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Sam ist elf und hat Leukämie. So erschüttert seine Umwelt reagiert, so tapfer geht Sam damit um. Er nutzt die verbleibende Zeit und schreibt wild entschlossen ein Tagebuch über die Fragen, die er noch hat: zu Ufos, Horrorfilmen und Mädchen - aber vor allem die Fragen, die ihm keiner beantwortet: "Wieso lässt Gott Kinder krank werden? Tut Sterben weh?" Nicht nur seine Erkenntnisse, sondern auch seine Wünsche hält er in zahlreichen Listen fest, zum Beispiel: in einem Luftschiff fahren, einen Weltrekord aufstellen und Teenager sein - das heißt für Sam: rauchen, trinken, eine Freundin haben. Mit seinem Freund Felix gelingt es ihm sogar, diese Liste auf höchst originelle Weise abzuarbeiten. Ermutigendes Bestseller-Debüt einer 23-Jährigen aus England zu einem wichtigen Thema!
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Seitenzahl: 172
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Der elfjährige Sam hat Leukämie. So erschüttert seine Umwelt auf diese Diagnose reagiert, so klarsichtig und tapfer geht Sam damit um. Er will die ihm verbleibende Zeit nutzen. Im Unterricht schreibt er ein Tagebuch über sein Leben und Sterben, das sich immer mehr zu einer Art wissenschaftlicher Untersuchung entwickelt. Denn Sam hat noch viele Fragen an das Leben — solche zu Ufos, Horrorfilmen, Mädchen und Geistern —, aber vor allen Dingen solche, die einem sonst nie jemand beantwortet: "Wieso lässt Gott Kinder krank werden? Tut Sterben weh? Wird die Welt noch da sein, wenn ich es nicht mehr bin?"
Die erstaunlichen Antworten, die Sam findet, seine Erkenntnisse über sich und die Welt, aber auch seine Wünsche und Hoffnungen hält er in zahlreichen Listen fest. Eine besonders wichtige Liste handelt von all den Dingen, die er noch tun möchte, bevor er stirbt: Ein berühmter Forscher werden. Einen Weltrekord aufstellen. Teenager sein — das heißt für Sam: rauchen, trinken, eine Freundin haben. Und: in einem Luftschiff fahren. Zusammen mit seinem ebenfalls leukämiekranken Freund Felix gelingt es ihm sogar, diese Liste auf höchst originelle Weise abzuarbeiten. Denn, so sagt er, "es nützt nichts, Wünsche zu haben, wenn man nicht wenigstens versucht, sie sich auch zu erfüllen".
Sally Nicholls
Wie manunsterblichwird
Jede Minute zählt
Aus dem Englischen vonBirgitt Kollmann
Carl Hanser Verlag
Für Mum und Tom,
Nicola, Carolyn und Sarah. Danke.
Dies ist mein Buch, begonnen am 7. Januar,beendet am 12. April. Es ist eine Sammlung von Listen,Geschichten, Bildern, Fragen und Tatsachen.
Und es ist meine Geschichte.
1.
Ich heiße Sam.
2.
Ich bin elf Jahre alt.
3.
Ich sammle Geschichten und interessante Tatsachen.
4.
Ich habe Leukämie.
5.
Wenn du das hier liest, bin ich vermutlich tot.
7. Januar
Heute war unser erster Schultag nach den Weihnachtsferien.
Wir haben an drei Tagen die Woche Schule — montags, mittwochs und freitags, bei uns im Wohnzimmer. Wir sind nur zu zweit — Felix und ich. Felix hat überhaupt keine Lust, was zu lernen.
»Was hat man denn vom Kranksein, wenn man trotzdem Mathe machen muss?«, hat er gefragt, als er das erste Mal zum Lernen zu mir nach Hause kam. Mrs. Willis, unsere Lehrerin, hat nicht mit ihm darüber diskutiert. Sie macht keinen Aufstand, wenn Felix nicht mitarbeitet. Sie lässt ihn einfach da sitzen, zurückgelehnt in seinem Stuhl, und mir sagen, was ich gerade wieder falsch gemacht habe.
»So schreibt man Ammonium aber nicht! In meiner Schule haben wir das nie so geschrieben!«
»Es gibt einen Planeten, der Herkules heißt — stimmt’s, Mrs. Willis?«
»Wozu machst du das denn jetzt?«
Felix kommt nur zur Schule, um mich zu treffen und damit seine Mum mal ein bisschen Ruhe hat.
Neuerdings lässt Mrs. Willis sich alle möglichen Tricks einfallen, um Felix’ Interesse zu wecken. So was wie Vulkane bauen, die wirklich ausbrechen, Essen kochen wie bei den alten Römern, Feuer machen mit einem Vergrößerungsglas.
Dieses letzte Experiment gefiel Mum allerdings gar nicht, Felix und ich haben dabei nämlich aus Versehen ein Loch in den Esstisch gebrannt.
Aus Versehen mit Absicht sozusagen.
Aber heute hat Mrs. Willis gesagt: »Wie wär’s, wenn ihr mal was schreibt?«, und wir haben beide laut aufgestöhnt, weil wir gehofft hatten, wir würden wieder Feuer machen oder vielleicht auch was in die Luft gehen lassen. Mrs. Willis sagte: »Na, kommt schon, ich dachte, ihr würdet vielleicht gern mal was über euch selbst schreiben. Ich weiß doch, dass ihr beide gern lest.«
Felix blickte auf. Er spielte gerade mit zwei von meinen Warhammer-Orks, ließ sie aufeinander zumarschieren und machte dabei ganz leise »Grrrr!«.
»Bloß, weil es im Krankenhaus nichts Besseres zu tun gibt«, sagte er.
Was Krankenhäuser angeht, sind Felix und ich Experten. Da haben wir uns auch kennengelernt, letztes Jahr.
Ich verstand nicht, was lesen und über mich selbst etwas schreiben miteinander zu tun haben sollten, und das sagte ich auch. »In Büchern geht es immer um Kinder, die die Welt retten, oder solche, die in der Schule verprügelt werden. Über uns würde ja keiner schreiben.«
»Über dich vielleicht nicht«, sagte Felix. Er presste eine Hand auf die Stirn und ließ sich in seinen Stuhl zurückfallen. »Die tragische Geschichte von Sam McQueen. Einem armen, schwachen Kind! Das tapfer schreckliches Leiden erträgt und Krankenhäuser ohne Fernsehen!«
Ich tat, als müsste ich mich übergeben. Felix streckte mir eine Hand hin — die, die er sich nicht vor die Stirn hielt.
»Auf Wiedersehen — auf Wiedersehen — teure Freunde«, sagte er und brach in seinem Stuhl zusammen. Dabei machte er Geräusche, als würde er ersticken.
»Am Tisch wird nicht gestorben, Felix«, sagte Mrs. Willis. Aber man sah ihr an, dass sie nicht wirklich sauer war. Sie sagte: »Ich möchte, dass ihr beide jetzt anfangt, bitte. Erzählt mir etwas über euch selbst. Ihr müsst ja bis zum Mittagessen kein ganzes Buch fertig haben.«
Genau das machen wir jetzt gerade. Also, ich zumindest. Felix ist nicht richtig bei der Sache. Er hat geschrieben: Ich heiße Felix Stranger und, und das war’s auch schon. Mrs. Willis hat ihn nicht gezwungen, mehr zu schreiben. Aber ich bin schon auf Seite drei.
Gleich ist die Schule sowieso aus. Es ist ganz still. Mrs. Willis tut so, als würde sie korrigieren, aber in Wirklichkeit liest sie unter dem Tisch 70 Dinge, die man mit Feuer machen kann. Felix bereitet mit meinen Orks einen hinterhältigen Angriff auf die Topfpflanze vor. Columbus, unser Kater, verfolgt das Geschehen mit gelben Augen.
Nebenan, in der Küche, rührt Mum in der Suppe, unserem Mittagessen. Dad ist bei der Arbeit, er ist Anwalt. Meine Schwester Ella ist in der Schule. Einer richtigen Schule. Der Grundschule in der Thomas Street.
Jeden Moment muss es so weit sein — ah, jetzt! Es läutet an der Tür. Felix’ Mum ist da. Die Schule ist aus.
Ich mag Tatsachen. Ich weiß einfach gern Dinge. Erwachsene kapieren so was nicht. Du stellst ihnen eine einfache Frage wie »Bekomme ich zu Weihnachten ein neues Fahrrad?«, und bekommst eine schwammige Antwort wie »Bis dahin ist es noch so lange hin, mal sehen, wie du dich dann fühlst«. Oder du fragst deinen Arzt: »Wie lange muss ich noch im Krankenhaus bleiben?«, und er sagt »Erst mal abwarten, welche Fortschritte du machst« oder so was. In der Sprache von Ärzten heißt das so viel wie »Ich weiß es nicht«.
Ich muss nie mehr ins Krankenhaus. Das hat Doktor Bill mir versprochen. Ich muss nur noch in die Tagesklinik, das ist alles. Wenn ich richtig krank werde, darf ich zu Hause bleiben.
Weil ich nämlich sterbe.
Vermutlich.
Dass man stirbt, ist die schwammigste Sache überhaupt. Darüber sagt dir keiner was. Du stellst Fragen, und sie fangen an zu husten und wechseln das Thema.
Falls ich groß werde, werde ich Forscher. Nicht so einer, der irgendwelche Chemikalien zusammenmixt, sondern einer von der Sorte, die UFOs erforscht und Geister und solche Sachen. Ich werde in Spukhäuser gehen und Experimente machen und nach Beweisen dafür suchen, ob es Poltergeister und Außerirdische und Ungeheuer im Loch Ness tatsächlich gibt oder nicht. Ich bin richtig gut darin, Sachen rauszufinden. Ich werde Antworten auf all die Fragen finden, auf die man nie eine Antwort bekommt.
Auf alle.
7. Januar
Meine Schwester Ella ist heute auch zum ersten Mal nach den Ferien wieder zur Schule gegangen. Sie hatte deswegen morgens einen Riesenkrach mit Mum. Ella kapiert nicht, wieso ich den ganzen Tag zu Hause bleiben darf und sie nicht.
»Sam geht auch nicht zur Schule!«, hat sie zu Mum gesagt. »Und du gehst nicht arbeiten!«
»Ich muss mich um Sam kümmern«, hat Mum gesagt.
»Tust du aber nicht«, hat Ella gesagt. »Du bügelst doch bloß und pflanzt Blumen und redest mit Granny.«
Womit sie recht hat.
Ella ist acht. Sie hat dunkle Haare und grün-braune leuchtende Augen, die ein bisschen aussehen wie diese Heilsteine aus den Hippie-Läden. Außer ihr legt niemand in meiner Familie Wert darauf, wie er aussieht. Granny läuft in geflickten Hosen und wattierten Westen mit Taschen für Stifte und Samentütchen und Zugfahrkarten herum. Und Mums Sachen sind alle bestimmt hundert Jahre alt. Aber Ella macht immer ein Riesentheater um ihre Klamotten. Außerdem hat sie auch eine große Schachtel mit Nagellack und Mums gesamtem Make-up, weil Mum es sowieso fast nie benutzt.
»Wieso schminkst du dich nicht?«, fragt Ella sie. »Wieso?«
Ella stellt ständig Fragen. Granny behauptet, sie sei schon mit einer Frage auf den Lippen zur Welt gekommen und warte noch immer auf die Antwort.
»Echt?«, hat Ella gesagt, als sie das hörte. »Und was war das für eine Frage?«
Wir mussten alle lachen.
»Wo bin ich?«, hat Mum gesagt.
»Wer sind all diese seltsamen Leute?«, hat Granny gesagt.
»Was tu ich hier bloß?«, hat Dad gesagt. »Ich sollte doch eine Prinzessin werden!«
»Du eine Prinzessin? Dass ich nicht lache!«, habe ich gesagt.
Jetzt ist Nachmittag, und ich schreibe noch immer. Ich wette, ich könnte ein Buch schreiben. Locker. Ich wollte eigentlich gleich weitermachen, als Felix gegangen war, aber dann kam Maureen von Mums Kirchengemeinde vorbei, also musste ich mich besuchen lassen. Maureen ist erst wieder gegangen, als Mum Ella von der Schule abholen ging. Als sie zurückkamen, saß ich am Esstisch und habe mir Fragen ausgedacht, auf die man keine Antwort kriegt. Ella kam gleich angerannt.
»Was machst du da?«
»Was für die Schule«, habe ich gesagt und die Seite mit dem Arm zugedeckt. Ella stellte sich hinter mich und sah mir über die Schulter.
»Ella«, sagte ich, »ich hab zu tun.« Das war ein Fehler. Sie zerrte an meinem Arm.
»Lass seh’n!«
»Mum«, rief ich mit Jammerstimme. »Ella lässt mich nicht arbeiten!«
»Und Sam lässt mich nicht gucken!«
Mum telefonierte gerade. Sie drückte den Hörer an die Brust, als sie zu uns rüberkam.
»Kinder! Könnt ihr euch jetzt mal benehmen? Ella, lass deinen Bruder in Ruhe!«
Ich schnitt Ella eine Grimasse. Sie schmiss sich aufs Sofa.
»Das ist unfair! Immer lässt du ihn gewinnen.«
Ella und Mum haben dauernd Krach. Und Ella beschwert sich dauernd, weil wieder mal etwas angeblich unfair ist. Ich wette, dass ich nur deswegen gewinne, weil ich nicht solche kindischen Anfälle kriege wie sie.
Mum legte den Hörer weg und ging zu Ella. Ella brüllte: »Geh weg!«, und rannte nach oben. Mum stieß einen ihrer typischen langen Seufzer aus. Dann kam sie zu mir. Ich habe mein Heft zugeschlagen, damit sie nicht sehen konnte, was ich geschrieben hatte.
»Geheim, stimmt’s?«
»Was für die Schule.« Ich hielt meinen Stift über den geschlossenen Block. Mum seufzte. Dann küsste sie mich auf den Kopf und ging zu Ella hinauf.
Ich wartete, bis sie ganz sicher weg war, dann nahm ich meinen Stift und schrieb weiter.
9. Januar
Heute hatten wir wieder Schule. Ich habe Mrs. Willis gesagt, dass ich ein Buch schreiben würde.
»Es handelt von mir«, habe ich gesagt. »Aber gleichzeitig ist es eine wissenschaftliche Untersuchung. Ich hab schon ziemlich viel gemacht.« Dann habe ich ihr die erste meiner Fragen, die niemand beantwortet gezeigt.
»Sehr löblich«, hat sie gesagt. »Und wie genau willst du die Antworten auf diese Fragen finden?«
»Ich suche im Internet.«
Im Internet findet man alles.
Mrs. Willis ließ Felix und mich heute nachforschen, woher man weiß, dass man gestorben ist. Dazu mussten wir Dads Laptop aus seinem Arbeitszimmer im ersten Stock runterholen, denn Felix sitzt im Moment im Rollstuhl. Als ich ihn kennenlernte, saß er nur manchmal darin, aber jetzt fast immer. Er kann sehr wohl laufen, er lässt sich nur gerne bedienen.
Wir haben es zuerst unter www.ask.com probiert und sind so auf eine Website über Nahtoderfahrungen gestoßen. Eine Nahtoderfahrung macht jemand, der schon fast stirbt, es sich aber im letzten Moment anders überlegt und zurückkommt. Auf der Homepage stand, dass fünf Prozent aller erwachsenen Amerikaner das erleben.
»Behaupten sie«, sagte Felix.
Laut Homepage sind diesen Leuten alle möglichen Dinge passiert. Sie sind durch dunkle Tunnel hinabgestiegen. Sie haben strahlend helles Licht gesehen und Engel. Manchmal schwebten sie auch über ihrem eigenen Körper und hörten, wie die Ärzte über sie redeten oder ihnen Elektroschocks verpassten.
Das war genau die Art Forschung, die ich gern machen möchte. Ich fand das großartig. Felix nicht.
»Das stimmt doch alles nicht«, hat er gesagt. »Wie können alle Leute Engel sehen? Was ist zum Beispiel mit Serienmördern?«
Mrs. Willis ließ uns alle Argumente dafür und dagegen aufschreiben, wie bei einer richtigen wissenschaftlichen Studie. Das war zwar wieder nur so ein Trick, um Felix dazu zu kriegen, was zu tun, aber immerhin hat es funktioniert. Er hat ganze acht Sätze dagegen aufgeschrieben.
Nahtoderfahrungen — Argumente dagegen
von Felix Stranger
Nahtoderfahrungen sind keine wirklichen Todeserfahrungen, weil diese Leute nicht wirklich sterben. Es ist einfach so, dass die Gehirne dieser Leute anfangen rumzuspinnen, weil sie seltsame Medikamente eingenommen oder nicht genug Sauerstoff bekommen haben. Wenn das alles wahr wäre, wieso passieren dann unterschiedlichen Menschen unterschiedliche Sachen? Und wieso nur gute Sachen? Wieso sind manche Leute nicht von Teufeln besessen oder so? Außerdem ist das genau das, was Leute so erfinden, um Aufmerksamkeit zu erregen. So wie Getreidekreise. Alle Welt dachte, sie würden von Raumschiffen gemacht, aber in Wirklichkeit waren es nur Bauern mit ihren Mähmaschinen, die auf die Art berühmt werden wollten.
Er war die zynische Öffentlichkeit, ich der Neuland betretende Forscher, weswegen ich für die Pro-Argumente zuständig war.
Nahtoderfahrungen — Argumente dafür
von Sam McQueen
Nahtoderfahrungen gibt es schon seit Platon, der vor Tausenden von Jahren lebte. Wir wissen das, weil er darüber geschrieben hat. Bei einer Nahtoderfahrung stirbt der Mensch tatsächlich. Und dann kommt er zurück. Also passiert das, was ihm geschieht, offenbar wirklich. Außerdem sehen die Menschen ja echte Dinge. Eine Frau schwebte zum Beispiel an der Decke und hörte ihre Ärzte all das sagen, was sie auch tatsächlich gesagt hatten, wie sie später herausfand. Nur dass sie es eigentlich nicht hätte wissen können, weil sie in dem Moment tot war. Und manchmal passiert Leuten auch Schlechtes. Ein Typ zum Beispiel hat erzählt, wie Kobolde mit Mistgabeln auf ihn einstachen.
Mrs. Willis sagte, wir könnten eindeutig wissenschaftlich denken und es tue ihr leid, dass sie je an uns gezweifelt habe. Felix und ich haben den Rest der Stunde damit verbracht, unsere perfekte Nahtoderfahrung zu planen. Wir kamen bloß nicht recht weiter, denn wir wollten zwar beide in den Himmel, aber die Kobolde mit den Mistgabeln wollten wir auch.
1.
Ich habe Haare. Letztes Jahr sind sie mir alle ausgefallen, wegen der Medikamente, die ich nehmen musste, aber inzwischen sind sie wieder nachgewachsen. Sie sind hellbraun.
2.
Ich habe blaue Augen.
3.
Ich habe ziemlich viele blaue Flecken. Das ist aber nicht meine Schuld. Das ist einfach so, wenn man Leukämie hat.
4.
Ich bin ziemlich klein für elf Jahre und irgendwie blass.
5.
Ich habe ein Muttermal in Form eines vierblättrigen Kleeblatts am Knie. Aber einen Wunsch habe ich trotzdem nicht frei.
10. Januar
Mum hat früher für eine gemeinnützige Organisation gearbeitet, die sich um Kinder mit Lernschwierigkeiten kümmert. Sie hat damit aufgehört, als ich zum zweiten Mal krank wurde. Jetzt bleibt sie zu Hause und fährt mich zur Klinik und kümmert sich um all die Leute, die zu Besuch kommen. Sonntags hat sie frei, um zur Kirche zu gehen, wo sie im Chor singt. Ella geht manchmal mit, aber nur, weil alle da so ein Getue um sie machen. Früher bin ich auch mitgegangen, aber jetzt nicht mehr, weil ich es hasse, wenn die Leute ein Getue um mich machen. Dad macht das nie.
Dad ist sehr klug. Er weiß so viel, aber ich könnte ihm nie eine meiner Fragen stellen. Er redet nicht darüber, dass ich krank bin. Ich habe auch nie versucht, mit ihm darüber zu reden, aber Granny hat es versucht und ein paar von meinen Tanten auch. Er sagt einfach: »Darüber wollen wir nicht reden«, und geht aus dem Zimmer.
Ich habe viele Tanten und Onkel. Mum hat nur einen Bruder, aber Dad hat einen Bruder und vier Schwestern. Mum sagt, das sei der Grund, weswegen er so still ist und gerne in Ruhe seine Zeitung liest — weil er als Kind nie genug Platz für sich hatte. Aber ich glaube, das ist Blödsinn, schließlich hatten meine Tanten und mein Onkel genauso wenig Platz, und sie reden und lachen die ganze Zeit.
Dad ist einfach still, so wie ich auch. Er ist schüchtern. Wenn wir unter uns sind, nur die Familie, dann ist er nicht still. Dann redet er und erzählt Witze und Geschichten. Er kennt jede Menge Geschichten. Dad mag es nur nicht, wenn das Haus voller Leute ist, so wie jetzt, wo ständig Besuch kommt. Er liest dann seine Zeitung und spricht nicht, oder er geht raus — wenn er die Leute gar nicht mag — und setzt sich mit der Zeitung in sein Arbeitszimmer.
Ich finde das ganz in Ordnung. Ich wünschte, ich könnte auch manchmal rausgehen und mich verstecken.
Granny wird schon mal böse auf Dad, sie sagt, Mum müsse alles allein machen. Aber Dad macht auch was. Er verdient das Geld. Und er hilft ihr sehr wohl. Einmal zum Beispiel, als ich im Krankenhaus war, kamen Ella und er nach Hause, und vor unserer Tür standen vier unterschiedliche Suppen. Die beiden haben alles heiß gemacht und sind damit ins Krankenhaus gefahren und haben allen Leuten in der Notaufnahme eine Tasse davon gegeben.
Jeder hielt sie für verrückt. Aber immerhin waren sie auf die Weise die Suppe los.
1.
Ein berühmter Forscher werden. Sachen herausfinden und Bücher darüber schreiben.
2.
Einen Weltrekord aufstellen. Natürlich keinen sportlichen. Irgendeinen blöden.
3.
Alle Horrorfilme anschauen, die ich nicht sehen darf. Solche ab 15. Oder ab 18.
4.
Rolltreppen verkehrt rum hoch- oder runterlaufen.
5.
Ein Gespenst sehen.
6.
Ein Teenager werden. Typische Teenager-Sachen machen, wie rauchen und trinken und Freundinnen haben.
7.
Mit einem Luftschifffahren.
8.
Mit einem Raumschiffstarten und die Erde vom Weltall aus sehen.
13. Januar
Mrs. Willis hat mich daraufgebracht. Sie hat gesagt, wir sollten so eine Liste machen.
»Was ich gern tun würde. Oder einfach etwas, was ich mir wünsche. Nach Möglichkeit Dinge, die machbar sind, aber das muss nicht sein.«
Es gibt viele Dinge, die ich gern machen würde. Es hat mir Spaß gemacht, sie aufzuschreiben. Mrs. Willis auch. Sie hat geschrieben:
1. Zum Grand Canyon fahren.
2. Den Speicher aufräumen.
3. In einem richtigen Labor arbeiten.
4. Baisers backen können.
5. Den Hund dressieren.
»Den Hund dressieren!«, sagte Felix. »Was ist das denn für ein Wunsch?«
»Du kennst unseren Hund nicht«, sagte Mrs. Willis.
Felix’ Liste war sehr kurz:
1. Reich und berühmt werden.
2. Alle Ärzte in die Luft jagen.
3. In ein Green-Day-Konzert gehen.
»Du warst doch schon in einem Green-Day-Konzert«, bemerkte ich. »Mit deinem Bruder.«
Felix zog eine Grimasse und beugte sich wieder über seine Liste. »Hier!«, sagte er. »Jetzt zufrieden?«
Ich las:
3. Noch mal in ein Green-Day-Konzert gehen.
Es war eine gute Schulstunde. Den Rest der Zeit haben wir damit verbracht, Bilder von Leuten zu malen, die aus Luftschiffen Raketen auf Green Day abschießen. Am Papierrand sind lauter biertrinkende Geister zu sehen, die Rolltreppen hochlaufen.
Als Mrs. Willis gegangen war, sind Felix und ich am Tisch sitzen geblieben. Ich habe angefangen, meine Warhammer-Armee aufzubauen, vielleicht würde Felix ja dann eine Runde mit mir spielen. Felix saß da, über meine Liste gebeugt, den Hut tief in die Stirn gezogen. Er trägt oft was auf dem Kopf, weil ihm von den Medikamenten, die er letztes Jahr bekommen hat, die Haare ausgefallen sind. Mir sind sie auch ausgefallen, aber jetzt sind sie wieder nachgewachsen. Bei Felix nicht. Heute trug er seinen Fedora, das ist so was wie ein weicher, zerknautschter Bowler-Hut. Damit sieht er aus wie ein etwas runtergekommener James Bond.
»Willst du das hier echt alles machen?«, fragte er.
»Keine Ahnung«, sagte ich. Ich war im Moment mehr daran interessiert, meine Figuren richtig in Stellung zu bringen. »Wahrscheinlich nicht. Wieso?«
»Na ja, wir könnten uns doch dranmachen. Oder?« Er sah mich herausfordernd an. Ich kramte meine Kiste nach einem Bogenschützen durch, der mir noch fehlte.
»Das ist nichts, was man wirklich machen könnte«, erklärte ich ihm. »Mehr so was wie … Wünsche. Nichts Richtiges.«
Felix beugte sich vor. Er widerspricht gerne. »Wieso?«, fragte er. »Mrs. Willis wird ja wohl auch ihre Baisers backen. Wieso können wir dann keine Horrorfilme gucken? Mickey hat ganz viele davon zu Hause.«
Er schob mir die Liste über den Tisch zu, und ich sah sie mir noch mal an.