Wie Faschismus funktioniert - Jason Stanley - E-Book

Wie Faschismus funktioniert E-Book

Jason Stanley

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Beschreibung

Angesichts der neuen Konjunktur von Ultranationalismen auch in Europa und einer wachsenden Zahl von Ländern weltweit arbeitet der Philosoph Jason Stanley aus einer historischen wie gegenwärtigen Doppelperspektive die allgemeinen Muster und Rhetoriken, die Stoffe und Mythen des Faschismus heraus. Stanley ist sich sicher: Nur wenn wir faschistische Politik erkennen, können wir ihren schädlichsten Auswirkungen widerstehen und zu demokratischen Idealen zurückkehren.

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Ebook Edition

Jason Stanley

Wie Faschismus funktioniert

Übersetzt von Julien Karim Akerma

Mit einem Prolog von Rahel Jaeggi

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel How fascism works: the politics of us and them. Published in the United States by Random House, an imprint and division of Penguin Random House LLC, New York. Random House and the House colophon are registered trademarks of Penguin Random House LLC.

Copyright © 2018 by Jason Stanley

All rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with Random House, an imprint and division of Penguin Random House LLC

Mehr über unsere Autoren und Bücher:

www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN: 978-3-86489-443-5

1. Auflage 2024

© Westend Verlag GmbH, Neu-Isenburg 2024

Umschlaggestaltung: Buchgut, Berlin

Satz: Publikations Atelier, Weiterstadt

Inhalt

Cover

Vorwort zur deutschen Übersetzung

Aktualisiertes Vorwort zur ersten Taschenbuchausgabe

Einleitung

1 Die mythische Vergangenheit

2 Propaganda

3 Anti-Intellektualismus

4 Unwirklichkeit

5 Hierarchie

6 Die Opferrolle

7 Recht und Ordnung

8 Sexuelle Ängste

9 Sodom und Gomorrha

10 Arbeit macht frei

Epilog

Danksagungen

Anmerkungen

Orientierungsmarken

Cover

Inhaltsverzeichnis

Für Emile, Alain, Kalev, Talia und ihre Generation

Vorwort zur deutschen Übersetzung

Droht uns eine Wiederkehr des Faschismus? Befinden sich die liberalen Demokratien heute auf dem Weg in eine neue autoritäre Gesellschaftsform? Diese Frage steht düster im Raum. Selbst diejenigen, die mit solchen Vokabeln eher vorsichtig umgehen, sehen sich mit der Tatsache konfrontiert, dass die liberale Demokratie keine Selbstverständlichkeit, sondern fragil ist und bedroht sein kann. Es ist dieser Hintergrund, der Jason Stanleys (in den USA bereits 2018 erschienene) Buch motiviert. Genauer gesagt waren es der ausgreifende neue Autoritarismus der Trump-Bewegung, die offene Respektlosigkeit gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat, der zunehmend aggressiver werdende Kulturkampf gegen emanzipative Errungenschaften, die geifernden Attacken gegen Minderheiten, Geflüchtete und die Migrationsgesellschaft – sowie die Erkenntnis, dass es, bei allen Unterschieden, weltweit einander ähnelnde Szenarien einer Rückkehr des Autoritären, der Politik der Diskriminierung und des Ausschlusses sind, mit denen populistischen Bewegungen im Namen des Volkes die Möglichkeiten solidarischen Zusammenlebens unterminieren.

In Deutschland machen insbesondere die Wahlerfolge der AfD, das realistische Drohgespenst der Regierungsbeteiligung einer Partei, die vom Verfassungsschutz als »in Teilen gesichert rechtsextrem« beobachtet wird, die Frage nach dem Faschismus virulent. Die Beschäftigung von offen bekennenden Neonazis im deutschen Bundestag ist dabei nur ein – wenngleich das erschreckendste – Beispiel für das Aufblühen rechtsextremer Strukturen in allen Winkeln der Demokratie und das Einsickern von »gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit«, ob antisemitisch, islamophob, rassistisch oder anders motiviert, in sämtliche Lebensbereiche. Die Radikalisierung faschistischer Bewegungen bis hin zu terroristischen und mörderischen Anschlägen auf Migrant:innen wird durch die politische Unfähigkeit, angemessen darauf zu reagieren, zu einem Problem, das weit über die juristische Nachverfolgung des Geschehens hinausgeht »Say their names!«

Aber was ist und ab wann ist es Faschismus? Dass es nicht ausreicht, auf die Intaktheit des Rechtsstaats und das Weiterbestehen der formalen Grundelemente einer demokratischen Ordnung zu verweisen, hat die Geschichte gelehrt. Auch die Nationalsozialisten sind in der Weimarer Republik durch eine demokratische Wahl an die Macht gekommen. Die Strategie der Abschaffung der Demokratie mit den Mitteln der Demokratie ist – daran hat der CDU- Politiker Armin Laschet auf einer der Demonstrationen im Februar 2024 in einer eindrucksvollen Rückschau auf die Ereignisse von Januar bis März 1933 erinnert – gerade in Deutschland nicht neu. Wir brauchen also andere Kriterien, insbesondere Sensibilität für die Mechanismen, mit denen sich die faschistische »Politik des Wir-und-Sie«, auf die die amerikanische Ausgabe des Buches bereits im Untertitel hinweist, durchsetzt. Was wir jetzt brauchen, ist Urteilskraft. Dazu kann uns Jason Stanleys Buch verhelfen.

Wie Faschismus funktioniert – das klingt nach einer Gebrauchsanleitung und soll wohl auch so klingen. Mit einem Unterschied: Wenn ich verstehe, wie meine Kaffeemaschine funktioniert, kann ich sie angemessen bedienen. Wenn ich verstehe, wie der Faschismus funktioniert, kann ich versuchen, ihn zu verhindern. In beiden Fällen geht es um einen praktischen Zweck, um Analyse als Hilfestellung für die Praxis. Was Sie in Ihren Händen halten, ist also ein Buch, das in der besten Tradition der politischen Aufklärungsliteratur steht. Es erfüllt den Zweck, den einmal Flugschriften hatten; will aufklären, warnen, erläutern und skandalisieren, zum Nach- und Umdenken herausfordern und zum Handeln motivieren, ein kleines Traktat, ein Brevier, dass uns helfen soll, die politisch-gesellschaftliche Situation klarer zu sehen und ihr begegnen zu können.

Wie Faschismus funktioniert – in aller Knappheit etabliert Jason Stanley zehn präzise gefasste Merkmale des Faschismus. Und so vermessen es erscheinen mag, in dieser Kürze etwas über den Faschismus sagen zu wollen, angesichts der Komplexität seiner Ursachen und der Vielfalt seiner Erscheinungsformen, so erstaunlich ist es, welchen Wiedererkennungswert die sich wiederholenden Muster haben und wie sich die Elemente faschistischer Politik – oder auch »Politiken« im Plural, eine Lesart, die der englische Begriff erlaubt – identifizieren und ausmachen lassen. Dass faschistische Politik beispielsweise, wie Stanley ausführt, regelmäßig darauf beruht, eine große mythische Vergangenheit des eigenen Volkes heraufzubeschwören, macht Trumps »Make America great again!« noch nicht zu Hitlers »tausendjährigem Reich«. Dennoch verstehen wir über alle Unterschiede hinweg die Dringlichkeit, mit der kritische Geschichtsbetrachtungen seitens der Trump-Bewegung abgewehrt werden müssen. So erklärt sich, wie es dazu kommen konnte, dass Schulbuch-Razzien in amerikanischen Bibliotheken durchgeführt wurden. Der Moment, in dem man Aufklärung über Kolonialismus, Rassismus und Sklaverei im McCarthy-Stil als »unamerikanische Umtriebe« auffasst, scheint vor diesem Hintergrund nicht mehr weit. Wir verstehen zugleich aber auch, was den damaligen AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland zu der berühmten »Vogelschiss«-Analogie getrieben hat, und warum in Deutschland der sogenannte sekundäre Antisemitismus – der die jüdische Bevölkerung gerade für das hasst, was ihr angetan wurde – so stark ist: Die Verfolgung, Ausplünderung, Entrechtung und Ermordung der europäischen Juden rückt die »auserwählte Nation« in ein schlechtes Licht.

Jüdische, muslimische, schwarze, linke, queere Menschen stören mit ihren Erfahrungen der Ausgrenzung, der Unterdrückung und der Gewalt die Möglichkeit, Deutschland als etwas mythisch Großes aufzufassen. Auch das sich wiederholende Muster des Anti-Intellektualismus, die Verleugnung der Wirklichkeit und die Hierarchisierung der sozialen Welt, die auf Jason Stanleys Checkliste stehen, lassen sich vielerorts leicht ausmachen. Und dass die Abwehr des Fremden mit sexualisierten Projektionen einhergeht, dass das Fremde wie das sexuell Uneindeutige fasziniert abgewehrt werden, das gehörte schon zu den Einsichten der Frankfurter Studien über den autoritären Charakter und zeigt sich erneut in den wilden Fantasien, die die Inklusion von LGBTQ+ und die Auflösung der traditionellen Familie begleiten.

Dabei ist Wie Faschismus funktioniert wohlgemerkt keine historische Analyse und weder eine philosophische noch eine politiktheoretische Theorie des Faschismus. Das Buch beantwortet nicht, was der Faschismus ist, was ihn verursacht, wo er herkommt, sondern eben: wie er funktioniert, welche Merkmale faschistische Bewegungen und Taktiken teilen und wie man sie identifizieren kann. Es stellt eine Handreichung zur Früherkennung dar – bevor es zu spät ist. Der Moment des Erscheinens der deutschen Übersetzung könnte deshalb nicht besser gewählt sein.

»Nie wieder ist jetzt.«Während ich dieses Vorwort schreibe, halte ich mich als wissenschaftliche »Fellow«im Thomas Mann House in Los Angeles auf. Thomas Mann, der Exilant, der ebenso wie Jason Stanleys Großeltern von der Gewaltherrschaft des Faschismus aus Deutschland vertrieben wurde und zusammen mit seiner Familie ein neues Leben in Kalifornien aufbauen musste, schrieb in diesem Zimmer nicht nur den Josephsroman zu Ende, sondern dachte auch viel darüber nach, wie es zum Faschismus kommen konnte und wie ihm zu begegnen sei. Hier verfasste er flammende Reden gegen die Nationalsozialisten und für die Demokratie – »Steine in Hitlers Fenster«, so nannte er sie einmal. Thomas Mann wird, so stelle ich mir vor, immer wieder darüber reflektiert haben, an welchen Anzeichen man den drohenden Sieg des Faschismus früher hätte erkennen können – vielleicht schon früher als er es selbst schließlich tat – und was man, bevor es zu spät war, gegen ihn hätte ausrichten können.

Während ich dieses Vorwort schreibe, im Februar 2024, versammeln sich in Deutschland wöchentlich Hunderttausende, um gegen die AfD und den Einfluss rechtsextremistischer, faschistischer und nationalistischer Kräfte zu protestieren. Expert:innen sprechen von der größten Mobilisierung in der Geschichte der Bundesrepublik. Der unmittelbare Anlass dafür ist das von Journalist:innen aufgedeckte Zusammentreffen eines Netzwerkes führender deutscher Rechtsradikaler, bei dem unter dem Schlagwort »Projekt Remigration« offen Deportationspläne für Migrant:innen und andere nicht ins völkisch-autoritäre Bild integrierbare Menschen diskutiert wurden. Für diejenigen, die sich seit Jahren mit solchen Vereinigungen beschäftigen, sind Ausdrücke wie »Remigration« oder die Propaganda gegen einen angeblich drohenden »Bevölkerungsaustausch« nicht neu. Die offene Verwendung des Begriffs »Deportation«, aber auch der Umstand, dass das Treffen in unmittelbarer Nähe zum Ort der Wannseekonferenz stattfand, dürfte dennoch ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass plötzlich so viele das Gefühl hatten, ein Zeichen setzen zu müssen – nicht wenige davon zum ersten Mal auf einer Demonstration – und eine »Brandmauer gegen rechts« errichten zu wollen.

Auf die Mahnung »Nie wieder Faschismus!«, die zurückgeht auf den sogenannten Buchenwaldschwur im April 1945 und die seitdem zur Chiffre des antifaschistischen Gedenkens geworden ist, antwortet man nun mit einem dringlichen: »Nie wieder ist jetzt!« Das ist das richtige, das treffende Wort. Aber es ist auch keine harmlose Diagnose. Allzu häufig hat man sich in Deutschland hinter dem »Nie wieder« versteckt, so als könnte man, wie ein Kind, Verzeihung für das erfahren, das niemand verzeihen kann, indem man verspricht, es nicht noch einmal zu tun. Und allzu häufig bezieht sich diese Parole auf einen vagen, nicht genauer definierbaren Punkt in der Zukunft, sodass sie nicht mehr wie eine Warnung, sondern wie eine Beruhigung wirkt.

Aber wann ist wirklich »jetzt«? Wann ist »das goldene Zeitalter der Sicherheit«, wie Stefan Zweig die Jahre vor dem Ersten Weltkrieg bezeichnete, vorbei? Wenn »Nie wieder« wirklich jetzt ist, dann ist es an der Zeit, die Normalisierungen zu durchbrechen, die uns selbst dann noch in Sicherheit wiegen, wenn sich das Unmenschliche, die faschistische Entmenschlichung des Anderen, bereits Raum geschaffen hat. Sich dem Faschismus widersetzen, bedeutet dann vor allem: sich der Normalisierung, dem Sog der Normalisierung zu widersetzen.

Die vielleicht wichtigsten Überlegungen in Jason Stanleys Buch stehen fast am Schluss: »(…) die Gefahr einer Normalisierung des faschistischen Mythos besteht.« Unseren Urteilen über Normalität, darüber, was (noch) normal ist, darf man nicht trauen. Genau das zeigt die Beschäftigung mit der Geschichte des Faschismus. Zu stark ist die Tendenz, das einst Undenkbare denkbar zu machen. »Der Vorwurf des Faschismus wird immer extrem klingen; Normalisierung heißt, dass sich die Maßstäbe für die legitime Verwendung der drastischen Terminologie ständig verschieben.« Deshalb auch sollte man der Abwehrhaltung, auch der eigenen, die den Warnruf vor dem Faschismus immer schon für übertrieben hält, nicht trauen.

Sich der Normalisierung zu widersetzen, bedeutet dann eben auch, denjenigen Politiker:innen, mit denen man am Sonntag noch gemeinsam gegen den Faschismus auf die Straße gegangen ist, am Montag vorzurechnen, wie sehr ihre eigene Politik den Weg zur faschistischen Ausgrenzung ebnet. Wenn in den Wochen vor dem Potsdamer Skandal Olaf Scholz auf dem Cover des Spiegels, einem der einflussreichsten politischen Wochenmagazine, verkündet, man wolle und könne jetzt »endlich im großen Stil abschieben«, dann übernimmt der Bundeskanzler eine Problembeschreibung, für die die Rechtsextremen mit ihren »Remigrationsplänen« scheinbar die konsequentere Lösung und mit ihrer Rede von »Fluchttourismus« auch noch die konsequentere Bezeichnung anbieten. Wie immer liegt das Entscheidende bereits in der Rahmung des Problems.

Vielleicht fängt Normalisierung aber auch noch viel unscheinbarer an, zum Beispiel mit einem kleinen Stück Plastik. Die sogenannte Bezahlkarte, wie sie derzeit überall in Deutschland eingeführt wird, sagt viel darüber aus, wie sehr es hierzulande schon gelungen ist, die Geflüchteten zu »Anderen« zu machen. Sie verfügen dann kaum mehr über Bargeld, sondern nur noch über einen in bestimmten Geschäften einsetzbaren Gutschein. Interessant wird dieser eigentlich verwaltungstechnische Vorgang, wenn man die Unterstellungen ansieht, die ihn begleiten. Endlich können »die«, so der öffentliche Diskurs, kein Geld mehr in die Heimat schicken und es nicht für Drogen ausgeben. Dass hier ein wichtiger Schritt zur Ausgrenzung vollzogen wird, tritt deutlich hervor, wenn man in Rechnung stellt, was für ein machtvolles Symbol die freie Verfügung über Geld ist – über das Tauschmedium, das einen in dieser Gesellschaft zum Freien macht.

Die Selbstverständlichkeit der ethnisch homogenen Gesellschaft als Ausgangsposition und die entschiedene Abwehr der Realität einer Migrationsgesellschaft zeigt schließlich noch der verunglückte Aufruf des deutschen Wirtschaftsministers Robert Habeck knapp vier Wochen nach dem 7. Oktober 2023. Mit seiner Aufforderung an Muslime, sich nun entschieden von der Hamas und ihrer Politik zu distanzieren, vermittelte Habeck erneut den Eindruck, dass Menschen mit Migrationshintergrund, selbst diejenigen mit deutscher Staatsbürgerschaft, in Deutschland nur auf Bewährung geduldet sein. Der Faschismus fängt mit der sublimen Unterscheidung von Bürger:innen erster und zweiter Klasse an. Dies liefert das vielleicht eindeutigste Kriterium in Jason Stanleys Buch.

Normalisierung ist eine Erfahrungsblockade, die uns daran hindert, wahrzunehmen, wie Elemente antidemokratischen und menschenfeindlichen Verhaltens in unsere Institutionen und in unsere alltäglichen Praktiken einsickern. Wenn Normalisierung bedeutet, dass sich der Rahmen des Sagbaren und des Unsagbaren verschiebt, dann merkt man diesen Prozess manchmal kaum. Er findet aber schon dort statt, wo von Flucht und unfreiwilliger Migration als »Krise« gesprochen wird und wo das tausendfache Ertrinken Geflüchteter im Mittelmeer im Hintergrundrauschen der täglichen Nachrichten verschwindet. Schon die Beschreibung als »Flüchtlingskrise« und nicht etwa als Krise der Menschenrechte, des Sozialstaats oder der globalen Ökonomie setzt hier einen Kontext, der das Ertrinken der Menschen und ihr Leben in den Nicht-Orten der Lager als Kollateralschaden darstellt. Die Verschiebung findet auch dort statt, wo die Realitäten der Migrationsgesellschaft wieder und wieder geleugnet werden und drückt sich noch im Unwillen von Grundschullehrer:innen aus, die für sie fremd anmutenden Namen ihrer Schüler:innen richtig aussprechen zu lernen. Sie zeigt sich in vielen kleinen Verletzungen und vielen fast unmerklichen Ausgrenzungen.

Droht uns eine Wiederkehr des Faschismus? Vielleicht ist diese Frage falsch gestellt. Eine der unscheinbaren, aber überaus wichtigen begrifflichen Weichenstellungen, die Jason Stanleys Buch vornimmt, ist seine Redeweise von »faschistischen Taktiken«. Was er vor Augen hat und so eindringlich beschreibt, wovor er warnt, ist nicht der Faschismus als monolithische historisch bezeugte Einheit, sondern eine Vielzahl an Elementen und Weichenstellungen; Tendenzen, die manchmal fast unbemerkt den öffentlichen Diskursraum (das, was sagbar ist) verschieben, manchmal aber auch sehr manifest als Strategien institutionellen und ideologischen Machtgewinns kenntlich gemacht werden müssen. Löst die Drohung mit dem Faschismus Abwehrreaktionen aus, die die Urteilskraft eher schwächen als schärfen, so soll uns die Aufmerksamkeit für faschistische Taktiken Einschätzungen dessen ermöglichen, wo wir stehen.

Das heißt auch, dass ein neuer Faschismus eben das sein wird: neu, das Ergebnis einer neuen politischen, ökonomischen und sozialen Konstellation. Faschismus, wie Adorno und Horkheimer ihn sahen, ist eine regressive Reaktion auf Krisen. Doch heute sind diese anders verfasst, anders motiviert als noch zu ihrer Zeit und regen daher zu anderen Reaktionen, zu anderen Gegnerschaften, zu neuen Mechanismen des Ausschlusses, zu neuen Formen der Gewalt und der »Gewalt vor der Gewalt« an. Was wir dann brauchen, ist eine Schulung unserer Urteilskraft, die uns das Alte im Neuen und das Neue im Alten sehen lässt. Eine solche Urteilskraft zu justieren bedeutet auch, den Bezug zur Wirklichkeit wiederzugewinnen, zu einem Sinn, der, wie Hannah Arendt so eindringlich zeigte, immer wieder zu den ersten Opfern der faschistischen Gefahr gehört. Wenn Wie Faschismus funktioniert in der deutschen Öffentlichkeit so wirkt, wie der Autor es gemeint hat, kann es dabei zum Wegweiser werden.

Rahel Jaeggi, Pacific Palisades, 2024

Rahel Jaeggi ist Professorin für Sozialphilosophie und Politische Philosophie an der Humboldt-Universität zu Berlin und gilt als eine der zeitgenössischen Vertreterinnen der Kritischen Theorie. Als Gastprofessorin unterrichtete sie an der Yale University, Fudan University in Shanghai, New School for Social Research in New York. Sie war Fellow am Institute for Advance Studies an der Princeton University. Seit 2018 ist sie Leiterin des Centres for Social Critique in Berlin. Ihre wichtigsten Veröffentlichungen sind: Entfremdung (2005/2016), Kritik von Lebensformen (Suhrkamp 2014), jüngst erschienen ist Fortschritt und Regression (Suhrkamp 2023).

Aktualisiertes Vorwort zur ersten Taschenbuchausgabe

Seit der Veröffentlichung von How Fascism Works im September 2018 haben die weltweiten Ereignisse meine Besorgnis in Bezug auf den modernen Faschismus noch verstärkt. Die politischen Anführer, Parteien und Bewegungen, über die ich damals schrieb, sind mit ihren Vorhaben weiter vorangekommen. Neue Gruppierungen haben sich formiert, die die von mir dargestellten Taktiken nachahmen. Das von der WHO am 11. März 2020 zur Pandemie erklärte Coronavirus trug dazu bei, indem es grundlegende Aspekte des menschlichen, sozialen und politischen Lebens beeinträchtigte und eine weltweite Wirtschaftskrise nach sich zog. Meine Lehren von damals haben eine Dringlichkeit erreicht, die ich selbst nicht vorhersehen konnte.

Ich schrieb dieses Buch als Warnung vor faschistischer Politik, insbesondere vor der Gefahr einer Rhetorik, die Angst und Wut als Mittel zur Vertiefung ethnischer und religiöser Spaltung fördert und die in den öffentlichen Diskurs eindringt. Inzwischen sind ihre Auswirkungen allzu offensichtlich, denn sie bestimmt das Ergebnis von Wahlen und hält Einzug in die Politik.

Jair Bolsonaro, der »Tropen-Trump«, fand in der Originalausgabe dieses Buches keine Erwähnung. Kurz nach der Veröffentlichung wurde er jedoch zum Präsidenten Brasiliens, der viertgrößten Demokratie der Welt, gewählt. Bolsonaro fuhr eine Antikorrup­tionskampagne, die sich auf das Thema Recht und Ordnung kon­zentrierte. Er zeigte sich offen antifeministisch, homophob und lobte wiederholt die Vergangenheit des Landes als Militärdiktatur. Während seiner Amtszeit waren »[a]lle drei politisch aktiven Söhne Bolsonaros sowie seine Frau Michelle in Korruptionsskandale verwickelt«.1 In Brasilien wurden Journalisten bedroht; Universitäten, die sowohl Quelle des Protests gegen Bolsonaro als auch Zielscheibe seiner politischen Demagogie waren, mussten mit massiven Kürzungen ihrer Forschungsmittel rechnen. Am 15. März 2020 fanden im ganzen Land rechtsextreme Kundgebungen statt, bei denen man die Auflösung des Kongresses und der Gerichte forderte. Wie auch Trump leugnet Bolsonaro den Klimawandel. Der brasilianische Amazonas-Regenwald, dessen Gesundheit für den Planeten von entscheidender Bedeutung ist, wurde unter seiner Regierung zunehmend von katastrophalen Bränden heimgesucht, was eine verstärkte Abholzung zur Folge hatte.

Jahrelang sprach man angesichts des Aufstiegs der extremen Rechten von einer »spanischen Ausnahme« in Europa: Angeblich, so hieß es, schütze die jahrzehntelange Erfahrung mit dem Faschismus im 20. Jahrhundert die Spanier davor, denselben Fehler erneut zu begehen. Damit war 2018 Schluss, als Vox gegründet wurde, eine rechtsextreme Partei, die sich auf den faschistischen Diktator Franco beruft und Angst und Panik vor Einwanderung und dem Verlust der traditionellen Kultur schürt. Bei den Parlamentswahlen 2019 und 2023 erlangte Vox die drittmeisten Sitze im spanischen Parlament. Häufig wird angenommen, faschistische Taktiken vermögen nur dort Erfolg zu haben, wo die Institutionen und das Engagement für die demokratische Kultur bereits geschwächt sind; dass diese also schwerer wiegen als die spalterische Rhetorik, die sie beeinflussen möchte. Nun ist aber Schweden eines der Länder mit den stabilsten demokratischen Institutionen der Welt, darunter eine hervorragende allgemeine Gesundheitsversorgung, ein erstklassiges Bildungswesen und frei verfügbare Kinderbetreuung. Das Eintreten der Schweden für demokratische Werte wurde kaum je in Frage gestellt. Es bestätigt die Wirksamkeit faschistischer Taktiken in beunruhigender Weise, dass die einzige politische Partei des Landes, die sich ihrer bedient – die Schwedendemokraten –, seit der letzten Wahl dort die zweitmeisten Sitze im Parlament hat. Auch in Deutschland, einem weiteren Staat, dessen demokratische Institutionen unbestritten scheinen, ist die rechtsnationale AfD in den Umfragen mittlerweile die zweitstärkste Partei, und in Italien stellen die postfaschistischen Fratelli d’Italia mit ihrer Vorsitzenden Giorgia Meloni sogar die Regierung. Überall auf der Welt haben Politiker und politische Gruppierungen aus den hier erörterten Beispielen gelernt, wie die Rhetorik ethnischer Spaltung dazu führen kann, Wahlen und Rückhalt in der Bevölkerung zu gewinnen.

Seit Veröffentlichung des Buches hat es neben diesen neueren Entwicklungen auch einige besorgniserregende Vorstöße in bereits etablierten Bewegungen gegeben. Die Panik vor Zuwanderung und dem Verlust der dominierenden Kultur an religiöse oder ethnische Minderheiten, die von den Mehrheitsgruppen verabscheut werden, steht im Mittelpunkt faschistischer Politik. In den Ländern, in denen das Schüren dieser Angst am stärksten verfängt, beobachten wir, wie die dafür verantwortlichen Akteure an Stärke gewinnen. Indien ist ein herausragendes Beispiel, insbesondere der Aufstieg der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (»Indische Volkspartei«, BJP) und ihres Anführers Narendra Modi. In den letzten Jahren hat diese eine Mehrheit gewonnen und betreibt seitdem eine alarmierende Politik.

Historisch war die Staatsbürgerschaftspraxis in Indien liberal und säkular. Unter der Führung der BJP wandelt sich das Land jedoch dramatisch. Indien verfügt über ein nationales Bevölkerungsregister und einen Volkszählungsstand. In beiden Fällen werden aber die Einwohner gezählt, nicht die Bürger. Im November 2019 schlug das indische Parlament vor, ein Nationales Bürgerregister (»National Register of Citizens«, NRC) einzuführen, dessen Aufgabe darin besteht, Bürger von Nichtbürgern abzugrenzen. Diejenigen, die in die zweite Kategorie fallen, sollen inhaftiert und gegebenenfalls abgeschoben werden. In Indien lebt eine große Zahl von Menschen, die dort geboren sind, aber keine Dokumente wie Geburtsurkunden vorweisen können, die dies belegen. Daher will man entscheiden, wer von ihnen als Staatsbürger gilt und wer nicht. Mit Blick auf die hinter diesem Projekt stehenden Parteien besteht die große Sorge, dass die Religion der ausschlaggebende Faktor sein wird: Muslime ohne Papiere würden inhaftiert und abgeschoben, Hindus dagegen in das Register aufgenommen.

Parallel dazu hat Indien das Staatsbürgerschaftsänderungsgesetz (»Citizenship Amendment Bill«, CAB) verabschiedet, das die Einbürgerung von Migranten, die bestimmten religiösen Gruppen angehören, regelt. Gemäß den CAB-Richtlinien bleibt Muslimen ohne Pass die Staatsbürgerschaft verwehrt; für Hindus, die ihre Nationalität nicht nachweisen können, wird der Vorgang dagegen beschleunigt. In Indien erleben wir derzeit einen Übergang von liberalen zu faschistischen Staatsbürgerschaftspraktiken. Dabei ist der Faschismus der BJP nicht bloß rhetorischer Natur.

Im Allgemeinen zeichnet sich die Partei dadurch aus, dass sie ideologische Feinde ins Visier nimmt und bei deren Bekämpfung alle Hemmungen fallenlässt. In Indien, Brasilien und den Vereinigten Staaten – überall dort, wo faschistische Politik die Gemüter erregt – sind die Universitäten einer der Hauptangriffspunkte rechtsextremer Anführer gewesen. Im Januar 2020 wurde die ­Jawaharlal Nehru University in Neu-Delhi von Hindu-Nationalisten angegriffen. Während die Polizei tatenlos zusah, randalierten sie an der Hochschule und verprügelten Studierende sowie Professoren gleichermaßen. In seinem Kommentar in der Zeitung The Indian Express schrieb Pratap Mehta über die schockierende Gewalt, die von der Regierung offensichtlich gebilligt wurde:

Die gezielte Bekämpfung von Feinden – Minderheiten, Liberale, Säkularisten, Linke, urbane Naxals, Intellektuelle, diverse Demonstranten – basiert nicht auf dem Kalkül gewöhnlicher Politik. Wenn man sich selbst legitimiert, indem man Feinde erfindet, spielt die Wahrheit keine Rolle mehr, spielen die normalen Regeln der Zivilisation und des Anstands keine Rolle mehr, spielen die Kontrollen und Abwägungen normaler Politik keine Rolle mehr.2

Als ich mich mit den Vereinigten Staaten befasste, war ich zu Beginn dieses Projekts vom Erfolg der faschistischen Taktik alarmiert, die Donald Trump bei der Ankündigung seiner Kandidatur 2015 gebraucht hatte. Doch handelte es sich bei seiner schroffen Rhetorik gegen mexikanische Einwanderer und Muslime nur um Kalkül? Oder sollten sich in den darauffolgenden Jahren die Institutionen und die Politik verändern und eindeutig faschistische Richtungen einschlagen wie im Fall der BJP und Indiens? Am 27. Januar 2017 erließ die Trump-Regierung eine ihrer ersten Durchführungsverordnungen mit dem Titel »Schutz der Nation vor der Einreise ausländischer Terroristen in die Vereinigten Staaten«. Die Regelung setzte die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Krieg in Syrien auf unbestimmte Zeit aus und verwehrte Bürgern aus sieben mehrheitlich muslimischen Ländern das Betreten amerikanischen Bodens. Schließlich traten zwei Ersatzklauseln an ihre Stelle, um rechtliche Bedenken auszuräumen. Denn ein Einreiseverbot aufgrund der religiösen Gesinnung ist ganz offenkundig nicht mit der Verfassung vereinbar. Die dritte Version des Gesetzes wurde angepasst, um zwei nicht muslimische Länder, Nordkorea und Venezuela, auf die Liste der als bedrohlich eingestuften Staaten zu setzen, deren Bürgern man damit die Einreise in die USA verwehrte. Mit fünf Stimmen zu vier entschied der Oberste Gerichtshof, dass die Änderung die Durchführungsverordnung mit der Verfassungin Einklang bringt (obwohl man sie offenkundig genau zu diesem Zweck ausgearbeitet hatte). In den darauffolgenden Jahren hat sich das Einreiseverbot für viele Muslime weltweit normalisiert. In den US-Medien findet dieses Thema heute kaum Beachtung. Trumps faschistische Taktik schlug sich schnell in einer Politik expliziter Ausgrenzung nieder.

Im Nachwort zur ersten Ausgabe spekulierte ich noch über die anderen Schauplätze, auf denen vergleichbare Praktiken der Diskriminierung mutmaßlich Gestalt annehmen würden:

Im Zuge der Verschärfung von Donald Trumps Kampagne gegen die Einwanderung werden in den Vereinigten Staaten zahllose Arbeitnehmer jedweder Herkunft ohne Papiere in anonym geführte, private Internierungslager verbracht, wo sie dem Blick und dem öffentlichen Interesse entzogen bleiben.

Dies geschieht auch weiterhin. An der Grenze zu Mexiko haben die USA Internierungslager eingerichtet, in denen Migranten ohne Papiere festgehalten werden, während sie auf ihre Gerichtsanhörung warten. Ein zentrales und grausames Merkmal der Einrichtungen ist die Familientrennung. Im Juni 2019 sorgte eine Angehörige des Repräsentantenhauses, Alexandria Ocasio-Cortez, für Furore, als sie diese privaten Anstalten als »Konzentrationslager« bezeichnete. Tatsächlich trifft ihre Beschreibung zu. Wie die KZs im Deutschland der 1930er-Jahre sind sie vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen; Journalisten dürfen sie nicht besichtigen – lediglich Rechtsvertreter und Mitglieder des Kongresses haben Zugang.3 Anfang Juni 2020 strich die Trump-Regierung die Bildungs-, Freizeit- und Rechtshilfe für Migrantenkinder in Internierungslagern und schottete sie damit noch weiter von der Öffentlichkeit ab. Berichte über die extremen Bedingungen vor Ort füllten die Nachrichten; nach außen drangen sie nur durch Anwälte, die befugt waren, die Einrichtungen zu besuchen.

Obwohl man uns die Fakten vorenthält, werden die Immigranten sich untereinander austauschen. Die Strategie besteht offenkundig darin, sie zur Selbstdeportation zu ermutigen. Auch dies ist aus der Geschichte bekannt. Während des Novemberpogroms 1938 wurden mehr als 30000 deutsche Juden aufgegriffen und in Konzentrationslager verbracht, wo man sie brutalen und unmenschlichen Bedingungen aussetzte und bald darauf wieder entließ. Nikolaus Wachsmann, Professor für europäische Geschichte an der University of London, erklärt, dass die Freilassung der Gefangenen aus Perspektive des Regimes sinnvoll war, denn die Lager hatten »ihre Aufgabe erfüllt – viele Juden aus Deutschland hinauszutreiben«.4 Die aggressive antisemitische Rhetorik der herrschenden NSDAP und die Brutalität der Einrichtungen verursachten einen großen Exodus der jüdischen Bevölkerung aus Deutschland (darunter meine Großmutter und mein Vater im Juli 1939). Die Taktik funktionierte – aber sollten wir sie deshalb übernehmen?

Zu dieser Gemengelage gehört auch eine wirtschaftliche Komponente. In zunehmendem Maße sehen wir Verbindungen zwischen mächtigen Geschäftsinteressen und den Institutionen des Staatsterrors. Wall Street vergibt Kredite in Milliardenhöhe, um den Profit von Unternehmen zu fördern, die Internierungslager betreiben; andere große Firmen machen Gewinne, indem sie diesen ihre Waren verkaufen, und in all ihren Vorständen sitzen ehemalige hochrangige Verwaltungsbeamte. Auf lokaler Ebene stocken die Bezirksgefängnisse ihre Budgets auf, da sie aufgrund des massiv ausgeweiteten Mandats der Einwanderungs- und Zollbehörde (»Immigration and Customs Enforcement«, ICE) und den infolgedessen gesteigerten Festnahmen immer mehr Menschen beherbergen. Auch die rechtliche, materielle und wirtschaftliche Struktur dieser Einrichtungen erinnert an die frühen Konzentrationslager in Nazideutschland.

Zudem gibt es in den USA Institutionen, die zwar nicht von Trump geschaffen, wohl aber von seiner Regierung übernommen und radikal gestärkt wurden und die faschistischen paramilitärischen Organisationen ähneln. Das ICE ist eine neuartige Behörde – es wurde 2003 im Gefolge des 11. September durch den Homeland Security Act ins Leben gerufen, zu einer Zeit, als Grundrechte und Freiheiten hinter der Sorge um die nationale Sicherheit zurücktraten. Im Rahmen desselben Gesetzes wurde auch das Amt für Zoll- und Grenzschutz (»Bureau of Customs and Border Protection«, CBP) gegründet, das mit der Überwachung der Grenze und der personellen Besetzung von Internierungslagern für Migranten beauftragt ist. Beim ICE handelt es sich um eine Spezialeinheit, geschaffen während einer antidemokratischen Phase der amerikanischen Geschichte, die über polizeiähnliche Befugnisse verfügt und sich gegen Randgruppen innerhalb unserer Grenzen richtet. Die Institution selbst steht politisch dem Staatschef nahe. Trump war der erste Präsident, der von einer großen Gewerkschaft unterstützt wurde, die die ICE-Beschäftigten vertritt, und er hat sich wiederholt als ihr wichtigster Verteidiger bezeichnet.

Als Organisation ähnelt das ICE zunächst einer Polizei, es ist aber keine. In einer demokratischen Gesellschaft besteht die Aufgabe der Ordnungshüter darin, in den Gemeinschaften für Sicherheit zu sorgen. Tatsächlich kooperiert das ICE mit den regulären amerikanischen Strafverfolgungs- und Polizeibehörden. Allerdings laufen seine Ziele diesen oft zuwider, beispielsweise, indem es Angst unter Einwanderern schürt, die daraufhin weniger bereit sind, Verbrechen anzuzeigen. Infolgedessen haben sich einige Polizei-Chefs geschlossen gegen die ICE-Razzien ausgesprochen. Die Aufgabe der Behörde besteht nicht darin, die Gemeinschaften sicherer zu machen, sondern stattdessen die Unterscheidung zwischen »uns« und »ihnen« weiter zu verstärken.

Wenn es um die konkreten Auswirkungen von Trumps Rhetorik geht, halten viele Medien nach Hassverbrechen von Skinheads Ausschau oder nach anderen Beispielen für außergerichtliche Gewalt, die sich zwar gegen dessen bevorzugte Zielscheiben – zum Beispiel Einwanderer und Muslime – richtet, jedoch nicht unbedingt von der Trump-Regierung begangen wurden. Das ist eine gefährliche Fehleinschätzung; eine Reaktion, die die gravierendsten Auswirkungen von Trumps Rhetorik verschleiert. Die Taktiken faschistischer Politik manifestieren sich nicht nur zwischen einzelnen Personen, sondern auch in dem aus ihr resultierenden Staatsapparat. Debatten, die verlangen, dass wir unseren Blick stattdessen auf die Straße richten, nötigen uns, von den strukturellen Folgen dieser Rhetorik abzusehen. Indem wir den Staatsapparat ignorieren, verhalten wir uns so, als seien faschistische politische Taktiken nicht in der Lage, vormals demokratische in faschistische Staaten zu verwandeln. Diese These wird sowohl von den Ereignissen der Vergangenheit als auch vom gesunden Menschenverstand widerlegt.

In der deutschen Geschichte bezeichnet der Begriff »Gleichschaltung« jenen Prozess, durch den die staatlichen Institutionen allmählich »nazifiziert« wurden, also von liberal-demokratischen zu nationalsozialistischen Organisationsprinzipien übergingen, darunter insbesondere die Loyalität zum Führer Adolf Hitler. Ohne die Anführer der neuen Rechtsextremen mit Hitler vergleichen zu wollen, ist es gleichwohl möglich, ähnliche Prozesse in einigen der größten Demokratien der Welt auszumachen. Vielerorts findet eine Bewegung hin zur Vereinheitlichung von Institutionen statt, die sich auf die Loyalität entweder zu einer ethnischen Identität stützen – wie in Indien – oder zu einem bestimmten Anführer, wie in den Vereinigten Staaten, wo sich die Republikanische Partei zunehmend über ihre Treue zu Donald Trump definiert. Dadurch sind sowohl der partizipative Charakter der Institutionen als auch ihre Fähigkeit, notwendige Aufgaben zu erfüllen, bedroht. Unsere demokratische Kultur hängt am seidenen Faden.

Hinter dieser transnationalen, ultranationalistischen Bewegung stehen die Kräfte des Kapitals. Technologieriesen profitieren ebenso wie die Medien von dem dramatischen Aufeinandertreffen von Freund und Feind. Angst und Wut treiben die Menschen an die Wahlurnen, aber sie sorgen auch dafür, dass sie online bleiben und sich auf mediale Inhalte fixieren. Gleichsam freuen sich Ölkonzerne, wenn ultranationalistische Bewegungen Klimaschutzvereinbarungen wie das Pariser Abkommen als Bedrohung der staatlichen Souveränität darstellen. Je schwächer einzelne Länder und internationale Verträge werden, desto größer wächst die Macht multinationaler Unternehmen.

Überall auf der Welt befinden sich derzeit rechtsextreme Bewegungen auf dem Vormarsch, deren demagogische Anführer ul­tranationalistische Konzepte entweder umsetzen wollen oder dies bereits tun. Die liberale Demokratie ist selbst in ihren ehemaligen Bollwerken auf dem Rückzug – seit Mitte des 20. Jahrhunderts war sie nicht mehr dermaßen gefährdet.

Im Kontext von Pandemien wie Covid-19 stellen die Angriffe auf Fachkompetenz, Wissenschaft und Wahrheit eine Bedrohung für weit mehr als nur unser politisches System dar. Derartige Attacken sind das Lebenselixier faschistischer Politik. In der Reaktion der Staats- und Regierungschefs der Vereinigten Staaten, Brasiliens und Indiens auf Covid-19, die zunächst darin bestand, das Virus als aufgeblasenen Schwindel abzutun, traten die Gefahren deutlich zutage.5 Dies war durchaus kein Zufall – wie ich auf den folgenden Seiten noch zeige, steht die faschistische Ideologie in prinzipiellem Widerspruch zu Fachkompetenz, Wissenschaft und Wahrheit.