Wie man Einfluss gewinnt - Zoe Chance - E-Book

Wie man Einfluss gewinnt E-Book

Zoe Chance

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Beschreibung

Authentisch überzeugen

Warum müssen es immer die durchschaubaren Selbstdarsteller sein, die den großen Gewinn einfahren? Was können zurückhaltende, authentische und einfach gute Typen für ihren Erfolg tun, ohne sich verstellen zu müssen? Diesen Fragen widmet sich Zoe Chance, die als Professorin an der renommierten Yale-Universität lehrt. Viele Menschen hätten gern ein gewinnendes Auftreten und großes Verhandlungsgeschick, wollen dabei aber weder zum Marktschreier oder New-Economy-Lauch werden, noch andere zu ihren Gunsten manipulieren. Leider wird es meistens nicht belohnt, zu nett und umsichtig zu sein. Speziell Frauen können sich oft nicht gegen die Dominanz der Männer durchsetzen und schöpfen ihr Potential nicht aus. In diesen ungerechten Situationen gibt Zoe Chance wichtige Hilfestellung. Sie erklärt uns die Psychologie von Überzeugungskraft und Manipulation und zeigt anschaulich, welche Techniken und welches Mindset man braucht, um Menschen für sich zu gewinnen, ohne andere übers Ohr zu hauen oder sich aufzublasen. Endlich ein Buch für alle, die auf nette Weise erfolgreich sein wollen und ein sympathisches Selbstmarketing brauchen.

Dieses Buch wurde in gendergerechter Sprache übersetzt.

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Seitenzahl: 391

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Buch

Viele Menschen hätten gern ein gewinnendes Auftreten und gro-ßes Verhandlungsgeschick, wollen dabei aber weder zum Marktschreier oder New-Economy-Lauch werden, noch andere zu ihren Gunsten manipulieren. Speziell Frauen können sich oft nicht gegen die Dominanz der Männer durchsetzen und schöpfen ihr Potential nicht vollends aus.

Wir können den Funken unserer Kindheit wieder entfachen, der uns träumen, fragen, fordern, verhandeln und beharren ließ, ohne dass wir anschließend an uns selbst zweifelten. Wir können sehen, wie sich Gesichter erhellen, wenn wir eine großartige Idee teilen oder etwas scheinbar Verrücktes vorschlagen, das zugleich erfolgversprechend sein könnte. Wir können Abmachungen treffen, von denen wir nicht zu träumen gewagt hätten. Wir können das gute Gefühl und die Freiheit genießen, die mit Erfolg einhergehen. Und wir können erleichtert aufatmen, wenn unsere Chefin, unsere Mitarbeiter, unser Kind, unser Vater oder unsere Mutter, unsere Partnerin oder unser Freund, die sich zuvor widersetzten, plötzlich lächelnd zustimmen: OKAY, SO MACHEN WIR’S!«

Autorin

Dr. Zoe Chance lehrt und forscht an der Yale University zu Verhaltensökonomie und publiziert regelmäßig in verschiedenen Medien wie The New York Times, BBC und The Economist. Bevor sie sich der Harvard University habilitierte, hat Zoe Chance beim Spielzeugkonzern Mattel und an politischen Kampagnen gearbeitet; heute richten sich Konzerne wie Google nach ihren Empfehlungen. Sie hält regelmäßig Ted-XTalks und ist gefragte Keynote Speakerin.

DR. ZOE CHANCE

WIE MAN EINFLUSS GEWINNT

Menschen überzeugen, authentisch bleiben und Gutes bewirken

Aus dem Englischen von Thorsten Schmidt

Die deutsche Erstveröffentlichung erschien 2022 unter dem Titel »Der gute Einfluss« im Mosaik Verlag, München.

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor/von der Autorin und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht über-nommen werden. Eine Haftung des Autors/der Autorin beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage bedauerlicherweise einmal nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2022 der Originalausgabe: Zoe Chance

Copyright © 2024 dieser Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Copyright © 2022 der deutschsprachigen Ausgabe: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Originalverlag: Penguin Random House, New York.

Titel der englischen Originalausgabe: »Influence Is Your Superpower«

This translation published by arrangement with Random House, LLC.

Umschlag: UNO Werbeagentur, München

Redaktion: Martha Wilhelm

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

KF ∙ IH

ISBN 978-3-641-31973-1V001

www.goldmann-verlag.de

Für Karen Chance, die mir die Kunst beibrachte, Gutes zu bewirken

Inhalt

KAPITEL EINS Jemand werden, zu dem andere Ja sagen wollen

KAPITEL EINEINHALB Die Suche nach Temul

KAPITEL ZWEI Einfluss funktioniert nicht so, wie Sie denken

Die Mutter aller Missverständnisse

Die »dünnen Scheiben« des Alligators

Selektive Aufmerksamkeit und verzerrtes Denken

KAPITEL ZWEIEINHALB Der Weg des geringsten Widerstands

KAPITEL DREI Das Nein, das die Welt rettete

Die »Nein«-Challenge

Grenzen

Durch Ablehnung zu Resilienz

KAPITEL DREIEINHALB Einfach (danach) fragen

KAPITEL VIER Die seltsamen Eigenschaften von Charisma

Die Zwillingsparadoxa von Charisma

Eine entspannte Stimme als Signal des Selbstvertrauens

Charisma im Scheinwerferlicht

KAPITEL VIEREINHALB Momente der Wahrheit

KAPITEL FÜNF Die magische Kraft eines einfachen Frames

Größer und besser

Framing – praktische Tipps

KAPITEL FÜNFEINHALB Was ist Ihr »Geschäft«?

KAPITEL SECHS Das Kleinkind in uns

Einwänden begegnen wie ein Aikido-Meister

KAPITEL SECHSEINHALB Tiefes Zuhören

KAPITEL SIEBEN Kreative Verhandlungen

Die Zutaten für einen größeren Kuchen zusammenstellen

Zusammen einen größeren Kuchen backen

Wie man mit schwierigen Menschen klarkommt

KAPITEL SIEBENEINHALB Als Frau verhandeln

KAPITEL ACHT Verteidigung gegen die Dunklen Künste

Die Warnsignale der Manipulation

KAPITEL ACHTEINHALB Engel und Dämonen

KAPITEL NEUN Groß träumen

Lassen wir Tunesien noch einmal Geschichte schreiben

KAPITEL NEUNDREIVIERTEL Du, ich, wir

Lassen Sie uns befreundet sein

Verzeichnis der Tools und Techniken

Diskussionsfragen

Danksagungen – aus tiefstem Herzen

Bildnachweis

Anmerkungen

Register

KAPITEL EINEINHALB Die Suche nach Temul

Wir versuchen, andere zu beeinflussen, weil wir ein bestimmtes Ziel erreichen wollen. Die erste Frage lautet daher: Wissen Sie, was Sie wollen?

Das mongolische Wort temul bezeichnet die schöpferische Leidenschaft und wurde poetisch umschrieben als »der Blick in den Augen eines Pferdes, das dorthin galoppiert, wohin es will, ganz gleich, was der Reiter will«.1Temul ist auch die Wurzel des Namens Temüdschin. Sie kennen Temüdschin als Dschingis Khan.

In der Schule lernte ich über Temüdschin nur, dass er ein blutrünstiger Warlord gewesen sei. Nicht, dass sein Mongolisches Reich die erste große Zivilisation war, die religiöse Toleranz praktizierte, die allgemeine Alphabetisierung förderte oder das erste internationale Postsystem einführte. Nicht einmal, dass es das zweitgrößte Imperium in der Geschichte der Menschheit war, nur übertroffen von dem Britischen Empire. Das Empire brauchte Jahrhunderte, um Gebiete zu erobern und zu kolonisieren. Dagegen gelang es Temüdschin, der als heimatloses Kind zur Welt kam, in nur einem Menschenalter, zum Herrscher über unermessliche Weiten zu werden, die die Regionen einschlossen, die wir heute Iran, Pakistan, Afghanistan, Kirgisistan, Turkmenistan, Usbekistan, Aserbaidschan, Armenien, Georgien, Nordchina und Südrussland nennen. Ich bin froh, dass ich Temüdschin nie begegnet bin, aber bei allem, was man sonst noch über ihn sagen kann, ist unbestreitbar, dass er jede Menge temul besaß. Und temul ist eine schöpferische Kraft.

Auch Kinder haben eine Menge temul. Als meine Tochter Ripley sieben Jahre alt wurde, fragte ich sie, was sie sich wünsche, und sie zögerte keinen Moment.

»Ein Alles-Gewehr, aus dem alles, was ich mir wünsche, herausgeschossen kommt.«

Ich lächelte. »Okay, was würdest du denn daraus schießen?«

»Zuerst wünsche ich mir die Kraft, alles zu heilen. Dann das ewige Leben und die Fähigkeit, auch andere Menschen ewig leben zu lassen. Und auch einen Geldbeutel, bei dem du, wenn du ihn aufmachst, nur sagen musst: ›Ich will 20 Dollar‹, und schon sind sie da. So viel Geld, wie du willst. Wenn du den Geldbeutel verlierst, kommt er automatisch in deine Hosentasche zurück.« (Sie hatte keinen Geldbeutel, aber ich rannte oft auf der Suche nach meinem herum.) »Dann will ich auch noch einen Teleporter, der mich überall hinbringt, wohin ich will, sogar in das Buch Harry Potter.«

Ripley bekam das »Alles-Gewehr« nicht, aber wie Temüdschin wusste sie genau, was sie wollte, und versuchte zielstrebig, es zu bekommen. So hat sie etwa die Kinder in ihrer ersten Klasse dazu animiert, Gedichte zu schreiben und sie bei einer Benefizveranstaltung zu verkaufen, um die World Wildlife Foundation mit einer Geldspende zu unterstützen. Dafür bekamen sie ihrerseits einen ausgestopften Hellroten Ara zum Hätscheln und Liebhaben.

Ich weiß nicht, woran Ihr Herz hängt, aber wenn Sie so etwas haben, dann kann dieses Buch der Raketentreibstoff sein, der für die Beschleunigung sorgt, wenn Sie in diese Richtung starten.

Hin und wieder wissen wir nicht, in welche Richtung wir gehen sollen. Vielleicht stehen wir an einem Scheideweg. Oder vielleicht haben Sie schon erreicht, was Sie früher einmal leidenschaftlich angestrebt haben. Vielleicht beschäftigt Sie das, was Sie nicht wollen, oder aber Sie haben zu viele Optionen. Das ist in Ordnung. Dann sind Sie hier noch immer richtig.

Und wenn Sie wissen, was Sie wollen, lautet die Frage: Können Sie sicher sein?

Als ich als Doktorandin begann, Verhaltensexperimente durchzuführen, hatte mich eine Erkenntnis schon recht früh tief erschüttert: dass die meisten meiner Hypothesen falsch waren.2 Und nicht nur meine, sondern auch diejenigen meiner Mitstudierenden, des akademischen Betreuungspersonals und aller anderen. Für unsere kreativsten Ideen betrug die Misserfolgsquote wahrscheinlich 90 Prozent. Noch heute erlebe ich, dass leidenschaftliche Menschen bekommen, was sie wollen, und erst dann feststellen, dass es nicht das ist, wonach sich ihr Herz wirklich gesehnt hat.

Man kann nicht sicher wissen, was man will, wenn man es noch nicht erlebt hat.

Um dies zu verstehen – und um wirklich sicher zu sein –, sollten Sie experimentieren und praktische Erfahrungen sammeln. Testen Sie Ihre Hypothesen. Testen Sie die Hypothesen anderer. Suchen Sie Menschen, die sich so fühlen, wie Sie sich fühlen wollen, und ahmen Sie nach, was sie tun. Oder etwas völlig anderes. Ich lade Sie ein, dieses Buch als eine Gelegenheit zu betrachten, durch Experimentieren herauszufinden, was Sie wirklich wollen.

Einer Ihrer Versuche wird Sie, mit temul-entflammtem Herzen, davongaloppieren lassen.

KAPITEL ZWEI Einfluss funktioniert nicht so, wie Sie denken

In Orlando, Florida, kann man in Gatorland, der selbsternannten »Alligator-Hauptstadt der Welt«, einen Babyalligator in der Hand halten, sich Alligator-Ringkämpfe ansehen oder an einer Seilrutsche über das Sumpfgebiet gleiten, in dem Alligatoren auf der Lauer liegen und wo Indiana Jones und der Tempel des Todes gedreht worden ist. Wem dies nicht abenteuerlich genug ist, den führt ein Alligatorexperte wie Peter Gamble in einen abgetrennten Bereich, wo man Alligatoren ohne schützende Barriere füttern kann. Während er mich an Warnschildern vorbeiführte, erklärte er mir eindringlich: »Diese Alligatoren sind zwar abgerichtet, aber sie sind nicht zahm.«

Ich sah, dass sie sogar füreinander eine Gefahr darstellten. Predator fehlte ein Teil seines Kiefers; ein Stück von Blondies Schwanz war weg. Als Peter mir den Eimer mit rohem Fleisch reichte, war ich nervös und aufgeregt in Erwartung des Schlagabtauschs der Titanen.

Der erste blutige Bissen, den ich ihnen hinwarf, landete ein paar Zoll außerhalb der »Bisszone« Buddys, des optimalen Bereichs zwischen Nase und Schwanz eines Alligators. Er rührte sich nicht. Keiner von ihnen tat das. Mein zweiter Wurf war besser. Das Fleisch landete direkt vor Buddys Maul, und er schnappte derart blitzschnell danach, dass ich kaum sah, was geschah. Und die anderen Alligatoren? Sie zuckten nicht einmal. Ich warf ihnen weitere Fleischstücke hin. Aber wenn ich mein Ziel auch nur leicht verfehlte, blieb das Fleisch unangetastet liegen, bis ein Vogel herabstieß, um es sich zu schnappen.

Die Evolution hat Alligatoren auf maximale Effizienz getrimmt. Ihre Körper wiegen bis zu einer halben Tonne, benötigen jedoch für ihre Steuerung nur ein Gehirn von Walnussgröße. Alligatoren brauchen zudem so wenig Nahrung, dass sie bis zu drei Jahren ohne die geringste Nahrungsaufnahme überleben können. Sie vergeuden keine physische oder mentale Energie. Sie ignorieren alles außer unmittelbaren Bedrohungen oder einfachen Gelegenheiten. Und sie reagieren auf diese Risiken und Chancen nach instinktiven Regeln, die ihrer Art geholfen haben, die letzten 37 Millionen Jahre zu überleben. Die einzigen Fragen, die ihre winzigen Gehirne beantworten müssen, sind einfach: Wird es mir schaden? Wird es mir helfen? Wird es leicht sein? Den Rest übernimmt der Autopilot. Diese primitiven kognitiven Prozesse haben viele Gemeinsamkeiten mit unseren eigenen Denkabläufen. Auch wenn wir viel Erfahrung mit irrationalem Verhalten haben (Aufschieberitis, Impulskäufen, unerklärlichen Leidenschaften und ungesunden Obsessionen, um nur ein paar zu nennen), halten wir uns doch gern für rationale Wesen, die bewusste Entscheidungen treffen, nicht für instinktgesteuerte Tiere, die nach dem Weg des geringsten Widerstandes suchen. In diesem Kapitel werden wir uns genauer ansehen, wie wir Entscheidungen im Alltagsleben wirklich treffen. Die Beeinflussung anderer funktioniert nicht so, wie wir uns das vorstellen, weil Menschen nicht so denken, wie wir uns das vorstellen. Sobald Sie verstanden haben, dass die meisten Verhaltensweisen nur in sehr geringem Ausmaß das Produkt bewussten »Nachdenkens« sind, können Sie einfache, aber sehr effektive Korrekturen an der Art und Weise, wie Sie andere Menschen zu beeinflussen versuchen, vornehmen.

Warum wir tun, was wir tun

Die Verhaltensökonomik kann uns helfen, menschliche Entscheidungsprozesse besser zu verstehen. Den meisten Menschen in der Wirtschaftswelt fällt es schwer, die Verhaltensökonomik zu definieren, und selbst Forschende sind sich nicht immer einig, was darunter zu verstehen ist. Auch auf die Gefahr einer allzu starken Vereinfachung hin biete ich daher eine Erklärung an, die vielleicht hilfreich ist.

Die Psychologie befasst sich hauptsächlich mit mentalen Prozessen und interessiert sich nur beiläufig für die Verhaltensweisen, die daraus hervorgehen. Die Wirtschaftswissenschaften andererseits interessieren sich für soziale Verhaltensweisen (Handel, Arbeit, Konsum, Kooperation, Heirat, Gewalt etc.), weitgehend ohne die ihnen zugrunde liegenden mentalen Prozesse zu berücksichtigen – das rationale Selbstinteresse soll fast alles erklären. Die Verhaltensökonomik ist das uneheliche Kind von Psychologie und Wirtschaftswissenschaft. Sie erforscht die mentalen Prozesse, die sozialen Verhaltensweisen zugrunde liegen. Sie sagt nicht, das rationale Selbstinteresse spiele keine Rolle, sondern nur, dass es keine so große Rolle spiele, wie wir glauben. Sie sind Ihren Selbstverpflichtungen nicht treu geblieben, obwohl Sie sie in der Überzeugung beschlossen haben, dass sie in Ihrem besten Interesse seien. Sie helfen Fremden, obwohl Sie wissen, dass sie sich dafür nicht revanchieren werden. Ihre Präferenzen hängen von allen möglichen Dingen ab, etwa Ihrer Stimmung, Ihren Alternativen und sogar vom Wetter. Verhaltensökonomen erforschen all dies.

Eine der bedeutendsten Errungenschaften der Verhaltensökonomik ist die mittlerweile berühmte Zwei-Prozess-Theorie der Kognition, deren zwei Prozesse – nicht besonders einfallsreich – System 1 und System 2 genannt werden. Ich konzentriere mich bei der Erklärung dieser Theorie auf das, was für Sie daran relevant ist als jemand, der andere positiv beeinflussen will. Selbst wenn Sie mit dem allgemeinen Konzept vertraut sein sollten, erhalten Sie hier also ein paar neue Anregungen.

Die meisten Entscheidungen treffen wir gewohnheitsmäßig und relativ mühelos. Dies ist System 1. Gleich einem Alligator liegt System 1 zumeist unterhalb unserer bewussten Wahrnehmung auf der Lauer und hält in der Umwelt nach Bedrohungen und Gelegenheiten Ausschau. Angetrieben von Instinkten und Gewohnheiten ist es immer bereit, sofort zu handeln. Annähern, vermeiden, kämpfen, beißen, (Brut) umsorgen und (mit Artgenossen) interagieren – beziehungsweise, in aller Regel (wie etwa bei Fleisch außerhalb der Bisszone), ignorieren. Es funktioniert unbewusst und automatisch.

System 2 dagegen ist bewusst und rational, wie ein Richter, der jeweils immer nur einen Fall verhandelt, Argumenten lauscht und die Beweismittel sorgfältig abwägt. Wir erleben uns selbst als rational, weil System 2 der Mechanismus ist, dessen wir uns am meisten bewusst sind, sobald er in Aktion tritt. Da System 2 Konzentration verlangt, vermeiden wir es möglichst, darauf zurückzugreifen, um unsere begrenzten kognitiven Ressourcen zu schonen. Es ist ein Experte, der für die schwierigsten und wichtigsten Fälle in Reserve gehalten wird. Wie der Philosoph A. N. Whitehead im Jahr 1911 schrieb: »[Bewusste] Denkoperationen sind wie Reiterangriffe in einer Schlacht – sie sind zahlenmäßig streng begrenzt, sie erfordern frische Pferde, und sie dürfen nur in entscheidenden Momenten durchgeführt werden.«1

In seinem Buch Schnelles Denken, langsames Denken nennt der Nobelpreisträger Daniel Kahneman System 1 »schnell« und System 2 »langsam«.2 Aber System 1/System 2 ist nicht die einzige Zwei-Prozess-Theorie. Sie haben bestimmt schon von anderen gehört, die zum Beispiel zwischen Denken und Fühlen, Vernunft und Intuition sowie linker und rechter Gehirnhälfte unterscheiden. Sie alle hängen miteinander zusammen. Tatsächlich werden diese Prozesse deshalb mit den Oberbegriffen »System 1« und »System 2« bezeichnet, weil diese Theorie all die anderen Zwei-Prozess-Theorien umfassen und ihre Gemeinsamkeiten betonen will. Da die Begriffe »System 1« und »System 2« ein wenig unanschaulich sind, werde ich sie fortan den Alligator und den Richter nennen und den Ausdruck »Alligatorgehirn« als Synonym für »Alligator« verwenden. Diese Zwei-Prozess-Theorie ist deshalb für unsere Diskussion des guten Einflusses hilfreich, weil sie sich auf die Frage konzentriert, wie diese beiden Prozesse funktionieren und miteinander wechselwirken.

Der Alligator ist verantwortlich für jeden kognitiven Prozess, der schnell abläuft und kaum Aufmerksamkeit erfordert. Dazu gehören Emotionen, vorschnelle Urteile, Mustererkennung und jedes Verhalten, das durch Übung leicht oder zu einer Gewohnheit geworden ist, wie etwas Lesen. Wenn Sie Knoblauch fein hacken, von der Arbeit nach Hause fahren, bei einem Geräusch zusammenschrecken, einen Freund anlächeln, einen Druckfehler bemerken, fünf mit drei multiplizieren, nach Ihrem Telefon greifen, wenn es klingelt, spontan jemanden umarmen oder Ihr Lieblingslied mitsingen, sind Sie im Alligatormodus.

Der Richter ist für jeden kognitiven Prozess, der Konzentration und Anstrengung erfordert, zuständig. Dazu gehören Planen, Rechnen, das Entwerfen von Strategien, Interpretieren, das Vermeiden von Fehlern, das Befolgen komplexer Anweisungen und alle Aktivitäten, mit denen Sie noch nicht durch Übung vertraut sind. Wenn Sie ein Meeting leiten, über Politik diskutieren, Versicherungspläne vergleichen, Ihr Auto bei Regen durch den Berufsverkehr steuern oder ausrechnen, wie viele Fliesen Sie für den Badezimmerboden benötigen, sind Sie im Richtermodus. Im Richtermodus können Sie nicht multitasken.

Wenn es nicht der Mühe wert oder nicht möglich ist, gründlich nachzudenken, werden Entscheidungen den Gefühlen, Gewohnheiten, Präferenzen, Bauchgefühlen und mentalen Faustregeln des Alligators überlassen. Wenn Sie eine folgenreiche Entscheidung treffen und die ganze Tragweite ermessen müssen, verknüpfen Sie das Feedback des Alligators mit dem des Richters, konsultieren Ihr Bauchgefühl und wägen sorgfältig Ihre Optionen ab.

Einige Verhaltensweisen fallen für manche Menschen in die Alligatorkategorie und für andere in die Richterkategorie. Eine erfahrene Skiläuferin kann einen tückischen, extrem schwierigen Steilhang hinuntersausen und dabei Felsen und Bäumen ohne große bewusste Anstrengung ausweichen, den Sonnenschein und den Rausch der Geschwindigkeit in einem Flowzustand genießen: Alligator. Ein Anfänger muss sich auf einem Kinderhang voll konzentrieren, um seine Ski in Schneepflugstellung und seinen Körper in der Richtung zu halten, in die er fahren will: Richter.

Um zu verstehen, wie all dies funktioniert, können Sie den Alligator und den Richter selbst erleben. Dazu brauchen Sie nur ein paar Minuten und die Stoppuhr Ihres Mobiltelefons.

Ziel ist es, die Zeit zu messen, während Sie die Wörter in dem Kästchen unten mit lauter Stimme lesen. Sprechen Sie sie so schnell wie möglich, aber trotzdem richtig aus. Konzentrieren Sie sich darauf, die Wörter laut auszusprechen, und ignorieren Sie die Schrifttype. Stoppuhr bereit?

Fangen Sie an.

Gut gemacht. Notieren Sie sich, wie viel Zeit Sie gebraucht haben. Stoppen Sie die Zeit erneut, aber nennen Sie jetzt die Farbe der Schrifttype für jedes gedruckte Wort, nicht das Wort selbst. Die Farbe, nicht das Wort selbst. Benutzen Sie wieder Ihre Stoppuhr, und tun Sie es so schnell wie möglich, aber sorgfältig.

Prima.

Was ist Ihnen diesmal aufgefallen? Dauerte es bei der zweiten Aufgabe länger? Spürten Sie ein inneres Ringen, das Sie verlangsamte? Die meisten Menschen brauchen für das Benennen der Farben ungefähr doppelt so lang wie für das Lesen der Wörter, auch wenn die Aufgabe selbst nicht komplizierter ist. Vielleicht denken Sie, dass es länger dauerte, weil es nach dem Lesen der Wörter schwierig war, mental umzuschalten und sich auf die Farben zu konzentrieren. Damit liegen Sie nicht falsch, aber das ist nicht die ganze Erklärung.

Weil Sie so viel Übung im Lesen haben, wurde diese Funktion an den Alligator übertragen. Da Sie Ihr Leben lang lesen, ist dieses Verhalten für Sie zu einer Gewohnheit geworden, die automatisch abläuft, ähnlich wie Skifahren für einen Skiläufer, der an den Olympischen Spielen teilnimmt.

Das Benennen von Farben ist ebenfalls eine einfache Aufgabe, die Sie jedoch nicht täglich praktiziert haben – insbesondere in einem Fall wie diesem, wo das Wort selbst eine andere Farbe bezeichnet –, sodass die Aufgabe die Konzentration des Richters erfordert. Allerdings hört der Alligator niemals auf, seine Meinung beizusteuern. Das entspricht nicht seiner Natur. Zudem ist er so schnell, dass er immer als Erster reagiert. Um die Farbe unabhängig von dem, was das Wort sagt, richtig zu identifizieren, muss der Richter sich über die Antwort des Alligators hinwegsetzen, was Anstrengung und Zeit kostet. Der Kognitionswissenschaftler John Ridley Stroop untersuchte dieses Phänomen der widerstreitenden kognitiven Systeme in den 1930er-Jahren, als ihm auffiel, dass Menschen das Wort »rot« schneller lesen, als sie die Farbe benennen konnten.3

Die Aufgabe, die Sie gerade ausgeführt haben, wurde nach ihm benannt. Ist Ihnen aufgefallen, dass Sie gegen Ende des zweiten Durchgangs schneller wurden? Wenn Sie den Stroop-Test regelmäßig wiederholen würden, würden Sie bald zu einer Expertin oder einem Experten im Benennen von Farben werden, und Sie hätten nicht länger das Gefühl, mental »hinterherzuhinken«.4 Der Alligator hätte die Aufgabe übernommen.

Was Sie gerade beim Stroop-Test erlebt haben, ist, dass der Alligator (System 1) als Erstes reagiert. Immer. Der Richter (System 2) ist derjenige, der im Nachhinein Zweifel anmeldet, aber nur manchmal, wenn die Aufgabe hinlänglich wichtig und anspruchsvoll ist – und Sie in diesem Moment die notwendige mentale Bandbreite haben. Der Alligator kann ohne Input des Richters Entscheidungen treffen, aber der Richter nicht ohne Input des Alligators. Diese Asymmetrie ist einer der Schlüssel für erfolgreiche Beeinflussung.

Die Mutter aller Missverständnisse

Aus der Tatsache, dass ein Großteil der Alligatoraktivitäten unterhalb der Bewusstseinsschwelle abläuft, haben die meisten von uns gefolgert, dass unsere Vernunft Regie führen würde. Einer der bedeutendsten Unterschiede zwischen uns und allen anderen Arten auf der Erde ist unsere Fähigkeit zu logischem Denken. Aber wir überschätzen dessen Einfluss. Wenn wir Verhalten – eigenes oder das einer anderen Person – verändern wollten, müssten wir uns selbst oder die betreffende Person lediglich mit guten Gründen davon überzeugen, so glauben wir. Sobald wir die Vernunft auf unserer Seite hätten, würde das entsprechende Verhalten automatisch folgen. Dies erscheint einleuchtend, ist in Wirklichkeit aber ein totaler Fehlschluss. Völlig nachvollziehbar und absolut falsch.

Einige Forschende schätzen, dass der Alligator allein für bis zu 95 Prozent unserer Entscheidungen und Verhaltensweisen verantwortlich ist. Der Betrag lässt sich nicht genau beziffern, aber wir wissen, dass der Alligator die treibende Kraft hinter den allermeisten unserer Entscheidungen und Verhaltensweisen ist. Wenn man die Anzahl der Entscheidungen betrachtet, die wir die ganze Zeit über treffen – all unsere körperlichen Bewegungen, die Lebensmittelauswahl, all die Versuchungen, denen wir widerstehen (oder nicht), alle Wörter, die wir sagen –, wäre es unmöglich, über jede Entscheidung bewusst nachzudenken. Aber es ist nicht leicht zu akzeptieren, dass der Alligator die Art und Weise, wie wir auf die Umwelt und auf andere Menschen reagieren, derart maßgeblich prägt.

So schreiben John Bargh und Tanya Chartrand, die im Bereich der Sozialpsychologie forschen: »In Anbetracht des verständlichen Wunsches, an Willensfreiheit und Selbstbestimmung zu glauben, ist die Erkenntnis, dass der größte Teil unseres Alltagslebens von automatischen, nichtbewussten mentalen Prozessen gesteuert wird, nur schwer zu ertragen – aber es erscheint unmöglich … dass bewusste Kontrolle der Aufgabe gewachsen sein könnte. Wie Sherlock Holmes gern zu Dr. Watson sagte: Wenn man das Unmögliche eliminiert, muss das, was übrig bleibt – wie unwahrscheinlich es auch ist –, die Wahrheit sein.«5

Wenn ich Menschen sage, dass der Alligator die vorherrschende Kraft in uns sei, widersprechen einige entschieden: »Okay, vielleicht ist der Durchschnittsmensch vom Alligator beeinflusst, aber sind nicht einige von uns Richter?«, oder: »Aber ich bin ein Zahlenmensch, im Ernst.« Vielleicht wünschen Sie sich, dass andere Sie mit logischen Argumenten und Daten zu überzeugen suchen, und Sie selbst benutzen vielleicht Tabellen oder Taschenrechner, wenn Sie eine wichtige Entscheidung treffen. Das tue ich auch. Aber das bedeutet nicht, dass wir nicht vom Alligator beeinflusst werden; es bedeutet lediglich, dass wir nicht allzu sehr von ihm beeinflusst werden wollen. Das hat nichts mit Intelligenz zu tun. Das Urteilsvermögen von ärztlichem Personal, Anwältinnen sowie Professorinnen ist genauso verzerrt wie das aller anderen – und sogar das von echten Personen am Gericht.

In einer Studie zu Bewährungsentscheidungen israelischer Gerichte fiel den Forschenden Shai Danziger, Jonathan Levav und Liora Avnaim-Pesso ein äußerst merkwürdiges Muster auf.6 Wenn es sich um eine*n Strafgefangene*n handelte, die*der zu Beginn der ersten der drei täglichen Sitzungen dem Gericht vorgeführt wurde, kam diese Person mit einer Wahrscheinlichkeit von 65 Prozent auf Bewährung frei. Aber am Ende dieser Sitzung fiel die Chance freizukommen auf fast null. Nach einer Pause schoss sie dann wieder auf 65 Prozent in die Höhe. Die Richter*innen hatten keinen Einfluss auf die Reihenfolge der Fälle; diese hing davon ab, wann der Anwalt der betroffenen Person eintraf. Die Schwere des Verbrechens, die bereits in Haft verbrachte Zeit, frühere Haftstrafen – auch keiner dieser Faktoren erklärte das Muster. Und auch nicht die Nationalität oder das Geschlecht des Gefangenen.

Die Forschenden kamen zu dem Schluss, dass die Richter*innen in dem Maße, wie sie ermüdeten, der leichteren Standardoption zuneigten. Zu Beginn einer Sitzung, wenn sie sich frisch fühlten, konnten sich die Richter*innen auf die Details jedes Falls konzentrieren, ihm ihre volle, bewusste Aufmerksamkeit widmen und die Beweise sorgfältig würdigen, wie sie es tun sollten. Doch mit der Zeit forderten Entscheidungsmüdigkeit und Hunger ihren Tribut, und der Alligator, der sich auf Faustregeln und Bauchgefühl stützt, griff ein, um in die Bresche zu springen.

Unsere gefühlsmäßige Reaktion auf Strafgefangene? Sie sind gefährlich. Aus diesem Grund wurden sie eingesperrt. Sobald der Alligator das Kommando übernahm, bestimmte die gefühlsmäßige Reaktion die Auswahl der Standardoption. Bewährung verweigert. Bewährung verweigert. Bewährung verweigert. Wenn Sie jemals einen hohen Stoß von Aufsätzen benotet oder einen großen Stapel von Lebensläufen durchgesehen haben, wissen Sie, wie ermüdend das wird und wie schwer es ist, am Schluss genauso gerecht zu sein wie am Anfang.

Die Mutter aller Missverständnisse ist, dass wir uns für rationale Wesen halten, während in Wirklichkeit der Alligator das Sagen hat. Er taucht immer als Erstes auf, und er übernimmt auch das Kommando, sobald der Richter ermüdet. Der Alligator ist viel einflussreicher, als wir denken.

Die »dünnen Scheiben« des Alligators

Unsere spontanen emotionalen Reaktionen – unser Bauchgefühl – üben einen starken Einfluss auf unsere Urteile aus, und dies gilt insbesondere für unsere Urteile über andere Menschen. Die verstorbene Sozialpsychologin Nalini Ambady und ihr Kollege Robert Rosenthal waren die Wegbereiter der umfangreichen Forschungsarbeiten zu diesem Effekt. Sie verwendeten den Begriff »dünne Scheiben« (»thin slices«) zur Bezeichnung der erstaunlich kurzen Wahrnehmungsintervalle, auf deren Grundlage wir persönliche Eindrücke bilden – manchmal in Sekundenbruchteilen.

Bemerkenswert an diesen Forschungsarbeiten über »dünne Scheiben« ist erstens, wie genau diese schnellen Alligatoreindrücke soziale Urteile und die daraus folgenden bedeutsamen Konsequenzen vorhersagen können. Als Studierende gebeten wurden, die Kompetenz einer Professorin oder eines Professors auf der Grundlage eines tonlosen, sechs Sekunden langen Videoclips aus ihrer oder seiner Vorlesung zu beurteilen, sagten diese Ergebnisse sehr gut vorher, wie diese bei den Bewertungen durch Studierende am Jahresende abschnitten.7 Studierende konnten in einer Stichprobe regionaler Verkaufsleiter*innen anhand von nur drei 20 Sekunden langen Aufnahmen ihrer Stimmen diejenigen identifizieren, die die höchsten Bewertungen erhalten hatten.8 Als Ambady Versuchsteilnehmenden bis zur Unverständlichkeit verstümmelte, zehn Sekunden lange Audiodateien von chirurgischem Fachpersonal vorspielte, das sich mit zu behandelnden Personen unterhielt, konnten sie allein anhand des Klangs der Stimmen der Chirurginnen und Chirurgen vorhersagen, welche wegen Kunstfehlern verklagt worden waren.9 Ganz gleich, ob die »dünnen Scheiben« sich auf die Körpersprache, den Tonfall oder die Mimik bezogen – sie alle lieferten wertvolle Informationen von einer bemerkenswerten Vorhersagegenauigkeit.10

Der Neurowissenschaftler Alexander Todorov schnitt die Scheiben, also die Wahrnehmungsintervalle, noch dünner. Er zeigte Studienteilnehmenden nur eine Sekunde lang Paare ihnen unvertrauter Gesichter und bat sie dann, die kompetentere Person in dem Paar auszuwählen. Die Teilnehmenden wussten nicht, dass es sich um die Gesichter von Personen handelte, die bei den US-Kongresswahlen angetreten waren, und ihr schnelles Urteil sagte mit einer erstaunlichen Genauigkeit von 70 Prozent vorher, welche der Kandidierenden sich bei den Wahlen durchsetzten.11 Amtsinhaberschaft und politische Partei? Spielten keine Rolle.

Diese Studienergebnisse haben weitreichende Folgen für unser Thema des Einflusses auf andere. Zum einen unterstreichen und begründen sie bis zu einem gewissen Grad die überaus wichtige Rolle des Alligators, was unsere Wahrnehmungen und Urteile über andere betrifft. Alligatoren treffen spontane Urteile, und sobald sie dies getan haben, halten sie daran fest.12 Mehrere Studien deuten darauf hin, dass mehr Zeit zum Nachdenken die Genauigkeit sozialer »Dünne Scheiben«-Vorhersagen nicht verbessert, und bei einigen Studien kam sogar heraus, dass die Genauigkeit der Vorhersagen von Teilnehmenden abnahm, wenn man ihnen mehr Zeit gab.13

Wir treffen folgenreiche Entscheidungen, wie etwa bei politischen Wahlen oder ob wir jemanden verklagen sollen, weitgehend aus einem Bauchgefühl heraus, auch wenn wir uns selbst eine andere Geschichte erzählen. Wenn wir das Verhalten anderer Menschen verstehen, vorhersagen oder beeinflussen wollen, sollten wir daher mit den spontanen, schnellen Urteilen des Alligators beginnen. Immer.

Selektive Aufmerksamkeit und verzerrtes Denken