Whiskey für den Weihnachtsmann - John B. Keane - E-Book

Whiskey für den Weihnachtsmann E-Book

John B. Keane

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Beschreibung

Irische Weihnachten: voll unverwüstlicher Lebensfreude.

In Irland ist manches anders, auch das Weihnachtsfest. Der zweite Feiertag zum Beispiel ist »Zaunkönigstag«: Nach alter Sitte tragen die jungen Leute aus dem Dorf Stechpalmenzweige, die mit Bändern geschmückt sind, an denen Zaunkönige hängen, singend von Haus zu Haus. Sie sammeln milde Gaben für den Zaunkönigstanz und das feuchtfröhliche Gelage, mit dem Weihnachten ausklingt. Mit sanfter Ironie schildert John B. Keane irische Weihnachtsbräuche, Aberglauben und eine Frömmigkeit, die, gepaart mit Bauernschläue, vorgeschriebene Verhaltensregeln stets nach eigenem Gutdünken und den eigenen Wünschen entsprechend auszulegen weiß. Wundersame Charaktere abseits der Großstadt und liebenswerte Einzelgänger in der Abgeschiedenheit weiter Torfmoore bevölkern seine ungewöhnlichen, skurrilen Weihnachtsgeschichten, die sich mit und ohne Whiskey gleichermaßen zum Lesen und Vorlesen in der Weihnachtszeit eignen.

»Alle keine Weihnachtsengel, aber alle liebenswert.« Lüdenscheider Nachrichten.

»Wie Legenden zu lesen und doch so herrlich realistisch.« Ostthüringer Zeitung.

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Informationen zum Buch

Irische Weihnachten: voll unverwüstlicher Lebensfreude.

In Irland ist manches anders, auch das Weihnachtsfest. Der zweite Feiertag zum Beispiel ist »Zaunkönigstag«: Nach alter Sitte tragen die jungen Leute aus dem Dorf Stechpalmenzweige, die mit Bändern geschmückt sind, an denen Zaunkönige hängen, singend von Haus zu Haus. Sie sammeln milde Gaben für den Zaunkönigstanz und das feuchtfröhliche Gelage, mit denen Weihnachten ausklingt.

Mit sanfter Ironie schildert John B. Keane irische Weihnachtsbräuche und allerlei Aberglauben. Wundersame Charaktere abseits der Großstadt und liebenswerte Einzelgänger in der Abgeschiedenheit weiter Torfmoore bevölkern seine skurrilen Geschichten, die sich mit oder ohne Whiskey gleichermaßen zum Lesen und Vorlesen eignen.

»Alle keine Weihnachtsengel, aber alle liebenswert.« Lüdenscheider Nachrichten.

»Wie Legenden zu lesen und doch so herrlich realistisch.« Ostthüringer Zeitung

John B. Keane

Whiskeyfür den Weihnachtsmann

Irische Weihnachtsgeschichten

Aus dem Englischen von Irmhild und Otto Brandstädter

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

Whiskey für den Weihnachtsmann

Zwölf gnadenreiche Tage

Besuch in der Weihnachtsnacht

Curriculum vitae

Das Wunder von Ballybradawn

Scubblelei

Ein Weihnachtstauber

Suppenwürze

Weihnachtsballerei in Ballybooley

Torfzauber

Der Orden des McMoolamawn

Apfelwein

Lang, lang ist’s her

Gewissensqualen

Nächstenliebe

Über John B. Keane

Impressum

Whiskey für den Weihnachtsmann

Hector Fitzpitter, Schauspieler, Theaterleiter und Dramatiker, saß auf seinem Requisitenkoffer. Der stellte seinen einzigen Besitz dar, wenn man von Hut, Anzug, Hemd und Schuhen absieht, die er auf dem Leibe trug. Seit anderthalb Stunden saß er schon so. Gelegentlich leistete er sich, dem Schmerz und Krampf in seinen Gliedern ein kleines Zugeständnis zu machen, indem er seine fühllosen Hinterbacken sachte anhob und in eine leicht veränderte Stellung brachte, denn es stand zu befürchten, daß sein fadenscheiniger, reichlich abgetragener Hosenboden eine energischere Gewichtsverlagerung nicht aushalten würde. Seine letzten Münzen hatte er schon früher am Tage für einen Becher Tee und ein Käsesandwich ausgegeben.

»Für Schinken reicht das nicht«, hatte ihm der Gastwirt bedeutet, während er die ganzen und halben Pennies und das einzige Sechspenny-Stück zählte, die Hector mit großer Geste auf den Tresen geworfen hatte.

»Wofür reicht es dann?« hatte er verdrießlich gefragt.

»Käsesandwich«, hieß es gleichgültig, »und auch dafür langt’s nicht ganz.«

Hector tat, als hätte er das nicht gehört und hoffte im stillen, daß er Sandwich und Tee bekommen würde ohne weitere Anspielung auf seine Finanzmisere. Der Koffer, auf dem er saß, enthielt seine Kostüme, freilich verschlissen und zerrissen und leider nur noch drei an der Zahl, nämlich Jago, Falstaff und Tontagio für das Drama »Das bärtige Ungeheuer von Tontagio«, die Titelrolle, in der man ihn am ehesten kannte und in kleineren Städten und Dörfern geradezu feierte. Es war ein furchteinflößender Part, bei dem sich einfache Gemüter ängstlich duckten, wenn er auf der Bühne tobte und raste. Bei seinen wilden Ausbrüchen zielte er stets auf die furchtsamsten Zuschauer, die auch prompt mit Schreckensschreien reagierten oder in Ohnmacht fielen.

Dieses Stück hatte er selbst verfaßt. Auf dem Höhepunkt seiner Karriere war er einmal in eine Versenkung gestürzt und hatte sich ein Bein gebrochen. Während der sechs Wochen im Krankenhaus und danach als langsam genesender Patient hatte er das Drama niedergeschrieben.

»Hätte er sich doch«, urteilte ein besonders infamer Provinzkritiker, »lieber die Hand anstatt des Beins gebrochen und uns diesen infantilen Quatsch erspart.«

Ein anderer hatte ihn gleich zum »Clownprinz« für schwachsinnigen Blödsinn gekürt und ihn mit dem Dorftrottel verglichen, der gerade seinen Anfall hat. Die gemeinste Äußerung kam von einem Laienschauspieler, der jede Woche eine Theaterspalte schrieb und ohne Ausnahme sämtliche Gastspiele fahrender Komödianten verriß und über Stücke und Akteure Gift und Galle verspritzte. Lob und Anerkennung hob er sich stets für die jährlichen Aufführungen der Amateurtruppe auf, der er selber angehörte. So geiferte er dann: »Sich nicht mit unsterblichen Rollen begnügend, die Shakespeare, Sheridan, O’Neill und andere schufen, taucht Fitzpitter tief in die Senkgrube seiner Psyche hinab, und wenn er emporkommt, trieft sein eigener Dreck nur so von ihm.«

Ein weiterer Kritikus äußerte: Hector Fitzpitter müßte man hängen, strecken und vierteilen. »Hängen«, schrieb er, »für die Regie im Stück, strecken dafür, wie er die Titelrolle spielt, und vierteilen dafür, daß er das Unding verbrochen hat.«

Hector Fitzpitter nahm solche Berichte amüsiert hin und meinte, daß nur Ignoranz und Neid Leute dazu brachte, seine Leistungen zu verkennen. Jetzt, da er nun wirklich am Ende seiner Laufbahn mit völlig leeren Taschen stand – seine Truppe, der er die Gage nicht zahlen konnte, hatte sich in alle Winde zerstreut –, war ihm mehr zum Heulen zumute. Aber noch nie hatte er eine echte Träne vergossen, seit er sich im zarten Alter von siebzehn auf die Schauspielerei eingelassen hatte, und bis zu der Kalamität, in der er nun steckte, waren immerhin fünfzig Jahre vergangen. Ein Mann mit geringerem Stehvermögen hätte verzweifelt aufgegeben und sich dem Sozialamt in die Arme geworfen.

Hector Fitzpitter betrachtete seine gegenwärtige mißliche Lage lediglich als einen zeitweiligen Rückschlag, einen winzigen Stolperstein auf der langen Straße zur Anerkennung, die ihn gewiß schon hinter der nächsten Wegbiegung erwartete. Bis dahin jedoch galt es, sich Verpflegung und Unterkunft zu sichern. Seine Hauptdarstellerin und seine verschiedenen Chargen verstanden es, für sich zu sorgen. Die würden sich instinktiv wieder zusammenfinden, wobei die Theatergerüchteküche das Ihre dazu tun würde, wenn man sich in den ersten Frühlingstagen an einem allseits bekannten Treffpunkt versammelte. Alle, nur er nicht, hatten sich aufgemacht, um zu Hause oder in anderen sicheren Häfen für die Weihnachtszeit, die unmittelbar bevorstand, vor Anker zu gehen. Der Seelenbalsam, den das Fest spendete, würde schnell das Trauma heilen, das sie alle erlitten hatten, als man die Tournee mit dem »Bärtigen Ungeheuer von Tontagio« vorzeitig abbrechen mußte. Der Eigentümer des Theaters hatte die dürftigen Einnahmen der drei letzten Abende vor dem »Aus« konfisziert. Er hatte Hector klargemacht, daß die lachhafte Summe kaum ausreichte, um den Strom zu bezahlen, geschweige denn ihn selbst, den Hausmeister, die Kassiererin und die Reinemachefrauen, von den Unterhaltskosten für das Gebäude generell gar nicht zu reden.

Mühsam erhob sich Hector Fitzpitter. Ihn fröstelte; die Windstöße aus Nordost erinnerten ihn daran, daß er seinen Mantel besser nicht auf die Pfandleihe hätte bringen sollen. Und doch tat der Wind, schneidend wie er mitunter war, nicht so weh wie die Kritik, die ein ortsansässiger Amateur verfaßt hatte.

»Die wenigen Zuschauer auf den vorderen und auch den hinteren Plätzen«, schrieb der, »wurden bald von Schaum und Spucke übersprüht, die Mr. Hector Fitzpitter bei seinem unbeherrschten Umhergetobe reichlich von sich gab.«

Da hatte noch mehr gestanden, doch Hector hatte nicht weitergelesen. Einen Schauspieler wegen eines zufällig entschlüpften winzigen Speicheltröpfchens zu verunglimpfen, lief auf dasselbe hinaus, als wenn man jemanden verspottete, der einen Buckel hatte oder stotterte. So etwas gehörte sich nicht. Langsam ging er die Straße hinunter und zog den unförmigen Koffer hinter sich her. Das waren noch Zeiten, als er ihn mühelos auf der Schulter getragen hatte.

Hector Fitzpitter war von großer, ungeschlachter Gestalt. Die Fleischmassen, die früher in straffen Polstern auf seinem Körper ruhten, wabbelten jetzt bei der geringsten Bewegung wie Götterspeise. Jedem, mit dem er zum ersten Mal zu tun hatte, flößte er Respekt ein. Die jüngeren Schauspieler aber fürchteten ihn nicht im mindesten.

»Der Fettwanst!« riefen sie verächtlich aus, sobald sie jemand fragte, ob der Schauspieler-Theaterleiter-Dramatiker bei seiner Übergröße nicht ein gefährlicher Gegner sei, wenn es zum Duell kam. Allerdings räumten sie ein, daß er auf der Bühne ganz schön gefährlich sein konnte, denn sowie er ein blankes Schwert in der Hand hatte, drosch er auf alles ein, das ihm in die Quere kam. Auch wenn es in gewalttätigen Szenen zu Faustkämpfen kommen mußte, war er offenbar jedem Boxweltmeister ebenbürtig und streckte jüngere Partner wie Strohpuppen nieder.

»Doch im wirklichen Leben«, fügten sie rasch hinzu, »ist er ein Schlappschwanz, der nicht mal kämpfen würde, wenn’s ihm echt an den Kragen ginge.«

Einer der engsten Freunde Hectors machte einem wißbegierigen Reporter sogar weis: »Auf der Bühne würde er nicht einen Augenblick zögern, ein Edelfräulein aus jedweder Bedrängnis zu retten, aber auf offener Straße würde er schnurstracks davonrennen, wenn ein Mädchen um Hilfe riefe.«

Nachdem er etliche hundert Meter so dahin geschlurft war, stand er erneut vor der Herberge, die er am Morgen verlassen hatte. Vor seinem Abschied hatte er noch die Hälfte seiner Rechnung beglichen und versprochen, die andere Hälfte zu zahlen, sobald ihm wieder Mittel zur Hand kämen, wie er sich Mrs. Melrick gegenüber ausdrückte. Seine Wirtin hatte sich entgegenkommend gezeigt, doch seine vielen gedrechselten Entschuldigungen langweilten sie.

Und als er nun zum zweiten Mal an diesem Tag das Ansinnen stellte, ihm Kost und Logis zu stunden, bis sein Schiff einlief, reagierte sie einigermaßen argwöhnisch. Kurz angebunden teilte sie ihm mit, daß sich alle ihre Logiergäste ohne Ausnahme über Weihnachten in ihre Heimatorte begeben würden, und da solchermaßen das Haus am Heiligabend, zu Weihnachten und an den drei Tagen danach leer stehe, würde sie während dieser Schließtage zu ihrem Sohn und der Schwiegertochter in die nahegelegene Stadt fahren.

»Ich mach das nur wegen meinem Sohn und meinem Enkel«, erläuterte sie Hector, der ihr niedergeschlagen zuhörte, das Kinn auf die gefalteten Hände gesenkt, die auf dem nun aufrecht stehenden Schrankkoffer ruhten. Seine Gedanken wanderten und erkundeten höchst unwahrscheinliche Möglichkeiten, anderswo Unterschlupf zu finden. Die Vorstellung, im Freien zu nächtigen, war grausam. In jüngeren Jahren hatte er das zwar gelegentlich gemacht, aber nur im Sommer. Jetzt in seinem Alter und dazu noch im Winter käme das einem Selbstmord nahe. Plötzlich spitzte er die Ohren, denn sie erwähnte zum ersten Mal ihre Schwiegertochter.

»So ein Miststück!« hörte er sie fluchen.

Eigentlich wandte sie sich mit ihren Bemerkungen gar nicht an Hector. Sie sprach mehr zu sich selbst, als sie sich über die Launen und die Verrücktheiten der Frau ihres Sohnes ausließ. Es war nicht schwierig, sich aus dem Gehörten zusammenzureimen, daß Schwiegermutter und Schwiegertochter miteinander auf Kriegsfuß standen.

»Da kann man Sie nur bewundern, wie lange Sie das schon aushalten«, fachte Hector Fitzpitter ihre kaum verhohlene Verärgerung an.

»Der Herrgott ist mein Zeuge«, bekräftigte sie und kam in Fahrt, da sie nun ganz unerwartet einen Zuhörer gefunden hatte, der offenbar aufrichtig mitfühlte.

»Sie haben wohl von ihr gehört, wie?« erkundigte sich Mrs. Melrick.

»Wer hätte das nicht«, kam prompt die Antwort.

»Die ist so … so eine, wie soll ich sagen?«

Hector Fitzpitter überlegte einen Moment, bevor er einhalf.

»Meinen Sohn mag sie ja hinters Licht führen«, redete sich die Wirtin in Rage, »aber mich nicht, ganz gewiß nicht!«

»Die ist es gar nicht wert, daß Sie sich aufregen.« Hector schüttelte bekräftigend den Kopf und legte das Gesicht in sorgenvolle Falten.

»Die kann Ihnen ja gar nicht das Wasser reichen«, fuhr er fort, als Mrs. Melrick die Tür weit aufmachte, damit er ihr samt Reisekoffer in die Küche folgen konnte. Beim Tee, den sie dann tranken, redeten sie des langen und breiten über die Schlechtigkeit und die zahllosen Schandtaten der Frau ihres Sohns. Sündhaft, wie die von Natur war, setzte sie in ihrer Verderbtheit immer noch eins drauf; man sah schon, daß das schreckliche Weib wieder schwanger war.

»Du liebe Güte, auch das noch!« stöhnte Hector und blickte gen Himmel. Er genoß die Rolle durch und durch. Schade, daß Dramatiker, diese so genannten Modernen, denen es bloß um Tantiemen ging, nicht solche Rollen schreiben konnten! Der Gedankenaustausch zwischen den beiden hielt an, bis der erste Kostgänger zur Abendmahlzeit eintraf.

»Sehen Sie mal, da drüben.« Mrs. Melrick wies aus dem Küchenfenster auf einen winzigen Anbau, den ihr verstorbener Mann für den einzigen Sohn errichtet hatte, damit der in Ruhe lernen konnte.

»Dort können Sie bleiben, bis ich zurück bin«, teilte ihm seine Wohltäterin mit. »Da steht ein Sofa drin, und ich leg noch ein paar Decken hin. Heute abend und morgen abend können Sie hier mitessen, aber wenn ich weg bin, müssen Sie sich selbst versorgen. Ins Haus dürfen Sie nicht.«

Es folgten noch ein paar weitere Bedingungen, doch im großen und ganzen fühlte sich Hector nicht schlecht behandelt. Morgen würde er sich nach der Pfarrei des Ortes umtun. Er hatte die Erfahrung gemacht, daß Pfarrhäuser eine höchst verläßliche Nahrungsquelle waren und sich sogar ein bißchen Handgeld entlocken ließen, wenn man nicht zu unverschämt war. Wenn die Seelsorger selbst an gewöhnlichen Tagen hilfsbereit waren, konnte man annehmen, daß sie zum Christfest besonders mildtätig sein würden.

Pater Alphonsus Murphy hatte Hector Fitzpitter einmal auf der Bühne erlebt. Er hatte damals in einem Badeort an der See Urlaub gemacht, und da er gerade nichts Besseres vorhatte, schweren Herzens ein Zwei-Schilling-Stück geopfert, um den berühmten Schauspieler als Jago zu sehen. Nach dem Urlaub wollte er sich für ein paar Tage ins Exerzitien-Heim der Diözese begeben, damit ihm bei Meditation und innerer Einkehr seine Verfehlungen bewußt wurden, so gering und läßlich sie auch waren. Doch davon nahm er Abstand, nachdem er zwei dreiviertel Stunden in dem muffigen Zirkuszelt ausgehalten hatte, das Hector Fitzpitter für sein Gastspiel gemietet hatte.

Einem seiner Kaplane gestand er später: »Mir schien, daß mein Ausharren in dem Zirkuszelt da Buße genug war für alle Sünden, die ich seit meinem letzten Aufenthalt im Exerzitien-Heim begangen hatte.«

»Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle«, begann Hector Fitzpitter ziemlich hochtrabend.

»Nicht nötig, nicht nötig!« beruhigte ihn Pater Murphy.

»Haben Sie mich etwa auf der Bühne gesehen?«

Pater Murphy überging die Frage und erkundigte sich statt dessen, ob er seinem weltgewandten Besucher behilflich sein könnte.

»Das können Sie in der Tat, Hochwürden«, lautete die ehrerbietige Antwort.

In einem Stil, der seinem Zuhörer vertraut schien, gab Hector eine Zusammenfassung seiner jüngsten Mißgeschicke und fragte vorsichtig, ob es wohl möglich wäre, ihm eine bescheidene Summe Geldes zu leihen, die er gewißlich ohne den geringsten Verzug im kommenden Frühjahr zurückzahlen würde, sobald die Sommerspielzeit wieder begonnen hätte.

»Geld leihen ist unsere Sache nicht«, erinnerte ihn Pater Murphy, »doch vielleicht kann ich Sie für ein gutes Werk gewinnen. Ich hätte da etwas für Sie und zahle, sobald die Arbeit getan ist.«

»Arbeit!« Hector schauderte es instinktiv bei dem bloßen Gedanken an Schaufeln und Picken.

»Seien Sie unbesorgt.« Pater Murphy waren unzählige Male ähnliche Reaktionen vorgekommen. »Ihre Eignung für die Arbeit, an die ich denke, ist über jeden Zweifel erhaben. Ja, mir fällt so ohne weiteres niemand ein, der das besser machen könnte als Sie.«

»Ich soll wohl aus dem Evangelium lesen.« Hector strahlte, als er sich ausmalte, wie er dicht gedrängte Zuschauermassen vor sich hatte, die ihm, was noch wichtiger war, gebannt lauschten. Pater Murphy runzelte ganz gegen seine Gewohnheit die Stirn bei dem Gedanken.

»Sie sollen lediglich den Weihnachtsmann spielen morgen abend«, hieß es eiskalt. »Sie erhalten von mir Kapuze, Bart und Mantel. Wenn Sie gegessen haben, fahre ich mit Ihnen schon mal vorab in das Viertel, in dem Sie Geschenke an die bedürftigen Kinder der Gemeinde austeilen werden.«

Hector lächelte. Das war eine Aufgabe nach seinem Geschmack.

»Und dafür werde ich bezahlt?«

»Ja«, versicherte ihm Pater Murphy. »Sie erhalten Ihren Lohn, sobald Sie Ihre Runde gemacht haben. Jetzt können Sie zum Hintereingang gehen und der Haushälterin sagen, sie soll Ihnen was zu essen geben. Ich hätte es angeordnet. Und morgen abend um acht Uhr erwarte ich Sie wieder hier.«

Später, als sie langsam durch die betreffende Gasse fuhren, die auf freiem Feld endete, gab ihm der Pfarrer Bleistift und Papier und ließ ihn sich alle Namen der Bewohner der jeweiligen Häuser aufschreiben, damit es keine Verwechslungen gäbe. Der Name des Empfängers würde sichtbar auf jedem Geschenkpäckchen stehen. Er sollte bei jedem Haus einfach nach dem Familiennamen fragen, dann würden die Päckchen schon in die richtigen Hände kommen.

»Ich muß Sie allerdings warnen«, Pater Murphys Stimme klang eindringlich, »im allerletzten Haus werden Sie wahrscheinlich Ärger kriegen. Sie wären gut beraten, gar nicht erst hineinzugehen. Wenn man auf Ihr Klopfen hin öffnet, geben Sie einfach die Geschenke ab, egal wer an die Tür kommt. Und dann machen Sie sich dünne, wenn Sie klug sind!«

»Sie wollen doch wohl nicht sagen, daß ich mein Leben riskiere, Hochwürden?«

»Ihr Leben gerade nicht«, Pater Murphy lachte gezwungen, »aber Tatsache ist, daß der gemeinste Saukerl der Gemeinde und übelste Saufkopp dort wohnt, ein gewisser Jack Scalp, und wenn der gerade zu Hause ist, wenn Sie da anklopfen, wird er höchstwahrscheinlich über Sie herfallen. Betreten Sie gar nicht erst das Haus, dann kann Ihnen nichts passieren. Nichts wie umdrehen und weg, sowie Sie sich Ihrer Aufgabe entledigt haben. Hier«, sagte Pater Murphy, »haben Sie einen Schilling. Ist doch Weihnachten, und da möchten Sie sich wohl ein Gläschen genehmigen, denke ich mal, aber daß Sie mir morgen abend nicht mit ’ner Schnapsfahne kommen! Sonst schlage ich Ihnen die Tür vor der Nase zu.«

Hector Fitzpitter richtete sich im Wagen kerzengerade auf und tat gekränkt. »Verehrter Pater«, sagte er, »ich habe noch nie vor einer Vorstellung getrunken, und ich denke, diesem Vorsatz bleibe ich treu.«

In dieser Nacht schlief Hector tief und fest. Den Tag darauf verbrachte er damit, daß er in der besagten Straße auf und ab spazierte, sich die Namen und die passenden Sprüche einprägte und seine Bewegungen einübte. Am liebsten hätte er eine Generalprobe gehabt, doch er sah ein, daß das unter den gegebenen Umständen nicht in Frage kam. Während er so umherwanderte, hielt er immer Ausschau nach Jack Scalp. Im Geiste hatte er sich schon ein Bild von dem Schuft gemacht und war sich daher sicher, daß er ihn sofort erkennen würde, sollten sich ihre Wege kreuzen. Er war fest entschlossen, Pater Murphys Warnungen in den Wind zu schlagen, und war bereit, sofern erforderlich, sich den Weg in die Küche mit Gewalt zu bahnen. Nötigenfalls würde er alle Register seines schauspielerischen Könnens ziehen. Damit hatte er sich früher schon öfter gerettet, und mit ein wenig Geistesgegenwart müßte ihm das auch hier gelingen. Am Heiligen Abend trank er überhaupt nichts, nahm sich jedoch vor, ordentlich einen zu heben, sobald er seinen Lohn erhalten hatte. Die paar Eßsachen, die ihm Mrs. Melrick auf den Korbtisch im Anbau gestellt hatte, teilte er sich sorgsam ein. Bevor er sich im Pfarrhaus meldete, inspizierte er noch einmal sein Tätigkeitsfeld.

»Der Sack ist ganz schön groß, wie Sie sehen«, bedeutete ihm Pater Murphy, »und es sind insgesamt dreizehn Haushalte, die Sie bedenken müssen. Gönnen Sie sich eine kleine Verschnaufpause in den verschiedenen Küchen, ehe Sie weiterziehen, und gehen Sie die dreizehnte Wohnstatt mit besonderer Vorsicht an, denn da drin, wie ich Ihnen ja erzählt habe, haust Jack Scalp.«

»Ich werde mich schon in acht nehmen«, versicherte ihm Hector, und der geistliche Herr ließ ihn im ungewissen, ob er den verächtlichen Tonfall bemerkt hatte oder nicht.

»Ich bringe Sie bis zur Feldgasse«, sagte er Hector und rieb sich das Kinn, während sein Schützling sich den angeschmuddelten weißen Bart umband. Dem gab ein Gummiband guten Halt. Dann kamen die Stiefel dran, die eine Nummer zu groß waren, aber besser zu groß als zu klein, dachte unser Held. Schließlich stülpte er sich die Kapuze über und zog den langen roten Mantel an, der ihm bis auf die Zehen reichte.

»Haben Sie hier so was wie einen langen Spiegel?«

»Glaube nicht«, erwiderte der Priester, »in diesem Pfarrhaus ist kein Platz für solche Eitelkeiten, aber Sie können sich drauf verlassen, Sie sind für die Rolle bestens kostümiert.«

Pater Murphy überlegte noch, ob er ihm von dem Vorfall erzählen sollte, der sich voriges Jahr am Weihnachtsabend zugetragen hatte; er tat es dann aber doch nicht. Schließlich hatte er ihm schon eingeschärft, auf der Hut zu sein. So groß war das Malheur auch gar nicht gewesen, bloß Nasenbluten, und das hatte bald aufgehört. Ein betagter Glaubensbruder der St. Vincent de Paul Bruderschaft, der damals die Rolle übernahm, hatte sich den Nachmittag über Mut angetrunken, doch als er Mrs. Scalp beiseiteschob und sich vor ihrem Mann aufbaute, merkte er gleich, daß er den Mund zu voll genommen hatte. Eine Flut von Schimpfwörtern, mit der er überschüttet wurde, lähmte ihn für einen Moment. Dann ließ er seinen Sack fallen und stürzte zur Tür. Vergeblich versuchte Mrs. Scalp, ihren betrunkenen Mann zurückzuhalten. Der schleuderte sie zu Boden und versetzte dem Weihnachtsmann einen wuchtigen Hieb auf dessen etwas übergroßen, ohnehin blaurot angelaufenen Gesichtserker. Dem Nasenstüber wären vermutlich weitere Schläge gefolgt, doch Jack Scalp stolperte über einen Bierkasten und schlug der Länge nach hin. Sein beabsichtigtes Opfer stieß einen Schrei der Erleichterung aus und rannte atemlos bis ins Pfarrhaus. Der falsche Bart war sogar richtig mit Blut bekleckert. Der Mann ließ sich auf einen Stuhl fallen und japste nach Whiskey. Seine Darstellung des Vorfalls wich freilich gewaltig vom tatsächlichen Geschehen ab. Seinen Worten nach hatte er sich heldenhaft geschlagen und nur das Feld geräumt, um nicht größeres Unheil anzurichten und vielleicht noch die arme Mrs. Scalp zur Witwe zu machen. Er sprach sie von jeglichem Vorwurf frei, sich nicht eingemischt zu haben.

Im ersten Haus, das Hector Fitzpitter betrat, wurde er von Eltern und Kindern stürmisch begrüßt. Whiskey und Wein wurden ihm so sehr aufgenötigt, daß er beim besten Willen nicht widerstehen konnte. Und so erging es ihm in all den anderen Familien. Er konnte sich gegen die guten Tropfen, die man ihm großherzig aufdrängte, wehren, so viel er wollte, es gab kein Entrinnen. Ein Glas Whiskey nach dem anderen ging ihm über die Lippen und stieg ihm bald zu Kopf. Sein Hirn ersoff geradezu im Alkohol, wie er sich später ausdrückte.

»Einem großen, starken Kerl wie Ihnen kann doch so’n kleiner Schluck nichts ausmachen«, beschwichtigte ihn eine von den ärmlichen Frauen.

Ihm war nie die Gabe zuteil geworden, einen Drink abzuschlagen, wenn gute Seelen darauf bestanden, mit ihm ein Glas zu leeren. In einem Haus erwarteten ihn liebevoll zurecht gemachte Sandwiches, im nächsten ein Teller mit Crackers und Cheddarkäse. »Die armen Leute sind ungemein freigiebig«, berichtete er später Pater Murphy, »die würden ihr letztes Hemd wegschenken.«

Pater Murphy pflichtete ihm bei, er hatte sich oft genug davon überzeugen können, daß Hector Fitzpitters Schlußfolgerungen zutrafen.

Die Kinder setzten sich Hector auf den Schoß und fütterten ihn mit Zuckerzeug und Keksen. Noch ein paar Tage weiter, und in der ganzen Straße würden die Vorratsschränke wieder leer sein, doch nun war Weihnachten, und das war die Zeit, in der Geben seliger ist denn Nehmen. Außerdem konnte man sich keinen besseren denken, dem man etwas geben wollte, als diesen imponierenden Vertreter des Knecht Ruprecht; ein so prächtiger und aufgeräumter hatte noch nie ihre Vorstadtgasse besucht. Hector war geradezu überwältigt von so viel Herzlichkeit, Liebe und Freigebigkeit, die man ihm entgegenbrachte. In einigen Häusern war man dabei, Weihnachtslieder zu singen, in anderen mußten Geschichten erzählt werden. Nie hatte er so kurz hintereinander so viele Rollen spielen müssen.

Es ging schon auf Mitternacht zu, als er endlich das letzte Haus erreichte. Betrunken, wie er nun war, hatte er Pater Murphys Warnungen dennoch nicht vergessen. Er reckte sich zu voller Größe auf und erinnerte sich, daß er einmal den Bären im »Wintermärchen« gespielt hatte. Fast wollte er schon in ein bäriges Gebrüll ausbrechen. Doch er widerstand dieser Aufwallung und klopfte leise an die Tür. Niemand kam. Er lauschte ein Weilchen, konnte aber nichts hören. So kniete er nieder und drückte ein Ohr ans Schlüsselloch. Bald vernahm er Laute, die nichts Gutes verhießen. Kein Schauspieler brächte es je fertig, so herzzerreißend zu wimmern, sagte er sich. Schwächlich wie Kinderweinen hörte es sich an, schien aus tiefster menschlicher Verzweiflung zu kommen. So abgebrüht Hector Fitzpitter auch war, ihm wurden die Knie weich bei diesem stoßweisen Jammern, so unheimlich klang es, so furchteinflößend. Das Herz krampfte sich ihm zusammen, Mitleid packte ihn, wie er es zuvor nie erlebt hatte. Salzige Tränen liefen ihm übers Gesicht und in seinen umgehängten Bart. Schweigend erhob er sich, mit dem festen Vorsatz, dem Elend ein Ende zu bereiten, das ihn so im Innersten aufgewühlt hatte.

Er pochte laut an die Tür, und als sich nichts regte, trommelte er mit geballten Fäusten dagegen, so heftig er nur konnte. Schließlich machte ein Kind auf. Ein kleines spindeldürres Mädchen in schmuddligen Sachen blickte ihn aus verweinten, wundergläubigen Augen an. Hinter ihr stand ein kleiner Junge, der genauso verhungert aussah, und plötzlich waren vier weitere Jungen und Mädchen zur Stelle, alle deutlich vernachlässigt und gänzlich unterernährt, so schmächtig und blaß, daß man annehmen mußte, sie seien alle gleich alt.

»Das ist der Weihnachtsmann«, flüsterte einer, und jeder murmelte ganz leise den Namen, der Kindern überall Ehrfurcht einflößt.

Vorsichtig tastete sich Hector Fitzpitter zur Küche durch. Viel Licht gab es nicht, denn da brannte nur eine Petroleumlampe, und der Docht war fast ganz heruntergedreht. Von Feuer im Kamin keine Spur, obwohl die Nacht reichlich kalt war. Auch die Mutter war nirgends zu sehen. Der Vater saß in einer Ecke, die Beine von sich gestreckt; leere Bierflaschen lagen herum, und in der dreckigen Faust hielt er ein halb volles Whiskeyglas. Er schnarchte stoßweise. Das kleine Mädchen, das die Tür aufgemacht hatte, hielt einen Finger an die Lippen und flehte so den Besucher an, sich ruhig zu verhalten.

»Wo ist denn eure Mutter?« flüsterte Hector.

»Er hat sie rausgejagt.« Jeder von den sechsen zeigte mit dem Finger auf den schlafenden Vater.

»Warum?« wollte Hector wissen.

»Ohne alles Warum«, erwiderte das Mädchen, das ihm geöffnet hatte.

»Das macht er immerzu«, flüsterte einer von ihnen.

»Wenn er aufwacht, prügelt er uns wieder«, sagte ein anderer.

»Und wohl auch ohne jeden Grund, stimmt’s?« erkundigte sich Hector. Ein im Chor geflüstertes »Ja, stimmt« beantwortete seine Frage.

»Ich hab für jeden von euch ein Geschenk mit«, verhieß er den Kindern. Ihre Gesichter strahlten.

»Wie wenig braucht man doch, um ein Kind froh zu stimmen«, sagte sich Hector inmitten all der Schluchzer und Schniefer.

Er blickte von einem der unschuldigen Gesichter ins andere und sah mit Schrecken, daß alle Beulen, blaue Flecken und blutige Striemen hatten. Nie hatte er die geringste Hemmung gehabt, einem seiner Komödianten in den Hintern zu treten oder ihm eine deftige Ohrfeige zu verpassen, aber ein Kind in solcher Weise zu mißhandeln, das konnte nur ein elender Feigling oder ein ausgemachter Schuft tun.

»Eure Erlösung naht«, verkündete er den Kindern feierlich und gab sich nicht die geringste Mühe, die Stimme zu senken. Er scharte alle um sich und war ganz benommen von der Freude, die sich auf ihren Gesichtern malte.

»Geht jetzt«, sagte Hector, und er streichelte mit den Händen über ihre Köpfe und Wangen, »und sucht eure Mutter. Ich möchte, daß ihr sie herbringt, auch wenn sie sich noch so sehr sträubt. Sagt ihr, ich, der Knecht Ruprecht, hat euch geschickt. Geht jetzt.«

Wie der Blitz verschwanden die Kinder.

»Nun zu dir, Bursche.« Damit drehte sich Hector nach dem in der Ecke schnarchenden Säufer um. »Wollen mal sehen, wieviel Mumm du in den Knochen hast. Wach auf, Kerl!« brüllte er, »wach auf, du sollst bekommen, was du verdient hast. So wahr die Sterne draußen am Himmel stehen, jetzt wird Gericht gehalten in diesem Haus. Wach auf, du Mistvieh!« schrie er mit aller Kraft.

Wutentbrannt und mit verschwiemeltem Blick rappelte sich Jack Scalp auf und stieß wüste Flüche aus. Nach Bier roch er meilenweit. Als er den Weihnachtsmann vor sich sah und niemanden sonst, umklammerte er sein Whiskeyglas und wollte es ihm an den Kopf schleudern. Doch der Schauspieler kam ihm zuvor, packte ihn beim Arm und zwang ihn in die Knie. Bislang ungeahnte Kräfte erfüllten Hector. Er griff Jack Scalp an die Kehle und stemmte ihn hoch.

»Meine Kraft ist gleich der von Männern zehn an der Zahl«, grölte er ein Dichterwort zitierend, »bin ich doch reinen Herzens.«

Zum ersten Mal in seinem Leben überkam Jack Scalp so etwas wie wirkliche Furcht. Er befand sich in der Gewalt eines Verrückten, dessen war er sich völlig sicher. Hector stieß ihn mit einem Schwung in die Ecke, aus der er eben hochgekommen war, und stampfte wie ein Besessener in der Küche herum. Mit einem Mal blieb er stehen.

»Weißt du, wer ich bin?« herrschte er die zusammengekrümmte Gestalt an.

Verängstigt schüttelte Jack Scalp den Kopf, am liebsten hätte er Reißaus genommen, aber vor Angst war er wie gelähmt.

»Ich bin das bärtige Ungeheuer von Tontagio«, schrie Hector Fitzpitter. »Siebzehn Männer habe ich bislang erschlagen und hunderte zu Krüppeln gemacht. Mach deinen Frieden mit Gott, solange du noch kannst, du räudiger Schuft, denn eh’ du dich versiehst, habe ich dich ins Jenseits befördert.«

Und nun steigerte sich Hector vollends in die Rolle hinein, die er geschaffen und tausendmal gespielt hatte. Mit Riesenschritten ging er in der Küche hin und her, brach dabei in wahnsinniges Gelächter aus und erschreckte so sein Opfer zutiefst.

»Erhebe dich!« befahl er. Mit Mühe kam Jack Scalp auf die Füße; der Sabber lief ihm aus dem Mund, er sah bereits sein Ende nahen. Aus einer Innentasche in seinem großen, roten Mantel zog Hector das Hackmesser aus Mrs. Melricks Torfschuppen und schleuderte es so geschickt in Richtung des sich in der Ecke duckenden Kerls, daß es um Haaresbreite an seinem Kopf vorbeischoß. Dann packte er ihn bei der Gurgel, drückte ihn rücklings auf den Küchentisch und würgte ihn so lange, bis der Tisch unter dem sich windenden und strampelnden Kinderprügler zusammenbrach.