Wilhelm Storitz' Geheimnis: Abenteuerroman - Jules Verne - E-Book

Wilhelm Storitz' Geheimnis: Abenteuerroman E-Book

Jules Verne.

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Beschreibung

Lesern, die auf der Suche nach einer fesselnden Lektüre sind, wird Jules Verne's Buch "Wilhelm Storitz' Geheimnis: Abenteuerroman" wärmstens empfohlen. Mit einer mitreißenden Handlung, interessanten Charakteren und einer Vielzahl von wissenschaftlichen Ideen bietet das Buch ein beeindruckendes Leseerlebnis. Verne's Fähigkeit, komplexe wissenschaftliche Konzepte mit einer spannenden Erzählung zu verbinden, macht dieses Buch zu einem Muss für alle, die sich für Science-Fiction, Abenteuer und Technologie interessieren. Tauchen Sie ein in die Welt von Wilhelm Storitz und lassen Sie sich von Jules Verne auf eine unvergessliche literarische Reise mitnehmen.

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Jules Verne

Wilhelm Storitz' Geheimnis: Abenteuerroman

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Inhaltsverzeichnis

I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
XIX.

I.

Inhaltsverzeichnis
»...Also komme, so bald Du nur kannst, mein lieber Heinrich! Ich erwarte Dich mit größter Ungeduld! Die hiesige Gegend ist herrlich und gerade diese Region des südlichen Ungarns ist wie geschaffen, das Interesseeines Ingenieurs zu fesseln. Nur von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, wirst Du die Reise hierher nicht zu bereuen haben.

Mit den herzlichsten Grüßen

Markus Vidal.«

So lauteten die Schlußworte eines Briefes meines Bruders, den ich – es war am 4. April – vor mehreren Jahren erhalten hatte.

Kein warnendes Vorzeichen begleitete das Eintreffen dieses Schreibens, das mir in der üblichen Weise zugestellt wurde, nämlich durch die Vermittlung eines Boten, des Portiers und meines Dieners, welcher mir, ohne sich der Wichtigkeit dieser Handlung bewußt zu werden, den Brief auf einer Platte mit der ihm zur Gewohnheit gewordenen Ruhe überreichte.

Auch ich war vollkommen ruhig, während ich den Bogen entfaltete und zu Ende las, bis zu jenen letzten Zeilen, die schon im Keime all die seltsamen Ereignisse enthielten, bei denen mir eine Rolle zugedacht war.

Wie sind doch die Menschen mit Blindheit geschlagen! Unaufhörlich, ohne ihr Wissen und Wollen wird aus unendlich seinen Fäden ein geheimnisvolles Gewebe gesponnen, das man Schicksal nennt!

Mein Bruder hat wahr gesprochen: ich bereue diese Reise nicht! Aber soll ich wirklich davon berichten? Gibt es denn nicht Dinge, die man lieber verschweigen, der Vergessenheit anheimfallen lassen soll? Wer wird einer Geschichte Glauben schenken, die so unnatürlich klingt, daß auch die kühnsten Dichter es wahrscheinlich nie gewagt haben würden, sie niederzuschreiben?

Und trotzdem will ich es tun, will das Wagnis auf mich nehmen! Man möge mir glauben oder nicht, ich gehorche einem unwiderstehlichen Bedürfnis, in der Erinnerung noch einmal diese Reihe ganz außerhalb der Alltäglichkeit liegender Vorkommnisse zu erleben, zu denen der Brief meines Bruders gewissermaßen das Vorwort bildete.

Mein Bruder Markus war damals achtundzwanzig Jahre alt und hatte schon sehr schmeichelhafte Erfolge als Porträtmaler errungen. Die festesten Bande innigster Zuneigung vereinten uns; meinerseits war es eine fast väterliche Liebe, denn ich war um volle acht Jahre älter als er. Wir waren beide noch sehr jung, als uns Vater und Mutter starben und so mußte ich, der große Bruder, für Markus' Erziehung Sorge tragen. Da er frühzeitig erstaunliche Anlagen und Lust zum Malen zeigte, tat ich mein möglichstes, ihn seinem Lebensberufe zuzuführen, in dem er sich bald auszeichnete und wohlverdiente Erfolge erntete.

Und jetzt wollte sich Markus verheiraten. Schon seit längerer Zeit hatte er seinen Wohnsitz in Ragz aufgeschlagen, einer bedeutenden Stadt Südungarns. Mehrere in der Hauptstadt Budapest verbrachte Wochen – er hatte daselbst eine Anzahl sehr gelungener und reichlich honorierter Gemälde fertiggestellt – hatten ihn erkennen lassen, daß Künstlern in Ungarn ein sehr warmer Empfang bereitet wird; und als sein Aufenthalt in Budapest sein Ende erreicht hatte, fuhr er donauabwärts bis nach Ragz.

Zu den angesehensten Familien dieser Stadt gehörte die Familie des Dr. Roderich, welcher einer der berühmtesten Ärzte im ganzen Ungarlande war. An irdischen Gütern reich gesegnet (denn zu einem beträchtlichen Erbteil kam das bedeutende, in der Ausübung seines Berufes erworbene Vermögen hinzu). gönnte er sich jedes Jahr eine Erholungszeit. die er auf Reisen verbrachte; selbst nach Frankreich, Italien und Deutschland war er schon gekommen. Die reichen Patienten beklagten immer lebhaft seine Abwesenheit, aber auch die armen ersehnten seine Rückkehr, denn er versagte ihnen niemals seine Hilfe und seine tatkräftige Nächstenliebe erstreckte sich auch auf die Geringsten, so daß ihm die Achtung und Liebe aller sicher war.

Die Familie Roderich bestand aus dem Doktor, seiner Frau, seinem Sohn, dem Hauptmann Haralan, und seiner Tochter Myra. Markus hatte oft in dem gastlichen Hause geweilt und die Grazie und Schönheit des jungen Mädchens hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht, so daß er seinen Aufenthalt in Ragz auf unbestimmte Zeit verlängerte. Aber wenn Myra Roderich meinem Bruder gefiel, so kann man ruhig behaupten, ohne der Wahrheit zu nahe zu treten, daß auch er Myra Roderichs Herz gewonnen hatte.

Und man muß mir beipflichten: er verdiente es! Markus war – er ist es noch, Gott sei Dank – ein braver, liebenswürdiger Junge, schlank und hoch gewachsen (seine Gestalt überragt die Mittelgröße), mit blauen, lebhaften Augen, kastanienbraunem Haar, einer Dichterstirne und dem glücklichen Ausdruck eines Menschen, dem sich das Leben immer nur von der angenehmsten, heitersten Seite zeigt. Er ist von nachgiebigem Charakter und hat das sorglose Temperament eines Künstlers, welcher sich für alles Schöne leicht begeistert.

Was Myra Roderich anbelangt, so kannte ich sie nur aus Markus liebeglühenden Briefen und ich wünschte sehnlichst, sie persönlich kennen zu lernen. Noch lebhafter war der Wunsch meines Bruders, sie mir vorzustellen. Er beschwor mich, nach Ragz zu kommen – als das Haupt der Familie – und wollte sich nur zufrieden geben, falls mein Aufenthalt daselbst mindestens einen Monat dauern würde. Seine Braut – er wiederholte es mir immer wieder – erwartete mein Kommen mit Ungeduld. Erst dann, nach meiner Ankunft, sollte der Hochzeitstag bestimmt werden. Vorher wollte Myra mit ihren eigenen Augen den künftigen Schwager gesehen haben, von dem man ihr in jeder Hinsicht nur Gutes erzählt hatte – es scheint wirklich, daß sie sich in dieser Weise ausdrückte!... Es sei nur ein billiges Verlangen, daß man die Mitglieder einer Familie, welcher man in Kürze ganz angehören soll, kennen und beurteilen lernen wolle. Sie würde das fatale »Ja« bestimmt erst dann aussprechen, nachdem Markus ihr seinen Bruder Heinrich vorgestellt habe.... All dies berichtete mir mein Bruder mit großer Beredsamkeit in seinen häufigen Briefen, aus denen ich ersah, wie gänzlich ihn die Liebe zu Myra Roderich in Fesseln hielt.

Ich habe schon erwähnt, daß ich sie nur nach Markus' enthusiastischen Schilderungen kannte. Und dennoch wäre es ihm, dem Maler, ein leichtes gewesen, sie in einer anmutigen Pose, angetan mit ihrem schönsten Kleide, als Modell zu nehmen und ihr Bild auf die Leinwand oder mindestens auf Papier zu übertragen. Dann hätte ich sie doch wenigstens de visu bewundern können... aber auch das wünschte Myra nicht. Sie wollte persönlich vor meinen geblendeten Augen erscheinen, versicherte Markus, welcher wohl kaum den Versuch gemacht haben dürfte – so glaube ich – sie anderer Meinung zu machen. Sie wollten eben beide erzwingen, daß der Ingenieur Heinrich Vidal seine Beschäftigung einfach an den Nagel hinge, um als gefeierter Gast in den Empfangsräumen der Familie Roderich zu erscheinen.

Bedurfte es so vieler Gründe, um meinen Entschluß reisen zu lassen? O nein! Ich hätte gewiß nicht am Hochzeitsfeste meines Bruders gefehlt. In ganz kurzer Zeit wollte ich vor Myra Roderich erscheinen, noch ehe sie meine Schwägerin geworden.

Übrigens sollte mir – wie auch der Brief betonte – der Aufenthalt in dieser Gegend Ungarns viel Vergnügen machen und auch großen Nutzen bringen. Es ist dies das eigentliche Magyarenland, dessen Vergangenheit so reich ist an heroischen Taten das seit jeher jeder Vermischung mit der germanischen Rasse feind war und eine ganz bedeutende Stellung in der Geschichte Mitteleuropas einnimmt. – Was die Reise selbst anbelangt, so war ich entschlossen, sie unter folgenden Bedingungen zu unternehmen: teils im Postwagen, teils mit dem Schiffe beim Hinfahren, während die Rückreise nur mittels Postwagens zurückgelegt werden mußte. Den herrlichen Strom, die Donau, wollte ich erst von Wien an benutzen; wenn ich auch nicht alle siebenhundert Meilen ihres Laufes verfolgen konnte, so blieben mir immerhin die interessantesten Gegenden zu bewundern übrig, die Strecken durch Österreich und Ungarn bis zu meiner Endstation, Ragz, an der serbischen Grenze. Wahrscheinlich würde mir keine Zeit bleiben, jene anderen Städte zu besuchen, welche die Donau in ihrem weiteren Laufe mit ihren mächtigen Fluten bespült; dort, wo sie die Walachei und die Moldaufürstentümer von der Türkei scheidet, nachdem sie das berühmte Eiserne Tor passiert hat: Widdin, Nikopolis, Rustschuk, Silistria, Braila, Galatz bis zu ihrer dreiteiligen Mündung ins Schwarze Meer. Drei Monate schienen mir genügend Zeit für die Reise, wie ich sie mir zurechtgelegt hatte. Einen Monat bestimmte ich für die Hinfahrt, von Paris nach Ragz. Myra Roderich mußte sich in Geduld fassen und dem Reisenden diesen Aufschub bewilligen. Nach einem Aufenthalte von gleich langer Dauer in der neuen Heimat meines Bruders würde die Rückreise nach Frankreich den Rest der Zeit in Anspruch nehmen.

Nachdem ich einige dringende Angelegenheiten in Ordnung gebracht und mir die von Markus verlangten Papiere verschafft hatte, machte ich alles zur Abreise fertig. Meine Vorbereitungen waren jedoch sehr einfacher Natur und forderten nur wenig Zeit, denn ich dachte nicht daran, mich mit unnützem Gepäck zu beschweren. Nur einen Koffer sehr bescheidener Größe nahm ich mit, in dem das Festgewand verpackt wurde, dessen ich zu dem feierlichen Ereignis bedurfte, das mich nach Ungarn rief.

Das Idiom des unbekannten Landes bot mir keinen Grund zur Beunruhigung; seit einer Reise durch die nördlichen Provinzen Preußens war mir die deutsche Sprache geläufig; auch Ungarisch hoffte ich ohne große Schwierigkeiten bald verstehen zu können. Übrigens spricht man in Ungarn fließend Französisch, wenigstens in den höheren Gesellschaftsklassen, und mein Bruder war – aus eben diesem Grunde – niemals in Verlegenheit gekommen, nachdem er die österreichische Grenze passiert hatte.

»Sie sind Franzose, Sie haben Bürgerrecht in Ungarn«, hat einstens ein Hospodar einem meiner Landsleute zugerufen und er brachte mit diesen wenigen herzlichen Worten die Gefühle des magyarischen Volkes den Franzosen gegenüber zum Ausdruck.

Ich schrieb also Markus als Antwort auf seinen letzten Brief, daß ich ihn ersuche, Myra Roderich zu versichern, daß meine Ungeduld der ihren ebenbürtig, der künftige Schwager von dem lebhaftesten Verlangen erfüllt sei, die künftige Schwägerin kennen zu lernen. Ich fügte bei, daß ich binnen kurzem abreisen wolle, den Tag meiner Ankunft in Ragz aber unmöglich bestimmen könne, da dies von den Zufälligkeiten der Reise abhängig sei; aber ich gab meinem Bruder die Versicherung, daß ich mich unterwegs nicht unnötigerweise aufhalten wolle. Wenn es der Familie Roderich angenehm sei, könne sie, ohne länger zu zögern, die Hochzeit für die letzten Tage des Monats Mai festsetzen. »Ich bitte euch, mich nicht zu verdammen – schrieb ich zum Schlusse – wenn nicht jeder meiner Ruhepunkte durch einen Brief gekennzeichnet ist, der von meiner Anwesenheit daselbst Kunde gibt. Ich werde schon manchmal schreiben, damit Fräulein Myra imstande ist, die Anzahl der Meilen zu berechnen, die mich noch von ihrer Vaterstadt trennen. Auf jeden Fall werde ich zur rechten Zeit die genaue Stunde meiner Ankunft angeben, wenn möglich, selbst die Minute.«

Am Vorabend meiner Abreise, dem 13. April, begab ich mich in das Amtszimmer des Polizeileutnants, mit dem ich in freundschaftlichen Beziehungen stand, um mich von ihm zu verabschieden und meinen Paß abzuholen. Als er mir denselben einhändigte, beauftragte er mich mit vielen Grüßen für meinen Bruder, welchen er aus meinen Gesprächen und auch persönlich kannte und dessen Absicht, ein eigenes Heim zu gründen, ihm zu Ohren gekommen war.

»Ich weiß außerdem – fügte er bei – daß die Familie des Dr. Roderich, der Ihr Bruder angehören wird, eine der ehrenwertesten in Ragz ist.

– Hat man mit Ihnen davon gesprochen? fragte ich.

– Ja, erst gestern bei der Soiree in der österreichischen Botschaft, bei der ich auch anwesend war.

– Und wer erteilte Ihnen die Auskunft?

– Ein Offizier der Budapester Garnison, welcher mit Ihrem Bruder während seines Aufenthaltes in der ungarischen Hauptstadt Freundschaft geschlossen hat; er war seines Lobes voll. Ihr Bruder hatte glänzende Erfolge aufzuweisen und dieselbe Aufnahme, die ihm in Budapest zuteil geworden, hat er auch in Ragz wieder gefunden, was Sie übrigens kaum in Erstaunen setzen wird, mein lieber Vidal!

– Und dieser Offizier – beharrte ich – hat auch nicht mit seinem Lobe gekargt in Bezug auf die Familie Roderich?

– Gewiß nicht! Der Doktor ist ein Gelehrter in des Wortes wahrster Bedeutung. Sein Name ist allbekannt in den österreichischungarischen Landen. Alle möglichen Auszeichnungen sind ihm schon verliehen worden; kurz und gut: Ihr Bruder hat Glück gehabt bei seiner Wahl, denn es scheint außerdem, daß das Fräulein eine sehr schöne Erscheinung ist.

– Dann werde ich Sie kaum in Erstaunen setzen, lieber Freund, wenn ich Sie versichere, daß auch Markus sie schön findet; er scheint mir überhaupt ganz ihrem Zauber erlegen.

– Um so besser, mein lieber Vidal; Sie werden also die Güte haben, meine Glückwünsche Ihrem Bruder zu übermitteln, dessen Glück noch die höchste, raffinierteste Beigabe hat: es wird mit den Augen glühendster Eifersucht betrachtet.... Aber – unterbrach sich zögernd der Sprecher – ich weiß nicht, ob ich mich nicht am Ende einer Indiskretion schuldig gemacht habe... indem ich das erwähnte....

– Einer Indiskretion? fragte ich erstaunt.

– Hat Ihnen Ihr Bruder niemals geschrieben, daß einige Monate vor seiner Ankunft in Ragz...

– Vor seiner Ankunft? wiederholte ich.

– Ja.... Fräulein Myra Roderich... Aber schließlich, mein lieber Vidal, ist es ja möglich, daß Ihr Bruder nichts davon erfahren hat!

– Sprechen Sie deutlicher, lieber Freund; ich kann absolut nicht erkennen, worauf Sie hinzielen.

– Nun wohl, es scheint – was übrigens kaum wundernehmen kann – daß dem Fräulein Roderich schon sehr gehuldigt worden ist, besonders von einer Persönlichkeit, die man durchaus nicht zu den ersten besten zählen kann. So sagte wenigstens der Offizier in der Botschaft, welcher noch vor fünf Wochen in Budapest war.

– Und was ist's mit diesem Rivalen?

– Dr. Roderich hat ihm den Laufpaß gegeben.

– Nun also, dann ist ja die Sache erledigt. Wenn übrigens Markus von der Existenz eines Rivalen gewußt hätte, würde er seiner in seinen Briefen gewiß Erwähnung getan haben. Er hat mir aber niemals auch nur die geringste Andeutung gemacht. Folglich ist der ganzen Angelegenheit keine Bedeutung zuzumessen.

– Gewiß nicht, lieber Vidal; trotzdem scheint die Bewerbung dieser Persönlichkeit um die Hand des Fräulein Roderich in Ragz bemerkt worden zu sein und hat etwas mehr Aufsehen gemacht. deshalb meine ich, es ist besser, Sie seien darüber aufgeklärt.

– Gewiß! Sie hatten sehr recht, mich darauf aufmerksam zu machen, nachdem es sich doch nicht um ein erfundenes Gerede handelt.

– Nein; die Mitteilung ist sehr ernst zu nehmen.

– Aber die Sache selbst ist es nicht mehr, erwiderte ich, und das ist die Hauptsache!

Als ich Abschied nehmen wollte, fiel mir noch eine Frage ein:

– Sagen Sie mir, lieber Freund, hat der ungarische Offizier Ihnen gegenüber den Namen des heimgesandten Rivalen erwähnt?

– Ja.

– Wie heißt er?

– Wilhelm Storitz!

– Wilhelm Storitz?... Der Sohn des Chemikers, vielmehr, des Alchimisten?

– Derselbe.

– Welch ein berühmter Name!... Derjenige eines Gelehrten, welchen seine Entdeckungen sehr bekannt gemacht haben!

– Und auf den Deutschland sehr stolz ist, und mit vollstem Rechte, mein lieber Vidal.

– Ist er nicht schon gestorben?

– Ja, vor einigen Jahren, aber sein Sohn lebt und dieser Wilhelm Storitz scheint sogar – den Aussagen meines Gewährmannes nach – ein beunruhigender Mensch zu sein.

– Beunruhigend?... Was meinen Sie mit diesem Epitheton, lieber Freund?

– Ich weiß es selbst nicht genau... aber wenn ich dem Offizier der Gesandtschaft Glauben schenken darf, ist Wilhelm Storitz nicht wie alle Welt, nicht ganz normal veranlagt.

– Donnerwetter! rief ich und lachte, jetzt beginnt die Sache aufregend zu werden! Ist vielleicht der abgewiesene Freier mit drei Beinen oder vier Armen ausgestattet oder verfügt er über einen sechsten Sinn?

– Man hat mir nichts Genaues darüber mitgeteilt, sagte mein Freund, gleichfalls lachend. Trotzdem vermute ich, daß die Bemerkung mehr auf den seelischen als auf den körperlichen Wilhelm Storitz anzuwenden wäre! Und wenn ich recht verstanden habe, ist es angezeigt, sich vor ihm in acht zu nehmen....

– Man wird sich in acht nehmen, lieber Freund, wenigstens bis zu dem Tage, an dem Fräulein Myra Roderich den Namen Frau Markus Vidal tragen wird.«

Und ohne mich weiter über das eben Gehörte aufzuregen, drückte ich herzlich die Hand des Polizeileutnants und trat dann den Heimweg an, um die letzte Hand an meine Reisevorbereitungen zu legen.

II.

Inhaltsverzeichnis

Ich verließ Paris am 14. April um 7 Uhr morgens in einem mit Postpferden bespannten Reisewagen. In ungefähr zehn Tagen mußte ich die österreichische Hauptstadt erreichen.

Diesen ersten Teil meiner Reise will ich nur kurz erwähnen, da er durch keinerlei bemerkenswerte Zwischenfälle gekennzeichnet ist; auch sind die Gegenden, die ich auf meiner Fahrt passierte, viel zu gut bekannt, als daß sie einer regelrechten Beschreibung bedürften.

In Straßburg nahm ich meinen ersten längeren Aufenthalt. Als ich wieder zum Stadttore hinausfuhr, beugte ich mich noch einmal aus dem Wagenschlag. Die Turmspitze der Kathedrale, des berühmten Münsters, erschien mir wie in Sonnenstrahlen gebadet, die von Südosten einfielen.

Mehrere Nächte verbrachte ich im Wagen, wo das knarrende Geräusch der den Schotter der Straßen zermalmenden Räder mein einziges Schlummerlied bildete; aber gerade diese geräuschvolle Eintönigkeit wirkt oft besser einschläfernd als absolute Ruhe. Ich kam der Reihe nach durch Oos, Baden, Karlsruhe und mehrere andere Städte. Auch Stuttgart und Ulm in Württemberg, Augsburg und München in Bayern ließ ich hinter mir liegen. Nahe der österreichischen Grenze hielt ich mich etwas länger in Salzburg auf und endlich, am 25. April um sechs Uhr fünfunddreißig Minuten abends, blieben die dampfenden Pferde im Hofe des ersten Wiener Gasthofes stehen.

Aber auch hier währte mein Aufenthalt nur sechsunddreißig Stunden. Ich gedachte diese berühmte Hauptstadt bei meiner Rückkehr genau zu besichtigen.

Wien wird weder von der Donau durchschnitten noch von ihr begrenzt. Ich hatte fast eine Meile im Wagen zurückzulegen, um das Ufer des Stromes zu erreichen, dessen willfähriger Rücken mich bis Ragz tragen sollte.

Schon am Vorabend hatte ich mir einen Platz in einem Warenschiffe, der »Dorothea«, gesichert, welches auch eingerichtet war, Passagiere an Bord zu nehmen. Ein buntes Treiben herrschte auf dem Fahrzeug, auf dem gar viele Nationen vertreten waren; Deutsche, Österreicher, Ungarn, Russen, Engländer. Den Passagieren war der rückwärtige Teil des Schiffes zur Verfügung gestellt, während die Waren im Vorderdeck verstaut waren, so daß daselbst niemand Platz finden konnte.

Meine erste Sorge galt dem Lagerplatz für die Nacht in dem gemeinsamen Schlafraum. Aber ich sah bald die Unmöglichkeit ein, meinen Koffer hineinzuschaffen und mußte ihn auf Deck neben einer Bank stehen lassen, von der aus ich während der Reise ein wachsames Auge auf mein Eigentum haben wollte.

Unter der doppelten Einwirkung der Strömung und eines frischen Windes glitt die »Dorothea« ziemlich rasch talwärts; ihr scharfer Kiel zerschnitt die gelblichen Wellen des schönen Stromes, dessen Wasser eher mit Ocker denn mit Ultramarin gefärbt erscheint – wenn auch die Legende vom Gegenteil berichtet. Wir begegneten zahlreichen Schiffen, die mit vollen Segeln dahinglitten und die Produkte des Landes weiterführten, das sich von beiden Ufern an in unabsehbarer Weite ins Innere hinein erstreckt. Auch an einem der riesigen Flöße kamen wir vorbei, die oft aus den Hölzern eines ganzen Waldes aufgebaut sind und auf denen schwimmende Dörfer errichtet werden, die bei der Abfahrt entstehen und bei der Ankunft zerstört werden; sie erinnern an die merkwürdigen brasilianischen »Jangadas« im Amazonenstrom. Dann folgte Insel auf Insel, die der Laune des Zufalles ihr Entstehen zu verdanken scheinen, so regellos sind sie hingesäet, große und kleine; viele ragen kaum über die Oberfläche empor und sind so flach, daß schon ein ganz geringes Steigen des Wasserspiegels sie überschwemmen würde. Sie boten einen gar erfreulichen Anblick, wie sie so frisch und grün, von Weiden und Pappeln umsäumt, aus den Wellen tauchten. Zwischen den feuchten Gräsern wuchsen viele Blumen in leuchtenden Farben.

Auch mehrere Wasserdörfer passierten wir, die unmittelbar am Rande des Stromes erbaut sind. Fast hat es den Anschein, als ob der durch die Schiffe verursachte Wellengang sie auf ihren Pfählen erzittern lasse. Mehrmals mußten wir – auf die Gefahr hin, mit unserem Maste hängen zu bleiben – unter dem von der einen zur anderen Böschung gespannten Seil durchgleiten, an dem eine Plätte befestigt war, die mittels zweier Stangen fortbewegt wurde, deren jede mit einer Flagge in den Landesfarben geschmückt war.

Während dieses Tages kamen wir an Fischamend und Riegelsbrunn vorbei und abends ging die »Dorothea« vor der Einmündung der March, eines aus Mähren kommenden linksseitigen Nebenflusses der Donau, vor Anker; wir waren schon ganz nahe der ungarischen Grenze. Hier verbrachten wir die Nacht vom 27. zum 28. April. Mit der Morgenröte wurde aufgebrochen und jetzt trug uns die rasche Strömung an den erinnerungsreichen Stätten vorüber, wo sich im 16. Jahrhundert Franzosen und Türken mit Todesverachtung bekämpften.

Nach kurzen Aufenthalten in Petronell, Altenburg und Hainburg passierten wir die Ungarische Pforte, nachdem sich die Schiffsbrücke vor uns geöffnet hatte und bald darauf legte die »Dorothea« am Kai von Preßburg an.

Die Manipulation der Waren machte eine Rast von vierundzwanzig Stunden nötig, deshalb konnte ich diese Stadt, die das Interesse des Reisenden mit Recht in Anspruch nehmen darf, mit Muße besichtigen. Sie macht den Eindruck, auf einer Halbinsel erbaut zu sein. Es könnte niemanden wundernehmen, wenn anstatt der ruhigen Wasser des Stromes das weite Meer sich zu ihren Füßen ausbreitete und sie mit seinen rollenden Wogen bespülte. Längs der herrlichen Kais erheben sich die Häuser der Stadt, welche in einem gefälligen Stile und mit beachtenswerter Regelmäßigkeit erbaut sind.

Ich bewunderte die Kathedrale, deren Kuppel in einer vergoldeten Säule endet, die zahlreichen Privatbauten, meist Paläste, die der ungarischen Aristokratie gehören Darauf stieg ich den Hügel hinan, an welchen sich das Schloß anlehnt und besichtigte diesen mächtigen, viereckigen Bau, dessen Ecken – ähnlich den mittelalterlichen Ruinen – mit Türmen befestigt waren. Ich bereute es nicht, den Aufstieg unternommen zu haben, denn die Aussicht, die sich mir hier oben bot, entschädigte mich reichlich. Ich überblickte die herrlichen Weingärten der Umgebung und die unendliche Ebene, durch welche die Donau, wie ein breites Silberband, sich durchwindet.

Stromabwärts von Preßburg, am 30. April morgens, kam die »Dorothea« in den Bereich der Pußta. Diese Pußta ist wie die russischen Steppen, wie die amerikanischen Savannen; in unabsehbarer Weite dehnen sich die Ebenen über ganz Mittelungarn aus. Es ist eine merkwürdige Region mit ihren unermeßlichen Weideflächen, deren Ende das Auge nicht erreichen kann, durch welche oft in rasender Flucht unzählbare Herden von wilden Pferden jagen und die viele Tausende von Rindern und Büffeln ernährt.

Hier entwickelt sich die eigentliche ungarische Donau in ihren mannigfaltigen Schlangenwindungen; nachdem sie schon aus den Kleinen Karpathen und den Steirischen Alpen kräftige, tributpflichtige Verbündete aufgenommen, verdient sie hier erst den Namen eines mächtigen Stromes, während ihr, so lange sie auf österreichischem Gebiete weilt, nur die Bezeichnung »Fluß« zukommt.

Im Gedanken folgte ich dem Weg, den sie bis hierher genommen, aufwärts bis zur fernen Quelle, nahe der französischen Grenze, im Großherzogtum Baden, das ja an Elsaß grenzt und ich war der Meinung – und freute mich darüber – daß ihre ursprüngliche, seine Wasserader wohl dem Regen in Frankreich ihre Entstehung verdanken mag.

Abends legte unser Schiff in Raab an und blieb hier die Nacht hindurch liegen, ebenso am nächsten Tage und in der folgenden Nacht. Zwölf Stunden genügten mir vollkommen, die Stadt, die mehr den Charakter einer Festung aufweist, das »Györ« der Magyaren, kennen zu lernen.

Einige Meilen unterhalb Raab tauchte am folgenden Morgen die berühmte Zitadelle Komorn auf, eine Gründung des Königs Matthias Corvinus, wo sich der letzte Akt des ungarischen Aufstandes abspielte.

Ich kann mir nichts Fesselnderes vorstellen, als sich in diesem Teile des magyarischen Gebietes auf der Donau treiben zu lassen. Ihre willkürlichen, sanften Wendungen, ihre plötzlichen, scharfen Krümmungen lassen die Landschaft immer wieder unter anderen Gesichtspunkten erscheinen, dann tauchen ungeahnte, flache Inseln auf, halb überschwemmt von den Fluten, Tummelplätze für Reiher und Störche. Das ist die Pußta in ihrer ganzen Pracht und Herrlichkeit, mit ihren üppigen Wiesen, die am fernen Horizont von welligen Hügeln eingefaßt werden. Hier gedeihen die edelsten ungarischen Reben. Man schätzt den Weinertrag dieses Landes – den Tokajer Distrikt mitgerechnet – auf mehr als eine Million Tonnen; Ungarn ist das erste Weinland nach Frankreich und steht in der Liste der die Kultur der Rebe betreibenden Staaten vor Italien und Spanien. Man behauptet, daß der gewonnene Wein fast ausschließlich im Lande selbst verbleibe. Ich gestehe, daß ich in den Schenken am Ufer einigen Flaschen den Hals brach; welch ein Verlust für die magyarischen Kehlen!

Man kann erfreulicherweise feststellen, daß die Kulturverhältnisse in der Pußta sich von Jahr zu Jahr bessern. Aber es gibt da noch viel Arbeit! Vor allem müßte ein Netz von Bewässerungskanälen geschaffen werden, was eine außerordentliche Fruchtbarkeit außer Zweifel setzen würde; Bäume müßten gepflanzt werden, Tausende von Bäumen, ausgedehnte, dichte Schutzwände gegen die rauhen Winde. Dann wären dem Lande doppelte und dreifache Ernten sicher!

Es ist ein Unglück, daß die Ländereien in Ungarn nicht im richtigen Ausmaß verteilt sind; weite Strecken liegen brach da, denn es gibt Güter in einer Ausdehnung von fünfundzwanzigtausend Quadratmeilen, die der Besitzer niemals ganz kennen gelernt hat; den Kleinbauern fällt kaum ein Viertel des riesigen Ländergebietes zu.

Dieser Stand der Dinge, der dem Lande zum Schaden gereicht, wird aber nach und nach abgeändert werden, schon allein wegen der gewaltsamen Logik, die in der Zukunft liegt. Übrigens zeigt sich der ungarische Bauer dem Fortschritte durchaus nicht abgeneigt. Er hat den guten Willen, Mut und den nötigen Verstand. Vielleicht könnte man eine zu große Selbstzufriedenheit an ihm tadeln, aber der deutsche Bauer krankt auch an diesem Fehler, und in höherem Maße. Zwischen den beiden besteht der Unterschied: der erstere glaubt alles lernen zu können, der letztere glaubt schon alles zu wissen!

Nach Gran, das sich am rechten Donauufer ausbreitet, vermeinte ich einen Wechsel der bisherigen Szenerie zu bemerken. An Stelle der Pußta erheben sich lange und dichte Hügelketten, die äußersten Ausläufer der Karpathen und der Norischen Alpen, welche bis an den Fluß herantreten ihn einengen und auf ein schmales Durchbruchstal beschränken. Gran ist der Sitz eines Erzbischofs, Primas von Ungarn und dürfte wahrscheinlich das am meisten umworbene Bistum der Welt sein, falls die Güter dieserErde für einen katholischen Prälaten überhaupt eine Anziehungskraft besitzen können. Tatsächlich erfreut sich der Inhaber dieses Bischofssitzes – welcher nebenbei Kardinal, Primas, Legat, Reichsfürst und Kanzler des Königreiches ist – eines Einkommens, das eine Million Pfund übersteigen kann.

Unterhalb Gran tritt die Pußta wieder in ihre Rechte. Man muß zugeben, daß die Natur die größte Künstlerin ist! Sie bedient sich des Gesetzes der Gegensätze, und zwar im Großen, wie sie ja niemals kleinlich ist. Hier wollte sie, daß die Landschaft, die zwischen Preßburg und Gran so abwechslungsreich lebendig gewesen, ein trauriges, sorgenvolles, eintöniges Ansehen zur Schau trage.

Hier hatte die »Dorothea« einen der Stromarme zu wählen, die die Insel St. Andreas einschließen; beide sind jedoch der Schiffahrt gleich günstig. Sie entschied sich für den linken Arm, was mir Gelegenheit gab, die Stadt Waitzen zu sehen, die durch ein halbes Dutzend Kirchtürme gekennzeichnet ist; eine Kirche erhebt sich am Ufer selbst und spiegelt sich, von dichtem Grün umrahmt, im klaren Wasser.

Später kommt ein wenig Bewegung in die Gegend. In der Ebene machen sich zahlreiche Sumpfkulturen bemerkbar und auf dem Strome gleiten viele Fahrzeuge hin. Der Ruhe folgt das frische Leben. Man merkt, daß man sich der Hauptstadt nähert. Und welcher Hauptstadt! Sie ist ein Doppelgestirn und wenn auch ihre beiden Teile nicht Sterne erster Größe sind, so erstrahlt ihr Gesamtbild dennoch mit seltenem Glanz am ungarischen Firmament.

Die »Dorothea« hatte eine letzte bewaldete Insel umschifft und jetzt liegt zunächst Buda vor unseren Blicken da, während Pest erst später auftaucht; in diesen beiden Städten, die unzertrennbar sind, wie die siamesischen Schwestern, wollte ich vom 3. bis 6. Mai bleiben; doch war es wohl kaum eine Ruhestation zu nennen; ich wollte die Stadt ja gründlich kennen lernen, was eher große Ermüdung als Erholung zur Folge haben durfte.

Zwischen Buda und Pest, zwischen der türkischen und der magyarischen Stadt, gleiten fortwährend Flotillen kleiner Boote hin und her, kleine Galeoten, die längs der Ufer Handel treiben; sie sind mit einem Flaggenmast im vorderen Teile und einem mächtigen Steuerruder versehen, das sich durch eine außergewöhnlich lange Stange auszeichnet. Beide Ufer sind zu prächtigen Kais umgestaltet, deren lange Häuserreihen sich durch architektonische Schönheit auszeichnen und von zahlreichen Kirchturmspitzen überragt werden.

Buda, die Türkenstadt, liegt am rechten, Pest am linken Ufer und die Donau mit ihren vielen lieblichen Inseln, die im reichsten Grün prangen, bildet gleichsam die Sehne des Bogens, den die ungarische Stadt beschreibt. Nach dieser Seite breitet sich die Ebene aus, so daß die Stadt zu ihrer Entwicklung genügend Spielraum hatte, während sich hinter Buda eine Reihe von Hügeln aufbauen, welche von der Zitadelle gekrönt werden.

Aber die ehemalige Türkenstadt verwandelt sich langsam in eine ungarische, genauer gesagt, österreichische Stadt. Sie ist mehr militärisch veranlagt als handeltreibend und es fehlt ihr die Regsamkeit des geschäftlichen Lebens. Man erstaune nicht, wenn in den Straßen längs der Fußsteige Gras wächst. Die Bewohner sind größtenteils Soldaten. Man möchte behaupten, daß sie sich in einer im Belagerungszustand versetzten Stadt bewegen. Hie und da entrollt der Wind die stellenweise angebrachten seidenen Fahnen in den Nationalfarben und läßt sie aufflattern. Buda macht fast den Eindruck einer toten Stadt, während in dem gegenüberliegenden Pest das warme Leben pulsiert. Fast könnte man sagen, die Donau bilde hier die Scheidewand zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Buda kann sich aber außer dem Arsenal und mancher Kaserne mehrerer Paläste rühmen, die wohl des Ansehens wert sind. Ich habe mit einer gewissen Rührung seine alten Kirchen betrachtet, besonders die Kathedrale, die unter der Herrschaft der Osmanen in eine Moschee verwandelt wurde. Ich bin eine breite Straße entlang gewandert, deren Häuser nach orientalischem Muster erbaut und von Gittern umgeben waren. Ich bin in den Sälen des Rathauses gestanden, das von schwarz-gelb gestreiften Schranken eingeschlossen wird und ich habe ehrerbietig das Grab Gull-Babas betrachtet, zu dem die türkischen Pilger Wallfahrten unternehmen.

Es ging mir aber nicht anders wie den meisten fremden Besuchern: Pest nahm den Löwenanteil meiner Zeit in Anspruch, obwohl ich dies keinesfalls als verlorene Zeit bezeichnen kann; zwei Tage sind wahrhaftig kaum genügend, der herrlichen ungarischen Hauptstadt die gebührende Ehre zu erweisen.

Es ist jedem anzuraten, zuerst den im Süden Budas, am äußersten Ende des Vorortes Tarlan gelegenen Hügel zu erklimmen, um die Totalansicht der Schwesterstädte zu genießen. Man erblickt von hier die sich der Ufer entlang ziehenden Straßen von Pest, die schönen Plätze, die von öffentlichen und privaten Prachtbauten umgeben sind, welche dem besten architektonischen Geschmacke ihr Entstehen verdanken. So mancher Dom, mit reichen, goldenen Zieraten geschmückt, strebt mit seinen schlanken Türmen dem Himmel entgegen. Der Anblick der Stadt Pest ist überwältigend und nicht ohne Grund findet ihn so mancher großartiger als das Panorama, das Wien den Blicken darbietet.

Die umgebende Landschaft ist mit zahlreichen Villen geschmückt; hier nimmt das ausgedehnte Rakos-Feld seinen Anfang, auf dem in vergangenen Zeiten der ungarische Adel seine stürmischen Versammlungen abhielt.

Man darf auch nicht unterlassen, das Museum zu besuchen, die Gemälde und Skulpturen, die naturhistorischen Schätze, die prähistorischen Altertümer, die Inschriften, Münzen, die ethnographischen Sammlungen von großem Werte, die es enthält. Ferner muß man die Margarethen-Insel mit ihren Hainen und Wiesen, den Bädern, die von einer warmen Quelle gespeist werden, bewundern; der Volksgarten und das Stadtwäldchen sind gleichfalls sehenswert; letzteres zeichnet sich durch schattige Baumgruppen, Zelte und Spielplätze und einen kleinen Flußlauf aus, der von leichten Kähnen befahren werden kann; lebensfrohe Menschen tummeln sich in diesem Erholungsorte, zu Fuß und zu Pferde, und hier kann man den interessantesten Männer- und Frauentypen begegnen.

Am Vorabende meiner Abreise trat ich in einen der ersten Gasthöfe ein, um mich für einige Augenblicke auszuruhen. Das Lieblingsgetränk der Magyaren – weißer Wein, der mit einem eisenhaltigen Wasser vermengt wird – hatte mich angenehm erfrischt und ich war eben im Begriffe, meine Forschungsreise durch die Stadt wieder aufzunehmen, als mein Blick auf eine aufgeschlagen daliegende Zeitung fiel. Ich nahm sie gedankenlos zur Hand und plötzlich wurde meine Aufmerksamkeit von einer durch dicke, gotische Lettern in die Augen fallenden Überschrift gefesselt. »Otto Storitz' Gedächtnisfeier« – las ich zu meinem Erstaunen.

Das war doch der Name, welchen der Polizeileutnant erwähnt hatte, der Name des berühmten deutschen Alchimisten sowohl wie des abgewiesenen Freiers des Fräulein Myra Roderich. Jeder Zweifel war ausgeschlossen.

Ich las folgendes:

»In ungefähr zwanzig Tagen, am 25. Mai, wird in Spremberg Otto Storitz' Todestag feierlich begangen Man kann mit Bestimmtheit voraussagen, daß die Bevölkerung an diesem Tage auf dem Kirchhofe der Vaterstadt des berühmten Gelehrten in großer Zahl erscheinen wird.