Wilhelm Tell von Friedrich Schiller (Textausgabe) - Friedrich Schiller - E-Book

Wilhelm Tell von Friedrich Schiller (Textausgabe) E-Book

Friedrich Schiller

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Beschreibung

Die bewährten Hamburger Lesehefte + Königs Materialien in einem Band. Das zeichnet die neue Reihe aus: - Die preisgünstigste Reihe im deutschsprachigen Raum! - Großes Format (DIN A5) in moderner Aufmachung - Lesefreundlicher, sorgfältig edierter Originaltext - Seiten- und zeilengleich mit der entsprechenden Ausgabe der Hamburger Lesehefte - Breite Randspalte mit kurzen Worterklärungen - Platz für eigene Notizen - Navigationsleiste zur besseren Orientierung - Biografie des Autors (kompakt zusammengefasst) - Ausführlicher Wort- und Sacherklärungsteil - Umfangreiche Materialien, nach Themenbereichen gebündelt In Friedrich Schillers "Wilhelm Tell" kämpft der Freiheitsheld Tell gegen die Unterdrückung durch die habsburgische Herrschaft, symbolisiert durch den tyrannischen Landvogt Gessler. Durch Tells Mut und Gesslers Ermordung wird der Weg zur Unabhängigkeit der Schweizer Kantone geebnet.

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Seitenzahl: 213

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Text und Materialien

FRIEDRICH VON SCHILLER

Wilhem Tell

Ein Schauspiel

HAMBURGER LESEHEFTE PLUSKÖNIGS MATERIALIEN515. HEFT

Zur Textgestaltung Der Text dieses Heftes beruht auf dem 7. Band der von Oskar Walzel herausgegebenen so gen. Säkular-Ausgabe von Schillers Sämtlichen Werken (Stuttgart, Cotta, 1904). Daneben wurde noch die Ausgabe des Bibliographischen Instituts (Schillers Werke, Bd. 8, neu bearbeitet von Benno von Wiese; Leipzig, 1936) herangezogen. Das hatte in Einzelfällen geringfügige Abweichungen von der konventionellen Zeichensetzung zur Folge. Die Rechtschreibung wurde den amtlichen Regeln behutsam angeglichen.

 

Analysiert und interpretiert mit Textverweisen auf dieses Heft wird Wilhelm Tell in Königs Erläuterungen, Band 1, C. Bange Verlag.

 

1. Auflage 2020

 

Alle Drucke dieser Ausgabe und die der Hamburger Lesehefte sind untereinander unverändert und können im Unterricht nebeneinander genutzt werden.

 

Heftbearbeitung Text: F. Bruckner und Kurt Sternelle Heftbearbeitung Materialien: Dr. Oliver Pfohlmann Umschlaggestaltung und Layout: Petra Michel Umschlagzeichnung: Ingeborg Strange-Friis Druck und Weiterverarbeitung: Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum

 

ISBN: 978-3-8044-2586-6PDF: 978-3-8044-6586-2EPUB: 978-3-8044-7586-1 © 2020 by C. Bange Verlag GmbH, Marienplatz 12, 96142 Hollfeldwww.bange-verlag.de

 

ISBN: 978-3-87291-514-6PDF: 978-3-87291-711-9EPUB: 978-3-87291-661-7 © 2020 by Hamburger Lesehefte Verlag, Nordbahnhofstraße 2, 25813 Husumwww.hamburger-lesehefte.de

Hinweise zur Bedienung

Inhaltsverzeichnis Das Inhaltsverzeichnis ist vollständig mit dem Inhalt dieses Buches verknüpft. Tippen Sie auf einen Eintrag und Sie gelangen zum entsprechenden Inhalt.

 

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Das E-Book enthält in eckigen Klammern beigefügte Seitenzählungen, diese verweisen auf die Printausgabe des Werkes.

Versdramen weisen zusätzlich zur Seitenzählung eine Versnummerierung in entsprechender Höhe auf dem Rand aus.

Inhaltsverzeichnis

Text

Personen

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

Vierter Aufzug

Fünfter Aufzug

Biografie

Wort- und Sacherklärungen

Materialien

Zugänge

Zu lang, viel zu lang – und dann noch die Hitze!

Widmungsverse an Karl Theodor von Dalberg

Mögliche Reaktionen auf tyrannische Gewalt

Wilhelm Tell als topografisches Drama

Historische Realität und Fiktion

Wie unhistorisch sind Schillers historische Dramen?

Populärer Irrtum: Der Freiheitskämpfer Wilhelm Tell hat wirklich existiert

Bundesbrief der drei Orte Uri, Schwyz und Nidwalden

Zur Entstehung

Sich rapide steigerndes Schreibtempo

Wie Goethe den Tell-Stoff an Schiller abtrat

Eine Karte, bitte!

Schillers Quellenstudium

„Im Tell leb ich und web ich jetzt"

Schillers Kalender

Goethes Kritik an der Apfelschuss-Szene

„Das Notwendige und Rechtliche der Selbsthilfe“

Sein größter Erfolg

Des Theatralischen mächtig

Deutungen

Vier Problemzonen, zwei umstrittene Passagen

Der Apfelschuss, eine Vergewaltigung der inneren Freiheit

Disput über politisches Widerstandsrecht

Die Französische Revolution und Schillers Wilhelm Tell

Privataktion statt Revolution

Zur Wirkungsgeschichte

Volksstück der geflügelten Worte

Politische Vieldeutigkeit

Zur Entstehung von Wilhelm Tell für die Schule

Tell gegen Hitler

Stefan Bachmann lässt Schiller am Theater Basel rappen

Text

[4]PERSONEN

HERMANN GESSLER, Reichsvogt in Schwyz und Uri

WERNER, FREIHERR VON ATTINGHAUSEN, Bannerherr

ULRICH VON RUDENZ, sein Neffe

WERNER STAUFFACHER 

KONRAD HUNN

ITEL REDING

HANS AUF DER MAUER

JÖRG IM HOFE

ULRICH DER SCHMIED

JOST VON WEILER

Landleute aus Schwyz

WALTER FÜRST

WILHELM TELL

RÖSSELMANN, der Pfarrer   

PETERMANN, der Sigrist

KUONI, der Hirte

WERNI, der Jäger

RUODI, der Fischer

aus Uri

ARNOLD VOM MELCHTAL

KONRAD BAUMGARTEN

MEIER VON SARNEN

STRUTH VON WINKELRIED    

KLAUS VON DER FLÜE

BURKHART AM BÜHEL

ARNOLD VON SEWA

aus Unterwalden

PFEIFER VON LUZERN

KUNZ VON GERSAU

JENNI, Fischerknabe

SEPPI, Hirtenknabe

GERTRUD, Stauffachers Gattin

HEDWIG, Tells Gattin, Fürsts Tochter

BERTA VON BRUNECK, eine reiche Erbin

ARMGARD, MECHTHILD  

ELSBETH, HILDEGARD

Bäuerinnen

WALTER, WILHELM, Tells Knaben

FRIESSHART, LEUTHOLD, Söldner

RUDOLF DER HARRAS, Geßlers Stallmeister

JOHANNES PARRICIDA, Herzog von Schwaben

STÜSSI, der Flurschütz

DER STIER von URI

EIN REICHSBOTE

FRONVOGT

MEISTER STEINMETZ, GESELLEN und HANDLANGER

ÖFFENTLICHE AUSRUFER

BARMHERZIGE BRÜDER

GESSLERISCHE und LANDENBERGISCHE REITER

VIELE LANDLEUTE, MÄNNER und WEIBER aus den Waldstätten

[5]ERSTER AUFZUG

ERSTE SZENE

Hohes Felsenufer des Vierwaldstättensees, Schwyz gegenüber. Der See macht eine Bucht ins Land, eine Hütte ist unweit dem Ufer, Fischerknabe fährt sich in einem Kahn. Über den See hinweg sieht man die grünen Matten, Dörfer und Höfe von Schwyz im hellen Sonnenschein liegen. Zur Linken des Zuschauers zeigen sich die Spitzen des Haken, mit Wolken umgeben; zur Rechten im fernen Hintergrund sieht man die Eisgebirge. Noch ehe der Vorhang aufgeht, hört man den Kuhreihen und das harmonische Geläut der Herdenglocken, welches sich auch bei eröffneter Szene noch eine Zeit lang fortsetzt.

FISCHERKNABE

(singt im Kahn).

(Melodie des Kuhreihens.)

Es lächelt der See, er ladet zum Bade,

Der Knabe schlief ein am grünen Gestade,

Da hört er ein Klingen,

Wie Flöten so süß,

5Wie Stimmen der Engel

Im Paradies.

Und wie er erwachet in seliger Lust,

Da spülen die Wasser ihm um die Brust,

Und es ruft aus den Tiefen:

10Lieb Knabe, bist mein!

Ich locke den Schläfer,

Ich zieh ihn herein.

HIRTE

(auf dem Berge).

(Variation des Kuhreihens.)

Ihr Matten, lebt wohl,

Ihr sonnigen Weiden!

15Der Senne muss scheiden,

Der Sommer ist hin.

Wir fahren zu Berg, wir kommen wieder,

Wenn der Kuckuck ruft, wenn erwachen die Lieder,

Wenn mit Blumen die Erde sich kleidet neu,

20Wenn die Brünnlein fließen im lieblichen Mai.

Ihr Matten, lebt wohl,

Ihr sonnigen Weiden!

Der Senne muss scheiden,

Der Sommer ist hin.

[6]ALPENJÄGER

(erscheint gegenüber auf der Höhe des Felsen).

(Zweite Variation.)

25Es donnern die Höhen, es zittert der Steg,

Nicht grauet dem Schützen auf schwindlichtem Weg,

Er schreitet verwegen

Auf Feldern von Eis,

Da pranget kein Frühling,

30Da grünet kein Reis;

Und unter den Füßen ein neblichtes Meer,

Erkennt er die Städte der Menschen nicht mehr,

Durch den Riss nur der Wolken

Erblickt er die Welt,

35Tief unter den Wassern

Das grünende Feld.

(Die Landschaft verändert sich, man hört ein dumpfes Krachen von den Bergen, Schatten von Wolken laufen über die Gegend.) Ruodi der Fischer kommt aus der Hütte, Werni der Jäger steigt vom Felsen, Kuoni der Hirt kommt mit dem Melknapf auf der Schulter, Seppi, sein Handbube, folgt ihm.

RUODI.

Mach hurtig, Jenni! Zieh die Naue ein.

Der graue Talvogt kommt, dumpf brüllt der Firn,

Der Mythenstein zieht seine Haube an,

40Und kalt her bläst es aus dem Wetterloch;

Der Sturm, ich mein, wird da sein, eh wir’s denken.

KUONI.

’s kommt Regen, Fährmann. Meine Schafe fressen

Mit Begierde Gras, und Wächter scharrt die Erde.

WERNI.

Die Fische springen, und das Wasserhuhn

45Taucht unter. Ein Gewitter ist im Anzug.

KUONI

(zum Buben).

Lug, Seppi, ob das Vieh sich nicht verlaufen.

SEPPI.

Die braune Liesel kenn ich am Geläut.

KUONI.

So fehlt uns keine mehr, die geht am weitsten.

RUODI.

Ihr habt ein schön Geläute, Meister Hirt.

WERNI.

50Und schmuckes Vieh – Ist’s Euer eignes, Landsmann?

KUONI.

Bin nit so reich – ’s ist meines gnäd’gen Herrn,

Des Attinghäusers, und mir zugezählt.

RUODI.

Wie schön der Kuh das Band zu Halse steht!

KUONI.

Das weiß sie auch, dass sie den Reihen führt,

55Und nähm ich ihr’s, sie hörte auf zu fressen.

RUODI.

Ihr seid nicht klug! Ein unvernünft’ges Vieh –

WERNI.

Ist bald gesagt. Das Tier hat auch Vernunft,

Das wissen wir, die wir die Gemsen jagen:

Die stellen klug, wo sie zur Weide gehn,

60[7]’ne Vorhut aus, die spitzt das Ohr und warnet

Mit heller Pfeife, wenn der Jäger naht.

RUODI

(zum Hirten).

Treibt Ihr jetzt heim?

KUONI.

Die Alp ist abgeweidet.

WERNI.

Glücksel’ge Heimkehr, Senn!

KUONI.

Die wünsch ich Euch;

Von Eurer Fahrt kehrt sich’s nicht immer wieder.

RUODI.

65Dort kommt ein Mann in voller Hast gelaufen.

WERNI.

Ich kenn ihn, ’s ist der Baumgart von Alzellen.

Konrad Baumgarten atemlos hereinstürzend.

BAUMGARTEN.

Um Gottes willen, Fährmann, Euren Kahn!

RUODI.

Nun, nun, was gibt’s so eilig?

BAUMGARTEN.

Bindet los!

Ihr rettet mich vom Tode! Setzt mich über!

KUONI.

70Landsmann, was habt Ihr?

WERNI.

Wer verfolgt Euch denn?

BAUMGARTEN

(zum Fischer).

Eilt, eilt, sie sind mir dicht schon an den Fersen!

Des Landvogts Reiter kommen hinter mir,

Ich bin ein Mann des Tods, wenn sie mich greifen.

RUODI.

Warum verfolgen Euch die Reisigen?

BAUMGARTEN.

75Erst rettet mich, und dann steh ich Euch Rede.

WERNI.

Ihr seid mit Blut befleckt, was hat’s gegeben?

BAUMGARTEN.

Des Kaisers Burgvogt, der auf Rossberg saß –

KUONI.

Der Wolfenschießen! Lässt Euch der verfolgen?

BAUMGARTEN.

Der schadet nicht mehr, ich hab ihn erschlagen.

ALLE

(fahren zurück).

80Gott sei Euch gnädig! Was habt Ihr getan?

BAUMGARTEN.

Was jeder freie Mann an meinem Platz!

Mein gutes Hausrecht hab ich ausgeübt

Am Schänder meiner Ehr und meines Weibes.

KUONI.

Hat Euch der Burgvogt an der Ehr geschädigt?

BAUMGARTEN.

85Dass er sein bös Gelüsten nicht vollbracht,

Hat Gott und meine gute Axt verhütet.

WERNI.

Ihr habt ihm mit der Axt den Kopf zerspalten?

KUONI.

O lasst uns alles hören, Ihr habt Zeit,

Bis er den Kahn vom Ufer losgebunden.

BAUMGARTEN.

90Ich hatte Holz gefällt im Wald, da kommt

Mein Weib gelaufen in der Angst des Todes:

Der Burgvogt lieg in meinem Haus, er hab

[8]Ihr anbefohlen, ihm ein Bad zu rüsten.

Drauf hab er Ungebührliches von ihr

95Verlangt; sie sei entsprungen, mich zu suchen.

Da lief ich frisch hinzu, so wie ich war,

Und mit der Axt hab ich ihm’s Bad gesegnet.

WERNI.

Ihr tatet wohl, kein Mensch kann Euch drum schelten.

KUONI.

Der Wüterich! Der hat nun seinen Lohn!

100Hat’s lang verdient ums Volk von Unterwalden.

BAUMGARTEN.

Die Tat ward ruchbar, mir wird nachgesetzt! –

Indem wir sprechen – Gott – verrinnt die Zeit –

(Es fängt an zu donnern.)

KUONI.

Frisch, Fährmann – Schaff den Biedermann hinüber.

RUODI.

Geht nicht. Ein schweres Gewitter ist

105Im Anzug. Ihr müsst warten.

BAUMGARTEN.

Heil’ger Gott!

Ich kann nicht warten. Jeder Aufschub tötet –

KUONI

(zum Fischer).

Greif an mit Gott! Dem Nächsten muss man helfen,

Es kann uns allen Gleiches ja begegnen.

(Brausen und Donnern.)

RUODI.

Der Föhn ist los, ihr seht, wie hoch der See geht,

110Ich kann nicht steuern gegen Sturm und Wellen.

BAUMGARTEN

(umfasst seine Knie).

So helf Euch Gott, wie Ihr Euch mein erbarmet –

WERNI.

Es geht ums Leben, sei barmherzig, Fährmann.

KUONI.

’s ist ein Hausvater, und hat Weib und Kinder!

(Wiederholte Donnerschläge.)

RUODI.

Was? Ich hab auch ein Leben zu verlieren,

115Hab Weib und Kind daheim, wie er. – Seht hin

Wie’s brandet, wie es wogt und Wirbel zieht

Und alle Wasser aufrührt in der Tiefe.

– Ich wollte gern den Biedermann erretten,

Doch es ist rein unmöglich, ihr seht selbst.

BAUMGARTEN

(noch auf den Knien).

120So muss ich fallen in des Feindes Hand,

Das nahe Rettungsufer im Gesichte!

– Dort liegt’s! Ich kann’s erreichen mit den Augen,

Hinüberdringen kann der Stimme Schall,

Da ist der Kahn, der mich hinübertrüge,

125Und muss hier liegen, hilflos, und verzagen!

KUONI.

Seht, wer da kommt!

WERNI.

Es ist der Tell aus Bürglen.

Tell mit der Armbrust.

[9]TELL.

Wer ist der Mann, der hier um Hilfe fleht?

KUONI.

’s ist ein Alzeller Mann, er hat sein Ehr

Verteidigt und den Wolfenschieß erschlagen,

130Des Königs Burgvogt, der auf Rossberg saß –

Des Landvogts Reiter sind ihm auf den Fersen,

Er fleht den Schiffer um die Überfahrt,

Der fürcht’t sich vor dem Sturm und will nicht fahren.

RUODI.

Da ist der Tell, er führt das Ruder auch,

135Der soll mir’s zeugen, ob die Fahrt zu wagen.

TELL.

Wo’s Not tut, Fährmann, lässt sich alles wagen.

(Heftige Donnerschläge, der See rauscht auf.)

RUODI.

Ich soll mich in den Höllenrachen stürzen?

Das täte keiner, der bei Sinnen ist.

TELL.

Der brave Mann denkt an sich selbst zuletzt,

140Vertrau auf Gott und rette den Bedrängten.

RUODI.

Vom sichern Port lässt sich’s gemächlich raten.

Da ist der Kahn und dort der See! Versucht’s!

TELL.

Der See kann sich, der Landvogt nicht erbarmen,

Versuch es, Fährmann!

HIRTEN UND JÄGER.

Rett ihn! Rett ihn! Rett ihn!

RUODI.

145Und wär’s mein Bruder und mein leiblich Kind,

Es kann nicht sein, ’s ist heut Simons und Judä,

Da rast der See und will sein Opfer haben.

TELL.

Mit eitler Rede wird hier nichts geschafft,

Die Stunde dringt, dem Mann muss Hilfe werden.

150Sprich Fährmann, willst du fahren?

RUODI.

Nein, nicht ich!

TELL.

In Gottes Namen denn! Gib her den Kahn,

Ich will’s mit meiner schwachen Kraft versuchen.

KUONI.

Ha, wackrer Tell!

WERNI.

Das gleicht dem Weidgesellen!

BAUMGARTEN.

Mein Retter seid Ihr und mein Engel, Tell!

TELL.

155Wohl aus des Vogts Gewalt errett ich Euch,

Aus Sturmes Nöten muss ein andrer helfen.

Doch besser ist’s, Ihr fallt in Gottes Hand

Als in der Menschen!

(Zu den Hirten.)Landsmann, tröstet Ihr

Mein Weib, wenn mir was Menschliches begegnet,

160Ich hab getan, was ich nicht lassen konnte.

(Er springt in den Kahn.)

KUONI

(zum Fischer).

Ihr seid ein Meister, Steuermann. Was sich

Der Tell getraut, das konntet Ihr nicht wagen?

[10]RUODI.

Wohl bess’re Männer tun’s dem Tell nicht nach,

Es gibt nicht zwei, wie der ist, im Gebirge.

WERNI

(ist auf den Fels gestiegen).

165Er stößt schon ab. Gott helf dir, braver Schwimmer!

Sieh, wie das Schifflein auf den Wellen schwankt!

KUONI

(am Ufer).

Die Flut geht drüber weg. – Ich seh’s nicht mehr.

Doch halt, da ist es wieder! Kräftiglich

Arbeitet sich der Wackre durch die Brandung.

SEPPI.

170Des Landvogts Reiter kommen angesprengt.

KUONI.

Weiß Gott, sie sind’s! Das war Hilf in der Not.

Ein Trupp Landenbergischer Reiter.

ERSTER REITER.

Den Mörder gebt heraus, den Ihr verborgen.

ZWEITER.

Des Wegs kam er, umsonst verhehlt Ihr ihn.

KUONI und RUODI.

Wen meint Ihr, Reiter?

ERSTER REITER

(entdeckt den Nachen).

Ha, was seh ich! Teufel!

WERNI

175(oben). Ist’s der im Nachen, den Ihr sucht? – Reit zu!

Wenn Ihr frisch beilegt, holt Ihr ihn noch ein.

ZWEITER.

Verwünscht! Er ist entwischt.

ERSTER

(zum Hirten und Fischer).

Ihr habt ihm fortgeholfen,

Ihr sollt uns büßen – Fallt in ihre Herde!

Die Hütte reißet ein, brennt und schlagt nieder! (Eilen fort.)

SEPPI

(stürzt nach).

180O meine Lämmer!

KUONI

(folgt).

Weh mir! meine Herde!

WERNI.

Die Wütriche!

RUODI

(ringt die Hände).

Gerechtigkeit des Himmels,

Wann wird der Retter kommen diesem Lande? (Folgt ihnen.)

ZWEITE SZENE

Zu Steinen in Schwyz.

Eine Linde vor des Stauffachers Hause an der Landstraße nächst der Brücke.

Werner Stauffacher, Pfeifer von Luzern kommen im Gespräch.

PFEIFER.

Ja, ja, Herr Stauffacher, wie ich Euch sagte,

Schwört nicht zu Östreich, wenn Ihr’s könnt vermeiden.

185[11]Haltet fest am Reich und wacker, wie bisher,

Gott schirme Euch bei Eurer alten Freiheit!

(Drückt ihm herzlich die Hand und will gehen.)

STAUFFACHER.

Bleibt doch, bis meine Wirtin kommt – Ihr seid

Mein Gast zu Schwyz, ich in Luzern der Eure.

PFEIFER.

Viel Dank! Muss heute Gersau noch erreichen.

190– Was Ihr auch Schweres mögt zu leiden haben

Von Eurer Vögte Geiz und Übermut,

Tragt’s in Geduld! Es kann sich ändern, schnell,

Ein andrer Kaiser kann ans Reich gelangen.

Seid ihr erst Österreichs, seid ihr’s auf immer.

Er geht ab. Stauffacher setzt sich kummervoll auf eine Bank unter der Linde. So findet ihn Gertrud, seine Frau, die sich neben ihn stellt und ihn eine Zeit lang schweigend betrachtet.

GERTRUD.

195So ernst, mein Freund? Ich kenne dich nicht mehr.

Schon viele Tage seh ich’s schweigend an,

Wie finstrer Trübsinn deine Stirne furcht.

Auf deinem Herzen drückt ein still Gebresten,

Vertrau es mir, ich bin dein treues Weib,

200Und meine Hälfte fordr’ ich deines Grams.

(Stauffacher reicht ihr die Hand und schweigt.)

Was kann dein Herz beklemmen, sag es mir!

Gesegnet ist dein Fleiß, dein Glücksstand blüht,

Voll sind die Scheunen, und der Rinder Scharen,

Der glatten Pferde wohl genährte Zucht

205Ist von den Bergen glücklich heimgebracht

Zur Winterung in den bequemen Ställen.

– Da steht dein Haus, reich wie ein Edelsitz,

Von schönem Stammholz ist es neu gezimmert

Und nach dem Richtmaß ordentlich gefügt;

210Von vielen Fenstern glänzt es wohnlich, hell,

Mit bunten Wappenschildern ist’s bemalt

Und weisen Sprüchen, die der Wandersmann

Verweilend liest und ihren Sinn bewundert.

STAUFFACHER.

Wohl steht das Haus gezimmert und gefügt,

215Doch ach – es wankt der Grund, auf den wir bauten.

GERTRUD.

Mein Werner, sage, wie verstehst du das?

STAUFFACHER.

Vor dieser Linde saß ich jüngst, wie heut,

Das schön Vollbrachte freudig überdenkend,

Da kam daher von Küssnacht, seiner Burg,

220Der Vogt mit seinen Reisigen geritten.

Vor diesem Hause hielt er wundernd an;

[12]Doch ich erhub mich schnell, und unterwürfig,

Wie sich’s gebührt, trat ich dem Herrn entgegen,

Der uns des Kaisers richterliche Macht

225Vorstellt im Lande. „Wessen ist dies Haus?“,

Fragt’ er bösmeinend, denn er wusst’ es wohl.

Doch schnell besonnen ich entgegn’ ihm so:

„Dies Haus, Herr Vogt, ist meines Herrn des Kaisers

Und Eures und mein Lehen“ – Da versetzt’ er:

230„Ich bin Regent an Kaisers statt

Und will nicht, dass der Bauer Häuser baue

Auf seine eigne Hand und also frei

Hinleb, als ob er Herr wär in dem Lande,

Ich werd mich unterstehn, Euch das zu wehren.“

235Dies sagend, ritt er trutziglich von dannen,

Ich aber blieb mit kummervoller Seele,

Das Wort bedenkend, das der Böse sprach.

GERTRUD.

Mein lieber Herr und Ehewirt! Magst du

Ein redlich Wort von deinem Weib vernehmen?

240Des edeln Ibergs Tochter rühm ich mich,

Des viel erfahrnen Manns. Wir Schwestern saßen,

Die Wolle spinnend, in den langen Nächten,

Wenn bei dem Vater sich des Volkes Häupter

Versammelten, die Pergamente lasen

245Der alten Kaiser, und des Landes Wohl

Bedachten in vernünftigem Gespräch.

Aufmerkend hört’ ich da manch kluges Wort,

Was der Verständ’ge denkt, der Gute wünscht,

Und still im Herzen hab ich mir’s bewahrt.

250So höre denn und acht auf meine Rede,

Denn was dich presste, sieh, das wusst’ ich längst.

– Dir grollt der Landvogt, möchte gern dir schaden,

Denn du bist ihm ein Hindernis, dass sich

Der Schwyzer nicht dem neuen Fürstenhaus

255Will unterwerfen, sondern treu und fest

Beim Reich beharren, wie die würdigen

Altvordern es gehalten und getan. –

Ist’s nicht so, Werner? Sag es, wenn ich lüge!

STAUFFACHER.

So ist’s, das ist des Geßlers Groll auf mich.

GERTRUD.

260Er ist dir neidisch, weil du glücklich wohnst,

Ein freier Mann auf deinem eignen Erb,

– Denn er hat keins. Vom Kaiser selbst und Reich

Trägst du dies Haus zu Lehn; du darfst es zeigen,

So gut der Reichsfürst seine Länder zeigt;

265[13]Denn über dir erkennst du keinen Herrn

Als nur den Höchsten in der Christenheit –

Er ist ein jüngrer Sohn nur seines Hauses,

Nichts nennt er sein als seinen Rittermantel,

Drum sieht er jedes Biedermannes Glück

270Mit scheelen Augen gift’ger Missgunst an.

Dir hat er längst den Untergang geschworen –

Noch stehst du unversehrt – Willst du erwarten,

Bis er die böse Lust an dir gebüßt?

Der kluge Mann baut vor.

STAUFFACHER.

Was ist zu tun!

GERTRUD

(tritt näher).

275So höre meinen Rat! Du weißt, wie hier

Zu Schwyz sich alle Redlichen beklagen

Ob dieses Landvogts Geiz und Wüterei.

So zweifle nicht, dass sie dort drüben auch

In Unterwalden und im Urner Land

280Des Dranges müd sind und des harten Jochs –

Denn, wie der Geßler hier, so schafft es frech

Der Landenberger drüben überm See –

Es kommt kein Fischerkahn zu uns herüber,

Der nicht ein neues Unheil und Gewalt-

285Beginnen von den Vögten uns verkündet.

Drum tät es gut, dass eurer etliche,

Die’s redlich meinen, still zu Rate gingen,

Wie man des Drucks sich möcht erledigen;

So acht ich wohl, Gott würd euch nicht verlassen

290Und der gerechten Sache gnädig sein –

Hast du in Uri keinen Gastfreund, sprich,

Dem du dein Herz magst redlich offenbaren?

STAUFFACHER.

Der wackern Männer kenn ich viele dort,

Und angesehen große Herrenleute,

295Die mir geheim sind und gar wohl vertraut.

(Er steht auf.)

Frau, welchen Sturm gefährlicher Gedanken

Weckst du mir in der stillen Brust! Mein Innerstes

Kehrst du ans Licht des Tages mir entgegen,

Und was ich mir zu denken still verbot,

300Du sprichst’s mit leichter Zunge kecklich aus.

– Hast du auch wohl bedacht, was du mir rätst?

Die wilde Zwietracht und den Klang der Waffen

Rufst du in dieses friedgewohnte Tal. –

Wir wagten es, ein schwaches Volk der Hirten,

305[14]In Kampf zu gehen mit dem Herrn der Welt?

Der gute Schein nur ist’s, worauf sie warten,

Um loszulassen auf dies arme Land

Die wilden Horden ihrer Kriegesmacht,

Darin zu schalten mit des Siegers Rechten

310Und unterm Schein gerechter Züchtigung

Die alten Freiheitsbriefe zu vertilgen.

GERTRUD.

Ihr seid auch Männer, wisset eure Axt

Zu führen, und dem Mutigen hilft Gott!

STAUFFACHER.

O Weib! Ein furchtbar wütend Schrecknis ist

315Der Krieg, die Herde schlägt er und den Hirten.

GERTRUD.

Ertragen muss man, was der Himmel sendet,

Unbilliges erträgt kein edles Herz.

STAUFFACHER.

Dies Haus erfreut dich, was wir neu erbauten.

Der Krieg, der ungeheure, brennt es nieder.

GERTRUD.

320Wüsst ich mein Herz an zeitlich Gut gefesselt,

Den Brand wärf ich hinein mit eigner Hand.

STAUFFACHER.

Du glaubst an Menschlichkeit! Es schont der Krieg

Auch nicht das zarte Kindlein in der Wiege.

GERTRUD.

Die Unschuld hat im Himmel einen Freund!

325– Sieh vorwärts, Werner, und nicht hinter dich.

STAUFFACHER.

Wir Männer können tapfer fechtend sterben,

Welch Schicksal aber wird das eure sein?

GERTRUD.

Die letzte Wahl steht auch dem Schwächsten offen,

Ein Sprung von dieser Brücke macht mich frei.

STAUFFACHER

(stürzt in ihre Arme).

330Wer solch ein Herz an seinen Busen drückt,

Der kann für Herd und Hof mit Freuden fechten,

Und keines Königs Heermacht fürchtet er. –

Nach Uri fahr ich steh’nden Fußes gleich,

Dort lebt ein Gastfreund mir, Herr Walter Fürst,

335Der über diese Zeiten denkt wie ich.

Auch find ich dort den edlen Bannerherrn

Von Attinghaus – obgleich von hohem Stamm,

Liebt er das Volk und ehrt die alten Sitten.

Mit ihnen beiden pfleg ich Rats, wie man

340Der Landesfeinde mutig sich erwehrt.

Leb wohl – und weil ich fern bin, führe du

Mit klugem Sinn das Regiment des Hauses –

Dem Pilger, der zum Gotteshause wallt,

[15]Dem frommen Mönch, der für sein Kloster sammelt,

345Gib reichlich und entlass ihn wohl gepflegt.

Stauffachers Haus verbirgt sich nicht. Zu äußerst

Am offnen Heerweg steht’s, ein wirtlich Dach

Für alle Wandrer, die des Weges fahren.

Indem sie nach dem Hintergrund abgehen, tritt Wilhelm Tell mit Baumgarten vorn auf die Szene.

TELL

(zu Baumgarten).

Ihr habt jetzt meiner weiter nicht vonnöten,

350Zu jenem Hause gehet ein, dort wohnt

Der Stauffacher, ein Vater der Bedrängten.

– Doch sieh, da ist er selber – Folgt mir, kommt!

(Gehen auf ihn zu, die Szene verwandelt sich.)

DRITTE SZENE

Öffentlicher Platz bei Altdorf.

Auf einer Anhöhe im Hintergrund sieht man eine Feste bauen, welche schon so weit gediehen, dass sich die Form des Ganzen darstellt. Die hintere Seite ist fertig, an der vordern wird eben gebaut, das Gerüste steht noch, an welchem die Werkleute auf- und niedersteigen; auf dem höchsten Dach hängt der Schieferdecker. – Alles ist in Bewegung und Arbeit.

Fronvogt. Meister Steinmetz. Gesellen und Handlanger.

FRONVOGT

(mit dem Stabe, treibt die Arbeiter).

Nicht lang gefeiert, frisch! Die Mauersteine

Herbei, den Kalk, den Mörtel zugefahren!

355Wenn der Herr Landvogt kommt, dass er das Werk

Gewachsen sieht – Das schlendert wie die Schnecken.

(Zu zwei Handlangern, welche tragen.)

Heißt das geladen? Gleich das Doppelte!

Wie die Tagdiebe ihre Pflicht bestehlen!

ERSTER GESELL.

Das ist doch hart, dass wir die Steine selbst

360Zu unserm Twing und Kerker sollen fahren!

FRONVOGT.

Was murret ihr? Das ist ein schlechtes Volk,

Zu nichts anstellig, als das Vieh zu melken

Und faul herumzuschlendern auf den Bergen.

ALTER MANN

(ruht aus).

Ich kann nicht mehr.

[16]FRONVOGT

(schüttelt ihn).

Frisch, Alter, an die Arbeit!

ERSTER GESELL.

365Habt Ihr denn gar kein Eingeweid, dass Ihr

Den Greis, der kaum sich selber schleppen kann,

Zum harten Frondienst treibt?

MEISTER STEINMETZ und GESELLEN.

’s ist himmelschreiend!

FRONVOGT.

Sorgt ihr für euch; ich tu, was meines Amts.

ZWEITER GESELL.

Fronvogt, wie wird die Feste denn sich nennen,

370Die wir da baun?

FRONVOGT.

Zwing Uri soll sie heißen,

Denn unter dieses Joch wird man euch beugen.

GESELLEN.

Zwing Uri!

FRONVOGT.

Nun, was gibt’s dabei zu lachen?

ZWEITER GESELL.

Mit diesem Häuslein wollt Ihr Uri zwingen?

ERSTER GESELL.

Lasst sehn, wie viel man solcher Maulwurfshaufen

375Muss über’nandersetzen, bis ein Berg

Draus wird, wie der geringste nur in Uri!

(Fronvogt geht nach dem Hintergrund.)

MEISTER STEINMETZ.

Den Hammer werf ich in den tiefsten See,

Der mir gedient bei diesem Fluchgebäude!

Tell und Stauffacher kommen.

STAUFFACHER.

O hätt ich nie gelebt, um das zu schauen!

TELL.

380Hier ist nicht gut sein, lasst uns weitergehn.

STAUFFACHER.

Bin ich zu Uri, in der Freiheit Land?

MEISTER STEINMETZ.

O Herr, wenn Ihr die Keller erst gesehn

Unter den Türmen! Ja, wer die bewohnt,

Der wird den Hahn nicht fürder krähen hören!

STAUFFACHER.

385O Gott!

MEISTER STEINMETZ.

Seht diese Flanken, diese Strebepfeiler,

Die stehn wie für die Ewigkeit gebaut.

TELL.