Wilhelmine Buchholz' Memoiren - Julius Stinde - E-Book

Wilhelmine Buchholz' Memoiren E-Book

Julius Stinde

0,0

Beschreibung

Die Memoiren der Wilhelmine Buchholz, eine ewig neugierige und hitzige Berlinerin, stellen den vierten Band der äußerst erfolgreichen Reihe dar.

Das E-Book Wilhelmine Buchholz' Memoiren wird angeboten von Jazzybee Verlag und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 384

Veröffentlichungsjahr: 2012

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Wilhelmine Buchholz' Memoiren

Julius Stinde

Inhalt:

Julius Stinde – Biografie und Bibliografie

Wilhelmine Buchholz' Memoiren

Ein Antwortschreiben.

Dienstmädchennoth.

Eine kleine Handarbeit.

Emmis Räthsel.

Geschäftliche Pflichten

Sonntagsruhe.

Eine Aussprache.

Das Kind der Haide.

Strafgelder.

Musikalisch-Polizeiliches.

Ein frohes Ereigniß.

Heimsuchung.

Ein stilles Fest.

Großer Thee.

Ethisches.

Nach Harzburg.

Harz-Tage.

Eine Verlobungsfahrt.

Heirathen.

Unser aller Fest.

Wilhelmine Buchholz' Memoiren, J. Stinde

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849636876

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Julius Stinde– Biografie und Bibliografie

Schriftsteller, geb. 28. Aug. 1841 zu Kirch-Nüchel in Holstein, gest. 5. Aug. 1905 in Olsberg bei Kassel, studierte Chemie und Naturwissenschaften, war, nachdem er 1863 promoviert, in Hamburg mehrere Jahre als Fabrikchemiker tätig, übernahm aber schließlich die Redaktion des »Hamburger Gewerbeblatts« und widmete sich ganz der Schriftstellerei, insbes. dem naturwissenschaftlichen Feuilleton. Außer zahlreichen Aufsätzen in Fachzeitschriften veröffentlichte er: »Blicke durch das Mikroskop« (Hamb. 1869); »Alltagsmärchen«, Novelletten (2. Aufl., das. 1873, 2 Bde.); »Naturwissenschaftliche Plaudereien« (das. 1873); »Die Opfer der Wissenschaft« (unter dem Pseudonym Alfred de Valmy, 3 Aufl., Leipz. 1898); »Aus der Werkstatt der Natur« (das. 1880, 3 Bde.) u. a. Für die Bühne schrieb S. eine Anzahl mit großem Erfolg ausgeführter plattdeutscher Komödien, wie: »Hamburger Leiden«, »Tante Lotte«, »Die Familie Karstens«, »Eine Hamburger Köchin«, »Die Blumenhändlerin« u. a.; ferner das Lustspiel »Das letzte Kapitel«, die beiden Weihnachtsmärchen: »Prinzeß Tausendschön« und »Prinz Unart« sowie gemeinschaftlich mit G. Engels das Volksstück »Ihre Familie«. Seit 1876 in Berlin lebend, schrieb er noch: »Waldnovellen« (Berl. 1881, 2. Aufl. 1885); »Die Wandertruppe oder das Dekamerone der Verkannten« (das. 1881, 3. Aufl. 1887); »Berliner Kunstkritik, mit Randglossen von Quidam« (das. 1883) und seine ergötzlichen Bücher über die Familie Buchholz: »Buchholzens in Italien« (das. 1883), »Die Familie Buchholz« (1884, 87. Aufl. 1905), »Der Familie Buchholz zweiter Teil« (1885), »Der Familie Buchholz dritter Teil: Frau Wilhelmine« (1886), »Frau Buchholz im Orient« (1888), »Wilhelmine Buchholz' Memoiren« (1895), die seinen Namen am bekanntesten machten und seitdem ebenfalls in zahlreichen Auflagen erschienen sind. Es folgten: »Hotel Buchholz. Ausstellungserlebnisse« (1896), »Die Perlenschnur und Anderes« (1887), »Pienchens Brautfahrt« (1891), »Humoresken« (1892), »Ut'n Knick. Plattdeutsches« (1893), »Der Liedermacher«, Roman (1893), »Martinhagen« (1900), »Emma, das geheimnisvolle Hausmädchen« (1904) und aus seinem Nachlaß »Heinz Treulieb und allerlei Anderes«, mit Einleitung von Marx Möller (1906).

Wilhelmine Buchholz' Memoiren

Ein Antwortschreiben.

Von den Philippinen und den Drehschäfken – Von Doppelmorden und Naturgenuß mit Bierzwang – Mutter und Kind – Puppe oder Steckenpferd – Wilhelmine geht auf den Wagenhandel und erklärt, was Memoiren sind – Von Columbus im Album und Herr Kleines als Vorbild – Haremserlebnisse – Wenn Onkel Fritz unverwüstlich ist

Sehr geehrter Herr Verleger!

Es thut mir sehr leid, Ihnen diesmal einen Korb geben zu müssen, aber ich habe meine Gründe, und wenn Wilhelmine Buchholz Gründe hat, ist nichts mit ihr anzufangen. Das wird Ihnen meine sämmtlich Bekannt- und Verwandtschaft bestätigen, wenn Sie eine wissenschaftlich statistische Enquete anstellen, wie jetzt allgemein geschieht, sobald sie von Steuerwegen oder so ähnlich bezweifeln, wie wenig momentan in den letzten Jahren verdient wird. Meinem Manne schicken sie einen Rundfragebogen nach dem andern, aber er hat sich fest vorgenommen, wenn sie ihn wieder drangsaliren und wissen wollen, wie viele Maschen zu einem ausgewachsenen Herrenstrumpf gehören, ihnen einfach zu schreiben: ›zählen Sie selbst nach, meine Herren, einem einfachen Staatsbürger glauben Sie ja doch nicht.‹

Natürlich steht mindestens Schöffengericht darauf, aber wenn man es tribelirt, wird jedes Geschöpf ungemüthlich, und so auch der Unterthan.

Ich beruhige ihn, wenn sich die Zorntolle bei ihm erhebt, und sage: »Karl, Du mußt Deiner Galle nicht so rücksichtslos Gehör geben, sondern bedenken, daß seit längerem die Wissenschaft das herrschende ist und die arbeitet mit den erstaunlichsten Genauigkeiten. Du kannst nicht mehr sagen: es muß so sein oder so, sondern Du mußt berechnen, warum und wieso und weshalb? Früher zum Beispiel kochten wir einfach Wirsing mit Rindfleisch, aber nebenan bei Betti nach dem neuen Kochbuch ist es Kohlhydrat und plasmatisches Zellengebilde mit so und so viel Stickstoff...

»Und das verbitt' ich mir«, rief mein Karl. »So oft sie nebenan auf der Etage Kohl kochen, riecht bei uns die ganze Wohnung. Sie sollen es machen wie früher, da stank es nicht.«

»Das liegt an dem Mädchen, das neulich das Kohlwasser wieder einmal auf die heiße Asche gegossen hatte. Ich habe ihr es strenge untersagt, allein Du weißt, mein Karl, verboten ist leicht etwas, aber sich nicht daran kehren, ist viel leichter.«

»Dann 'raus mit der Philippine.«

»Karl,« entgegnete ich milde lächelnd: »Ein halbweges Dienstmädchen ist heut zu Tage eine Perle ihres Geschlechts. Was im Allgemeinen in diesem Artikel umgesetzt wird, das ist bitter; mir geht schon ein Graul an, wenn ich blos an's Miethskontor denke. Wenn ich aber hin muß, um mich mit einer neuen anzuschmieren, das ist wie ein Gang in einen Hyänenkäfig. Und was haben die schönen Zeugnisse einem angedrechselt? Eine, die man froh ist, schleunigst mit Reu- und Kostgeld wieder los zu werden. Das vorletzte Mal war ein recht voraussetzungsvolles Mädchen da, das die wohllautendsten Zeugnisse vorwies. ›So,‹ sagte ich, ›hier ist der Thaler, also sind Sie von mir gemiethet.‹ – ›Das ist Madame ihre Sache,‹ sagte sie. – ›Ich verlange akkurate Arbeit,‹ sagte ich. – ›Die Arbeit ist meine Sache,‹ sagte sie. – ›Ich glaube, ich habe mich versehen,‹ sagte ich, ›der Thaler gilt nicht mehr.‹ – Da giebt sie mir rasch das Miethsgeld retour, das ich denn nun mit einem feinen Lächeln beisteche, indem ich sage: ›Mir scheint, als wenn wir nicht für einander in die Welt gesetzt sind, aber das ist eine Sache für sich. Adje.‹«

»Karl, Du hättest blos hören sollen, was die Furien jetzt für auf den Schwung bringende Redensarten von sich gaben, die Angemiethete nämlich und die in ihrer Nähe stehenden Donnas. Ich hörte so etwas wie von Falschmünzerin, Beschuppmadam und, ›is die aber jerissen‹, allein da ich schon so gut wie draußen war, bezog ich die Zungenerzeugnisse der Philippinen nicht auf mich.

Wir belegen die Mädchen jetzt alle mit diesem botanischen Gesammtnamen, um zu wissen, was wir meinen, sobald wir auf sie zu sprechen kommen, da man die einzelnen nicht behalten kann, theils weil sie ein wechselvolles Dasein führen, theils weil sie auch egal heißen. So war bei Onkel Fritz eine Emma und Schmidt's hatten auch eine Emma, und als Onkel Fritz seine Emma plötzlich gegen eine Anna veräußert hatte, wußte ja kein Mensch, ob die Emma die alte Emma war oder die neue Anna oder Schmidts Emma die gemeinte Emma, wenn die Rede von einer Emma war. Und alle die vorhergehenden: wer hat ein Gedächtniß für die, oder es müßte schon wie ein Adreßkalender geformt sein.

Darum nennt Onkel Fritz seine immer schlicht Philippine und wir folgen ihm insofern darin, als es einfach und vielsagend, leicht behältlich und frei von Irrthümern ist. Dienstmädchen wollen sie ja nicht mehr heißen und ›Fräulein‹, womit die Bäcker und Schlächter, Krämer und Marktweiber sie anreverenzen, das ist bei mir nicht Mode und wird nicht Mode, und sollte die Aufklärung mit Extrazügen nach Berlin gefahren werden.

Ich gehöre noch zu den Alten.

Das wird Einem jedoch häufig verdacht; man woll modern sein.

Nun wird aber Manches wieder neumodisch, was schon uralt ist, wie man an den Hammelkeulen-Aermeln erleben kann, die unserer Großmütter bereits ebenso trugen, wie wir heute Alle. Es kann eine kochen wie sie will und der Mann nicht mag, aber mit der Mode muß sie gehen, da muß sie bessernde Hand an sich legen, darum sieht man jetzt die Plusterärmel bei Groß und Klein, Hoch und Niedrig, und wie hätte man noch vor zwanzig Jahren darüber gelacht, damals als die Kleider ganz eng anlagen und die Aermel unzeitgemäß waren, wenn sie nicht in den Näthen knackten!

Also, was ist alt und was ist neu?

Hat man schon einiges erlebt und darüber nachgedacht, dann ist das Dasein nicht viel anders als so ein kleines Drehspielzeug, wie auf dem Weihnachtsmarkt immer für sechs Dreier bis zwei Gute zu haben war. Wenn man daran leierte kam ein Schäfken aus der Versenkung, noch ein Schäfken, ein Hirte, ein Hund, eine Ganz, ein Fuchs und jedes verschwand schräge kopfüber in einem Häuschen und kam hinten mit derselben Miene wieder hoch. Dazu klimperte es pink, pink. Spätestens am nächsten Tage war es geliefert mit sammt der Musike.

Manches kommt wieder wenn die Welt sich dreht, gerade so wie die Schäfken, Hirte und Hund und wird von der Jugend und denen die nichts behalten als funkelnagelneu angestaunt und war doch schon einmal da, wenn auch vielleicht nicht so aufgeprezelt, wie sie es jetzt heraushaben. – Manches aber ist weg und bleibt weg.

Mein lieber alter Weihnachtsmarkt! Der ist auch dahin.

Daß wir so Vieles vergessen sollen und können es nicht.

Vergessen ist Verlieren. Wer des Frühlings vergißt, wie kann der Blumen in dem Herbste seines Lebens haben? Ich meine die Blumen der Erinnerung. Es giebt freilich auch Erinnerungsnesseln, aber die Seele hat auch ihre Hände. Damit befaßt sie sich nicht, außer, es sei denn, daß sie sehr hartfellig ist. Und solche laufen auch herum.

Wenn ich so die Greuelthaten lese, die mir die Zeitung jeden Tag zum Kaffee auftischt, – wir genießen sie als Morgenimbiß, weil sie gleich mit dem Frühstück gebracht werden, und das Gleichzeitige gewissermaßen in den Naturgesetzen liegt – dann denke ich mehr als manchmal, Viele, die ordnungsgemäß in den Standesamtlisten stehen sind blos mit Menschenhaut überzogen und andererseits erlebt man so entzückend Gutes, daß man die Frage hinausschreien möchte, warum wird Solches todtgeschwiegen, da der Tag, der mit Nachahmungswerthem beginnt, doch entschieden nützlicher und stärkender ist als einer, wo man über einen Doppelmord mit tödtlichem Ausgange sein Gebäck viel zu lange einstippt?

Freilich folgt einem trüben Morgen oft ein heller Tag, aber wer einen frohen Tag haben will, muß ihn sich machen. Wer das heraus hat, der kann was.

Wir waren im letzten Sommer an einen Sonntagnachmittag in der Hasenhaide. Wie die sich verändert hat, das ist einem Fremdling nicht auseinanderzupolken und wenn man auch den Handatlas von Velhagen und Klasing zur Hülfe nimmt, den mein Schwiegersohn sich angeschafft hat, weil er Reichlicheres und Eingehenderes für sein Geld nicht erwerben kann. Wo früher Leute Bier tranken sind jetzt Straßen und wo sie umsonst im Grase unter Kiefern lagen und ihr Mitgebrachtes knabberten, müssen sie jetzt Entree zahlen oder mit Gewalt etwas verzehren, um geduldet zu werden. Das ist sogenannter freier Naturgenuß mit Bierzwang.

Die Haide hat sich in Stadt verwandelt, die Sandwege sind bestgepflasterte Straßen mit blitzhohen Häusern geworden, und Turnvater Jahn's Monument wird auch wohl bald weiter hinausgerückt um Baugrund zu gewinnen, denn wenn sie in dieser Gegend nicht um Plätze verlegen wären, würde man doch das Elisabeth-Kinder-Hospital nicht mitten zwischen den Biergärten errichtet haben. Rechts liegt der Hasenhaider Ausstellungspark mit zwei Musikchören, gegenüber Happold mit einem Trompetertempel und links wird auch nach Kräften gedrehorgelt. Rückwärts aber grenzen die Schießstände unmittelbar daran, so daß hinten geknallt und vorne getutet wird, was den kranken kleinen Wesen wahrscheinlich sehr förderlich zur Genesung ist. Es kann ja auch sein, daß sie rechtzeitig an das Militairische gewöhnt werden sollen, Alltags an das Schießen und Sonntags an die flotten Parademärsche, nur begreife ich nicht, wie Virchow seinen Segen zu dieser Anlage geben konnte, da er sonst doch gleich sieht, wo etwas im Staate ungesund angelegt wird und sich sträubt.

Wir wandelten mit dem Menschenstrom hinaus, bewunderten den pilzartigen Aufschwung des Baugewerbes, sahen theils mit Staunen, theils mit Mitleid, was die Leute anstellen, um den Lebensnickel zu verdienen, wie sie Feuer fressen um Brot kaufen zu können und sich als Pojatze auskleiden, damit sie einigermaßen anständig gehen. Und die Rutschbahnen sind auch wieder aufgekommen, nachdem man sie Jahre nicht hatte, wogegen sie in unserer Kindheit zu den Unterhaltungsmerkwürdigkeiten gehörten. Dazu die riesigen russischen Schaukeln, als wenn an Schwindeligkeit Mangel wäre.

Dicht neben der neuen Welt war eine von ganz gehöriger Größe im Gange und die Kinder baten und prampirten auch richtig so lange, bis ihnen einige Umdrehungen bewilligt wurden. es liegt wohl so im Menschen drinn, daß er am Beweglichen seinen besonderen Spaß hat.

Weil nun die Kleinen durch die Luft schwangen, durchforschte ich das menschliche Getriebe, das auf diesem eingeplankten Seitenplatze ein ziemlich geknuddeltes war, indem die Leute sich hümpelweise vor den Buden ansammelten, beim Würfeln zusetzten oder besahen was sie nicht anfassen durften und sich wieder dünne machten, wenn sie ihren Wissensdrang gestillt hatten und das, was nachkommen sollte für eine Kapitalanlage gerade nicht werth erachteten. Dann gingen sie durch das Thor auf die Hauptstraße anderwärts hin, wo es auch schön war und Neue traten an, um sich zu überzeugen, ob das Vergnügen hier eben solche Schattenseiten hätte, als da, wo sie eben herkamen.

An diesem Thor erlebte ich nun etwas Merkwürdiges.

Das Thor an und für sich war, sie sonne Thore mehrstens sind, aus zwei eisenstäbigen Flügeln gezimmert, von denen der eine sperrweit aufstand. Den andern aber hatte ein Kind sich angeeignet, ein Würmeken in langem Kleidchen, einem armen Kleidchen, alltäglich am Sonntag, aus oft gewaschenem Kattun. Bräunliche löcherige Strümpfe hatte es und entzweiige Schuhchen. Einen Hut hatte es nicht, es lief so herum in seinem weißblonden Haar, das ihm glatt an dem Kopfe anlag. Aber mit seinen wasserblauen Augen blickte es lachend ins Leben, denn es hatte ein herrliches Spielzeug, den einen Thorflügel nämlich. Den schob es zurück und freute sich seines Thuns und auch wohl seiner Kraft, denn es stemmte mit Eifer und Anstrengung dagegen, obgleich es nicht viel über zwei Jahre sein mochte.

War das Thor von dem Kleinen ganz geöffnet, dann gingen die Leute in zwei breiten Strömen ein und aus. Rechts wogten sie herein, links hinaus. Wenn das Kleine aber den Flügel zugemacht hatte, mußten die Leute sich mit dem hälften Durchwege begnügen und statt rechts und links glatt ein und aus, stuckte sich die Menge pausenweise, bis sie aneinander vorbei konnte.

Da dachte ich, wann wird nun wohl Einer von den Vielen zu der Frau sagen: »Nehmen Sie doch Ihr Kind an sich, es versperrt ja die Passage.« – Denn die Mutter stand dabei, ebenso ärmlich wie das Kleine, aber nicht mit lachenden Augen, sondern trostlosen, gramvollen, mit Augen, die das Weinen aufgegeben hatten, weil es doch nichts half.

Es sagte aber Keiner ein Wort.

Ich wollte abwarten. Unseren Kindern gab ich daher noch einige Nickel zum Verfahren, damit ich ohne Aufsehen stehen bleiben konnte.

Das Kleine schob das Thor auf und schob das Thor zu und die Menschen stauten sich und ließen's sich gefallen von dem Kinde.

Keiner sagte ein Wort und Alle nahmen sich in Acht, daß sie das kleine Geschöpf nicht rempelten oder ihm zu nahe kämen. Das thaten sie wie etwas Selbstverständliches.

Ich machte meinen Karl darauf aufmerksam.

»So ist das Herz des Volkes,« sagte er, »einem Kinde fügt es sich, wenn es seinem natürlichen Empfinden folgt. Und was ich hier sehe, erfüllt mich mit der Zuversicht, daß es allen Ausstreuungen doch nicht gelingen wird, den alten guten Kern mit Giftlehren zu durchsetzen. Das macht mich recht froh.«

»Freut mich, mein Karl, denn Du bist in letzter Zeit etwas gnedderiger veranlagt gewesen, als Du Dir früher jemals merken ließest, und wenn Du natürlich guter Laune irgendwodurch wirst, ist mir auch, als wenn der Klavierstimmer die Saiten meines Gemüthes nachgeschroben hätte. Ich wollte dem Jungeken vorhin schon ein Vergnügen machen – am liebsten mit einer gediegenen Kleinigkeit oder Eßbarem – meinst Du aber nicht auch, es wäre am richtigsten, ich wende mich zuerst mal an die Mutter, denn dieweil das Kind noch keine Hosen trägt, kann man ja nicht wissen, ob eine Puppe angebrachter ist oder ein Steckenpferd.«

Mein Karl billigte zu und ich wandte mich an die blasse Frau:

»Is det Ihr Kleener?«

Die Frau sah mich an, als hätte sie nicht verstanden; dann nickte sie ein kaum erkennbares »Ja.«

Also es war ein er.

»Ich möchte ihm gern etwas schenken,« fuhr ich fort. »Was würd' ihm wohl am liebsten sein?«

Die Frau warf mir einen gedankenlesenden Blick zu, der sich jedoch weniger mit meiner Physiognomie als mit meinem neuen Sommerumhang beschäftigte.

»Wat hab' ick Ihnen jedahn,« fragte sie mit einer Art fremdländischer Wortbehandlung, »dett Sie mir und mein Kind verhöhnen? Wir wollen nischt jeschenkt haben; mein Junge, der wird sich sein Recht schonst nehmen, wenn er man erst jroß is.«

Statt aller Antwort ging ich und kaufte in der nächsten Bude Honigkuchen und verehrte ihn dem Kleinen. Der nahm ihn, biß hinein und hielt ihn dann seiner Mutter zum Kosten hin.

»Frau,« sagte ich, »wo wohnen Sie? Für den Jungen mußt was geschehen, der ist ja ein Herzensjunge. Ihnen geht es nicht gut...«

»Nee,« unterbrach sie mich bitter, »Sammt und Seide drage ick nich,« und sah verächtlich auf meinen Umhang, einen einfachen von Gerson zu herabgelassenem Preise.

»Wissen Sie, Grobheiten lass' ich mir nicht sagen,« wies ich ihre Redensarten kurzweg ab. »Ich hatte es ordentlich mit Ihrem Knaben im Sinn und dachte ihm wenigstens einen frohen Tag zu machen. Aber Sie sind ja die Mutter und müssen am besten wissen, was ihm bekommt. Adje.«

Mit der Mutter war ich fertig, aber nicht mit dem Jungen; wenn ich nämlich einen Willen habe, setzt ich ihn auch durch und deshalb kaufte ich ihm ein roth und blau angemaltes Wägelchen. Als ich damit zurückkam, wie die Mutter keinesfalls gedacht hatte, und es dem Kleinen gab, der aus ganz runden Verwunderungsaugen sah, als er es befingern und behalten durfte, da sänftigte sich ihre Kratzbürstigkeit. Möglicherweise hatte sie sich auch eines Besseren besonnen, während ich auf den Wagenhandel gegangen war und verlegen stotterte sie:

»Ick meente nich so... ick meente – mit uns meent et keener nich jut – alle meenen se...«

»Liebe Frau, nu lassen Sie det meenen man sind,« redete ich, »damit kriegt der Junge nichts Warmes weder auf noch in den Leib und Beides scheint mir sehr angebrachtermaßen. Außerdem hab' ich keine Zeit länger. Also wo wohnen Sie, damit wir den Fall weiter besprechen können?«

Da sie begriff, daß ich nicht gesonnen war, den Rest meines Lebens in dem Menschengeschubbse zuzubringen, kam sie mit ihrer in der Skalitzerstraße belegenen Hausnummer heraus und ich versprach, ihr verschiedenes Enkelabgelegtes zuzustellen, was nicht nur wohl erhalten ist, sondern für die Südostkante Berlins einen vollkommenen unterdenlindenhaften Sonntagseindruck macht, zumal wenn man im dritten Hof fünf Treppen hoch wohnt und dort unter den Armen noch zu den weniger Bemittelten gehört.

Wie trübe es ihr ging, das erfuhr ich später, und auch warum und wieso, denn das meiste menschliche Unglück rührt von Ursachen her, obgleich Manches Einem auch wie Erkältungen anfliegt: ohne daß man sich darnach beträgt, hat man was weg.

Meinem Karl war das Gewarte auch schon über und die Kinder mußten sich fügen; so gingen wir denn, um den Nachmittag irgendwo in Ruhe zu beendigen, was bei der ins Unendliche gesteigerten Auswahl von Lokalen jetzt eine ganz andere Ueberlegung erfordert als Anno damals vor der Erfindung der Weltstadt. –

Verehrtester Herr Verleger, was müssen Sie von mir denken?

Sie schreiben mir einen huldreichen Brief und machen mir den Vorschlag, meine Memoiren herauszugeben und legen eine Reihe Briefe aus verschiedenen Welttheilen bei, worin angefragt wird, ob die Buchholz nicht bald wieder etwas von sich hören ließe? Es würde nachgerade Zeit.

Ich thäte den Leuten ja ganz gern den Gefallen, aber... es geht nicht.

Denn, sehen Sie, was sind Memoiren?

Ich habe einfach keine.

Memoiren sind doch Beschreibungen, wie man mit hohen Herrschaften zusammenstieß oder wenn sich etwas Historisches ereignete, wobei mehr oder minder weitläufige Verwandte wirklich dabei waren, und worüber an eidesstatt versicherte Papiere vorhanden sein müssen. Oder auch solche Geschichten, wie sie in unseren Familien nicht üblich sind und wenn sie doch vorkommen sollten, schämt man sich davon zu sprechen, geschweige sie auf den Büchermarkt zu schleudern.

Freilich, je größer eine Familie ist, je mehr sich heranheirathet, je verzweigter sie sproßt, um so reichlicher Gelegenheit zu Passirbarem bietet sie und ist sie lawinenartig ausgedehnt, geschieht auch alle Augenblicke etwas, sei es mit den Kindern oder den Neffen, oder den Nichten und selbst Onkel's scheniren sich manchmal nicht. Ich kenne eine stark multiplizirte Familie, in der ist immer Eins krank oder todt und sie kommen aus Ängsten und Trauer nie heraus, weshalb sie den schwarzen Kaschmir gleich stückweise nehmen. Und neulich – sie waren gerade einmal ohne Flor und Jett, als vergnügte Hochzeit werden sollte von Vetter und Kusine, die schon mehrmals aufgeschoben hatten, weil sie entweder Begräbniß gehabt hatten oder haben sollten – da starb ausgerechnet die nächste wenn auch alleinstehende Tante. Aber es verwunderte keinen der sie kannte: sie war immer so mißgünstig.

Wer hieran zweifelt, der braucht blos ein Photographiealbum seiner eingehenden Betrachtung zu unterwerfen oder mit dem Finger auf die Einzelnen deuten und nach der Lebensgeschichte fragen. Freilich, es wird nicht Alles gesagt, was vorliegt, aber, wenn man jegliches erführe, ob da wohl eine einzige Familie wäre, die behaupten könnte: in unserem Album sind lauter Engel?

Deshalb ist es sehr weise eingerichtet, daß die Photographie wohl das Äußere sehr naturgetreu abnimmt, das Innere jedoch verhüllt lassen muß. Nur die Bergfeldten macht kein Hehl daraus. Die sagt Jedem, dem sie ihres Sohnes Bild zeigt: »Das ist mein Emil, der hat sich todt geschossen. Aber er ist nicht schuld daran, das sind diese beiden Hexen.« Und dann schlägt sie die Seite auf, wo Emils Frau und Schwiegermutter stechen und haut mit der Faust darauf, wodurch die Bilder ziemlich von ihrer ursprünglichen Sichtbarkeit eingebüßt haben. Dennoch ist mir der Bergfeldten Geradeherausheit lieber, als wenn die Krausen ihren Eduard neben das Portrait von Columbus sticht und erklärt, ›er wäre jetzt auf einer Entdeckungsreise, die zu einem glänzenden Resultat führen werde‹, wo er trotz Lateinisch und Griechisch doch blos simpler Matrose ist und Gott danken muß, daß Jemand Amerika vor ihm entdeckt hat, weil er sonst nie dahin lang gekommen wäre. Wo er sich aufhält weiß sie selbst nicht, nur daß sein Schiff nach Baltimore oder da so herum bestimmt war. Schreibliebe besaß er von jeher nicht.

Wie viele Emile und Eduarde, Emilien und Eduardinen wohl zum Vorschein kämen, wenn man einmal eine Umfrage mit straffälliger Bejahung anstellte? Und wo sie noch jung sind, wer sieht voraus, wie sie sich anrauchen? Welches Lied und Beschreibung wird einst zu ihrem Bilde im Album gesungen? Oder werden es Memoiren?

Wer hat die Verantwortung, wenn die Kinder welche werden?

Man verlangt allerdings, die Erwachsenen sollen ihnen als Vorbilder vorangehen. Das ist sehr bald gesagt, aber gutes Beispiel geben, hat so seine Mucken. Wenn zum Beispiel Herr Kleines sich voranschlängelt, was kann darnach kommen?

Wie es Herr Kleines in Amerika betreibt, erfährt man nur gerüchtweise. Einige wollen wissen er hätte eine Dollarfabrik, andere, er wäre General geworden. Onkel Fritz meint, er beschäftigte sich wohl mit dem Anbau großer Rosinen.

Ich behaupte: in jeder Küche ist angestoßenes Geschirr, selbst in der vornehmsten, und jede Familie hat irgend Jemand mit einem Spliß, bringt aber bei Besuch weder das Eine auf den Tisch, noch den Andern auf's Tapet.

Von dieser Art Memoiren, verehrter Herr Verleger, habe ich nicht, da müssen Sie sich schon an Eine wenden, die es besser versteht als ich und sich feste auskennt. Mein Horizont ist zu klein, der reicht nicht weit über die Landsbergerstraße.

Wenn Sie jedoch Memoiren meinen, wie man sie früher leidenschaftlich las, mit nächtlichem Davongeschleiftwerden, reizenden Seeräubern, unterirdischen Thürmen, vater- und mutterlosen Jünglingen, die nachher ganz andere sind, und Jungfrauen, die noch viel schöner aussehen als sie Guitarre spielen: die Nummer habe ich ebenfalls nicht auf Lager.

Damals in Konstantinopel wäre wohl Gelegenheit gewesen, etwas zu erleben; der geeignete Platz war vorhanden, die Memoiren jedoch blieben aus. Nur eine Geschichte wurde mir dort erzählt und zwar von einem jungen Vergnügungsreisenden, der durchaus in einen Harem wollte. Nun kommt ein fremder Mann unter keinen Umständen in den Harem, aber da er immer wieder davon anfing und kein Abreden fruchtete, thaten sie ihm denn den Gefallen, einige von den Deutschen nämlich, die schon heimisch am goldenen Horn sind. Sie mochten wohl eingesehen haben, daß, wo Vernunftgründe nicht mehr ziehen, der Mensch gegen Thatsachen geprallt werden muß und zwar der Härte des Schädels angemessen.

Als er ihren Worten wieder und wieder keinen Glauben schenken wollte und quoste daß er oft gelesen, wie mancher schon famose Abenteuer im Harem erlebt hätte und er sich nicht fürchtete und der ganze Orient fauler Zauber wäre, wenn man nicht einmal die Odalisken eines alten krummbeinigen, vierroßschweifigen Paschas kennen lernte, da sagten sie: wenn er heilig schwüre, sich ihren Anordnungen ohne Widerrede zu fügen und sie nicht zu verrathen, wollten sie seinen Gelüsten nachgeben und ihm den Zutritt in einen Harem vermitteln. Er müsse aber vorsichtig sein, denn der Bosporus sei tief und die Seefische, die er an der Gasthaustafel gegessen hätte, wären blos so fett von den Wasserleichen.

Am Abend kam eine Sänfte, denn dieses von Menschen getragene Fuhrwerk ist die einzige in den echten Bergstraßen von Pera mögliche Droschke, und holte ihn mit verbundenen Augen ab. Wohin sie ihn schleppten konnte er nicht wissen, und weshalb er nicht sehen durfte, so helle war er nicht, darüber nachzudenken. Genug, als sie ihn aus dem Affenkasten ließen, befand er sich in einem Hofraum, und ein Sklave von sehr fatinitzahafter Beschaffenheit führte ihn in die inneren Gemächer, wo auf Divans drei verschleierte Schöne saßen, die ihn mit den dunkelsten Augen des Morgenlandes anplinkerten.

Mein Jüngling natürlich außer sich: richtig im Harem und der Pascha zu Bier oder wer weiß wo? Mit einem Worte abwesend.

Er nun heran an die Zuleima's und erklärt, daß es der glücklichste Moment seines Lebens, die Ehre zu haben, den Schönsten der Schönen seine Aufwartung zu machen.

Die Schönsten der Schönen klappern mit den Augen und den Fächern aber reden keinen Ton.

Er nun weiter in dieser Art Zwiegespräch, wo er Solo-Süßholz raspelt und keine Gegenliebe findet. Da fällt ihm denn mit einem Male ein, daß er nicht irgendwo in Berlin zum Thee ist, sondern sich Damen gegenüber befindet, die das sogenannte Türkisch sprechen, worin er, weil er es auf dem französischen Gymnasium nicht gehabt hat, gründlich passen muß. Dies war eben das Merkwürdige, daß bei allen Geschichten, die er gelesen hatte, die Dialektunkenntniß, das Verständniß nie gehindert hatte. Man kam und sah und konnte die fremde Sprache.

Seitdem ich im Orient war, habe ich für meine Person einen Riesenverdacht auf die Erlebtheit solcher Geschichten und doch ist mir das Wunderbare geschehen, daß Anfragen an mich gerichtet wurden, ob ich wirklich die Reise gemacht hätte, die in »Buchholzens im Orient« beschrieben ist. Wie wohl Jemand am Schreibtisch reisen kann? Und wie wenig die Leute, die so etwas fragen, vom Schreiben verstehen. Na, für die hat die Buchholzen die Feder auch nicht strappeziert.

Wie der Jüngling nun nicht weiß, mit welcher er zunächst anbändeln und was er überhaupt reden soll, da die Odalisken kichern und miteinander tuscheln und ihn anlächeln und fragen und er nicht antworten kann, da bammst es mit einem Male draußen gegen die Thür und ein Heidengetümmel wird vollführt.

Die Mädchen kreischen; eine fällt in Ohnmacht; der Sklave stürzt herein. Man hört Waffengeklirr und Schießen. Der Jüngling wird blaß. Eine alte Sklavin wälzt sich hinter einem Vorhang hervor.

»Fliehe, schöner Franke,« flüstert sie ihm zu, »der Pascha mordet Dich, wenn er Dich erwischt. Die drei werden morgen gesäckt. Komm durch das Hinterpförtchen.«

Sie ihn mit sich gezogen ins Finstere, durch eine Thür ins Freie. Da aber waren wieder Welche. Die schrieen und schlugen um sich. Er an der Hand gefaßt, fortgezogen über Steine und Gräben, zuletzt durch eine Cactushecke gezerrt, daß die Stacheln ihn piekten und schunden. Da war er gerettet. Die Freunde waren in der Nähe und brachten ihn ins Hotel. Am andern Tage reiste er ab. Was ein Harem ist, das hatte er nun weg.

Dasjenige, wo er geabentheuert hatte, war ebensowenig Harem wie ein gemüthliches Bürgerhaus in Berlin, wo man Scherz versteht. Einer der Deutschen hatte die armenische Familie, bei der er möblirt wohnte, gebeten, sich persönlich mit Mutter und zwei Töchtern an der vergnügten Hineinlegung des haremsgieperigen Jünglings zu betheiligen. Und da sie im Orient ebenso ulklustig sind wie in den germanischen Breitengraden, gelang der Feez zur völligsten Gediegenheit. Was jedoch die alte Sklavin war, so saß in diesem Kostüm der junge Mann, der mir die Sache erzählte, als wir bei Janni in der großen Perastraße einen Schoppen Löwenbräu genehmigten.

Dies ist die einzige Memoire nach der abenteuerlichen Richtung hin, und da Hörensagen kein Augenschaun ist, übernehme ich nicht die geringste Gewähr dafür. Hingegen »Buchholz im Orient« trägt meine volle Verantwortung, die stimmt so genau, daß man darnach reisen kann, worüber Klüglinge, die nicht dort waren, natürlich nur ein falsches Urteil haben.

Meine Gründe werden Ihnen nun wohl klar geworden sein, warum ich nicht schreibe.

Ich sprach auch mit Onkel Fritz darüber, daß Sie Erinnerungen aus früheren Tagen wünschten. Er sagte: »Was gehen uns die alten Zeiten an, sie kümmern sich auch nicht um uns.«

Das ist aber nicht seine eigentliche Meinung. Ich weiß ja, wie er in der Vergangenheit lebt, wenn man die Tage, in denen er mit allen Großen des Landes zusammen in den Krieg zog, Vergangenheit nennen will. Für ihn sind sie ein Unvergeßliches. Und rührt Jemand dran, wurmt es ihn, und wurmt ihn was, wird er wild. Das heißt nicht so wie sonst mit zuhauen oder sehr schnodderig, sondern ruhiger und es liegt mehr dahinter.

Ist er hingegen aufgekratzt, dann ist er unverwüstlich. Was könnte ich von ihm erzählen! Sein Glück liegt im Häuslichen und darin finden wir Alle unsere Zufriedenheit.

Sie aber wollen Memoiren.

Die giebt's nicht, wo die Kinder noch im Gröbsten sind. Wen freut es, was die kleinen Geschöpfe thun und äußern als die Nächsten? Kommt man Fremden damit, rümpfen die ihre gelehrten Riechorgane und sagen: unsere sind viel vorwärtser für ihr Alter, von der angeborenen Intelligenz gar nicht zu reden. Was gehen uns Anderleutens an?

Sehen Sie, das ist ungefähr das erste halbe Dutzend meiner Gegengründe, weshalb ich Ihrem geschätzten Verlangen nicht nachkommen kann, so leid es mir thut, denn ich habe Geschichten zu liegen, allein schon von meiner Philippine, mehr als auf eine Elephantenhaut geht. Ich unterlasse es aber, denn ich weiß Gottlob was Bildung ist.

Dienstmädchennoth.

Wenn das Schicksal einen Krach fügt – Von Logik und Chlorkalk und was den Pastoren bleibt – Warum Wilhelmine ein zu scharfer Schütze ist und die Lene Ozon verlangt – Warum mein Karl den Faden findet und Onkel Fritz in die Schlummerrolle beißt – Warum Wilhelmine den Zettel schreibt und die Zuckerdose putzt – Warum man nie auslernt

Und was Sie auch anstellen... ich thu's doch nicht. Ganz gewiß nicht, Herr Verleger!

Allerdings haben Sie insofern Schlau- und Spürsinn, als Sie in den geheimsten Fächern meines Schreibsecretairs einen Posten Aufzeichnungen vermuthen, denn ich sage mit Goethe, was man schwarz auf weiß notirt, das besitzt man, aber ich lasse es mir nicht aus dem Hause tragen. Mir fiel nämlich vor längeren Jahren ein, das Allernöthigste, was fehlt, ist eine Grammatik über Dienstmädchen, woraus eine junge Frau oder Eine, die Aussicht hat, an die höhere Krippe gebunden zu werden und womöglich schon im Standesamtskasten befestigt ist, sich über die dienende Rasse gerade so genau belehren kann wie die Primaner über die alten Griechen und Römer, womit sie nachher ihr Fortkommen auf den Universitäten und in der höheren Staatsbeförderung bewerkstelligen.

Ich dachte dabei vorwiegend an meinen Augapfel, an Onkel Fritzens Wilhelmine, die noch den ganzen gewundenen Lebenslauf vor sich hat und keine Ahnung, wie schwer es ist, Großmutter zu werden. Wenn ich so auf mich zurückblicke und mir sage: dem holdreichen süßen Engel wird nichts von Alle dem erspart, was Du hast probiren müssen, Wilhelmine, wie Du Dich abmarachtest, wie drange es manchmal ging, wie es darauf ankam, im rechten Augenblick das Richtige anzuordnen, wie es Lebens Süßigkeiten mit dem Theelöffel zugemessen werden, die Bitternisse hingegen eimerweise und immer gerade von den Dienstmädchen, Einem direkt vor die Füße, da erklärt es sich von alleine wie Brotschneiden, daß man auf das Schreibbedürfniß von solchem Buche verfällt. Keine Erfahrung wollte ich verschweigen, sogar solche nicht, woran ich selber schuld war, auf daß mein Herzblatt im Kampfe mit den Küchendrachen alle ihre Schliche kennt und schon längst da war, wenn sie etwas Herrschaftsärgerliches vorhaben, ihr sonstwie dumm kommen, die Männer aber behaupten, man hätte nicht die rechte Art, die Mädchen zu halten. Selbst mein Karl vertritt zeitweise die Ansicht, und wenn ich eben meine, ihn vom Gegentheil überzeugt zu haben, fügt das Schicksal gewöhnlich einen Krach mit der Besenfee, auf den er dann spottlächelnd hinweist und sich logisch rühmt. Nachgerade bin ich mir jedoch völlig klar, was die Männer unter Logik verstehen: wenn wir sie nämlich für uns beanspruchen, ist es Rechthaberei.

Letzthin kam Onkel Fritz. Ich war im Nebenzimmer, nachdem ich so eben mit meinem Manne einen kleinen Meinungsstreit über Logik gehabt hatte – denn wer wirkliche Logik hat, zieht sich zurück – und sah seine Wäsche nach, weil ich keine bin, die sich mit unangenähten Knöpfen rächt, und die Beiden zählten wohl auf meine Abwesenheit, da sie sonst jedenfalls nicht in einen Dialog ausgeartet wären, der selbst die Familiengrenzen überschritt, die in Bezug auf Rücksichtslosigkeit leider Gottes selbst im gebildeteren Mittelstande genug gezogen zu sein pflegen.

»Wo ist Deine Olle?« fragte Onkel Fritz.

Anstatt sich diesen Kasernenausdruck zu verbitten, schlug Herr Karl Buchholz in dieselbe Kerbe und erwiderte: »sie booßt sich!«

»Woso?« untersuchte Onkel Fritz.

»Du bist doch auch verheirathet, was fragst Du? Zuerst legte sie sich mit der Philippine an, dann fing sie mit mir an, weil mich der Zank nichts anging, dann wurde ich ärgerlich und nun ist sie ärgerlich, weil ich ärgerlich ward, daß sie mit dem Mädchen ärgerlich wurde. Aber das Schlimmste ist, zuletzt wurde sie logisch.«

»Ei, wei Backe!« rief Onkel Fritz in einem Tone, daß ich nicht erst abzuzählen brauchte, ob er Partei für die Schwester nahm oder für den Gatten? Weshalb auch noch das Gehirn mit Scharaden anstrengen, da doch die Männer den Frauen gegenüber stets einig sind? Ein großes Glück, daß sie uns nicht entbehren können. Wie mein Karl wohl manchmal ginge, wenn ich nicht für seine Außenseite strebte? Habe ich, um nur anzudeuten, je seine Hemden außer dem Hause dem Chlorkalk überantwortet? Aber sieht er es ein?

Ich hätte leicht ein Hinwerfgeräusch mit einem Nähkastengegenstand verursachen können oder eine Erkältung mit Kröcheln heucheln, jedoch wozu Mätzchen machen, da mein Karl wissen mußte, daß ich mich in der Hörweite befand und wenn er nicht von einem plötzlichen Staar befallen war, sehen mußte, wie sperrangelweit die Thür aufstand. Mindestens drei Handbreit.

»Sehr grollig?« fragte Fritz.

»Das Gewitter zieht wohl wieder ab,« sagte mein Karl nach einer Pause. »Ich gebe Dir die Versicherung: an mir lag es nicht.«

»Brauchst Du nicht erst bemeineidigen: wer mault, hat Unrecht.«

Daß ich nicht auf- und dazwischen fuhr, war ein Beweis unmenschlicher Selbstbeherrschung; ich hätte blos sehen mögen, wenn ich die Krausen gewesen wäre.

Ich lächelte vor mich hin, aber es war das sogenannte eisige Lächeln, das in Romanen immer da zum Vorschein kommt, wo die Sache schief geht. Ich maulte, demzufolge hatte ich Unrecht! Und das nennen die Männer Logik.

Erstens maulte ich durchaus nicht, sondern hatte mich nur absentirt, um meinen Karl zu schonen, weil Aerger ihm schadet und er, wenn er erst im Zuge ist, mit Marlicen anrückt, die er sich nach und nach von Onkel Fritz angenommen hat. Ich bat ihn ja blos, eine ernste Mahnung an das Dienstmädchen zu richten, da ich das mir zu Gebote stehende Konversationslexikon ohne eine Spur von Erfolg erschöpft hätte.

Und was antwortete er? »Wilhelmine, wenn alle predigen wollen, was bleibt dann den Pastoren? Dein ewiges Kanzeln nützt nichts, es macht sie höchstens gleichgültig. Jedes Uebermaß stumpft ab.«

»Eben weil sie gleichgültig sind, muß ihre Achtsamkeit geweckt werden. Wenn Du etwas zweimal sagst und sie thun es nicht und noch dreimal und erst recht nicht und zum viertenmale und dann verdreht, kannst Du dazu schweigen? Nein, dann fährst Du mit ihnen ab und zwar auf den gesetzlich vorgeschriebenen Bahnen, weil sie sonst mit Dir abfahren und Du liegst drinn. Siehst Du, so verstehe ich Uebermaaß und ich kann nicht sagen, daß es ich abstumpft; im Gegentheil, meine Nerven werden jedesmal so spitz darnach, daß ich sie ordentlich kribbeln fühle.«

»Ich auch,« entgegnete er, »sie stechen förmlich.«

Als er dies gesagt hatte, ging ich; hier wäre jedes weitere Eingehen vom Uebel gewesen und das wollte ich vermeiden. Von Maulen konnte also keine Rede sein.

Und Recht hatte ich.

Onkel Fritz wußte von Nichts, der war ja nicht dabei gewesen. Aber das ist ja die heutzutagige Oberflächlichkeit: man merkt sich irgend einen Satz und bringt ihn als Weisheit an, er mag klappen oder nicht. Nein, mein verehrter Herr Bruder: nicht wer mault hat Unrecht, sondern man mault sehr oft nicht, obgleich man das volle Recht dazu hat, findet jedoch für solche Entsagung keine Anerkennung. Kann man es den Damen daher verdenken, wenn die Frage nach den Frauenrechten immer dringender wird?

Wenn ich ferner meinen Karl bitte, einmal ein Machtwort in das häusliche Getriebe zu schleudern, muß doch wohl Nothwendigkeit vorliegen. Aber auch hiervon hatte Onkel Fritz keinen blassen Schimmer, denn sonst hätte er unmöglich meinen Karl aufgeputscht, indem er sagte:

»Weißt Du Schwager, sie (mit dem einfach kleingeschriebenen ›sie‹ war ich gemeint) ist ein zu scharfer Schütze für ein kleines Revier. Früher, als die Familie noch beisammen war und Ihr sie sogar mit Stützen erweitertet, da konnte sie sich hinreichend loslassen, ohne daß der Einzelne zuviel abkriegte. Jetzt aber, wo sie ihre Gesammtthätigkeit auf den einen Dienstbolzen konzentriert, – Dich rechne ich nicht mit, weil Du Kummer gewohnt bist – hat sie das Unglückswurm natürlich gleich zur Strecke.«

»Und unser jetziges Mädchen ist so still und bescheiden, so anspruchslos...«

Dies war mir zu viel. Mich jedoch bezwingend, ruhig und gemessen trat ich wie die Medea aus dem Schauspielhause in meinem roth und schwarz gestreiften Morgenrock ein und rief nur das allerdings hinziehende Wort:

»Karl, Du irrst Dich gründlich.«

Die Wirkung war wie ich voraussah. Mein Karl wußte nicht wie bekehrt er war und Onkel Fritz machte ein so deutliches Fluchtversuchsgesicht, daß ich sagte: »Bleib, Du sollst nun auch mich anhören, mir kann es nicht gleich sein, ob man falsch über mich denkt oder aufrichtig und von meinem Karl verlange ich, daß er mir beisteht, denn die Lene ist eine so scheinheilige Kreatur, wie mir bis jetzt noch keine von der Vorsehung beschieden war. Du nennst sie anspruchslos, Karl, aber was sagst Du dazu, daß sie beansprucht, wenn es an ihrem Ausgehe-Sonntagnachmittag regnet, ich ihr in der Woche einen extra mit gutem Wetter freigebe, um sich in der Luft zu erholen. Als ich ihr geziemender Weise sagte, sie müßte sich an Falb wenden, der regierte das Klima, fragte sie gegen, wer das Krankengeld bezahlte, wenn sie aus Mangel an Ozon ihre Gesundheit zerrüttete? Mich wundert blos, daß ich ihr keine Equipage halten soll.«

Sie sieht auch bleich aus, nahm mein Karl sie in Schutz.

»Weil sie den ganzen Hafen Essigpflaumen ausgefuttert hat. Ich halte sie immer als Dauerkompott, weil sie in der Mehrzahl zu brandsauer sind und den abgehärtesten Schlünden widerstehen. Das spart mein Karl. Kein Wunder, wenn sie aussieht wie ihr eigenes Gespenst. Und das mußt Du doch selbst sagen, Fritz, für Eine, die so mit der Säure aufräumt, ist das süße Eingemachte nur ein Hauch.«

»Ich habe für Kompötter kein Verständniß,« lehnte Onkel Fritz das seinerseitige Eingreifen in die Verhandlung ab. »Uebrigens,« fügte er nach einiger Ueberlegung hinzu: »setze ihr einen Topf voll doppelsohlenkauendes Nashorn hin, das ist gut gegen Säure. Vielleicht nascht sie sich gesund.«

»Ich werde der Schleckerliese für mein Geld Natron kaufen, wenn sie sich den Magen mit meinem Eingemachten verkolkt. Das wäre zu übertriebene Unfallversicherung. Nein, ich lasse sie antreten und Du, mein lieber Karl, schärfst ihr ein, wie unzufrieden ich mit ihr bin und daß sie sich ändern muß, widrigenfalls ernste Maßregeln ergriffen werden. Du kannst einen Schutzmann mit einflechten oder sonst was Einschüchterndes... bedenke, wenn sie über mich triumphirt, bin ich so lange drunter durch als sie im Hause ist. Ihren Zettel habe ich so wie so geschrieben. Hat sie Ozon verlangt, stell' ich ihr die komplete Atmosphäre zur Verfügung.«

Ohne den Herren der Schöpfung Zeit zu sogenannter logischer Besinnung zu lassen, gab ich der elektrischen Klingel einen festen Druck und zog Onkel Fritz mit mir in das Zimmer nebenan, dessen Thür ich soweit andrehte, daß hinreichende Schallwellen durchkonnten.

Ich bin nicht für Horchen, denn es ist höchst schenant, wenn die Dienstmädchen die Schlüssellöcher als Telephonübertragung benutzen, hier jedoch, in diesem Falle, galt es aus dem Hinterhalt die Person in ihren eigenen Schlingen zu fangen. Auch war ich gespannt, wie mein Karl sich dabei haben würde so zu sagen als Ankläger, Vertheidiger und Gerichtspräsident in einer Person. Onkel Fritz freute sich unbändig darauf, er schmunzelte schon im Voraus.

Diejenige kam; wir lauerten wie angenagelt.

»Der Herr haben geklingelt?« fragte sie.

Mein Karl brachte seinen Kehlkopf in Ordnung und sagte »Hm!«

Onkel Fritz wollte losbrechen, aber ich winkte ihm strengstes Stillschweigen.

Nun fiel mir ein, meinem Karl das Schlimmste von der Philippine noch gar nicht erläutert zu haben. Daß nämlich, weil wir doch wegen der immerwährenden Gasometerdifferenzen draußen ebensowohl Petroleum brennen wie in den inneren Gemächern, sie, als neulich die Flurlampe gequalmt hatte, was ihre Sache ist, sie mir auf einen so ruhig wie möglichen Verweis entgegenschnodderte: ›Das wird wohl der Herr gewesen sein‹. Wo bleibt der männliche Respekt des Hausherrn, wenn die dienende Person ihn für die Dielenlampe verantwortlich macht oder mir anmuthen will, ich könnte eine Havannah nicht von einem Rundbrenner unterscheiden?

Solche Gedanken gehen mit Photographirschnelle vor sich, ja, ich hätte noch eine Mandel ähnlicher denken können, ehe mein Karl seine sonst so geläufigen Rednertalente entfaltete.

Ich wollte ihn schon anpurren: »Karl, drucks' zu« als er den Faden bereits gefunden hatte.

Wir beide also nicht schlecht gehorcht.

»Lene« fing mein Karl an – »oder Helene... ich weiß nicht, wie Sie eigentlich heißen... –«

»Magdalene,« flötete sie. Und ich bin fest überzeugt, sie machte solche unschuldig verschleierte Augen dazu wie stets, wenn sie etwas gerade eben kaput geschmissen hat und mir aufbinden will, sie hätte es nicht anders als zertöpfert gekannt. – Sage ich: »es war heil« sagt sie »aber nicht zu meiner Zeit«. Beweise hat man nicht und muß neu ergänzen, weil Herrschaften bei der Gesetzgebung in jeder Beziehung den Kürzeren ziehen.

Es ward meinem Karl furchtbar schwer.

»Also Magdalene?« begann er wieder.

»Zu dienen,« antwortete sie schmachtend.

»Ein hübscher Name,« sagte mein Karl.

Onkel Fritz warf sich auf das Sopha, daß sie den Knack drinnen hörten, da mein Karl den Tonfall plötzlich änderte und recht bekümmert sagte:

»Magdalene, läßt es sich denn gar nicht ändern, daß meine Frau immer mit Ihnen schelten muß?«

»Ach,« entgegnete sie, »machen der Herr sich darüber nur keine Sorge, ich mache mir auch nichts daraus.«

Ich war starr, als ich dies vernahm. Onkel Fritz dagegen biß in die Schlummerrolle und ruderte mit Händen und Füßen, als sei er in die Spree gestürzt und müßte ertrinken.

Meinen Karl hatte die Antwort verdrossen und mit einer mir wohlthuenden Strenge sagte er darauf:

»Ihre Bemerkungen lassen Sie besser unterwegs. meine Frau ist mit Ihnen im höchsten Grade unzufrieden, und wenn Sie es so weiter treiben, mache ich von den Rechten Gebrauch, die mir gesetzlich zustehen.«

»Ich habe meine Schuldigkeit überall gethan, wo ich war,« sagte sie sanft, »und überall die besten Zeugnisse. Madame hat mein Buch ja selbst gelesen.«

»Seine Schuldigkeit muß Jeder thun, das ist kein besonderes Verdienst. Hier handelt es ich aber um Essigpflaumen, um einen ganzen Hafen voll Essigpflaumen. Wo sind die geblieben?«

»Es waren schon keine mehr da, als ich kam,« log sie mit solcher Treuherzigkeit, daß ich selbst einen Augenblick zweifelte, ob sie nicht wirklich alle gewesen sein könnten. Aber das waren die vorvorjährigten.

»Gar keine?« fragte mein Karl mit einer gewissen polizeilichen Pfiffigkeit.

»O ja... aber die...«

Nun fing sie an zu weinen. Ich strammte mein Trommelfell, Onkel Fritz tauchte in die Höhe, da wir Beide den gemeinsamen Gedanken hatten: Was kommt denn nanu?

»Wie war es mit den Pflaumen?« fragte mein Karl, der natürlich ebenso gespannt auf die Fortsetzung war wie wir.

»Madame hatte die große Güte,« bekannte sie mit Thränenschluckunterbrechungen, »und gab mir eines Sonntags welche, aber ich konnte nur eine herunterkriegen und die nicht einmal ganz. Und da...«

»Weinen Sie nur nicht. Und da...?«

»Da gab ich sie Abends meinem Bräutigam,... und seit der Zeit... ist er nicht wiedergekommen. Uh...hu!«

Nun war es aus. Onkel Fritz brach los und schlug mit den Hacken einen Triller auf den Fußboden, während ich vor Wuth über solche Durchtriebenheit nicht wußte, was ich angeben sollte. Hingehen und ihr vor den Kopf sagen, wie eine Lügenkatze sie sei und ihr dennoch das Gaudium bereiten, daß ich nebenan gelauert und ihre Anzüglichkeiten Buchstaben für Buchstaben genossen hatte? Oder sich stellen als wäre man auf dem Boden gewesen und ihr sagen, es müßte nothwendig gefegt werden? Doch dies ging auch nicht.

Onkel Fritz hatte durch sein ungesittetes Gelächter unsere Gegenwart jenseits der vorstehenden Thür verrathen. Er taugt eben nicht als Gallerie bei feierlichen Angelegenheiten, er ist sogar im stande der Maria Stuart zu einem glänzenden Lacherfolge zu verhelfen.

Die Donna war gegangen; mein Karl kam zu uns.

»Nach vierzehn Tagen bin ich von ihr erlöst,« sprach ich, »wenn nicht eher. Jetzt gleich gebe ich ihr den Zettel. Wie ihr Zeugniß ausfällt, daran wird sie ihr Wunder haben. Ich sage Euch, es wird ausfallen.«