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Schillers Drama "Wilhelm Tell" wurde am 17. März 1804 uraufgeführt und erschien im Oktober desselben Jahres als Buch. Es war nicht der erste literarische Text, der den Schweizer Freiheitshelden Tell zur Hauptfigur erkor. Doch er blieb der wirkungsmächtigste: Das Stück wird bis heute aufgeführt und in Schule und Hochschule gelesen. Die kritische Studienausgabe bietet den Wortlaut der Erstausgabe mit editorischen Erklärungen und stellt mit einem Kommentar, mit Zeugnissen zur Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte sowie mit einem umfangreichen Nachwort alles Notwendige zur Verfügung, um der Besonderheit des Wilhelm Tell nachgehen zu können. E-Book mit Seitenzählung der gedruckten Ausgabe: Buch und E-Book können parallel benutzt werden.
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Seitenzahl: 382
Friedrich Schiller
SchauspielStudienausgabe
Reclam
2022 Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Covergestaltung: Cornelia Feyll, Friedrich Forssman
Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen
Made in Germany 2022
RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
ISBN978-3-15-962021-3
ISBN der Buchausgabe 978-3-15-014213-4
www.reclam.de
Wilhelm Tell
Kapitel
Personen
Erster Aufzug
Zweiter Aufzug
Dritter Aufzug
Vierter Aufzug
Fünfter Aufzug
Anhang
1 Zu dieser Ausgabe
2 Anmerkungen
3 Zur Entstehungsgeschichte
4 Zur Rezeptionsgeschichte
5 Tell-Stoff
6 Literaturhinweise
7 Nachwort
Schauspiel
HERRMANN GESSLER, Reichsvogt in Schwytz und Uri
WERNER, FREIHERR VON ATTINGHAUSEN, Bannerherr
ULRICH VON RUDENZ, sein Neffe
Landleute aus Schwytz:
WERNER STAUFFACHER
KONRAD HUNN
ITEL REDING
HANS AUF DER MAUER
JÖRG IM HOFE
ULRICH DER SCHMIDT
JOST VON WEILER
aus Uri:
WALTHER FÜRST
WILHELM TELL
RÖSSELMANN der Pfarrer
PETERMANN der Sigrist
KUONI der Hirte
WERNI der Jäger
RUODI der Fischer
aus Unterwalden:
ARNOLD VOM MELCHTHAL
KONRAD BAUMGARTEN
MEIER VON SARNEN
STRUTH VON WINKELRIED
KLAUS VON DER FLÜE
BURKHARDT AM BÜHEL
ARNOLD VON SEWA
PFEIFERvon LUCERN
KUNZ von GERSAU
JENNY Fischerknabe
SEPPI Hirtenknabe
GERTRUD Stauffachers Gattinn
[10]HEDWIG Tells Gattinn, Fürsts Tochter
BERTHA VON BRUNEK eine reiche Erbin
Bäuerinnen:
ARMGARD
MECHTHILD
ELSBETH
HILDEGARD
Tells Knaben:
WALTHER
WILHELM
Söldner:
FRIESSHARDT
LEUTHOLD
RUDOLPH DER HARRAS Geßlers Stallmeister
JOHANNES PARRICIDA Herzog von Schwaben
STÜSSI der Flurschütz
DER STIER VON URI
EIN REICHSBOTE
FROHNVOGT
MEISTER STEINMETZ, GESELLEN UND HANDLANGER
OEFFENTLICHE AUSRUFER
BARMHERZIGE BRÜDER
GESSLERISCHE UND LANDENBERGISCHE REITER
VIELE LANDLEUTE, MÄNNER UND WEIBER AUS DEN WALDSTÄTTEN.
Hohes Felsenuferdes Vierwaldstättensees, Schwytz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Ueber den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwytz im hellen Sonnenschein liegen. Zur linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen desHaken, mit Wolken umgeben; zur rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man denKuhreihenund das harmonische Geläut der Heerdenglocken, welches sich auch bei eröfneter Scene noch eine Zeitlang fortsezt.
FISCHERKNABE
singt im Kahn
(Melodie des Kuhreihens)
Es lächelt der See, er ladet zum Bade,
Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,
Da hört er ein Klingen,
Wie Flöten so süß,
Wie Stimmen der Engel5
Im Paradieß.
Und wie er erwachet in seliger Lust,
Da spühlen die Wasser ihm um die Brust,
Und es ruft aus den Tiefen:
Lieb Knabe, bist mein!10
Ich locke den Schläfer,
Ich zieh ihn herein.
[12]HIRTE
auf dem Berge
(Variation des Kuhreihens)
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muß scheiden,15
Der Sommer ist hin.
Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,
Wenn der Kukuk ruft, wenn erwachen die Lieder,
Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,
Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen May.20
Ihr Matten lebt wohl,
Ihr sonnigen Weiden!
Der Senne muß scheiden,
Der Sommer ist hin.
ALPENJÄGER
erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen
(Zweite Variation)
Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,25
Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,
Er schreitet verwegen
Auf Feldern von Eis,
Da pranget kein Frühling,
Da grünet kein Reis;30
Und unter den Füssen ein neblichtes Meer,
Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,
Durch den Riß nur der Wolken
Erblickt er die Welt,
Tief unter den Wassern35
Das grünende Feld.
Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend.
[13]RUODI DER FISCHERkommt aus der Hütte,WERNI DER JÄGERsteigt vom Felsen,KUONI DER HIRTEkommt, mit dem Melknapf auf der Schulter.SEPPIsein Handbube, folgt ihm.
RUODI
Mach hurtig Jenny. Zieh die Naue ein.
Der graue Thalvogt kommt, dumpf brüllt der Firn,
Der Mytenstein zieht seine Haube an,
Und kalt her bläßt es aus dem Wetterloch,40
Der Sturm, ich meyn’, wird da seyn, eh’ wirs denken.
KUONI
’s kommt Regen, Fährmann. Meine Schaafe fressen
Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.
WERNI
Die Fische springen, und das Wasserhuhn
Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug. 45
KUONI
zum Buben
Lug’ Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.
SEPPI
Die braune Lisel kenn ich am Geläut.
KUONI
So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.
RUODI
Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.
WERNI
Und schmuckes Vieh – Ists euer eignes, Landsmann?50
KUONI
Bin nit so reich – ’s ist meines gnäd’gen Herrn,
Des Attinghäusers, und mir zugezählt.
[14]RUODI
Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht!
KUONI
Das weiß sie auch, daß sie den Reihen führt,
Und nähm ich ihr’s, sie hörte auf zu fressen.55
RUODI
Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft’ges Vieh –
WERNI
Ist bald gesagt. Das Thier hat auch Vernunft,
Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen,
Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,
’ne Vorhut aus, die spizt das Ohr und warnet60
Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.
RUODI
zum Hirten
Treibt ihr jetzt heim?
KUONI
Die Alp ist abgeweidet.
WERNI
Glücksel’ge Heimkehr, Senn!
KUONI
Die wünsch ich Euch,
Von eurer Fahrt kehrt sich’s nicht immer wieder.
RUODI
Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.65
WERNI
Ich kenn’ ihn, ’s ist der Baumgart von Alzellen.
KONRAD BAUMGARTENathemlos hereinstürzend
BAUMGARTEN
Um Gottes willen, Fährmann, euren Kahn!
RUODI
Nun, nun, was giebts so eilig?
[15]BAUMGARTEN
Bindet los!
Ihr rettet mich vom Tode! Sezt mich über!
KUONI
Landsmann, was habt ihr?70
WERNI
Wer verfolgt euch denn?
BAUMGARTEN
zum Fischer
Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!
Des Landvogts Reiter kommen hinter mir,
Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.
RUODI
Warum verfolgen euch die Reisigen?
BAUMGARTEN
Erst rettet mich, und dann steh ich euch Rede.75
WERNI
Ihr seid mit Blut befleckt, was hat’s gegeben?
BAUMGARTEN
Des Kaisers Burgvogt, der auf Roßberg saß –
KUONI
Der Wolfenschießen! Läßt euch der verfolgen?
BAUMGARTEN
Der schadet nicht mehr, ich hab’ ihn erschlagen.
ALLEfahren zurück
Gott sey euch gnädig! Was habt ihr gethan?80
BAUMGARTEN
Was jeder freie Mann an meinem Platz!
Mein gutes Hausrecht hab’ ich ausgeübt
Am Schänder meiner Ehr’ und meines Weibes.
KUONI
Hat euch der Burgvogt an der Ehr’ geschädigt?
[16]BAUMGARTEN
Daß er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,85
Hat Gott und meine gute Axt verhütet.
WERNI
Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?
KUONI
O laßt uns alles hören, ihr habt Zeit,
Bis er den Kahn vom Ufer los gebunden.
BAUMGARTEN
Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt90
Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes.
»Der Burgvogt lieg’ in meinem Haus, er hab’
Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.
Drauf hab’ er Ungebührliches von ihr
Verlangt, sie sey entsprungen mich zu suchen.«95
Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,
Und mit der Axt hab’ ich ihm ’s Bad gesegnet.
WERNI
Ihr thatet wohl, kein Mensch kann euch drum schelten.
KUONI
Der Wütherich! Der hat nun seinen Lohn!
Hat’s lang verdient ums Volk von Unterwalden.100
BAUMGARTEN
Die That ward ruchtbar, mir wird nachgesezt –
Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –
es fängt an zu donnern
KUONI
Frisch Fährmann – Schaff den Biedermann hinüber.
RUODI
Geht nicht. Ein schweres Ungewitter ist
Im Anzug. Ihr müßt warten.105
[17]BAUMGARTEN
Heilger Gott!
Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tödet –
KUONI
zum Fischer
Greif an mit Gott, dem Nächsten muß man helfen,
Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.
Brausen und Donnern
RUODI
Der Föhn ist los, ihr seht wie hoch der See geht,
Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen.110
BAUMGARTEN
umfaßt seine Knie
So helf euch Gott, wie ihr euch mein erbarmet –
WERNI
Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann.
KUONI
’s ist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder!
wiederholte Donnerschläge
RUODI
Was? Ich hab’ auch ein Leben zu verlieren,
Hab’ Weib und Kind daheim, wie er – Seht hin115
Wie’s brandet, wie es wogt und Wirbel zieht,
Und alle Wasser aufrührt in der Tiefe.
– Ich wollte gern den Biedermann erretten,
Doch es ist rein unmöglich, ihr seht selbst.
BAUMGARTEN
noch auf den Knien
So muß ich fallen in des Feindes Hand,120
Das nahe Rettungsufer im Gesichte!
– Dort liegt’s! Ich kann’s erreichen mit den Augen,
Hinüberdringen kann der Stimme Schall,
Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge,
Und muß hier liegen, hülflos, und verzagen!125
[18]KUONI
Seht wer da kommt!
WERNI
Es ist der Tell aus Bürglen.
TELLmit der Armbrust.
TELL
Wer ist der Mann, der hier um Hülfe fleht?
KUONI
’s ist ein Alzeller Mann, er hat sein’ Ehr
Vertheidigt, und den Wolfenschieß erschlagen,
Des Königs Burgvogt, der auf Roßberg saß –130
Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen,
Er fleht den Schiffer um die Ueberfahrt,
Der fürcht’t sich vor dem Sturm und will nicht fahren.
RUODI
Da ist der Tell, er führt das Ruder auch,
Der soll mirs zeugen, ob die Fahrt zu wagen.135
TELL
Wo’s Noth thut, Fährmann, läßt sich alles wagen.
heftige Donnerschläge, der See rauscht auf
RUODI
Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?
Das thäte keiner, der bei Sinnen ist.
TELL
Der brave Mann denkt an sich selbst zulezt,
Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten. 140
RUODI
Vom sichern Port läßt sich’s gemächlich rathen,
Da ist der Kahn und dort der See! Versuchts!
TELL
Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen,
Versuch es Fährmann!
[19]HIRTEN UND JÄGER
Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!
RUODI
Und wär’s mein Bruder und mein leiblich Kind,145
Es kann nicht seyn, ’s ist heut Simons und Judä,
Da ras’t der See und will sein Opfer haben.
TELL
Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft,
Die Stunde dringt, dem Mann muß Hülfe werden.
Sprich, Fährmann, willst du fahren?150
RUODI
Nein, nicht ich!
TELL
In Gottes Nahmen denn! Gieb her den Kahn,
Ich wills mit meiner schwachen Kraft versuchen.
KUONI
Ha wackrer Tell!
WERNI
Das gleicht dem Waidgesellen!
BAUMGARTEN
Mein Retter seid ihr und mein Engel, Tell!
TELL
Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich euch,155
Aus Sturmes Nöthen muß ein Andrer helfen.
Doch besser ist’s, ihr fallt in Gottes Hand,
Als in der Menschen!
zu dem Hirten
Landsmann, tröstet ihr
Mein Weib, wenn mir was menschliches begegnet,
Ich hab’ gethan, was ich nicht lassen konnte. 160
er springt in den Kahn
[20]KUONIzum Fischer
Ihr seid ein Meister Steuermann. Was sich
Der Tell getraut, das konntet ihr nicht wagen?
RUODI
Wohl beßre Männer thuns dem Tell nicht nach,
Es giebt nicht zwey, wie der ist, im Gebirge.
WERNI
ist auf den Fels gestiegen
Er stößt schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer!165
Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt!
KUONI
am Ufer
Die Flut geht drüber weg – Ich seh’s nicht mehr.
Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich
Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung.
SEPPI
Des Landvogts Reiter kommen angesprengt.170
KUONI
Weiß Gott, sie sinds! das war Hülf in der Noth.
Ein Trupp Landenbergischer Reiter.
ERSTER REITER
Den Mörder gebt heraus, den ihr verborgen.
ZWEITER
Des Wegs kam er, umsonst verhehlt ihr ihn.
KUONI UND RUODI
Wen meint ihr, Reiter?
ERSTER REITER
entdeckt den Nachen
Ha, was seh ich! Teufel!
WERNI
oben
Ist’s der im Nachen, den ihr sucht? – Reit zu!175
Wenn ihr frisch beilegt, hohlt ihr ihn noch ein.
ZWEITER
Verwünscht! Er ist entwischt.
[21]ERSTER
zum Hirten und Fischer
Ihr habt ihm fortgeholfen,
Ihr sollt uns büßen – Fallt in ihre Heerde!
Die Hütte reißet ein, brennt und schlagt nieder!
eilen fort.
SEPPI
stürzt nach
O meine Lämmer!180
KUONI
folgt
Weh mir! Meine Heerde!
WERNI
Die Wüthriche!
RUODI
ringt die Hände
Gerechtigkeit des Himmels,
Wann wird der Retter kommen diesem Lande?
folgt ihnen.
Zu Steinen in Schwytz. Eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstraße, nächst der Brücke.
WERNER STAUFFACHER. PFEIFFER VON LUZERNkommen im Gespräch.
PFEIFFER
Ja, ja Herr Stauffacher, wie ich euch sagte.
Schwört nicht zu Oestreich, wenn ihrs könnt vermeiden.
Haltet fest am Reich und wacker wie bisher,185
Gott schirme euch bei eurer alten Freiheit!
drückt ihm herzlich die Hand und will gehen
[22]STAUFFACHER
Bleibt doch, bis meine Wirthin kommt – Ihr seid
Mein Gast zu Schwytz, ich in Lucern der Eure.
PFEIFFER
Viel Dank! Muß heute Gersau noch erreichen.
– Was ihr auch schweres mögt zu leiden haben190
Von eurer Vögte Geiz und Uebermuth,
Tragt’s in Geduld! Es kann sich ändern, schnell,
Ein andrer Kaiser kann an’s Reich gelangen.
Seid ihr erst Oesterreichs, seid ihrs auf immer.
er geht ab. Stauffacher sezt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihnGERTRUD, seine Frau, die sich neben ihn stellt, und ihn eine Zeitlang schweigend betrachtet.
GERTRUD
So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr.195
Schon viele Tage seh’ ich’s schweigend an,
Wie finstrer Trübsinn deine Stirne furch’t.
Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten,
Vertrau es mir, ich bin dein treues Weib,
Und meine Hälfte fodr’ ich deines Grams.200
Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt.
Was kann dein Herz beklemmen, sag es mir.
Gesegnet ist dein Fleiß, dein Glücksstand blüht,
Voll sind die Scheunen, und der Rinder Schaaren,
Der glatten Pferde wohl genährte Zucht
Ist von den Bergen glücklich heimgebracht205
Zur Winterung in den bequemen Ställen.
– Da steht dein Haus, reich, wie ein Edelsitz,
Von schönem Stammholz ist es neu gezimmert
Und nach dem Richtmaaß ordentlich gefügt,
[23]Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell,210
Mit bunten Wappenschildern ist’s bemahlt,
Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann
Verweilend liest und ihren Sinn bewundert.
STAUFFACHER
Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt,
Doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten.215
GERTRUD
Mein Werner sage, wie verstehst du das?
STAUFFACHER
Vor dieser Linde saß ich jüngst wie heut,
Das schön vollbrachte freudig überdenkend,
Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg,
Der Vogt mit seinen Reisigen geritten.220
Vor diesem Hause hielt er wundernd an,
Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig
Wie sich’s gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,
Der uns des Kaisers richterliche Macht
Vorstellt im Lande. Wessen ist dieß Haus?225
Fragt’ er bösmeinend, denn er wußt es wohl.
Doch schnell besonnen ich entgegn’ ihm so:
Dieß Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers,
Und Eures und mein Lehen – da versezt er:
»Ich bin Regent im Land an Kaisers Statt,230
Und will nicht, daß der Bauer Häuser baue
Auf seine eigne Hand, und also frey
Hinleb’, als ob er Herr wär in dem Lande,
Ich werd’ mich unterstehn, euch das zu wehren.«
Dieß sagend ritt er trutziglich von dannen,235
Ich aber blieb mit kummervoller Seele,
Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.
[24]GERTRUD
Mein lieber Herr und Ehewirth! Magst du
Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen?
Des edeln Ibergs Tochter rühm ich mich,240
Des viel erfahrnen Mann’s. Wir Schwestern saßen,
Die Wolle spinnend, in den langen Nächten,
Wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter
Versammelten, die Pergamente lasen
Der alten Kaiser, und des Landes Wohl245
Bedachten in vernünftigem Gespräch.
Aufmerkend hört’ ich da manch kluges Wort,
Was der Verständge denkt, der Gute wünscht,
Und still im Herzen hab ich mirs bewahrt.
So höre denn und acht’ auf meine Rede,250
Denn was dich preßte, sieh das wußt ich längst.
– Dir grollt der Landvogt, möchte gern dir schaden,
Denn du bist ihm ein Hinderniß, daß sich
Der Schwytzer nicht dem neuen Fürstenhaus
Will unterwerfen, sondern treu und fest255
Beim Reich beharren, wie die würdigen
Altvordern es gehalten und gethan. –
Ists nicht so Werner? Sag es, wenn ich lüge!
STAUFFACHER
So ist’s, das ist des Geßlers Groll auf mich.
GERTRUD
Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst,260
Ein freier Mann auf deinem eignen Erb
– Denn Er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich
Trägst du dieß Haus zu Lehn, du darfst es zeigen,
So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt,
Denn über dir erkennst du keinen Herrn265
Als nur den Höchsten in der Christenheit –
[25]Er ist ein jüngrer Sohn nur seines Hauses,
Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel,
Drum sieht er jedes Biedermannes Glück
Mit scheelen Augen gift’ger Mißgunst an,270
Dir hat er längst den Untergang geschworen –
Noch stehst du unversehrt – Willst du erwarten,
Bis er die böse Lust an dir gebüßt?
Der kluge Mann baut vor.
STAUFFACHER
Was ist zu thun!
GERTRUD
tritt näher
So höre meinen Rath! Du weist, wie hier275
Zu Schwytz sich alle Redlichen beklagen
Ob dieses Landvogts Geiz und Wütherei.
So zweifle nicht, daß sie dort drüben auch
In Unterwalden und im Urner Land
Des Dranges müd sind und des harten Jochs –280
Denn wie der Geßler hier, so schafft es frech
Der Landenberger drüben überm See –
Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber,
Der nicht ein neues Unheil und Gewalt-
Beginnen von den Vögten uns verkündet.285
Drum thät es gut, daß eurer etliche,
Die’s redlich meinen, still zu Rathe giengen,
Wie man des Drucks sich möcht’ erledigen,
So acht ich wohl, Gott würd’ euch nicht verlassen,
Und der gerechten Sache gnädig seyn –290
Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich,
Dem du dein Herz magst redlich offenbaren?
STAUFFACHER
Der wackern Männer kenn’ ich viele dort,
Und angesehen große Herrenleute,
[26]Die mir geheim sind und gar wohl vertraut.295
er steht auf
Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken
Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes
Kehrst du an’s Licht des Tages mir entgegen,
Und was ich mir zu denken still verbot,
Du sprichsts mit leichter Zunge kecklich aus.300
– Hast du auch wohl bedacht, was du mir räthst?
Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen
Rufst du in dieses friedgewohnte Thal –
Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten,
In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt?305
Der gute Schein nur ist’s, worauf sie warten,
Um loszulassen auf dieß arme Land
Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,
Darinn zu schalten mit des Siegers Rechten,
Und unter’m Schein gerechter Züchtigung310
Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen.
GERTRUD
Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt
Zu führen, und dem Muthigen hilft Gott!
STAUFFACHER
O Weib! Ein furchtbar wüthend Schreckniß ist
Der Krieg, die Heerde schlägt er und den Hirten.315
GERTRUD
Ertragen muß man, was der Himmel sendet,
Unbilliges erträgt kein edles Herz.
STAUFFACHER
Dieß Haus erfreut dich, das wir neu erbauten.
Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.
[27]GERTRUD
Wüßt’ ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt,320
Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.
STAUFFACHER
Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg
Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.
GERTRUD
Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!
– Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich.325
STAUFFACHER
Wir Männer können tapfer fechtend sterben,
Welch Schicksal aber wird das Eure seyn?
GERTRUD
Die lezte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,
Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.
STAUFFACHER
stürzt in ihre Arme
Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt,330
Der kann für Heerd und Hof mit Freuden fechten,
Und keines Königs Heermacht fürchtet er –
Nach Uri fahr’ ich stehnden Fußes gleich,
Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walther Fürst,
Der über diese Zeiten denkt wie ich.335
Auch find’ ich dort den edeln Bannerherrn
Von Attinghaus – obgleich von hohem Stamm
Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten.
Mit ihnen beiden pfleg’ ich Raths, wie man
Der Landesfeinde muthig sich erwehrt –340
Leb wohl – und weil ich fern bin, führe du
Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses –
Dem Pilger, der zum Gotteshause wallt,
Dem frommen Mönch, der für sein Kloster sammelt,
[28]Gieb reichlich und entlaß ihn wohl gepflegt.345
Stauffachers Haus verbirgt sich nicht. Zu äuserst
Am ofnen Heerweg steht’s, ein wirthlich Dach
Für alle Wandrer, die des Weges fahren.
indem sie nach dem Hintergrund abgehen, tritt Wilhelm Tell mit Baumgarten vorn auf die Scene
TELL
zu Baumgarten
Ihr habt jezt Meiner weiter nicht vonnöthen,
Zu jenem Hause gehet ein, dort wohnt350
Der Stauffacher, ein Vater der Bedrängten.
– Doch sieh, da ist er selber – Folgt mir, kommt!
gehen auf ihn zu, die Scene verwandelt sich.
Oeffentlicher Platz beiAltdorf. Auf einer Anhöhe im Hintergrund sieht man eineVestebauen, welche schon so weit gediehen, daß sich die Form des Ganzen darstellt. Die hintere Seite ist fertig, an der vordern wird eben gebaut, das Gerüste steht noch, an welchem die Werkleute auf und nieder steigen, auf dem höchsten Dach hängt der Schieferdecker – Alles ist in Bewegung und Arbeit.
FROHNVOGT. MEISTER STEINMETZ.
GESELLEN UND HANDLANGER.
FROHNVOGT
mit dem Stabe, treibt die Arbeiter
Nicht lang gefeiert, frisch! Die Mauersteine
Herbei, den Kalk, den Mörtel zugefahren!
Wenn der Herr Landvogt kommt, daß er das Werk355
[29]Gewachsen sieht – Das schlendert wie die Schnecken.
zu zwey Handlangern, welche tragen
Heißt das geladen? Gleich das Doppelte!
Wie die Tagdiebe ihre Pflicht bestehlen!
ERSTER GESELL
Das ist doch hart, daß wir die Steine selbst
Zu unserm Twing und Kerker sollen fahren!360
FROHNVOGT
Was murret ihr? Das ist ein schlechtes Volk,
Zu nichts anstellig als das Vieh zu melken,
Und faul herum zu schlendern auf den Bergen.
ALTER MANN
ruht aus
Ich kann nicht mehr.
FROHNVOGT
schüttelt ihn
Frisch Alter an die Arbeit!
ERSTER GESELL
Habt ihr denn gar kein Eingeweid’, daß ihr365
Den Greis, der kaum sich selber schleppen kann,
Zum harten Frohndienst treibt?
MEISTER STEINMETZ UND GESELLEN
’s ist himmelschreiend!
FROHNVOGT
Sorgt ihr für euch, ich thu’ was meines Amts.
ZWEITER GESELL
Frohnvogt, wie wird die Veste denn sich nennen,
Die wir da bau’n?370
FROHNVOGT
Zwing Uri soll sie heißen,
Denn unter dieses Joch wird man euch beugen.
GESELLEN
Zwing Uri!
[30]FROHNVOGT
Nun was giebt’s dabei zu lachen?
ZWEITER GESELL
Mit diesem Häuslein wollt ihr Uri zwingen?
ERSTER GESELL
Laß seh’n, wie viel man solcher Maulwurfshaufen
Muß über ’nander setzen, bis ein Berg375
Draus wird, wie der geringste nur in Uri!
Frohnvogt geht nach dem Hintergrund
MEISTER STEINMETZ
Den Hammer werf’ ich in den tiefsten See,
Der mir gedient bei diesem Fluchgebäude!
TELL UND STAUFFACHERkommen
STAUFFACHER
O hätt’ ich nie gelebt, um das zu schauen!
TELL
Hier ist nicht gut seyn. Laßt uns weiter geh’n.380
STAUFFACHER
Bin ich zu Uri in der Freiheit Land?
MEISTER STEINMETZ
O Herr, wenn ihr die Keller erst geseh’n
Unter den Thürmen! Ja wer die bewohnt,
Der wird den Hahn nicht fürder krähen hören!
STAUFFACHER
O Gott!385
STEINMETZ
Seht diese Flanken, diese Strebepfeiler,
Die steh’n, wie für die Ewigkeit gebaut!
TELL
Was Hände bauten, können Hände stürzen.
nach den Bergen zeigend
[31]Das Haus der Freiheit hat uns Gott gegründet.
Man hört eine Trommel, es kommen Leute, die einen Hut auf einer Stange tragen, ein Ausrufer folgt ihnen, Weiber und Kinder dringen tumultuarisch nach.
ERSTER GESELL
Was will die Trommel? Gebet acht!
MEISTER STEINMETZ
Was für
Ein Faßnachtsaufzug und was soll der Hut?390
AUSRUFER
In des Kaisers Nahmen! Höret!
GESELLEN
Still doch! Höret!
AUSRUFER
Ihr sehet diesen Hut, Männer von Uri!
Aufrichten wird man ihn auf hoher Säule,
Mitten in Altdorf, an dem höchsten Ort,
Und dieses ist des Landvogts Will und Meinung:395
Dem Hut soll gleiche Ehre wie ihm selbst geschehn,
Man soll ihn mit gebognem Knie und mit
Entblößtem Haupt verehren – Daran will
Der König die Gehorsamen erkennen.
Verfallen ist mit seinem Leib und Gut400
Dem Könige, wer das Gebot verachtet.
das Volk lacht laut auf, die Trommel wird gerührt, sie gehen vorüber.
ERSTER GESELL
Welch’ neues unerhörtes hat der Vogt
Sich ausgesonnen! Wir ’nen Hut verehren!
Sagt! Hat man je vernommen von dergleichen?
[32]MEISTER STEINMETZ
Wir unsre Kniee beugen einem Hut!405
Treibt er sein Spiel mit ernsthaft würd’gen Leuten?
ERSTER GESELL
Wär’s noch die kaiserliche Kron’! So ist’s
Der Hut von Oesterreich, ich sah ihn hangen
Ueber dem Thron, wo man die Lehen giebt!
MEISTER STEINMETZ
Der Hut von Oesterreich! Gebt acht, es ist410
Ein Fallstrick, uns an Oestreich zu verrathen!
GESELLEN
Kein Ehrenmann wird sich der Schmach bequemen.
MEISTER STEINMETZ
Kommt, laßt uns mit den andern Abred’ nehmen.
sie gehen nach der Tiefe
TELL
zum Stauffacher
Ihr wisset nun Bescheid. Lebt wohl, Herr Werner!
STAUFFACHER
Wo wollt ihr hin? O eilt nicht so von dannen.415
TELL
Mein Haus entbehrt des Vaters. Lebet wohl.
STAUFFACHER
Mir ist das Herz so voll, mit euch zu reden.
TELL
Das schwere Herz wird nicht durch Worte leicht.
STAUFFACHER
Doch könnten Worte uns zu Thaten führen.
TELL
Die einz’ge That ist jezt Geduld und Schweigen.420
STAUFFACHER
Soll man ertragen, was unleidlich ist?
[33]TELL
Die schnellen Herrscher sind’s, die kurz regieren.
– Wenn sich der Föhn erhebt aus seinen Schlünden,
Löscht man die Feuer aus, die Schiffe suchen
Eilends den Hafen, und der mächt’ge Geist425
Geht ohne Schaden, spurlos, über die Erde.
Ein jeder lebe still bei sich daheim,
Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden.
STAUFFACHER
Meint ihr?
TELL
Die Schlange sticht nicht ungereizt.
Sie werden endlich doch von selbst ermüden,430
Wenn sie die Lande ruhig bleiben seh’n.
STAUFFACHER
Wir könnten viel, wenn wir zusammen stünden.
TELL
Beim Schiffbruch hilft der Einzelne sich leichter.
STAUFFACHER
So kalt verlaßt ihr die gemeine Sache?
TELL
Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst.435
STAUFFACHER
Verbunden werden auch die Schwachen mächtig.
TELL
Der Starke ist am mächtigsten allein.
STAUFFACHER
So kann das Vaterland auf euch nicht zählen,
Wenn es verzweiflungsvoll zur Nothwehr greift?
TELL
giebt ihm die Hand
Der Tell holt ein verlornes Lamm vom Abgrund,440
[34]Und sollte seinen Freunden sich entziehen?
Doch was ihr thut, laßt mich aus eurem Rath,
Ich kann nicht lange prüfen oder wählen,
Bedürft’ ihr meiner zu bestimmter That,
Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen.445
gehen ab zu verschiedenen Seiten. Ein plötzlicher Auflauf entsteht um das Gerüste.
MEISTER STEINMETZ
eilt hin
Was giebt’s?
ERSTER GESELL
kommt vor, rufend
Der Schieferdecker ist vom Dach gestürzt.
BERTHAmitGEFOLGE
BERTHA
stürzt herein
Ist er zerschmettert? Rennet, rettet, helft –
Wenn Hilfe möglich, rettet, hier ist Gold –
wirft ihr Geschmeide unter das Volk
MEISTER
Mit eurem Golde – Alles ist euch feil450
Um Gold, wenn ihr den Vater von den Kindern
Gerissen und den Mann von seinem Weibe,
Und Jammer habt gebracht über die Welt,
Denkt ihr’s mit Golde zu vergüten – Geht!
Wir waren frohe Menschen eh’ ihr kamt,455
Mit euch ist die Verzweiflung eingezogen.
BERTHA
zu dem Frohnvogt, der zurückkommt
Lebt er?
Frohnvogt giebt ein Zeichen des Gegentheils
O unglücksel’ges Schloß, mit Flüchen
Erbaut, und Flüche werden dich bewohnen!
geht ab.
Walther Fürsts Wohnung
WALTHER FÜRST UND ARNOLD VON MELCHTHALtreten zugleich ein, von verschiedenen Seiten.
MELCHTHAL
Herr Walther Fürst –
WALTHER FÜRST
Wenn man uns überraschte!
Bleibt, wo ihr seyd. Wir sind umringt von Spähern.460
MELCHTHAL
Bringt ihr mir nichts von Unterwalden? Nichts
Von meinem Vater? Nicht ertrag ich’s länger,
Als ein Gefang’ner müßig hier zu liegen.
Was hab’ ich denn so sträfliches gethan,
Um mich gleich einem Mörder zu verbergen?465
Dem frechen Buben, der die Ochsen mir,
Das treflichste Gespann, vor meinen Augen
Weg wollte treiben auf des Vogts Geheiß,
Hab’ ich den Finger mit dem Stab gebrochen.
WALTHER FÜRST
Ihr seid zu rasch. Der Bube war des Vogts,470
Von eurer Obrigkeit war er gesendet,
Ihr wart in Straf’ gefallen, mußtet euch,
Wie schwer sie war, der Buße schweigend fügen.
MELCHTHAL
Ertragen sollt’ ich die leichtfert’ge Rede
Des Unverschämten: »Wenn der Bauer Brod475
Wollt’ essen, mög’ er selbst am Pfluge zieh’n!«
In die Seele schnitt mir’s, als der Bub die Ochsen,
[36]Die schönen Thiere, von dem Pfluge spannte,
Dumpf brüllten sie, als hätten sie Gefühl
Der Ungebühr, und stießen mit den Hörnern,480
Da übernahm mich der gerechte Zorn,
Und meiner selbst nicht Herr, schlug ich den Boten.
WALTHER FÜRST
O kaum bezwingen wir das eig’ne Herz,
Wie soll die rasche Jugend sich bezähmen!
MELCHTHAL
Mich jammert nur der Vater – Er bedarf485
So sehr der Pflege, und sein Sohn ist fern.
Der Vogt ist ihm gehässig, weil er stets
Für Recht und Freiheit redlich hat gestritten.
Drum werden sie den alten Mann bedrängen,
Und niemand ist, der ihn vor Unglimpf schütze.490
– Werde mit mir was will, ich muß hinüber.
WALTHER FÜRST
Erwartet nur und faßt euch in Geduld,
Bis Nachricht uns herüber kommt vom Walde.
– Ich höre klopfen, geht – Vielleicht ein Bote
Vom Landvogt – Geht hinein – Ihr seid in Uri495
Nicht sicher vor des Landenbergers Arm,
Denn die Tyrannen reichen sich die Hände.
MELCHTHAL
Sie lehren uns, was wir thun sollten.
WALTHER FÜRST
Geht!
Ich ruf’ euch wieder, wenn’s hier sicher ist.
Melchthal geht hinein
Der Unglückselige, ich darf ihm nicht500
Gestehen, was mir Böses schwant – Wer klopft?
[37]So oft die Thüre rauscht, erwart’ ich Unglück.
Verrath und Argwohn lauscht in allen Ecken,
Bis in das Innerste der Häuser dringen
Die Boten der Gewalt, bald thät’ es Noth,505
Wir hätten Schloß und Riegel an den Thüren.
er öfnet und tritt erstaunt zurück, daWERNER STAUFFACHERhereintritt
Was seh’ ich? Ihr, Herr Werner! Nun bei Gott!
Ein werther, theurer Gast – Kein beß’rer Mann
Ist über diese Schwelle noch gegangen.
Seid hoch willkommen unter meinem Dach!510
Was führt euch her? Was sucht ihr hier in Uri?
STAUFFACHER
ihm die Hand reichend
Die alten Zeiten und die alte Schweiz.
WALTHER FÜRST
Die bringt ihr mit euch – Sieh, mir wird so wohl,
Warm geht das Herz mir auf bei eurem Anblick.
– Sezt euch, Herr Werner – Wie verließet ihr515
Frau Gertrud, eure angenehme Wirthin,
Des weisen Ibergs hochverständ’ge Tochter?
Von allen Wandrern aus dem deutschen Land,
Die über Meinrads Zell nach Welschland fahren,
Rühmt jeder euer gastlich Haus – Doch sagt,520
Kommt ihr so eben frisch von Fluelen her,
Und habt euch nirgend sonst noch umgeseh’n,
Eh’ ihr den Fuß gesezt auf diese Schwelle?
STAUFFACHER
sezt sich
Wohl ein erstaunlich neues Werk hab’ ich
Bereiten sehen, das mich nicht erfreute.525
WALTHER FÜRST
O Freund, da habt ihr’s gleich mit Einem Blicke!
[38]STAUFFACHER
Ein solches ist in Uri nie gewesen –
Seit Menschendenken war kein Twinghof hier,
Und fest war keine Wohnung als das Grab.
WALTHER FÜRST
Ein Grab der Freiheit ist’s. Ihr nennt’s mit Nahmen.530
STAUFFACHER
Herr Walther Fürst, ich will euch nicht verhalten,
Nicht eine müß’ge Neugier führt mich her,
Mich drücken schwere Sorgen – Drangsal hab’ ich
Zu Haus verlassen, Drangsal find’ ich hier.
Denn ganz unleidlich ist’s, was wir erdulden,535
Und dieses Dranges ist kein Ziel zu seh’n.
Frei war der Schweitzer von Uralters her,
Wir sind’s gewohnt, daß man uns gut begegnet,
Ein solches war im Lande nie erlebt,
Solang ein Hirte trieb auf diesen Bergen.540
WALTHER FÜRST
Ja, es ist ohne Beispiel wie sie’s treiben!
Auch unser edler Herr von Attinghausen,
Der noch die alten Zeiten hat geseh’n,
Meint selber, es sey nicht mehr zu ertragen.
STAUFFACHER
Auch drüben unter’m Wald geht schweres vor,545
Und blutig wird’s gebüßt – der Wolfenschießen,
Des Kaisers Vogt, der auf dem Roßberg haußte,
Gelüsten trug er nach verbot’ner Frucht,
Baumgartens Weib, der haushält zu Alzellen,
Wollt’ er zu frecher Ungebühr misbrauchen,550
Und mit der Axt hat ihn der Mann erschlagen.
[39]WALTHER FÜRST
O die Gerichte Gottes sind gerecht!
– Baumgarten sagt ihr? Ein bescheid’ner Mann!
Er ist gerettet doch und wohl geborgen?
STAUFFACHER
Euer Eidam hat ihn über’n See geflüchtet,555
Bei mir zu Steinen halt’ ich ihn verborgen –
– Noch greulichers hat mir derselbe Mann
Berichtet, was zu Sarnen ist gescheh’n,
Das Herz muß jedem Biedermanne bluten.
WALTHER FÜRST
aufmerksam
Sagt an, was ist’s?560
STAUFFACHER
Im Melchthal, da wo man
Eintritt bey Kerns, wohnt ein gerechter Mann,
Sie nennen ihn den Heinrich von der Halden,
Und seine Stimm’ gilt was in der Gemeinde.
WALTHER FÜRST
Wer kennt ihn nicht! Was ist’s mit ihm? Vollendet.
STAUFFACHER
Der Landenberger büßte seinen Sohn565
Um kleinen Fehlers willen, ließ die Ochsen,
Das beste Paar, ihm aus dem Pfluge spannen,
Da schlug der Knab den Knecht und wurde flüchtig.
WALTHER FÜRST
in höchster Spannung
Der Vater aber – Sagt, wie steht’s um den?
STAUFFACHER
Den Vater läßt der Landenberger fodern,570
Zur Stelle schaffen soll er ihm den Sohn,
Und da der alte Mann mit Wahrheit schwört,
[40]Er habe von dem Flüchtling keine Kunde,
Da läßt der Vogt die Folterknechte kommen –
WALTHER FÜRST
springt auf und will ihn auf die andre Seite führen
O still, nichts mehr!575
STAUFFACHER
mit steigendem Ton
»Ist mir der Sohn entgangen,
So hab’ ich dich« – Läßt ihn zu Boden werfen,
Den spitz’gen Stahl ihm in die Augen bohren –
WALTHER FÜRST
Barmherz’ger Himmel!
MELCHTHAL
stürzt heraus
In die Augen, sagt ihr?
STAUFFACHER
erstaunt zum Walther Fürst
Wer ist der Jüngling?
MELCHTHAL
faßt ihn mit krampfhafter Heftigkeit
In die Augen? Redet.
WALTHER FÜRST
O der bejammernswürdige!580
STAUFFACHER
Wer ist’s?
da Walther Fürst ihm ein Zeichen giebt.
Der Sohn ist’s? Allgerechter Gott!
MELCHTHAL
Und ich
Muß ferne seyn! – In seine beiden Augen?
WALTHER FÜRST
Bezwinget euch, ertragt es wie ein Mann!
MELCHTHAL
Um meiner Schuld, um meines Frevels willen!584
– Blind also? Wirklich blind, und ganz geblendet?
[41]STAUFFACHER
Ich sagt’s. Der Quell des Seh’ns ist ausgeflossen,
Das Licht der Sonne schaut er niemals wieder.
WALTHER FÜRST
Schont seines Schmerzens!
MELCHTHAL
Niemals! Niemals wieder!
er drückt die Hand vor die Augen, und schweigt einige Momente, dann wendet er sich von dem einen zu dem andern, und spricht mit sanfter, von Thränen erstickter Stimme
O eine edle Himmelsgabe ist
Das Licht des Auges – Alle Wesen leben590
Vom Lichte, jedes glückliche Geschöpf –
Die Pflanze selbst kehrt freudig sich zum Lichte.
Und er muß sitzen, fühlend, in der Nacht,
Im ewig finstern – ihn erquickt nicht mehr
Der Matten warmes Grün, der Blumen Schmelz,595
Die rothen Firnen kann er nicht mehr schauen –
Sterben ist nichts – doch leben und nicht sehen,
Das ist ein Unglück – Warum seht ihr mich
So jammernd an? Ich hab’ zwey frische Augen,
Und kann dem blinden Vater keines geben,600
Nicht einen Schimmer von dem Meer des Lichts,
Das glanzvoll, blendend, mir ins Auge dringt.
STAUFFACHER
Ach, ich muß euren Jammer noch vergrößern,
Statt ihn zu heilen – Er bedarf noch mehr!
Denn alles hat der Landvogt ihm geraubt,605
Nichts hat er ihm gelassen als den Stab,
Um nakt und blind von Thür zu Thür zu wandern.
[42]MELCHTHAL
Nichts als den Stab dem augenlosen Greis!
Alles geraubt, und auch das Licht der Sonne,
Des Aermsten allgemeines Gut – Jezt rede610
Mir keiner mehr von Bleiben, von Verbergen!
Was für ein feiger Elender bin ich,
Daß ich auf meine Sicherheit gedacht,
Und nicht auf Deine – dein geliebtes Haupt
Als Pfand gelassen in des Wüthrichs Händen!615
Feigherz’ge Vorsicht fahre hin – Auf nichts
Als blutige Vergeltung will ich denken,
Hinüber will ich – Keiner soll mich halten –
Des Vaters Auge von dem Landvogt fodern –
Aus allen seinen Reisigen heraus620
Will ich ihn finden – Nichts liegt mir am Leben,
Wenn ich den heißen ungeheuren Schmerz
In seinem Lebensblute kühle.
er will gehen
WALTHER FÜRST
Bleibt!
Was könnt ihr gegen ihn? Er sizt zu Sarnen
Auf seiner hohen Herrenburg und spottet625
Ohnmächt’gen Zorns in seiner sichern Veste.
MELCHTHAL
Und wohnt’ er droben auf dem Eispallast
Des Schreckhorns oder höher, wo die Jungfrau
Seit Ewigkeit verschleiert sizt – Ich mache
Mir Bahn zu ihm, mit zwanzig Jünglingen630
Gesinnt wie ich, zerbrech’ ich seine Veste.
Und wenn mir niemand folgt, und wenn ihr alle
[43]Für eure Hütten bang und eure Heerden,
Euch dem Tyrannenjoche beugt – die Hirten
Will ich zusammen rufen im Gebirg,635
Dort unter’m freien Himmelsdache, wo
Der Sinn noch frisch ist und das Herz gesund,
Das ungeheuer Gräßliche erzählen.
STAUFFACHER
zu Walther Fürst
Es ist auf seinem Gipfel – wollen wir
Erwarten, bis das Aeuserste –640
MELCHTHAL
Welch’ Aeuserstes
Ist noch zu fürchten, wenn der Stern des Auges
In seiner Höhle nicht mehr sicher ist?
– Sind wir denn wehrlos? Wozu lernten wir
Die Armbrust spannen und die schwere Wucht
Der Streitaxt schwingen? Jedem Wesen ward645
Ein Nothgewehr in der Verzweiflungsangst,
Es stellt sich der erschöpfte Hirsch und zeigt
Der Meute sein gefürchtetes Geweih,
Die Gemse reißt den Jäger in den Abgrund –
Der Pflugstier selbst, der sanfte Hausgenoß650
Des Menschen, der die ungeheure Kraft
Des Halses duldsam unters Joch gebogen,
Springt auf, gereizt, wezt sein gewaltig Horn,
Und schleudert seinen Feind den Wolken zu.
WALTHER FÜRST
Wenn die drey Lande dächten wie wir drey,655
So möchten wir vielleicht etwas vermögen.
STAUFFACHER
Wenn Uri ruft, wenn Unterwalden hilft,
Der Schwytzer wird die alten Bünde ehren.
[44]MELCHTHAL
Groß ist in Unterwalden meine Freundschaft,
Und jeder wagt mit Freuden Leib und Blut,660
Wenn er am andern einen Rücken hat
Und Schirm – O fromme Väter dieses Landes!
Ich stehe nur ein Jüngling zwischen euch,
Den Vielerfahrnen – meine Stimme muß
Bescheiden schweigen in der Landsgemeinde.665
Nicht weil ich jung bin und nicht viel erlebte,
Verachtet meinen Rath und meine Rede,
Nicht lüstern jugendliches Blut, mich treibt
Des höchsten Jammers schmerzliche Gewalt,
Was auch den Stein des Felsen muß erbarmen. 670
Ihr selbst seid Väter, Häupter eines Hauses,
Und wünscht euch einen tugendhaften Sohn,
Der eures Hauptes heilge Locken ehre,
Und euch den Stern des Auges fromm bewache.
O weil ihr selbst an eurem Leib und Gut675
Noch nichts erlitten, eure Augen sich
Noch frisch und hell in ihren Kreisen regen,
So sei euch darum unsre Noth nicht fremd.
Auch über euch hängt das Tyrannenschwert,
Ihr habt das Land von Oestreich abgewendet,680
Kein anderes war meines Vaters Unrecht,
Ihr seid in gleicher Mitschuld und Verdammniß.
STAUFFACHER
zu Walther Fürst
Beschließet ihr, ich bin bereit zu folgen.
WALTHER FÜRST
Wir wollen hören, was die edeln Herrn
Von Sillinen, von Attinghausen rathen –685
Ihr Nahme, denk’ ich, wird uns Freunde werben.
[45]MELCHTHAL
Wo ist ein Nahme in dem Waldgebirg’
Ehrwürdiger als Eurer und der Eure?
An solcher Nahmen ächte Währung glaubt
Das Volk, sie haben guten Klang im Lande.690
Ihr habt ein reiches Erb von Vätertugend,
Und habt es selber reich vermehrt – Was braucht’s
Des Edelmanns? Laßts uns allein vollenden.
Wären wir doch allein im Land! Ich meine,
Wir wollten uns schon selbst zu schirmen wissen.695
STAUFFACHER
Die Edeln drängt nicht gleiche Noth mit uns,
Der Strom, der in den Niederungen wüthet,
Bis jetzt hat er die Höh’n noch nicht erreicht –
Doch ihre Hülfe wird uns nicht entsteh’n,
Wenn sie das Land in Waffen erst erblicken.700
WALTHER FÜRST
Wäre ein Obmann zwischen uns und Oestreich,
So möchte Recht entscheiden und Gesetz,
Doch der uns unterdrückt, ist unser Kaiser
Und höchster Richter – so muß Gott uns helfen
Durch unsern Arm – erforschet ihr die Männer
Von Schwytz, ich will in Uri Freunde werben.706
Wen aber senden wir nach Unterwalden –
MELCHTHAL
Mich sendet hin – wem läg’ es näher an –
WALTHER FÜRST
Ich geb’s nicht zu, ihr seid mein Gast, ich muß
Für eure Sicherheit gewähren!710
MELCHTHAL
Laßt mich!
[46]Die Schliche kenn’ ich und die Felsensteige,
Auch Freunde find’ ich gnug, die mich dem Feind
Verhehlen und ein Obdach gern gewähren.
STAUFFACHER
Laßt ihn mit Gott hinüber geh’n. Dort drüben
Ist kein Verräther – so verabscheut ist715
Die Tyrannei, daß sie kein Werkzeug findet.
Auch der Alzeller soll uns nid dem Wald
Genossen werben und das Land erregen.
MELCHTHAL
Wie bringen wir uns sich’re Kunde zu,
Daß wir den Argwohn der Tyrannen täuschen?720
STAUFFACHER
Wir könnten uns zu Brunnen oder Treib
Versammeln, wo die Kaufmannsschiffe landen.
WALTHER FÜRST
So offen dürfen wir das Werk nicht treiben.
– Hört meine Meinung. Links am See, wenn man
Nach Brunnen fährt, dem Mytenstein grad über,725
Liegt eine Matte heimlich im Gehölz,
Das Rütli heißt sie bei dem Volk der Hirten,
Weil dort die Waldung ausgereutet ward.
Dort ist’s wo uns’re Landmark und die eure
zu Melchthal
Zusammengrenzen, und in kurzer Fahrt730
zu Stauffacher
Trägt Euch der leichte Kahn von Schwytz herüber.
Auf öden Pfaden können wir dahin
Bei Nachtzeit wandern und uns still berathen.
Dahin mag jeder zehn vertraute Männer
Mitbringen, die herzeinig sind mit uns,735
[47]So können wir gemeinsam das Gemeine
Besprechen und mit Gott es frisch beschließen.
STAUFFACHER
So sey’s. Jezt reicht mir eure biedre Rechte,
Reicht ihr die Eure her, und so wie wir
Drey Männer jetzo, unter uns, die Hände740
Zusammen flechten, redlich, ohne Falsch,
So wollen wir Drey Länder auch, zu Schutz
Und Trutz, zusammen stehn auf Tod und Leben.
WALTHER FÜRST UND MELCHTHAL
Auf Tod und Leben!
sie halten die Hände noch einige Pausen lang zusammen geflochten und schweigen
MELCHTHAL
Blinder alter Vater!
Du kannst den Tag der Freiheit nicht mehr schauen,
Du sollst ihn hören – Wenn von Alp zu Alp746
Die Feuerzeichen flammend sich erheben,
Die festen Schlösser der Tyrannen fallen,
In deine Hütte soll der Schweizer wallen,
Zu deinem Ohr die Freudenkunde tragen,750
Und hell in deiner Nacht soll es dir tagen.
sie gehen auseinander.
Edelhof des Freiherrn von Attinghausen
Ein gothischer Saal mit Wappenschildern und Helmen verziert. DerFREIHERRein Greis von fünf und achtzig Jahren, von hoher edler Statur, an einem Stabe worauf ein Gemsenhorn, und in ein Pelzwams gekleidet.KUONIund nochSECHS KNECHTEstehen um ihn her mit Rechen und Sensen –ULRICH VON RUDENZtritt ein in Ritterkleidung.
RUDENZ
Hier bin ich Oheim – Was ist euer Wille?
ATTINGHAUSEN
Erlaubt, daß ich nach altem Hausgebrauch
Den Frühtrunk erst mit meinen Knechten theile.
er trinkt aus einem Becher, der dann in der Reihe herumgeht
Sonst war ich selber mit in Feld und Wald,755
Mit meinem Auge ihren Fleiß regierend,
Wie sie mein Banner führte in der Schlacht,
Jezt kann ich nichts mehr als den Schaffner machen,
Und kommt die warme Sonne nicht zu mir,
Ich kann sie nicht mehr suchen auf den Bergen.760
Und so in enger stets und enger’m Kreis,
Beweg’ ich mich dem engesten und lezten,
Wo alles Leben still steht, langsam zu,
Mein Schatte bin ich nur, bald nur mein Nahme.
[49]KUONI
zu Rudenz mit dem Becher
Ich bring’s euch, Junker.765
da Rudenz zaudert den Becher zu nehmen
Trinket frisch! Es geht
Aus Einem Becher und aus Einem Herzen.
ATTINGHAUSEN
Geht Kinder, und wenn’s Feierabend ist,
Dann reden wir auch von des Land’s Geschäften.
Knechte gehen ab
ATTINGHAUSEN UND RUDENZ
ATTINGHAUSEN
Ich sehe dich gegürtet und gerüstet,
Du willst nach Altorf in die Herrenburg?770
RUDENZ
Ja Oheim, und ich darf nicht länger säumen –
ATTINGHAUSEN
sezt sich
Hast du’s so eilig? Wie? Ist deiner Jugend
Die Zeit so karg gemessen, daß du sie
An deinem alten Oheim mußt ersparen?
RUDENZ
Ich sehe, daß ihr meiner nicht bedürft,775
Ich bin ein Fremdling nur in diesem Hause.
ATTINGHAUSEN
hat ihn lange mit den Augen gemustert
Ja leider bist du’s. Leider ist die Heimat
Zur Fremde dir geworden! – Uly! Uly!
Ich kenne dich nicht mehr. In Seide prangst du,
Die Pfauenfeder trägst du stolz zur Schau,780
Und schlägst den Purpurmantel um die Schultern,
Den Landmann blickst du mit Verachtung an,
Und schämst dich seiner traulichen Begrüßung.
[50]RUDENZ
Die Ehr’, die ihm gebührt, geb’ ich ihm gern,
Das Recht, das er sich nimmt, verweigr’ ich ihm.785
ATTINGHAUSEN
Das ganze Land liegt unter’m schweren Zorn
Des Königs – Jedes Biedermannes Herz
Ist kummervoll ob der tyrannischen Gewalt
Die wir erdulden – Dich allein rührt nicht
Der allgemeine Schmerz – Dich siehet man790
Abtrünnig von den Deinen auf der Seite
Des Landesfeindes stehen, unsrer Noth
Hohnsprechend nach der leichten Freude jagen,
Und buhlen um die Fürstengunst, indeß
Dein Vaterland von schwerer Geissel blutet.795
RUDENZ
Das Land ist schwer bedrängt – Warum mein Oheim?
Wer ist’s, der es gestürzt in diese Noth?
Es kostete ein einzig leichtes Wort,
Um augenblicks des Dranges los zu seyn,
Und einen gnäd’gen Kaiser zu gewinnen.800
Weh ihnen, die dem Volk die Augen halten,
Daß es dem wahren Besten widerstrebt.
Um eignen Vortheils willen hindern sie,
Daß die Waldstätte nicht zu Oestreich schwören,
Wie ringsum alle Lande doch gethan.805
Wohl thut es ihnen, auf der Herrenbank
Zu sitzen mit dem Edelmann – den Kaiser
Will man zum Herrn, um keinen Herrn zu haben.
ATTINGHAUSEN
Muß ich das hören und aus deinem Munde!
RUDENZ
Ihr habt mich aufgefodert, laßt mich enden.810
– Welche Person ist’s, Oheim, die ihr selbst
Hier spielt? Habt ihr nicht höhern Stolz, als hier
Landammann oder Bannerherr zu seyn
Und neben diesen Hirten zu regieren?
Wie? Ist’s nicht eine rühmlichere Wahl,815
Zu huldigen dem königlichen Herrn,
Sich an sein glänzend Lager anzuschließen,
Als eurer eig’nen Knechte Pair zu seyn,
Und zu Gericht zu sitzen mit dem Bauer?
ATTINGHAUSEN
Ach Uly! Uly! Ich erkenne sie820
Die Stimme der Verführung! Sie ergriff
Dein ofnes Ohr, sie hat dein Herz vergiftet.
RUDENZ
Ja ich verberg’ es nicht – in tiefer Seele
Schmerzt mich der Spott der Fremdlinge, die uns
Den Baurenadel schelten – Nicht ertrag’ ich’s,825
Indeß die edle Jugend rings umher
Sich Ehre sammelt unter Habsburgs Fahnen,
Auf meinem Erb’ hier müssig still zu liegen,
Und bei gemeinem Tagewerk den Lenz
Des Lebens zu verlieren – Anderswo830
Geschehen Thaten, eine Welt des Ruhms
Bewegt sich glänzend jenseits dieser Berge –
Mir rosten in der Halle Helm und Schild,
Der Kriegstrommete muthiges Getön,
Der Heroldsruf, der zum Turniere ladet,835
Er dringt in diese Thäler nicht herein,
Nichts als den Kuhreih’n und der Heerdeglocken
Einförmiges Geläut vernehm’ ich hier.
ATTINGHAUSEN
Verblendeter, vom eiteln Glanz verführt!
[52]