn Sie meinen, Sie arbeiten nur, um Ihre Rechnungen bezahlen zu können, werden Sie wahrscheinlich weniger glücklich sein als jemand, der seine Arbeit als aufstrebende Karriere oder als Berufung ansieht. Wenn Sie einfach nur einen Job machen, träumen Sie vielleicht die allermeiste Zeit zwischen neun und fünf Uhr davon, dass Sie an einem Strand Muschelketten verkaufen, den nächsten Bestseller schreiben oder in der Lotterie gewinnen und überhaupt nicht arbeiten müssen. In diesem Fall nagt höchstwahrscheinlich ein kleines Trauma an Ihnen, und zwar jeden … einzelnen … Tag …

Wir brauchen alle ein Dach über dem Kopf, doch der Unterschied zwischen einer Karriere und einer nur des Geldes wegen ausgeübten Tätigkeit ist meist, dass man bei einer Arbeit, die man sich selbst ausgesucht hat, mehr Kontrolle über seinen Ehrgeiz und seine Ziele hat. Empfindet man seine Arbeit als Berufung, sind mit der Tätigkeit wichtige Werte und ein Gefühl von Identität verbunden. Klassischerweise denken wir bei solchen Beschäftigungen an Ärzte, Priester und ähnliche Berufe, in denen wir anderen helfen. Doch leider herrschen auch in diesen Berufen heutzutage häufig sehr schlechte Arbeitsbedingungen. Eine Ärztin, die unter chronischen Angstzuständen leidet, berichtete mir: