Wer es nicht im Kopfe hat... - Karl-Peter Gerigk - E-Book

Wer es nicht im Kopfe hat... E-Book

Karl-Peter Gerigk

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Beschreibung

Die kurze Geschichte von Erich und Schmal zeichnet das Erleben eines Studenten nach Schule und Bundeswehrzeit in Facetten nach.

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Für Mutter

Inhalt

Wer nicht im Kopfe hat...Die kurze Geschichte von Erich und Schmal.

1. Bei der Zeitung

2. Auf dem Haus der Ghibellinen

3. Beim Barras

4. Auf der Schule

5. An der Universität

6. Weihnachten 1986

7. In Seinsheim

8. In der Feriensiedlung

9. Am nächsten Morgen

10. Verabschiedung

11. Am Bahnhof

12. Auf dem Eschberg

13. Im Casino

14. Nach der Partie

15. In der Fröschengasse

16. An einem anderen Morgen...

17. Übergeben

1. Bei der Zeitung

Pepo: Hallo Herr Schmal. Ich hab´ Herrn Kestner schon von Ihrem Vorschlag erzählt. Gehen Sie gerade durch.

Kestner: Hallo – nehmen Sie platz. Sie haben ja hervorragende Zeugnisse. Und Ihre ersten Artikel sind gut. Hier und da etwas langatmig. Nun – sagt mir Frau Pepo – Sie wollen einen Artikel über das Leben der Verbindungsstudenten hier in unserer Stadt schreiben. Aber sie wissen ja, Öffentlichkeit ist nicht ganz die Sache, die Korporationen schätzen.

Schmal: Aber...– ich habe da schon Kontakt geknüpft. Die Burschenschaft Ghibellinia wäre bereit...

Kestner: Moment, wir haben da einige. Ich schlage Ihnen vor – sie machen eine Serie – in denen Sie die Verbindungen vorstellen. Wir haben Semesterbeginn. Da lernen Sie auch neue Studenten kennen, die erst mal in so ein Haus hinein schnuppern wollen.

Schmal: Was bekomme ich denn dafür?

Kestner: Das Übliche– 10 Pfennig pro Zeile.

2. Auf dem Haus der Ghibellinen1.

Schmal erzählt: Es ist 18.30 Uhr an einem Samstag. Ich fahre mit dem Bus von Burbach nach Saarbrücken-Scheidt Linie 135. Als ich angekommen bin, am Schmittenberg 30, sehe ich ein altes, schmutzig-gelb gestrichenes Haus – mit einen schiefen Dach. Über der Tür eine Rosenlaube. Die Türklingel mit Bronzebeschlag. Ich schelle.

Claus: Kommen Sie herein. Wir haben heute Abend Kneipe. Da können sie mitsingen – und sich vorher mit mir - und später mit allen anderen unterhalten. Wir nehmen heute auch einen Fux auf. Haben Sie einen Fotoapparat dabei. Denn Sie müssen wissen – ich kümmere mich hier um die Öffentlichkeitsarbeit – und Vorweg: Wir heißen Burschenschaft Ghibellinia zu Prag in Saarbrücken – und sind Burschenschafter – keine Burschenschaftler – nur, damit sie uns und mich nicht blamieren. Schmal tritt näher durch den Laubengang, in dem am Ende der Heilige Nepumuk steht.

Claus: Der Heilige Nepumuk ist Schutzpatron unserer Verbindung und der Verbindung der Franken hier in Saarbrücken. Da gibt es noch die Saarbrücker Burschenschaft Germania, die katholische Studentenverbindung der Arnulfen, den ASV Ostpreußen und noch so ein paar andere christliche Verbindungen. In der Eingangshalle der Verbindung steht eine alte, braune Ledercouch und ein weißer Marmortisch. Gegenüber ein Kamin und an den Wänden das Couleur einiger anderer Verbindungen. Im Kneipsaal stehen Tische, die in einen U-förmigen Tafel gestellt sind.

Am Kopf der Tafel die Chargenplätze – drei Stühle – einer, der in der Mitte, - mit erhöhtem Rücken – auf dem der Zirkel der Verbindung geschnitzt ist.

1 Die folgende Schilderung entspricht nicht dem tatsächlichen zeitlichen Verlauf der Geschehnissen, sondern ist facettiert und dehnt bzw. verkürzt die Ereignisse relativ.

Schmal: Was ist das für ein „gekritzel“ auf dem Stuhl?

Claus: Das ist das Zeichen unserer Verbindung!

Auf den Tischen stehen rote Kerzen auf der weißen Tischdecke. Auf dem Chargentisch, liegt ein „Holzbrett“ mit einem Schläger darauf. An jedem der rund 20 Plätze befindet sich ein rotes Gesangbuch. An den Wänden im Kneipsaal hängen etwa 200 Fotos – zum Teil aus Zeiten vor dem 1. Weltkrieg.

Claus: Das sind unsere Bundesbrüder. Die meisten sind schon tot – aber wir haben heute fast 200 Alte Herren, Philister, Burschen, Füxe – aktive und inaktive.

Schmal: Nun – das sind für mich böhmische Dörfer. Was heißt denn hier „Fux“ zu sein.

Claus: Nun – wenn ein Student in den ersten Semester auf unser Haus kommt, kann er eintreten, wenn er von gutem Ruf, nicht allzu einfältig ist – und fechten möchte. Dann wird er „Fux“ - nach einem Aufnahmeprozess. Er wird befragt – und die aktiven Burschen entscheiden, ob er zu uns passt. Dann bleibt er 2 bis 4 Semester, manchmal länger, in diesem Status – und darf 2-Partien fechten. Der „Fux“ wird von einem Fux-Major ausgebildet, ein älterer Bursche oder von einem Alten Herren – der ihn in die Sitten der Verbindung einführt. Nach 2 Jahren kommt die Burschenprüfung. Bis hierhin muss er so einiges lernen, wie die Lieder, die anderen Verbindungen in Bund kennen,... bei uns ist das der Ostdeutsche Bund und die Burschenschaftliche Gemeinschaft, auch die Farben der örtlichen Korporationen – und natürlich muss er sein Studium vorangetrieben haben. Wichtig ist uns auch sein politischen Engagement. Er soll sich kritisch mit dem Zeitgeschehen auseinander setzen können und wollen!

Es klingelt. Vor der Tür stehen einige junge und alte Männer – manche mit Narben im Gesicht. Claus öffnet die Tür und führt auch die Damen herein. Norbert, gekleidet in einem Diner-Anzug, nimmt die Jacken und Mäntel ab. Alle sind in Couleur. Sie tragen eine weiße Mütze und ein schwarz-rot-goldenes Band auf weißem Grund. Die Damen haben eine Schleife über der linken Brust.

Claus: Das ist Herr Schmal – er will die Kneipe mitfeiern und die Rezeption von Hein miterleben. Ist Hein schon da?

Hein: Ja, hier – aber ihr wisst, ich habe gerade mein Examen gemacht – und Frau und Kind. Außerdem habe ich ab November einen Job in Kassel. Zudem muss ich mehrfach im Jahr zur Wehrübung.

Paul: Das ist in Ordnung. Wir kennen dort in der Nähe einige Verbindungen der DB – bei denen du dich vielleicht einpauken kannst. Schmal: DB?

Toni, der Fechtwart: Das ist der Dachverband der Deutschen Burschenschaft. Da sind wir alle zusammengeschlossen. Einmal in Jahr gibt es den Burschentag – und da werden Beschlüsse gefasst – und es wird eine Kommerz gefeiert – das was wir heute machen – nur in groß.

Hansi, der Fuxmajor: Nun kommt mal alle rein. Es ist schon nach 20:00 Uhr – wir wollen und c.t. Anfangen – und Emil, du schleppst fürs Officium. Danach kann Alf weitermachen. Ist das Fass angeschlossen?

Georg, der Bierwart: Ja – 50l – aber das hab´ ich gestern gemacht, hoffentlich ich noch was drin.

Emil singt, ….steht ein volles Fass daneben....

Allen nehmen platz auf den kargen Holzstühlen, Manfred am Klavier. Paul, der Altherrnvorsitzende ruft: Aufstehen – zum Einzug der Chargierten. Hansi hat ein Tönnchen mit einem Fuxschwanz auf dem Kopf. Die anderen, der Schriftwart – oder XX – und Toni, der Fechtwart oder XXX tragen ein Barett – mit einer weißen Feder. Die Chargierten marschieren mit ihren Lederstiefeln und in weißen Hosen im Gleichschritt zu ihren Plätzen, am Kopf der Tafel. Emil hat jedem Burschen und Alten Herren ein Bier hingestellt. Hansi, der Fuxmajor und Sprecher, der X – haut mit dem Schläger, dem geraden „Säbel“ - dreimal laut auf das „Brett“.

Hansi: Selentium. Ich darf alle Conkneipkanten begrüßen. Besonderen Gruß gilt dem Senior des hochwohllöblichen Corps Franconia Prag. Ich begrüße besonders die Damen und die Alten Herren, die den weiten Weg nach Saarbrücken wieder nicht gescheut haben. Es ist heute auch die Presse anwesend. Ich darf euch in diesem Zusammenhang- wie hören es gleich nochmal – an euer Ehrenwort erinnern – und wir haben heute Rezeptionskneipe. Doch nun zum ersten Cantus des heutigen Abend: „Vom Barette schwankt die Feder...“

Mir wird bei dem Gesang ganz anders. Zudem war mir nicht bekannt, dass Damen bei einer Rezeption anwesend sein dürfen. Dies scheint doch von Verbindung zu Verbindung sehr unterschiedlich zu sein. Der saloppe Umgang mit dem Comment, flüstert mir der Franke – ist wohl Ihrer Anwesenheit geschuldet. Zum Einen ist nicht alles Officium – und zum Anderen heute äußerst liberal gehandhabt.

Man will sich hier nicht in die „Karten“ schauen lassen.

„Silentium“ – fährt Hansi dazwischen. Es folgen die Sprecher – und dann Damenrede des heutigen Abends.

Die Reden sind eher schwülstig – doch eines schrieb ich mir auf, weil ich es beim ersten Kontakt mit Norbert an der Uni schon selbst gesagt hatte, war ich überrascht: Konservativ ist der Erhalt des einmal für gut und richtig erkannten. In diesem Sinn sind wir konservativ. Die Damenrede war formell – und voller Lob´auf das zu ehrende andere Geschlecht. Ich fragte Erhardt, den Alten Herrn links neben mir: Nehmen sie auch Frauen auf?

Erhardt: Damen sind der Glanz einer jeden Burschenschaft. Sie sind durch ihre Heirat oder Partnerschaft mit dem Burschen sozusagen außerordentlichen Mitglied.

Schmal: Aber ich habe gehört das Corps und auch christliche Verbindungen Damen als ordentliche, stimmberechtigte Mitglieder aufnehmen?

Hansi: Silentium!: Zum 2. Cantus des heutigen Abends: Oh – alte Burchenherrlichkeit...nach dem Lied, Erhardt: Das werden wir früher oder später auch machen müssen, denn uns fehlt der gute Nachwuchs.

Hansi: Silentium!: Wir schreiten zur Rezeption unseres künftigen Bundesbruders und dann Fuxes Hein. Hein Komm nach vorne! Es wird ein dreiarmiger Kerzenleuchter auf dem Chargentisch entzündet.

Hansi: Lieber Hein – lege Deine Hand auf das Buch hier – Und spreche mir nach.....

Schmal weiter: Für mich war nicht zu erkennen, was das für ein Buch war – aber ich nehme an oder hoffte die Bibel. Der Franke neben mir flüsterte: Ja – es ist eine Bibel, ein wichtiges Buch eben. Aber ganz unbeleckt bist du ja nicht.

Wohl konnte ich es nicht verbergen, dass mir weder Rezeption noch Schwur völlig unbekannt waren. Schließlich war es nicht das erste Verbindungshaus, was ich besuchte – und zudem kannte ich einiges aus Erzählungen von Corpsbrüdern. Doch erschien mir die Prozedur hier weniger feierlich und etwas aufgesetzt. Und Hein schien etwas gedrängt – als Hansi sagte: Das erklärst du bei Deinem Ehrenwort,... (So etwas hatte ich noch nicht erlebt). Hein sagte: Ja.

Hansi: „Dann darf ich Dir jetzt auch das bundesbrüderliche DU anbieten“ - und ich führe Dich durch die Reihen, damit du Dir jeden Bundesbruder persönlich kennen lernst. Erhardt: Hein ist nun zum Schweigen verpflichtet. Keine inneren Angelegenheiten, d.h. die Beschlüsse der Convente – dürfen nach außen dringen und über innere Angelegenheiten muss er stillschweigen bewahren, auch wer hier alles Mitglied ist.