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Mit dem Werkbeitrag aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. In Friedrich Schillers ›Wilhelm Tell‹ beginnt das Drama mit einer Lappalie: Als der berühmte Armbrustschütze Tell sich weigert, vor dem aufgepflockten Hut des Reichsvogts zu grüßen, wird er festgesetzt und dazu gezwungen, seine sagenhafte Treffsicherheit einer gefährlichen Probe zu unterziehen: Er muss einen Apfel vom Kopf seines Sohnes schießen. Der Apfelschuss Tells wird zum Symbol des Widerstandes gegen Tyrannenherrschaft. In dem letzten vor seinem Tod fertig gestellten Stück hält Schiller ein engagiertes Plädoyer für die Freiheit.
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Seitenzahl: 173
Friedrich Schiller
Schauspiel
Hermann Geßler, Reichsvogt in Schwyz und Uri
Werner, Freiherr von Attinghausen, Bannerherr
Ulrich von Rudenz, sein Neffe
Werner Stauffacher, aus Schwyz
Konrad Hunn, aus Schwyz
Itel Reding, aus Schwyz
Hans auf der Mauer, aus Schwyz
Jörg im Hofe, aus Schwyz
Ulrich der Schmied, aus Schwyz
Jost von Weiler, aus Schwyz
Walter Fürst, aus Uri
Wilhelm Tell, aus Uri
Rösselmann, der Pfarrer aus Uri
Petermann, der Sigrist aus Uri
Kuoni, der Hirte aus Uri
Werni, der Jäger aus Uri
Ruodi, der Fischer aus Uri
Arnold vom Melchthal, aus Unterwalden
Konrad Baumgarten, aus Unterwalden
Meier von Sarnen, aus Unterwalden
Struth von Winkelried, aus Unterwalden
Klaus von der Flüe, aus Unterwalden
Burkhardt am Bühel, aus Unterwalden
Arnold von Sewa, aus Unterwalden
Pfeiffer von Luzern
Kunz von Gersau
Jenni, Fischerknabe
Seppi, Hirtenknabe
Gertrud, Stauffachers Gattin
Hedwig, Tells Gattin, Fürsts Tochter
Berta von Bruneck, eine reiche Erbin
Armgard, ein Bäuerin
Mechthild, ein Bäuerin
Elsbet, ein Bäuerin
Hildegard, ein Bäuerin
Walter, Tells Knabe
Wilhelm, Tells Knabe
Frießhardt, ein Söldner
Leuthold, ein Söldner
Rudolf der Harras, Geßlers Stallmeister
Johannes Parricida, Herzog von Schwaben
Stüssi, der Flurschütz
Der Stier von Uri
Ein Reichsbote
Fronvogt
Meister Steinmetz, Gesellen und Handlanger
Öffentliche Ausrufer
Barmherzige Brüder
Geßlerische und Landenbergische Reiter
Viele Landleute, Männer und Weiber aus den Waldstätten
Hohes Felsenufer des Vierwaldstättensees, Schwyz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Über den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwyz im hellen Sonnenschein liegen. Zur Linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur Rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Herdenglocken, welches sich auch bei eröffneter Szene noch eine Zeitlang fortsetzt
FISCHERKNABE (singt im Kahn)
(Melodie des Kuhreihens)
Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
Da hört er ein Klingen,
Wie Flöten so süß,
Wie Stimmen der Engel
Im Paradies.
Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spülen die Wasser ihm um die Brust,
Und es ruft aus den Tiefen:
Lieb Knabe, bist mein!
Ich locke den Schläfer,
Ich zieh ihn herein.
HIRTE (auf dem Berge)
(Variation des Kuhreihens)
Ihr Matten lebt wohl!
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muss scheiden,
Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kuckuck ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen Mai.
Ihr Matten lebt wohl!
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muss scheiden,
Der Sommer ist hin.
ALPENJÄGER (erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen)
(Zweite Variation)
Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,
Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,
Er schreitet verwegen
Auf Feldern von Eis,
Da pranget kein Frühling,
Da grünet kein Reis;
Und unter den Füßen ein neblichtes Meer,
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,
Durch den Riss nur der Wolken
Erblickt er die Welt,
Tief unter den Wassern
Das grünende Feld.
(Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend)
(Ruodi der Fischer kommt aus der Hütte, Werni der Jäger steigt vom Felsen, Kuoni der Hirte kommt, mit dem Melknapf auf der Schulter. Seppi, sein Handbube, folgt ihm)
RUODI
Mach hurtig, Jenni. Zieh die Naue ein.
Der graue Talvogt kommt, dumpf brüllt der Firn,
Der Mythenstein zieht seine Haube an,
Und kalt her bläst es aus dem Wetterloch,
Der Sturm, ich mein, wird da sein, eh wirs denken.
KUONI
’s kommt Regen, Fährmann. Meine Schafe fressen
Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.
WERNI
Die Fische springen, und das Wasserhuhn
Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug.
KUONI (zum Buben)
Lug, Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.
SEPPI
Die braune Lisel kenn ich am Geläut.
KUONI
So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.
RUODI
Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.
WERNI
Und schmuckes Vieh – Ists Euer eignes, Landsmann?
KUONI
Bin nit so reich – ’s ist meines gnädgen Herrn,
Des Attinghäusers, und mir zugezählt.
RUODI
Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht.
KUONI
Das weiß sie auch, dass sie den Reihen führt,
Und nähm ich ihrs, sie hörte auf zu fressen.
RUODI
Ihr seid nicht klug! Ein unvernünftges Vieh –
WERNI
Ist bald gesagt. Das Tier hat auch Vernunft,
Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen,
Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,
’ne Vorhut aus, die spitzt das Ohr und warnet
Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.
RUODI (zum Hirten)
Treibt Ihr jetzt heim?
KUONI
Die Alp ist abgeweidet.
WERNI
Glückselge Heimkehr, Senn!
KUONI
Die wünsch ich Euch,
Von Eurer Fahrt kehrt sichs nicht immer wieder.
RUODI
Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.
WERNI
Ich kenn ihn, ’s ist der Baumgart von Alzellen.
(Konrad Baumgarten atemlos hereinstürzend)
BAUMGARTEN
Um Gottes willen, Fährmann, Euren Kahn!
RUODI
Nun, nun, was gibts so eilig?
BAUMGARTEN
Bindet los!
Ihr rettet mich vom Tode! Setzt mich über!
KUONI
Landsmann, was habt Ihr?
WERNI
Wer verfolgt Euch denn?
BAUMGARTEN (zum Fischer)
Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!
Des Landvogts Reiter kommen hinter mir,
Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.
RUODI
Warum verfolgen Euch die Reisigen?
BAUMGARTEN
Erst rettet mich, und dann steh ich Euch Rede.
WERNI
Ihr seid mit Blut befleckt, was hats gegeben?
BAUMGARTEN
Des Kaisers Burgvogt, der auf Rossberg saß –
KUONI
Der Wolfenschießen? Lässt Euch der verfolgen?
BAUMGARTEN
Der schadet nicht mehr, ich hab ihn erschlagen.
ALLE (fahren zurück)
Gott sei Euch gnädig! Was habt Ihr getan?
BAUMGARTEN
Was jeder freie Mann an meinem Platz!
Mein gutes Hausrecht hab ich ausgeübt
Am Schänder meiner Ehr und meines Weibes.
KUONI
Hat Euch der Burgvogt an der Ehr geschädigt?
BAUMGARTEN
Dass er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,
Hat Gott und meine gute Axt verhütet.
WERNI
Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?
KUONI
O, lass uns alles hören, Ihr habt Zeit,
Bis er den Kahn vom Ufer losgebunden.
BAUMGARTEN
Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt
Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.
»Der Burgvogt lieg in meinem Haus, er hab
Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.
Drauf hab er Ungebührliches von ihr
Verlangt, sie sei entsprungen, mich zu suchen.«
Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,
Und mit der Axt hab ich ihm’s Bad gesegnet.
WERNI
Ihr tatet wohl, kein Mensch kann Euch drum schelten.
KUONI
Der Wüterich! Der hat nun seinen Lohn!
Hats lang verdient ums Volk von Unterwalden.
BAUMGARTEN
Die Tat ward ruchbar, mir wird nachgesetzt –
Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –
(Es fängt an zu donnern)
KUONI
Frisch, Fährmann – schaff den Biedermann hinüber.
RUODI
Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist
Im Anzug. Ihr müsst warten.
BAUMGARTEN
Heilger Gott!
Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tötet –
KUONI (zum Fischer)
Greif an mit Gott, dem Nächsten muss man helfen,
Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.
(Brausen und Donnern)
RUODI
Der Föhn ist los, Ihr seht, wie hoch der See geht,
Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen.
BAUMGARTEN (umfasst seine Knie)
So helf Euch Gott, wie Ihr Euch mein erbarmet –
WERNI
Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann.
KUONI
’s ist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder!
(Wiederholte Donnerschläge)
RUODI
Was? Ich hab auch ein Leben zu verlieren,
Hab Weib und Kind daheim, wie er – Seht hin,
Wies brandet, wie es wogt und Wirbel zieht,
Und alle Wasser aufrührt in der Tiefe.
– Ich wollte gern den Biedermann erretten,
Doch es ist rein unmöglich, Ihr seht selbst.
BAUMGARTEN (noch auf den Knien)
So muss ich fallen in des Feindes Hand,
Das nahe Rettungsufer im Gesichte!
– Dort liegts! Ich kanns erreichen mit den Augen,
Hinüberdringen kann der Stimme Schall,
Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge,
Und muss hier liegen, hülflos, und verzagen!
KUONI
Seht, wer da kommt!
WERNI
Es ist der Tell aus Bürglen.
(Tell mit der Armbrust)
TELL
Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht?
KUONI
’s ist ein Alzeller Mann, er hat sein Ehr
Verteidigt, und den Wolfenschieß erschlagen,
Des Königs Burgvogt, der auf Rossberg saß –
Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen,
Er fleht den Schiffer um die Überfahrt,
Der fürcht’t sich vor dem Sturm und will nicht fahren.
RUODI
Da ist der Tell, er führt das Ruder auch,
Der soll mirs zeugen, ob die Fahrt zu wagen.
TELL
Wos not tut, Fährmann, lässt sich alles wagen.
(Heftige Donnerschläge, der See rauscht auf)
RUODI
Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?
Das täte keiner, der bei Sinnen ist.
TELL
Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt,
Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten.
RUODI
Vom sichern Port lässt sichs gemächlich raten,
Da ist der Kahn und dort der See! Versuchts!
TELL
Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen,
Versuch es, Fährmann!
HIRTEN UND JÄGER
Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!
RUODI
Und wärs mein Bruder und mein leiblich Kind,
Es kann nicht sein, ’s ist heut Simons und Judä,
Da rast der See und will sein Opfer haben.
TELL
Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft,
Die Stunde dringt, dem Mann muss Hülfe werden.
Sprich, Fährmann, willst du fahren?
RUODI
Nein, nicht ich!
TELL
In Gottes Namen denn! Gib her den Kahn,
Ich wills mit meiner schwachen Kraft versuchen.
KUONI
Ha, wackrer Tell!
WERNI
Das gleicht dem Weidgesellen!
BAUMGARTEN
Mein Retter seid Ihr und mein Engel, Tell!
TELL
Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich Euch,
Aus Sturmes Nöten muss ein andrer helfen.
Doch besser ists, Ihr fallt in Gottes Hand,
Als in der Menschen! (Zu dem Hirten)
Landsmann, tröstet Ihr
Mein Weib, wenn mir was Menschliches begegnet,
Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte.
(Er springt in den Kahn)
KUONI (zum Fischer)
Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich
Der Tell getraut, das konntet Ihr nicht wagen?
RUODI
Wohl bessre Männer tuns dem Tell nicht nach,
Es gibt nicht zwei, wie der ist, im Gebirge.
WERNI (ist auf den Fels gestiegen)
Er stößt schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer.
Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt!
KUONI (am Ufer)
Die Flut geht drüber weg – Ich sehs nicht mehr.
Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich
Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung.
SEPPI
Des Landvogts Reiter kommen angesprengt.
KUONI
Weiß Gott, sie sinds! das war Hülf in der Not.
(Ein Trupp Landenbergischer Reiter)
ERSTER REITER
Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.
ZWEITER
Des Wegs kam er, umsonst verhehlt ihr ihn.
KUONI UND RUODI
Wen meint ihr, Reiter?
ERSTER REITER (entdeckt den Nachen)
Ha, was seh ich! Teufel!
WERNI (oben)
Ists der im Nachen, den ihr sucht? – Reit zu!
Wenn ihr frisch beilegt, holt ihr ihn noch ein.
ZWEITER
Verwünscht! Er ist entwischt.
ERSTER (zum Hirten und Fischer)
Ihr habt ihm fortgeholfen,
Ihr sollt uns büßen – Fallt in ihre Herde!
Die Hütte reißet ein, brennt und schlagt nieder! (Eilen fort)
SEPPI (stürzt nach)
O meine Lämmer!
KUONI (folgt)
Weh mir! Meine Herde!
WERNI
Die Wütriche!
RUODI (ringt die Hände)
Gerechtigkeit des Himmels,
Wann wird der Retter kommen diesem Lande?
(Folgt ihnen)
Zu Steinen in Schwyz. Eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstraße, nächst der Brücke Werner Stauffacher, Pfeiffer von Luzern kommen im Gespräch
PFEIFFER
Ja, ja, Herr Stauffacher, wie ich Euch sagte.
Schwört nicht zu Östreich, wenn Ihrs könnt vermeiden.
Haltet fest am Reich und wacker wie bisher,
Gott schirme Euch bei Eurer alten Freiheit!
(Drückt ihm herzlich die Hand und will gehen)
STAUFFACHER
Bleibt doch, bis meine Wirtin kommt – Ihr seid
Mein Gast zu Schwyz, ich in Luzern der Eure.
PFEIFFER
Viel Dank! Muss heute Gersau noch erreichen.
– Was ihr auch Schweres mögt zu leiden haben
Von eurer Vögte Geiz und Übermut,
Tragts in Geduld! Es kann sich ändern, schnell,
Ein andrer Kaiser kann ans Reich gelangen.
Seid ihr erst Österreichs, seid ihrs auf immer.
(Er geht ab. Stauffacher setzt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihn Gertrud, seine Frau, die sich neben ihn stellt und ihn eine Zeitlang schweigend betrachtet)
GERTRUD
So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr.
Schon viele Tage seh ichs schweigend an,
Wie finstrer Trübsinn deine Stirne furcht.
Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten,
Vertrau es mir, ich bin dein treues Weib,
Und meine Hälfte fodr ich deines Grams.
(Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt)
Was kann dein Herz beklemmen, sag es mir.
Gesegnet ist dein Fleiß, dein Glücksstand blüht,
Voll sind die Scheunen, und der Rinder Scharen,
Der glatten Pferde wohlgenährte Zucht
Ist von den Bergen glücklich heimgebracht
Zur Winterung in den bequemen Ställen.
– Da steht dein Haus, reich, wie ein Edelsitz,
Von schönem Stammholz ist es neu gezimmert
Und nach dem Richtmaß ordentlich gefügt,
Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell,
Mit bunten Wappenschildern ists bemalt,
Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann
Verweilend liest und ihren Sinn bewundert.
STAUFFACHER
Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt,
Doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten.
GERTRUD
Mein Werner, sage, wie verstehst du das?
STAUFFACHER
Vor dieser Linde saß ich jüngst wie heut,
Das schön Vollbrachte freudig überdenkend,
Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg,
Der Vogt mit seinen Reisigen geritten.
Vor diesem Hause hielt er wundernd an,
Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig,
Wie sichs gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,
Der uns des Kaisers richterliche Macht
Vorstellt im Lande. Wessen ist dies Haus?
Fragt’ er bösmeinend, denn er wusst es wohl.
Doch schnell besonnen ich entgegn ihm so:
Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers,
Und Eures und mein Lehen – da versetzt er:
»Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt
Und will nicht, dass der Bauer Häuser baue
Auf seine eigne Hand, und also frei
Hinleb, als ob er Herr wär in dem Lande,
Ich werd mich unterstehn, Euch das zu wehren.«
Dies sagend ritt er trutziglich von dannen,
Ich aber blieb mit kummervoller Seele,
Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.
GERTRUD
Mein lieber Herr und Ehewirt! Magst du
Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen?
Des edeln Ibergs Tochter rühm ich mich,
Des vielerfahrnen Manns. Wir Schwestern saßen,
Die Wolle spinnend, in den langen Nächten,
Wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter
Versammelten, die Pergamente lasen
Der alten Kaiser, und des Landes Wohl
Bedachten in vernünftigem Gespräch.
Aufmerkend hört ich da manch kluges Wort,
Was der Verständge denkt, der Gute wünscht,
Und still im Herzen hab ich mirs bewahrt.
So höre denn und acht auf meine Rede,
Denn was dich presste, sieh, das wusst ich längst.
– Dir grollt der Landvogt, möchte gern dir schaden,
Denn du bist ihm ein Hindernis, dass sich
Der Schwyzer nicht dem neuen Fürstenhaus
Will unterwerfen, sondern treu und fest
Beim Reich beharren, wie die würdigen
Altvordern es gehalten und getan. –
Ists nicht so, Werner? Sag es, wenn ich lüge!
STAUFFACHER
So ists, das ist des Geßlers Groll auf mich.
GERTRUD
Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst,
Ein freier Mann auf deinem eignen Erb,
– Denn er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich
Trägst du dies Haus zu Lehn, du darfst es zeigen,
So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt,
Denn über dir erkennst du keinen Herrn
Als nur den Höchsten in der Christenheit –
Er ist ein jüngrer Sohn nur seines Hauses,
Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel,
Drum sieht er jedes Biedermannes Glück
Mit scheelen Augen giftger Missgunst an,
Dir hat er längst den Untergang geschworen –
Noch stehst du unversehrt – Willst du erwarten,
Bis er die böse Lust an dir gebüßt?
Der kluge Mann baut vor.
STAUFFACHER
Was ist zu tun!
GERTRUD (tritt näher)
So höre meinen Rat! Du weißt, wie hier
Zu Schwyz sich alle Redlichen beklagen
Ob dieses Landvogts Geiz und Wüterei.
So zweifle nicht, dass sie dort drüben auch
In Unterwalden und im Urner Land
Des Dranges müd sind und des harten Jochs –
Denn wie der Geßler hier, so schafft es frech
Der Landenberger drüben überm See –
Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber,
Der nicht ein neues Unheil und Gewalt
Beginnen von den Vögten uns verkündet.
Drum tat es gut, dass eurer etliche,
Die’s redlich meinen, still zu Rate gingen,
Wie man des Drucks sich möcht erledigen,
So acht ich wohl, Gott würd euch nicht verlassen
Und der gerechten Sache gnädig sein –
Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich,
Dem du dein Herz magst redlich offenbaren?
STAUFFACHER
Der wackern Männer kenn ich viele dort,
Und angesehen große Herrenleute,
Die mir geheim sind und gar wohl vertraut.
(Er steht auf)
Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken
Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes
Kehrst du ans Licht des Tages mir entgegen,
Und was ich mir zu denken still verbot,
Du sprichsts mit leichter Zunge kecklich aus.
– Hast du auch wohl bedacht, was du mir rätst?
Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen
Rufst du in dieses friedgewohnte Tal –
Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten,
In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt?
Der gute Schein nur ists, worauf sie warten,
Um loszulassen auf dies arme Land
Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,
Darin zu schalten mit des Siegers Rechten
Und unterm Schein gerechter Züchtigung
Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen.
GERTRUD
Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt
Zu führen, und dem Mutigen hilft Gott!
STAUFFACHER
O Weib! Ein furchtbar wütend Schrecknis ist
Der Krieg, die Herde schlägt er und den Hirten.
GERTRUD
Ertragen muss man, was der Himmel sendet,
Unbilliges erträgt kein edles Herz.
STAUFFACHER
Dies Haus erfreut dich, das wir neu erbauten.
Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.
GERTRUD
Wüsst ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt,
Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.
STAUFFACHER
Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg
Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.
GERTRUD
Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!
– Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich.
STAUFFACHER
Wir Männer können tapfer fechtend sterben,
Welch Schicksal aber wird das eure sein?
GERTRUD
Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,
Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.
STAUFFACHER (stürzt in ihre Arme)
Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt,
Der kann für Herd und Hof mit Freuden fechten,
Und keines Königs Heermacht fürchtet er –
Nach Uri fahr ich stehnden Fußes gleich,
Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walter Fürst,
Der über diese Zeiten denkt wie ich.
Auch find ich dort den edeln Bannerherrn
Von Attinghaus – obgleich von hohem Stamm
Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten.
Mit ihnen beiden pfleg ich Rats, wie man
Der Landesfeinde mutig sich erwehrt –
Leb wohl – und weil ich fern bin, führe du
Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses –
Dem Pilger, der zum Gotteshause wallt,
Dem frommen Mönch, der für sein Kloster sammelt,
Gib reichlich und entlass ihn wohl gepflegt.
Stauffachers Haus verbirgt sich nicht. Zu äußerst
Am offnen Heerweg stehts, ein wirtlich Dach
Für alle Wandrer, die des Weges fahren.
(Indem sie nach dem Hintergrunde abgehen, tritt Wilhelm Tell mit Baumgarten vorn auf die Szene)
TELL (zu Baumgarten)
Ihr habt jetzt meiner weiter nicht vonnöten,
Zu jenem Hause gehet ein, dort wohnt
Der Stauffacher, ein Vater der Bedrängten.
– Doch sieh, da ist er selber – Folgt mir, kommt!
(Gehen auf ihn zu, die Szene verwandelt sich)
Öffentlicher Platz bei Altorf
Auf einer Anhöhe im Hintergrund sieht man eine Feste bauen, welche schon so weit gediehen, dass sich die Form des Ganzen darstellt. Die hintere Seite ist fertig, an der vordern wird eben gebaut, das Gerüste steht noch, an welchem die Werkleute auf und nieder steigen, auf dem höchsten Dach hängt der Schieferdecker – alles ist in Bewegung und Arbeit.
Fronvogt. Meister Steinmetz. Gesellen und Handlanger
FRONVOGT (mit dem Stabe, treibt die Arbeiter)
Nicht lang gefeiert, frisch! Die Mauersteine
Herbei, den Kalk, den Mörtel zugefahren!
Wenn der Herr Landvogt kommt, dass er das Werk
Gewachsen sieht – Das schlendert wie die Schnecken.
(Zu zwei Handlangern, welche tragen)
Heißt das geladen? Gleich das Doppelte!
Wie die Tagdiebe ihre Pflicht bestehlen!
ERSTER GESELL
Das ist doch hart, dass wir die Steine selbst
Zu unserm Twing und Kerker sollen fahren!
FRONVOGT
Was murret ihr? Das ist ein schlechtes Volk,
Zu nichts anstellig als das Vieh zu melken,
Und faul herumzuschlendern auf den Bergen.
ALTER MANN (ruht aus)
Ich kann nicht mehr.
FRONVOGT (schüttelt ihn)
Frisch, Alter, an die Arbeit!
ERSTER GESELL
Habt ihr denn gar kein Eingeweid, dass Ihr
Den Greis, der kaum sich selber schleppen kann,