Wie die SBZ kommunistisch wurde und im Westen zur kommoden Diktatur geriet - Siegmar Faust - E-Book

Wie die SBZ kommunistisch wurde und im Westen zur kommoden Diktatur geriet E-Book

Siegmar Faust

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Beschreibung

Studienarbeit aus dem Jahr 2005 im Fachbereich Politik - Politisches System Deutschlands, Note: 1,3, Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg (Institut für Politische Wissenschaft), Veranstaltung: Seminar: Strukturelemente des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, Sprache: Deutsch, Abstract: Nach dem II. Weltkrieg zeigte es sich wieder, wie die Macht der Rache, der Rausch des Sieges, die Gier nach Eroberungen, die Trieb zur Vergewaltigung, der Schock über die KZs des Nationalsozialismus erst einmal alle christlichen und völkerrechtlichen Grundsätze der abendländischen Zivilisation über den Haufen warfen. Doch der Phase der Willkür, des Übermuts und der Gleichgültigkeit folgte zur Ehrenrettung der Zivilisation bald die Phase der Rückbesinnung darauf, wenigstens in den West-Zonen, dass man ja ausgezogen war, um Hitler zu besiegen und eine verbrecherische Ideologie zu vernichten, nicht aber Menschen, die von ihr befallen waren. Kein Siegerstaat war angetreten, die Deutschen befreien zu wollen, wie das oft so halsbrecherisch gedeutet wird. Der fortgeführte Krieg im Frieden mit Millionen von Heimatvertriebenen und Toten war eine Katastrophe, der sich Wissenschaftler des linksliberalen Lagers erst in letzter Zeit zu nähern wagen. Doch wahrscheinlich ist der Abstand nötig, damit Generationen von Geisteswissenschaftlern und Philosophen, die selber nicht zu den Betroffenen gehören, diesem emotional aufgeladenen Thema mit kühlem Kopf, aber warmherzig der historischen Wahrheit ihre Würde zu geben vermögen. Vom Ende der DDR her lässt sich mit dem in Rostock lehrenden Prof. Werner Müller (geb.1948) sagen, dass sie weder eine längerfristige und in sich stabile "deutsche Möglichkeit" war, noch (…) "eine eigenständige und legitime Antwort auf die Katastrophe von 1933 bis 1945" darstellte. Sie war, genau besehen, die Fortführung dieser Katastrophe in eine der längsten Friedensperiode hinein, die es bisher in Europa gab. Vier Millionen Menschen flüchteten in diesem Frieden unter Einsatz des Lebens und unter Aufgabe allen Besitzes in den Westen. Über 1000 zumeist junge Menschen verloren ihr Leben bei einem der verschiedenen Fluchtversuche zu Land, zu Luft und zu Wasser. Viele Städte oder historische Stadtteile, die heil den Krieg überstanden hatten, zerfielen trotz großer Wohnungsnot dermaßen rasant, so dass der dort aufgekommene Spruch „Ruinen schaffen ohne Waffen“ die Situation mit nur geringer Zuspitzung beschrieb. Neben brutalem Raubbau und einhergehender Naturzerstörung wurden auch Kulturdenkmale wie die Dresdner Sophienkirche, die Leipziger Universitätskirche, die Potsdamer Garnisonskirche oder das Berliner Stadtschloss aus politischen Gründen gesprengt. Die marxistische Ideologie erwies sich als ein Sprengsatz im wahrsten Sinne des Wortes.

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Inhaltsverzeichnis
I. Vorbemerkung
II. Rückblickende Vorsicht
XVII. Literaturverzeichnis

Page 1

Bayerische Julius-Maximilians-Universität Würzburg

Institut für Politische Wissenschaft

Seminar: Strukturelemente des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland

6. Seme ster Mai 2005

Die Viererbande: Marx, Engels, Lenin, Stalin

Page 3

I. Vorbemerkung

Unmittelbar nach dem II. Weltkrieg glaubten die Alliierten offensichtlich, auf deutschem Boden einen rechtsfreien Raum betreten zu haben, denn anders lassen sich die zum Teil irrwitzigen Befehle, die sie erließen, nicht deuten. Während die deutschen Männer in der französischen Be satzungszone ange wiesen wurden, vor den Besatzern „ehrerbietig“ den Hut zum Gruße abzunehmen, mussten die Menschen in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) vorerst nach Moskauer Ortszeit arbeiten; und die US-Amerikaner ließen Stadträte in ihrer Zone Leichen mit bloßen Händen umbetten. An den feuchten Ufern der Rheinniederung und seiner Nebenflüsse, zwischen Rheinberg und Bad Kreuznach, pferchten die US-Sieger mehr als eine halbe Million deutsche Soldaten auf Äckern und Wiesen zusammen. Wahrscheinlich kennt die Weltgeschichte keine größere Ballung von Gefangenen auf so wenigen Quadratkilometern. Der Soldat und spätere Hochschulpfarrer Hermann Kiefer (geb. 1921) hat in einem dieser Rheinwiesenlager unterm Sternenzelt „gehaust“, das 10 km von seinem Heimatort Speyer entfernt auf dem Ackerboden von Böhl errichtet wurde, wo im Frühjahr 1945 von den 70.000 bis 80.000 Eingepferchten täglich 30 bis 40 vor Hunger und Kälte umkamen:Das eigentliche Thema ist der Hunger. Er wird zum treuesten Begleiter bei Tag und Nacht. Es gibt keine Gewöhnung an ihn. Im Gegenteil: je länger er andauert, desto reißender wird er, desto mehr beschlagnahmt er das ganze Bewusstsein. Und er wird umso intensiver empfunden, als es keine Abwechslung durch Arbeit gibt, andererseits aber der Kalorienverbrauch sehr hoch ist, denn Stehen bei Tag und Nacht ist anstrengend und ungemein kraftraubend. Nach wenigen Tagen beginnt es überdies zu regnen, und teilweise ist der Re gen noch mit Schnee gemischt. Die Kleidung ist bald durchnässt…1Am tiefsten jedoch prägte sich diesem sensiblen und begnadeten Überlebenden ein,dass es unter physischen Extrembedingungen Einsichten und innere Erlebnisse geben kann, die die Gewissheit verleihen, dass es eine geistige Dimension der Wirklichkeit gibt, welche die natürliche Abhängigkeit des Geistes von seinen materiellen Bedingungen weit übersteigt.2

Schon nach dem I. Weltkrieg schienen die demokratischen Siegermächte von allen guten Geistern verlassen gewesen zu sein.Wo war denn,fragt heute der Philosoph Günter Rohr moser (geb.1927),im Versailler Vertrag Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu finden? Was hat der Westen hier im Namen der Zivilisation getan? Er hat einen „Friedensvertrag“ geschlossen, der den Keim für Hitler in sich getragen hat. Das war damals die große „Leis-1HermannKiefer: Kriegsgefangen in der eigenen Heimat. In: Ankunft. Freier Deutscher Autorenverband Rhein-

land-Pfalz, Mainz 1987, S. 95 (Alle kursiv gesetzten Texte sind Zitate.)

2Ebenda, S. 101

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tung“ der westlichen Zivilisation gegen die Barbaren.3Und nach dem II. Weltkrieg, der nun eindeutig von Hitler (1989-1945) und seinen Helfershelfern ausging, ohne eine gewisse sowjetische und polnische Mitschuld unterschlagen zu wollen, zeigte es sich wieder, wie die Macht der Rache, der Rausch des Sieges, die Gier nach Eroberungen, die Trieb zur Vergewaltigung, der Schock über die Konzentrationslager des Natio nalsozialismus erst einmal alle christlichen und völkerrechtlichen Grund sätze der westlichen und abendländischen Zivilisation über den Haufen warfen:Viehwaggons für die Deportation, die Beschlagnahmungs- und Ausweisungskommandos, erreichte Grenzen und Übergangsstellen, die Evakuierungsschiffe, die Marschkolonnen die Fluchtbrücken, die Brutalität des Deportationsvorgangs, die Selektion und die Ausgrenzungsmechanismen, die Zeichnung durch Arm binden, die Flüchtlingstrecks vor allem, die Ba rackenlager und Zeltstädte; auch Orte der Greuel und Schocks. Solche Bilder sind Bestandteile des traumatisierten nationalen Gedächtnisses: die Trecks auf dem Eis des Frischen Haffs, die Deportationszüge nach Kasachstan, die Friedhöfe der katholischen Litauer bei Igarka usf.4

Der wackere Kardinal Clemens August Graf von Galen (1878-1946), der schon die Nationalsozialisten zur Weißglut gebracht hatte, was ihn bald als „Löwen von Münster“ bekannt werden ließ, erlaubte sich nach dem Krieg, ebenso unerschrocken gegen völkerrechtswidrige Übergriffe der Besatzungsmächte, gegen die Kollektivschuldthese und die rücksichtslose Vertreibung Deutscher aus den Ostgebieten zu protestieren. Er warnte, weil er wusste, dass dadurch derSiegeszug der bolschewistischen Ideen weit über die Grenzen der russischen Besatzungszone hinausseinen Lauf nehmen wird. Unerhört ging dann trotzdem, nach einem Wirtschaftswunder-Zwischenspiel, die westdeutsche Geschichte ihren sozialistischen Gang:Wenn Du irgendwann mal in den Westen kommst, wirst Du entsetzt sein, wie unglaublich links die Bundesrepublik Deutschland ist.5Das sagte in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts bei einem Treffen unter Brüdern in einer Prager Schwarzbierkneipe der eine, der schon im Westen wohnte, dem anderen, der nach dem Westen wollte. Da regierte noch ein Herr Dr. Kohl. Später konnte ein deutscher Außenminister, der jahrelang zum beliebtesten Politiker gekürt wurde, sogar sagen:Ich entdecke immer mehr, wie sehr ich doch Marxist geblieben bin.6In der gleichen Deutlichkeit ist auch der politische, soziale, kulturelle und wirtschaftliche Ab stieg Deutschlands erkennbar geworden. Doch kaum jemand kann oder will sich die

3In: Rohrmoser, S. 376 (nähere Angaben in der Literaturliste)

4Karl Schlögel: Europa ist nicht nur ein Wort. Zur Debatte um ein Zentrum gegen Vertreibungen, in: Zeitschrift

für Geschichtswissenschaft, Heft 1 / 2003, S. 10

5Stedinger, S. 489. Gemeint sind die Brüder Lutz (geb. 1954) und Wolf Donnerhack (geb. 1952) aus Plauen.

6In: Profil, Nr. 27, Wien, 30. 06. 1997

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hintergründigen Ursachen erklären. Der Lektor, Übersetzer, Verla gsleiter und Hochschullehrer Professor Hans Joachim Störig (geb. 1915) schrieb in seiner erfolgreichen „Kleinen Weltgeschichte der Philosophie“ unüberbietbar deutlich:Die anderthalb Jahrhunderte, die seit dem Erscheinen des „Kommunistischen Manifests“ verstrichen sind, haben zwar nicht den endgültigen Sieg des Kommunismus gebracht; gleichwohl sind sie in hohem Maß durch das Wirken Marxens und seiner Nachfolger geprägt. Nicht nur, dass in den Sozialwissenschaften (und dem breiten Spektrum philosophischer Theorien, die sich, von Marx angeregt, im demokratischen und „kapitalistischen“ Westen ausgebildet haben) Marx überall gegenwärtig istim geistigen Klima, im allgemeinen Bewusstsein dieser Zeit sind Marxsche Gedanken so stark wirksam, dass auch das Weltbild von Denkern (und Normalbürgern) vom Marxismus eingefärbt ist, die es empört zurückweisen würden, als Marxisten zu gelten.7

Nun, es gibt durchaus institutsleitende Wissenschaftler, die wie der Bremer Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel ein privilegiertes bürgerliches Leben führen und Marx noch heute solche entzauberten „Revoluzzer“ offensiv verteidigen. Sie setzten sich im Umfeld der 68er Bewegung intensiv mit Marx und anderen Marxisten auseinander und haben leider so gut wie nichts dazu g elernt. Woher auch? Dem Verstehen geht, das erkannte schon der Philosoph Wilhelm Dilthey8im 19. Jahrhundert, bekanntlich das Erleben voraus. Man kann schon froh sein, wenn andere Wissenschaftler, die von den 68ern geprägt wurden, dann wie der Historiker Paul Nolte (geb. 1963) wenigstens ihre Vorbehalte gegen Marx noch zu formulieren in der Lage sind: „Die Art seines Denkens und Schreibens, wie er sich mit anderen auseinander setzt, empfinde ich als menschenverachtend, da sind die Fundamente der Missachtung von Andersdenkenden angelegt.“9Immerhin - dem „Spiegel“ sei Dank, dass hier etwas auf naive Weise zur Sprache kommt, was der Politikwissenschaftler und Jurist Konrad Löw10schon Jahre zuvor auf profunde Weise verbreitete, aber in jenen Kreisen, die sich für die tonangebenden Intellektuellen halten, mit Hohn und Häme überschüttet wurde.

„Die meisten 68er, die damals schon in völliger Verkennung aller Realitäten und heute viele noch immer sowohl als Wissenschaftler oder als Regierende gar nichts anderes konnten, als an jeder Stelle zu versagen, bildeten um sich eine Gesellschaft, die sich „rhetorisch qualifi-

7ÜberarbeiteteNeuausgabe, Frankfurt/M. 2002, S. 715

8Siehe besonders seinen „Plan der Fortsetzung zum Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaf-

ten“, erster Teil: „Erleben, Ausdruck, Verstehen“, ab S. 235.

9Spiegel-Streitgespräch: „Ich spiel doch nicht den Engels“, in: Der Spiegel, Nr. 36/2005, S.99

10Siehe besonders seine Bücher: Warum fasziniert der Marxismus? Eine systematische Untersuchung, Köln 1980;

Marxismus. Quellenlexikon, 2. ergänzte Auflage, Köln 1985; Der Mythos Marx und seine Macher. Wie aus Ge -

schichten Geschichte wird, München 1996; Das Rotbuch der kommunistischen Ideologie. Marx & Engels - Die

Väter des Terrors, München 1999; Marx und Marxismus. Eine deutsche Schizophrenie, München 2001.

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ziert hat als besonders scharfe Betrachterin von politischen Unrechtssystemen und Ent wicklerin von Maßstäben des ‚Nie wieder!’ und ‚Niemals vergessen!’.“11Doch die 2. Diktatur auf deutschem Boden übersahen sie ebenso geflissentlich wie alle anderen kommunistischen Ter-ror-Territorien dieser Welt. Es war aus ihrer perversen Sicht freilich logisch, alle Opfer deutscher emanzipatorischer Bewegungen im 20. Jahrhundert klein zu rechnen, weil diese Generation in unverschämter Weise für sich beansprucht, die erste zu sein, in Deutschland die wahre „Freiheit und Demokratie“ eingeführt zu haben. Jeder, der aus einer Diktatur in die Bundesrepublik kam, glaubte anfangs, es würde sich hier „trotz aller Hindernisse am Ende doch die Vernunft durchsetzen“, denn das sei ja die „zwingende Logik der Demokratie“, wie der ebenfalls in der DDR sozialisierte Publizist Thorsten Hinz in seiner Dankrede nach der Verleihung des Gerhard-Löwenthal-Preises es ausdrückte, um enttäuscht festzustellen, dass „beide deutschen Staaten eine verdorbene Mitgift in die ungleiche Ehe eingebracht haben“. Der seit 1997 in Schweden lebende Schriftsteller Ulrich Schacht, geboren 1951 im sächsischen Frauenzuchthaus Hoheneck, wo seine Mutter als „Politische“ einsaß, obwohl sie nur wegen ihrer Liebe zu einem russischen Offizier hinter Gittern verschwinden musste, charakterisierte die 68er Neomarxisten klipp und klar: „Das einzige, was sie zu feiern in der Lage sind, sind ihre Feiertage aus den 60er Jahren, die vom Angriff auf die Demokratie geprägt waren. Das sind ihre großen Jahre. Da sind sie Opfer gewesen. Wovon, von wem, von was? Mit diesen Mythen und Legenden gehen sie nicht nur hausieren und spekulieren auf eine Gene ration, die von kapitalistisch-profitorientierten, geisteskranken Privatsendern sozusagen tiefenstrukturell verdummt wurde, sondern sie lügen auch dreist und frech, wenn Im Bundestag beispielsweise die Diskussion darum geht. Das sind dieselben Leute, die den Arbeitern des 17. Juni zeitweilig die Würde rauben wollten, dass das Freiheitskämpfer waren. Das sind dieselben Leute, die zeitweilig den Widerstandskämpfern des 20. Juli die Würde nehmen wollten, weil sie nicht für das bundesrepublikanische Modell à la ‚Joschka’ Fischer gekämpft haben. Soweit geht ja der Größenwahn dieser Leute.“12

Schlimmer ist fast, dass es keine echte politische Opposition dazu gibt, denn alle Parteien „sind beherrscht von solch hochprofessionellen Berufspolitikern“, schrieb Hans Heckel, „die ihr Handwerk von der Pike auf gelernt haben. Mit 14, 15 oder 16 treten sie in die Jugendorganisation einer Partei ein und betreiben von da an gezielt ihren Aufstieg. Noch bevor sie zum Erwachsenen haben reifen können, verinnerlichen sie die Regeln des Apparatschiks, der nach

11Ulrich Schacht in seinem Vortrag anlässlich der Buchvorstellung des wieder aufgelegten Bandes „Hohenecker

Pro tokolle“ am 17. Juni 2004 in der „Berliner Gedenkbibliothek zu Ehren der Opfer des Stalinismus“.

12Ebenda

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oben will. Das heißt: Keine Positionen einnehmen, die gefährlich werden können, nicht an Meinungen festhalten, die in die Minderheit geraten sind, sondern eine feine Nase ent wickeln für die aktuelle Windrichtung, und: die richtigen Freunde gewinnen - und fallen lassen, wenn sie im Wege sind.“13

Es ist zwar bedauerlich, aber nicht verwunderlich, dass sich einige westliche Besatzer anfangs oft nicht weniger barbarisch aufführten als die marxistische, leninistische und stalinistisch erzogene Soldateska der Sowjets. Zum Glück und zur Ehrenrettung der Zivilisation folgte der Phase der Willkür, des Übermuts und der Gleichgültigkeit jedoch bald die Phase der Rückbesinnung darauf, wenigstens in den West-Zonen, dass man ja ausgezogen war, um Hitler zu besiegen und eine verbrecherische Ideologie zu vernichten, nicht aber Menschen, die von ihr befallen waren. Doch kein Siegerstaat war angetreten, die Deutschen etwa befreien zu wollen, wie das heute so halsbrecherisch umgedeutet wird. Der fortgeführte Krieg im Frieden mit Millionen von Toten war eine Katastrophe, der sich internationale Wissenschaftler des großen linksliberalen Lagers erst in letzter Zeit zu nä hern wagen. Doch wahrscheinlich ist der Ab-stand nötig, damit Generationen von Geisteswis senschaftlern und Philosophen, die selber nicht zu den Betroffenen gehören, diesem emotional aufgeladenen Thema mit kühlem Kopf, aber sanftmütig der historischen Wahrheit ihre Würde zu geben vermögen.

Der im Westen Deutschlands aufgewachsene Karl Müller, der im Geiste der 68er seinen Vater zu Lebzeitenmit engen und strengen Maßstäben gemessen - und verurteilthatte, fand erst nach dessen TodSchritte hin zum Verstehen und zu einer gerechten Würdigung.In ihm reifte die Erkenntnis:In den letzten Jahren kommen immer mehr ‚Zeitzeugen’ zu Wort. Brücken zwischen den Menschen und Generationen wachsen, wenn Überheblichkeit, Besserwisserei, kaltes Urteilen und Guckkastenforschung unterbleiben. Wer den Menschen zum Objekt seiner Betrachtung und Forschung macht, wird Geschichte nicht verstehen. Es ist gut, wenn ich erkenne, dass auch ich in der Geschichte stehe und mich selbst nur dann verstehe, wenn ich auch den anderen verstehen - die Generation meiner Eltern, meiner Großeltern, meiner Urgroßeltern.14

Nur das kann der Gerechtigkeit und dem Frieden in Zukunft eine Chance verheißen, wenn bedingungslos alle Archive geöffnet werden, um tabulo ses Forschen und Streiten zu ermögli-

13„Andinos“auf dem Weg zur Macht. Die Seilschaften einflussreicher Politiker - Parteien züchten Apparatschiks,

in: Preußische Allgemeine Zeitung, 24.09.05, S. 4

14Karl Müller: 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Erinnern für Verstehen und Verständigung nutzen, in:

„Zeit-Fragen“ Nr. 18, Zürich 02.05.05

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chen; wenn alle verfestigten Vorläufigkeiten infrage gestellt und die Berichte der Zeitzeugen aus der Opfer-Perspektive ernst genommen werden, denndie Geschichte als das Vergangene verlangt, um gekannt zu sein,so Martin Heidegger (1889-1976),doch eine bestimmte Weise des Erfahrens, des Erfassens, abgesehen von jeder wissenschaftlichen Veranstaltung.15

II. Rückblickende Vorsicht

Vom Ende der „DDR“ her lässt sich mit dem in Rostock lehrenden Professor Werner Müller (geb.1948) durchaus sagen, dass sieweder eine längerfristige und in sich stabile „deutsche Möglichkeit“ noch (…) eine eigenständige und legitime Antwort auf die Katastrophe von 1933 bis 194516darstellte. Ja, sie war, genau besehen, die Fortführung dieser Katastrophe in eine der längsten Frie densperiode hinein, die es bisher in Europa gab. Etwa vier Millionen Menschen flüchteten in die sem Frie den, oft unter Einsatz des Lebens und unter Aufgabe allen Besitzes, in den Westen. Über 1.000 zumeist junge Menschen verloren ihr Leben bei einem der verschie denen Fluchtversuche zu Land, zu Luft und zu Wasser. Viele Städte oder historische Stadtteile, die einigermaßen heil den Krieg überstanden hatten, zerfielen trotz großer Wohnungsnot derma ßen rasant, so dass der dort aufgekommene Spruch „Ruinen schaffen ohne Waffen“ die Situa tion mit nur geringer Zuspitzung beschrieb. Neben brutalem Raub bau und einhergehender Naturzerstörung wurden auch Kulturdenkmale wie die Dresdner Sophienkirche, die Leipziger Universitätskirche, die Potsdamer Garnisonskirche oder das Berliner Stadtschloss aus ideologischen Gründen gesprengt.

Zuvor bleibt jedoch zu untersuchen, worauf die „DDR“ sich gründete und welchen Weg sie einschlug und welche verheerende Rolle die westlichen „Brüder und Schwestern“ in ihrem „Wandel durch Anbiederung“ spielten. Maßstab kann freilich nicht die theoretische Grundlage des Selbstverständnisses derer sein, die im kommunistischen SED-Staat das Sagen hatten, so wie das in den siebziger Jahren der einflussreiche „DDR“-Forscher Peter C. Lutz (1031-1979) mit seiner verhängnisvollen „systemimmanente Methode“ propagierte, sondern hier sollte in jeder Bezie hung der ideologiefreie Vergleich mit der Entwicklung in den Westzonen Deutschlands herangezogen werden, denn es gibt keinen gebührlicheren Maßstab. Da sich nichts Wesentliches aus sich selber heraus erkennen lässt, sondern immer nur im Vergleich zu etwas anderem, böte sich hier eine weitere Möglichkeit an: die Gegenüberstellung der angeblich antifaschisti-15MartinHeidegger: Phänomenologie der Anschauung und des Ausdrucks. Theorie der philosophischen

Begriffsbildung, GA, Band 59, Frankfurt/M. 1993, S. 50

16März: Die zweite gesamtdeutsche Demokratie, S. 77

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schen „DDR“ mit dem NS-Regime17. Dieser Vergleich war seit der Zeit der 68er Revolten vom Westen aus immer mehr - zur Freude und mit Hilfe der Kommunisten - nicht nur tabuisiert, sondern regelrecht vereitelt und der Jugend vorenthalten worden.

Der Berliner Gymnasiallehrer Karl- Heinz Schmick (geb. 1949), um nur ein Beispiel zu nennen, hatte es sich im Jahre 2003 vor seinen Schülern erlaubt, Hitler mit Stalin zu vergleichen, und damit, so der Sprecher des Berliner Verwaltungsgerichts,leichtfertig den Verdacht erweckt, er sei ein Rechtsextremist.Selbstverständlich zog das in diesem unserem Land eine der typischen Hetzjagden und Rufmordkampagnen gegen diesen Lehrer nach sich; allen voran die Oberanständigen Wolfgang Thierse und Johannes Rau in trautem Verein mit der BILD-Zeitung, Antifa-Aktivisten, Elterninitiativen und Fernsehübergrößen wie Günter Jauch. Diese Republik ist so absurd und verdorben, dass sie nur noch zu einem fähig zu sein scheint: unter zu gehen.