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Wie tickt Tennis-Star Novak Djokovic? Wie trainiert Ironman-Weltmeister Jan Frodeno seinen Kopf? Welche mentalen Fähigkeiten sind gefragt, um Weltmeister oder Olympiasiegerin zu werden? Doch vor allem: Was kann jede und jeder von uns für das eigene Leben mitnehmen? Spitzensportler sind wahre Experten, wenn es um Konzentration und Selbstdisziplin, permanente Weiterentwicklung sowie das Abrufen von Bestleistung unter Druck geht allesamt Faktoren, die auch für die berufliche Karriere entscheidend sind. WINNING INSIDE zeigt eindrucksvoll, auf welchen Prinzipien das Training im Kopf basiert und dass jedermann lernen kann, mental stark zu werden. WINNING INSIDE bedeutet, den Blick nach innen zu richten und zu verstehen, dass im reflektierten Umgang mit den eigenen Gedanken und der Entwicklung eines entsprechenden Mindsets der Schlüssel zum Erfolg liegt.
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Seitenzahl: 367
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Für Noah, Sophia und Jakob
Inhalt
Eine neue Mentalität für die moderne Arbeitswelt
Grundlagen des Selbstmanagements
Wir sprechen mit uns selbst
Die beiden Betriebssysteme unseres Gehirns
Predictive Mind: Der Vorhersagen treffende Geist
Die Bedeutung der Selbstreflexion
Anleitung zur Selbstreflexion
Motivation
Die Wurzeln der Motivation
Erfolgsgeheimnis intrinsische Motivation
Keine Motivation ohne stimmige Motive
(
De-)Motivationsfaktor Geld
Willenskraft: Motivation ist nur die halbe Miete!
Wie uns Selbstdisziplin zum Erfolg führt
12 Tipps für mehr Selbstdisziplin
Konzentration
Die Fallstricke der digitalisierten Arbeitswelt
Das Zusammenspiel von Belastung und Erholung
Das ultradiane Stress-Syndrom
Chronobiologie: So tickt unsere innere Uhr
Die Kraft des Mittagsschlafs
Gewinnermentalität
Das Konzept der Selbstwirksamkeit
Flexibles und statisches Selbstbild
Sich Stärken und Erfolge bewusst machen
Herausforderung oder Bedrohung?
Denk-Disziplin: Die drei »C«s der Gewinnermentalität
Siegreiche Niederlagen
Resilienz: Die Stehaufmännchen-Mentalität
Performance
Die Natur der Versagensangst
Die Kraft der Visualisierung
Zuversichtlich, aber nicht naiv sein
Eine Vision vor Augen haben
Embodiment: So tun, als ob!
Die Bedeutung des inneren Dialogs
11 Strategien zum Abrufen von Leistung unter Druck
Stressmanagement
Stress: Was ist das eigentlich?
Stress ist nicht gleich Stress
Stress ist immer individuell
Mentale Säbelzahntiger
Auf Stress programmiert?
Wie Sie ein positives Mindset entwickeln
Das Trainingsprogramm BRAIN
Mentale Balance
Die Biologie der inneren Balance
Wie wirkt Entspannung?
Die Kraft der Atmung
Achtsamkeit
Weiterführende Literatur
Personen- und Stichwortverzeichnis
Über Markus Hornig
Über Dr. Angela Kerek
Eine neue Mentalität für die moderne Arbeitswelt
Was haben herausragende Athleten wie Roger Federer, Cristiano Ronaldo, Jan Frodeno, Steffi Graf, Franziska van Almsick oder Nadine Angerer gemeinsam? Sie alle stehen oder standen in ihrem Sport an der Weltspitze und haben ihn auf einzigartige Weise geprägt. Sie sind absolute Vorbilder, wenn es darum geht, das Leistungsvermögen über viele Jahre hinweg systematisch zu entwickeln und zu optimieren. Daneben zeichnet sie eine zweite Qualität aus: Bestleistung genau dann abzurufen, wenn’s zählt!
Spitzensportler folgen ganz bestimmten Erfolgsprinzipien, die man lapidar auch als »Spielregeln für Leistung« bezeichnen könnte. Wer es im Sport nach oben schafft, lernt früh, welche Gesetzmäßigkeiten es anzuwenden gilt, um erfolgreich zu sein. Eine kluge Trainings- und Wettkampfplanung mit einer stetigen Erhöhung der Anforderungen, eine konsequente Berücksichtigung des Zusammenspiels von Belastung und Erholung, das Prinzip der systematischen Wiederholung, das Einhalten der Reihenfolge der zu trainierenden Faktoren, z. B. dass man Technik immer vor Kraft trainiert, stellen nur einige dieser Gesetzmäßigkeiten dar. Der Unterschied – und gleichzeitig die Begründung, weshalb der Spitzensport der modernen Arbeitswelt im Bereich Selbst- und Leistungsmanagement als Erfolgsmodell dienen kann – zeigt sich in der Herangehensweise an den Faktor Leistung: Ein Athlet muss die biologischen Gesetzmäßigkeiten, nach denen die »Maschine Mensch« funktioniert, verstehen und sein Training entsprechend anpassen, will er seine Leistung systematisch verbessern und entwickeln. Die gesamte Trainingslehre und Sportwissenschaft basiert auf diesen zeitlos gültigen Spielregeln, die für jeden Menschen gleich sind. Anders ausgedrückt:
Im Sport geben die Biologie und die Physiologie des Menschen die Spielregeln vor, nach denen trainiert und gearbeitet wird.
Neben diesen biologisch-physiologischen Leistungsprinzipien gibt es auch psychologische Gesetzmäßigkeiten für die Entwicklung mentaler Stärke. Diese sind größtenteils der Evolutionspsychologie zuzuordnen, einem Forschungsgebiet, das versucht, menschliches Verhalten mit psychologischen Gesetzmäßigkeiten zu erklären, die für das Überleben in der Urzeit elementar waren. Im Kern steht die Annahme, dass sich die Überlebenschancen der Jäger und Sammler erhöht haben, wenn sie sich psycho-mental und psycho-sozial intelligent verhielten. Psycho-mental meint in erster Linie die Selbstreflexion, d. h. das Nachdenken über sich selbst, um sein Handeln und Verhalten zu hinterfragen, lernbereit und optimistisch zu sein, seine Gedanken zu steuern sowie intelligent mit seinen Emotionen umzugehen. Gleiches gilt für die psycho-soziale Intelligenz. Je besser die Menschen kooperierten, Hilfsbereitschaft, Zuverlässigkeit, Fairness, Einfühlungsvermögen und Empathie an den Tag legten, desto größer die Chancen für das Überleben. Die Entwicklung von sozialer und emotionaler Intelligenz spielte demnach eine Schlüsselrolle für das Überleben. Sie sind knallhartes Rüstzeug, das in der Urzeit die Überlebenschancen steigen ließ und auch heute maßgeblich für den Erfolg in Job und Karriere ist. Die Wissenschaft ist sich einig, dass in jedem von uns entsprechende Anlagen vorhanden sind, doch inwieweit daraus mentale Stärke wächst, hängt davon ab, wie wir diese Potenziale entwickeln und entsprechend an uns arbeiten.
Mentale Stärke ist nicht angeboren, sondern für jedermann erlernbar!
Sportler benötigen ein besonderes Maß an mentaler Stärke, zumal sie der Herausforderung ausgesetzt sind, Leistung zeitpunktgenau und vor Publikum abzurufen, ohne sich dabei verstecken zu können. Hier liegt die Ursache, weshalb der Sport seit der Antike eine solche Faszination auf die Menschen ausübt. Sportler stimmen darin überein, dass es der »Kopf« ist, der maßgeblich über Sieg oder Niederlage entscheidet. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass es die Sportpsychologie war, die dem Selbstmanagement, so wie es heute verstanden wird, den Weg bereitet hat. Die siebenfache Grand-Slam-Siegerin Venus Williams bringt es auf den Punkt: »Menschen lieben Sport, weil man hier alles erlebt. Es ist Triumph und Desaster in Echtzeit. Die Leute leben und sterben für den Sport, weil du einem nichts vortäuschen kannst. Es geht nicht. Entweder schaffst du es – oder nicht!«1
Gibt es in der Welt des Sports klare Richtlinien und Gesetzmäßigkeiten, nach denen Körper und Kopf trainiert werden, so herrscht in der modernen Arbeitswelt zumeist ein konträres Bild, wenn es um das Management von Leistung geht. Obwohl es auch dort um Leistung und Erfolg geht und Konzentration zum wichtigsten Rohstoff geworden ist, sind sich nur die wenigsten im Klaren darüber, wie man Leistung systematisch steuert und welche Gesetzmäßigkeiten es dabei zu befolgen gilt. Nicht die bio-logischen und psycho-logischen Leistungsprinzipien bestimmen den Takt, vielmehr wird nach einer subjektiven »Nach-Gefühl-Methodik« gearbeitet, die man sich meist irgendwann einmal – nicht selten bereits in der Schulzeit – angeeignet hat.
Würde ein Spitzensportler agieren wie der moderne Kopfarbeiter, würde er sich schnell auf den hinteren Plätzen der Ranglisten wiederfinden. Ein Athlet, der nicht nach den naturgegebenen Spielregeln von Körper, Gehirn und Geist arbeitet, dessen Leistungsfähigkeit wird nach und nach sinken. Er wird auf lange Sicht mit denselben Gefahren konfrontiert wie der Kopfarbeiter.2 Was für den Kopfarbeiter das Gefühl des ständigen Getriebenseins, der Überforderung und der Erschöpfung ist, stellt für den Sportler das Übertrainingssyndrom dar. Wer ohne Plan oder nach falschen Gesetzmäßigkeiten trainiert, sich selbst zu sehr unter Druck setzt, seine unbewussten Motive nicht kennt, unzureichend Selbstreflexion betreibt, zu Perfektionismus neigt und sich keine Schwächen eingesteht, läuft Gefahr, sich zu überfordern. Sind Menschen dann auch noch Getriebene der digitalen Arbeitswelt, die geprägt ist von permanenter Erreichbarkeit, ständiger Unterbrechung, Information Overload und Multitasking, ist es nicht verwunderlich, dass viele über kurz oder lang an Leistungsfähigkeit einbüßen oder ausbrennen.
Wenn es um die Frage von Leistungsmanagement, der Entwicklung mentaler Stärke sowie eine ressourcen- und gesundheitsfördernde Herangehensweise an den ganzheitlichen Komplex »Leistung« geht, können die Leistungsprinzipien des Spitzensports dem Kopfarbeiter – vom Sachbearbeiter bis zum Business Leader – wertvolle Impulse und Inspiration liefern. Mit einer nachhaltigen Umsetzung dieser »Spielregeln« und Leistungsprinzipien kann der moderne Kopfarbeiter sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: am Erfolgsmodell Spitzensport lernen, wie man zum einen sein Potenzial systematisch entwickelt und erfolgreich wird, und zum anderen, wie man dann, wenn es wirklich zählt, sein Können selbstsicher und souverän abruft.
Winning Inside
überträgt die mentalen und strategischen Leistungs-und Erfolgsprinzipien des Spitzensports auf das Anforderungsprofil des modernen Kopfarbeiters in der digitalisierten Arbeitswelt, für den mentale Stärke immer mehr zum entscheidenden Erfolgsfaktor wird.
Winning Inside
macht deutlich, weshalb man die Herangehensweise an den Faktor Arbeit neu denken muss. Wem es gelingt, die grundlegenden Leistungsprinzipien von Gehirn und Geist in seinen Arbeitsalltag zu übertragen, der wird in der Arbeitswelt der Zukunft einen Wettbewerbsvorteil haben. Dazu liefert das Buch das Know-how und entsprechende praktische Instrumente.
Winning Inside
bedeutet, seinen Blick nach innen zu richten und zu verstehen, dass in der Auseinandersetzung mit sich selbst das größte Potenzial für beruflichen und privaten Erfolg liegt.
Die Dynamik und Komplexität des modernen Alltags
Erinnern Sie sich noch an den Mauerfall am 9. November 1989? Wenn Sie sich das Bild der euphorisierten Menschen, die ihre Freiheit freudetaumelnd auf der Berliner Mauer neben dem Brandenburger Tor feierten, ins Gedächtnis rufen, was fällt Ihnen dabei auf? Richtig: Nicht ein Einziger hatte ein Handy! Seitdem, drei Jahrzehnte nach diesem historischen Ereignis, ist unsere Welt eine andere geworden. Die digitale Revolution hat unser Leben mehr verändert, als es sich die Generation unserer Großeltern in ihren kühnsten Träumen hätte vorstellen können. Ein Blick in die Geschichte lohnt an dieser Stelle, um die Herausforderungen besser zu verstehen, denen wir uns im digitalen Zeitalter zu stellen haben.
In 99% der Entwicklungsgeschichte des Menschen veränderte sich seine Lebenswelt kaum. Die Zukunft der Kinder sah über Jahrtausende hinweg ähnlich aus wie das Leben ihrer Eltern und Großeltern. Die Menschen lebten als Jäger und Sammler, Fischer und Bauern, und die Söhne gingen der Arbeit ihrer Väter und Großväter nach. Die Natur diktierte den Takt des Lebens. Die Zyklen von Tag und Nacht und der Rhythmus der Jahreszeiten waren die natürlichen Taktgeber.
Dies veränderte sich schlagartig mit Beginn der Industrialisierung im 18. Jahrhundert. Mit der Entwicklung von Dampfmaschine und Eisenbahn entstanden die ersten Fabriken. 1880 erfand Thomas Edison die Glühbirne, und die Nutzung des elektrischen Lichts machte die Nacht zum Tag. Damit begann die Abkopplung von den von der Natur vorgegebenen Rhythmen. Die industrielle Revolution war eingeläutet. Jetzt konnte rund um die Uhr gearbeitet werden, und der Takt der Maschinen übernahm das Kommando.
Heute, zu Beginn des dritten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts, hat sich unser Leben im Gegensatz zu dem der Fabrikarbeiter des 19. Jahrhunderts nochmals um ein Vielfaches beschleunigt. Computer und Internet sind die Beschleuniger unserer Zeit. Smartphones – die es erst seit gut zehn Jahren gibt – sorgen dafür, dass wir über die digitalen Informationen immer und überall auf der ganzen Welt in Echtzeit verfügen können.
Unser Leben hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten radikal und rapide verändert. Tempo und Beschleunigung sind zur Signatur unserer Zeit geworden.
Professor Michael Kastner, Leiter des Instituts für Arbeitspsychologie und Arbeitsmedizin IAPAM, hat für diese Entwicklung sogar einen neuen Begriff geprägt: »Dynaxität«, das Zusammenwirken bzw. die Wechselwirkung von Dynamik (»Dyna-«) und Komplexität (»-xität«). Er beschreibt damit, dass das Tempo der Veränderungen immer schneller wird, Wissenszusammenhänge zunehmend unübersichtlicher werden, Stress, Hektik und Leistungsdruck in der Gesellschaft ansteigen. Planbarkeit und Prognostizierbarkeit der Zukunft nehmen ab, der Blick in die Zukunft ist ein Blick in die Unsicherheit. Industrie 4.0, bei der sich Maschinen miteinander »unterhalten«, autonomes Fahren, Drohnen, die Pakete ausliefern, 3D-Drucker, mit denen man z. B. Prothesen ausdrucken kann, oder Roboter in der Altenpflege sind längst keine Szenarien mehr aus Science-Fiction-Filmen, sondern die Realität, die direkt vor unserer Tür auf uns wartet. Die künstliche Intelligenz und die Robotik werden unsere zukünftige Welt verändern, wie wir es uns derzeit noch gar nicht vorstellen können.
Entwicklung des Spitzensports
In derselben Zeit, in der sich die Arbeitswelt so gravierend verändert hat, haben Beschleunigung, Dynamik und Komplexität auch dem Spitzensport ihren Stempel aufgedrückt. Wer sich einmal den Spaß macht, sich zunächst einige Szenen aus dem Fußball-WM-Finale 1974 zwischen Deutschland und den Niederlanden anzusehen und unmittelbar danach das WM-Finale 2014 zwischen Deutschland und Argentinien, bei dem kann sich durchaus das Gefühl einschleichen, dass bei der 74er-Übertragung irgendwie der Film zu langsam läuft. Hier zeigt sich die sprunghafte Zunahme von Dynamik, die beispielhaft ist für die gesamte Welt des Sports. Hatten Beckenbauer und Co. den Ball im Schnitt noch drei Sekunden am Fuß, bevor sie ihn weiterspielten, liegt die Kontaktzeit des heute von Spitzenteams gespielten One-Touch-Stils bei unter einer Sekunde, was in der Konsequenz nicht nur zu höherem Tempo, sondern gleichzeitig auch zu mehr Möglichkeiten im Spiel, sprich zu mehr Komplexität führt.
Die heutige Spielergeneration muss nicht nur mehr und schneller laufen, sondern auch im Kopf immer einen Schritt voraus sein. So laufen Spieler heute in einem 90-minütigen Spiel im Durchschnitt zehn bis elf Kilometer, sprinten ungefähr 800 bis 1200 Meter, beschleunigen 40 bis 60 Mal und ändern die Laufrichtung etwa alle fünf Sekunden. In Zeiten von Pelé und Beckenbauer legten die Spieler gerade die Hälfte der Laufstrecke zurück – und das in einem deutlich gemäßigteren Tempo.
Kreativität, Risikobereitschaft, Eigeninitiative und Verantwortungsbewusstsein gehören mittlerweile zu den Schlüsselqualifikationen eines Fußballprofis. Der Spielertyp »Soldat«, der sich minutiös und gewissenhaft an die Vorgaben des Trainers hält und akkurat seine positionsrelevanten Aufgaben »abarbeitet«, wie dies zu Beckenbauers Zeiten der Fall war, hätte im heutigen Fußball kaum noch eine Chance. Die Anforderungen an einen Fußballprofi sind heute ungleich höher als noch vor 20 Jahren: Der Torwart muss nicht nur Bälle abwehren, sondern gleichzeitig auch das Spiel eröffnen, Verteidiger müssen sich in den Angriff einschalten und Stürmer müssen verteidigen – die ganze Mannschaft stürmt oder verteidigt. Das Spiel heute ist so schnell, intensiv und komplex geworden, dass es die Spieler zwingt, selbst mitzudenken und nicht nur körperlich, sondern auch geistig stets auf Höhe des Balls zu sein. Thomas Müller vom FC Bayern München, zur Arbeitsweise seines ehemaligen Trainers Pep Guardiola befragt, bringt es auf den Punkt: »Der Trainer verlangt sehr viel, beansprucht den Kopf stark – und das nicht nur beim Kopfballtraining. Man muss als Spieler immer mitdenken, sich mit dem Spiel beschäftigen.«3
Survival of the fittest: Wer sich am schnellsten anpasst, gewinnt!
Wie im Sport gibt es auch in der Arbeitswelt keinen Stillstand. Es gibt keine Zeit, sich auszuruhen oder sich gar in Sicherheit zu wiegen. Die Binsenweisheit, dass man sich von Titeln der Vergangenheit nichts kaufen kann, ist auch in der Arbeitswelt zum Grundgesetz geworden. Auch hier ist permanente Weiterentwicklung, um zukunftsfähig zu bleiben und dem Wettbewerbsdruck standzuhalten, die Herausforderung, der man sich zu stellen hat. Im Rückblick auf das klägliche Scheitern der Fußball-Nationalmannschaft bei der WM in Russland 2018 waren die warnenden Worte von Ex-Bundestrainer Jürgen Klinsmann aus dem Jahr 2017 geradezu hellseherisch. Klinsmann prangerte die immer schlechter werdende Bilanz der Bundesliga in den europäischen Wettbewerben an und verwies darauf, dass sich mit dem Gewinn der WM in Brasilien 2014 eine gewisse Sattheit und Selbstherrlichkeit im deutschen Fußball eingeschlichen habe. Klinsmann dazu klar und unmissverständlich in der Sport Bild: »Die Ergebnisse sind aus meiner Sicht ein Anzeichen, dass eine gewisse Selbstzufriedenheit eingekehrt ist. Zufriedenheit ist in jedem Berufsfeld ein Killer. Darum muss die
Bundesliga aufpassen, dass sie international nicht unnötigerweise den Anschluss verliert.«4
Dies gilt zunehmend auch für die moderne Arbeitswelt. Projektarbeit, ständige Erreichbarkeit, Zeitdruck, hohe Flexibilität oder viele unter »alternative Modelle« einzuordnende Arbeitsformen (wie ortsungebundener Einsatz von Mitarbeitern, virtuelle Teams, geteilte Stellen etc.) sind im Zeitalter der Digitalisierung und Globalisierung an der Tagesordnung und nehmen immer mehr zu. Wollen Menschen, die in diesem System arbeiten, erfolgreich sein, kommen sie nicht umhin, sich permanent anzupassen, sich neu zu orientieren und dazuzulernen. Stillstand bedeutet Rückschritt! Nie war dies sichtbarer als in der digitalisierten Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts, das gerade erst begonnen hat. Ein Baum, der nicht mehr wächst, stirbt. Darwins Prinzip des »Survival of the fittest« bedeutet nicht, wie viele denken, dass der Stärkere gewinnt, sondern der, der sich am schnellsten an die sich verändernden Umweltbedingungen anpasst.
Dieses universale Prinzip der Evolution ist über Nacht zum fundamentalen Erfolgsfaktor in einer digitalisierten und vernetzten Arbeitswelt geworden, die von Arbeitswissenschaftlern mit dem Akronym VUKA beschrieben wird:
V
steht für
Volatilität
, ein Begriff aus der Physik, der Unbeständigkeit und Schwankungen bezeichnet.
U
steht für
Unsicherheit
, das heißt, die Regeln und Gesetzmäßigkeiten, nach denen die Arbeitswelt der Vergangenheit funktioniert hat, haben ausgedient.
K
steht für
Komplexität
, das heißt, die durch Digitalisierung und Globalisierung vernetzten Prozesse werden komplizierter und sind nicht mehr durch einfache Ursache-Wirkungs-Ketten verstehbar.
A
steht für
Ambivalenz
und meint, dass nichts mehr ist, wie es scheint, und einfache Erklärungen nicht mehr ausreichend sind, um komplexe Zusammenhänge zu beschreiben.
Mentale Stärke wird zum entscheidenden Wettbewerbsfaktor der Zukunft
Zukunftsforscher prognostizieren, dass das Arbeitsleben der Zukunft durch mehrere Berufswechsel gekennzeichnet sein wird und dass Selbstverantwortung, Selbstorganisation und eine hohe Veränderungsbereitschaft zum unverzichtbaren Rüstzeug für die Karriere werden. Die Coronakrise scheint diesbezüglich wie ein Brandbeschleuniger. Vor allem das schlagartige Begreifen, dass jeder von uns von der Digitalisierung betroffen ist, egal ob Schüler im Homelearning, Eltern im Homeoffice, oder die Großeltern bei der Skype-Telefonie, trug massiv dazu bei, die Zukunft von Privat- und Berufsleben neu zu denken. Stellvertretend für diesen Entwicklungssprung ist das folgende Statement von Professor Paul Kirchhof, prominenter Verfassungsrechtler, in einem Podcast auf dem Nachrichtenportal von Gabor Steinert: »Wir werden die Eigenverantwortlichkeit des freien Menschen für sich selbst, […] für seine Gesundheit, […] für seine Ausbildung, für seinen Beruf, stärken. Wir werden nicht alles […] vorgeprägt und vorgedacht bekommen, sondern wir entfalten die Eigeninitiative des einzelnen Menschen neu, weil er am besten weiß, was für ihn gut ist.«5
Wer nicht bereit ist, sich dieser Veränderungsdynamik zu stellen, und denkt, es sich in seiner Komfortzone bequem machen zu können, dessen Erfolgschancen werden rapide sinken, wenn auch für den Einzelnen vielleicht nicht so brutal wie für Unternehmen. Denn Firmen, die sich dieser Anpassungsdynamik und dem Veränderungsdruck entziehen, werden vom Wettbewerb gnadenlos aufgefressen. Wer erinnert sich noch an die einstigen Branchenführer Nokia, Kodak oder Quelle? Ob es uns gefällt oder nicht: Die neue Zeit hat die alte, in der man vom Lehrling bis zum Rentner im gleichen Unternehmen blieb oder gar seinen Arbeitsplatz an seine Kinder »vererbt« hat, schlagartig abgelöst.
Wie im Sport, wo Selbstmanagement, permanente Weiterentwicklung und mentale Stärke über die Karriere entscheiden, wird die Entwicklung einer entsprechenden Gewinnermentalität auch im Berufsleben zum Wettbewerbsfaktor.
Doch was verbirgt sich genau hinter dem Begriff »mentale Stärke«? Im Allgemeinen meint mentale Stärke mit Optimismus, Zuversicht und Lernbereitschaft durchs Leben zu gehen, sich nicht von Rückschlägen aufhalten zu lassen, Eigenverantwortung zu übernehmen und sich als Persönlichkeit weiterzuentwickeln. Für die berufliche Karriere spielt mentale Stärke eine besondere Rolle, denn es sind nachweislich nicht diejenigen mit dem höchsten IQ, dem größten Talent oder den besten Uni-Abschlüssen, die am erfolgreichsten sind, sondern nachweislich die mit der besten Einstellung. Das im Sport gültige Gesetz »Einstellung schlägt Talent!« gilt auch im Berufsleben, was die beiden Forscherinnen Carol Dweck (»Selbstbild: Wie unser Denken Erfolge und Niederlagen bewirkt«6) und Angela Duckworth (»GRIT: Die neue Formel zum Erfolg – mit Begeisterung und Ausdauer ans Ziel«7) in ihren Büchern eindrucksvoll belegt haben.
So wird verständlich, dass der Begriff Intelligenz, wie wir ihn im Allgemeinen verstehen, primär im Sinne von Logik und Rationalität, in Zukunft noch weniger dienlich sein wird, um Erfolg oder Karriere vorauszusagen. Bereits in den 1980er-Jahren schuf Howard Gardner, amerikanischer Professor für Kognition und Pädagogik, den Begriff der multiplen Intelligenz und definiert damit sieben primäre Formen der Intelligenz: Neben der logisch-mathematischen Intelligenz (z. B. Probleme logisch lösen, mathematische Berechnungen, programmieren), zählen die verbale Intelligenz im Sinne von Gebrauch von Sprache (z. B. Journalisten, Rechtsanwälte, Lehrer), die visuell-räumliche Intelligenz im Sinne von Erfassen von Räumen, Größen und deren Zusammenhängen (z. B. Architekten, Ingenieure, Piloten), die körperlich-kinästhetische Intelligenz im Sinne von Körperbeherrschung (z. B. Sportler, Schauspieler) und die musikalisch-rhythmische Intelligenz im Sinne musikalischen Verständnisses (z. B. Musiker, Komponisten, Sänger) zu den ersten fünf. Eine besondere Bedeutung spielen die Intelligenzformen an sechster und siebter Stelle: die interpersonelle Intelligenz, d. h. die Fähigkeit mit anderen Menschen zu interagieren, sie zu verstehen, sich in sie einzufühlen etc., sowie die intrapersonelle Intelligenz, d. h. diejenige, sich selbst mit seinen Gedanken, Emotionen und Überzeugungen zu verstehen und sich entsprechend als Persönlichkeit zu entwickeln.8 Gestützt wird diese Sicht durch Daniel Goleman, klinischer Psychologe und Autor des Weltbestsellers »Emotionale Intelligenz«9. Er unterteilt die emotionale Intelligenz in fünf Bereiche – emotionale Wahrnehmung, emotionale Selbstregulation, Fähigkeit zur Selbstmotivation, Empathie sowie soziale Intelligenz – und zeigt, dass eine Entwicklung dieser fünf Faktoren der Schlüssel zu beruflichem Erfolg und privatem Lebensglück ist.
Demnach beruht mentale Stärke primär auf einer geschärften Selbstwahrnehmung und der Entwicklung eines positiven Selbstkonzepts. Es geht darum, die Arbeitsweise des Gehirns zu verstehen und entsprechend mentale Trainingstechniken zu erlernen. Wieso der Spitzensport diesbezüglich als Erfolgsmodell dienen kann, erklärt einer der Pioniere der Sportpsychologie, der 2014 verstorbene Professor Hans Eberspächer, der die deutsche Olympiamannschaft bereits 1976 bei den Olympischen Spielen in Montreal betreute: »Denn die Mechanismen, die Spitzensportlern helfen, nützen auch Führungskräften, Leistungsträgern, ja selbst der unter Dauerstress stehenden berufstätigen Mutter von zwei Kleinkindern.«10
Abb1: Erfolgsprinzipien im Spitzensport
Was wir vom Spitzensport für unser Berufsleben lernen können. Beispiele:
Was erwartet Sie in diesem Buch?
Der Hauptteil des Buches beginnt mit einem einleitenden Kapitel zu den »Grundlagen des Selbstmanagements«. Es beschreibt die Arbeitsweise des Gehirns und vermittelt ein Grundverständnis für die Entstehung unseres Denkens, Fühlens und Handelns. Die typische Zweiteilung der Arbeitsweise des Gehirns in einen bewussten und einen unbewussten Anteil – sozusagen in zwei Betriebssysteme – stellt die Basis für das Verständnis sämtlicher mentaler Trainingstechniken dar. Darauf basierend werden im Anschluss in sechs unabhängigen Kapiteln die einzelnen Bereiche, die elementar für die Entwicklung mentaler Stärke sind, vorgestellt. Zusammenfassend machen sie das Selbstmanagement aus.
Die sechs Bausteine des Selbstmanagements11:
Motivation: Wie Sie Ihre Motive erkennen und gestalten, um ein Höchstmaß an Eigenmotivation und Selbstdisziplin zu entwickeln
Unbewusste und bewusste Motive / Werte
Willenskraft
Selbstdisziplin
Konzentration: Wie Sie Ihre Konzentration trainieren, mit digitalen Ablenkungen umgehen und im Einklang mit Ihrer inneren Uhr arbeiten
Umgang mit Information Overload, permanenter Ablenkung und Multitasking
Chronobiologisches Arbeiten
Konzentrationstechniken
Gewinnermentalität: Wie Sie Selbstvertrauen entwickeln, diszipliniert denken und konstruktiv mit Rückschlägen umgehen
Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen
Mindset: Die Bedeutung des Selbstbilds
Resilienz
Performance: Wie Sie sich mental auf Herausforderungen vorbereiten und Bestleistung abrufen, wenn’s zählt
Umgang mit Versagensangst
Visualisierung
Innerer Dialog
Stressmanagement: Wie Sie konstruktiv mit Stress umgehen, stresserzeugende Denkmuster erkennen und sich mental umprogrammieren
Biologie des Stresses
Innere Antreiber und limitierende Überzeugungen
BRAIN: Das Trainingsprogramm zur Veränderung von limitierenden Glaubenssätzen
Mentale Balance: Wie Sie durch Atemtechniken, Achtsamkeit und Meditation Ihr Gehirn trainieren und Gelassenheit und Souveränität entwickeln
Achtsamkeit / MBSR
Atemtechniken
Entspannungstechniken
»Winning Inside« zeigt, wieso Selbstmanagement und die Entwicklung mentaler Stärke zum Wettbewerbsfaktor Nummer eins für den Erfolg in der zukünftigen Arbeitswelt wird. Dazu haben wir uns bemüht, psychologische und wissenschaftliche Hintergründe so zu verpacken, dass sie leicht verständlich, einleuchtend und gleichsam inspirierend sind, garniert mit zahlreichen Hintergrundgeschichten und Storys aus der Welt des Sports. Als Autoren geht es uns darum, das »Warum« – d. h. das Verständnis und die Hintergründe, was uns Menschen antreibt, warum wir in bestimmten Situationen, z. B. unter Stress, bestimmte Verhaltenspräferenzen an den Tag legen und warum es möglich ist, den Kopf genauso zu trainieren wie den Körper – in den Mittelpunkt zu rücken. Nur wenn die Grundlagen selbsterklärend sind und Sie entsprechende »Aha«-Erlebnisse verbuchen, kann die Bereitschaft erwachen, an sich zu arbeiten. Der Blick durch die Brille des Spitzensports macht in besonderer Weise deutlich, worauf es bei der Entwicklung von mentaler Stärke ankommt und dass sich dort die größten Leistungsreserven befinden.
Die Kapitel verstehen sich als einzelne Bausteine und können auch unabhängig voneinander gelesen werden. Sie sind so gestaltet, dass man ein Thema auch schnell nachschlagen kann und fündig wird. Jedes Kapitel beginnt mit einer kurzen Vorschau. Dann folgen die wissenschaftlichen Hintergründe, Fragebögen, Tests sowie Anregungen zur Selbstreflexion und weitere Denkanstöße. Sie sorgen für den Transfer der Inhalte auf Ihre persönliche Situation.
Der Titel »Winning Inside« bezieht sich auf die Entwicklung einer Gewinnermentalität, die nichts mit dem Besiegen anderer zu tun hat. Vielmehr soll Ihnen »Winning Inside« dabei helfen, die oder der Beste zu werden, die / der Sie selbst sein können, und Ihr Potenzial optimal zu entfalten. Freuen Sie sich darauf!
Zugunsten der besseren Lesbarkeit haben wir auf die gleichzeitige Verwendung der männlichen und der weiblichen Form verzichtet. Dies hat jedoch ausschließlich redaktionelle Gründe. Die Inhalte dieses Buches richten sich an männliche und weibliche Leser gleichermaßen.
Markus Hornig & Dr. Angela Kerek
1https://www.spox.com/de/tennisnet/grand-slam/australian-open/1701/Artikel/venus-williams-liebeserklaerung-tennis.html (eingesehen am 29.05.2020)
2 Informations- und Wissensarbeiter, der seine Leistung überwiegend mit dem Kopf erbringt.
3https://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/fc-bayern-mit-pepguardiola-konzept-der-perfektion-nahe-13376449.html (eingesehen am 29.05.2020)
4 Sport BILD, Nr. 40 / 2017, S. 1
5 Podcastserie von Gabor Steingart, Der Achte Tag, Podcast Nr. 16: Auch labiler Umgang mit Staatsfinanzen kann zur Pandemie werden
6 Carol Dweck: Selbstbild: Wie unser Denken Erfolge und Niederlagen bewirkt. Frankfur a. M. / New York: Campus, 2007
7 Angela Duckworth: GRIT: Die neue Formel zum Erfolg. Mit Begeisterung und Ausdauer ans Ziel. München: Bertelsmann, 2016
8https://open-mind-akademie.de/hochbegabung/theorie-der-multiplen-intelligenz/ (eingesehen am 30.05.2020)
9 Daniel Goleman: Emotionale Intelligenz. München: dtv, 1997
10 Hans Eberspächer: STERN Gesund leben, Nr. 10 / 2007; Mentale Kraft – Gewonnen wird zwischen den Ohren; S. 72
11 In der Wissenschaft besteht kein einheitliches und abgeschlossenes Erklärungsmodell für den Begriff Selbstmanagement. Insofern erhebt »Winning Inside« keinen Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit, obwohl die Inhalte selbstverständlich gewissenhaft recherchiert und entsprechend belegt sind.
Grundlagen des Selbstmanagements
Selbstmanagement ist die Kunst, sich selbst zu führen. Viele Forscher sehen im Selbstmanagement den entscheidenden Faktor für den Erfolg in der Wissens- und Informationsgesellschaft, in der überwiegend mit dem Kopf und kaum noch mit Muskelkraft gearbeitet wird. Eine Grundvoraussetzung für effektives Selbstmanagement ist das Verständnis, dass unser Gehirn im Prinzip mit zwei »Betriebssystemen« arbeitet, einem bewussten und einem unbewussten. Das Wissen um die Zweiteilung der Arbeitsweise des Gehirns stellt die Grundlage sämtlicher Selbstmanagement-Techniken dar, wobei es letztendlich immer um die Abstimmung und die Berücksichtigung der Eigenheiten dieser beiden Systeme geht. Selbstmanagement wiederum basiert auf Selbstreflexion, das heißt der Fähigkeit, das eigene Denken, Fühlen und Verhalten aus einer Vogelperspektive zu beobachten, um so seine Entscheidungen und sein Handeln stets zu prüfen und weiterzuentwickeln. Dieses Kapitel stellt die Kernelemente des Selbstmanagements vor und zeigt, auf welchen Eckpfeilern die Entwicklung mentaler Stärke ruht.
Wir sprechen mit uns selbst
Haben Sie sich schon einmal gefragt, mit wem Sie im Laufe Ihres Lebens am meisten sprechen? Richtig, mit sich selbst! Egal, was wir tun oder lassen, stets begleiten Gedanken in Form von Selbstgesprächen unser Handeln. Gedanklich spielen wir Dinge durch, malen uns Szenarien aus, wägen Vor- und Nachteile ab, planen, analysieren und kalkulieren, setzen Prioritäten, formulieren Ziele, treffen Entscheidungen, regulieren Emotionen, unterdrücken Impulse und vieles mehr. Manchmal herrschen wir uns sogar an, beschimpfen uns und setzen uns herab, gehen mit uns selbst in einer Art und Weise um, die wir uns von anderen nicht wünschen würden.
Bereits in den 1970er-Jahren beschrieb der US-Amerikaner Timothy Gallwey in seinem Bestseller »Tennis und Psyche – das innere Spiel«, wie zwei Instanzen in unserem Kopf agieren, die in permanentem Austausch stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Über diesen inneren Dialog schreibt er: »Offensichtlich sind ›Ich‹ und ›Selbst‹ zwei getrennte Einheiten in unserem Kopf, sonst könnte es keinen Dialog zwischen beiden geben; man könnte also sagen, dass in jedem Menschen zwei voneinander getrennte Persönlichkeiten wohnen.«1 Dieses Bild macht deutlich, worum es beim Selbstmanagement zunächst einmal geht: um das Verständnis der Existenz von Ich und Selbst und um die Erkenntnis, dass das Ich die Instanz ist, mit der sich das Selbst gezielt beeinflussen und steuern lässt. Dieses permanente Hin und Her zwischen dem Ich und dem Selbst bezeichnet Gallwey als das »innere Spiel«, und das Gehirn entspricht dem »Spielfeld«, auf dem dieses Spiel ununterbrochen stattfindet. Das Bewusstmachen dieses Spiels und die Berücksichtigung gewisser Rahmenbedingungen und Spielregeln, nach denen dieses Spiel funktioniert, stellt letztlich die Basis dar, auf der jegliche Form des Selbstmanagements beruht.
Das bewusste Ich ist demnach ein Werkzeug, mit dem man sich selbst steuern und managen kann. Selbstmanagement entspricht Selbstführung, also der Führung der eigenen Person. Dies setzt jedoch die Bereitschaft voraus, sich offen und ehrlich mit sich selbst auseinanderzusetzen und Verantwortung für sein Tun und Lassen zu übernehmen. Dafür benötigt es eine geschärfte Selbstwahrnehmung, das heißt die Fähigkeit und die Bereitschaft, sich selbst aus einer gewissen Distanz zu beobachten.
Durch das Verständnis der Arbeitsweise des Gehirns und der damit verbundenen Psycho-Logik lässt sich systematisch Gewinnermentalität entwickeln und Bestleistung abrufen, wenn’s zählt!
Das heißt natürlich nicht, dass es jeder auf irgendein Siegertreppchen schaffen kann. Vielmehr geht es darum, sich so zu entwickeln, dass man der Beste wird, der man nur werden kann. Dass man diesbezüglich vom Spitzensport eine Menge lernen kann, bestätigt einer, der es besser wissen muss als jeder andere, der ehemalige österreichische Skispringer, Olympiasieger von 1980, Weltmeister, Trainer und Psychologe Toni Innauer: »Leistungssport ist auch ein Weg zur persönlichen Entwicklung. Er zeigt mir meine Defizite. Z. B., dass ich unter Druck verkrampfe. Dass ich mit Niederlagen nicht umgehen kann. Dass ich Schwierigkeiten habe, mich im entscheidenden Augenblick zu konzentrieren. In der Bewältigung bildet sich die Persönlichkeit.«2
So sieht das auch Viktoria Rebensburg, Olympiasiegerin 2010 im Riesenslalom. Auf die Frage, wie es sei, in schwierigen Phasen nicht den Glauben an sich selbst zu verlieren, antwortet sie: »Das ist die größte Herausforderung. Im Leben. Und im Leistungssport. Dass es Rückschläge gibt, ist normal. Da muss man durch. Ohne diese Rückschläge wird man in seiner Entwicklung nicht gefestigt sein. Diese Erfahrungen gehören dazu, auch wenn es manchmal sehr schwer ist, sie zu machen. Sie machen einen zu einem besseren Athleten. Sie entwickeln die Persönlichkeit in einem positiven Sinne – wenn man sie durchsteht.«3 Und Andre Agassi, ehemalige Nummer eins im Tennis, überträgt dieses Prinzip des persönlichen Wachstums noch auf die unmittelbare Konkurrenz, die im Berufsleben oft eine ähnliche Rolle spielt wie im Sport. »Ein starker Gegner ist wie ein Spiegel. Sie müssen sich darin wiedererkennen, Ihre Fehler sehen, Veränderungen vornehmen und die Bereiche pflegen, in denen sie besonders gut sind.«4
Genau diese Sicht ist es, die auch im Berufsleben immer mehr an Bedeutung gewinnt. Wer erfolgreich sein will, dessen Chancen steigen mit der Bereitschaft, an sich zu arbeiten und sich als Persönlichkeit zu entwickeln. Diese Kombination von fachlicher und mentaler Kompetenz wird in der Arbeitswelt der Zukunft zum entscheidenden Erfolgsfaktor.
Die beiden Betriebssysteme unseres Gehirns
Das Nachdenken über sich selbst stellt die herausragende menschliche Eigenschaft dar. Hier unterscheidet sich der Mensch vom Tier, das instinktiv und triebhaft lebt. Ein eindrucksvoller Ansatz, sich selbst und sein Handeln besser zu verstehen, stammt von dem amerikanischen Kognitionspsychologen und Nobelpreisträger Daniel Kahneman. In seinem Bestseller »Schnelles Denken, langsames Denken« stellt er das grundlegende Modell vor, mit dem wir unser Denken, Fühlen und Verhalten besser verstehen und lernen, mentale Stärke zu entwickeln.
Wie auch Gallway unterteilt Kahneman die Arbeitsweise unseres Gehirns in zwei Funktionseinheiten, die man sich wie zwei unterschiedliche »Betriebssysteme« vorstellen kann. Kahneman nennt diese System 1 und System 2, wobei er System 1 als »schnelles Denken« und System 2 als »langsames Denken« bezeichnet. Bildlich kann man sich diese beiden Systeme auch als »Pilot« und »Autopilot« vorstellen. Wie ein Pilot das Flugzeug bei Start und Landung manuell, das heißt bewusst und mit voller Konzentration steuert, aber dann auf Autopilot stellt, sobald die Reiseflughöhe erreicht ist, arbeitet auch unser Denken in einem bewussten Modus, dem langsamen Denken, und in einem unbewussten Modus, dem schnellen Denken.
Selbstmanagement bedeutet, die unterschiedlichen Charaktere von langsamem und schnellem Denken zu verstehen und ihr Zusammenspiel systematisch zu steuern.
Die diversen Techniken des mentalen Trainings liefern die Instrumente, mit denen man die beiden Betriebssysteme steuert, aufeinander abstimmt und entsprechend seinen Zielen aktiviert.
Die Aufgaben des schnellen Denkens
Das schnelle Denken arbeitet schnell und automatisch. Man kann es auch als intuitives Denken bezeichnen. Immer wenn wir ein Bauchgefühl haben oder spontan handeln ist der Autopilot aktiv. Wenn wir intuitiv »spüren«, ob uns jemand freundlich oder feindselig gesinnt ist, wenn sich der Impuls meldet, eine Pause zu machen, oder wenn wir eine einfache Rechenaufgabe wie »drei mal fünf« wie aus der Pistole geschossen lösen, dann hat das schnelle Denken des Autopiloten das Kommando. Der Autopilot handelt prinzipiell spontan und reflexartig ohne vorheriges Abwägen oder Planen. Er wird vom Unterbewusstsein bzw. von tief im Gehirn liegenden Regionen gesteuert, die autonom und völlig unabhängig von Verstand und Willen agieren. Neben intuitivem und reflexartigem Denken zeigt sich der Autopilot auch in unseren Gewohnheiten und Verhaltensroutinen, die sich bekanntlich ebenfalls dadurch auszeichnen, dass sie automatisch und größtenteils unbewusst ablaufen. Das schnelle Denken steuert auch sämtliche angeborene, instinktive und reflexartige Verhaltensweisen, wie beispielsweise die Reaktion auf Gefahr oder das millisekundenschnelle Ausweichen im Straßenverkehr, aber auch erlernte bzw. antrainierte Verhaltensmuster, wie z. B. das Binden der Schnürsenkel, das Tippen auf der Tastatur oder das Fangen eines Balles.
Auch unsere Denkgewohnheiten, Glaubenssätze und Überzeugungen stehen unter dem strengen Diktat des schnellen Denkens. Wir melden uns nicht, wenn der Chef Mitarbeiter für ein neues Projektteam sucht, weil wir glauben, nicht gut genug zu sein, oder wir trauen uns nicht zu, das Kinderzimmer selbst zu tapezieren, weil wir glauben, zwei linke Hände zu haben. Unsere Glaubenssätze wirken dabei wie Reflexe, denen weder eine bewusste Abwägung, noch eine Kalkulation vorausgeht. Im Moment des Auftretens fühlt es sich »richtig« an und wir bemerken nicht, dass wir uns damit selbst im Weg stehen und unsere Entwicklung behindern.
Daneben steuert das schnelle Denken auch unsere Vorlieben, z. B. welches Gericht wir im Restaurant wählen, welche Musik wir hören, wie wir uns kleiden oder ob wir Fan von Bayern München oder Borussia Dortmund sind. Es reagiert zudem auf Stimuli unterschiedlichster Art aus der Außenwelt, wie z. B. Licht, Gerüche oder Worte. Wie ein Hund, der auf ein Handzeichen seines Herrchens Sitz macht, reagieren wir assoziativ auf Reize in der Außenwelt. So kann schon ein Wort, eine Anspielung, eine Geste oder ein Gesichtsausdruck eine Erinnerung in uns hervorrufen, die unmittelbar unsere Stimmung verändert, was direkt an unserem Gesichtsausdruck oder unserer Körperhaltung ablesbar ist. Und zu guter Letzt ist das schnelle Denken auch noch maßgeblich beteiligt an der Entstehung unserer Gedanken und Emotionen, die ununterbrochen in unserem Kopf umherziehen. Den gesamten Wirkungen des schnellen Denkens ist gemein, dass sie – fernab der Kontrolle des Verstandes – schnell und automatisch ablaufen, und: dass sie sehr wenig mentale Energie verbrauchen.
Höchstspannend, und ebenfalls dem schnellen Denken zuzurechnen, ist das Phänomen des Flows: Als Flow bezeichnet man den Zustand, wenn wir »einen Lauf haben« und unsere bestmögliche Leistung regelrecht aus uns »herausfließt«, sei es bei einem Tennismatch, einem Vortrag oder der Erstellung einer Skizze für ein Projekt. Auch hier stehen wir unter der Regie des schnellen Denkens. Das langsame Denken des Verstandes ist bei solchen besonderen Leistungszuständen des Gehirns zum Zuschauen verbannt, wie wir im Kapitel »Performance« noch genauer sehen werden.
Die Aufgaben des schnellen Denkens im Überblick
Emotionen
Wenn wir Angst haben, eine Prüfung nicht zu bestehen, vor Wut kochen, weil uns ein rücksichtsloser Verkehrsteilnehmer die Vorfahrt genommen hat, oder uns freuen, weil uns der Chef vor versammelter Mannschaft lobt.
Gedanken
Wenn uns rund um die Uhr Gedanken durch den Kopf gehen, z.B. was wir nach der Arbeit noch zu erledigen haben, wieso der Chef heute Morgen so genervt war oder was man der Schwiegermutter zum Geburtstag schenken könnte.
Reflexe
Wenn wir im Straßenverkehr blitzschnell einem entgegenkommenden Auto ausweichen.
Impulse
Wenn sich zwischendurch das Hungergefühl, der Drang zur Toilette oder die Vorfreude auf den Feierabend meldet.
Intuition
Wenn wir einen Menschen beim ersten Treffen als vertrauenswürdig einstufen oder uns an einer unbekannten Weggabelung für eine Richtung entscheiden.
Sinneswahrnehmungen
Wenn wir nicht ignorieren (können), wie der Nachbar Klavier spielt, ein übler Geruch in der Luft liegt oder es sich eine Fliege auf unserer Haut bequem macht.
Gewohnheiten / Routinen
Wenn wir uns morgens die Zähne putzen, den Kaffee umrühren oder die Schnürsenkel binden.
Expertenwissen
Wenn ein Broker die Teilnehmer des DAX aufzählt oder ein Koch seine Rezepte auswendig kennt.
Selbstbild
Wenn wir uns auf die Frage des Chefs, wer das Projekt übernehmen möchte, nicht melden, weil wir uns das nicht zutrauen.
Weltbild
Wenn wir grundsätzlich der Meinung sind, dass Kriege nichts bringen, weil sie noch mehr Gewalt hervorbringen.
Flow
Wenn unsere Bestleistung selbstständig und automatisch aus uns »herausfließt«, ohne dass wir uns dabei bewusst konzentrieren und unser Tun steuern müssen.
Die Aufgaben des langsamen Denkens
Das langsame Denken ist immer dann aktiv, wenn wir Dinge mit bewusster Konzentration erledigen. Es ist zuständig für die gezielte Fokussierung unserer Aufmerksamkeit. Wenn wir z. B. in 7er-Schritten von 100 beginnend rückwärts zählen oder im Kopf berechnen, aus wie vielen Buchstaben sich das Wort »Digitalisierung« zusammensetzt, ist das langsame Denken aktiv. Das langsame Denken steuert unsere bewusste Konzentration, ist zuständig für zielgerichtete Denkprozesse sowie für das Abwägen und Treffen von Entscheidungen. Gleichzeitig kontrolliert es unsere Emotionen, Gedanken, Impulse und unsere Willenskraft. Hier zeigt sich, weshalb dieses Betriebssystem als langsames Denken bezeichnet wird. Anders als beim schnellen Denken folgen wir beim langsamen Denken jedem einzelnen Handlungsschritt bewusst und mit voller Aufmerksamkeit. Wir sind geistig präsent und in jedem Augenblick zu 100 % fokussiert. Das erklärt auch, weshalb das langsame Denken ungleich mehr mentale Energie verschlingt. Wer z. B. eine Stunde am Stück schwierige Rechenaufgaben im Kopf zu lösen hat oder Wörter rückwärts buchstabieren soll, weiß, wie einen solch geistige Tätigkeiten »auspowern«.
Ein Beispiel für die Wirkungsweise des langsamen Denkens und gleichzeitig für das Zusammenspiel mit dem schnellen Denken stellt ein legendäres Experiment der beiden Harvard-Psychologen Daniel Simons und Christopher Chabris dar, das diese bereits in den 1970er-Jahren entwickelt haben. Bei diesem Experiment wird Studenten ein Film gezeigt, in dem sich zwei Teams, von denen das eine mit schwarzen, das andere mit weißen T-Shirts bekleidet ist, jeweils einen Basketball zupassen. Die Aufgabe der Studenten lautet, die Anzahl der Pässe der weiß Gekleideten innerhalb einer Minute zu zählen.5
Der Clou an diesem sogenannten Gorilla-Experiment ist, dass die Anzahl der Pässe, nach der gefragt wurde, gar nicht so wichtig ist. Es geht um etwas ganz anderes: Nach etwa 30 Sekunden läuft ein als Gorilla verkleideter Student mitten durchs Bild, bleibt kurz stehen und trommelt sich mit den Fäusten auf die Brust. Nach einer Minute fragt der Versuchsleiter die Teilnehmer, wie viele Pässe das weiße Team gespielt hat – und im Anschluss, wem der Gorilla aufgefallen ist. Ergebnis: Die meisten der ursprünglich 50 Probanden haben den Gorilla nicht gesehen und glaubten zunächst an einen Witz des Versuchsleiters. Erst als das Video im Anschluss nochmals in Zeitlupe läuft, fällt den Beobachtern der Gorilla auf.
Das Gorilla-Experiment steht für eine außerordentliche Qualität des langsamen Denkens: Wir können unsere Aufmerksamkeit so stark auf eine Begebenheit fokussieren, dass wir alles andere, was gleichzeitig passiert, automatisch ausblenden. Zauberkünstler arbeiten nach diesem Prinzip, indem sie unsere Aufmerksamkeit bewusst auf eine Ablenkung ziehen, um in aller Ruhe ihre Tricks machen zu können. Unsere bewusste Konzentration funktioniert prinzipiell wie ein Suchscheinwerfer und wir können willentlich entscheiden, worauf wir diesen lenken. Zuständig für die Lenkung unserer Aufmerksamkeit und weiterer bewusster Funktionen ist der sogenannte präfrontale Kortex, ein etwa eine halbe Streichholzschachtel großer Bereich der Hirnrinde, der sich direkt hinter der Stirn befindet. Er ist sowohl für die Ausrichtung der Konzentration als auch für das Ausblenden störender Reize verantwortlich. Er beinhaltet auch das Arbeitsgedächtnis, das wichtige Funktionen unserer täglichen Arbeit steuert: Ziele setzen, Strategien entwickeln, Probleme lösen, Entscheidungen abwägen etc. Doch so leistungsfähig der präfrontale Kortex einerseits ist, so sensibel und störungsanfällig ist er anderseits, wie wir im nächsten Kapitel noch sehen werden.
Neben diesen klassischen Funktionen zur Konzentration hat das langsame Denken noch zwei weitere Kernaufgaben: Entscheidungen treffen und Selbstkontrolle. Wenn wir z. B. während der Arbeit am PC ständig von externen Ablenkungen, etwa von klingelnden Telefonen oder aufploppenden E-Mails, gestört werden, erfordert die Rückkehr zur Konzentration ein gehöriges Maß an Selbstkontrolle. Gleiches gilt für innere Störfaktoren wie abschweifende Gedanken, während man sich eigentlich konzentrieren möchte. Entscheidungen werden ebenfalls vom langsamen Denken getroffen. Wer z. B. im Internet nach einem Produkt sucht und dabei diverse Angebote vergleicht, benötigt für den Bewertungs-, Abwäge- und Entscheidungsprozess eine Menge Energie, unabhängig davon, ob es sich um schwerwiegende oder lapidare Entscheidungen handelt.
Langsames Denken
Schnelles Denken
bewusst
unbewusst
reflektierend, analytisch
automatisch, intuitiv
langsam, träge
schnell
rational
emotional, impulsiv
Neues
Gewohntes, Standards
Willenskraft
ohne willentliche Steuerung
nicht immer aktiviert
immer aktiviert
hoher Energieverbrauch
geringer Energieverbrauch
Das Zusammenspiel von Autopilot und Pilot
Kahnemans Unterteilung in schnelles Denken und langsames Denken schafft ein besseres Verständnis für die Prozesse, die permanent in unserem Gehirn ablaufen:
Schnelles Denken steht für Routinen, instinktive und intuitive Handlungen, wogegen das langsame Denken für Neues und Unbekanntes, sowie die Steuerung unserer Konzentration zuständig ist.
Neue Situationen, z. B. die Anwendung einer neuen Software, das Erlernen eines Tanzschrittes oder das Sich-Orientieren in einer fremden Umgebung, werden stets vom langsamen Denken erledigt. Bewusste Arbeitsprozesse, wie Planen, Abwägen, Vergleichen und Strukturieren, fordern das langsame Denken, wogegen das schnelle Denken zuständig ist für Intuition, Kreativität, Fantasie, Ideen etc. In der Regel benutzen wir das schnelle Denken, bis wir auf ein Problem stoßen, das mit diesem nicht zu lösen ist. Dann schaltet sich automatisch das langsame Denken ein, das sich dann bewusst mit dieser Herausforderung beschäftigt. Zugleich ist das langsame Denken eine Art Kontrollinstanz für das schnelle Denken, indem es die Ergebnisse überprüft und im Bedarfsfall nochmals hinterfragt, z. B. wenn man sich bei einem Multiple-Choice-Test für eine Antwort entschieden hat und diese dann nochmals kritisch überprüft.
Wie Pilot und Autopilot im Alltag zusammenarbeiten, lässt sich sehr gut am Beispiel Autofahren beobachten. All die komplexen Vorgänge wie Lenken, Kuppeln, Schalten, Bremsen und Gasgeben, bei gleichzeitigem Beobachten des Verkehrs, werden in aller Regel vom Autopiloten gesteuert. Das zeigt sich z. B. daran, dass wir auf der Fahrt zum Büro gedanklich ganz woanders sein können. Wir können uns, während wir das Auto steuern, imaginär auf die im Büro anstehenden Aufgaben vorbereiten oder uns angeregt mit dem Beifahrer unterhalten. Erst wenn etwas Überraschendes passiert – wenn die Ampel auf Rot springt, ein Fußgänger unerwartet die Straße kreuzt oder Ähnliches – sprich, wenn die Situation nicht mehr stereotyp ist –, schaltet sich das langsame Denken ein und übernimmt die Kontrolle. Unser Gehirn schaltet automatisch von Autopilot auf manuelle Steuerung, und zwar so lange, bis wir die Situation im Griff haben.
Die Unterteilung der Arbeitsweise des Gehirns in zwei Systeme lässt sich auch anatomisch belegen. Die Handlungen des Autopiloten werden von tief im Innern des Gehirns liegenden Strukturen unabhängig und eigenverantwortlich gesteuert. Bewusstes und reflektiertes Handeln im Sinne des langsamen Denkens ist hingegen nur mit den Kapazitäten des präfrontalen Kortex möglich. Diese lokal getrennten Gehirnstrukturen führen zu der besagten Zweiteilung des menschlichen Geistes, die ein »Ich spreche mit mir selbst!« erst ermöglicht. Das erklärt, dass das Selbst (Autopilot) im Sinne einer bewussten Selbstreflexion nicht »denken«, sondern nur automatisierte Verhaltensweisen abrufen kann und zeigt damit eine große Schwäche des schnellen Denkens bzw. des Unterbewusstseins: Es kann nur »re-agieren« entsprechend seiner Programmierung, z. B. wenn wir uns im Auto den Gurt anlegen, bevor wir den Motor starten, den Aufzug anstatt die Treppe nehmen oder nach dem Essen zur Zigarette greifen.
Das schnelle Denken kann nicht »denken« im Sinne einer Selbstreflexion. Es kann nur reagieren entsprechend seiner Programmierung.
Das schnelle Denken »weiß« nicht, dass die Treppe gut für unsere Gesundheit wäre und dass Rauchen unserer Gesundheit schadet. Aber nicht nur Verhaltens-, auch unsere Denkgewohnheiten stehen unter dem strengen Diktat des schnellen Denkens, z. B. wenn wir uns nicht trauen im Meeting dem Chef zu widersprechen oder uns aufregen, weil der Kollege das Projekt bekommen hat, mit dem wir eigentlich fest gerechnet hatten. Auch der viel zitierte Satz »Ich weiß ja eigentlich, dass …!« hat hier seinen neuroanatomischen Ursprung und macht deutlich, dass in der Entwicklung des Zusammenspiels dieser beiden Instanzen das wahre Spielfeld zur Erlangung mentaler Stärke und Persönlichkeitsentwicklung liegt.
Gesteuert wird das schnelle Denken von den sogenannten Basalganglien, tief in unserem Gehirn liegenden Nervenkernen. Diese unterteilen sich nochmals in das sogenannte Putamen, das sämtliche Bewegungs- und Verhaltensmuster steuert, sowie den Nucleus caudatus, der die Denkgewohnheiten steuert.
Abb. 2: Anatomie des schnellen und langsamen Denkens
Die Zweiteilung der Arbeitsweise des Gehirns stellt die Grundlage für das Selbstmanagement dar.
Predictive Mind: Der Vorhersagen treffende Geist
Ein brandneues neurowissenschaftliches Modell, das den Charakter des Zusammenwirkens vom schnellen Denken und langsamen Denken verständlich macht, verbirgt sich hinter dem Begriff »Predictive Mind« (ein Vorhersagen treffender Geist). Dieser Denkansatz schreibt dem schnellen Denken eine noch beherrschendere Rolle zu, als Kahneman das tut. Dass Sinneswahrnehmungen voreingestellten Mechanismen unseres Gehirns folgen, ist schon lange bekannt. Stellvertretendes Beispiel dafür ist die sogenannte Kanizsa-Illusion, bei der unser Gehirn automatisch ein Dreieck konstruiert, das in der Abbildung eigentlich gar nicht vorhanden ist.
Abb. 3: Kanizsa-Illusion
Die Kanizsa-Illusion ist ein Beispiel dafür, wie unsere Wahrnehmung von unseren Vorstellungen und Erfahrungen abhängt.