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Wenn sie ihn ansieht, steht seine Welt still! Ein neuer Liebesroman der «Queen of Cozy Romance» und Spiegel-Bestseller-Autorin Die meisten Menschen halten Xavier Gaines für einen eiskalten Roboter. Niemand ahnt, dass der erfolgreiche Geschäftsmann tatsächlich unter einer sozialen Angststörung leidet und nichts mehr hasst als Aufmerksamkeit. Doch wenn er seine Firma auf die nächste Stufe heben will, muss er lernen, mit Menschen und vor allem der Presse umzugehen. Nur einer einzigen Person vertraut er genug, um sie in seine Probleme einzuweihen: Peyton Smoke, eine Freundin aus Schulzeiten und inzwischen erfolgreiche PR-Beraterin. Die beiden vereinbaren von Anfang an vollkommene Ehrlichkeit. Nur eine einzige Sache behält Xavier für sich: dass er sich mit jedem Tag mehr wünscht, seine wichtigste Angestellte zu küssen … Gefühlvoll, warmherzig und sexy – ein Liebesroman für alle, die eine Pause vom Alltag brauchen. «Moran lässt ihre Leser durch die Seiten fliegen durch starke Charaktere, eine spannende Handlung und einen guten Stil.» Library Journal
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Seitenzahl: 468
Veröffentlichungsjahr: 2021
Kelly Moran
Roman
Wenn sie ihn ansieht, steht seine Welt still!
Die meisten Menschen halten Xavier Gaines für einen eiskalten Roboter. Niemand ahnt, dass der erfolgreiche Geschäftsmann tatsächlich unter einer sozialen Angststörung leidet und nichts mehr hasst als Aufmerksamkeit. Doch wenn er seine Firma auf die nächste Stufe heben will, muss er lernen, mit Menschen und vor allem der Presse umzugehen. Nur einer einzigen Person vertraut er genug, um sie in seine Probleme einzuweihen: Peyton Smoke, eine Freundin aus Schulzeiten und inzwischen erfolgreiche PR-Beraterin. Die beiden vereinbaren von Anfang an vollkommene Ehrlichkeit. Nur eine einzige Sache behält Xavier für sich: dass er sich mit jedem Tag mehr wünscht, seine wichtigste Angestellte zu küssen …
Gefühlvoll, warmherzig und sexy – ein Liebesroman für alle, die eine Pause vom Alltag brauchen.
Kelly Moran ist die Queen of Cozy Romance. Sie schreibt Wohlfühlgeschichten voller Romantik und Emotion, die sich durch ihre idyllischen Settings auszeichnen. Bereits ihrem ersten auf Deutsch erschienenen Buch «Redwood Love – Es beginnt mit einem Blick» gelang der Einstieg auf die Spiegel-Bestsellerliste. Seitdem wurde jedes ihrer Bücher ein Bestseller. Nach mehreren Serien erscheinen mit «Kissing in the Rain» und «When you look at me» nun erstmals zwei Einzelbände von ihr. Kelly lebt mit ihren drei Söhnen in South Carolina, USA, und arbeitet aktuell an ihrem nächsten Projekt.
Vanessa Lamatsch wurde 1976 in eine Familie von Tierärzten geboren. Doch sosehr sie Tiere auch mochte: Ihre größte Liebe galt immer den Büchern. Schon mit 14 Jahren begann sie, auf Englisch zu lesen, weil sie nicht auf die Übersetzungen warten wollte. Die logische Folge: Nach ihrem Abitur im Jahr 1996, einem Studium der Englischen Literaturwissenschaft und einem Aufbaustudiengang Buchwissenschaft sorgt sie seit 2008 dafür, dass Leser nicht mehr so lange auf neue Übersetzungen warten müssen.
Die Originalausgabe erschien 2017 unter dem Titel «Counterbalance».
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, September 2021
Copyright © 2021 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
«Counterbalance» Copyright © 2017 by Kelly Moran
Redaktion Christiane Wirtz
Zitat auf S. 192: T. S. Eliot, Vier Quartette. Four Quartets. Übertragen und mit einem Nachwort versehen von Norbert Hummelt, Berlin 2015.
Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung Shutterstock
ISBN 978-3-644-00956-1
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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«Ihr letzter Termin ist hier, Mr. Gaines.»
Xavier riss den Blick von seinem Monitor los und drückte den Sprechknopf des Telefons auf seinem Schreibtisch, aus dem die blecherne Stimme seiner Sekretärin erklungen war. «Bitte schicken Sie sie in fünf Minuten herein.»
«Ja, Sir.»
In fünf Minuten würde endlich das Treffen stattfinden, auf das er bereits seit der Terminvereinbarung vor einigen Wochen hinfieberte. Im Grunde sogar noch länger, wenn man das letzte Jahr mitzählte, seit er sie auf dieser Wohltätigkeitsgala gesehen hatte. Er hatte auf eine Lücke in ihrem Terminplan warten müssen, bevor sie bereit gewesen war, sich überhaupt mit ihm zu treffen. Und dafür hatten seine Angestellten sich mächtig ins Zeug legen müssen.
Nervös stand er von seinem Schreibtisch auf und ging zur Fensterwand seines Büros im obersten Stockwerk eines Hochhauses im Bankenviertel von San Francisco. Gaines Industries gehörte zu den vielen Fortune-500-Firmen, die ihren Sitz in den sterilen Wolkenkratzern in dem Gebiet östlich der Kearny Street hatten. Die Dämmerung brach gerade herein und tauchte die Bucht in der Ferne durch einen Nebelschleier in pinkes und purpurnes Licht. Anders als in vielen anderen Großstädten, wo der Finanzdistrikt nach Feierabend verwaiste, blieb das historische Bankenviertel von San Francisco lebendig, dank all der Restaurants, Bars, Cafés und Bäckereien hier. Das liebte Xavier am meisten daran, hier zu leben. Geschäft traf Vergnügen. Die Stadt besaß … Persönlichkeit.
Die phantastische Aussicht half ihm nicht, seine Nerven zu beruhigen. Sein Magen verkrampfte sich vor Anspannung, und da er allein war, rieb er sich den Bauch. Die meisten Menschen hätten niemals vermutet, dass er unter seinem Tausend-Dollar-Anzug einfach nur ein Computernerd war, der darum kämpfte, seinen Platz in der Welt zu finden. Seine Angestellten nannten ihn «Iceman», und die Medien hatten ihn in die Schublade «berechnend und mysteriös» gesteckt. Auch wenn seine Firma gut dastand und Millionen abwarf, lief doch nicht alles so reibungslos, wie er es sich vorstellte. Im letzten Quartal hatten die Aktien fünf Prozent an Wert verloren. Das Ende seiner kurzen Beziehung mit dem aufstrebenden Model Pamela Squire hatte zudem an seinem Image gekratzt, vor allem die Dinge, die sie über ihn gesagt hatte – in aller Öffentlichkeit. Das war das Ergebnis, wenn er jemandem auch nur ein bisschen vertraute – er wurde als kaltherziger Schlipsträger und emotional verkümmert beschrieben.
Der rein geschäftlichen Seite seines Lebens war er gewachsen, den sozialen Aspekten nicht so sehr. Unglücklicherweise liefen Wirtschaft und Public Relations immer Hand in Hand.
Und genau aus diesem Grund brauchte er Peyton Smoke. Es war immens wichtig, sie davon zu überzeugen, den Job anzunehmen und ihm zu helfen – besonders weil nächsten Monat die Verhandlungen über die Regierungsaufträge anstanden. Allein bei dem Gedanken daran, wie viel Medienaufmerksamkeit dieses Geschäft hervorrufen würde, bekamen seine Magengeschwüre Magengeschwüre.
«Miss Smoke ist hier, um Sie zu sehen, Mr. Gaines.»
Xavier wandte sich vom Fenster ab, um seine Sekretärin anzuschauen, doch sein Blick glitt einfach über Fern hinweg zu … ihr.
Peyton Smoke war mit den Jahren nur noch schöner geworden. Sie hatten einander seit der Highschool nicht mehr gesehen – ließ man den kurzen Blick außer Acht, den er bei der Gala letztes Jahr auf sie erhascht hatte. Langes, champagnerblondes Haar fiel bis über ihre Schultern. Das hellblaue Kostüm betonte ihre schlanke Silhouette, und ihr Outfit war zwar sexy, sagte ihm aber zugleich, dass sie keine halben Sachen machte. Wenn er sich richtig erinnerte – und das tat er –, waren die Augen hinter der geschäftsmäßigen schwarz umrandeten Brille himmelblau. Ihre Haut wirkte immer noch so hell und zart wie damals, mit nur einem Hauch von Pfirsich auf den Wangen. Auf ihren sündhaft roten Lippen lag ein höfliches Lächeln. Eilig sah er Fern an, weil sein Herz zu rasen begann.
Seine Sekretärin war Mitte fünfzig und trug ihre wilden braunen Locken unordentlich hochgesteckt. Er hatte den gesamten Tag noch nicht bemerkt, dass sie eine einfache graue Stoffhose mit einer farblich passenden Bluse trug. Es irritierte ihn, dass ihm Ferns Kleidung nun auffiel – und er sie zudem mit Peytons elegantem Outfit verglich.
Xavier räusperte sich. «Das wäre dann alles, Fern, vielen Dank. Sagen Sie allen, dass sie Feierabend machen können.»
«Ja, Sir.» Sie senkte den Blick auf den Boden, verließ den Raum und schloss die Tür hinter sich.
Die meisten seiner Angestellten hatten Probleme, Xavier in die Augen zu sehen. Ihn interessierte das nicht besonders, doch Peyton hatte es anscheinend registriert, da sie leicht irritiert die Augenbrauen hochzog.
«Miss Smoke, danke, dass Sie gekommen sind. Setzen Sie sich doch.»
Er ging zu seinem Stuhl und verschränkte die Hände auf dem Schreibtisch, um nicht nervös mit den Fingern auf die Tischplatte zu trommeln. Er hatte die letzten Jahre hart daran gearbeitet, sich diesen Tick abzugewöhnen.
Sie sah sich kurz in seinem Büro um, bevor sie auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz nahm.
Er fragte sich, welchen ersten Eindruck sie wohl gewonnen hatte. Eilig schaute auch er sich um und versuchte, den Raum durch ihre Augen zu sehen. Er hatte vor ein paar Jahren einen Innenarchitekten beauftragt und dem Mann vollkommen freie Hand gelassen. Daher waren die Möbel in der Sitzecke am anderen Ende des Raums mit schwarzem Leder bezogen, die Tische bestanden aus Eisen und Glas, der Teppich war in kühlem Grau gehalten und sein Schreibtisch aus schwarzem Walnussholz. Die Bilder an den Wänden zeigten abstrakte Farbkleckse ohne jede Persönlichkeit. Wahrscheinlich wirkte sein Büro genauso gefühlskalt und unpersönlich, wie er selbst gerne in den Medien dargestellt wurde.
«Es ist schön, dich wiederzusehen. Du hast dich ziemlich verändert.» Sie tippte sich an die Schläfe. «Du bist deine Brille losgeworden, und ich habe eine bekommen. Und du wirkst so erwachsen.»
Nun, ein Wachstumsschub im College, gefolgt von unzähligen Stunden im Fitnessstudio, dazu ein paar Kontaktlinsen … all das zusammengenommen hatte den dürren Jungen aus der Highschool, der ständig gemobbt worden war, in einen Mann verwandelt, der sich behaupten konnte. Die Veränderungen hatten nicht über Nacht stattgefunden, aber für Peyton mussten sie überraschend sein.
Er nickte und konzentrierte sich auf die dünne Goldkette um ihren Hals. Ein kleiner Anhänger in Form eines Schlüssels lag in der Kuhle zwischen ihren Schlüsselbeinen.
«Ich war mir nicht sicher, ob du dich an mich erinnerst.»
Der fünfzehnjährige Xavier Gaines war kein Junge gewesen, den die Leute bemerkten – wenn sie nicht gerade auf ihm herumtrampelten, um sich überlegen fühlen zu können.
«Natürlich erinnere ich mich. Du hast mich unbeschadet durch Geometrie und Algebra gebracht.» Ihr Tonfall war so weich und geschmeidig wie die weiße Seidenbluse unter ihrem Jackett. In der Highschool hatte sie die Fähigkeit besessen, fast alles von den Leuten zu bekommen, was sie wollte, nur indem sie ihre Stimme geschickt einsetzte.
Und natürlich erinnerte sie sich an ihren Matheunterricht. Aber an ihn? Xavier hatte nie vergessen, dass sie die Einzige gewesen war, die damals für ihn eingetreten war und ihm in der Cafeteria einen Platz an ihrem Tisch angeboten hatte. Dieses mutige Verhalten hätte sie zu einer Ausgestoßenen machen können, doch stattdessen hatten alle Peyton geliebt. Es war den Leuten schwergefallen, nicht in ihre Umlaufbahn gesogen zu werden.
Er verschränkte die Finger fester, um sich unter ihrem direkten Blick nicht zu winden. «Ich bin mir ziemlich sicher, dass du es auch ohne meine Hilfe geschafft hättest.»
Das Grinsen, das auf ihrem Gesicht erschien, raubte ihm den Atem. «Du unterschätzt dich, Mr. Killer-IQ. Du hast eine App, die du in einem Studentenzimmer entwickelt hast, für fünfzig Millionen Dollar verkauft. Und ich meine mich zu erinnern, dass du auch als einer der begehrenswertesten Junggesellen an der Westküste gelistet wirst. Ich glaube, das war im People Magazine, richtig? In dem Artikel stand, dass dein unglaublich gutes Aussehen und dein Hirn deinen Mangel an Charme ausgleichen würden. Und dass die richtige Frau dich eines Tages schon ‹auftauen› würde.»
Er biss genervt die Zähne zusammen. «Da hat jemand gründlich recherchiert.»
Sie legte den Kopf schief. «Ich lese den Alumni-Newsletter unserer alten Highschool.» Sie schürzte die Lippen. «Und das Wall Street Journal, die New York Times, bla, bla, bla. Also, hast du mich herbestellt, um über alte Zeiten zu reden, oder ist das ein geschäftlicher Termin?»
Seltsamerweise verspürte er plötzlich den Drang zu lächeln – was deswegen ungewöhnlich war, weil er sich normalerweise in der Gegenwart anderer Menschen nicht wohlfühlte und sich nicht erinnern konnte, wann er das letzte Mal gelächelt hatte. «Ein bisschen von beidem, um ehrlich zu sein.» Sie musste sein Angebot unbedingt annehmen, und so langsam bekam er den Eindruck, dass er jemanden wie sie nicht überzeugen konnte, solange sich ein Schreibtisch zwischen ihnen befand. «Hast du schon Pläne fürs Abendessen?»
Sie drückte sich eine Hand zwischen die Brüste – die er vergeblich zu ignorieren versucht hatte, nachdem sie sich seit der Highschool offensichtlich weiterentwickelt hatten – und keuchte theatralisch.
«Bittet der berühmte Mr. Gaines mich gewöhnliche kleine Person etwa um meine Begleitung?»
In diesem Moment sah er wieder einen der Gründe bestätigt, warum er sie so dringend brauchte: Sie besaß die Fähigkeit, jeder Person in ihrer Umgebung das Gefühl zu geben, sie wäre wichtig. In seiner Welt konnte das einen Geschäftsabschluss ermöglichen oder verhindern.
«Ja. Und wieso diskutieren wir den Rest nicht bei einem Essen?»
Sie musterte ihn einen Moment lang eindringlich. «Das hängt davon ab. Gehen wir in ein schickes Restaurant, wo ich die Namen der Gerichte nicht mal aussprechen kann, oder reden wir von richtigem Essen?»
Für einen Moment erlaubte er sich den Anflug eines Lächelns. Laut der Informationen, die er über sie eingeholt hatte, sprach sie fließend Schwedisch und Französisch und konnte sich im Fall des Falles auch auf Italienisch in einem Gespräch behaupten. Sprachen waren nie ihr Schwachpunkt gewesen. In der Highschool hatte sie sich sehr für das Fach Englisch begeistert, besonders für englische Poesie. Ziemlich oft hatte er sie in der Bibliothek gesehen, wie sie in einem Buch las.
Er stand auf. «Wir können überall hingehen, wo du möchtest.»
Sie stand ebenfalls auf und griff nach ihrer Handtasche, die zu ihren schwarzen High Heels passten. Allein deren Anblick verursachte ihm schon Schmerzen in den Knöcheln. Wie Frauen sich in diesen Folterinstrumenten bewegen konnten, ging über seinen Verstand.
«Bitte, nach dir.»
Ihr abschätzender Blick wanderte durch die obere Lobby, als sie zu den Liften gingen. Er vermutete, dass sie auch hier von dem effizienten Dekor nicht besonders beeindruckt war.
Sobald die Aufzugtüren sich hinter ihnen geschlossen hatten, drang in dem beengten Raum ihr Parfüm an seine Nase: leicht und luftig, mit einem Hauch von Beeren, Pfirsich und Moschus. Ein subtil sinnlicher Duft, Peyton nicht unähnlich. Der Duft hatte einen blumigen Unterton, und die Neugier löste seine Zunge.
«Ich mag dein Parfüm.» Verdammt. Zu reden, ohne vorher gründlich über seine Worte nachzudenken, entsprach eigentlich nicht seinem Charakter. Im Grunde galt das für jede Form von unnötigen Gesprächen. Xavier drückte den Knopf für die Lobby und vergrub die Hände in den Hosentaschen.
«Vielen Dank. Das ist Mon Paris von Yves Saint Laurent. Es wird aus einer exotischen weißen Blüte namens Datura hergestellt. Etwas geläufiger ist vielleicht der Name Stechapfel. Ich fand das faszinierend.»
Amüsiert starrte er die rückwärts laufenden Zahlen über der Tür an. «Du hast ein Parfüm nach den Inhaltsstoffen ausgesucht?»
«Na ja, deswegen, und es roch toll.» Sie musterte ihn aus dem Augenwinkel. «Und der Flakon ist hübsch.»
Ein überraschtes Lachen entschlüpfte seiner Kehle. Er würde darauf achten müssen, in ihrer Umgebung wachsam zu bleiben.
«Ah, also ist er doch kein Gletscher.» Ihr neckender Tonfall passte zu dem Glitzern in ihren Augen.
Er brummte. «Offensichtlich hast du auch den Forbes-Artikel gelesen. Ich glaube, die genauen Worte lauteten: so eiskalt wie ein Gletscher in Grönland.»
«Fühl dich deswegen nicht schlecht. Sie haben auch geschrieben, du seist auf kryptische Weise brillant.»
«Du hast ein gutes Gedächtnis.» Dieser Artikel war vor zwei Jahren erschienen, als er nach dem Verkauf seiner Software-App Gaines Industries gegründet hatte.
«Um genau zu sein, ist es fotografisch.» Sie zuckte mit den Achseln. «Und wenn mich etwas interessiert, dann schenke ich dem Aufmerksamkeit.»
Unsicher, ob er sich geschmeichelt fühlen oder lieber nervös werden sollte, weil sie ihn interessant fand, legte er eine Hand an ihr Kreuz, um sie aus dem Aufzug zu geleiten.
Sein Bodyguard erhob sich von seinem Stuhl in der unteren Lobby und knöpfte sein schwarzes Anzugjackett zu. «Bereit zum Aufbruch, Mr. Gaines?»
«Ja. Joseph Limerick, ich möchte dir Peyton Smoke vorstellen.» Xavier wandte sich an Peyton. «Joseph ist mein persönlicher Leibwächter und war früher beim Militär. In seiner Nähe bist du sicher.»
Xavier hatte Joseph am Tag nach der Eröffnung von Gaines Industries eingestellt und diese Entscheidung nie bereut. Der ehemalige Army Ranger war dreiunddreißig Jahre alt, körperlich fit, absolut wachsam und hatte eine wirklich angenehme Persönlichkeit. Außerdem setzte er Anordnungen gut um und hielt sich dezent im Hintergrund, wenn es nötig war. Laut Xaviers Ex Pamela war der Mann auch durchaus nett anzusehen. Sein glatt rasierter Schädel passte in gewisser Weise gut zu seinem scharf geschnittenen Gesicht mit den stechenden braunen Augen. Und er füllte seinen Anzug besser aus als Xavier.
Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte Peyton den Bodyguard von oben bis unten. «Muss ich mir in deiner Nähe Sorgen um meine Sicherheit machen, Xavier?»
«Nicht, solange Joseph dabei ist. Auch wenn es ein paar Drohungen gab, ist seine Anwesenheit überwiegend eine Vorsichtsmaßnahme.»
Peyton verdrehte die Augen und lächelte, als amüsierte sie sich über ihn.
Okay. «Du hast das als Witz gemeint.» Er vergrub die zu Fäusten geballten Hände wieder in den Hosentaschen.
«Ja, hatte ich.» Sie streckte dem Bodyguard die Hand entgegen. «Schön, Sie kennenzulernen. Danke, dass Sie unserem Land gedient haben.»
Joseph schüttelte ihre Hand und verbeugte sich leicht. «Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Wohin soll es gehen?»
«Zum Abendessen.» Xavier räusperte sich. «Bist du mit dem Auto hier, Peyton?»
«Nein, ich bin mit dem Taxi gekommen.»
Er nickte. «Dann nehmen wir meines. Ich kann dich hinterher zu Hause absetzen.»
Sie gingen zu Xaviers am Straßenrand wartendem Wagen. Sofort öffnete sein Fahrer die Hintertür für sie. Die Luft war angenehm kühl und feucht für August, da von der Bucht her ein salziger Wind wehte. Xavier bedeutete Peyton, zuerst einzusteigen, doch stattdessen wandte sie sich seinem Fahrer zu, die Tür zwischen ihnen.
Sie legte eine Hand auf seinen Arm. «Wie heißen Sie?»
Die dunkle Haut des Mannes mittleren Alters erblasste leicht, und er senkte den Blick. Xaviers Angestellte waren nicht daran gewöhnt, dass seine Gäste direkt mit ihnen sprachen. «Archie Shift, Miss.»
«Ich freue mich, Sie kennenzulernen.» Sie tätschelte seine Hand, bevor sie auf den Rücksitz glitt.
Ein kurzes Lächeln huschte über Archies Gesicht, und schon nach einer Drittelsekunde war klar, dass auch Xaviers Fahrer Peytons Zauber verfallen war. Ein kurzer Blick auf Josephs Grinsen verriet, dass es seinem Bodyguard genauso ergangen war.
Mit einem Kopfschütteln stieg Xavier hinter ihr ein.
Sie landeten auf ihren Vorschlag hin in einer Pizzeria – ausgerechnet. Ein schneller Blick über die Ziegelwände und die einfachen Sitznischen bestätigte Xaviers Befürchtung, dass er hier vollkommen fehl am Platz war. Der köstliche Duft von Knoblauch und Tomatensoße erinnerte ihn allerdings daran, dass er nichts zu Mittag gegessen hatte. «Ich bin für dieses Lokal ein wenig overdressed.»
Noch im Türrahmen musterte Peyton ihn von oben bis unten. Bevor Xavier wusste, wie ihm geschah, hatte sie ihm das Jackett ausgezogen, seine Krawatte gelöst und die Ärmel seines Hemds bis zu den Ellbogen aufgerollt.
Sie nickte und hängte ihm sein Jackett über den Arm. «Besser.»
Dann setzten sie sich an einen Tisch. Xavier ließ sie bestellen, dann starrte er erneut auf ihre Kette. Etwas zu haben, worauf er sich konzentrieren konnte, half ihm, die Ruhe zu bewahren. Er fragte sich, von wem sie den Anhänger wohl bekommen hatte. Wahrscheinlich von ihrem verstorbenen Verlobten. Durch Bekannte hatte Xavier von Marks Selbstmord im letzten Jahr erfahren. Er hatte den Mann nie kennengelernt, aber Mark hatte mit Peytons Bruder Brian im Irak gedient. Mark hatte sich nur wenige Monate nach Brians Tod im Dienst das Leben genommen. Peyton war von ihrem Bruder aufgezogen worden, nachdem ihre Eltern im dritten Highschool-Jahr bei einem Autounfall ums Leben gekommen waren. Damit besaß sie nun gar keine Familie mehr.
Niemand – besonders nicht jemand, der so offen und freundlich war wie Peyton – sollte von so viel Dunkelheit umgeben sein. Und man hätte bei ihrem Anblick auch niemals etwas davon geahnt.
Als ihre Blicke sich begegneten, machte sich sein Mund erneut selbständig. Verdammt, ihre Augen hauten ihn immer noch um wie ein Schlag auf den Solarplexus. «Es hat mir sehr leidgetan, als ich das von Brian und Mark gehört habe.»
Sie starrte für einen Moment auf die Tischplatte, dann nickte sie langsam. «Danke dir. Die Arbeit hat mich abgelenkt.» Sie spielte an ihrem Kettenanhänger herum, dann lächelte sie. «Wie geht es deinen Eltern?»
«Sehr gut, vielen Dank.» Xavier hatte ein gutes Verhältnis zu seinen Eltern, doch er besuchte sie nicht oft. Seine Mutter mochte die Vorzeigefrau eines karriereorientierten Firmenanwalts gewesen sein, doch sein Vater liebte sie über alle Maßen. «Dad geht nächstes Jahr in den Ruhestand.»
«Wie schön für ihn.» Peyton lächelte. «Also», sagte sie dann mit einem leisen Seufzen. «Was möchtest du mit mir besprechen?»
Ach ja. Das. Seine Nackenmuskulatur verspannte sich. «Ich will dir einen Job anbieten.»
Wieder schossen ihre Augenbrauen nach oben. «Ich habe bereits einen.»
«Ich weiß.» Sie gehörte seit seiner Wahl vor drei Jahren zum Team von Bürgermeister Harrison. «Stimmt es, dass Harrison sich um einen Sitz im Senat bewerben will?»
Ihr strahlendes Lächeln bekam eine verschlagene Note. «Das kann ich weder bestätigen noch dementieren.»
Er konnte einfach nicht anders – er lächelte. «Wirst du bei ihm bleiben, wenn er das durchzieht?»
«Der Job wurde mir angeboten. Warum? Wie sieht dein Angebot aus?» Sie stützte ihr Kinn in die Hand, als diskutierten sie ein völlig harmloses Thema – wie süße Katzenbabys. Das war ihre große Gabe. Sie bekam die Leute an den Haken und holte sie gemächlich ein – und ihre Beute wünschte sich das auch noch.
Xavier beschloss, ihr erst einen Überblick über die Hintergründe zu verschaffen, und trank einen Schluck Wasser, um ein wenig Zeit zu gewinnen.
«Ich bin mir nicht sicher, wie viel du über Gaines Industries weißt, aber bisher haben wir uns hauptsächlich auf Apps, Geräte und Software für den privaten Sektor konzentriert. Im Stillen haben wir allerdings noch ein weiteres Standbein aufgebaut – für das Militär. Es geht dabei um zahlreiche Projekte, von der Nachverfolgung heimgekehrter Veteranen, um ihnen bessere medizinische Nachsorge zukommen zu lassen, bis hin zu zielgenaueren Waffen, um Kollateralschäden zu vermeiden. Mir bietet sich die Möglichkeit, einen Zehn-Jahres-Vertrag mit dem Militär abzuschließen, wenn die Verhandlungen zu unserer Zufriedenheit verlaufen.»
«Wow.» Peyton richtete sich auf. «Damit würde die Firma in eine ganz andere Liga aufsteigen.»
«In der Tat.» Er runzelte die Stirn. «Doch es gibt ein paar interne Probleme auf meiner Seite. Es wurden Bedenken zu meinen Motiven geäußert. Du hast gelesen, wie ich in den Medien dargestellt werde … und nachdem Regierungsverträge immer viel Aufmerksamkeit hervorrufen, zögern sie, sich mit jemandem einzulassen, der keine Gefühle und keine Persönlichkeit besitzt und zudem unfähig ist, in der Öffentlichkeit souverän aufzutreten. Gaines Industries wäre der Hauptansprechpartner für die Projekte, während wir gleichzeitig unsere aktuellen Geschäftsfelder fortführen.» Er hielt inne. «Ich bin zu … steif.»
Sie schürzte die Lippen und trommelte nachdenklich mit den Fingern auf den Tisch. «Du brauchst eine bessere PR-Managerin.»
«Und da kämest du ins Spiel. Bisher kümmert sich eine Agentur für uns um Pressemeldungen und Ähnliches, doch die wäre diesen neuen Ausmaßen nicht gewachsen.»
Der Kellner brachte das Essen und ging wieder. Peyton legte auf jeden Teller ein Stück Pizza, dann aßen sie für eine Weile schweigend. Xavier könnte förmlich sehen, wie sich die Zahnräder in ihrem Kopf drehten, also hielt er den Mund.
Sobald sie eineinhalb Stücke gegessen hatte, schob sie ihren Teller zur Seite. «Ich hätte da schon ein paar Ideen, doch vorher muss ich wissen, was genau du dir vorstellst.»
Erleichtert, dass sie sein Angebot nicht rundweg abgelehnt hatte, legte er seine Serviette neben den Teller.
«Mein Wissen über PR passt auf einen Stecknadelkopf. In Hinsicht auf die Firma brauche ich jemand für das interne Klima, der die Angestellten bei Laune hält, die Moral verbessert, Ideen auslotet, solche Dinge eben. Nach außen hin muss ich einen Weg finden … weniger kalt zu erscheinen, nehme ich an. Wie du das anstellen willst, bleibt dir überlassen. Davon abgesehen müsstest du dich um alles kümmern, was mit der Presse zu tun hat, und wärst dafür auch allein verantwortlich: Events, Pressemitteilungen, öffentliche Auftritte.»
Sie rückte ihre Brille zurecht und starrte nachdenklich über seine Schulter ins Leere.
Sein Magen verkrampfte sich. «Ich weiß, dass das viel Verantwortung ist und ich eine Menge Arbeit brauche …»
«Das ist es nicht.» Sie wedelte mit ihrer zarten Hand, um seinen Kommentar abzutun. «Das Jobprofil entspricht mehr oder minder den Aufgaben, die ich jetzt bereits für Harrison übernehme, lediglich in einer anderen Größenordnung.»
Er nickte. «Was stört dich dann?»
Sie öffnete zweimal den Mund und schloss ihn wieder, bevor sie ihre Gedanken schließlich in Worte fasste.
«Zugegeben, Politik ist nicht der Bereich, in dem ich landen wollte, als ich meinen Abschluss in Marketing gemacht habe. Doch Harrison und ich haben von Anfang an gut miteinander harmoniert, und dasselbe gilt für seine Frau.»
Oh, zur Hölle. Er war das Problem. Xavier «harmonierte» mit niemandem. Wenn er nicht mal jemanden wie Peyton dazu bringen konnte, sich in seiner Nähe einigermaßen wohlzufühlen, dann steckte er in Schwierigkeiten. Allein der Gedanke, jemand anderen für die Position anwerben zu müssen, sorgte schon dafür, dass ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat. Verzweifelt versuchte er, eine Lösung zu finden.
«Dürfte ich fragen, warum du dich ausgerechnet für mich entschieden hast?»
Er hob den Blick und sah sie an. Natürlich rettete sie ihn, indem sie ihm die bestmögliche Frage stellte. «Du hast einen perfekten Lebenslauf. Deine Fähigkeit, dass sich die Leute in deiner Nähe entspannen, ist genau das, was ich brauche. Du hast Erfahrung in allen Bereichen, die mir wichtig sind.» Er stieß langsam den Atem aus, dann ballte er die Hände zu Fäusten, um sich nicht frustriert den Nacken zu reiben.
«All das könntest du auch bei jemand anderem finden, wenn du die Bewerber vorher genau auswählst.» Ihr Blick huschte über sein Gesicht. «Ich …»
«Du musst deine Entscheidung nicht jetzt sofort treffen. Schlaf eine Nacht darüber, und vielleicht könnten wir uns morgen noch einmal treffen. Ich könnte dich in der Firma herumführen und dir alles genauer erklären.» Er schloss die Augen und bemühte sich, seinen Kiefer zu entspannen, bevor er erneut ihren Blick einfing. Ganz oder gar nicht. «Soll ich dir die Wahrheit verraten, Peyton? Ich vertraue dir. Und die Leute, von denen ich das behaupte, kann ich an einer Hand abzählen. Du kanntest mich bereits, bevor ich zum Millionär geworden bin. Du warst nett zu mir, als du es nicht hättest sein müssen. Du bist genau die Person, die ich an meiner Seite brauche.»
Geschafft. Himmel, er fühlte sich, als hätte er sich eine Schlagader aufgeschlitzt.
Ein langsames Lächeln verzog ihre Lippen, und gleichzeitig bildete sich eine kleine Falte zwischen ihren Brauen. «Wir sehen uns morgen. Dein Büro, vier Uhr.»
Peyton hielt auf ihrem Fußweg zu Xaviers Büro an einem Kaffeestand an, um sich eine dringend benötigte Ladung Koffein zu besorgen. Die Grübelei über sein Jobangebot hatte sie die gesamte Nacht wach gehalten, und der Nachmittag hatte sich gezogen wie Kaugummi.
Sie atmete tief die salzige, feuchte Luft von der San Francisco Bay ein und lächelte, während sie an anderen Passanten vorbeischlenderte. Im Financial District traf man sowohl auf Geschäftsleute als auch auf Touristen, und Peyton genoss das emsige Treiben. Durch die Restaurants, Läden und Hochhäuser herrschte hier eine einzigartige Atmosphäre. Das Sonnenlicht drang durch die dünne Wolkendecke, und sie beschleunigte ihre Schritte. Es war ein wunderschöner Tag. Sie hatte die Arbeit heute früher verlassen, um sich mit Xavier zu treffen, aber danach hatte sie den Abend frei. Sie plante ein Date mit ihrer Couch und Thor, mit freundlicher Hilfe von Netflix. Vielleicht würde sie sogar einen flotten Dreier daraus machen, indem sie der Gleichung noch Schokolade von Ghirardelli hinzufügte.
Xaviers Angebot hatte sie unvorbereitet getroffen, doch es hätte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen können. Harrison wollte nächste Woche seine Kandidatur für den Senat bekannt geben, also hieß es jetzt oder nie, wenn sie ihren Absprung plante. Sie hatte unglaublich gerne für Harrison und seine Frau gearbeitet, und ihr Job war immer sicher gewesen, doch Politik war einfach nicht ihr Ding. Der mögliche Regierungsvertrag von Gaines Industries war jedoch ein Projekt, für das sie sich begeistern konnte – besonders wenn damit verletzten Veteranen geholfen wurde.
Für einen Moment erschien Brians Gesicht vor ihrem inneren Auge, und ihr Magen verkrampfte sich. Sie vermisste ihren älteren Bruder jeden Tag. Sein Tod hatte sie ohne Familie zurückgelassen, doch er war im Einsatz gestorben und hatte getan, was er liebte. Die Erinnerung an Mark dagegen sorgte dafür, dass ihre Kehle eng wurde. Ihr verstorbener Verlobter hatte mit Brian gedient, doch nach zwei Einsätzen hatte er das Militär verlassen. Schwere Depressionen, gepaart mit einem leichten Fall von PTBS, hatten zu seinem Selbstmord geführt. Sie kämpfte bereits seit einem Jahr mit seiner Entscheidung, und an manchen Tagen fiel es ihr immer noch schwer, überhaupt das Bett zu verlassen. Schuldgefühle überfielen sie zu den ungünstigsten und seltsamsten Zeiten.
Gott, sie hätte mehr tun und sich bewusster machen müssen, wie schlecht es ihm ging. Doch er hatte sie nicht mehr an sich herangelassen, hatte keine Hilfe angenommen, sondern sich stattdessen in sich selbst zurückgezogen. Und dann hatte er sich eine Kugel in den Kopf geschossen, während sie gerade auf einer Pressekonferenz war.
Peyton atmete einmal tief durch und verdrängte den Schmerz. Sie konnte die Vergangenheit nicht ändern und Mark auch nicht zurückholen. Daher war Xaviers Angebot ideal. Ein Projekt, das ihr am Herzen lag und das sie nur zu gerne unterstützen wollte.
Xavier Gaines dagegen, als Mann jenseits seiner Firma, ließ Warnglocken in ihrem Kopf schrillen. Sicher, sie hatte ihn in der Highschool gekannt, und gestern Abend hatte sie einen kurzen Blick auf den Mann erhascht, der sich hinter der Fassade versteckte. Aber sie war sich immer noch nicht hundertprozentig sicher, ob es eine gute Idee war, für ihn zu arbeiten. Für Peyton war es unerlässlich, eine Verbindung zu den Menschen aufzubauen. Private PR bedeutete, in den Kopf ihres Klienten einzudringen, massenweise Zeit miteinander zu verbringen und quasi dieselbe Luft zu atmen.
Nachdem sie sich gestern Nacht stundenlang im Bett hin und her gewälzt hatte, hatte sie beschlossen, Xavier heute besser kennenzulernen und dann weiterzusehen. Während der Führung durch die Firma wollte sie ein Gefühl für ihn bekommen. Sie würde ihm ihre Ideen präsentieren, einen Schlachtplan entwerfen, seine Reaktionen beobachten und sich dann von ihrem Bauchgefühl leiten lassen.
Sie bekam das, was Xavier gestern gesagt hatte, nicht mehr aus dem Kopf – dass er ihr vertraute und sie nett zu ihm gewesen war, bevor er zu Reichtum gelangt war. Die Verletzlichkeit in seinen Augen, als er das gestanden hatte, hatte sie getroffen wie ein Schlag gegen die Brust.
Sie stoppte vor ihrem Ziel, warf ihren Becher in den Müll und sah zu der weißen Hochhausfestung auf. Der Schriftzug Gaines Industries zog sich in leuchtend blauen Druckbuchstaben über der Tür entlang. Und sie wusste durch die Aussicht aus ihrem jetzigen Büro, dass derselbe Schriftzug in größeren Lettern auch auf dem Dach prangte. Das Gebäude selbst war nicht so hoch wie ein paar andere in der Umgebung, doch zwanzig Stockwerke waren auch nicht gerade klein.
Sie warf sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund, um den Kaffeeatem zu verscheuchen, dann zog sie die Tür auf und betrat das Hochhaus. Sie identifizierte sich gegenüber der Security und bekam einen Gästeausweis. Als sie zu den Aufzügen ging, fiel ihr ein weiteres Mal auf, wie steril und unpersönlich der Eingangsbereich wirkte. Doch das war ein Thema für später. Sie fuhr mit dem Lift ins oberste Stockwerk und meldete sich am Empfang.
«Mr. Gaines meinte, Sie sollen direkt durchgehen, wenn Sie kommen. Erinnern Sie sich, wo es langgeht?»
Peyton lächelte. «Ja, das tue ich. Vielen Dank, Fern.»
Die Sekretärin blinzelte, als wäre sie überrascht, dass Peyton sich an ihren Namen erinnerte. «Gern geschehen.»
Peyton ging an einem Konferenzraum vorbei den Flur entlang. Es gab nur ein weiteres Büro auf diesem Stockwerk – gegenüber dem von Xavier –, das unbesetzt zu sein schien. Das leise Brummen seiner Stimme erregte ihre Aufmerksamkeit, und sie trat in den Türrahmen seines Büros. Er lehnte am Schreibtisch, den Blick auf das Stadtpanorama hinter der Glaswand gerichtet, mit dem Rücken zu ihr und einem Telefon am Ohr.
Da Xavier gerade beschäftigt war, wartete Peyton auf der Türschwelle und beobachtete ihn bei der Arbeit. Himmel, er hatte sich wirklich gut entwickelt. Verschwunden war der schlaksige Junge, auf dem ständig herumgehackt worden war. Damals hatte sie versucht, sich auch außerhalb der Nachhilfe mit ihm anzufreunden. Doch sie hatte nicht überall gleichzeitig sein können und vermutete stark, dass die anderen Kinder ihn oft grausam behandelt hatten. Diese Schulhoftyrannen würden ihr Verhalten bitter bereuen, wenn sie ihn heute sehen könnten.
Mit einem Meter achtzig Körpergröße war er ein ganzes Stück größer als sie mit ihren knapp ein Meter siebzig – wenn sie hohe Absätze trug. Seine Schultern waren breit und füllten den Anzug wunderbar aus. Schmale Hüften, große Hände, kastanienbraunes, dichtes Haar, das er an den Seiten kurz trug. Sie bildete sich ein, unter seinem gebügelten weißen Hemd sehnige Muskeln zu erkennen. Er hatte den Körperbau eines Läufers.
«Ich werde Ihnen von der Buchhaltung einen Bericht zusenden lassen.» Er hielt inne. «Tatsächlich arbeite ich gerade daran. Ich habe gleich ein Meeting …» Er schaute auf die Uhr, dann sah er über die Schulter zurück, als hätte er ihre Anwesenheit gespürt. Ihre Blicke trafen sich, und Xavier richtete sich langsam auf. «Eigentlich habe ich das Meeting genau jetzt. Ich werde Ihnen bis nächste Woche ein Update zukommen lassen. Vielen Dank.» Er stellte das Telefon auf die Station, ohne sie auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. An seinem Kiefer zuckte ein Muskel.
In der Highschool hatte seine Brille die Ausdrucksstärke seiner goldbraunen Augen verborgen. Ohne dieses Hindernis wirkte sein Blick gleichzeitig eindringlich und unnahbar. Innerlich fächelte Peyton sich Luft zu. Er könnte in seinem Kopf gerade quantenphysikalische Gleichungen lösen oder sie in Gedanken ausziehen – sie hätte den Unterschied nicht erkannt. So schwer war er zu lesen. Doch es war nervenaufreibend sexy, vollkommen im Fokus seiner Aufmerksamkeit zu stehen. Ein Kribbeln glitt über ihren Rücken.
«Peyton.» Das war nicht das erste Mal, dass er ihren Namen aussprach wie eine raue Liebkosung … und es schien sie jedes Mal mehr zu erschüttern. Sein Blick glitt über ihr aquamaringrünes Kleid bis zu ihren weißen Pumps und wieder nach oben, zu schnell, um ansatzweise anzüglich zu wirken. Er räusperte sich. «Komm doch bitte herein.»
Lächelnd trat sie vor, bis sie vor seinem Schreibtisch stand. Ihre Erregung sperrte sie entschlossen in eine Kiste. Eine mit mehreren Vorhängeschlössern.
Er griff noch einmal nach dem Telefon und drückte eine Taste. «Bitte bestellen Sie …» Er sah Peyton an. «Magst du chinesisches Essen?» Auf ihr Nicken hin sprach er wieder ins Telefon. «… etwas vom Chinesen, für in einer Stunde. Wenn das Essen geliefert wurde, können Sie für heute Feierabend machen.» Plötzlich schloss er die Augen. «Nein, ich bin nicht krank. Ja, ich bin mir sicher. Ich werde Miss Smoke eine Führung geben …» Er massierte sich den Nasenrücken. «Allein, ja. Bitte stellen Sie keine Anrufe durch. Danke.»
Peyton biss sich auf die Lippe, um nicht zu grinsen. Sie bezweifelte stark, dass er diese frustrierten Ticks vielen Leuten offenbarte. Er bekam Bonuspunkte dafür, dass er Fern nicht anraunzte und immer Bitte und Danke sagte.
«Ich schließe daraus, dass es eher ungewöhnlich ist, dass Xavier Gaines mögliche neue Angestellte persönlich herumführt?»
Er atmete einmal tief durch, den Blick auf den Schreibtisch gerichtet – was sie als den Versuch deutete, sich zu sammeln. «Ja, es ist sehr ungewöhnlich. Aber ich würde dich lieber persönlich herumführen. Es sei denn …?»
«Mir wäre das ebenfalls lieber.» Sie lächelte entspannt, als er sie ansah, eine kleine Falte zwischen den Brauen. Nicht zum ersten Mal drängte sich ihr das Gefühl auf, dass seine sorgfältige Selbstkontrolle nur eine Fassade war, hinter der sich etwas ganz anderes verbarg. Hin und wieder, für kurze Momente, wirkte er absolut nicht wie der kalte, reiche Geschäftsmann, als der er in den Medien dargestellt wurde. «Sollen wir loslegen?»
Sie begannen im Erdgeschoss und arbeiteten sich langsam nach oben vor. Techniker, Programmierer und Ingenieure hatten mehrere Abteilungen nur für sich. Die Buchhaltung, die Rechtsabteilung und die Personalabteilung füllten einen Großteil der restlichen Stockwerke. Xaviers Angestellte fühlten sich in seiner Umgebung definitiv nicht wohl. Das war nicht zu übersehen, denn jedes Gespräch brach ab, sobald er sich näherte, und niemand sah ihm je in die Augen. Trotzdem kannte er einen Großteil der Namen, obwohl es mindestens vierhundert Angestellte sein mussten, und die Ausstattung der Büros war erstklassig. Es gab sogar eine Cafeteria und eine Kindertagesstätte im Gebäude sowie einen Medienraum. Xaviers Anweisungen waren klar und präzise, und es schwang Stolz in seiner Stimme mit, als er sie über die verschiedenen Aspekte der Firma aufklärte.
Das oberste Stockwerk lag still da, als sie zwei Stunden später dorthin zurückkehrten. Das Essen stand in Tüten auf dem Couchtisch in seinem Büro.
Xavier nahm ein paar der Behälter heraus. «Ich gehe kurz in die Küche, stelle das in die Mikrowelle und hole Teller. Was möchtest du gerne trinken?»
«Wasser reicht, vielen Dank.»
Mit einem Nicken verschwand er, um kurz darauf zurückzukehren. Er reichte ihr eine Flasche Wasser und eine Gabel. «Sie haben nur Stäbchen mitgeliefert.»
«Damit kann ich umgehen.»
Er zögerte kurz, dann schüttelte er fast unmerklich den Kopf. «Natürlich kannst du das.» Er deutete auf die Couch, dann setzte er sich neben sie. «Ich allerdings bin nicht so fähig wie du.» Er gab ein bisschen von allem auf ihren Teller und reichte ihn ihr. Im Anschluss lockerte er seine Krawatte, zog sein Jackett aus und rollte die Ärmel bis zu den Ellbogen auf, bevor er sich selbst auffüllte.
Ihr Blick blieb für einen Moment an den sehnigen Muskeln und den Haaren auf seinen Unterarmen hängen, dann starrte sie ihr Essen an.
«Danke fürs Abendessen.» Sie hatte mit einer Führung und Firmenpropaganda gerechnet, nicht mit einem informellen Zusammensein.
«Gern geschehen. Das ist das Mindeste, was ich tun kann, nachdem ich dich so lange aufhalte. Ich nehme an, wir haben eine Menge zu besprechen. Und um es gleich vorwegzusagen: Wenn du dich für Gaines Industries entscheidest, werde ich das Gehalt verdoppeln, das du jetzt verdienst, plus volle Gesundheitsleistungen. Zwei Wochen bezahlter Urlaub im Jahr. Der Job könnte auch Reisen beinhalten, die natürlich von der Firma bezahlt werden, dessen solltest du dir bewusst sein.»
Er griff nach einer Gabel, doch sie stoppte seine Bewegung, indem sie eine Hand auf seine legte.
Sie hatte damit gerechnet, dass er sie mit seinem Geld locken würde. Auch wenn das Gehalt alleine schon ausreichte, um ihr Herz schneller schlagen zu lassen, war Wohlstand doch nicht alles. Der erste Test? Xavier mochte ein Genie sein, doch sie wollte mit jemandem zusammenarbeiten, der offen dafür war, neue Dinge zu lernen und sich an Veränderungen anzupassen.
Sie stellte ihren Teller auf den Tisch und reichte ihm ein Paar Essstäbchen. «Tu mir den Gefallen und versuch es mal damit.»
Er musterte sie einen Moment lang, dann nickte er kurz.
Sie zeigte ihm, wie er die Stäbchen halten musste, indem sie seine Hand führte. Er runzelte die Stirn, doch seine Miene wirkte eher konzentriert als irritiert. Zusammen hoben sie ein Stück Schweinefleisch an seinen Mund. Ihre Blicke trafen sich. Seine vollen Lippen öffneten sich leicht, und er stieß einen zittrigen Atemzug aus. Wieder hatte sich ein Ziegel aus seinen Schutzmauern gelöst, und sie hätte schwören können, dass in seinem intensiven Blick sexuelles Interesse aufblitzte. Seine Augen schienen aus Whiskey und Feuer zu bestehen.
Einen Moment später schaute er wieder auf sein Essen und steckte sich das Schweinefleisch in den Mund, sodass der Blickkontakt abbrach. Xavier musste ein wenig mit den Stäbchen kämpfen, doch er wechselte nicht zurück auf die Gabel. Okay, also hatte er den ersten Test bestanden.
Peyton atmete einmal tief durch, bevor sie sich auf ihren eigenen Teller konzentrierte und das Ziehen in ihrem Unterleib ignorierte. Sie aßen schweigend, abgesehen von einem freundlichen Austausch über die Arbeitsverträge in seiner Firma. Die Gehälter waren gut, und er achtete auf eine jährliche Gehaltserhöhung.
Sie nahm einen Schluck Wasser und verschloss die Flasche wieder, während er den Tisch abräumte.
«Ich möchte dir ein paar Fragen stellen, die vielleicht etwas seltsam wirken könnten. Doch wenn ich dein Angebot annehmen soll, muss ich dich verstehen.»
Seine Mundwinkel hoben sich leicht zu einem Lächeln, das nicht wirklich ein Lächeln war, dann setzte er sich so auf die Couch, dass er sie ansehen konnte. «Mir ist es wirklich wichtig, dich für mich zu gewinnen, also schieß los.»
Sie zog die Schuhe aus, setzte sich in den Schneidersitz und verschränkte die Hände im Schoß. «Ich hoffe, du hattest keine Pläne für heute Abend. Wir werden noch eine Weile hier sein.»
Er stieß ein Schnauben aus, das wie ein halbes Lachen klang. «Ich gehöre ganz dir.»
«Hast du regelmäßig Verabredungen?» Als er sie nur anstarrte, erklärte sie: «Abgesehen von deiner kürzlichen Trennung von diesem Model kann ich mich nicht an Fotos von dir mit irgendwelchen Frauen in der Klatschpresse erinnern.»
Sein Blick senkte sich auf den Schlüssel an ihrer Halskette. «Ich weiß nicht, ob man von regelmäßigenVerabredungen sprechen kann. Ich hatte Beziehungen, ja. Aber nichts Ernstes.»
«Liegt das daran, dass du schwul bist?»
Er riss den Blick nach oben. «Ich bin nicht schwul.»
Sie zuckte mit den Achseln. «Es ist okay, wenn du das bist. Ich muss es nur wissen, um vorbereitet zu sein.»
«Bin ich nicht.»
«Du musst dich deswegen nicht schämen – nicht in der heutigen Zeit und erst recht nicht in Kalifornien.»
«Peyton.» Er schloss die Augen und seufzte. «Wäre ich schwul, würde ich es dir sagen. Ich würde mich deswegen nicht schämen, weil ich wirklich nichts Falsches daran erkennen kann. Tatsächlich befürworte ich das Recht auf gleichgeschlechtliche Ehen. Aber …» Er lehnte sich leicht vor. «Ich. Bin. Nicht. Schwul.»
Oh ja. Jetzt machte sie Fortschritte. Er hatte keine Ahnung, wie viel er gerade unwissentlich enthüllt hatte. Xavier Gaines war aufgeschlossen, unvoreingenommen, und seine Schutzmauern waren nicht undurchdringlich.
Sie grinste. «Hatte ich auch nicht vermutet. Ich wollte nur auf Nummer sicher gehen.»
Er kniff die Augen zusammen und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, während er sie unverwandt ansah, Erheiterung im Blick. «Der Bereich meines Lebens, in dem ich mich hervortue, ist das Büro. Dort weiß ich, was ich tue. Im Schlafzimmer gilt das ebenso. Aber es fällt mir schwer, überhaupt hinein- und wieder rauszukommen … genauso wie alles, was mit Beziehungen zu tun hat.»
Peyton war vollkommen geplättet. Offensichtlich besaß Xavier nicht nur Hirn, sondern auch eine gewisse natürliche Dominanz. Wäre er nicht ihr potenzieller Chef, wäre sie erregt gewesen. Ehrlich gesagt … war sie trotzdem erregt. «Zur Kenntnis genommen.»
Er legte den Ellbogen auf die Rückenlehne der Couch und rieb sich das Kinn. «Ich habe Probleme damit, den Balanceakt zwischen Privatem und Geschäftlichem hinzubekommen. Und es fällt mir schwer, Leuten zu vertrauen. Gewöhnlich halte ich meine sexuellen Begegnungen kurz und unverfänglich. Und selbst dazu kommt es nur, wenn die Frau den ersten Schritt macht.»
Peyton konnte nur vermuten, wie es für ihn sein musste. Er besaß mehr Geld, als sie in ihrem Leben je verdienen würde. Frauen wendeten wahrscheinlich jeden Trick in ihrem Repertoire an, um ihn einzufangen. Sein gutes Aussehen war nur ein zusätzlicher Bonus. Doch es wäre Teil ihres Jobs, ihn in den Medien menschlicher wirken zu lassen, also würden sie eine Lösung finden müssen.
Aber weiter im Text … «Hast du irgendwelche Hobbys?»
Sein Blick wanderte durch den Raum. «Eigentlich nicht. Ich mag Computerspiele, allerdings nur den Aspekt der Programmierung. Sie liefern mir neue Ideen.»
«Treibst du Sport? Oder schaust du Sport?»
«Ähm, nein.» Wieder starrte er auf ihre Kette. Sie fragte sich, warum. «Ich mache Krafttraining und laufe, aber ich bin nicht besonders sportlich. Hin und wieder schaue ich Baseball.»
Er lief, hm? «Welche Strecken läufst du?»
Er wirkte verwirrt, als hätte er keine Ahnung, worauf sie hinauswollte. «Ich mache das nur, um fit zu bleiben. Ich laufe zweimal die Woche ungefähr zehn Kilometer.»
Sehr gut. Das bedeutete, dass sie ihn bei Charity-Läufen anmelden konnte, um sein Image zu verbessern. Aufgrund dieses Gespräches und der Art, wie er seine Angestellten behandelte – nicht zu vergessen die rein vertraglichen Vorteile des Jobs –, tendierte sie bereits zu einer Antwort. Doch sie musste noch herausfinden, ob er auch flexibel war.
«Ich werde ganz offen sprechen.» Als er ihr aufmunternd zunickte, ging sie im Kopf ihre Liste durch. «Zuerst einmal: Du bietest deinen Angestellten gute Konditionen, und die Arbeitnehmerfluktuation ist relativ niedrig. Allerdings gibt es ein paar Dinge, die ich anstoßen würde, um die Moral zu verbessern, wie eine Weihnachtsfeier und ein Familienpicknick für alle. Zwei Veranstaltungen im Jahr, um Anerkennung für die Leistungen deiner Angestellten auszudrücken.»
Seine Augenbrauen wanderten nach oben, als wäre ihm dieser Gedanke noch nie gekommen. «Das können wir machen.»
Hm. Offensichtlich war er bereit, Geld für seine Angestellten auszugeben, und verstand, dass glückliche Angestellte mehr Leistung erbrachten. Ein Punkt für ihn.
«Zum Zweiten: Das hier ist eine große Firma, aber das Gebäude besitzt keinerlei Persönlichkeit. Deine zahlreichen Besucher und Geschäftspartner werden leider gar nicht willkommen geheißen. Ich denke, schon kleine Veränderungen würden einen großen Unterschied machen: gerahmte Zeitungsartikel über Gaines Industries in der unteren Lobby, hier und dort ein wenig Farbe, Panoramabilder der Stadt, Fotos von Menschen, denen du hilfst. Solche Dinge eben.»
«Betrachte es als erledigt.» Er hatte nicht gezögert. Keinen Moment. Er hatte einfach zugestimmt.
Sie schürzte die Lippen. «Das schließt auch das Konferenzzimmer und dein Büro mit ein.» Sie sah sich um. «Vielleicht ein Bild von dir und deiner Familie auf einem Regalbrett. Ein paar Topfpflanzen. Definitiv ein farbenfroher Teppich.»
Ein leises Lächeln umspielte seine Lippen. «Tu, was auch immer du für richtig hältst.»
Interessant. «Ich würde auch empfehlen, dich für eine wohltätige Stiftung zu entscheiden und sie zu unterstützen – vielleicht sogar eine eigene Stiftung zu gründen. Nachdem der Regierungsvertrag zu erwarten ist und in Anbetracht deiner aktuellen Ausrichtung wäre etwas mit dem Militär naheliegend: verletzte Veteranen oder die Familien gefallener Soldaten. Außerdem brauchst du eine stärkere Social-Media-Präsenz.»
«Du hast bereits intensiv über alles nachgedacht, hm?» Xavier schien gleichermaßen beeindruckt und amüsiert. Allmählich entspannte er sich und enthüllte den Mann hinter der Maske. Und sie mochte diesen Mann. «Abgemacht und abgemacht. Weiter?»
Ziemlich überrascht überlegte Peyton, wie sie das nächste Thema ansprechen sollte. Es könnte für ihn eine Grenze überschreiten.
«Was dein Image angeht: Du solltest eine Menge Galas besuchen. Deine bisherige Strategie, bei diesen Events ohne weibliche Begleitung aufzutauchen, war durchaus klug, lässt dich aber auch wie einen Einzelgänger wirken. Da wir beide eine Arbeitsbeziehung führen und ich deine PR-Verantwortliche wäre, sollten wir an solchen Veranstaltungen gemeinsam teilnehmen. Damit hättest du jemanden an deiner Seite, ohne dass es zu Spekulationen über dein Privatleben kommt. Wenn du ernsthaft mit jemandem ausgehst, diskutieren wir das Thema neu.»
Er wandte den Blick ab, die Lippen nachdenklich zusammengepresst. «Auf die Idee bin ich nie gekommen. Clever. Ich bin dabei.»
Sprachlos blinzelte Peyton ihn an. Um ehrlich zu sein, hatte sie nicht damit gerechnet, dass er so umgänglich war. «Ich würde auch andere öffentlichkeitswirksame Termine anberaumen: Interviews, lokale Events und so weiter.»
Diesmal zögerte Xavier, und seine Atmung beschleunigte sich. Schließlich räusperte er sich. «Ich bin in solchen Dingen nicht gut. Aber wenn du bereit wärst, mich darauf vorzubereiten, können wir darüber reden.»
Wow. Sie konnte keine Nachteile entdecken. Die Warnglocken in ihrem Kopf waren verstummt.
«Ich will ehrlich sein. Wenn du mich anstellst, werde ich dein Schatten sein, Xavier. Wir werden quasi eine Ehe führen, nur ohne die Vorteile.»
Einer seiner Mundwinkel hob sich. «Wenn das so ist, dann lass uns in ein Flugzeug nach Vegas steigen, damit wir auch die Vorteile nutzen können.»
Oh verdammt. Er besaß auch noch Sinn für Humor, und sie sollte das absolut nicht sexy finden.
«Ha. Sehr witzig. Am wichtigsten ist, dass wir offen kommunizieren. Dir werden nicht alle meine Ideen gefallen, und ich bin mir sicher, dass du mir auch hin und wieder auf die Nerven gehen wirst, aber ich erwarte Kompromissbereitschaft. Ist das für dich in Ordnung?»
«Ja.» Er seufzte, dann musterte er sie. «Ich hätte auch ein paar eigene Bedingungen.» Er hob einen Finger. «Zum Ersten, du musst eine Vertraulichkeitsvereinbarung unterschreiben. Du wirst Einblick ins Innerste der Firma erhalten, und ich muss nicht nur mich schützen.» Er hob den nächsten Finger. «Und zum Zweiten, ich erwarte zu jeder Zeit Ehrlichkeit. Ich besitze keine allzu gute Menschenkenntnis. Ich bin eher ein Zahlenmensch, während du die Fähigkeit besitzt, die Leute zu lesen. Mir ist egal, in welcher Situation wir uns gerade befinden … wenn etwas dich nervös macht, dir seltsam vorkommt oder du mit irgendetwas Probleme hast, wirst du dich zuerst an mich wenden. Immer.»
Sie wusste nicht, was sie mehr traf: die Tatsache, dass er diese Dinge aussprechen musste oder dass er offensichtlich in der Vergangenheit so tief verletzt worden war, dass er diese Bedingungen für nötig hielt.
«Abgemacht und abgemacht.» In ihrem Kopf war die Sache bereits geritzt. Trotzdem zögerte sie und entschied sich, alles auf eine Karte zu setzen. Vielleicht war es auch pure Neugier. «Erzähl mir etwas über dich, was sonst niemand weiß.»
Einen Moment lang starrte er sie mit gerunzelter Stirn an, seine Miene unlesbar. «Ich reagiere allergisch auf Kokosnuss. Moment, das weiß auch mein Arzt.» Er rieb sich den Nacken, seine Miene eine Mischung aus Frust und fast so etwas wie Panik, bevor er wieder auf den Anhänger an ihrem Hals starrte.
Okay, das hatte er gestern Abend schon mehrmals getan. Um ihm einen Ansatzpunkt zu geben, erkundigte sie sich nach dieser Marotte.
Er schloss die Augen und presste die Finger gegen die Lider. Seine Brust hörte auf, sich zu bewegen. Gerade, als sie überzeugt war, dass er nicht antworten wollte, schlug er sich mit einer Hand auf den Schenkel und hob langsam den Blick, um sie anzusehen.
«Ich leide an einer selbst diagnostizierten sozialen Angststörung. In Meetings geht es mir gut, und mit kleineren Gruppen komme ich auch überwiegend gut zurecht. Aber wenn ich mein Gegenüber nicht kenne oder es kein geschäftlicher Rahmen ist, erstarre ich manchmal. Es hilft mir, etwas zu haben, worauf ich mich konzentrieren kann … wie zum Beispiel deinen Anhänger.»
Jede Zelle in ihrem Körper schien innezuhalten. Völlig reglos und ohne Xavier aus den Augen zu lassen, ging Peyton im Kopf seine Worte noch einmal durch und verband sie mit den Handlungen, die sie in den letzten Tagen beobachtet hatte. «Selbst diagnostiziert. Das bedeutet, du hast keine Therapie gemacht oder …»
«Nein. Niemand weiß davon. Tatsächlich hatte ich seit Ewigkeiten kein so offenes Gespräch mehr, außer mit meinen Eltern und meinem Bodyguard. Ich denke, du solltest dir dieser Problematik bewusst sein, wenn man bedenkt, was du alles für mich tun wirst, wenn du den Job annimmst.» Xavier schluckte schwer, dann senkte er den Kopf, als fühlte er sich erniedrigt.
Und … da. Da war der Mann hinter der Maske, das Herz hinter der Schutzmauer. Er war weder kalt noch unsensibel. Er war keine Maschine und auch kein Roboter. Es fehlte ihm nicht an Persönlichkeit oder Charakter. Er funktionierte ganz einfach auf die einzige Art, die er kannte.
Wortlos stand Xavier auf und ging zu der Fensterwand. Mit kerzengeradem Rücken vergrub er die Hände in den Hosentaschen und nahm scheinbar die Aussicht in sich auf. Die Abenddämmerung war hereingebrochen, und die ersten Sterne blinkten am Himmel, wie ein Echo zu den Lichtern der Stadt. Er wirkte so einsam, so verloren. Sie fragte sich, wie oft er das schon getan hatte. Ein mächtiger, stinkreicher, superintelligenter Mann … der ganz allein dastand.
Eine Welle der Gefühle schnürte Peyton die Kehle zu. Ihre professionelle Seite schaltete sich ab, sodass nur eine Frau zurückblieb, deren Herz mit ihm litt.
Vorsichtig stand sie auf und trat hinter ihn, mit ein wenig Abstand. Sie betrachtete sein Spiegelbild im Fenster, und sein gequälter, verletzlicher Blick fing ihren in der Reflexion ein. Sie konnte sich kaum vorstellen, wie schwer Xavier dieses Geständnis gefallen war. Ein Schlag für sein Selbstbewusstsein. Und doch vertraute er ihr ausreichend, um es zu erzählen. Das verriet so viel über ihn.
Peyton rückte ihre Brille zurecht und wählte ihre Worte sorgfältig. «Du bist ein brillanter Mann. Was du in deinem Alter schon erreicht hast, ist einfach erstaunlich. Hinter dem Geld und all dem Prestige bist du einfach ein Typ, der Gigabyte und Algorithmen mehr schätzt als Menschen. Das ist keine Schande. Und deine Interessen beinhalten normalerweise wenig Personenkontakt. Ein bisschen Nervosität ist da zu erwarten.»
Die Hände immer noch tief in den Taschen vergraben, drehte er sich langsam zu ihr um. An seinem Kiefer zuckte ein Muskel. «Peyton …» Er schüttelte den Kopf, als wüsste er nicht weiter, bevor er den Blick auf ihren Anhänger senkte.
Ihr kam eine Idee, und sie hob einen Finger, um ihm zu bedeuten, dass er kurz warten sollte. Sie ging zu ihrer Handtasche beim Couchtisch, wühlte darin herum, bis sie fündig geworden war, und kehrte zu ihm zurück. Er hob den Blick vom Boden, um wieder ihren Anhänger zu fixieren.
«Schau mich an, bitte. Hier oben.» Sie deutete auf ihr Gesicht, und er kam ihrer Aufforderung nach. «Ich möchte, dass du mir in die Augen siehst. Gewöhn dich daran. Meine Augen sind jetzt das, worauf du dich in Zukunft konzentrieren wirst – dein Sicherheitsnetz. Ich werde keinen Druck ausüben, ich werde nicht urteilen, ich werde einfach da sein, okay? Bei all deinen öffentlichen Auftritten. Und wenn du nervös wirst oder dich überwältigt fühlst, such einfach nach mir.»
Er öffnete schockiert den Mund. «Bedeutet das …?»
«Ich nehme den Job an.»
Er stieß heftig den Atem aus und schloss die Augen. Seine Schultern sanken nach unten. «Danke.»
Peyton wartete, bis er die Augen wieder geöffnet hatte, dann griff sie nach seinen Fingern und legte einen Gegenstand in seine Handfläche. «Das ist eine Challenge Coin des Militärs. Man sammelt sie.»
Er musterte die goldene Münze, die etwas größer war als ein Ein-Dollar-Stück, und ließ den Daumen über die vier Zweige gleiten, die auf der Vorderseite abgebildet waren. «Ich verstehe nicht.»
«Diese Münze ist eine von vielen, die mein Bruder gesammelt hat, bevor er gestorben ist. Eine davon hatte er immer bei sich. Wenn er Angst bekam, hat er sie in die Hand genommen. Er hat mir erklärt, dass sie ihm Kraft geschenkt hat.» Sie schloss Xaviers Finger um die Münze und suchte seinen goldenen Blick. «Die ist für deine Hosentasche.»
«Peyton, das kann ich nicht annehmen.»
«Ich schenke dir die Münze. Und ja, du kannst sie annehmen. Wenn ich nicht in der Nähe bin, schieb einfach die Hand in die Hosentasche, wenn du etwas Zuversicht brauchst. Niemand wird es bemerken.» Sie lächelte, als er erneut ihren Blick suchte. «Ich wusste doch, dass du ein Intelligenzbolzen bist, der schnell lernt. Du hast seit gut fünf Minuten nicht mehr auf meinen Anhänger geschaut.»
Mit einem rauen, leisen Lachen schüttelte er den Kopf. «Ich glaube, eine Gehaltserhöhung für dich wäre angebracht. Jetzt schon.»
Oh mein Gott. Bei diesem Lachen würde jede Frau dahinschmelzen. Es verwandelte sein Gesicht völlig. Verschwunden war das kühle Desinteresse, vertrieben von warmer Zuneigung. «Lass mich erst meinen Arbeitsvertrag unterschreiben.»
Nach dem Vormittagsmeeting ging Xavier den Flur entlang, trat in Peytons Büro – und hielt dort abrupt inne. Mehr als die Hälfte des Raums war mit Ballons und Blumensträußen gefüllt. Nachdem ihr Büro das Spiegelbild von seinem war und damit fast fünfzig Quadratmeter groß, war das wirklich eine Menge. Aber so weit er das überblicken konnte, hielt Peyton sich nicht hier auf.
Gerade, als er sich durch die Haufen hindurchkämpfen wollte, um herauszufinden, ob sie vielleicht darunter begraben lag, betrat Peyton ebenfalls den Raum. Das Klappern ihrer schwarzen Pumps erregte seine Aufmerksamkeit, und er ließ den Blick über ihre wohlgeformten Beine und ihr enges rotes Kleid hinauf zu ihrem Haar gleiten. Im Büro trug sie es immer in einem strengen Dutt, was dafür sorgte, dass er sich die nächste Gala herbeiwünschte, um zu sehen, wie die champagnerfarbenen Wellen weich über ihren Rücken fielen.
Sie sah ihn über ihre Brille hinweg an. «Hey, Lieblingschef.»
Er fuhr sich mit den Fingern durchs Haar und versuchte, die Phantasien von unartigen Bibliothekarinnen zu verdrängen, die sie in ihm auslöste.
«Ich bin dein einziger Chef, und was in aller Welt hat es mit all diesem Zeug auf sich?»
Der Raum sah aus, als wäre der Valentinstag darin explodiert. Nur dass gerade September war.
Peyton setzte sich hinter ihren Schreibtisch und steckte sich das kleine kabellose Headset ans Ohr. «Ich habe Geburtstag. Was soll ich sagen? Deine Angestellten lieben mich.»
Wer liebte sie nicht? Doch darum ging es gerade nicht. «Du könntest high werden von dem ganzen Helium in diesem Raum.» Oder sie bekam Allergien von all den Pollen.
«Dann würden Telefongespräche zum Schreien komisch.» Sie zuckte mit den Achseln, bevor sie den Blick durch den Raum wandern ließ. «Aber es ist wirklich nett, findest du nicht auch?»