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Genuss oder lästige Pflicht – Bloß keinen Frust mit der Lust
Sex macht Spaß, oder? Studien und Umfragen zeigen jedoch, dass Sex für immer mehr Menschen nur noch eine lästige Pflicht ist – in den Betten herrschen Langeweile, Stress oder Leistungsdruck.
Der Wissenschaftsjournalist Jörg Zittlau erklärt die Ursachen für das langsame Verschwinden des Sexus, erläutert aber auch, warum wir darüber nicht jammern sollten: Das Fehlen von Sex bedeutet weniger Frust und Konflikte und stattdessen mehr Freiheit und Genuss. Kurz: No love, no war.
Ein amüsanter Appell zu einer heiteren Sicht auf eine Lust, die gerne so tut, als sei sie das Wichtigste auf der Welt.
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Seitenzahl: 160
Jörg Zittlau
Wer braucht denn noch
Sex?
Warum wir es immer seltener tun –
und warum das nicht so schlimm ist
Gütersloher Verlagshaus
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://portal.dnb.de abrufbar.
Copyright © 2014 by Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München
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Coverfoto: © Mellenthin Fotoproduktion / Westenol 61/ Corbis
ISBN 978-3-641-12997-2
www.gtvh.de
Inhalt
Vorwort: Der Sex verschwindet – na und?
Thrill is gone: Der Sex stirbt aus
Die sexuelle Revolution frisst ihre Kinder
Besser ohne Sex als ohne Smartphone
Besser ohne Sex als ohne Schokolade
Einfach keine Lust
Spaß ist woanders: Die Ursachen der sexuellen Tristesse
Das Gehirn ist offen für alles
Narzissten brauchen keinen Sex
Asexualität wird salonfähig
Der Aufstieg der Nerds
Vom Dauer-Porno zur toten Hose
Wenn Stress den Sex killt und Sex zum Stress wird
Chemie statt Sex
Stabile Versorgung statt unbändiger Lust
Wie Viagra die Lust sabotiert
Der Natur gehen die Männer aus
Es geht auch ohne: Warum Leben den Sex nicht braucht
Die fortpflanzungsfreudigen Jungfern von Komodo
Warum die Evolution den Sex erfand
Warum die Evolution den Sex nicht mehr braucht
Der Sex stirbt aus – und sonst niemand
Zu viel Aufwand für wenig Spaß
Freiheit statt Lust: Ohne Sex geht vieles besser
Das Erkenntnisproblem: Hab ich dich lieb, oder ist’s nur der Trieb?
Quatschen statt Grabschen: Was Ehen wirklich zusammenhält
IQ statt Koitus: Klugheit und Sex passen nicht zusammen
No Love, no War: Frieden funktioniert besser ohne Sex
Eros ist auch nur ein Gott: So lernen Sie den entspannten Umgang mit Sex
Wache Achtsamkeit statt stumpfes Begehren
Wenn der Sex auf den Hund kommt
Epikur und die Demokratie der Lüste
»Carpe diem«: Genuss statt Geilheit
Epikur geht auch heute
Nachwort
Literatur
Vorwort:
Der Sex verschwindet – na und?
Klar, Sex macht Spaß. Zumindest manchmal, und eigentlich kann er nur Spaß machen, wenn er manchmal geschieht. Das ist wie bei Erdbeerkuchen: Hin und wieder ist er ein Genuss, gäbe es ihn dagegen täglich, würde ihn niemand mehr wollen. Und genau das ist das Problem mit dem Sex. Denn der ist mittlerweile in unserem aufgeklärten Zeitalter immer und überall, man begegnet ihm viel häufiger als Erdbeerkuchen.
Im Internet flimmern 30.000 Pornofilme pro Sekunde, und über 400 Millionen einschlägige Webseiten liefern dort alles, was das sexbesessene Herz begehrt. In der Talkshow erzählt Gerda aus Quakenbrück, dass sie es liebt, wenn ihr Freund sie mit seiner Zunge verwöhnt, und Telefondienstleister locken mit Annoncen für den »kleinen sexuellen Hunger zwischendurch«. Auf der Homepage www.frau-macht-karriere.com kann man sich in die »Regeln für den professionellen Flirt im Büro« und bei Men’s health in erfolgreiche Anbaggerstrategien einweisen lassen: »So kriegen Sie jede ins Bett!« Selbst Heino erzählt der Bild-Zeitung, dass er beim Sex mit Hannelore die Brille abnimmt. Zu viel? Eindeutig zu viel. Die Lust bleibt dabei auf der Strecke.
Wissenschaftler ermittelten: Hatten 18- bis 30-Jährige hierzulande vor 30 Jahren noch 22 bis 28 Mal Sex im Monat, sind es heute gerade noch vier bis zehn Mal, und die 41- bis 50-Jährigen bringen es gerade noch auf zwei bis drei Intimkontakte pro Monat – und diese Angaben dürften von den Befragten noch deutlich geschönt sein. 40 Prozent aller Frauen in Deutschland naschen lieber jeden zweiten Tag an ihrer Schokolade, anstatt sich beim Koitus abzuschwitzen. In einer Umfrage mit 600 jugendlichen Handybesitzern gaben 60 Prozent zu, dass sie eine Woche lang eher auf Sex als auf ihr Mobiltelefon verzichten könnten. Fazit: Wir dürfen der Lust mehr Lauf lassen als jemals zuvor – doch sie nutzt diese Freiheit, um uns zu verlassen.
Jetzt könnte man natürlich ein Ratgeberbuch darüber schreiben, wie man trotz dieser widrigen Umstände den Sex-Motor wieder ans Laufen bekommt. Beispielsweise durch Yoga, Tantra oder Qigong, um den Körper neu zu entdecken, obwohl er im Laufe der Jahre einen Zustand angenommen hat, den man lieber nicht mehr entdecken sollte. Oder durch Kamasutra und ähnliche Techniken der Beischlafgymnastik, die das paarungswillige Duo unmittelbar erkennen lassen, dass sein Sexproblem wirklich nichts ist gegenüber den Schmerzen, die von Sehnen, Muskeln und Gelenken ausgehen können. Oder durch Viagra, Cialis, Yohimberinde, Saugglocken und andere Potenzhilfen, die dafür sorgen, dass der Mann wieder kann, obwohl seine Frau schon lange nicht mehr will. Es gibt Sexual- und Paartherapeuten, die ihren Klienten raten, sich im Hotel wie Fremde miteinander zu verabreden, was oft zur Folge hat, dass sie sich danach wirklich fremd sind. Der neueste therapeutische Clou ist das Beischlaf-Beiwohnen: Der Behandler ist direkt als Zuschauer vor Ort, wenn das Paar zur Sache kommt, und er gibt Tipps, wie es die Sache anständig zu Ende bringen kann. Viele der männlichen Protagonisten halten diesen Sex-TÜV nur aus, indem sie vorher eine Wochenpackung Viagra schlucken – aber dafür hat der Therapeut endlich wieder eine Erektion, ohne vorher Viagra geschluckt zu haben.
All diese Ratgeberattitüden werden Sie in diesem Buch nicht finden. Es gibt hier keine Vorschläge für das Wiederbeleben eines entschlafenen Sexuallebens. Hier werden Sie vielmehr eine ganz andere Strategie finden. Nämlich die Strategie des »Endlich-haben-wir-Zeit-für-Besseres-als-Sex«!
Ausgangspunkt ist die Frage, warum wir eigentlich darüber jammern, dass wir immer mehr zu asexuellen Wesen werden! Denn was geht uns dabei wirklich verloren? Etwa ein Spaßfaktor? Wenn man die aktuellen Umfragen und Quoten zu Sexualstörungen betrachtet, scheint der kaum noch eine Rolle zu spielen. Ganz zu schweigen davon, dass die Gesamtzeit aller Orgasmen eines Menschenlebens gerade mal fünf Stunden ausmacht, was vor dem Hintergrund einer Lebenserwartung von mittlerweile über 80 Jahren geradezu lächerlich ist. Und für die Fortpflanzung des Menschen ist Sex ohnehin entbehrlich geworden, denn Samenbanken und In-vitro-Befruchtungen sind im Hinblick auf die Nachwuchsplanung wesentlich berechenbarer als der Gefühlsrausch beim Geschlechtsakt.
Wissenschaftler behaupten gerne, dass der Sex für ein höheres Lebewesen wie den Menschen nötig ist, damit sich sein Immunsystem von einer Generation zur nächsten besser an die Umwelt anpassen kann. Der Haken: Die entscheidende Wahrnehmung dabei ist der Geruchssinn. Wenn wir einen anderen Menschen gut riechen können, dann ergänzen sich unsere Immunsysteme. Doch welche Rolle spielt der Geruch noch bei der Partnerwahl, wenn wir allerorten mit Gestank zugemüllt werden und sich jeder von uns mittels unzähliger Kosmetik- und parfümierter Reinigungsprodukte in ein multiples Odormonster verwandelt? Die Antwort: keine. Auch immunbiologisch ist Sex schlichtweg überflüssig geworden.
Warum also jammern?
Gehen wir besser einen anderen Weg. Akzeptieren wir doch einfach, dass es gar nicht so schlecht ist, wenn der Sex langsam bedeutungslos wird. Denn das bedeutet für uns einen Riesenschritt in Richtung Selbstbestimmung. Nicht umsonst sagte Andy Warhol: »Wahre Freiheit gibt es erst, wenn man mit dem Sex durch ist.« Und er befindet sich da in bester philosophischer Tradition, von Buddha über Platon bis zu Schopenhauer.
Das Entsexen würde die Welt sogar um einen entscheidenden Schritt friedlicher machen. Denn Psychologen betonen immer wieder, dass Aggressionen und Gewalt oft durch Imponiergehabe und Konkurrenzkämpfe sowie Frust und Unterdrückung im sexuellen Bereich ausgelöst würden. Ohne sie wären Männer und Frauen viel umgänglicher, es gäbe weniger Kriege, Autobahnraser, Fanatiker und Faschisten, die ihren sexuellen Frust ablassen müssen. Kurz: no love, no war.
Dies zeigt sich auch darin, dass der Sex für die Stabilität einer Ehe viel unbedeutender ist, als vielfach behauptet wird. Entsprechende Umfragen verweisen vielmehr darauf, dass in funktionierenden Partnerschaften besonders viel geredet, auf ähnliche Weise erlebt und gegenseitig toleriert wird, während der Sex von Jahr zu Jahr deutlich nachlässt und mitunter auch komplett versiegt. Das Geheimnis einer Langzeitehe besteht nicht darin, dass die Protagonisten immer noch wollüstig übereinander herfallen, sondern darin, dass sie einen gemeinsamen Nenner gefunden haben und Konflikte so regeln, dass sie eben das nicht tun.
Es gibt also keinen Grund, den Verlust des Sexus als Super-GAU für die Menschheit zu beklagen. Er ist noch nicht einmal ein Kollateralschaden. Trotzdem soll dieses Buch nicht das Sprachrohr einer neuen Askesebewegung sein. Denn Enthaltsamkeit bereitet letzten Endes genauso wenig Spaß wie unerfüllter Sex. Es ist kein Fortschritt, wenn man den Frust mit der Lust durch die Lust am Frust ersetzt. Da ist es schon weitaus erfüllender, wenn wir den Sex entspannt und realistisch als das sehen, was er wirklich ist. Nämlich als eine Lust, die zwar gerne so tut, als drehe sich alles nur um sie, die in Wahrheit aber nur eine von vielen Lüsten ist, die wir nicht unmittelbar zum Überleben brauchen. Wenn wir dann noch ehrlich unser Bedürfnisprofil analysieren, wird sich schon bald ein weiterer Aha-Effekt einstellen. Dass uns nämlich möglicherweise Gespräche, Verständnis, Respekt, Privatsphäre oder sinnvolle Arbeit wichtiger sind als Sex. Die Bedürfnispyramide ist bei jedem Menschen anders, und es ist kein Beinbruch, wenn der Sex darin weit nach hinten rückt. Wir werden dadurch nicht etwa zum geschlechtslosen Wesen, das nur noch Mitleid verdient, sondern zu einem interessanten und selbstständigen Menschen, der noch viel mehr ist als nur sexuell – und gerade dadurch ein entspanntes Verhältnis zu seiner Sexualität entwickelt. So entspannt, dass ihm schließlich wieder Spaß am Sex geschenkt wird. Vielleicht sogar mehr Spaß als bei Schokolade oder Erdbeerkuchen. Und mehr Glück geht nun wirklich nicht!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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