Wild ist das Land - Raven E. Dietzel - E-Book

Wild ist das Land E-Book

Raven E. Dietzel

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Beschreibung

In einer halb verlassenen Stadt nah der Wüste wird ein Räuber und Mörder zum Tode verurteilt. Alle reden vom verschollenen Goldschatz, während Saloondirne Fortuna sich um etwas ganz anderes sorgt: Ihre Freundin Mercy ist verändert, seit sie in der Nacht vor der Hinrichtung zu dem Verbrecher geschickt wurde. Geht es um Liebe? Oder hat sie ein anderes Geheimnis? – Ein feministischer Western über Träume, Solidarität und den Alltag in einer männerdominierten Welt. Untypisch, packend und absolut lesenswert. Für alle Westernfans!

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Seitenzahl: 126

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Wild ist das Land

Raven E. Dietzel

Impressum

Copyright: Novo-Books im vss-verlag

Jahr: 2024

Lektorat/ Korrektorat: Annemarie Werner

Covergestaltung: Raven Dietzel

Verlagsportal: www.novobooks.de

Gedruckt in Deutschland

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig

Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen – eine Geschichte aus einem gefährlichen Land, das vom Wind auferweckt ist und von der Sonne verbrannt. Es ist eine Geschichte aus dem wilden Westen.

Also wollen Sie wissen, von wem sie handelt?

Nun, von Doris und Maria und…

Aber wer die Hauptfiguren sind, fragen Sie? Die Revolverhelden! Diejenigen Männer, die Abenteuer erleben und Opfer bringen und die Stadt retten!

Wie Sie meinen ... Von neun solcher Männer kann ich Ihnen erzählen.

Von Wilbert Goldstein werde ich also erzählen, der um sein ganzes Vermögen und sein Leben gebracht wird (nicht unbedingt in der Reihenfolge).

Ich will erzählen, wie Michael Fournier seinen einzigen Sohn verliert. Bob Daggett drei Pferde. Und Maximilian Jenkins insgesamt vier Leute, die für ihn arbeiten – fünf, wenn man seine Frau mitzählt.

Wie Julius Boult einen gefährlichen Verbrecher zur Strecke bringt und einfach keinen Schlaf findet, ist ebenfalls Teil der Geschichte. Wie Douglas Verne sich verliebt. Wie der schielende Roberts den Reichtum zum Greifen nah glaubt. Wie Peter Taylor zum ersten Mal im Leben einen Menschen tötet. Und wie Ezra Sullivan zum ersten Mal in seinem Leben einer Frau beischläft.

Es ist eine Geschichte um Gewalt, Verbrechen und Verlust, doch ebenso um Heldenmut, Liebe und Hingabe; und um einen echten Goldschatz. Eine Geschichte, in der eine Freundschaft zerbricht, in der Blut vergossen wird und Männer begraben werden; in der die Sonne unbarmherzig brennt und der Wind unermüdlich weht; in der Glas zerschlagen und viel Whiskey getrunken wird.

Eben eine Geschichte aus dem wilden Westen.

***

Man nannte mich Fortuna.

Als sie einritten, stand ich mit Mercy und Lola auf dem Balkon über dem Eingang und spähte ins frühe Abendlicht. Die Männer, die der Wüstenwind zurück ins Städtchen trieb, waren müde, erschöpft und erschüttert. Sie waren ausgelaugt, hungrig und durstig. Und sie waren verwundet. Nur vier der Burschen, die sich bereiterklärt hatten, dem Gesetz unter die Arme zu greifen, hielten sich im Sattel. Der letzte hing quer überm Pferderücken. Es war nicht zu erkennen, ob er noch lebendig war. Seine Zügel hielt jedenfalls ein anderer. Die Jagd hatte ein Opfer gefordert.

Doch war sie endlich erfolgreich gewesen! Denn auch Sheriff Boult führte ein zweites Pferd: Ein mageres, sehniges Exemplar, das sich trotz Erschöpfung gegen den Strick stemmte.

So das von hieraus zu erkennen war, saß der Reiter des geschundenen Fuchses still. Mehr Fessel sah ich, als Mann, sosehr hatten sie ihn eingeschnürt. Sein Gesicht verbarg sich unter einer gesenkten Hutkrempe.

Einmal hob er den Kopf so weit, dass wir beinahe seine Augen sehen konnten. Ich glaubte, er musterte uns. Wenn ich auch gewohnt war, von Männeraugen bedrängt zu werden, gab mir das ein ungutes Gefühl. Doch er war weit weg, da unten auf der Straße, und dann war der Moment schon wieder vorbei.

„Diesmal wird es keinen langen Prozess geben.“, sagte Mercy, die neben mir stand. Sie wirkte ganz unberührt. „Sie werden ihn morgen früh hängen.“

„Das hätten sie schon tun sollen, als sie ihn letztes Mal hatten.“, erwiderte ich. „So eine hässliche Sache.“

„Eine wirklich hässliche Sache.“, stimmte Mercy zu und zog an ihrer Zigarettenspitze.

Wir beobachteten die Männer, die mit ihren Pferden auf der Hauptstraße flanierten, obwohl sie so lange unterwegs gewesen waren. Auf und ab ritten sie, bis auch die letzten Leute vor die Türen gekommen waren. Ein Gefühl von Gemeinschaft war selten in dieser Ansammlung von Häusern, in der hauptsächlich arme Farmer lebten, deren Väter sich jahrelang gegenseitig das Wasser abgegraben hatten.

Die Rinderzüchter und Pferdehändler bewirtschafteten das Land in der Umgebung und versuchten, ein Auskommen mit dem Vieh zu erzielen, das sich kaum am Leben erhalten ließ. Ein Wir gab es unter ihnen nur, wenn ein Zug Wapitis oder Gabelböcke Trapper in die Gegend lockten. Die deckten dann den geringen Bedarf mit Massen an billigem Fleisch, während sie die teuren Felle in die nächste Stadt mitnahmen, wo es eine Eisenbahnstation gab. Warum sollten sie auch hierbleiben?

Unter den kleinlichen Blicken der misstrauischen Bewohner schmolz die Freiheit des Lebens, das sie sich ausgesucht hatten, dahin. Und weder fanden sie hier jemanden, der ihnen mehr als das Minimum für ihre Ware zahlte, noch einen Waffenschmied, der ihnen den Abzug ihrer Sharp-Büchse reparierten oder den Schlagbolzen austauschte.

Nein, der Ort hier war nicht das richtige für einen Trapper. Der einzige, der sich vor ein paar Jahren hier niedergelassen hatte, wurde nicht nur hinter seinem Rücken gescheitert genannt. Er bewohnte einen Shack am Rande der Siedlung, verschwand zwischenzeitlich für ein paar Tage, um Fallen auf Wüstenhasen und Bighornschafe zu stellen. Das brachte Schuster und Schneider etwas Abwechslung in die Auslagen. Da das Kaff von durchreisenden Händlern zu oft ausgelassen wurde, hatte niemand etwas gegen den Squint Roberts. Normalerweise übergingen ihn die Leute.

Doch als Boult beschlossen hatte, dem Verbrecher in die Wüste zu folgen, war klar gewesen, dass er Squints Hilfe brauchte. Obwohl dessen Auge vor Jahren von der Skabies blindgefressen worden war, war er der beste Spurenleser am Ort. Boult hatte ihn zielsicher beim Faro im Saloon gefunden. Nun saß der schäbige Trapper stolz auf dem Rücken des geliehenen Pferdes und empfing vielleicht das erste Mal in seinem Leben Respekt.

Magnetisch zog der kleine Triumphzug die Einwohner an. In der Luft konnte man so etwas wie Ausgelassenheit schmecken, während das Sonnenlicht sich am schroffen Bergkamm brach, der nur scheinbar nah da draußen in der Wüste aufragte.

„Was ist beim letzten Mal passiert?“, wollte Lola wissen. Sie drehte den Holzstiel ihres Spitzenschirms. Das tat sie, wann immer sie das Ding in der Hand hatte, hatte es schon getan, als sie vor zwei Jahren hergekommen war. Damals waren ihre Hände voller nässender Blasen gewesen, weil sie unablässig den Schirm kreisen ließ. Es half nichts, ihr zu sagen, sie solle das lassen, mit ihr zu schimpfen, sie zu ohrfeigen, denn sie merkte gar nicht, was sie tat. Wir alle wussten keinen Rat, bis Mercy schließlich vom durchreisenden Kaufmann ein schmales Paar lederner Handschuhe besorgte. Seitdem ging es Lolas schwieligen Händen besser.

„Das war, bevor du hier warst.“, erklärte ich. „Sie hatten ihn schon einmal, und alle hätten ihn gerne am Galgen gesehen – bis auf Louise.“

„Louise hat vielleicht ein Jahr bei uns gearbeitet.“, schaltete Mercy sich ein. „Sie war ein junges, unschuldiges Ding…“

„Unschuldig?“, hakte Lola skeptisch nach. „War sie keine…?“

„Sie war weiß Gott eine Hure! Aber sie hatte diese verträumten Augen. Kerle sind auf sie geflogen – je dreckiger sie waren, umso mehr machte ihre zarte Art sie an. Und sie – ich glaube, bei Jedem, den sie mit aufs Zimmer genommen hat, hat sie sich eingebildet, er sei ihre große Liebe.“

„Und dann ist er gekommen.“, nahm ich den Faden wieder auf. „Er hat ihr Geschenke dagelassen, mit ihr über Liebe gesprochen, hat alles getan, um sie bei der Stange zu halten. An dem Tag, als der Hilfsmarshall die Steckbriefe ins Dorf brachte, hatte Boult den Verbrecher schneller in Handschellen, als er gucken konnte. Er hat auf den nächsten Gerichtstag gewartet – es sollte einen fairen Prozess geben.“ Ich erinnerte mich gut daran, wie wir im Saloon die Stühle aufgestellt und einen Tisch auf die kleine Tanzbühne gehoben hatten. „Doch als der Richter anreiste, hatte der Verbrecher plötzlich für alles ein Alibi.“

„Louise?“, vermutete Lola.

„Louise.“, stimmte ich zu. „Ich weiß nicht, was er mit ihr gemacht hat, dass sie für ihn gelogen hat…“

„Er hat ihr versprochen, sie zu heiraten.“, unterbrach Mercy barsch. „Das hat er gemacht. Versprochen, sie zu heiraten und mit ihr dorthin zu ziehen, wo niemand sie kennt. Ein anständiges Leben zu führen. Und Louise, das dumme Ding, hat ihm geglaubt.“

„Sie hat auf Gott und ihr Leben seine Unschuld beschworen. Man konnte ihn nicht verurteilen.“

„Zwei Tage später war Louise nicht mehr hier. Sie hatte ihre Habe zusammengeklaubt und war verschwunden. Und noch zwei Tage später hat man hinter der Butte da hinten ihre Leiche gefunden.“ Mercy deutete auf eine rote Felserhebung, die auf halber Strecke zwischen uns und dem Horizont lag. „Ihre Sachen lagen ringsherum und waren durchwühlt. Er hat ihren Schmuck und alles Geld mitgenommen. Und hat sich seit da nicht mehr hier blicken lassen.“

„Bis vor zwei Wochen.“, schloss Lola. „Als er Wilbert Goldstein erschossen und dessen Tresor ausgeräumt hat.“

„So ist es.“ Mercy drückte ihre Zigarette auf der Balustrade aus und brannte damit einen neuen kleinen schwarzen Fleck zwischen die unzähligen alten kleinen schwarzen Flecken. „Kommt ihr, Mädels? Wir bekommen zu tun.“

Sheriff Boult hatte den Galgenvogel in die Zelle gebracht. Die Kerle waren von den Pferden, auch der, der nicht selbst absteigen konnte. Eindeutig, dass er tot war – Ezra Sullivan, der Totengräber, sprach ruhig auf die weinende Witwe ein. Die vier lebendigen Helfer trieben sich gegenseitig auf unseren Saloon zu. Einige der Männer, die ihre Ankunft auf die Straße gelockt hatte, folgten ihnen. Sie waren auf Abenteuergeschichten, Whiskey und auf Röcke aus – Jenkins würde heute Abend ein gutes Geschäft machen.

Es war noch zu früh für uns, die Männer zu nüchtern. Doch wenn wir Arbeit wollten (wir wollten sie, ob wir wollten oder nicht), war es ratsam, präsent zu sein, ein bisschen in alle Richtungen zu flirten, um Partien abzuchecken.

Ich trieb mich am Farotisch herum, rätselte mit den Spielern um die verdeckten Karten, schnitt das passende Gesicht, wenn Trumpf aufgedeckt wurde und legte hier und da eine Hand auf eine Schulter. Mit dem entsprechenden Spruch auf den Lippen nahm ich am Ende häufig den Verlierer mit auf mein Zimmer – Pech im Spiel, Glück in der Liebe. Dieses Glück galt nur, wenn er etwas Bargeld zurückbehalten hatte. Lieber wären mir Gewinner gewesen – doch die waren erst vom Spieltisch wegzukriegen, wenn ihre gute Ahnung sie verlassen und sie den kleinen Reichtum wieder verloren hatten. Dann war es mit ihrer Großzügigkeit auch wieder vorbei.

Mercy stand an der Bar, ihr fast leeres Glas vor sich und sah nach abgrundtiefem Kummer aus. Ich wusste, dass sie nicht mehr davon hatte, als jede von uns. Das Glas war von Anfang an nicht voll gewesen. Mercy hatte durchschaut, dass das Thekenlicht ihrer griesgrämigen Schönheit stand, und so wartete sie an dieser Stelle darauf, angesprochen zu werden. Oft genug gelang das. Mercys Unergründbarkeit machte sie zur Gleichgesinnten derjenigen, die sich selbst genug zu sein glaubten. Vor den platten Avancen jeder anderen Saloondirne waren die gefeit. Aber da stand eine da wie ein einsamer Wolf. Wenn einer der selbsternannten Glücksritter ihr zuprostete, war er schon halb gewonnen. Und wenn er nah genug kam, um ihr dunkles Haar zu riechen, dem die Trockenblumen, die sie zum Schlafen hineinwickelte, den Duft von Vergangenheit gaben, wurde Mercy Inbegriff all dessen, was er entbehrte oder verloren hatte. Jemand, der einer versoffenen Hure einen ausgab, brachte auch das Geld für eine Nacht auf. An Mercy geriet jene Art von Mann, die befahlen, nicht zu sprechen, wenn man sich für sie auszog. Das Eigenartige war, dass am Ende oft sie selbst redeten – ich hörte ihre Stimmen durch die Holzwand, wenn ich in meinem Zimmer war. Mercy hatte die Geschichten vieler verstockt schweigender Kerle in sich aufgenommen. Sie schienen darauf zu vertrauen, dass ihr Herz sie wohl bewahrt, immerhin war es geschützt von einem Paar berüchtigter Brüste.

Der Saloon war an diesem Abend ein Ort, an dem Menschen lachten und feierten, die sonst schwiegen und arbeiteten. In der Ecke hing überflüssig geworden der Steckbrief des gefürchteten Banditen, der elffachen Raub, siebenfachen Mord und unzählige Betrügereien, Diebstähle und Tätlichkeiten aufführte. Seine Festnahme begeisterte die Menschen so sehr, dass sie vergaßen, wie hart und eintönig ihr Leben sonst war. Im Grunde waren ihnen die Übeltaten egal – es ging darum, dass einmal etwas Besonderes geschehen war. Ein Satz allerdings fiel in allen Gesprächen: Das Gold, das der Bandit gestohlen hatte, war noch nicht aufgetaucht.

Zumindest wussten die Männer, die den Sheriff begleitet hatten, sich ihres Anteils am ausgeschriebenen Kopfgeld sicher. Also gingen sie an diesem Abend mit Dollar-Noten um wie sonst mit Cents. Ihre Freigiebigkeit steckte andere an.

Lola hatte auf der winzigen Bühne getanzt und damit einen der Revolverhelden um den Finger gewickelt. Der Umstand, dass der sich wie ein reicher Mann fühlte, trieb ihn der vermeintlichen Lady mit Schirm und Fächer in die Arme.

Lola war Hure im schäbigen Saloon einer winzigen Stadt, doch sie genoss ihr Leben hier: Die Möglichkeit, ihr bisschen Geld für Putz auszugeben und eine gewisse Selbstbestimmtheit bei der Auswahl ihrer Freier. Sie genoss sogar Jenkins, weil er uns Teile unseres Verdiensts behalten ließ und uns nie schlug, weil es ihm Spaß machte, sondern nur, wenn er nicht anders konnte. So jedenfalls drückte Lola es aus. Bis vor fünfundzwanzig Monaten hatte sie in einem der riesigen Bordelle in Nevada gearbeitet, wo sie mehr wie Vieh als wie ein Mensch behandelt worden war, wo die Mädchen bewacht und eingesperrt wie Verbrecher wurden und von wo abzuhauen sie Jahre gekostet hatte. Nach ihren Erfahrungen dort, über die sie kaum sprach, war der kahlköpfige Jenkins in ihren Augen ein Heiliger. Dass er seine Gäste gerne um ein paar Dollar betrog, war für sie recht und billig. Dass er, was den Whiskey anging, selbst sein bester Kunde war, übersah sie höflich. Und dass jede von uns dreien ihn mit Regelmäßigkeit zwischen die Schenkel nehmen musste, obwohl er verheiratet war, war eine Selbstverständlichkeit, die es hinzunehmen galt.

Mercy stimmte ihr nur eingeschränkt zu. Sie sagte immer: Jenkins war ein Dreckskerl, doch zumindest keiner der übelsten Sorte.