Wenn wir Toten erwachen (Mit Biografie des Autors) - Henrik Ibsen - E-Book

Wenn wir Toten erwachen (Mit Biografie des Autors) E-Book

Henrik Ibsen

0,0

Beschreibung

Henrik Ibsens Buch 'Wenn wir Toten erwachen' zählt zu den bedeutendsten Werken des norwegischen Dramatikers. Das Buch erzählt die Geschichte des Bildhauers Arnold Rubek, der nach Jahren der Zurückgezogenheit die Gelegenheit bekommt, seine einstige Muse wiederzutreffen. In dieser düsteren und metaphorischen Erzählung erforscht Ibsen die Themen von Kunst, Liebe und Erinnerung. Sein prägnanter und symbolgeladener Stil prägt das Werk und verleiht ihm eine zeitlose Relevanz im literarischen Kontext des 19. Jahrhunderts. Ibsens intensive Charakterisierungen und tiefgründige Dialoge machen das Buch zu einem Meisterwerk der Weltliteratur.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 342

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Henrik Ibsen

Wenn wir Toten erwachen

(Mit Biografie des Autors)

Books

- Innovative digitale Lösungen & Optimale Formatierung -
2017 OK Publishing
ISBN 978-80-7583-606-9

Inhaltsverzeichnis

Wenn wir Toten erwachen
Biografie

Wenn wir Toten erwachen

Inhaltsverzeichnis
Personen
Erster Akt
Zweiter Akt
Dritter Akt

Personen

Inhaltsverzeichnis

Professor Arnold Rubek, Bildhauer Frau Maja Rubek Der Badeinspektor Ulfheim, Gutsbesitzer Eine reisende DameEine Diakonissin Dienerschaft, Badegäste und Kinder.

Der erste Akt spielt in einem Badeort an der Küste; der zweite wie der dritte Akt bei einem Sanatorium im Hochgebirge.

Erster Akt

Inhaltsverzeichnis

Vor dem Badehotel, dessen Hauptgebäude teilweise zur Rechten sichtbar ist. Offener parkähnlicher Platz mit Springbrunnen, Gruppen von großen alten Bäumen und Buschwerk. Links ein kleiner, mit Grün und wildem Wein fast bedeckter Pavillon. Tisch und Stuhl davor. Im Hintergrunde der zuletzt ins offene Meer übergehende Fjord mit Landzungen und kleinen Inseln in der Ferne. Es ist ein stiller, sonnig warmer Sommervormittag.

Professor Rubek und Frau Maja sitzen in Korbstühlen an einem gedeckten Tisch auf dem Rasenplatz vor dem Hotel und haben soeben ihr Frühstück eingenommen. Jetzt trinken sie Champagner mit Selters, und jedes hat seine Zeitung in der Hand. Der Professor ist ein älterer, distinguierter Herr in schwarzem Samtjakett und im übrigen sommerlich gekleidet. Frau Maja ist noch ganz jugendlich; sie hat lebhafte Züge und muntere Augen voll Laune, über denen jedoch eine gewisse Müdigkeit lagert. Sie trägt ein elegantes Reisekostüm.

Frau Maja sitzt eine Weile wie in Erwartung, daß der Professor etwas sagen soll. Dann läßt sie das Blatt sinken und seufzt: Uh, nein, nein –!

Professor Rubek blickt von seiner Zeitung auf. Nun, Maja? Was ist denn los mit Dir?

Frau Maja. Hör' nur, wie still es hier ist.

Professor Rubek nachsichtig lächelnd. Und das kannst Du hören?

Frau Maja. Was?

Professor Rubek. Die Stille hier?

Frau Maja. Allerdings kann ich das.

Professor Rubek. Du hast am Ende nicht so unrecht, mein Kind. Man kann die Stille wirklich hören.

Frau Maja. Weiß Gott, das kann man. Wenn sie einen so ganz erdrückt – wie hier –

Professor Rubek. – wie hier im Bade, meinst Du?

Frau Maja. Überall hier in der Heimat, mein' ich. In der Stadt drinnen war ja Lärm und Unruhe genug. Und doch – für mich hatte auch dieser Lärm und diese Unruhe etwas Totes.

Professor Rubek mit forschendem Blick. Macht's Dir keine rechte Freude, wieder zu Hause zu sein, Maja?

Frau Maja ihn anblickend. Macht's Dir Freude?

Professor Rubek ausweichend. Mir –?

Frau Maja. Ja, Dir. Du bist doch so viel, viel länger weg gewesen als ich. Macht's Dir wirklich Freude, wieder zu Hause zu sein?

Professor Rubek. Nein – offen und ehrlich – so recht nicht –

Frau Maja lebhaft. Siehst Du! Als ob ich das nicht gewußt hätte!

Professor Rubek. Ich bin vielleicht zu lange weg gewesen. Ich bin diesen ganzen Verhältnissen hierzulande durchaus fremd geworden.

Frau Maja rückt mit ihrem Stuhl näher zu ihm; eifrig. Siehst Du, Rubek. Laß uns doch einfach wieder abreisen! Und das so bald wie möglich.

Professor Rubek ein wenig ungeduldig. Gewiß, – das haben wir ja auch vor, liebe Maja. Das weißt Du doch.

Frau Maja. Aber warum nicht gleich? Denk' Dir doch nur, – wie nett und gemütlich könnten wir's haben in unserm neuen hübschen Haus –

Professor Rubek nachsichtig lächelnd. Eigentlich sollten wir wohl sagen: in unserm neuen hübschen Heim.

Frau Maja kurz. Ich sage lieber Haus. Bleiben wir dabei.

Professor Rubek läßt seinen Blick auf ihr ruhen. Du bist im Grund ein wunderliches Persönchen.

Frau Maja. Bin ich so wunderlich?

Professor Rubek. Ja, wirklich.

Frau Maja. Aber warum denn? Etwa, weil ich nicht gerade übermäßige Lust dazu habe, hier oben herumzubummeln und die Zeit totzuschlagen –?

Professor Rubek. Wer von uns wollte denn für sein Leben gern diesen Sommer nach Norden reisen?

Frau Maja. Nun ja, ich.

Professor Rubek. Ja, – ich wahrhaftig nicht.

Frau Maja. Aber, mein Gott, – wer konnte auch ahnen, daß sich hier bei uns alles so furchtbar verändert hätte! Und noch dazu in so kurzer Zeit! Wenn man bedenkt, daß es noch nicht viel mehr als vier Jahre her ist, seit ich von hier fortgegangen –

Professor Rubek. – als verheiratete Frau, ja.

Frau Maja. – verheiratete Frau? Was sollte das damit zu tun haben?

Professor Rubek fortfahrend. – und seit Du Frau Professor geworden bist und ein prächtiges Heim bekommen hast – Verzeihung – ein herrschaftliches Haus, muß ich wohl sagen, – und eine Villa am Taunitzer See, wo ja nun alles aufs feinste hergerichtet ist –. Ja, zu fein und prächtig, Maja, darf ich dreist sagen. Und Platz ist auch. Wir brauchen einander nicht immer so auf die Füße zu treten.

Frau Maja gleichgültig. Nein, nein, nein, – Platz im Haus und so weiter – daran fehlt's ja durchaus nicht –

Professor Rubek. Und dann auch, daß Du in feinere und größere Verhältnisse überhaupt gekommen bist. In gebildeteren Verkehr, als Du zu Hause gewohnt warst.

Frau Maja ihn anblickend. Nun ja, also nach Deiner Ansicht habe ich mich verändert?

Professor Rubek. In der Tat, Maja.

Frau Maja. Nur ich? Und die Leute hier nicht?

Professor Rubek. O ja, die auch, – so ein bißchen. Liebenswürdiger sind sie nicht gerade geworden. Das kann ich getrost zugeben.

Frau Maja. Das glaub' ich wohl auch.

Professor Rubek schlägt einen andern Ton an. Weißt Du, in welche Stimmung ich komme, wenn ich das Leben der Leute hier um mich her betrachte?

Frau Maja. Nein. Sag' doch.

Professor Rubek. Da kommt mir die Nacht in den Sinn, als wir mit der Eisenbahn hier herauf fuhren –

Frau Maja. Da hast Du ja doch im Coupé geschlafen.

Professor Rubek. Nicht ganz. Ich merkte, wie still es auf einmal wurde an den vielen kleinen Haltestellen –. Ich hörte die Stille, – wie Du, Maja –

Frau Maja. Hm, – wie ich, ja.

Professor Rubek. Und ich begriff, daß wir nun über die Grenze gekommen waren. Jetzt waren wir richtig zu Hause. Denn an all diesen kleinen Haltestellen hielt der Zug, – obwohl von Verkehr keine Rede war.

Frau Maja. Aber warum hielt er denn? Wenn nichts los war?

Professor Rubek. Weiß nicht. Kein Reisender stieg aus und keiner stieg ein. Aber der Zug, der hielt trotzdem eine lange, endlose Zeit. Und auf jeder Station hörte ich zwei Männer auf dem Perron auf und ab gehen, – der eine hatte eine Laterne in der Hand, und sie sprachen miteinander, gedämpft, klanglos, nichtssagend in die Nacht.

Frau Maja. Ganz recht. Immer gehen da so ein paar Männer auf und ab und sprechen zusammen –

Professor Rubek. – von nichts. In lebhafterem Ton. Aber wart' nur bis morgen. Da haben wir den großen bequemen Dampfer hier im Hafen. Dann gehen wir an Bord und fahren die Küste entlang, immer weiter nach Norden, – bis hinauf zum Eismeer.

Frau Maja. Aber dann siehst Du ja nichts von Land – und Leben. Und das wolltest Du doch gerade.

Professor Rubek kurz, unwillig. Ich habe mehr als genug gesehen.

Frau Maja. Meinst Du, eine Seereise würde Dir besser bekommen?

Professor Rubek. Es ist jedenfalls einmal eine Abwechselung.

Frau Maja. Ja, ja; wenn es nur Dir gut bekommt –

Professor Rubek. Mir? Gut? Mir fehlt doch aber gar nichts.

Frau Maja steht auf und tritt, zu ihm. Doch, Dir fehlt etwas, Rubek. Das mußt Du doch selbst fühlen.

Professor Rubek. Aber, liebste Maja, – was denn?

Frau Maja hinter ihm, beugt sich über die Stuhllehne vor. Ja, das mußt Du mir sagen. Du gehst seit einiger Zeit umher ohne Rast und Ruh'. Nirgends hält's Dich fest. Zu Hause nicht und nicht draußen. Ganz menschenscheu bist Du mit der Zeit geworden.

Professor Rubek etwas spöttisch. Nein, – daß Du das bemerkt hast?

Frau Maja. Das kann doch keinem entgehen, der Dich kennt. Und dann find' ich es so traurig, daß Du die Lust zum Arbeiten verloren hast.

Professor Rubek. Hab' ich das auch?

Frau Maja. Wenn man bedenkt, wie Du früher so unermüdlich arbeiten konntest, – von Morgen bis Abend.

Professor Rubek verdüstert. Ja früher –.

Frau Maja. Aber seit Dir Dein großes Meisterwerk glücklich gelungen –

Professor Rubek nickt nachdenklich. Der »Auferstehungstag« –

Frau Maja. – und über die ganze Welt gegangen ist und Dich so berühmt gemacht hat –

Professor Rubek. Das ist vielleicht das Unglück dabei, Maja.

Frau Maja. Wieso?

Professor Rubek. Als ich dies mein Meisterwerk geschaffen hatte – mit einer heftigen Handbewegung – denn der »Auferstehungstag« ist ein Meisterwerk! Oder war es doch im Anbeginn. Nein, ist es noch. Soll, soll, soll ein Meisterwerk sein.

Frau Maja blickt ihn verwundert an. Ja, Rubek, – das weiß ja doch die ganze Welt.

Professor Rubek kurz und abweisend. Nichts weiß die ganze Welt. Nichts versteht sie.

Frau Maja. Nun, so ahnen sie doch zum mindesten etwas –

Professor Rubek. – was gar nicht da ist, ja. Was mir nie im Sinn gelegen hat. Siehst Du, darüber fallen sie in Verzückungen. Brummt vor sich hin. Es ist nicht der Mühe wert, sich so immerfort abzurackern für den Mob und die Masse – und diese »ganze Welt«.

Frau Maja. Hältst Du es da für besser – oder, sagen wir, Deiner würdiger, hier und da nur so im Vorübergehen eine Porträtbüste zu machen?

Professor Rubek lächelt launig. Wenn es nur richtige Porträtbüsten wären, was ich da mache, Maja!

Frau Maja. Aber was denn sonst, weiß der liebe Himmel! – So in den letzten zwei, drei Jahren – seit Du Deine große Gruppe fertig und aus dem Hause hattest –

Professor Rubek. Es sind trotzdem keine eigentlichen Porträtbüsten, sag' ich Dir.

Frau Maja. Was denn sonst?

Professor Rubek. Es liegt etwas Verdächtiges, etwas Verstecktes in und hinter diesen Büsten, – etwas Heimliches, was die Menschen nicht sehen können –

Frau Maja. So?

Professor Rubek überlegen. Nur ich kann es sehen. Und dabei amüsiere ich mich so köstlich. – Von außen zeigen sie jene »frappante Ähnlichkeit«, wie man es nennt, und wovor die Leute mit offenem Munde dastehen und staunen, – läßt die Stimme sinken – aber in ihrem tiefsten Grund sind es ehrenwerte, rechtschaffene Pferdefratzen und störrische Eselsschnuten und hängohrige, niedrigstirnige Hundeschädel und gemästete Schweinsköpfe, – und blöde, brutale Ochsenkonterfeis sind auch drunter –

Frau Maja gleichgültig. – all unsere lieben Haustiere also.

Professor Rubek. Sehr richtig, Maja. All diese lieben Tiere, die der Mensch nach seinem Bilde verpfuscht hat. Und die den Menschen dafür wieder verpfuscht haben. Leert sein Champagnerglas und lacht. Und diese hinterlistigen Kunstwerke bestellen nun die biederen, zahlungsfähigen Leute bei mir. Und kaufen sie in gutem Glauben – und zu hohen Preisen. Wiegen sie schier mit Gold auf, wie man zu sagen pflegt.

Frau Maja schenkt ihm ein. Pfui, Rubek! Komm, trink und sei vergnügt.

Professor Rubek streicht sich ein paarmal über die Stirn und lehnt sich im Stuhl zurück. Ich bin vergnügt, Maja. Wirklich vergnügt. In gewisser Hinsicht wenigstens. Schweigt einen Augenblick. Denn es ist doch immerhin ein Glück, sich nach allen Seiten hin frei und unabhängig zu fühlen. Vollauf alles zu haben, was man sich nur wünschen mag. Äußerlich wenigstens. Findest Du das nicht auch, Maja?

Frau Maja. O ja, gewiß. Das ist ja schon sehr viel. Blickt ihn. an. Aber hast Du vergessen, was Du mir an dem Tag versprochen, als wir über – über diese schwierige Sache einig wurden –

Professor Rubek nickt. – über unsere Heirat, meinst Du. Der Schritt wurde Dir ja etwas schwer, Maja.

Frau Maja unbeirrt fortfahrend. – und darüber, daß ich mit Dir ins Ausland reisen und dort für immer wohnen – und es gut haben sollte. – Weißt Du noch, was Du mir damals versprochen hast?

Professor Rubek schüttelt den Kopf. Nein, ich weiß es wirklich nicht mehr. Nun, was hab' ich Dir denn versprochen?

Frau Maja. Du sagtest, Du wolltest mich mitnehmen auf einen hohen Berg und mir alle Herrlichkeit der Welt zeigen.

Professor Rubek stutzig. Wirklich? Das hab' ich auch Dir versprochen?

Frau Maja blickt ihn an. Auch mir? Wem denn sonst noch?

Professor Rubek gleichgültig. Nein, nein, ich meine nur, hab' ich Dir das versprochen –?

Frau Maja. – alle Herrlichkeit der Welt, jawohl. Und diese ganze Herrlichkeit, sagtest Du, sollte mir und Dir gehören.

Professor Rubek. Das war eine Redensart, die ich früher so im Munde führte.

Frau Maja. Bloß eine Redensart?

Professor Rubek. Ja, noch eine von der Schulzeit her. So eine, womit ich die Nachbarskinder lockte, wenn ich sie mit mir hinaus zum Spielen in Berg und Wald haben wollte.

Frau Maja blickt ihn fest an. Wolltest Du vielleicht auch mich nur so hinauslocken, um dann mit mir zu spielen?

Professor Rubek schlägt einen scherzhaften Ton an. Nun, hast Du Dich denn nicht trotzdem ganz gut amüsiert bei dem Spiel, Maja?

Frau Maja kalt. Ich bin nicht mit Dir gegangen, bloß um zu spielen.

Professor Rubek. Nein, nein, das glaub' ich schon.

Frau Maja. Und Du nahmst mich auch nie mit Dir auf einen hohen Berg und zeigtest mir –

Professor Rubek gereizt. – alle Herrlichkeit der Welt? Nein, allerdings nicht. Denn ich will Dir etwas verraten: Du bist nicht eigentlich zum Bergsteiger geschaffen, kleine Maja.

Frau Maja sucht sich zu beherrschen. Du schienst es doch einmal zu glauben.

Professor Rubek. So vor vier, fünf Jahren, ja. Streckt sich im Stuhl. Vier, fünf Jahre, – das ist eine lange, lange Zeit, Maja.

Frau Maja blickt ihn mit bitterem Ausdruck an. Ist Dir die Zeit gar so lang geworden, Rubek?

Professor Rubek. Sie wird's mir so nach und nach ein wenig. Gähnt. So dann und wann.

Frau Maja geht wieder an ihren Platz hinüber. Ich werde Dich nicht weiter langweilen. Sie setzt sich in ihren Stuhl, nimmt die Zeitung und blättert darin.

Beiderseitiges Schweigen.

Professor Rubek lehnt sich mit den Ellbogen auf den Tisch zu ihr hinüber und fixiert sie leicht lächelnd. Fühlen Frau Professor sich gekränkt?

Frau Maja kalt, ohne aufzublicken. Nein, durchaus nicht.

Badegäste, meist Damen, kommen einzeln und in Gruppen von rechts und links durch den Park promeniert.

Kellner bringen Erfrischungen vom Hotel und verschwinden damit hinter dem Pavillon.

Der Badeinspektor, Stock und Handschuhe in der Hand, kommt von seinem Rundgang im Park, grüßt verbindlich die ihm begegnenden Gäste und wechselt mit Einzelnen einige Worte.

Der Inspektor tritt an Professor Rubeks Tisch und zieht höflich den Hut. Meinen ehrerbietigsten guten Morgen, Frau Professor. – Guten Morgen, Herr Professor.

Professor Rubek. Guten Morgen, guten Morgen, Herr Inspektor.

Der Inspektor zu Frau Maja. Darf man fragen, ob die Herrschaften angenehm geruht haben?

Frau Maja. Danke sehr; ganz ausgezeichnet – ich für mein Teil. Ich schlafe nachts immer wie ein Bär.

Der Inspektor. Freut mich außerordentlich. Die erste Nacht am fremden Ort hat oft ihre Unbequemlichkeiten. – Und Sie, Herr Professor –?

Professor Rubek. Ach, mit meinem Schlaf ist es schlecht bestellt. Zumal in letzter Zeit.

Der Inspektor nimmt eine teilnehmende Miene an. Ach, – das tut mir leid. Aber seien Sie nur erst ein paar Wochen hier im Bad – und es wird sich geben.

Professor Rubek blickt zu ihm auf. Sagen Sie, Herr Inspektor, – haben Sie unter Ihren Patienten jemand, der zur Nachtzeit Bäder nehmen muß?

Der Inspektor verwundert. Zur Nachtzeit? Davon ist mir nichts bekannt.

Professor Rubek. Nicht?

Der Inspektor. Meines Wissens ist hier niemand so krank, das er das nötig haben sollte.

Professor Rubek. Nun, aber dann ist wenigstens jemand bei Ihnen, der nachts im Park spazieren geht?

Der Inspektor lächelt und schüttelt den Kopf. Nein, Herr Professor – das wäre gegen das Reglement.

Frau Maja ungeduldig werdend. Mein Gott, Rubek, – wie ich Dir heute morgen schon gesagt habe, – Du hast eben geträumt.

Professor Rubek trocken. So? Wirklich? Geträumt? Zum Inspektor. Ich stand nämlich heute nacht auf, da ich nicht einschlafen konnte, und wollte nachsehen, was das Wetter macht –

Der Inspektor aufmerksam. Jawohl, Herr Professor? Nun, und –?

Professor Rubek. Und da schaue ich aus dem Fenster – und sehe eine helle Gestalt draußen unter den Bäumen wandeln.

Frau Maja lächelnd zum Inspektor. Und ferner will Rubek gesehen haben, daß die Gestalt im Badekostüm war.

Professor Rubek. – oder in so etwas Ähnlichem. Ich könnt' es nicht so genau unterscheiden. Aber etwas Weißes war es jedenfalls.

Der Inspektor. Höchst merkwürdig. War es ein Herr oder eine Dame?

Professor Rubek. Ich hatte die bestimmte Vorstellung, daß es eine Dame sein müsse. Hinterdrein aber kam noch eine andere Gestalt. Und die war ganz dunkel. Wie ein Schatten –

Der Inspektor betroffen. Dunkel? Am Ende schwarz ?

Professor Rubek. Ja, mir kam es fast so vor.

Der Inspektor, als ob ihm ein Licht aufginge. Hinter der Weißen? Unmittelbar hinter ihr –?

Professor Rubek. Ja. In einigem Abstand.

Der Inspektor. Aha! Dafür kann ich Ihnen vielleicht eine Erklärung geben, Herr Professor.

Professor Rubek. Nun, was war es denn also ?

Frau Maja gleichzeitig. Sollte Rubek wirklich nicht bloß geträumt haben?

Der Inspektor plötzlich im Flüsterton, indem er nach dem Hintergrund rechts deutet. Pst, meine Herrschaften! Sehen Sie dort hin. – Sprechen Sie jetzt nicht laut von dieser Sache, bitte.

Eine schlanke Dame, in feinen cremefarbenen Kaschmir gekleidet, kommt, begleitet von einer Diakonissin, die schwarz angezogen ist und auf der Brust ein silbernes Kreuz an einer Kette trägt, hinter der Ecke des Hotels hervor und geht durch den Park nach dem Pavillon links im Vordergrund hinüber. Ihr Gesicht ist bleich, die Züge sind wie erstarrt; die Augenlider gesenkt, die Augen scheinbar ohne Sehkraft. Ihr Gewand fällt lang herab und umschließt in geraden Längsfalten ihren Körper. Über Kopf, Nacken, Brust, Schultern und Armen trägt sie einen großen weißen Kreppschal. Unbewegliche Haltung. Steife abgemessene Schritte. Die Haltung der Diakonissin ist ebenfalls gemessen und wie die einer Dienerin. Sie folgt der Dame unverwandt mit ihren braunen stechenden Augen. Kellner, mit der Serviette auf dem Arm, zeigen sich in den Türen des Hotels und gucken neugierig den beiden Fremden nach. Diese achten auf nichts und verschwinden, ohne den Blick zur Seite zu wenden, in dem Pavillon.

Professor Rubek hat sich unwillkürlich langsam von seinem Stuhl erhoben und starrt auf die geschlossene Tür des Pavillons. Wer war die Dame?

Der Inspektor. Eine Fremde, die den kleinen Pavillon da gemietet hat.

Professor Rubek. Eine Ausländerin?

Der Inspektor. Es scheint so. Jedenfalls sind beide vom Ausland zugereist. Vor einer Woche etwa. Sie sind bisher noch nicht hier gewesen.

Professor Rubek ihn anblickend, bestimmt. Die und keine andere hab' ich heut nacht im Park gesehen.

Der Inspektor. Die war es ganz sicher. Ich habe mir's gleich gedacht.

Professor Rubek. Wie heißt die Dame, Herr Inspektor?

Der Inspektor. Sie hat sich eingetragen als: Madame de Satow mit Gesellschafterin. Mehr wissen wir nicht.

Professor Rubek denkt nach, Satow? Satow –?

Frau Maja lacht spöttisch. Kennst Du jemand dieses Namens, Rubek? Wie?

Professor Rubek schüttelt den Kopf. Nicht daß ich wüßte. – Satow? Das klingt russisch. Oder jedenfalls slawisch. Zum Inspektor. Was spricht sie für eine Sprache ?

Der Inspektor. Wenn die beiden Damen zusammen sprechen, so reden sie eine Sprache, aus der ich nicht klug werden kann. Aber sonst spricht sie ein unverfälschtes Norwegisch.

Professor Rubek erstaunt. Norwegisch? Irren Sie sich da auch nicht?

Der Inspektor. Nein, darin kann ich mich doch nicht irren.

Professor Rubek blickt ihn gespannt an. Sie haben es selbst gehört?

Der Inspektor. Ja. Ich habe selbst mit ihr gesprochen. Ein paarmal. Übrigens nur ein halb Dutzend Worte. Denn sie ist sehr schweigsam. Aber –

Professor Rubek. – norwegisch war es?

Der Inspektor. Reines, gutes Norwegisch. Sagen wir, mit einem ganz leichten Stich ins Nordnorwegische.

Professor Rubek starrt betroffen vor sich hin, flüsternd. Auch das.

Frau Maja etwas pikiert und unangenehm berührt. Vielleicht hat Dir die Dame einmal Modell gestanden, Rubek? Denk mal nach.

Professor Rubek blickt sie durchdringend an. Modell!

Frau Maja mit einem herausfordernden Lächeln. Nun ja, in Deinen jüngeren Jahren. Du sollst ja so unzählig viele Modelle gehabt haben. Dazumal, natürlicherweise.

Professor Rubek im selben Ton. Ach nein, meine kleine Frau Maja. Ich hab' im Grunde immer nur ein einziges Modell gehabt. Ein einziges – zu allem, was ich geschaffen habe.

Der Inspektor, der sich abgewendet und nach links hinüber gesehen hat. Ja, jetzt werd' ich mich wohl leider empfehlen müssen. Denn ein Rencontre mit dem Herrn, den ich da sehe, gehört nicht gerade zu den ausgesuchten Annehmlichkeiten. Besonders nicht in Gegenwart von Damen.

Professor Rubek blickt ebenfalls nach links. Sie meinen den Jäger, der da kommt? Wer ist das?

Der Inspektor. Gutsbesitzer Ulfheim –

Professor Rubek. So, Gutsbesitzer Ulfheim.

Der Inspektor. – der Bärentöter, wie man ihn nennt.

Professor Rubek. Den kenne ich.

Der Inspektor. Ja, wer sollte den nicht kennen?

Professor Rubek. Nur ganz flüchtig übrigens. Ist der nun endlich auch Ihr Patient geworden ?

Der Inspektor. Nein, merkwürdig genug, noch immer nicht. Er kehrt nur einmal im Jahr hier ein, – wenn er nach den Bergen unterwegs ist, zur Jagd. Aber entschuldigen Sie – Will ins Hotel ab.

Ulfheims Stimme von außen. So warten Sie doch 'n bißchen! Warten Sie doch, zum Teufel noch einmal! Warum rennen Sie denn immer vor mir weg?

Der Inspektor bleibt stehen. Ich renne ja gar nicht, Herr Gutsbesitzer.

Gutsbesitzer Ulfheim kommt von links herein, begleitet von einem Diener, der eine Koppel Jagdhunde führt. Ulfheim trägt, einen Jagdanzug, Schaftstiefel und einen Filzhut mit Feder. Er ist eine magere, lange, sehnige Erscheinung, mit wirrem Haar und Bart, lauter Stimme, und, seinem Aussehen nach, von unbestimmbarem Alter, doch nicht mehr jung.

Ulfheim fährt den Inspektor an. Ist das eine Art, Fremde zu empfangen, wie? Sie kneifen ja aus, den Schwanz zwischen den Hinterbeinen, – als ob Ihnen der Teufel auf den Fersen wäre.

Der Inspektor ruhig, ohne ihm darauf zu antworten. Sind der Herr Gutsbesitzer mit dem Dampfer gekommen?

Ulfheim brummend. Hatte nicht die Ehre, irgend eines Dampfers ansichtig zu werden. Die Hände in den Seiten. Wissen Sie nicht, daß ich auf meinem eigenen Kutter fahre? Zu seinem Diener. Sorg' gut für Deine Mitkreaturen, Lars. Aber paß auf, daß sie mir trotzdem noch hungrig bleiben. Frische Knochen, doch mit nicht zu viel Fleisch dran, verstanden. Und daß es noch gehörig roh ist und von Blut raucht! Und dann schlag Dir auch selber was in den Wanst. Mit einem Fußtritt nach ihm hin. So, – und nun zum Teufel mit Dir! Der Diener ab mit den Hunden um die Ecke des Hotels.

Der Inspektor. Wollen der Herr unterdessen nicht in den Speisesaal gehen?

Ulfheim. Da zu diesen halbtoten Fliegen und Menschen hinein? Nein, dafür dank' ich schönstens, Herr Inspektor.

Der Inspektor. Ganz wie Sie belieben.

Ulfheim. Aber lassen Sie wie gewöhnlich die Jungfer den Proviant für mich zurecht machen. Reichlich zu essen. Und tüchtig Branntwein! Sagen Sie ihr nur, daß ich oder der Lars wie ein Donnerwetter über sie herfalle, wenn sie nicht –

Der Inspektor unterbricht ihn. Wir wissen von früher her Bescheid. Sich nach der andern Seite wendend. Soll ich dem Kellner irgend was bestellen, Herr Professor? Oder vielleicht von der gnädigen Frau.

Professor Rubek. Nein, danke sehr – von mir nicht.

Frau Maja. Von mir auch nicht.

Der Inspektor ab ins Hotel.

Ulfheim fixiert die beiden einen Augenblick; dann zieht er den Hut. Kreuzbombenelement! Hier hat sich wohl ein Bauernköter in pikfeine Gesellschaft verirrt?

Professor Rubek blickt auf. Was meinen Sie damit, Herr Ulfheim?

Ulfheim ruhiger und manierlicher. Ich scheine da vor Herrn Bildhauer Rubek in höchsteigner Person geraten zu sein.

Professor Rubek nickt. Wir haben uns ein paarmal in Gesellschaften getroffen. Den letzten Herbst, den ich hier oben war.

Ulfheim. Ja, vor langen Jahren. Und zu der Zeit war Ihr Name auch noch nicht so bekannt wie jetzt. Denn damals durfte sogar ein ruppiger Bärenjäger sich in Ihre Nähe wagen.

Professor Rubek lächelt. Ich beiße auch jetzt noch nicht.

Frau Maja blickt Ulfheim interessiert an. Sie sind wirklich ein richtiger Bärenjäger?

Ulfheim setzt sich an den benachbarten Tisch, der dem Hotel etwas näher steht. Am liebsten geh' ich auf Bären. Sonst aber nehm' ich auch mit jeder Art Wild vorlieb, das mir vor den Lauf kommt. Ob's nun Adler sind oder Wölfe oder Weibsleute oder Elche oder Rentiere. – Nur frisch müssen sie sein und saftig und vollblütig. Tut einen Trunk aus der Jagdflasche.

Frau Maja betrachtet ihn unverwandt. Am liebsten aber gehen Sie auf Bären?

Ulfheim. Ja, das am liebsten. Denn da kann man so schön sein Messer brauchen, wenn man in die Klemme kommt – lächelt leicht. – Wir arbeiten in einem harten Material, wir zwei beide, Gnädige, – sowohl ich wie Ihr Mann. Er hat den Marmor, an dem er sich abschinden muß, wie ich mir's so vorstelle. Und ich schind' mich ab an krampfhaft zitternden Bärensehnen. Und beide kriegen wir dann das Material schließlich unter. Machen uns zum Herrn und Meister darüber. Geben nicht eher nach, als bis wir den hartnäckig widerstrebenden Stoff bezwungen haben.

Professor Rubek nachdenklich vor sich hin. Das ist gar nicht so unrichtig, was Sie da sagen.

Ulfheim. Na ja, denn der Stein wird wohl auch wissen, warum er widerstrebt. Er ist tot und will sich mit aller Gewalt nicht lebendig hämmern lassen. Akkurat wie der Bär, wenn einer kommt und ihn in seinem Lager aufstört.

Frau Maja. Wollen Sie jetzt hinauf in die Wälder und jagen?

Ulfheim. Ganz bis oben hinauf will ich. – Sie sind wohl nie im Hochgebirg' gewesen, Gnädige?

Frau Maja. Nein, niemals.

Ulfheim. Donnerwetter, so nehmen Sie's diesen Sommer wahr! Sie können sich mir ja anschließen. Sie mit Ihrem Herrn Gemahl, – immerzu.

Frau Maja. Sehr freundlich. Aber Rubek hat eine Seereise vor.

Professor Rubek. Eine Küstenfahrt innerhalb der Schären.

Ulfheim. Pfui Teufel, – was wollen Sie denn in dem verdammten, stinkigen Rinnstein! Ihre Zeit totschlagen im Brackwasser? Brechwasser war' eine bessere Bezeichnung dafür.

Frau Maja. Da hörst Du's, Rubek.

Ulfheim. Kommen Sie doch lieber mit ins Gebirg' hinauf. Da ist's menschenfrei und menschenrein. Sie glauben gar nicht, was das für mich heißt. Freilich, so ein kleines Frauchen – hält inne. Die Diakonissin kommt aus dem Pavillon und geht ins Hotel.

Ulfheim folgt ihr mit den Augen. Sehen Sie mal die da! Den schwarzen Vogel! – Wer soll denn begraben werden ?

Professor Rubek. Meines Wissens ist hier niemand –

Ulfheim. Na, dann liegt hier jemand am Krepieren. In irgend einem Winkel. Diese Kranken und Siechen, die sollten sich doch gefälligst begraben lassen – und das so schnell wie möglich.

Frau Maja. Sie sind niemals krank gewesen, Herr Ulfheim?

Ulfheim. Nein. Sonst säß' ich nicht hier –. Aber meine besten Freunde – die sind oft krank gewesen, die armen Schlucker.

Frau Maja. Und was haben Sie da mit ihnen gemacht ?

Ulfheim. Erschossen hab' ich sie natürlich.

Professor Rubek blickt ihn an. Erschossen?

Frau Maja rückt ihren Stuhl zurück. Totgeschossen?

Ulfheim nickt. Ich schieße nie vorbei, meine Gnädige.

Frau Maja. Aber Menschen – wie können Sie die denn einfach totschießen?

Ulfheim. Menschen –? Davon red' ich ja gar nicht –

Frau Maja. Sie sagten doch – Ihre besten Freunde –

Ulfheim. Meine besten Freunde, das sind doch wohl meine Hunde.

Frau Maja. Ihre Hunde –?

Ulfheim. Ich hab' keine besseren, – als diese meine ehrlichen, treuen, grundbraven Jagdkameraden –. Wird einer von denen krank und schwach, dann – puff! Und der Freund ist hinüberspediert ins Jenseits.

Die Diakonissin kommt aus dem Hotel mit einem Tablett, worauf Milch und Brot, und stellt sie auf den Tisch vor dem Pavillon, in dem sie wiederum verschwindet.

Ulfheim verächtlich. Das da, – das soll Speise für Menschen sein! Wässrige Milch und weiches, klitschiges Brot. Nein – meine Freunde – die sollten Sie fressen sehen! Haben Sie nicht Lust, sich die Sache mal anzuschauen?

Frau Maja lächelt ihrem Manne zu und steht auf. Ja, warum nicht.

Ulfheim steht auch auf. Bravo! Sie sind eine Dame, meine Gnädige, die Schneid' hat. Also kommen Sie. Große, dicke Knochen schlingen die Kerle ganz hinunter. Würgen sie wieder aus und schlingen sie abermals. Eine Wonne, sag' ich Ihnen, das mitanzusehen. Und dann wollen wir auch von der Gebirgstour noch ein Wörtchen reden –. Ab um die Ecke des Hotels. Frau Maja folgt ihm.

Fast im gleichen Augenblick tritt die fremde Dame aus dem Pavillon heraus und setzt sich an den Tisch.

Die Fremde führt ihr Glas zum Munde, um zu trinken, hält aber mitten darin inne und blickt mit leeren, ausdruckslosen Augen auf Rubek.

Professor Rubek bleibt an seinem Tisch sitzen und starrt sie ernst und unverwandt an. Endlich steht er auf, macht ein paar Schritte auf sie zu, bleibt stehen und sagt leise: Ich erkenne Dich gar wohl, Irene.

Die Dame mit klangloser Stimme, während sie das Glas hinstellt. Du errätst, wer ich bin, Arnold?

Professor Rubek einer Antwort ausweichend. So erkennst Du mich also auch?

Die Dame. Mit Dir ist das etwas ganz anderes.

Professor Rubek. Weshalb – mit mir?

Die Dame. Weil Du noch lebendig bist.

Professor Rubek, sie nicht begreifend. Lebendig –?

Die Dame fast gleichzeitig. Wer war die andere? Die Du da bei Dir hattest – dort am Tisch?

Professor Rubek ein wenig zögernd. Die? Meine – meine Frau.

Die Dame nickt langsam. So. Das ist gut, Arnold. Also eine, die mich nichts angeht –

Professor Rubek unsicher. Nein, das versteht sich doch –

Die Dame. – eine also, die Du nach meinem Tode zu Dir genommen hast.

Professor Rubek sieht sie plötzlich starr an. Nach Deinem –? Wie meinst Du das, Irene?

Irene einer Antwort ausweichend. Und das Kind? Dem geht's ja auch gut. Unser Kind überlebt mich. In Herrlichkeit und Ehren.

Professor Rubek lächelt wie in einer fernen Erinnerung. Unser Kind, – ja, so nannten wir's wohl – dazumal.

Irene. Zu meinen Lebzeiten.

Professor Rubek sucht einen munteren Ton anzuschlagen. Ja, ja, Irene, – jetzt ist »unser Kind« in der ganzen weiten Welt berühmt. Du hast doch gewiß darüber gelesen, nicht?

Irene nickt. Und hat auch seinen Vater berühmt gemacht. – Davon hast Du immer geträumt.

Professor Rubek leise, bewegt. Dir allein schuld' ich alles, alles, Irene. Hab' Dank dafür.

Irene grübelt nach. Wenn ich damals mein gutes Recht geübt hätte, Arnold –

Professor Rubek. Nun? Was hättest Du dann getan?

Irene. Ich hätte das Kind getötet.

Professor Rubek. Getötet, sagst Du!

Irene flüsternd. Getötet, – bevor ich Dich verließ. Zertrümmert. Zu Staub zertrümmert.

Professor Rubek schüttelt vorwurfsvoll den Kopf. Das hättest Du nicht vermocht, Irene. Das hättest Du nicht übers Herz gebracht.

Irene. Nein, damals hatte ich nicht das Herz zu so einer Tat.

Professor Rubek. Aber später? Hinterher?

Irene. Hinterher hab' ich es unzählige Male getötet. Am hellerlichten Tage und im Dunkel der Nacht. Getötet in Haß – und Rache – und Qual.

Professor Rubek tritt ganz an den Tisch heran und fragt leise: Irene, – nun sag' mir endlich einmal –nach so vielen Jahren, –¦ warum Du mich damals verlassen hast und so spurlos davongingst und nicht mehr zu finden warst –?

Irene schüttelt langsam den Kopf. Ach, Arnold, – wozu Dir das sagen – nun, da ich hinüber bin.

Professor Rubek. Warst Du vielleicht in einen andern verliebt?

Irene. Nur in einen, und der brauchte meine Liebe nicht. Der brauchte mein Leben nicht mehr.

Professor Rubek ablenkend. Hm, – lassen wir die Vergangenheit ruhen –.

Irene. Ja, ja, nur ruhen lassen, was jenseits liegt. Was jetzt für mich jenseits heißt.

Professor Rubek, Wo bist Du nur gewesen,

Irene? So viel ich auch nach Dir forschte, – Du warst wie von der Erde verschluckt.

Irene. Ich ging ins Dunkel, – als das Kind im Lichte der Verklärung stand.

Professor Rubek. Bist Du viel in der Welt herumgezogen ?

Irene. Ja. In vielen Reichen und Ländern.

Professor Rubek blickt sie teilnehmend an. Und was hast Du getrieben, Irene?

Irene richtet die Augen auf ihn. Wart' einen Augenblick; laß mich nachdenken. – Ja, jetzt hab' ich's. In Variétés hab' ich auf der Drehscheibe gestanden, – als nackte Statue gestanden in lebenden Bildern. Und viel Geld eingestrichen. Das war ich von Dir her nicht gewohnt – Du hattest keins. – Und dann bin ich zusammengewesen mit Mannsleuten, denen ich den Kopf verdrehen konnte. – Das war ich auch nicht gewohnt von Dir her, Arnold. Du bist standhafter gewesen.

Professor Rubek an der Frage vorbeieilend. Und dann hast Du Dich verheiratet?

Irene. Ja; mit einem von ihnen.

Professor Rubek. Wer ist Dein Mann?

Irene. Er war ein Südamerikaner. Ein hoher Diplomat. Blickt mit einem versteinerten Lächeln ins Leere. Den macht' ich schließlich ganz verrückt, ganz toll, – heillos, unsinnig toll. Du, – das war höchst spaßhaft im Anfang. Ich hätte immerfort lachen können, innerlich. – Wenn ich da drinnen noch etwas gehabt hätte.

Professor Rubek. Und wo ist er jetzt?

Irene. Irgendwo da unten auf einem Kirchhof. Über sich ein hohes stattliches Monument. Und in seiner Hirnschale eine klappernde Bleikugel.

Professor Rubek. Hat er sich selbst – ?

Irene. Ja. Es beliebte ihm, mir zuvorzukommen.

Professor Rubek. Trauerst Du nicht um ihn, Irene?

Irene verständnislos. Trauern? – Um wen?

Professor Rubek, Nun, um Herrn von Satow.

Irene. Er hieß nicht Satow.

Professor Rubek. Nicht?

Irene. Mein zweiter Mann heißt so. Ein Russe –

Professor Rubek. Und wo ist der?

Irene. Weit von hier, im Ural. Bei seinen Goldminen.

Professor Rubek. Da lebt er also?

Irene zuckt die Achseln. Lebt? Lebt? Eigentlich hab' ich ihn getötet.

Professor Rubek fährt zusammen. Getötet –!

Irene. Jawohl, mit einem kleinen spitzen Dolch, den ich immer bei mir im Bett habe –

Professor Rubek leidenschaftlich. Ich glaube Dir nicht, Irene!

Irene lächelt sanft. Du kannst es ruhig glauben, Arnold.

Professor Rubek blickt sie teilnehmend an. Hast Du nie Kinder gehabt?

Irene. O ja, viele.

Professor Rubek. Und wo sind die jetzt?

Irene. Ich hab' sie getötet.

Professor Rubek streng. Jetzt lügst Du wieder.

Irene. Ich hab' sie getötet. Wenn ich's Dir sage! So recht mit Inbrunst gemordet. Sowie sie zur Welt kamen. Oder schon früher, viel früher. Eins nach dem andern.

Professor Rubek gepreßt, ernst. Es liegt ein verborgener Sinn in allem, was Du sprichst.

Irene. Was kann ich dafür? Jedes Wort, das ich Dir sage, wird mir ins Ohr geflüstert.

Professor Rubek. Ich glaube, ich bin der einzige, der den Sinn ahnt.

Irene. Der wirst Du wohl sein.

Professor Rubek stützt sich mit den Händen auf den Tisch und blickt ihr tief in die Augen. Es sind Saiten in Dir gesprungen, Irene.

Irene weich. Das ist wohl immer so, wenn ein junges heißblütiges Weib stirbt,

Professor Rubek. Aber Irene, mach' Dich doch frei von diesen verworrenen Vorstellungen –! Du lebst ja! Du lebst – lebst!

Irene erhebt sich langsam und sagt bebend: Ich war tot, jahrelang. Sie kamen und banden mich. Sie schnürten mir die Arme auf dem Rücken zusammen. – Und dann senkten sie mich hinab in eine Gruft. Die war mit Eisenstangen vergittert und hatte gepolsterte Wände, – so daß oben auf Erden niemand den Schrei der Begrabenen hören konnte –. – Doch jetzt fang' ich nach und nach an, wieder von den Toten aufzuerstehen. Setzt sich wieder.

Professor Rubek nach kurzer Pause. Hältst Du mich für den Schuldigen?

Irene. Ja.

Professor Rubek. Für schuld daran, – was Du Deinen Tod nennst?

Irene. Für schuld daran, daß ich sterben mußte. Schlägt einen gleichgültigen Ton an. Warum nimmst Du nicht Platz, Arnold?

Professor Rubek. Darf ich?

Irene. Ja. – Du wirst nicht erfrieren – hab' keine Angst. Denn so richtig zu Eis geworden, glaub' ich, bin ich noch immer nicht.

Professor Rubek rückt einen Stuhl an den Tisch und setzt sich. So, Irene. Jetzt sind wir zwei wieder beieinander wie in alten Tagen.

Irene. Und in einem gewissen Abstand voneinander. Auch wie in alten Tagen.

Professor Rubek rückt näher. Das mußte damals so sein.

Irene. Mußte?

Professor Rubek in entschiedenem Ton. Jawohl, es mußte ein gewisser Abstand zwischen uns sein.

Irene. So, mußte das wirklich sein, Arnold?

Professor Rubek fährt fort. Weißt Du noch, was Du mir für eine Antwort gabst auf meine Frage, ob Du mir hinausfolgen wolltest in die Ferne?

Irene. Ich streckte drei Finger zum Himmel und gelobte, daß ich Dir folgen wollte bis ans Ende der Welt und bis ans Ende des Lebens. Und Dir dienen in allen Dingen –

Professor Rubek. Als Modell für mein Kunstwerk –

Irene. – in freier, hüllenloser Nacktheit –

Professor Rubek bewegt. Und wie hast Du mir gedient, Irene, – wie mutig, – wie freudig und rückhaltlos.

Irene. Ja, mit all meiner Jugend pochendem Herzblut diente ich Dir –

Professor Rubek nickend und mit einem dankbaren Blick. Das darfst Du mit so gutem Recht sagen.

Irene. – und fiel nieder zu Deinen Füßen und diente Dir, Arnold. Ballt die Hand gegen ihn. Aber Du, Du, – Du –!

Professor Rubek abwehrend. Ich habe mich nie wider Dich vergangen! Niemals, Irene.

Irene. Doch hast Du das getan! Du hast Dich wider mein innerstes Wesen vergangen.

Professor Rubek rückt auf seinem Stuhl zurück. Ich – ?

Irene. Ja, Du! Ich stellte mich Dir zur Schau, wie man sich nur zur Schau stellen kann –. Leise. Und nicht ein einziges Mal hast Du mich berührt.

Professor Rubek. Irene, begreifst Du denn nicht, daß ich manchen Tag von all Deiner Schönheit wie von Sinnen war?

Irene fährt unbeirrt fort. Und doch, – wenn Du mich berührt hättest, ich glaube, ich hätte Dich auf der Stelle getötet. Denn ich hatte eine spitzige Nadel bei mir – im Haar verborgen – streicht sich grübelnd über die Stirn. Nein, aber dennoch – dennoch – daß Du es konntest –

Professor Rubek blickt sie fest an. Ich war Künstler, Irene.

Irene. Eben darum.

Professor Rubek. Zuerst und vor allem Künstler. Wie ein Kranker ging ich umher und wollte das große Werk meines Lebens schaffen. Verliert sich in Erinnerung. »Auferstehungstag« sollte es heißen. Und die Auferstehung sollte verkörpert werden in dem Bilde eines jungen Weibes, das aus dem Schlummer des Todes erwacht –

Irene. Unser Kind, ja –

Professor Rubek fortfahrend. Sie sollte das edelste, reinste, idealste Weib der Erde sein, die Erwachende. Da fand ich Dich. Dich könnt' ich brauchen in jedem Zuge. Und Du, Du fügtest Dich so gern und froh. Und ließest Familie und Heimat – und folgtest mir.

Irene. Das wurde die Wiederauferstehung meiner Kindheit, daß ich Dir folgte.

Professor Rubek. Gerade darum konnte ich Dich wie keine andere brauchen. Du wurdest mir zu einem hochheiligen Werk der Schöpfung, an das nur in anbetenden Gedanken gerührt werden durfte. Ich war ja doch damals noch jung, Irene. Und mich erfüllte jener Aberglaube: wenn ich Dich berührte, wenn ich Dich in Sinnlichkeit begehrte, so würden meine Gedanken unheilig werden, und ich würde nicht zu Ende schaffen können, was ich so sehnsüchtig schaffen wollte. – Und ich glaube noch heut, es lag etwas Wahres darin.

Irene nickt mit einem Anflug von Hohn. Zuerst das Kunstwerk – dann das Menschenkind.

Professor Rubek. Du magst das beurteilen, wie Du willst. Ich jedenfalls habe damals ganz und gar im Banne meiner Aufgabe gestanden und mich dabei so voll jubelnden Glücks gefühlt.

Irene. Und Du hast Deine Aufgabe gelöst, Arnold.

Professor Rubek. Mit Deiner Hilfe, Du Gesegnete, – hab' ich sie gelöst. Das reine Weib sollte aus meiner Schöpferhand hervorgehen, wie es mir bei seinem Erwachen am Auferstehungstage vor Augen

stand. Ohne Verwunderung über irgend etwas Neues oder Unbekanntes oder Ungeahntes. Aber voll einer heiligen Freude darüber, sich selbst unverändert wiederzufinden, – sich, das Weib der Erde, – in den höheren, freieren, froheren Regionen – nach dem langen traumlosen Schlummer des Todes. Leiser werdend. So schuf ich es. – Nach Deinem Bilde schuf ich es, Irene.

Irene legt die Hand flach auf den Tisch und lehnt sich im Stuhl zurück. Und dann warst Du mit mir fertig –

Professor Rubek vorwurfsvoll. Irene!

Irene. – und hattest mich nicht länger nötig –

Professor Rubek. Wie kannst Du nur so sprechen!

Irene. – sahst Dich allmählich nach andern Idealen um –

Professor Rubek. Ich fand keines, keines mehr nach Dir.

Irene. Auch keine andern Modelle, Arnold?

Professor Rubek. Du warst kein Modell für mich. Du warst der Urborn meiner Schöpfung.

Irene schweigt einen Augenblick. Was hast Du seitdem gedichtet? In Marmor, mein' ich. Seit jenem Tage, als ich von Dir ging?

Professor Rubek. Nichts mehr hab' ich gedichtet seit jenem Tage. Bloß so herumgepusselt und herummodelliert hab' ich.

Irene. Und das Weib, mit dem Du nun zusammenlebst – ?

Professor Rubek fällt ihr heftig ins Wort. Sprich jetzt nicht von ihr. Das würde mich umbringen.

Irene. Wohin denkst Du mit ihr zu reisen?

Professor Rubek müde und abgespannt. Ich werde wohl eine lange und langweilige Küstenfahrt nach dem Norden machen müssen.

Irene blickt ihn an, lächelt fast unmerklich und flüstert: Steig' lieber hinauf ins Gebirge. So hoch Du kommen kannst: höher – immer höher, Arnold.

Professor Rubek in gespannter Erwartung. Willst Du da hinauf?

Irene. Hättest Du den Mut, noch einmal mit mir zusammenzutreffen ?

Professor Rubek unsicher, mit sich kämpfend. Wenn wir das könnten, – das könnten –!

Irene. Warum sollten wir nicht können, was wir wollen? Sieht ihn an und flüstert bittend, die Hände gefaltet. Komm, komm, Arnold! Komm hinauf zu mir –!

Frau Maja erscheint, heiter, mit glühenden Wangen, hinter der Ecke des Hotels und eilt auf den Tisch zu, wo sie vorhin gesessen hatte.

Frau Maja noch an der Ecke, ohne sich umzusehen. Du magst sagen, was Du willst, Rubek, aber – bleibt stehen, als sie Irene erblickt. Ach, entschuldige, – Du hast eine Bekanntschaft gemacht, wie ich sehe.

Professor Rubek kurz. Eine Bekanntschaft erneuert. Steht auf. Was willst Du denn von mir?

Frau Maja. Nur das wollt' ich Dir sagen, – daß Du für Deine Person tun kannst, was Du willst, – aber ich fahr' nicht mit auf diesem ekligen Dampfschiff.

Professor Rubek. Warum nicht?

Frau Maja. Weil ich ins Gebirg' hinauf will und in die Wälder, – jawohl, will. Einschmeichelnd. Ach, Du mußt mir's erlauben, Rubek! – Ich will auch nachher so lieb, so lieb zu Dir sein!

Professor Rubek. Wer hat Dich auf die Gedanken gebracht?

Frau Maja. Dieser greuliche Bärentöter. Nein, Du kannst Dir gar nicht vorstellen, was der einem alles für wunderliches Zeug vom Gebirge erzählt, vom Leben da oben! Häßlich, greulich, unglaublich widerwärtig ist das meiste, was er da zusammenlügt –. Fast glaub' ich, es muß erlogen sein. Aber bei alledem ist's doch so wunderlich verführerisch. Darf ich ihn nicht begleiten? Nur daß ich sehen kann, ob's wahr ist, was er sagt, weißt Du. Darf ich, Rubek?

Professor Rubek. Meinetwegen ja. Zieh

Du nur ins Gebirge – so weit Du willst und so lange Du willst. Vielleicht zieh' ich desselben Wegs wie Du.

Frau Maja rasch. Nein, nein, nein, das brauchst Du wirklich nicht! Meinethalben nicht!