Wild Soul Woman - Mary Reynolds Thompson - E-Book

Wild Soul Woman E-Book

Mary Reynolds Thompson

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  • Herausgeber: Neue Erde
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2024
Beschreibung

Allzu leicht vergessen wir, dass wir als Menschen uns in den mehr als 200.000 Jahren unserer Entwicklung zumeist in der wilden Natur bewegt haben; sie ist es, die uns tiefinnerlich geprägt hat. Heute ist die Natur gezähmt, unterjocht, vor unseren Karren gespannt – und so ist es auch unsere Seele. In ihren Kursen für Frauen arbeitet Mary Reynolds Thompson daran, die wilde Natur der Seele wieder freizulegen: anhand der Archetypen von fünf Landschaften. Diese sind alles andere als Konstrukte des Verstandes, sondern lebensvolle Bildekräfte der Seele, die durch die Arbeit mit diesem Buch wieder befreit werden können. Zuerst begegnen wir Wüstenfrau, die uns auf uns selbst zurückverweist. Können wir mit uns allein sein? Sind wir bereit, uns der Leere, Stille und Weite der Wüste zu stellen? Wenn wir erkennen, dass wir genug sind und alles, was wir brauchen, in uns tragen, haben wir die Lektion der Wüste gelernt. Dann gelangen wir zu Waldfrau, die uns in die Tiefe unseres schöpferischen Vermögens führt, in den dunklen Schoß, aus dem das Leben entspringt. Wenn wir hier vom linearen auf den spiralförmigen Pfad gelangt sind, können wir weitergehen zu Meer- und Flussfrau. Hier lernen wir, all das Gestaute wieder zum ­ Fließen zu bringen, uns dem Fluss des Lebens hinzugeben und dabei ganz wir selbst zu sein. Wenn das gelingt, können wir uns hinstellen wie ein Berg, wie Bergfrau es uns zeigt. Wir stehen zu unserer Kraft und Größe und weichen Reibungen nicht mehr aus. Wir sind die, die wir sind. Ganz wir selbst sind wir reif, uns in wahre Gemeinschaft zu begeben, wie es uns Graslandfrau zeigt. Hier gedeihen wir und lassen alle um uns herum wachsen und sich entfalten. Denn die wilde Seele lässt das Eigene und Wilde in allen Wesen gelten. Dieses Buch verwandelt schon beim Lesen, doch eröffnen die Übungen und praktischen Anregungen darüber hinaus wirkliches Wachstum – um so mehr, wenn sich Frauenkreise zusammenfinden, um gemeinsam die wilde Seele zum Leben zu erwecken.

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Seitenzahl: 459

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Mary Reynolds Thompson

Wild SoulWoman

Obwohl Autorin und Herausgeber alle Anstrengungen unternommen haben, um sicherzustellen, dass die Informationen in diesem Buch zum Zeitpunkt der Drucklegung korrekt waren, wird keine Haftung für Verluste oder Schäden aufgrund der bereitgestellten Informationen übernommen.

Wenn du die Autorin kontaktieren möchtest, um Vorträge oder Workshops zu buchen, besuche www.MaryReynoldsThompson.com.

Es gibt heute unbedingt viele gute Gründe, das weibliche Geschlecht wieder besser sichtbar zu machen. Dies ist seit mehr als 40 Jahren auch Anliegen unseres Verlages. Ob dies durch Gendern erreicht wird, darf man jedoch hinterfragen, immerhin geht es um unsere Muttersprache. Sicher ist, dass der grammatische Genus nichts über das Geschlecht (Sexus) aussagt. Deswegen halten wir uns als Verlag beim Gendern bewusst zurück. Ausführliche Begründung dazu unter www.neue-erde.de/derdiedas

Mary Reynolds Thompson

Wild SoulWoman

Wege in die volle Frauenkraft

Aus dem amerikanischen Englisch von

Andreas Lentz

Bücher haben feste Preise.

1. Auflage 2024

Mary Reynolds Thompson

Wild Soul Woman

Der Titel des englischen Originals lautet »The Way of Wild Soul Woman«.

Übersetzt aus dem Englischen von Andreas Lentz.

© für die deutsche Ausgabe Neue Erde GmbH 2024

Alle Rechte vorbehalten.

Das englische Original erschien 2022 unter dem Titel

»The Way of the Wild Soul Woman« bei Wild Roots Press

Copyright © 2022 von Mary Reynolds Thompson

Rights managed through Ana Vidal – Infinia Literary Agency

Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne Genehmigung des Herausgebers

in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, einschließlich grafischer,

elektronischer oder mechanischer Mittel, einschließlich Fotokopien, Aufzeichnungen,

Bandaufnahmen oder Informationsspeicher- oder -abrufsystemen, reproduziert oder

übertragen werden.

Illustrationen von Kathleen Brigidina

Umschlag:

Illustration: Ruth Evans, ruthevansart.com

Gestaltung: Dragon Design, GB

eISBN 978-3-89060-488-6

ISBN 978-3-89060-855-6

Neue Erde GmbH

Cecilienstr. 29 · 66111 Saarbrücken

Deutschland · Planet Erde

www.neue-erde.de

All den mutigen Frauen, die aus Liebe zu sich

und zur Erde ihre Scham und ihre Ketten abwerfen,

widme ich dieses Buch.

Gemeinsam können wir die Welt verändern.

Inhalt

Vorwort von Clare Dubois

Einführung: Das Lied einer Wilden Seelenfrau

TEIL I: Wüstenfrau

Unfruchtbare Welten: Die erste Einweihung

Die Herausforderung: Wissen, dass du genug bist

Der Umschwung: Vom Trugbild zur Vision

Der Weg: Das Alte loslassen

Sich als Wüstenfrau verwirklichen

TEIL II: Waldfrau

Der dunkle Schoß: Die zweite Einweihung

Die Herausforderung: Auferstanden aus der Asche

Der Umschwung: Vom linearen zum spiralförmigen Pfad

Der Weg: Verpuppung

Sich als Waldfrau verwirklichen

TEIL III: Meer- und Flussfrau

Die Wellen sich brechen lassen: Die dritte Einweihung

Die Herausforderung: Lernen, uns selbst zu lieben

Der Umschwung: Gestautes zum Fließen gebracht

Der Weg: Gestaltwandeln

Sich als Meer- und Flussfrau verwirklichen

TEIL IV: Bergfrau

Gebären: Die vierte Einweihung

Die Herausforderung: Nimm die Reibung an

Der Umschwung: Zerbrochen, um wiedergeboren zu werden

Der Weg: Transformative Kraft

Sich als Bergfrau verwirklichen

TEIL V: Graslandfrau

Das neue Leben nähren: Die fünfte Einweihung

Die Herausforderung: Eine gemeinsame Basis finden

Der Umschwung: Vom Bemühen zum Gedeihen

Der Weg: Reziprozität

Sich als Graslandfrau verwirklichen

TEIL VI: Den Weg der Wilden Seelenfrau gehen

Auf der Suche nach Ganzheit

Ein Brief an meine Leserinnen und Leser

Danksagungen

Anmerkungen

Über die Autorin

Über die Illustratorin

Vorwort

Ich erinnere mich, als Mary zum ersten Mal mit mir über den Unterschied zwischen Metaphern und Archetypen sprach. Wären wir im selben Raum gewesen und nicht nur am Telefon, hätte sie gesehen, wie verdutzt ich dreinschaute. Ich hatte zwar eine Vorstellung, was ein Archetyp ist, aber sie hatte eindeutig ein ganz anderes Verhältnis zu diesem Begriff. Zunächst einmal waren Archetypen für sie weitaus mehr als nur »Konzepte«. Sie schien eine intime Beziehung zu ihnen zu haben, die an Ehrfurcht grenzte. Ich war fasziniert.

Mary sprach über Metaphern und Archetypen, über den Widerspruch zwischen der Rohheit eines Konstrukts oder einer Erfahrung, die eine fühlbare Veränderung oder spürbare Transformation bewirkt. Für sie übertrumpften Archetypen Metaphern um das Zehnfache. Je länger ich zuhörte und Marys Ausführungen folgte, desto klarer wurde mir, dass es eine klaffende Lücke sowohl in meinem Verständnis als auch in meiner gelebten Erfahrung gab. Instinktiv spürte ich, wovon sie sprach, aber mir fehlte der Bezugsrahmen dafür. Ich hatte keine Landkarte, keinen Kompass und keinen Schlüssel – aber ich wollte sie alle drei.

Was von da an folgte, war einfach wunderbar. Nachdem wir uns damit angefreundet hatten, als zwei britische Frauen mit den sozialen und klimatischen Gegebenheiten des Lebens in Kalifornien zurechtkommen zu müssen, vertieften wir uns in eine echte gemeinsame Leidenschaft: die Erforschung der Rolle der Natur bei der Selbstbefreiung. Schließlich sind wir Natur, also wäre es doch von grundlegender Bedeutung, sich in die Arme unseres natürlichen Selbst fallenzulassen, um ein wahrhaftigerer, gesünderer Mensch zu werden.

Dann haben wir uns den Frauen zugewandt. Frauen und Natur haben eine gemeinsame Geschichte der Unterdrückung und Ausbeutung zum Nachteil allen Lebens, nicht zuletzt unseres eigenen. Wie also könnte die Einlassung auf tiefe, auf der Natur beruhende Archetypen die Wiederbelebung des Weiblichen beeinflussen oder fördern?

Als Frau, die mehr mit Bergen, Bäumen und Flüssen zu tun hat als mit anderen Menschen, schien Mary mir eine Möglichkeit zu bieten, durch die ich mich mit allem, was ich bereits liebte, noch enger verbinden konnte. Als Gründerin von TreeSisters, einer in Großbritannien ansässigen Wohltätigkeitsorganisation, die an der Schnittstelle zwischen weiblicher Führung und der Wiederherstellung von Wäldern arbeitet, faszinierte mich die Aussicht, Marys von der Landschaft hergeleitete Archetypen als Wegweiser auf dem Weg einer Frau nach Hause zu ihrer Wildheit zu erforschen. Ich hatte zwar keine Ahnung, wie das gehen sollte oder was es überhaupt bedeutete, aber ich war bereit, mich darauf einzulassen.

Durch einen Online-Kurs und den magischen Tanz gemeinschaftlicher Entdeckungen, der für so viele von uns daraus folgte, entwickelte sich ein wirklich lebensveränderndes und zutiefst bedeutsames Werk, das dir hier vorgestellt wird. Ich kenne nichts Vergleichbares. Dies hier ist für mich die Karte, der Kompass und der Schlüssel.

Und es ist eine ergreifend schöne, ergreifend intime und aufwühlend transformierende Rückkehr zu unserer ursprünglichen Natur als Teil der Natur. Hier kehrst du in die Arme der Landschaften zurück, aus denen wir hervorgegangen sind, als würdest du dich in die Umarmung deiner Vorfahrinnen fallenlassen; Frauen, die die Weisheit und das Gefühl des Landes in sich tragen und dich zu dir selbst führen können. Du bist eingeladen, jedwede Illusion fallenzulassen, das konditionierte menschliche Konstrukt habe irgendetwas mit dem zu tun, wer wir als Frauen wirklich sind.

Wenn du dich für ihn entscheidest, bietet dieser archetypische Weg Gelegenheiten für eine Reihe von tiefgreifenden initiatorischen Begegnungen. In den Spiegelungen dieser uralten Wesen des Landes und des Wassers kannst du dir selbst begegnen, ehrlich, nackt und in tiefer Demut, so dass ein Lösen und ein Werden durch dich und an dir geschehen kann.

Um zu überstehen, was auf uns zukommt, müssen wir Zugang zu mehr Kraft, Widerstandsfähigkeit, Kreativität, Wissen, Weisheit, Mitgefühl und Liebe haben als je zuvor. Wir müssen loslassen, wer wir nicht sind, und uns trauen, den Tanz der Wilden Seelenfrau in uns zu tanzen.

Diese Erfahrung wünsche ich auch dir.

Clare Dubois

Einführung

Lied einer Wilden SeelenfrauWir Frauen erheben uns.Wild, windgepeitscht, aus dem Meer geboren, flammendesLicht, verwurzelt wie Bäume, erheben wir uns.Wir sind dabei, uns wieder auszuwildern. Wir steigen aus derErde auf, gekleidet in Moos und Rinde.Wir sind nicht wiederzuerkennen, außer für uns selbst.

Wir bewegen uns im Schatten der Wälder und in den tiefen,kühlen Unterströmungen der Bäche.Wir strecken unsere Arme nach den Bergen aus,wagen dazustehen, zerklüftet und staubig wie Wüsten.Wir begrünen uns mit Gräsern, verwurzeln uns in feuchterErde.Wir sind wundersam. Wir erheben uns. Wir sind wild.

Wir sehen uns, fühlen füreinander, stützen uns gegenseitig.Wie die Wellen in einem Ozean sind wir ein Fest der Kräfte undImpulse der Natur.Wir leben nach unserem eigenen Rhythmus.Wir lassen uns nichts vorschreiben.

Eine Frau, nicht mehr getrennt vom Fleisch der Erde, wird zuihr, spricht für sie, erhebt ihre Stimmeund singt vom Feuer unter ihr und Sternen in ihrem Haar.

Wir sind Granit und Erhabenheit,heißblütig und von Wildblumen durchwebt.Wir blühen auf nach unseren eigenen Weisen, Launen undWünschen.Falsche Dinge fallen in unserer Gegenwart zu Boden.

Wir sind schwanger mit Leben.Eine Wilde Seelenfrau ist eine Frau mit Bauch und Atem –in Grenzenlosigkeit.

Mit leisen Schritten bahnt sie sich ihren Weg durch uralteLandstriche, legt neue Spuren.Vor ihr brechen die Barrieren.Instinktiv bewegt sie sich mit Flossen und auf Flügeln undGebeten.

Sie ist das Echo einer tieferen Stimme, die aus derfeurigen Höhle spricht.Sie ist geschmolzen, fließend, formgebend. Sie hörtauf die Weisheit des Steins.Sie ist der lebende Beweis für eine Sprache, die jedes Gefühlder Einsamkeit vertreibt.Die Erde wärmt sie, heißt sie willkommen, umhüllt sie.Sie wächst hoch in den Feldern, grüßt den Wind und dieGräser, die sanfte Anmut des Regenbogens.

Sie ist eine Frau des Feuers und des Regens, der Erde undder Luft, und sie hat noch viel mehr zu bieten.Dies ist nicht nur mein Lied oder dein Lied. Dies ist dasLied der Erde.Und das Lied jeder Wilden Seelenfrau.Wir sind wundersam. Wir erheben uns. Wir sind wild.

* * *

Wir sind wundersam. Wir erheben uns. Wir sind wild. Das Lied einer Wilden Seelenfrau ist ein klarer Ruf. Ein Ruf, sich daran zu erinnern, dass du das Geheimnis der Wälder und den Granit der Berge in dir trägst. Deine wahre Natur ist die Natur: wild, windgepeitscht, weit wie die Ebenen. Du bist nicht klein oder unbedeutend. Du bist nicht das, was deine Eltern aus dir gemacht haben oder was die Gesellschaft dir diktiert hat, und du bist auch nicht das Etikett, das dir deine Arbeit aufdrückt. Du bist eine Wilde Seelenfrau: verwurzelt, kraftvoll, wahrhaftig und instinktiv. Und doch, wie leicht vergessen wir das!

Zu lange haben wir Frauen uns verrenkt, um in einer Welt, die Profit vor Schönheit, Wettbewerb vor Zusammenarbeit, Ausbeutung vor Gegenseitigkeit stellt, erfolgreich zu sein oder auch nur zu überleben. In dieser Welt sind wir unterdrückt, domestiziert, ausgebeutet und missbraucht worden. In dieser Welt leidet auch die Natur. Flüsse trocknen aus, Berggipfel werden weggesprengt und Wälder abgeholzt. Und der fruchtbare Geist des Lebens ist so verletzt worden, dass wir, wie alle anderen Lebewesen auf diesem Planeten auch, um unser Wohlergehen kämpfen.

Aber der Ruf deiner wilden Seele lässt sich nicht zum Schweigen bringen. Mit einem Aufheulen des Herzens rufen die Frauen nach einer anderen Art zu leben: eine, die die Erde und alle Wesen ehrt – mit Federn, Pelzen, Blättern, Blüten und Schuppen. Wir schreien nach Poesie, nach Bedeutung und nach Vergnügen. In einer Vollmondnacht, wenn unser Blut in Wallung gerät, spüren wir, dass die Kultur zu oberflächlich und zu zahm ist, um uns zu fassen.

Unsere gegenwärtige Geschichte wird ein düsteres und einsames Ende nehmen, wenn die Menschen ihre Verbindung zur Erde nicht wiederherstellen. Das ist lebenswichtig. Wir alle müssen unsere innere Arbeit tun und unser ganzes Sein in die Welt bringen. Doch bis wir zu einem heiligen Gleichgewicht zwischen dem Männlichen, dem Weiblichen und der Natur kommen, müssen wir Frauen unseren eigenen Weg gehen. Es ist wichtig, dass wir zuerst zu uns selbst zurückfinden. Und dafür brauchen wir eine neue Geschichte.

Die Heldenreise – im Westen die vorherrschende Erzählung der kulturellen und persönlichen Transformation – hat uns wenig zu bieten. Wir sind keine Jungfrauen, die gerettet werden müssen, oder passive Zuschauer, die geduldig auf die Rückkehr des Helden warten. Wir wollen vor allem die Protagonisten unserer eigenen Geschichten sein, die Schöpfer unserer eigenen Abenteuer. Wie wäre es, wenn wir, anstatt Drachen zu erschlagen, unsere Wildheit und unser Feuer im Dienst des gesamten Lebens zum Ausdruck bringen würden? Wir sind nicht von den Kräften der Natur getrennt, und wir wollen es auch nicht sein.

Und wenn sich unsere Geschichten ändern müssen, dann müssen sich auch unsere kulturellen Metaphern ändern. Eine Frau, die ihre Wildheit zurückgewinnen will, wird nicht den männlichen Weg des Karrierestrebens gehen. Wahrer Erfolg liegt für uns nicht darin, die gläserne Decke zu durchstoßen oder uns in den Status quo »einzuleben«, um aufzusteigen. Nein. Der Seelenweg des Weiblichen führt nach unten, nach innen, auf den Erdboden und genau in den Bereich, den unsere Kultur auszubeuten oder zum Schweigen zu bringen versucht.

Um Wilde Seelenfrauen zu werden, müssen wir die Unermesslichkeit und Kraft des Archetyps der wilden Frau verstehen, der heute ins Bewusstsein emporsteigt. Und wir brauchen eine Einweihung, eine, die weiblich, instinktiv und erdbewusst ist. Diese Einweihung ist das Herzstück dieses Buches.

* * *

Im Jahr 2015 wurde ich gebeten, einen Online-Kurs für TreeSisters zu leiten, eine globale gemeinnützige Organisation, deren Ziel es ist, Frauen zu stärken und die Tropen wiederzubewalden. Der Kurs sollte auf dem transformierenden Weg durch fünf archetypische Landschaften beruhen: Wüsten, Wälder, Meere und Flüsse, Berge und das Grasland. Ich hatte diese Landschaften bereits in meinem früheren Buch Der Ruf der wilden Seele erforscht, und die Möglichkeit, ausschließlich mit Frauen zu arbeiten, erfüllte mich mit einer Welle der Erregung und Neugierde. Die Beziehung der Frauen zur Erde war schon immer eine andere als die der Männer. Unsere Mondzyklen, Schwangerschaften, Geburten – all diese Dinge bringen uns mit den Rhythmen und Strukturen der natürlichen Welt in Einklang. Aber auch die Landschaften spiegeln verschiedene Aspekte unserer wahren Natur wider – und gemeinsam würden wir herausfinden, welche.

Am Anfang des Seminars erzählte ich von meiner frühesten Kindheitserinnerung. Es war ein Sommernachmittag, die Sonne schien durch das Fenster und wärmte meinen Rücken, die Vögel sangen, und das Licht schimmerte golden. Ich sehnte mich danach, mit der mich umgebenden Lebendigkeit zu verschmelzen, und so versuchte ich, mich aus meinem Bettchen zu winden, blieb aber mit dem Kopf zwischen den Gitterstäben stecken. Als meine Mutter meine Schreie hörte, kam sie herbeigeeilt und versuchte, meinen Kopf zurück in das Bettchen zu schieben. Als ihr das nicht gelang, war ich verzweifelt. Selbst nachdem die Gitterstäbe entfernt und ich endlich befreit worden war, blieb das Trauma. Mein ganzes Leben lang habe ich unter Nackenproblemen gelitten, die ich allmählich als Angst davor erkannte, meinen Hals zu recken. Aber mehr noch: Von dieser Erfahrung blieb mir die Angst, dass ich bei dem Versuch, meine Freiheit zu erlangen, sterben würde.

Es ist nicht leicht, sich zu befreien. Wir sehen nicht immer die Hindernisse, die uns im Weg sind, und wissen auch nicht, wie wir sie beseitigen können. Nach etwas Schönem zu greifen, etwas, das gerade so außerhalb unserer Reichweite liegt, kann gefährlich, wenn nicht gar unmöglich erscheinen; das heißt, bis wir erkennen, dass die Strukturen und Zwänge, die uns gefangen halten, von Menschen gemacht sind.

Gemeinsam können wir sie niederreißen.

Nachdem ich meine Geschichte erzählt hatte, wurde deutlich, dass die versammelten Frauen – unabhängig von Alter, ethnischer Zugehörigkeit oder Herkunftsland – eine gemeinsame Überzeugung teilten. Sie alle fühlten sich durch ein patriarchalisches Weltbild, das die Beiträge und Wünsche von Frauen geringschätzt und unsere angeborene Weisheit nicht fördert, von der eigentlichen Tiefe und Weite ihrer Kreativität und Lebendigkeit abgeschnitten. Auch fehlte ihnen ein Vorbild für die ihnen eigene Art und Weise, energiegeladen in der Welt zu sein. Als ich ihnen half, sich mit den fünf Landschaften, diesen befreienden Archetypen, zu verbinden, fühlten sie sich freier und waren besser in der Lage, für ihre Überzeugungen einzutreten. Indem sie ihre wilde Natur für sich beanspruchten, erkannten sie, dass die Kraft, die vom Körper einer Frau und von ihrer Seele ausgeht, in der Erde verankert ist. Tatsächlich spiegelt jede Landschaft, jede magische Landschaftsform der Erde, eine andere Phase des Wachstums wider. Wenn wir sie alle eingehend erforschen, geschieht etwas Außergewöhnliches: Wir haben ein Vorbild, das unsere volle Kraft entfesselt.

Trotz der Fortschritte, die der Feminismus im letzten halben Jahrhundert gemacht hat, sind Frauen in unserer Kultur immer noch in einschränkenden Rollen gefangen. Von uns wird erwartet, dass wir die gute Mutter sind, die loyale (aber oft unbezahlte oder unterbezahlte) Angestellte und die unermüdliche Ernährerin. Die Erde wird in ähnlicher Weise als unerschöpfliche Ressource betrachtet, als »gute Mutter«, an deren Brust wir ständig saugen können. Von Frauen und der Natur wird erwartet, dass sie für die Bedürfnisse anderer sorgen, sogar bis zur völligen Erschöpfung. Wie Ruth Bader Ginsburg vor dem Obersten Gerichtshof sagte: »Das Podest, auf das Frauen gestellt wurden, hat sich bei näherer Betrachtung allzu oft als Käfig entpuppt.«1 Es wird viel Mut erfordern, uns von unserer edlen Rolle als die alles Gebenden, alles Nährenden zu befreien.

Ein weiterer Preis des Patriarchats ist, dass wir dazu neigen, die unberechenbare, zornige, eruptive Seite des Weiblichen negativ zu sehen und dafür zu sorgen, dass diese Energien kontrolliert oder unterdrückt werden, so wie die Menschen versucht haben, die Erde zu unterwerfen. Der Philosoph Francis Bacon aus dem 16. Jahrhundert forderte die Männer auf, die Natur zu foltern – sie auf die Folter zu spannen und ihr ihre Geheimnisse zu entreißen.2 Das war in einer Zeit, als die Frauen verfolgt wurden.

Während der europäischen Hexenprozesse wurden die Frauen wegen ihrer Geheimnisse gequält und gefoltert. Bacons Ansichten waren die Grundlage für die wissenschaftliche Revolution der Aufklärung, doch in dieser Sichtweise waren sowohl die Natur als auch die Frauen nur als Objekte der Beherrschung, für Verhöre und die Penetration gut. Angesichts einer Geschichte solcher Verletzungen ist es kein Wunder, dass Frauen Angst haben, ihr Leben voll auszuleben oder ihre Meinung zu sagen.

Ich glaube, es ist heilsam, unsere Beziehung zur Natur wiederzuentdecken und zugleich die Stereotypen abzulegen, die uns die westliche Kultur auferlegt. Ich glaube, dass die liebevollen und fürsorglichen Aspekte der Erde und ihre Wildheit zusammengehören; dass Frauen ein reiches Gewebe aus allem sind, was zutiefst lebendig, intelligent, instinktiv und wild ist. Dass wir zu komplex und vielseitig begabt sind, um uns in Schubladen stecken und etikettieren zu lassen. Und dass wir uns, wenn wir die Gitterstäbe des Käfigs einreißen wollen, mit den wahren Bindungen befassen müssen: mit der Erde, mit unserem Körper und miteinander.

Als ich meinen ersten Kurs »A Wild Soul Woman« gab, war ich beeindruckt von der Kreativität – Kunst, Poesie, Träume, spontane Rituale und Gebete –, die sich in der Gruppe entfaltete. Die fünf Archetypen der Erde boten den Frauen die Möglichkeit, etwas auszudrücken, dessen sie sich bisher kaum bewusst waren, das aber nun in ihr Alltagsbewusstsein vordrang: Die Weisheit der Erde war in ihnen, und wenn sie sich mit ihren verschiedenen Aspekten befassten, waren sie stärker, wahrhaftiger und viel mehr bei sich. Als sie sich von einer Weltanschauung befreiten, die eng begrenzte, was Frausein bedeutet, wurde eine unglaubliche Energie freigesetzt.

Im Laufe der Wochen sprachen wir über Wüstenfrau, Waldfrau, Meer- und Flussfrau, Bergfrau und Graslandfrau. Diese Archetypen, die nicht von der Erde abstrahiert sind, sondern aus ihr hervorgehen, aktivierten ein tiefes und verlockendes Gewahrsein der mythischen Dimensionen unseres Lebens. Unsere Schwierigkeiten lösten sich nicht sofort auf, aber unsere Beziehung zu uns selbst veränderte sich. Wir waren in der Lage, anders auf unangenehme Gefühle und auf Probleme zu reagieren: kreativ, mutig und befreiend. Es war klar: In diesen Archetypen lag der Schlüssel zu unserer gemeinsamen Heilung.

Dies sind also die Archetypen der Wilden Seelenfrau, die ich in diesem Buch vorstellen werde. Du wirst im Inneren mitschwingen, und sie werden dich in die Tiefen deiner wahren Natur rufen.

Als dieser erste Kreis von Frauen ihre Stimme und Ermächtigung einforderte, begann ich, die Archetypen der Wilden Seelenfrau als Rahmen für die weibliche Einweihung zu sehen. Es gibt eine natürliche Entwicklung von den unfruchtbaren Weiten von Wüstenfrau zum dunklen Schoß von Waldfrau, zu den brechenden Wassern von Meer- und Flussfrau, zum Gebären als Bergfrau und zum Nähren des Neugeborenen als Graslandfrau.

Der Weg, auf den wir uns begeben, ist ein schöpferischer Weg, auf dem du loslassen wirst, was in deinem Leben nicht funktioniert, und auf dem du deine volle weibliche Kraft gebären wirst. Und obwohl der Weg voller Herausforderungen ist, wirst du ihn nicht allein gehen. Bei jedem Schritt wirst du von den Archetypen geleitet und von den Geschichten anderer Frauen, die ihre weibliche Seele zurückgewonnen und eine Kraft gefunden haben, die weit jenseits der Einflussmöglichkeiten des Patriarchats liegt.

Und danach, meine Schwestern, nun ja, ist alles möglich.

Dein Weg

Entweder gehst du durch diese Türoder nicht.Adrienne Rich

Die fünf Archetypen, die deine Seele ausmachen, sind buchstäblich so alt wie die Berge. Bevor es auf der Erde den Menschen gab, haben diese Landschaften im Laufe von Hunderten von Millionen Jahren ihre eigenen Zyklen, Rhythmen und Beziehungen aufgebaut: Ebbe und Flut der Gezeiten, den Lauf der Jahreszeiten, die unendliche Schönheit von Entstehung und Verfall, die wilde Erhebung der Berge. Diese Körper unserer Ahnen und ihre natürlichen Prozesse haben uns geboren. Und ihre psychologischen, energetischen und emotionalen Muster sind in die Tiefen unseres Wesens eingewoben.

Archetypen beeinflussen das Verhalten. Noch wichtiger für unsere Zwecke ist, dass sie die Vorstellungskraft anregen und die Gefühle ansprechen. Wir können aus Fakten, Zahlen und abstrakten Konzepten nur wenig lernen. Um unser Leben grundlegend zu verändern, brauchen wir dieses tiefere Wissen. Die Archetypen der wilden Seele werden deine inneren Landschaften offenbaren und dir ein neues Verständnis bringen: mit der Kraft eines ausbrechenden Vulkans oder eines Regengusses in einem dürregeplagten Land. Diese Kraft wird dich aufrütteln und aufwecken. Im Laufe der Zeit habe ich mit Tausenden von Frauen auf der ganzen Welt gearbeitet, darunter viele, die LGBTQ oder geschlechtsspezifisch fluid sind. Und alle haben davon profitiert, diese Archetypen kennenzulernen. Alle, die sich für das wilde Weibliche interessieren, werden in dieser Arbeit einen Platz für sich finden. Die Archetypen der Erde dienen dem Wohl aller.

Buscar la Forma ist ein Begriff, der von Hebammen verwendet wird. Er bedeutet, dass jede Frau ihren eigenen Weg zur Geburt finden muss. Die Aufgabe der Hebamme ist nicht, den Prozess zu kontrollieren, sondern die werdende Mutter in ihren Entscheidungen zu unterstützen. Lass es mich also laut und deutlich sagen: Dein Weg gehört dir allein, er ist einzigartig und außergewöhnlich, nur der deine. Wenn du dich als »Wilde Seelenfrau« neu erfindest, musst du deinen eigenen instinktiven Rhythmen vertrauen und dein Tempo bestimmen.

Wenn man sich auf eine Reise begibt, vor allem, wenn es eine ist, die auch sehr beschwerlich sein kann, ist es beruhigend, eine Vorstellung davon zu haben, was vor einem liegt. In diesem Sinne möchte ich dir die Archetypen und die Wachstumsstufen, die sie darstellen, einmal vorstellen.

Wüstenfrau: Unfruchtbare Weiten

Am Anfang war die Leere, und aus der Leere entstand ein lebendiger Planet. Die Unfruchtbarkeit ist ein natürlicher Teil des Lebenszyklus und der Ort, an dem dein Weg beginnt. Wüstenfrau ist dein Wegweiser in dieser Phase, in der du darüber nachdenkst, was in deinem Leben nicht fruchtbar ist – und was du loslassen kannst. Indem du dir deine innere Leere eingestehst, schaffst du Platz für neue Wege des Seins. Indem du loslässt, was in deinem Leben nicht mehr trägt, schaffst du Raum für etwas Neues.

Waldfrau: Der dunkle Schoß

Wälder sind die Lunge unseres Planeten und eine für alles Leben notwendige Sauerstoffquelle. Sie sind auch die grünen Gefilde, in denen eine unglaubliche Vielfalt an Leben heranwächst und Gestalt annimmt. Waldfrau läutet eine fruchtbare Zeit ein, die reich an Phantasie und Erkenntnissen ist. In ihrer gebärmutterartigen Dunkelheit pflanzt du die Samen neuer Träume und kaum erahnter Möglichkeiten. Du musst warten, bis die Samen Wurzeln schlagen, und sie in den Tiefen deines Wesens nähren. Habe Geduld, und du wirst eine Neubelebung erfahren.

Meer- und Flussfrau: Die brechenden Gewässer

Wasser bedeckt mehr als siebzig Prozent der Erdoberfläche, und dieses Element reagiert auf die Anziehungskraft des Mondes. Durch Meer- und Flussfrau verstehst du die Gezeiten deiner Energie und Gefühle. Je mehr du deine Tiefen erforschst, desto größer wird deine Kraft, aus dem Herzen deiner Sehnsucht zu leben. Wie ein anschwellender Fluss, der einen Damm durchbricht, spürst du die Dringlichkeit, alle Widerstände zu überwinden, und bist bereit, mehr von deinem wilden Selbst in die Welt zu bringen.

Bergfrau: Die Gebärende

Berge scheinen schon immer da gewesen zu sein, aber sie haben sich erst vor zwei Milliarden Jahren, also in der Mitte der Erdgeschichte, in großem Umfang gebildet, und sie stellen eine gewaltige neue Epoche dar. Bergfrau zeigt dir, wie du ein neues Projekt initiierst, deiner Gemeinschaft dienst, eine Bewegung ins Leben rufst oder einfach nur deine Wut und dein Feuer nutzen kannst. In Kontakt mit deiner inneren Kraft, voll von deinen heiligen Träumen und Wünschen, gehst du als wahrhaftige, unaufhaltsame Kraft in die Welt.

Graslandfrau: Das neue Leben nähren

In der Weite des Graslandes lernten die Menschen zu laufen und vielschichtige soziale Strukturen aufzubauen. Jetzt heißt Graslandfrau dich wieder in der Gemeinschaft willkommen und hilft dir, das Gelernte zu festigen, es in das tägliche Leben zu integrieren und deine Gaben zu teilen. In ihrer Gegenwart tanzt du zu den Rhythmen der Natur und erntest die Früchte deines Weges.

Ich habe es beschrieben, als sei es ein geradliniger Weg, aber das muss nicht so sein. Es kann sein, dass du in Waldfrau eintauchst, um festzustellen, dass du die Lektion von Wüstenfrau, loszulassen, erst lernen musst. Oder während Bergfrau in dir aufsteigt, musst du vielleicht die liebevolle Präsenz von Meer- und Flussfrau zurückgewinnen. Jeder Archetyp gleicht den anderen aus. Wenn du bei Bedarf zurückkehrst, kannst du deine Erfahrungen mit jedem Archetyp vertiefen und erweitern und so eine widerstandsfähige innere Matrix für deinen Weg des Wachstums und der Heilung aufbauen.

Wir werden jeden Archetyp der Wilden Seelenfrau erforschen und dabei schauen, wie er dir helfen kann, die tiefen Verletzungen durch das Patriarchat zu überwinden (die Herausforderung). Du wirst lernen, wie er dich befähigt, nach einem erfüllteren, kreativeren Leben zu streben (der Umschwung). Und wir werden uns ansehen, wie der Archetyp Zugang zu mehr Weisheit bietet (der Weg). Ich werde darauf eingehen, wie du den Archetyp in den Zellen deines Wesens verkörpern und wie der emotionale Ton des Archetyps Lebensenergie freisetzen kann.

Auf jeder Stufe der Einweihung biete ich Anregungen fürs Tagebuchschreiben an, für Rituale, Körperübungen, Gedichte und weitere Vorschläge. Es sind Einladungen zu größerer Lebendigkeit, Kunstfertigkeit und Aktivismus und zu einer Lebensweise, die die volle Teilhabe an dieser kostbaren Erde und deinen wilden Tiefen ermöglicht. Je mehr du dich auf die Archetypen einlässt, desto mehr Zugang wirst du zu deinem wahrhaften Selbst haben, deshalb möchte ich dich ermutigen, dir Zeit zu nehmen und diesen Einladungen zu folgen. Aber sei versichert, dass das bloße Lesen über die Archetypen mehr als genug ist, um sie in dir zu wecken.

Aufdeckung der Schattenwildnis

Die Betäubung des Geistes und des Herzens ist bereits im Gange.Joanna Macy

Was geschieht, wenn wir von unseren archetypischen Energien abgeschnitten sind? Getrennt von der Erde und ihrer Kraft fühlen wir einen schrecklichen Verlust und einen Mangel an Getragensein. Aber das Bedürfnis nach dieser Verbindung geht nicht weg, und so suchen wir weiter nach unserer wilden Seele, auch wenn wir nicht wissen, wonach wir suchen oder wie wir sie finden können. Dann kann unser Leben eine falsche Richtung nehmen oder auf tödliche Abwege geraten. In unserem Wunsch, uns lebendig und eins mit der uns umgebenden Welt zu fühlen, greifen wir nach etwas, nach irgendetwas, um uns von der Taubheit oder dem Schmerz zu befreien. Das kann zu unterschiedlichsten Abwegen führen: Alkohol, Drogen, Drama, Sex- und Liebessucht, exzessivem Einkaufen, Glücksspiel. Schaue dich um, und du wirst sehen, dass unsere Konsumgesellschaft voller Süchte und anderer untauglicher »Lösungen« für den Schmerz des Getrenntseins ist.

Ich nenne das den wilden Schatten, einen Weg der Rebellion, der letztlich in völliger Selbstaufgabe endet. Ich habe viele Jahre meines Lebens auf ihm verbracht.

Mein Weg durch den wilden Schatten hatte mit Alkohol zu tun. Von meinem sechzehnten bis zu meinem siebenundzwanzigsten Lebensjahr trank ich so viel, dass ich Blackouts, Schüttelfrost und beunruhigende Herzrhythmusstörungen bekam. Ich wuchs in einer alkoholkranken Familie auf, und Alkoholismus war mir genetisch in die Wiege gelegt. Aber damit ist noch nicht alles gesagt.

Ich trank, um mich lebendig zu fühlen. Ich trank, um mich nicht darum kümmern zu müssen, was andere von mir dachten, um mich nicht ständig zu hinterfragen oder um meine leidenschaftliche Natur zu zügeln. Ich trank, um den Geist von Gaia, des Lebens selbst, zu spüren.

Und eine Zeit lang hat es funktioniert. Darum geht es – die Schattenwildnis ist trügerisch, denn sie erfüllt zunächst ihren Zweck, indem sie uns befreit, bevor sie uns wieder in einen Käfig sperrt, der klein und dunkel ist und dem man nur schwer entkommt.

Ich war ein emotionales, körperliches und geistiges Wrack, als ich 1983 trocken wurde. Zu dieser Zeit lebte ich in der San Francisco Bay Area, und selbst in meinen dunkelsten Tagen drang die Schönheit dieses Ortes in mein Herz. Also wandte ich mich zuerst der Natur zu, um den Heilungsprozess zu beginnen. Ich ging überall hin, auch auf lange Wanderungen in den offenen Hügeln der Marin Headlands und im Schutz der hoch aufragenden Redwoods von Muir Woods. Ohne dass ich mir dessen bewusst war, wusste ein Teil von mir, dass ich spüren musste, wie das Leben durch meinen Körper strömte. Sonnenlicht. Luft. Bäume. Vogelgezwitscher. Der wilde Chor der Erde öffnete mich für das, was ich schon immer fühlen wollte: das Einssein mit dem großen Geist des Lebens.

Wenn ich zurückblicke, erkenne ich, wie schon damals die Archetypen der Wilden Seelenfrau auf mich gewirkt haben. Sie waren immer da, um mir zu helfen, zu mir zurückzufinden. So wie sie auf dich warten, um auch dir zu helfen, deinen Weg zurückzufinden.

In den folgenden Kapiteln erzähle ich die Geschichte meiner Genesung und die Sicht einer Wilden Seelenfrau, die durch diese Archetypen wiedergeboren wurde. Ich schildere die Dinge in der Hoffnung, dass sie ein Beispiel dafür sind, wie die Archetypen wirken, uns befreien und uns helfen, ganz zu sein. Ich erzähle zwar auch andere Geschichten, aber meine ist die, die ich am besten kenne. Und es ist meine Hoffnung, dass du durch die Offenlegung meiner Seele den Mut findest, auch die deine offenzulegen.

Der Kosmologe Brian Swimme sagte einmal: »Das ist die größte Entdeckung der Wissenschaft: Man nehme Wasserstoff und lasse es in Ruhe, und es verwandelt sich in Rosenstöcke, Giraffen und Menschen.«3 Wenn wir unsere wilde weibliche Natur zurückgewinnen, können wir nicht wissen, was passieren wird. Genau das ist der Punkt. Wenn wir unsere wilde Seele zum Ausdruck bringen – den Teil von uns, der erkennt, dass wir eins sind mit den Bergen, Flüssen und Wäldern –, laden wir die Prozesse und evolutionären Impulse der Erde ein, ihre Magie durch uns zu wirken.

Lass dich überraschen, denn dieser Weg wird dich an Orte führen, die du dir noch gar nicht vorstellen kannst. Aber auch das: Was auch immer dich hierhergebracht hat – der Wunsch, dich aus einer schlechten Beziehung oder ungesunden Abhängigkeit zu befreien; die Erkenntnis, dass dein Leben an dir vorbeizieht, du aber mehr willst und mehr sein willst; deine Angst und Traurigkeit über das, was mit der Erde und ihren Bewohnern geschieht; oder der Wunsch, ein stärkeres Gefühl von Lebendigkeit, Verbundenheit und Kreativität zu empfinden – der auf diesen Seiten beschriebene Weg wird dich nach Hause bringen.

Gehen wir los?

Vorrede zu Wüstenfrau

Während du dich bereitmachst, deinen ersten Schritt auf dem Weg zu einer Wilden Seelenfrau zu tun, atme tief ein. Komm in deinen Körper, in die Stille, in die Bedeutung dieses Augenblicks. Du bist im Begriff, die alltägliche Welt zu verlassen und die Schwelle zu einem Land zu überschreiten, das weit, trocken und still ist. Dies ist ein dorniger Ort am Beginn deines Weges. Wüstenfrau wird dich auffordern, dich mit deiner Unzulänglichkeit auseinanderzusetzen – mit den Bereichen, in denen du dich nicht mehr üppig und fruchtbar fühlst. Sie wird dich herausfordern, deinen Ehrgeiz zu begraben und in deinem Leben Platz zu schaffen, damit etwas Neues entstehen kann. Wenn du der Aufforderung deiner Seele folgst, wird nichts mehr so sein wie vorher. Und so atme noch einmal tief durch. Es ist an der Zeit, ihr entgegenzugehen und ihr zu begegnen.

TEIL I Wüstenfrau

Die Seele einer WüstenfrauSie geht im Feuer, durch das Feuer,betritt rissige Erde mit bloßen Füßen.Stille und Weite sind ihre Begleiter.Geboren aus Sand, Felsen und Staub, braucht sie kein Gewässer,um ihr Spiegelbild zu sehen.Tagsüber in Gold gekleidet, schimmert sie nachts im Sternenlicht.In ihrer Gegenwart rollen sich Schlangen wie Kätzchen zusammen.Sie trotzt dem Pflug und dem Pflanzer, sie weiß, dass sie genug ist.Der Wunsch, alles loszulassen, was sie nicht tragen kann,hat in ihr Platz für etwas Echtes geschaffen.Stachelig wie ein Kaktus, schrundig und halb verrückt,dulden ihre spitze Zunge und ihr scharfer Verstand keine Torheiten.Sie ist Stärke und Unermesslichkeit.Sie hat die Fata Morgana durchschaut, bis zum Horizont.In ihre Augen zu schauen heißt, die Wahrheit zu sehen.

Stufe der Einweihung: Öde Welten

Herausforderung: Zu wissen, dass man genug ist

Der Umschwung: Von der Fata Morgana zur Tiefenschau

Der Weg: Das Alte loslassen

Betroffene Dimensionen: Raum, Stille, Wahrhaftigkeit, Vergänglichkeit, Tod und Wiedergeburt, Einsamkeit, Einfachheit, Stillstand, Trauer

Leitfrage: Was ist meine wirkliche Lage?

Unfruchtbare Welten:Die erste Einweihung

Wie könntest du neu werden, wenn dunicht zuerst zu Asche geworden wärst?Friedrich Nietzsche

So beginnt es: Wüstenfrau kommt wie ein Feuersturm und brennt durch dein Leben. Sie bringt plötzlichen Verlust, heftige Liebe, Rastlosigkeit, Erschöpfung und Burnout – alles, was dich entwurzelt und aus dem Gleichgewicht bringt.

Ins Exil gestoßen, betritt man ihre öden Lande, gefangen zwischen der bekannten und der noch zu entdeckenden Welt.

Hier ist das Reich der Leere und der Stille. Des Nichtstuns. Der endlosen Horizonte und eines Himmels, der so unendlich weit ist wie deine Vorstellungskraft. Du bist hier, um genügend Raum zwischen dich und den Alltag zu bringen, damit du Zeugnis von deinem Leben ablegen kannst. Wenn du dem Ruf der Wüstenfrau folgst, wirst du sein, was Carol P. Christ das »Nichts, das einem Erwachen vorausgeht« nennt.4

Alles, von dem du dachtest, es sei in Stein gemeißelt, bewegt sich wie Sand unter deinen Füßen. Es ist an der Zeit, dein ständiges Bemühen aufzugeben: mehr zu tun, mehr zu haben, mehr zu sein… Es heißt zu stehen, wo die Luft in der Hitze flimmert und die Sonne – hoch, stechend, klärend – bis auf die Knochen entblößt; Antworten zu suchen auf Fragen, die du schon viel zu lange verdrängt hast.

Wer bist du wirklich? Wonach dürstest du? Was ist wirklich und wahr? Dies sind Fragen, die nur beantwortet werden können, wenn du dich weit genug von den Angelegenheiten deines Lebens löst, um es frei von Illusionen betrachten zu können. Und doch fühlt sich für viele von uns die Trennung von den vertrauten Dingen und Anforderungen des Alltags wie eine Art Tod an.

Allgemein werden wir für unsere Fähigkeit geschätzt, mit anderen in Kontakt zu treten und für sie zu sorgen, doch aus Angst, die Anerkennung anderer zu verlieren, ignorieren wir vielleicht den Ruf der Wüstenfrau. Oder wir fürchten uns davor, nach innen zu schauen: auf unsere eigenen Bedürfnisse und Sehnsüchte. Dann rüttelt uns das Leben wach. Es geschieht etwas – ein Tod, ein Verlust, eine brennende Leidenschaft – und wir erkennen, dass wir uns selbst kaum kennen oder wissen, was wir wollen. Wir spüren nur, dass es uns zu einem wilderen und authentischeren Dasein drängt.

Wirst du dem Ruf der Wüstenfrau folgen? Ihre wilde Unbändigkeit hat ihr im Laufe der Jahrhunderte viele Beinamen eingebracht: Verrückte, Außenseiterin, Einsiedlerin. Verschmäht als staubtrocken – unerwünscht von einer Kultur, die Frauen schätzt, die üppig, fruchtbar und endlos entgegenkommend sind, lebt sie am Rande. Aber sie genießt es, frei von den Erwartungen anderer zu sein. Ihr Blut pulst so stark wie eine Trommel. Nichts steht zwischen ihr und dem glitzernden Nachthimmel, dem erdigen Duft der Kreosotsträucher nach dem Regen.

Unfruchtbarkeit löst bei ihr keine Angst aus, Leere keinen Schrecken. Sie fühlt sich wohl mit dem Nichtstun, der Leere, die der Empfängnis vorausgeht, dem leeren Blatt, dem offenen Raum. Auf ihren Leib wirst du die ersten Zeilen deiner neuen Geschichte schreiben.

Allein in der Weite kehrt Stille in dein Wesen ein. Du hältst inne. Kommst zur Ruhe. Wie der freiliegende Felsen wird dein Innerstes entblößt.

Nichts mag für dich schwieriger sein, als dich aus dem Netz deiner Verpflichtungen und Beziehungen zu lösen und der Wüstenfrau zu begegnen. Aber sie wird dir zeigen, wie du deinen Weg allein gehen kannst. Wie du gehen kannst, während sich die Türen hinter dir schließen und der weite Horizont dir zuwinkt.

Und so wirfst du als Wüstenfrau einen letzten Blick zurück und wendest dich dem offenen Land zu, das dich erwartet. Sieh zu, wie deine Spuren vom Wind verweht werden. Du machst dich allein auf den Weg, wie du es musst. Hebe deine Röcke an und schreite hinaus, entschlossen, das einzige Leben zu retten, das du retten kannst.5 Dein eigenes.

Warum das Exil das Herzstück der Einweihung ist

Jetzt musst du in dein Herz hinausgehenwie auf eine weite Ebene. Jetztbeginnt die große Einsamkeit.Rainer Marie Rilke

Die Trennung von der Gemeinschaft ist der erste Schritt auf jedem Weg der Wandlung. Um dein wahres Selbst wiederzufinden, musst du dich zunächst aus dem Netz von Beziehungen, Gewohnheiten und Verhaltensweisen zurückziehen, das dich in einem unechten Leben gefangen hält. Für Frauen, die von Natur aus beziehungsorientiert und kooperativ sind, mag sich dies als schmerzhaft und schwierig erweisen.

Viele von uns hegen eine Hassliebe zur Wüstenfrau. Wir sehnen uns nach Zeit und Raum, um einfach nur zu sein, und ärgern uns, dass wir nicht genug davon haben, aber wenn wir ein paar Momente frei haben, fühlen wir uns oft unzufrieden und reizbar. Manche Frauen, mit denen ich zusammenarbeite, sind sogar beleidigt, wenn ich ihnen vorschlage, sich für eine Weile von ihren üblichen Pflichten und Verantwortlichkeiten zurückzuziehen und einfach weniger zu tun. Habe ich denn kein Verständnis für die Anforderungen in ihrem Leben? Verstehe ich nicht, dass die Welt aus den Fugen gerät und wir damit zurechtkommen müssen? Doch, ich verstehe das. Aber eines weiß ich auch: Nichts wird sich ändern – nicht unser Leben und nicht diese Welt –, wenn wir nicht den Mut haben, uns zurückzuziehen und unseren Blick nach innen zu richten.

An dieser Stelle wirst du vielleicht aufschreien:

Verlangst du von mir, dass ich meine Kinder verlasse oder meine Arbeit oder meine Ehe aufgebe?

Wie soll ich überleben, wenn ich mich davonmache? Wie sollen sie überleben?

Ich kann nicht weggehen – ich habe zu viel investiert.

Lass mich also mit Nachdruck sagen: Du musst nicht buchstäblich alles ändern, um Abstand zwischen dich und dein Leben zu bringen. Hier, am Anfang deines Weges, sollst du einfach beanspruchen, was Virginia Woolf in ihrem Essay »A Room of One’s Own« als einen seelischen Raum beschrieben hat, in dem du deine Energie von der Welt abziehst und dir selbst zukommen lässt.

An einem kalten Wintertag im Dezember 1983, im Alter von siebenundzwanzig Jahren, ging ich zu einem Treffen der Anonymen Alkoholiker und sagte laut: »Mein Name ist Mary, und ich bin Alkoholikerin.« Nach all dem Kampf und der Lähmung, nach Jahren der Scham und des Versuchs, meinen Alkoholkonsum zu verbergen, war die Wahrheit heraus. Die Worte schienen in der Luft zu schweben und Türen zu öffnen, von denen ich gar nicht wusste, dass sie geschlossen waren. Ich fühlte mich leichter, freier.

Alles, was danach kam, änderte sich durch das bloße Aussprechen meiner Wahrheit. Ich musste mich radikal absondern: von allen Orten, wo getrunken wurde, und von fast allen Menschen, die ich kannte. In den ersten Jahren meiner Nüchternheit war nichts stabil. Wie Sand in der Wüste bildete und formte ich mich ständig neu, während ich herauszufinden versuchte, welche Form mein Leben ohne Alkohol annehmen sollte.

Indem ich mir die Realität meiner Lage eingestand, wurde ich frei, mich zu finden. Aber zuerst musste ich mich aus meinem alten Leben zurückziehen, nicht nur, um meine neu gewonnene Trockenheit zu schützen, sondern auch, um herauszufinden, wer ich wirklich war, frei von alten Einflüssen und Beziehungen. Das war manchmal unerträglich schmerzhaft, vor allem, wenn die alten Trinkgenossen mich als herzlos oder egoistisch ansahen.

Widerstand ist fast unausweichlich, wenn eine Frau versucht, ihren Raum einzunehmen. (Schließlich könnten wir das Patriarchat zu Fall bringen, wenn genügend Frauen sich selbst verwirklichen, und das würde man niemals zulassen!) Selbst diejenigen, die es gut mit dir meinen, werden dir die Auszeit wahrscheinlich missgönnen, wenn sie das Gefühl haben, dass ihnen damit etwas weggenommen wird. Aber wenn du dich auf den Weg machst, ist es wichtig, dir Zeit zu nehmen, um bei dir zu sein. Denn du kannst nicht ändern, was du nicht siehst. Deine Aufgabe besteht zunächst einmal darin, ein Gewahrsein zu entwickeln, wer du bist und wie deine Lage wirklich ist.

Wie sieht das für dich aus? Vielleicht bedeutet es, früh aufzustehen und ein paar Minuten an einem Tagebuch zu schreiben. Oder in der Mittagspause allein einen Spaziergang zu machen. Es kann bedeuten, den Fernseher oder das Autoradio auszulassen und dich auf eine tiefe Stille einzustellen oder einen Meditations- oder Yogakurs zu besuchen. Eine Freundin von mir hängt ein Schild an ihre Tür: »Bitte nicht stören.« Eine andere benutzt ein Headset, um den Lärm ihrer Kinder und ihres Mannes auszublenden. Diese kleinen Akte der Autonomie summieren sich. Langsam beginnst du, dich wieder mit deinem inneren Selbst zu verbinden.

Wenn du dich jetzt auf deine innere Wüstenfrau einstimmtest, würde sie vielleicht sagen: Ich bin der Teil von dir, der sich nicht von den Meinungen und Ansprüchen anderer leiten lässt. Ich bin die Weite, die du suchst. Ich bin das wilde, leere Land, in dem du denken und träumen kannst, frei von der Sorge um die anderen. Es ist an der Zeit, Raum für dich selbst zu schaffen und deine eigene Wahrheit zu erkennen. Ich frage dich: Was brauchst du wirklich? Nimm dir einen Augenblick Zeit, um diese Worte auf dich wirken zu lassen. Nimm wahr, ob du einen Widerstand spürst. Oder spürst du vielleicht, wie sich die Energie der Wüstenfrau in dir regt? Urteile nicht, achte einfach darauf.

Der Mann einer Freundin hat sie vor kurzem verlassen. Sie erzählt mir, dass es ihr überall weh tut, aber seit ihr Mann weg ist, hat sie mehr Zeit für sich. In diese Freiräume hinein kommen Gedanken wie: Ich kann entscheiden, wann ich hungrig bin und was ich essen möchte. Ich kann selbst entscheiden, wann ich schlafen gehe. Sie ist neugierig, wohin diese Fragen sie führen und – so schmerzhaft diese Zeit für sie auch ist – wer sie wird.

Manchmal geht es am Anfang unseres Weges darum, unsere Bedürfnisse zu benennen. Manchmal beginnt der Weg, indem wir uns ansehen, wie wir uns selbst betrügen. Für mich wäre eine Veränderung unmöglich gewesen, ohne mich meinem Alkoholismus zu stellen. Ich brauchte zuerst körperliche Nüchternheit. Für dich könnte es seelische oder emotionale Nüchternheit sein, die Erkenntnis, dass du das Drama aufgeben oder eine toxische Beziehung beenden musst. In jedem Fall muss es in erster Linie darum gehen, unsere Lage tatsächlich zu begreifen.

Wüstenfrau fordert dich auf, die Dinge in deinem Leben zu benennen, die nicht funktionieren. Was auch immer dir Schmerzen bereitet, deine Kreativität betäubt oder dein Selbstwertgefühl untergräbt – nenne es beim Namen und stehe dazu. Lass die Worte kommen. Wüstenfrau wird die Worte oder dich nicht verurteilen. Sie ist jene, die man verurteilt, verbittert oder einsiedlerisch genannt hat. Sie kennt den Schmerz des Loslassens, die Hitze, die alles Falsche bis auf die Knochen wegbrennt, bis sie tief in ihrer Wahrheit ist. Sie weiß, wie manche Entscheidungen und Erkenntnisse den gesamten Verlauf eines Lebens verändern können. Sie kennt die Kraft, die darin liegt, einfach zurückzutreten und die Wahrheit zum Vorschein kommen zu lassen, aller alten Geschichten oder Ängste bar.

Sie ist der Kummer im Herzen derjenigen, die weggeht. Aber sie ist auch die weit ausgebreiteten Arme des neuen Horizonts.

Anzeichen dafür, dass Wüstenfrau versucht, deine Aufmerksamkeit zu erregen

Burnout – Du bist durch Stress und Überarbeitung oder sogar Krankheit so erschöpft, dass du nichts mehr zu geben hast.

Unfruchtbarkeit – Nichts von dem, was du tust, greift oder trägt Früchte.

Desillusionierung – Nichts erscheint sinnvoll – nicht die Kultur, nicht das eigene Leben; alles erscheint wie eine Fata Morgana.

Bedürfnis nach Einsamkeit – Du spürst, dass etwas in dir vorgeht, das deine Aufmerksamkeit erfordert. Lärm, Geplapper, sogar die Gesellschaft guter Freunde fühlen sich wie Ablenkungen von einem tiefen inneren Prozess an.

Die tote Zone – ein Gefühl völliger Trostlosigkeit, das sich einstellt, wenn eine Sucht nach Liebe, Sex, Alkohol, Drogen, Shopping und dergleichen den Tiefpunkt erreicht hat.

Gefühllosigkeit und Depression – als Folge davon, dass man seine Trauer nicht ausdrückt.

Reizbarkeit – Groll gegenüber geliebten Menschen, Neid auf die Kreativität anderer.

Eine brennende Leidenschaft – Eine Idee oder eine überwältigende Leidenschaft ergreift und entflammt dich, weil du weißt, dass sich dein Leben verändern wird, aber nicht, wie.

Robyn Davidson: Eine natürliche Wüstenfrau

Robyn Davidson ist gerade einmal sechsundzwanzig Jahre alt, als sie sich 1977 allein auf den Weg macht, um die 1.700 Meilen breite australische Wüste von Alice Springs bis zum Indischen Ozean zu durchqueren – eine Reise, die neun Monate dauern sollte. Als Begleiter hat sie vier Kamele und ihren Hund Diggerty. Mit ihrer jugendlich schlanken Gestalt wirkt sie fast zu zerbrechlich für dieses Vorhaben.

In der abgelegenen Stadt Alice Springs im Northern Territory, ihrem Ausgangsort, arbeitet Robyn für einen Kameltrainer. Im Gegenzug verspricht er ihr, dass die Kamele ihre Vorräte transportieren, aber er hält sich nicht daran und droht, sie in seinem Wahn zu töten. Ein Einheimischer erzählt ihr, dass sie für den nächsten »Stadtfall« nominiert wurde – die nächste Frau, die vergewaltigt wird. »Du solltest nicht so offen sein«, mahnt er. Die Botschaft ist klar: Freigeistige Frauen verdienen es, bestraft zu werden.

Trotz dieser Hindernisse will Robyn ihren Traum nicht aufgeben. Man sagt ihr nach, sie sei verrückt, dass ein Mädchen so etwas gar nicht versuchen sollte, aber sie bleibt hartnäckig und sich treu. Und so bricht sie schließlich zwei Jahre später in Alice Springs auf, nachdem sie von einem anderen Ausbilder ihre Kamele erworben hat. Sie schreibt: »Alles um mich herum war großartig. Licht, Kraft, Raum und Sonne. Und ich lief in sie hinein. Ich würde es schaffen oder daran zerbrechen. Ich wollte tanzen und den großen Geist anrufen.«6 Robyn musste um ihr Recht kämpfen, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Und obwohl dein Weg wahrscheinlich ein ganz anderer ist, bist auch du hoffentlich nicht willens, aufzugeben, vor allem, wenn die Welt wild entschlossen ist, dich ganz klein zu halten. Robyns Geschichte macht uns Mut, uns im Leben größere, wagemutigere Wege vorzustellen. Sie lässt uns fragen, was passieren würde, wenn wir einfach den ersten Schritt täten.7

Die Karoo-Wüste in Südafrika

Hier auf diesem Land, das seit dem 19. Jahrhundert im Besitz meiner Familie ist, rufe ich die Vision und die Führung meiner Vorfahren an. In ihrer Sonne wird alles Unwesentliche von mir genommen. Der Wind spricht klar, und der natürliche Tagesrhythmus überlässt mich dem langsamen Leben, der Zeremonie und der Kunst des Lebens. Eine große Offenheit von Zeit und Raum, die mich einst einschüchterte, inspiriert mich jetzt. Ich erhebe meine Hände zum Himmel in Dankbarkeit und Gebet.

Dieses gesegnete, heilige Leben.

Schönheit – mein Begleiter. Einfachheit – mein Lehrer. In der

Leere tanze ich und singe meine Seele in die Unendlichkeit. Manche nennen es das Nichts. Ich nenne es alles.

Hier, fernab von Lärm und Hektik, kann ich endlich durchatmen.

Gabrielle Alberts, Workshop-Teilnehmerin

Einbeziehung

Tagebuch: Den ersten Schritt tun

Wenn du über Robyn Davidsons Geschichte nachdenkst, wie ist deine Reaktion darauf. Bewunderst du ihre Tapferkeit? Denkst du, sie sei leichtsinnig oder gedankenlos gewesen, solche Risiken einzugehen? Verurteile deine Reaktionen nicht, sondern achte einfach auf sie.

Dann denke in Ruhe über dein eigenes Verhältnis zum Risiko nach. Neigst du dazu, Risiken einzugehen? Wenn ja, was für welche? Fühlst du dich gerne sicher? Wenn ja, was gibt dir dieses Gefühl? Wie sehr bist du bereit, zwischen Risiko und Sicherheit abzuwägen?

Wie wohl fühlst du dich bei dem Gedanken, dass es auch Frauen freisteht, sich allein auf die Suche nach sich selbst zu machen?

Was ist mit Frauen, die Kinder und andere Verpflichtungen haben? Was ist mit dir?

Es gibt keine richtigen oder falschen Antworten.

Wenn du bereit bist, notiere einfach alle Gedanken und Ideen, die dir kommen, in deinem Tagebuch. Dann frage dich: Welchen ersten Schritt bin ich bereit zu tun?

Tagebuch: Dem Ruf folgen

Ich bin auf diesen Weg gerufen worden, weil…

Ich weiß, dass der Ruf erfolgte, weil…

In diesem Augenblick fürchte ich…

In diesem Moment begeistert mich…

Ich hoffe, dass ich aus meiner Zeit bei Wüstenfrau hervorgehe mit…

Raum für Einsamkeit

Die Wüste ist eine natürliche Erweiterungder inneren Stille des Körpers.Jean Baudrillard

Wüstenfrau verkörpert Einsamkeit und Stille. In einem kargen Land zu Hause, sehnt sie sich nach dem Segen des Alleinseins. Der Kreosotbusch in der Wüste sondert Gifte ab, damit andere Pflanzen – sogar ihre eigenen Nachkommen – nicht in ihrer Nähe wachsen können. Auf die gleiche Weise kämpft Wüstenfrau um ihren Raum. Sie braucht ihn, um zu überleben und zu gedeihen.

Um uns in das Familienleben oder die Gesellschaft einzufügen, verbergen wir oft unser wahres Ich. Die natürliche Einsamkeit der Wüstenfrau ist das Gegenmittel wider diese Art der Entfremdung. Sie gibt uns einen Raum abseits des ständigen Getöses von Konventionen und dem Zwang zur Anpassung. Mit ihr lernen wir die lebendige Wirklichkeit unseres Seins kennen – und sie zu beanspruchen. Wie Terry Tempest Williams schreibt: »Vielleicht ist deshalb jede Pilgerfahrt in die Wüste eine Pilgerfahrt zum Selbst. Es gibt keinen Ort, an dem man sich verstecken kann, und also werden wir gefunden.«8 Es hat seinen Grund, warum die australischen Ureinwohner jeden Busch, jeden Sandhügel und jedes Wasserloch mit Hilfe von Liedern kartographieren, entlang von Liedzeilen, die noch von Vorfahren in der Traumzeit stammen. Nur so kann man im Outback, einem der unwirtlichsten Orte der Erde, überleben. In ähnlicher Weise kartographiert eine Wüstenfrau die Weite ihrer inneren Landschaft. Sie lernt sie mit einer wilden, singenden Intimität kennen, die es ihr ermöglicht, die schwierigsten Situationen zu meistern, ohne aus den Augen zu verlieren, wer sie ist und wozu sie fähig ist.

Vielleicht hast du ein schwieriges Verhältnis zur Einsamkeit. Historisch gesehen waren es die Frauen, die sich zu Gemeinschaften zusammenschlossen, in Gruppen auf dem Feld arbeiteten oder sich am Fluss zum Waschen trafen. Wir brauchten Gesellschaft und Lachen, um die wilden Tiere in Schach zu halten und einander zu helfen. Tief in unserer DNA empfinden wir Einsamkeit also als gefährlich. Wenn du allein bist, hast du Angst, dich könne etwas überfallen und verschlingen. Wenn Einsamkeit neu für dich ist, ist es nur natürlich, wenn sie solche Urängste auslöst. Einsamkeit ist eine Übung. Du kannst dich ihr anfangs in kleinen Schritten nähern.

Je vertrauter du mit Wüstenfrau wirst, desto weniger wirst du die Stille fürchten. Abseits vom Lärm der Welt verwandelt sich die Leere in der Mitte deiner Seele in ein Reich subtiler Schwingungen. In deinem Inneren herrscht eine tiefe Lebendigkeit. Wie der Josuabaum in der Wüste, der Kreosot und die blühenden Sträucher, bleibt diese Lebendigkeit immer da, unabhängig von Liebeskummer oder Dürrezeiten.

Manche der Dinge, die du entdeckest, werden dir Ehrfurcht einflößen. Andere werden dich erschrecken. Wenn ein Skorpion deinen Weg kreuzt, weichst du zurück, weil du seinen giftigen Schwanz und seine scharfen Zangen fürchtest. Eine Klapperschlange windet sich durch die Dünen zu deinen Füßen, und du zuckst zurück. Deine »Kampf oder Flucht«-Reaktion wird aktiviert. Hinter dieser unmittelbaren und instinktiven Reaktion verbirgt sich eine kulturelle Angst vor der Natur – und vor allem Fremden und Ursprünglichen in dir.

Außerhalb der Gemeinschaft, in der Weite deiner Wüstenseele, beginnst du, die verschiedenen Teile deines Wesens zusammenzubringen, indem du lernst, die widerborstigen, die niederen und die dürstenden Teile deines Wesens zu akzeptieren. Durch Selbstannahme schließe Frieden mit dir. Dies ist das lange, sanfte Ausatmen, wenn du dich entblößt und ohne Angst bist.

Wüstenfrau zeigt dich in all deinen Facetten, auch in jenen, die andere als unpassend oder nicht liebenswert auszumerzen versucht haben. Sie schafft Raum für die Bestandteile deines Lebens, die du vielleicht weggeschlossen hast. Sie lehrt dich, nicht nur Zeugnis abzulegen, sondern liebevolles Zeugnis zu geben für die schrulligen, nicht akzeptierten, manchmal sehr beängstigenden und bisher ungeliebten Teile von dir. Spürst du die Großzügigkeit, die in dieser Einladung steckt?

Indem du deine Einzigartigkeit feierst, erkennst du, dass es eben jene Andersartigkeit ist, die dich stark macht. Man hat dir beigebracht, deine Sonderheiten zu unterdrücken, um dich anzupassen. Wüstenfrau erinnert dich daran, dass alle, die in der Wüste zu Hause sind – von winzigen Füchsen mit riesigen Ohren bis hin zu Eidechsen mit Hörnern – auf wunderliche Weise seltsam und dabei unverwüstlich sind. Und es sind eben jene Aspekte an ihnen, die wir seltsam finden, die es ihnen ermöglichen, zu überleben. Wenn du dir selbst fremd bleibst und immer versuchst, dich an andere anzupassen, wirst du nie erfahren, wie außergewöhnlich du in Wirklichkeit bist.

Was ist das Geschenk der frei gewählten Einsamkeit? Tiefinnere Wahrhaftigkeit. Sie ist es, die deinen Weg der Wandlung auf eine solide Grundlage stellt. Es ist an der Zeit, die Großartigkeit deines inneren Wesens zu erfahren. Wie Wüstenfrau folgst du deiner Songline, deinem eigenen Lied.

Einbeziehung

Tagebuch: Raum und Zeit schaffen

Wie schaffst du dir Raum und Zeit, um mit dir allein zu sein? Einer der größten Fehler ist es, zu glauben, dass man Stunden braucht, und deshalb die kleinen Freiräume im Leben nicht nutzt. Aber was wäre, wenn du es tätest?

Mache eine Liste mit fünf Dingen, die du tun kannst, um dir etwas mehr Raum und Zeit zu schaffen, stelle zum Beispiel einen Timer ein, um Facebook oder Fernsehzeit zu begrenzen, und plane tägliche Pausen für Wüstenfrau ein.

Machen dir eine Liste mit fünf Dingen, die du in fünf bis fünfzehn Minuten tun kannst, um mit dir in Kontakt zu kommen, etwa meditieren, spazierengehen oder einen sinnvollen Podcast hören.

Wenn du deine Liste durchgelesen hast, überlege, was davon du jetzt sofort umsetzen kannst.

Dann trage alles in deinen Kalender ein.

Vor vierundvierzig Jahren scheiterte meine erste Ehe in der Wüste. Die ganze Erfahrung wurde begraben, ich habe nie darüber gesprochen. Ich zog weiter. Als ich mir die Meditationen der Wüstenfrauen anhörte, erkannte ich, dass in der Wüste nicht das Scheitern, sondern die Befreiung stattfand. Ich wünschte, ich hätte den Mut gehabt, das zu erkennen. Um mich zu entfalten und jemand Neues zu werden.

Carol, Workshop-Teilnehmerin

In der Wüste meiner Seele stehe ich still. Ich bin allein, aber ich habe keine Angst.

Camille B., Workshop-Teilnehmerin

Ich bin überrascht, aber zutiefst dankbar, den Archetyp der Wüstenfrau erweckt zu haben und das tiefe Grollen der Befreiung von Konstrukten wie »nett« und »gut« zu spüren, die mich als Geisel gehalten haben. Das kitzelt das Kichern und Gackern heraus – wie schrecklich wunderbar!

Jacquelin S., Workshop-Teilnehmerin

Die Leere betreten

Du kannst mir keine Angst machen mit den leeren RäumenZwischen Sternen – Sternen, wo keine Menschen sind.Ich habe es in mir so viel näher nach Hause,Um Angst zu haben vor meinen Wüstenorten.Robert Frost

Hätte man mich gefragt, was ich wollte oder wen ich mochte, als ich trocken wurde, hätte ich nicht antworten können. Gefangen zwischen zwei starken Süchten – Alkoholismus und anderen gefallen zu wollen – hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wer ich war. Schlimmer noch, ich schämte mich für all die »verrückten«, »nuttigen« Dinge, die ich im Suff getan hatte, und konnte die Gesellschaft mit mir nicht ertragen. Die Zwölf-Schritte-Treffen halfen mir, trocken zu bleiben, indem sie mir Gemeinschaft und Unterstützung boten, aber sie halfen nicht immer, wenn ich die Treffen verließ und mit mir allein war.