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Die ultimative Gebrauchsanweisung für Söhne
Junge, Junge! Söhne bedeuten für jede Mutter die ultimative Herausforderung: Wie Jungs wirklich ticken, können Frauen nur erahnen ... bis sie männlichen Nachwuchs bekommen. Plötzlich dreht sich ihr Leben um Bagger, Fußball, Dinosaurier und Laserschwerter. Doch wer wird sich davon schon abschrecken lassen? Jungs sind wunderbar liebevoll, herrlich direkt, unglaublich lustig und einfach nur fantastisch. Und auch wenn sie Mutter manchmal nerven können: Mit Liebe, Gelassenheit und Humor erträgt frau sogar Formel-1-Rennen, müffelnde Socken und Star-Wars-Filme!
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Seitenzahl: 324
HEIKE ABIDI schreibt Romane, erzählende Sach-, Kinder- und Jugendbücher. Sie wuchs mit zwei Brüdern auf und lebt ausschließlich mit männlichen Familienmitgliedern zusammen – nämlich Ehemann, Sohn und Hund. Mit Ich dachte, älter werden dauert länger landete sie einen großen Bestsellererfolg.
URSI BREIDENBACH stammt aus einem reinen Mädchenhaushalt. Sie ist verheiratet und Mutter zweier Söhne. Für einen Hauch Rosa sorgt sie mit ihren Romanen, unterhaltenden Sachbüchern und Kurzgeschichten.
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Ursi Breidenbach
Heike Abidi
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Umschlag: Bürosüd
Umschlagmotiv: Bürosüd
Redaktion: Anne Nordmann
Umsetzung eBook: Greiner & Reichel, Köln
ISBN 978-3-641-22735-7V001
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Vorwort – wie alles begann
1. »Es ist ein …« – über den Moment, in dem mir klar wurde, dass ich eine Jungsmutter bin
2. »Fahr ab mit dem Glitzer!« – über den Kampf der Jungsmütter um ihr Frausein
3. »Was heißt hier typisch Junge?« – über die Suche nach einem Mythos
4. »Warum so langsam, Mama?« – über den Versuch, als Jungsmutter sportlich mitzuhalten
5. »Der kleine Unterschied in unseren Köpfen« – über Mädchenmütter und wie sie sich das Leben mit Söhnen vorstellen
6. »Wie ist die denn drauf?« – die Top Five der typischen Jungsmütter
7. »Ich lade gerade die Akkus auf« – über Jungs und ihre Technikbegeisterung
8. Sein allererstes Wort: »Auto« – über die absurde Vorliebe für Fahrzeuge
9. »Bis an die Zähne bewaffnet« – über den Hang der Jungs zum Aufrüsten jeder Art
10. »Das war doch nie im Leben Abseits!« – über die Begeisterung für Sport, von Fußball bis Motocross
11. »Wenn du nicht blutest, hast du nichts erlebt« – über Jungs und Adrenalin
12. »Mamis Liebling« – oder welchen Typ Sohn ziehen Sie groß?
13. »Noch drölfzig Mal schlafen, bis der neue Star-Wars-Film startet« – über die Kunst, in Geschmacksfragen den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden
14. »Der Puppenwagen kann tolle Powerslides« – über geschlechts(un)spezifisches Spielzeug
15. »Was soll ich denn mit einem Fleißsternchen?« – über die Herausforderung, Jungs zu motivieren
16. »Ich will Fleisch, und zwar sofort!« – über Jungs und ihre artspezifischen Essgewohnheiten
17. »Bereit, wenn du es bist!« – ein kleines Urlaubsquiz für Jungsmütter
18. »Also ich find das cool!« – über den Moment, in dem man ernsthaft am Verstand seines Nachwuchses zweifelt
19. »Das habe ich für dich gebastelt – ich habe mich nicht bemüht« – über die mangelnde Lust der Jungs am Gestalten
20. »Ich hab keine Lust, die Eier zu suchen, ich will sie lieber verstecken!« – über Feste und Feiertage mit Söhnen
21. »Lass es krachen!« – über Kindergeburtstage und ihre Auswirkungen auf elterliche Nerven
22. Die unendliche Beziehungsgeschichte: Mütter und Söhne in Film, Fernsehen, Musik und Literatur
23. »Ich hab dein Geschenk so gut versteckt, dass ich es nicht mehr finden kann« – über ihr Talent, uns immer wieder zu rühren
24. »Du bist so süß, Mama« – über eine ganz einzigartige lebenslange Liebesgeschichte
25. Die Top Ten der Dinge, die (vermutlich*) nur Jungs tun – und mit denen sie uns zur Verzweiflung bringen!
26. Die wichtigsten Entwicklungsschritte unserer Jungs von 0 bis 18 und was Sie darüber wissen sollten
27. Mini-Glossar: Endlich verstehen, wovon Ihr Sohn spricht
28. »Vor dem Sport noch eben duschen« – über Schmutzfinken, die urplötzlich einen Waschzwang entwickeln
29. »Wetten, ich kann lauter furzen?« – über die Erziehung zu echten Gentlemen
30. Bullshit-Bingo, Teil 1: Was Söhne so zu sagen pflegen
31. »Das zieh ich nicht an, das ist blöd!« – über sichtbare Boxershorts, schräge Frisuren und männliche Schuhfetischisten
32. »Bin ich da jetzt schon drin?« – über Jungsmütter in der Pubertät
33. Bullshit-Bingo, Teil 2: Was wir Mütter so zu sagen pflegen
34. »Ich bin doch kein Baby mehr« – über die schrittweise Abnabelung und wie gut sie beiden Seiten tut
35. »Ich habe einen Penis und das ist gut so« – über Sexualerziehung und ihre Tücken
36. Was Sie nie zu Ihrem Sohn sagen sollten und warum nicht
37. »Ich hab gleich ein Vorstellungsgespräch, kann ich mal das Bügeleisen haben?« – über Söhne, aus denen plötzlich Männer werden
38. Was eine Jungsmutter einmal getan haben sollte, bevor er auszieht
39. Die Top-Aussagen eines Psychiaters über Mütter und ihre Söhne
40. »Und plötzlich hat er graue Haare« – über Mütter von erwachsenen Söhnen
41. Zehn Gründe, warum es das Schönste auf der Welt ist, eine Jungsmutter zu sein
Antworten vom Urlaubsquiz in Kapitel 17
Weiterführende Infos
Danksagung
»Hallo. Mein Name ist Heike und ich bin eine Jungsmutter.«
Vermutlich würde ich mich so in einer Selbsthilfegruppe vorstellen …
Nehmen wir mal an, dieses Buch wäre eine. Sind Sie dabei? Nehmen Sie sich einen Keks und setzen Sie sich.
Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich liebe meinen Sohn über alles! Und doch hat er mich vor so manche Herausforderung gestellt, mit der ich nicht im Entferntesten gerechnet hätte, bevor ich Mutter wurde. Ein bisschen Selbsthilfe kann also nicht schaden, oder? Ich meine: Der Austausch mit anderen Jungsmüttern – wie mit Ursi – tut einfach gut. Und er bringt mich zum Lachen, was bekanntlich nie verkehrt ist.
Willkommen also im Club derjenigen, die wissen – oder wissen wollen –, wie man als Mutter von Jungs überlebt!
Wann ist Ihnen eigentlich klar geworden, was für eine anspruchsvolle Aufgabe das ist?
Bei mir fiel der Groschen in einer verregneten Frühlingsnacht, als … Aber ich glaube, ich fange lieber ganz von vorne an. Genauer gesagt vor rund zwanzig Jahren. Ich war ziemlich schwanger und freute mich auf ein gesundes Punkt-Punkt-Punkt.
So stellte ich mir das mit der Geburt nämlich vor: Frau liegt ein paar Stunden in den Wehen, dann presst sie, ein kleines Wesen flutscht aus ihr heraus und quäkt, woraufhin die Hebamme begeistert ruft: »Herzlichen Glückwunsch, Sie haben ein …«
So viele Möglichkeiten gibt es da ja nicht. Im Normalfall entweder Junge oder Mädchen. Vorläufig sprach mein Mann noch von er oder sie. Und ich von Punkt-Punkt-Punkt.
»Weißt du denn schon, was es wird?«, wurde ich ständig gefragt.
»Na, ich hoffe doch, ein Homo sapiens«, gab ich gut gelaunt zurück.
Doch damit ließen sich meine Freundinnen, Kollegen und Bekannten nicht abspeisen.
»Neee, mal im Ernst: Beim Ultraschall kann man das Geschlecht doch sicher längst erkennen«, hieß es dann – meistens mit einem vielsagenden Blick auf meinen gigantischen Bauch, der schon im siebten Monat vermuten ließ, es wäre bald so weit.
»Ja, meine Gynäkologin sieht es«, gestand ich, »aber ich will es nicht wissen.«
Woraufhin man mich für gewöhnlich anschaute, als hielte man mich für meschugge.
»Aber du musst das doch wissen wollen!«
Musste ich gar nicht! »Warum sollte das wichtig sein?«
»Dann kannst du dich besser vorbereiten.«
Ähm – worauf genau? »Ein Säugling wird unseren Haushalt, unseren Alltag und unser gesamtes Leben ohnehin komplett auf den Kopf stellen. Und zwar ganz unabhängig davon, ob es ein Mädchen ist oder ein Junge.«
Ich fand das völlig logisch. Doch da war ich wohl die Einzige. Man kam mir sogar mit dem Argument, davon hinge ab, welche Farbe die Wände des Kinderzimmers und die Strampler haben sollten. Als ob ich mir so etwas vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein eines Y-Chromosoms vorschreiben lassen würde!
Auf Rosa stand ich ohnehin noch nie so besonders. Das Kinderzimmer hatte mein Mann längst in einem kräftigen Himmelblau gestrichen – einer meiner Lieblingsfarben. Und die Babykleidung, die wir gekauft hatten, musste vor allem zwei Kriterien erfüllen: schön bunt und natürlich maschinenwaschbar sein.
Wie gesagt, man hielt mich ganz offensichtlich für leicht hormonbenebelt. Aber ich blieb stur und bestand darauf, überrascht werden zu wollen. Quasi als Belohnung für die Qualen der Geburt. Ich liebe Überraschungen!
Mein Mann versuchte zum Glück nicht, mich zu überreden. Aber ich hörte ihm an, dass er vor Neugier schier platzte!
»Ob er oder sie mir wohl ähnlich sieht?«, mutmaßte er. (Um die Antwort vorwegzunehmen: Wie aus dem Gesicht geschnitten.)
»Ob das wohl klappt, ihn oder sie zweisprachig zu erziehen?« (Hätte es vielleicht, wenn ich diejenige mit der Fremdsprache gewesen wäre.)
»Ob er oder sie wohl blond ist, so wie du, oder schwarzhaarig, so wie ich?« (Tja – weder noch. Sein Haar ist braun. Übrigens niese ich immer zweimal nacheinander, mein Mann viermal, unser Sohn dreimal. Ein Phänomen!)
Seine eigentlichen, unausgesprochenen Fragen lauteten jedoch:
Wird es ein Junge oder ein Mädchen?
Und warum, warum, warum lässt du es dir nicht sagen?
Ich beschloss, ihm diese heiß ersehnte Information zum Geburtstag zu schenken. Ich könnte die Gynäkologin bitten, »Mädchen« oder »Junge« auf einen Zettel zu schreiben und diesen in einen Umschlag zu stecken. Den würde ich dem Gemahl feierlich überreichen – unter einer Bedingung: Er müsste mir schwören, sein Wissen für sich zu behalten. Denn ich bestand weiterhin auf der Überraschung.
Nun ja, der Gatte war ehrlich. Er gab zu, das wohl nicht durchhalten zu können. Er hätte sich vermutlich noch am ersten Tag verplappert. Und so gab es keinen Zettel im Umschlag. Stattdessen kaufte ich ihm ein niedliches Babyhandtuch mit Kapuze und einen Strampler mit Häschenmotiv. Sein ausdrücklicher Wunsch. (Hätte man mir so etwas zum Geburtstag geschenkt, wäre ich stinksauer gewesen!)
Natürlich spekulierte ich selbst, was es wohl werden würde, das Punkt-Punkt-Punkt in meinem Bauch, der immer gewaltiger wurde und mich langsam, aber sicher in ein Walross verwandelte. Inzwischen war ich unbeweglicher als eine durchschnittliche Achtzigjährige und brauchte Minuten, um mich im Bett von einer Seite auf die andere zu wuchten. Was akustisch von einem lästigen Knistern begleitet wurde, denn der Gatte hatte – zum Schutz der neu erworbenen Matratzen – einen gelben Sack unter dem Spannbetttuch ausgebreitet. Aus Angst, die Fruchtblase könnte nachts platzen.
Da lag ich nun also, knisterte vor mich hin und fragte mich, ob das Alien in mir drin wohl eine kleine Sophia oder ein kleiner Jonas sein würde.
Auf die Namen hatten wir uns längst geeinigt. Sie waren als gutes Omen gedacht. Schließlich bedeutet Sophia im Altgriechischen »Weisheit« und Jonas auf Hebräisch »Taube«, das Friedenssymbol. Das war es, was ich mir für mein Kind wünschte: Wenn es ein Mädchen würde, sollte es bitte keine oberflächliche Tussi werden, und wenn es ein Junge würde, dann auf keinen Fall ein aggressiver Schlägertyp. Im Grunde brachte die Namenswahl meine Minimalwünsche für unser Punkt-Punkt-Punkt auf den Punkt – natürlich abgesehen von der wichtigsten Hoffnung, dass es gesund sein möge.
(Wie in aller Welt ich jemals auf die Idee gekommen bin, in unserem Haushalt könnte ein eitles Dummchen oder ein fieser Grobian heranwachsen, ist mir im Nachhinein ein Rätsel. Hormonelle Schwangerschaftsverwirrung, vermutlich.)
Und dann platzte sie wirklich, die Fruchtblase. Tagsüber, übrigens. Keine Sorge, ich werde jetzt nicht die komplette Geburt schildern. Schließlich gibt es nichts Verstörenderes als die ausführliche Geburtsbeschreibung anderer Frauen. Nur so viel: Im Prinzip bewahrheitete sich meine Vorstellung »Wehen, Pressen, Flutschen, Quäken«, auch wenn sich das Ganze ein paar Stunden länger hinzog als erwartet. Irgendwann währenddessen begann ich, daran zu zweifeln, dass dieses Konzept tatsächlich funktionierte. Vielleicht bei Milliarden von Müttern weltweit, aber nicht bei mir.
Würde ich jemals den Satz »Es ist ein …« zu hören kriegen? Ich glaubte schon nicht mehr daran. Und irgendwann war es mir auch völlig egal, ob er oder sie sich da den Weg hinaus ins Leben erkämpfte, Hauptsache, es war bald überstanden!
An die letzten Minuten, bevor ich meinen Sohn im Arm hielt, erinnere ich mich nicht so genau. Ich war im absoluten Ausnahmezustand. Doch irgendwann war es so weit. Flutsch, Quäk – und er war da.
»Sie haben einen Sohn«, sagte die Hebamme. Und das war der Moment, in dem ich von der werdenden Punkt-Punkt-Punkt-Mutter zur Jungsmutter wurde.
Natürlich hatte ich die tiefere Bedeutung dieser Tatsache da noch nicht erfasst. Denn wie erwartet hatte das Geschlecht des winzigen Wesens, das von nun an unser Leben beherrschte, zunächst keine große Bedeutung. Immerhin aber war die Namensfrage geklärt: Wir hatten also einen kleinen Jonas. Doch garantiert hätte uns eine kleine Sophia genauso auf Trab gehalten. Ich hätte mich beim ersten Baden ohne Hilfe der Hebamme ebenso unsicher gefühlt. Wir hätten dieselben schlaflosen Nächte durchlebt, vor allem wenn höllische Blähungen das Baby in ein Brüllmonster verwandelten. Und wir wären gleichermaßen auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer geschlichen, um zu prüfen, ob es noch atmet, wenn das Geschrei einmal ausblieb …
Sofern sich zwischen Wickeln, Herumtragen und Füttern eine kleine Pause bot, nutzte ich die, um schnell zu duschen und mich in einen halbwegs menschenwürdigen Zustand zu bringen. Für viel mehr blieb keine Zeit. Schon gar nicht zum Grübeln.
Doch irgendwann war es so weit. Ich saß nachts im Sessel und stillte den Kleinen, als mir plötzlich klar wurde, dass wir nie zusammen ein Abschlussballkleid aussuchen würden. Oder uns gegenseitig die Nägel lackieren. Vermutlich würde ich eher am Rand eines Fußballfelds stehen, als im Publikum einer Ballettvorführung zu sitzen – wobei ich auch kein Problem damit gehabt hätte, wenn mein Sohn Ballett tanzen oder sich die Nägel lackieren würde. (Tatsächlich ging er im Alter von vier Jahren mal mit lackierten Fingernägeln in den Kindergarten. Und jedem, der ihn mit dem unausweichlichen »Der Jonas ist ein Mädchen«-Singsang bedachte, schmetterte er ein unmissverständliches »Nein, bin ich nicht« an den Kopf.)
Ich kannte mich aus mit männlichen Heranwachsenden – schließlich bin ich mit zwei Brüdern aufgewachsen. Das Leben mit Jungs war mir also nicht fremd. Ich wusste auch, wie unterschiedlich sie sein können. Manche sind Büchernarren, andere Sportskanonen, wieder andere lieben ihren Chemiebaukasten oder schreiben Gedichte.
Ich weiß nicht, warum, aber in dieser Nacht, mit dem Baby an der Brust, wurde mir urplötzlich bewusst, dass Fußball nicht die schlimmstmögliche Zukunftsvision war.
»Er ist ein Junge – bestimmt fährt er einmal Motorrad!«, schoss mir durch den Kopf. Und prompt brach ich in Tränen aus … Innerhalb einer Zehntelsekunde verstand ich plötzlich, dass es kein Misstrauen gewesen war, das meine Eltern damals wach gehalten hatte, bis wir alle zu Hause waren. Und ich begriff, dass mich die Angst, meinem Kind könnte etwas passieren, bis ans Lebensende nicht mehr verlassen würde. Zumal es ein Junge war, der womöglich die waghalsigsten, verrücktesten, testosterongesteuertsten Dummheiten machen würde!
Natürlich tun auch Mädchen waghalsige Dinge und begeben sich in Gefahren, die ihre Eltern nachts nicht schlafen lassen. Das weiß ich aus eigener Erfahrung. Aber daran dachte ich in dieser Nacht nicht. Denn ich bin ja keine Mädchenmutter. Ich bin eine Jungsmutter.
Natürlich wollen Ursi und ich mit diesem Buch auch Vorurteile entkräften. Dumm nur, dass unsere Jungs irgendwie alle Klischees erfüllen.
Okay, das könnte natürlich Zufall sein. Und überhaupt – reicht meine Einzelkind-Erfahrung aus, um anderen zu erzählen, was Sache ist? Nun ja, hinzu kommt natürlich, dass ich
in einem reinen Männerhaushalt lebe,gemeinsam mit zwei Brüdern aufgewachsen bin (und ohne Schwester) undmit Ursi das perfekte Schreibduo bilde, denn zusammen haben wir je 1,5 Jungs. Damit übertreffen wir die durchschnittliche Söhnerate im deutschsprachigen Raum von 0,75 pro Frau bei Weitem.Und dann sind da natürlich auch noch all die Freundinnen, Kolleginnen und Bekannten, die wir zu ihren Erfahrungen als Jungsmütter befragt haben und deren Erlebnisse und Erkenntnisse in unser Buch mit eingeflossen sind. Irgendwann war ich so auf Jungsmüttergeschichten fixiert, dass die Frage »Darf ich das verwenden?« quasi zur Standardreaktion wurde …
Nicht zuletzt aus diesem Grund war ich auch hocherfreut, als mich meine Freundin Dana in den Sommerferien zum Frühstück einlud. Wir sehen uns sonst nur beim Sport, wo sie hin und wieder von ihren vielen Kindern erzählt, aber gesehen hatte ich die Bande schon länger nicht mehr. Ich war gespannt, ob ich sie alle überhaupt noch erkennen würde, und nahm mir vor, nebenbei Feldstudien zu betreiben. Wenn ich irgendwo Antwort auf die Frage finden würde, was eigentlich »typisch Junge« ist, dann hier!
Julian, der Älteste, hatte sich seit unserer letzten Begegnung zwar enorm verändert, was Größe, Figur und Bartwuchs betrifft, aber sein gebrummtes »Hallo, komm rein!« war unverkennbar.
Dana winkte mir mit dem Telefon am Ohr zu und signalisierte, dass ich schon mal auf der Terrasse Platz nehmen solle. Julian brachte mir einen Kaffee, was ich extrem aufmerksam fand, und verabschiedete sich dann mit den Worten, er müsse los zu einer Demo für Frauenrechte. Ich starrte ihm erstaunt hinterher. Dass sich Julian jemals für derartige Themen interessieren würde, hätte ich damals, als er gemeinsam mit Jonas im Sandkasten gespielt hatte, nie gedacht. Dieser käme wohl im Leben nicht auf die Idee, gegen irgendetwas zu demonstrieren – höchstens gegen die Einführung von Tempo 100 auf deutschen Autobahnen. Dann war garantiert die Hölle los. Julian dagegen interessierte sich nicht die Bohne für Autos, wie ich von Dana wusste. Sonst hätte er wohl auch längst einen Führerschein, immerhin ist er schon neunzehn.
Dana hatte ihr Telefonat inzwischen beendet und machte es sich in einem Gartenstuhl bequem. »Schön, dass du da bist«, begrüßte sie mich gut gelaunt. »Erst mal gemütlich frühstücken!«
Ich fragte mich, was genau sie frühstücken wollte, denn auf dem Tisch befanden sich bislang nur zwei Teller, Besteck, eine Kerze und unsere Kaffeetassen. Wenn das kein Tischlein-deck-dich war, würde sie wohl aufstehen müssen …
Musste sie aber nicht. Denn da tauchte schon ein zerstrubbeltes Wesen auf, das ein Tablett voller Leckereien brachte: Brötchen, Croissants, Marmelade, Saft, Käse, Früchte … alles, was das Herz und vor allem der Magen begehrte.
»Das ist lieb von dir, Nico«, sagte Dana und identifizierte damit das Heinzelmännchen als ihren Mittleren. Er strahlte stolz. Schließlich hatte er den Teller mit den Obstschnitzen selbst angerichtet, wie Dana betonte.
Ich staunte. Gab es in diesem Haushalt vielleicht gar keine typisch jungenhaften Anwandlungen? Doch als Nico sich ausgiebig am Kopf kratzte und fragte, ob er jetzt eine Runde »Need for Speed« spielen dürfe, löste sich dieser Gedanke in Luft auf. Beziehungsweise in virtuelle Autoabgase.
Irgendwann zwischen dem ersten Brötchen und der zweiten Tasse Kaffee erschien ein weiterer Sprössling auf der Terrasse. Groß, kräftig, reichlich übernächtigt und ganz eindeutig der sechzehnjährige Henry. Er blinzelte kurz in die Sonne und warf sich dann stöhnend bäuchlings auf die Liege, die im Schatten stand.
»War wohl spät gestern Abend bei der Jugendfeuerwehr«, meinte Dana. Sie kennt eben ihre Pappenheimer. Es hat ohnehin nicht viel Sinn, vor den Folgen übermäßigen Biergenusses zu warnen – wesentlich eindrucksvoller ist der Kater am nächsten Tag.
»Nö, ich war sogar ziemlich früh daheim«, widersprach Henry brummend, und in diesem Moment erkannte ich, dass er nicht einfach nur dalag, sondern – las! In einem Buch! Und es handelte sich weder um eine Pflichtlektüre (schließlich waren Schulferien) noch um eine Fachzeitschrift für Nutzfahrzeuge, sondern um einen Roman.
Ich war baff. Gab es denn in diesem Haushalt keinen einzigen Jungen, der die typischen Klischees erfüllte – und zwar ausnahmslos? Wenn sogar Henry Bücher las, statt, sagen wir, angeln zu gehen, existierten dann überhaupt so etwas wie »typische Jungs«?
Oh ja, zumindest einer! Er sauste gerade auf uns zu, dem Ball hinterher, den er über unsere Köpfe hinweggekickt hatte. Zum Glück hoch genug, sonst hätte das den so liebevoll von Nico gedeckten Frühstückstisch in einen marmeladeverklebten Scherbenhaufen verwandelt.
»Pass doch auf!«, rief Dana entsetzt.
»Bin schon weg«, gab der Knirps wenig schuldbewusst zurück. Er trug kurze Sporthosen, ein Ronaldo-Trikot, Turnschuhe und ein Basecap, unter dem ein paar störrische blonde Ponysträhnen hervorlugten.
»Wohin?« Dana passte sich dem Telegrammstil ihres Jüngsten an.
»Fußballspielen mit den Jungs«, rief er im Weggehen über die Schulter.
Danas Ermahnung, spätestens zum Mittagessen zurück zu sein, hörte er schon nicht mehr.
Zufrieden grinste ich in mich hinein. Wenn das kein typischer Junge war!
»Ich wusste gar nicht, dass Fabian so fußballverrückt ist«, sagte ich.
»Wie kommst du denn darauf?«, erwiderte Dana überrascht. »Fabian hasst Fußball.«
Jetzt verstand ich gar nichts mehr.
»Er ist übrigens gar nicht da, sondern mit dem Orchester unterwegs«, informierte mich meine Freundin. »Du weißt doch, er spielt leidenschaftlich gern Klarinette.«
Stimmt, das hatte sie mir ja neulich erst beim Joggen erzählt.
Dennoch war ich verwirrt.
»Aber – wer war denn der kleine Junge eben, wenn nicht Fabian?«
Da musste Dana fürchterlich lachen. Als sie sich wieder einigermaßen beruhigt und die Tränen aus den Augen gewischt hatte, sagte sie: »Das war Isabell.«
Männersache? Frauensache? Hauptsache, es macht Spaß!
Jungs toben herum, lieben Computerspiele und Fußball?
Mädchen spielen mit Puppen, üben Klavier und häkeln?
Auch wenn die Medien und vor allem das Marketing Gender-Klischees stärker verbreiten denn je – weil man wohl hofft, mit rosafarbenen Einhörnern und Echte-Kerle-Ritterburgen besonders viel Umsatz zu machen –, diese Klischees sind purer Unsinn!
Ob bestimmte Vorlieben angeboren oder anerzogen sind, sei mal dahingestellt. Wichtig ist, dass Kindern sämtliche Möglichkeiten offen bleiben, sodass sie – unabhängig von ihrem Geschlecht – ausprobieren können, was ihnen Spaß macht.
Warum sollten Mädchen nicht für Modellflugzeuge schwärmen? Oder Jungs nicht handarbeiten dürfen?
Zumal Letzteres sogar eine lange Tradition hätte …
Zünftige Strumpfstricker und bewaffnete Spinner
Selbst Ötzi, der Steinzeitmann, besaß eine Art Nähset, um seine Kleidung zu reparieren. Im alten Ägypten gingen die Frauen auf den Markt, während die Männer zu Hause webten. Und im Mittelalter, in der Epoche der Zünfte, waren textile Handwerke grundsätzlich Männersache. Die Herren der Schöpfung waren Tuchmacher, Schneider, Färber oder Sticker. Sogar im Preußen des 18. Jahrhunderts mussten die Soldaten Garn spinnen, und wenn sie Wache hielten, nutzten sie die Zeit oft zum Strümpfestricken.
Sittsam, fleißig, vornehm? Das war einmal!
Woher also kommt die Vorstellung, Handarbeiten seien typisch weibliche Beschäftigungen? Nun, sie entstammt wohl dem 19. Jahrhundert. Feine Nadelarbeiten galten als vornehm, weil das Bürgertum gern den Lebensstil des Adels imitierte, und dort schon seit dem Mittelalter kunstvolle Näh- und Stickarbeiten von den Damen des Hofes ausgeführt wurden. Daher lernten sittsame bürgerliche Mädchen fortan Sticken, Stricken und Häkeln – quasi als Statussymbol.
All das hat mit der Lebenswelt unserer heutigen Kinder nicht mehr das Geringste zu tun. Also weg mit den Vorurteilen aus unseren Köpfen, und lasst häkeln, wer häkeln will!
Klar, Sportskanonen müssen nicht immer männlich sein, das zeigt ja Heikes Geschichte von der fußballbegeisterten Isabell. Die wird ihre eigenen Kinder bestimmt einmal vom Platz fegen. Bei mir selbst ist die Sachlage ein bisschen anders, denn beim Familienurlaub wird mir stets überdeutlich bewusst: Ich bin eine Jungsmutter und sollte mich in Sachen Freizeitaktivitäten ein wenig anpassen, wenn ich nicht ununterbrochen alleine losziehen will. Das, was mir gut gefällt, ist meinen Söhnen Max und Ben meist zu langweilig, und worauf sie stehen, macht mir oft Angst (Canyoning, um nur ein Beispiel zu nennen).
Also heißt es, Kompromisse zu finden. Darum führte mich mein Weg unlängst zu einem Bogenschieß-Parcours. Dort läuft man mit geschultertem Köcher durch den Wald und feuert Pfeile auf Hartgummi-Wild ab. Mein Ehemann und unsere Söhne tobten begeistert von einer Station zur nächsten. Mich hat das Ganze weniger gepackt, denn ehrlich gesagt, ist es mir völlig egal, ob ich aus fünfzehn Metern Entfernung eine Auerhahn-Replik treffen kann oder nicht. Ich werde hoffentlich mein gesamtes Leben lang Putenfleisch im Supermarkt um die Ecke kaufen können, also erschloss sich mir nicht so richtig, warum ich an meinen Jagd-Skills arbeiten sollte. Aber wann immer die Jungs ihren Spaß haben, erfreut das natürlich mein Mutterherz. Vielleicht eigne ich mich einfach besser als Robin Hoods Maid Marian (zuschauen und anhimmeln) und weniger als Lara Croft (selber schießen und treffen).
Pilze- oder Beerensuchen hingegen finde ich großartig. Ich bin total scharf auf das Erfolgsgefühl, das sich in mir einstellt, wenn ich ein Stoffbeutelchen mit Essbarem aus dem Unterholz nach Hause trage. Das Gesammelte dann zu putzen und eine schmackhafte Mahlzeit daraus zuzubereiten, ist für mich ein unübertreffliches Erlebnis. Das hat so etwas Archaisches.
Eine ähnlich ursprüngliche Freude befällt mich übrigens beim Durchforsten des Dickichts von Kleiderständern im Schlussverkauf. Aus dem Dschungel der Ladenhüter das eine geniale Schnäppchen zu ziehen, ist wie den Steinpilz unter lauter Fliegenpilzen zu finden.
Aber ich bin abgeschweift.
Irgendwann in meiner Jungsmutterkarriere kam also der Tag, an dem ich feststellte, dass ich mich freizeittechnisch ein wenig umstellen musste. Spätestens auf dem Baumwipfelpfad, den ich akrophobisch zitternd überquerte, während Ben ihn als »lame« bezeichnete, wurde mir klar, dass sich meine Ansprüche an einen aufregenden Ausflug nicht exakt mit dem der restlichen Familie decken. Nun bin ich zugegebenermaßen das, was man früher als »echtes Mädchen« bezeichnet hätte: Ich neige zu Ängstlichkeit, entwickle wenig sportlichen Ehrgeiz und mag adrenalinarme Tätigkeiten (zum Beispiel Blumenpflücken).
Meine Freundin Manu ist im Vergleich zu mir eine taffe Sportskanone. Beim Langlaufen gleitet sie nicht gemütlich durchs Winterwunderland wie ich, sondern skatet im Spitzentempo die Loipe entlang. Jeder ihrer Muskeln ist gestählt. Sie kann mit ihren Söhnen also sicherlich besser mithalten. Umso überraschter war ich daher, als sie mir unlängst berichtete, dass ihre Jungs nach einem gemeinsamen Ausflug mit den Mountainbikes meinten: »Mama, was hältst du davon, dir ein E-Bike zu kaufen?«
Ich begann mich zu fragen, was es mit dem körperlichen Unterschied zwischen uns und unseren Männern tatsächlich auf sich hat. Vielleicht hätte ich mir die Frage längst stellen sollen – sie drängt sich im Hinblick auf meinen Partner förmlich auf, aber ihn habe ich schon so kraftstrotzend kennengelernt. Bei meinen Söhnen hingegen ist es noch gar nicht so lang her, dass ich sie im Tragetuch um meinen Bauch gebunden hatte. Ich erinnere mich noch sehr gut an die schlaffen Beinchen, die da heraushingen und keinerlei Hinweise darauf gaben, mit wie viel Schwung sie wenig später die Welt erobern würden.
Tatsächlich beginnt sich die Körperkraft von Mädchen und Jungs ab dem sechsten Lebensjahr unterschiedlich zu entwickeln. Bis zum Erwachsenenalter wird der Anteil der Muskulatur am Körpergewicht der Männer 42 Prozent ausmachen, wohingegen es Frauen nur auf 26 bis 32 Prozent bringen. Das sind natürlich durchschnittliche Werte, die bei Einzelbetrachtungen so nicht stimmen müssen (über eine Einzelbetrachtung meiner eigenen Person sehe ich hier großzügig hinweg). Die maßgeblichen Abweichungen zwischen den Geschlechtern präsentieren sich insgesamt so ausgeprägt, dass es mittlerweile Gender-Medizin als separaten Forschungs- und Lehrzweig an den Universitäten gibt. Dort beschäftigt man sich zum Beispiel damit, dass die Sauerstoffversorgung des Körpers und vor allem der Muskeln bei Männern und Frauen unterschiedlich funktioniert. Die Herren haben geräumigere Herzen, sodass bei ihnen pro Herzschlag mehr Blut durchgepumpt wird. Zusätzlich findet sich da mehr Hämoglobin, was wiederum für den Sauerstofftransport wichtig ist.
Abgesehen davon verfügen Männer auch über ein größeres Lungenvolumen. (Ich muss hier einhaken und darauf hinweisen, dass ich die Ausnahme von der Regel darstelle: Ich besitze ein wesentlich größeres Lungenvolumen als mein Liebster. Seit das bei einer Vorsorgeuntersuchung rauskam, scherzen wir darüber, welche wunderbaren Karrieren ihm wohl für immer verwehrt bleiben werden: Tubaspieler, Perlentaucher, Luftballonaufbläser, Mund-zu-Mund-Beatmer, Putzteufel in müffelnden Jungszimmern …)
Schließlich und endlich haben Männer auch noch mehr Knochenmasse aufzuweisen. Insgesamt scheint es so, als hätten sie im Gegensatz zu uns die komplette Sportausstattung abgesahnt.
Verantwortlich für diese Unterschiede ab der Pubertät ist übrigens der geschlechtsspezifische Hormonspiegel: Das bei Männern in wesentlich höherer Konzentration auftretende Testosteron hat unter anderem eine anabole Wirkung, fördert also den Muskelaufbau. Es hat aber auch psychische Effekte, die hier ins Gewicht fallen. Bei Tieren wurde nachgewiesen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen diesem Botenstoff und Imponiergehabe oder auch Kampfverhalten gibt.
Beim Menschen kommt natürlich ein wesentlich komplexeres Zusammenspiel von Hormonen, Genen, gesellschaftlichen und kulturellen Einflüssen zum Tragen. Insgesamt kann aber festgehalten werden, dass Männer im Durchschnitt risikofreudiger sind als Frauen, außerdem wettbewerbsorientierter und eher bereit, beim Sport an ihre Grenzen zu gehen. Quod erat demonstrandum. Dass ich meinen Jungs in der Freizeit mit hängender Zunge und einer gehörigen Portion Frust hinterherhechle, hat also biologische Gründe. Dieses Wissen beruhigt mich irgendwie und hilft mir, mich nicht mehr wie die letzte faule Memme zu fühlen.
Einmal saß ich mit meiner Freundin Gudrun beisammen. Sie hat vier Söhne, und ich kann von ihrer Gelassenheit stets lernen. Es gibt quasi nichts, was sie in ihrem Fünf-Männer-Haushalt nicht schon erlebt hätte, und sie meistert alles mit Bravour.
»Geht es dir auch so, dass du beim Familiensport dauernd etwas machen musst, was dir keinen Spaß macht, und dass du nicht hinterherkommst, obwohl du dich total anstrengst?«, fragte ich sie, weil ich mit dem Brainstorming für dieses Kapitel begonnen hatte. »Beim Skifahren zum Beispiel?« Ich stellte mir vor, wie ihr Mann und die Jungs den Hang hinunterbrausen und sie mutterseelenallein zurückbleibt.
»Nö«, antwortete sie. »Christoph konnte gar nicht Ski fahren und hat es gemeinsam mit den Söhnen von mir gelernt. Er ist noch ziemlich unsicher auf den Brettern unterwegs.«
Tja, so ist es mit den Klischees. Man freut sich sowohl, wenn man sie bestätigt findet, als auch, wenn man sie widerlegt. Und ist das nicht das Spannende an uns Menschen? Dass wir uns allen von der Wissenschaft aufgestellten Regeln entziehen und so komplex funktionieren, dass keiner einem anderen gleicht?
Ich glaube fest daran, dass wir irgendwann die eine gemeinsame Freizeitaktivität finden, bei der wir alle Rollenbilder und gender-medizinischen Forschungen Lügen strafen werden. Aber vorerst darf ich mich auf der in unzähligen Studien nachgewiesenen Wirkung von Testosteron ausruhen, wann immer meine Jungs zum Canyoning losziehen – mir fehlt einfach die hormonell bedingte Risikobereitschaft und die fürs Schluchtenklettern benötigte Hämoglobinkonzentration im Blut. Ich kann also getrost zu Hause bleiben oder mit meiner Nichte zum Bummeln gehen. Schlussverkauf, ich komme!
Der Gendergap:
Den Leistungsunterschied zwischen den Geschlechtern in fast jeder Sportart nennt man »Gendergap«. Eine französische Studie aus dem Jahr 2010 verglich die Leistungen von Olympioniken seit Beginn der Aufzeichnungen und stellte fest, dass Männer immer in allen Disziplinen, die Muskelmasse und die anderen oben beschriebenen konstitutionellen Eigenschaften erfordern, die besseren Ergebnisse erzielten. Durch perfekt abgestimmtes Training wurde dieser Gendergap in den letzten Jahrzehnten zwar verringert, beträgt im Durchschnitt aber nach wie vor zehn Prozent. Beim Hobbysport ist der Leistungsunterschied noch wesentlich größer, weil im Alltag zu den körperlichen auch mentale Faktoren wie traditionelle Rollenbilder hinzukommen.
Bei Sportarten, die eine höhere Beweglichkeit erfordern (Tanzen, Turnen, Yoga …), schneiden dafür Frauen besser ab – der Gendergap funktioniert hier in die andere Richtung.
Wenn aus meinem Punkt-Punkt-Punkt damals doch eine kleine Sophia geworden wäre, würde sie dann Yoga und Ballett lieben? Keine Ahnung. Nach meiner Begegnung mit Dana und ihrem Nicht-Sohn Isabell ging mir die Frage, was einen typischen Sohn oder eine typische Tochter ausmacht, nicht mehr aus dem Kopf. Deshalb beschloss ich, die Mütter in meinem Umfeld zu einem Gedankenexperiment einzuladen. Zahlreiche Freundinnen und Kolleginnen ließen sich darauf ein. Sie lieferten mir so viele wertvolle Denkanstöße, dass ich schließlich zu der Erkenntnis kam, dass die eigentliche Frage eine ganz andere ist.
Aber der Reihe nach …
Mein Gedankenexperiment ging so: Ich wollte wissen, wie sich eine (reine) Mädchenmutter das Leben als Jungsmutter vorstellt und umgekehrt. Wäre es wirklich so anders? Und, falls ja: inwiefern?