Winterzauber: Eine Liebe am See - Zora Gienger - E-Book
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Winterzauber: Eine Liebe am See E-Book

Zora Gienger

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Beschreibung

Ein Café am Bodensee, der Zauber der Winterzeit und eine romantische Liebe. Kathie führt ein kleines, romantisches Café am Bodensee – eine Oase der Idylle, in der sich die Gäste wohl fühlen. Doch die Zeiten sind hart, und Kathie muss um das Überleben ebendieser Idylle kämpfen. Das zeigt sich besonders, als ihr Lieblingsfeind aus Jugendzeiten auftaucht, der offenbar ein Konkurrenzcafé eröffnen will. Eine ausweglose Situation? Kathie könnte verzweifeln, wäre da nicht die geheimnisvolle Angelina, die als Märchenfee auftritt und ihr nicht nur eine ganz besondere Teemischung anbietet, sondern ihr auch die Zukunft voraussagt: Bald schon soll Kathie auf gleich zwei Verehrer treffen, die sie unter besonderen Umständen kennenlernen wird. Aber einer nur wird der Richtige für sie sein … feelings-Skala (1=wenig, 3=viel): Gefühlvoll: 3, Humorvoll: 1, Erotisch: 1 »Winterzauber: Eine Liebe am See« ist ein eBook von feelings*emotional eBooks. Mehr von uns ausgewählte erotische, romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserem Blog: http://feelings-ebooks.de/. Genieße jede Woche eine neue Geschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Zora Gienger

Winterzauber: Eine Liebe am See

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Ein Café am Bodensee, der Zauber der Winterzeit und eine romantische Liebe.

Kathie führt ein kleines, romantisches Café am Bodensee – eine Oase der Idylle, in der sich die Gäste wohlfühlen. Doch die Zeiten sind hart, und Kathie muss um das Überleben ebendieser Idylle kämpfen. Das zeigt sich besonders, als ihr Lieblingsfeind aus Jugendzeiten auftaucht, der offenbar ein Konkurrenzcafé eröffnen will. Eine ausweglose Situation?

Kathie könnte verzweifeln, wäre da nicht die geheimnisvolle Angelina, die als Märchenfee auftritt und ihr nicht nur eine ganz besondere Teemischung anbietet, sondern ihr auch die Zukunft voraussagt:

Bald schon soll Kathie auf gleich zwei Verehrer treffen, die sie unter besonderen Umständen kennenlernen wird. Aber einer nur wird der Richtige für sie sein …

Inhaltsübersicht

1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel
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1

Dichte Nebelschwaden hingen über dem See an diesem Abend Mitte November und legten sich wie zauberhafte Schleier über unseren kleinen Ort. An manchen Tagen wurde Langenargen regelrecht vom zähen Nebel verschluckt, sodass man fast die Hand nicht mehr vor den Augen sehen konnte. Kein einziger Sonnenstrahl wagte sich durch das Nebelkleid, und die Umrisse der Häuser, der Hotels und Geschäfte und unseres maurischen Schlosses waren nur noch verschwommen wahrzunehmen. Der See war still und friedlich an solchen Tagen, als würde er es nicht wagen, sich den wogenden Schleiern zu entziehen.

Es war Donnerstag, ein ganz normaler Tag mitten in der Woche, und da es früh dunkel wurde und kein Gast mehr mein Café Rosenrot aufsuchte, beschloss ich, etwas früher als gewöhnlich zu schließen. Jetzt im Herbst und Winter wirkte unser beschauliches Städtchen am Bodensee beinahe gespenstisch ruhig und leer. In meinem Café war ebenfalls nicht viel los, auch wenn sich die Einheimischen hier immer wieder gerne trafen und die heimelige Atmosphäre schätzten. In den Wintermonaten legte sich nicht nur der Nebel über unseren kleinen Ort, sondern auch der Winterschlummer, weil nur noch wenige Touristen zu Besuch kamen. Dafür pulsierte im Frühjahr und Sommer das pralle Leben, was für eine volle Kasse sorgte und mich beruhigt in die Zukunft blicken ließ. Geputzt und aufgeräumt hatte ich bereits. Vorträge, Seminare oder Kurse fanden heute auch nicht mehr statt.

Ich schlüpfte in meine dicke Winterjacke, legte mir einen Schal um und setzte eine Mütze auf, hängte mir meine Tasche über die Schulter und trat in den Nebel und die Novemberdunkelheit hinaus. Leise zog ich die Tür ins Schloss. In den Läden brannten nur noch die Schaufensterlichter. Ruhig und verlassen lag die Fußgängerzone bereits im Feierabendschlummer wie der gesamte Dorfplatz, der Hafen und unser Schloss. Wohlwollend betrachtete ich das sanfte orangefarbene Licht meiner Salzkristalllampen, die die Sprossenfenster meines Cafés erhellten und Geborgenheit ausstrahlten. Teure Edelsteine und hübsche Holzfiguren grüßten aus den Fenstern. Daneben lagen Rosenblüten aus Filz und anderen Stoffen.

Lächelnd steckte ich den Schlüssel ins Schlüsselloch und betrachtete zufrieden mein liebevoll dekoriertes Schaufenster.

»Hallo! Schönen guten Abend. Sind Sie Frau Krämer?«

Erschrocken drehte ich mich um. Eine ganz in Rot gekleidete Person schälte sich aus dem dichten Nebel und streckte mir ihre Hand hin, die in einem samtenen Handschuh steckte. Die Frau war groß und schlank, trug einen roten, sehr wertvollen Wollmantel, einen kokett sitzenden roten Hut, der rötlich schimmernde Locken verbarg, und einen langen schwarzen Samtschal, den sie um den Kragen des eng geschnittenen Mantels gelegt hatte. Ein langer blutroter Samtrock und altmodische Schnürstiefel verliehen ihr einen Hauch Eleganz und zeugten dennoch von einer ungewöhnlich künstlerischen Aufmachung. Und doch verschwammen ihre Umrisse im wabernden Nebel, sodass ich für einen kurzen Moment an ihrer Echtheit zweifelte.

»Ja, bitte?«, antwortete ich zögerlich und blinzelte in die Dunkelheit hinein.

»Ich heiße Angelina Winter, schreibe Märchen und trete als Märchenfee auf. Nun habe ich gehört, dass in Ihrem Café immer wieder auch kulturelle Veranstaltungen und Seminare stattfinden, und wollte mich Ihnen vorstellen.«

»Oh.«

Die Augen der Frau blitzten hell und klar, während sie einen weiteren Schritt auf mich zumachte und endgültig aus dem Nebel heraustrat. Sie roch stark nach Vanille und Zimt, hatte rote Wangen und ein sehr offenes Lächeln. Erst als sie noch näher an mich herantrat, sah ich, dass sie viele kleine Falten im Gesicht hatte und nicht mehr ganz jung war. Aber ihr Lächeln wirkte echt und interessiert, und der Duft um sie herum roch nach weihnachtlichen Genüssen.

»Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken, aber als ich sah, dass Sie schließen wollten, musste ich mich beeilen, um Sie heute noch anzutreffen.«

»Ah. Ja, also, prinzipiell bin ich für alle Arten von Veranstaltungen offen, Frau äh … Winter. Aber zuerst muss ich Näheres über Sie wissen. Außerdem ist es schon ziemlich spät im Jahr, und falls Sie noch die Adventszeit nutzen wollen, kann ich Ihnen nicht versprechen, dass wir noch einen freien Termin finden. Eventuell dann erst nächstes Jahr.«

»Natürlich, Frau Krämer. Das ist mir schon bewusst. Hätten Sie trotzdem eine Minute Zeit für mich? Das wäre sehr nett von Ihnen.«

Ich überlegte und betrachtete den Schlüssel in meinen Händen.

»Nun gut«, gab ich mir einen Ruck, »ich habe heute Abend sowieso nichts Besonderes vor.«

Frau Winter legte den Kopf schief und strahlte mich aus ihren blauen Augen glücklich an.

»Können wir hineingehen?«, schlug sie vor.

»Oh. Ja, natürlich. Kommen Sie. Ich schließe wieder auf. Dann sehen Sie gleich die Räume und können sich ein Bild davon machen.«

»Prima. Das klingt gut.«

»Hm«, murmelte ich, schloss die Tür wieder auf und griff zum Lichtschalter, aber Frau Winter legte mir ganz sachte einen ihrer behandschuhten Finger auf die Schulter.

»Das Licht der Salzkristalllampen reicht doch völlig. Ist es nicht himmlisch, dieses kuschelige Ambiente? Sie haben da wirklich ein zauberhaftes Café. Und alles aus Holz, so heimelig und ansprechend. Ein richtiges Café zum Wohlfühlen. Klein und fein. Und im Sommer kann man sicher draußen sitzen und im Schatten feine Leckereien genießen. Ist es nicht so?«

»Ja, in der Tat«, antwortete ich stolz. »Ich verkaufe fast ausschließlich regionale Produkte aus biologischem, organischem Anbau, Fairtrade-Kaffee und einige ausgewählte Teesorten. Im Sommer gibt es veganes Eis, alles selbst gemacht natürlich. Und wie Sie sehen, gibt es bei mir auch schönen Schmuck und andere besondere Geschenke, alles handgemacht von Künstlern und Kunsthandwerkern aus der Region. Im Sommer stelle ich dann immer auch noch Tische und Stühle auf die Terrasse hinter dem Haus, eingerahmt von Rosenkübeln und Sonnenschirmen.«

»Wirklich schön ist es hier. So gemütlich. Hübsche Regale haben Sie. Alles wird so exquisit präsentiert. Das gefällt mir sehr.«

»Danke.«

»Und wo finden die Seminare und Veranstaltungen statt?«

»Kommen Sie, ich zeige Ihnen den großen Raum im hinteren Teil des Cafés. Gleich hier. Wenn Sie mir folgen wollen?«

Langsam öffnete ich die große hölzerne Flügeltür, die in einen ungefähr fünfzig Quadratmeter großen Raum mit einem hellen Parkettboden führte, der mit Schafwollmatten ausgelegt war und in dessen Mitte eine große Amethystdruse stand, um die sich einige Teelichter und Seidentücher gruppierten. Salzkristalllampen in Kugelform standen in den Ecken des Raums und sorgten für ein ganzheitliches Stimmungsbild.

»Diesen Raum stelle ich für Veranstaltungen zur Verfügung. Ich habe auch einige Untermieter, die hier Yoga, Tai-Chi und Meditationskurse anbieten. Sie haben den Raum stundenweise gemietet. Deshalb muss ich auch immer wieder wegen der Termine weit im Voraus planen, weil der Raum eben nicht ständig zur Verfügung steht.«

»Gut, gut. Und wer malt die wunderschönen Bilder mit diesen meditativen Elementen, die all die Wände zieren, hier und im Café?«

»Die male ich. Die Malerei ist sozusagen meine Entspannung, wenn ich den ganzen Tag auf den Beinen war, um Gäste zu bedienen, die Buchführung zu erledigen und Ware zu ordern.«

»Das ist klug von Ihnen. Ihre Bilder strahlen so viel Freude und dennoch Ruhe und Frieden aus.«

»Danke für das Lob.«

»Gibt es auch Sitzgelegenheiten?«

»O ja, natürlich«, beeilte ich mich zu sagen und zeigte auf eine weitere Tür am anderen Ende des Raums. »Dahinter verbirgt sich eine kleine Kammer. Dort lagern die Materialien für die Kurse, aber auch eine Reihe von Stühlen. Dreißig Stühle habe ich vorrätig. Bei Bedarf kann ich mir aber auch mehr leihen. Wir Selbstständige helfen uns hier im Ort gegenseitig.«

»Wie schön«, sagte Frau Winter und strich sich über die roten Locken.

»Möchten Sie einen Tee, Frau Winter? Und dann erzählen Sie mir von sich und Ihrer Märchenidee.«

»Gerne. Aber ein Kaffee wäre mir jetzt lieber.«

Ich nickte und öffnete erneut die Flügeltür. Wir verließen den Seminarraum, und während sich Frau Winter auf einen der Holzstühle im Café setzte, schaltete ich meine nagelneue Espressomaschine an.

»Liebe Frau Krämer, Sie brühen doch sicherlich auch Kaffee von Hand auf. So wie früher. Lassen Sie die Maschine aus und brühen Sie mir etwas ganz Starkes von Hand, einverstanden? Aber keinen Filterkaffee. Sie wissen schon, einen, bei dem ordentlich Kaffeesatz übrig bleibt.«

Ich zuckte mit den Schultern und ließ noch einmal meinen Blick über ihr altmodisches Äußeres schweifen.

»Natürlich, ganz wie Sie wollen. Und nun erzählen Sie mir von sich und Ihren Märchen.«

Frau Winter streckte die Beine aus und zog aus ihrem Mantel plötzlich ein großes, dickes Buch hervor, das aussah wie aus einem Museum, ein wenig abgegriffen, fest eingebunden und mit goldenen verschnörkelten Schriftzeichen versehen, ein echt antikes Stück sozusagen oder zumindest auf antik gemacht.

»Das ist mein Märchenbuch«, sagte sie leise. »Erschrecken Sie nicht, weil es so aussieht wie schon tausendmal gelesen. Es ist das Exemplar, das ich immer bei mir trage.«

»Und das haben Sie selbst geschrieben? Ich meine, Sie haben die Märchen selbst geschrieben?«, fragte ich erstaunt.

»Aber ja«, antwortete Frau Winter nicht ohne Stolz in der Stimme. »Ich arbeite als freie Autorin. Doch gleichzeitig trete ich als Märchenfee auf, und zwar nicht nur für Kinder, sondern für alle, weil ich finde, dass die Menschen wieder ein wenig mehr Zauber im Leben benötigen. Der Alltag ist nüchtern genug. Märchen bringen Menschen wieder dazu, zu träumen und an ihre Träume zu glauben. Und welche Zeit eignet sich besser als die Adventszeit, um das innere Kind zu hätscheln, sich verwöhnen zu lassen von geheimnisvollen Worten und sich den inneren Welten der Fantasie hinzugeben? So reise ich also vornehmlich im Winter herum, natürlich besonders in der Vorweihnachtszeit, und biete Märchenabende zwischen Dämmerung und Dunkelheit an. Als ich von Ihrem Café Rosenrot hörte, wusste ich, dass Sie meine nächste Station sein werden.«

Ich winkte ab, während ich den gewünschten Kaffee zubereitete. »Ich finde Ihr Vorhaben sehr lobenswert, aber ich kann nicht versprechen, dass es dieses Jahr noch klappt.«

Frau Winter sah mich mit verschmitzten Augen an und verzog die Lippen zu einem breiten Grinsen.

»Sie werden sehen, es wird klappen. Machen Sie sich keine Gedanken, Frau Krämer. Es wird klappen.«

»Ach. Und wie wollen Sie sich da so sicher sein?«

Frau Winter schlug die Beine übereinander und strahlte über das ganze Gesicht. Dann wechselte sie galant das Thema.

»Sie haben wunderschöne grüne Augen, wissen Sie das, Frau Krämer? Und Ihre zarte Porzellanhaut passt hervorragend zu Ihren langen roten Haaren. Im Gegensatz zu meiner Haarfarbe ist Ihre echt, nicht wahr? Wissen Sie, ich muss leider schon die Haare färben. Das Rot ist mein Markenzeichen.«

Verlegen senkte ich den Blick.

»Das muss Ihnen nicht peinlich sein. Sie dürfen meine Komplimente ruhig annehmen. Ich bin doch so viel älter als Sie. Ach …« Sie versank für einen Moment in Erinnerungen, die sie lächeln ließen. Dann hob sie den Kopf und fixierte mich mit einem weiteren Grinsen. »Außerdem haben Sie die Rundungen dort, wo sie hingehören. Wie eine Seejungfrau. Deshalb leben Sie ja auch hier am See. Sie kennen doch Arielle, die Meerjungfrau, das Disney-Märchen? Genauso hübsch sehen Sie aus.«

Ich nickte stumm, hustete und schwieg beharrlich. Komplimente über mein Aussehen waren mir wirklich peinlich. Und sie rührten an meinen inneren Schmerz, denn mein letzter Freund Maik hatte mich verlassen, weil ich ihm angeblich zu dick geworden war und er sich nicht vorstellen konnte, mit so einer Seekuh alt zu werden, geschweige denn Kinder zu haben. Seine giftigen Bemerkungen über mein Aussehen hatten mich tief verletzt und eine Wunde hinterlassen, die noch nicht geschlossen war.

»Ein heikles Thema, hab ich recht?«

»O nein, nein, nicht wirklich. Es ist nur … ein wenig kompliziert.«

»Ich verstehe.«

Sie kniff die Augenbrauen zusammen und beobachtete mich.

Ich reichte ihr den Kaffee.

»Wollen Sie nicht den Mantel ausziehen?«

Frau Winter schüttelte den Kopf.

»Ist Ihnen kalt hier drinnen?«

»Ganz und gar nicht, aber es fühlt sich im Augenblick besser an. Machen Sie sich diesbezüglich keine Gedanken. Und machen Sie sich nicht allzu viele Sorgen wegen Ihres Aussehens. Der Schmerz wird vergehen. Stattdessen wird große Freude in Ihr Leben kommen. Das kann ich Ihnen jetzt schon sagen.«

Ich kratzte mich am Hals. Das Gespräch verlief etwas seltsam, und deshalb wollte ich es wieder auf eine rein geschäftliche Ebene bringen.

»Also, wenn Sie bei mir auftreten wollen, benötigen wir einen Termin. Ein Honorar kann ich Ihnen nicht zahlen. Das ist bei mir nicht üblich. Ich stelle Ihnen den Raum zur Verfügung und behalte zwanzig Prozent der Eintrittskosten, die Sie festlegen. Der Rest ist für Sie. In der Regel konsumieren die Leute während solcher Veranstaltungen nicht viel, manchmal gar nichts. Deshalb muss ich mir vorbehalten, etwas von den Eintrittskosten zu behalten, es sei denn, Sie planen eine Benefizveranstaltung auf Spendenbasis oder über die Eintrittskosten. Dann verzichte ich auf die zwanzig Prozent. Um die Werbung kümmern sich die Künstler und ich gleichermaßen. Da sich mein Café hier ganz gut etabliert hat, können wir auf jeden Fall davon ausgehen, dass sich das Event herumspricht und Besucher kommen. Die Leute, die hier leben, sind froh, wenn auch im Winter etwas angeboten wird. Auch wenn hier überwiegend ältere Menschen leben, sind wir eine sehr innovative Gemeinde. Wir haben viele Künstler, Kunsthandwerker, Musiker und Therapeuten jeglicher Art in Langenargen und den umliegenden Gemeinden. Deshalb bin ich mir sicher, dass Leute kommen werden.«

Frau Winter steckte ihre Nase in den Kaffee und schlürfte genüsslich, sodass ich nicht wusste, ob sie mir wirklich zugehört hatte. Der süßliche Vanillegeruch, der permanent von ihr ausströmte, vermischte sich mit dem Duft der Kaffeebohnen und dem leichten Zimtaroma, das in der Luft lag und meinen Gast nun gänzlich umhüllte. Ich schnupperte und blickte dann fragend auf Frau Winter.

»Ihr Kaffee ist sehr lecker«, erwiderte sie fröhlich.

»Äh, ja. Wegen der Konditionen …«

»Keine Sorge, ich habe Sie schon verstanden. So machen wir es. Kein Problem. Ich richte mich ganz nach Ihren Bedingungen. Atmen Sie einfach mal durch, Kindchen. Sie wirken etwas angespannt. Setzen Sie sich zu mir. Trinken Sie einen Kaffee mit mir.«

Ich wehrte ab. »Abends trinke ich eigentlich keinen Kaffee mehr.«

»Ich verspreche Ihnen, dass Sie auf jeden Fall gut schlafen werden, vor allem, wenn Sie hinterher von meinem Spezialtee trinken. Den habe ich immer bei mir. So etwas kennen Sie garantiert noch nicht.«

»Sie kennen sich mit Kräutern aus?«

»Als Märchenfee kenne ich so manche Geheimnisse«, sagte sie kichernd und legte ihre Hand mit dem Samthandschuh auf meine Hände, »aber zuerst trinken Sie mit mir ein paar Schlucke Kaffee.«

Ich atmete tief ein und aus. »Also gut. Erst ein paar Schlucke Kaffee und dann etwas von Ihrer Spezialmischung. Ich bin wirklich neugierig, was Sie mir anbieten können. Und dann erzählen Sie mir noch ein wenig von Ihrer Arbeit.«

Ich stand auf und bereitete mir ebenfalls eine Tasse Kaffee zu. Dann setzte ich mich wieder zu Frau Winter an den runden Holztisch und sah in ihre schimmernden Augen. Sie schob mir ihr geheimnisvolles Märchenbuch hin und breitete ein paar getrocknete Kräuter vor mir aus.

»Ich lasse Ihnen das Buch da. Sie können ein wenig darin herumlesen, wenn Sie Zeit haben. Alles, was Sie wissen müssen, steht in diesem Buch. Über mich selbst gibt es nicht viel zu sagen. Seit ich denken kann, trete ich als Märchenfee auf und schreibe Märchen. Das ist sozusagen meine Lebensaufgabe. Etwas anderes kann ich nicht. Aber Sie können mir vertrauen. Wenn Sie mit mir zusammen diese Veranstaltung auf die Beine stellen, dann werden Sie es nicht bereuen. Sie werden so viel Wunderbares und Zauberhaftes erleben, dass Sie sich für immer daran erinnern werden. Ich bin eine wahre Künstlerin, wenn es darum geht, als Märchenfee zu fungieren. Sie werden begeistert sein, glauben Sie mir. Und was den Tee betrifft, nun ja, das ist ein uraltes Rezept aus meiner Familie. Das kann ich Ihnen leider nicht verraten.« Ein liebevolles Lächeln glitt über ihre geschwungenen Lippen, als sie mich bedauernd ansah.

»Ja«, erwiderte ich, »das mit den Familienrezepten verstehe ich. Und die Idee mit den Märchen finde ich auch sehr schön. Deshalb will ich mal schauen, ob ich noch einen Termin für Sie finde.«

»Den werden Sie, ganz bestimmt. Aber jetzt möchte ich mit Ihnen erst einmal den Kaffee genießen.«

»Na schön.«

Ein paar Sekunden lang hing jede von uns ihren Gedanken nach.

»Ach, und so ein hübsches Label haben Sie. Eine pinkfarbene Rose«, sagte Frau Winter plötzlich in die Stille hinein.

»Ja. Ich liebe Rosen. Deshalb heißt mein Café auch Rosenrot.«

»Wie im Märchen.«

»Wie bitte?«

»Sie kennen doch sicher das Märchen von Schneeweißchen und Rosenrot.«

»Ja, ja, natürlich. Was für ein Zufall. Aber Sie haben recht, der Begriff Rosenrot stammt aus dem Märchen.«

»Sie bieten auch Produkte aus Rosen an?«, fragte Frau Winter und griff sich an ihr kokettes Hütchen.

»Ja, Rosenmarmelade zum Beispiel. Die liefert mir eine liebe Freundin, die einen riesigen Garten mit Duftrosen hat, alles englische Rosen, die himmlisch riechen und die sich super verarbeiten lassen. Die Freundin wohnt in Oberdorf, das ist ein Ortsteil von Langenargen, der ein wenig im Landesinneren liegt, also etwas weg vom See. Dort gibt es viele schöne Häuser mit tollen Gärten.«

»Das klingt gut. Und überall findet sich die Rose versteckt. Zum Beispiel auf der Menükarte. Wie reizend! Außerdem machen sich die von Ihnen gemalten Rosenbilder auch ganz schön hier in den Räumen. Alles wirkt so liebevoll. Schnuckelig ist wohl der richtige Ausdruck. Dennoch ist nichts hier überladen oder allzu süßlich. Sie haben ein Händchen für die schönen Dinge, Frau Krämer, habe ich recht?«

Wieder wurde ich rot, als ich ihre warmen und lobenden Worte vernahm, und legte mir die kühlen Hände auf die glühenden Wangen. Dann setzte ich die Kaffeetasse an die Lippen und nahm ein paar große Schlucke.

Während ich den letzten Rest meines Kaffees trank, stand Frau Winter auf und übergoss ihre Kräutermischung mit kochendem Wasser. Dann schnappte sie sich eine von den großen Teetassen und servierte mir den dampfenden Sud. Eine lieblich heitere und sorglose Duftnote strömte von dem Gebräu aus, sodass ich tief inhalierte und mich dann wohlig zurücklehnte.

Frau Winter ergriff derweil meine leere Kaffeetasse und starrte in sie hinein.

»Was machen Sie da?«, fragte ich schmunzelnd und beäugte sie einerseits misstrauisch, andererseits leicht belustigt.

»Kaffeesatzlesen natürlich. Märchenfeen können so etwas. Sonst wäre ja nichts Magisches an uns Märchenfeen, oder?«

Nun war es an mir zu kichern.

»That’s business, Kindchen.«

»Schon verstanden. Und? Was können Sie herauslesen?«

»Oh, ich sehe, dass Sie einige Enttäuschungen hinter sich haben, was Männer anbelangt. Sie sind ausgenutzt, beschimpft und gedemütigt worden. So haben Sie das Vertrauen ins andere Geschlecht verloren. Stimmt’s? Sie denken, es ist besser, sich nicht mehr zu verlieben, aber schon bald werden Sie Ihre Meinung ändern. Bald schon. Es werden gleich zwei Bewerber zur Verfügung stehen. Sie werden beide auf ungewöhnliche Weise in Ihr Leben treten. Bald schon. Aber Sie müssen auf die Zeichen achten. Ja, achten Sie auf die Zeichen, dann werden Sie wissen, wer der Richtige für Sie ist.«

»Hm, sagen Sie das jedem oder nur mir? Ehrlich, ich weiß nicht, ob das etwas für mich ist. Ich glaube nicht an Prophezeiungen, schon gar nicht aus Kaffeeresten.«

Frau Winter hob die Schultern. »Glauben Sie es oder glauben Sie es nicht. Es liegt an Ihnen selbst, wieder glücklich zu werden. Letztendlich liegt alles in Ihren Händen. Achten Sie auf die Zeichen.«

»Ach ja, wenn das alles so einfach wäre. Ein bisschen Hokuspokus, und schon frisch verliebt. Friede, Freude, Eierkuchen.«

Frau Winter setzte sich ihr Hütchen zurecht, funkelte mich vergnügt an und legte eine Visitenkarte auf den Tisch.

»Hier ist meine Karte.«

»Kommen wir also zum Geschäftlichen. Ich hole nur kurz den Terminkalender.«

»Danke für den Kaffee. Es war mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Frau Krämer. Mein Buch lasse ich Ihnen hier. Und trinken Sie meinen Tee. Er wird Ihnen guttun.«

»Ich bin gleich wieder da. Warten Sie bitte kurz«, entgegnete ich und eilte in den Gang, an dessen Ende die Toiletten und ein Schrank mit Ordnern, Unterlagen, Flyern und auch mein Terminkalender zu finden waren.

Ich öffnete den Schrank und holte den Kalender heraus, drehte mich um und lief in den Verkaufsraum zurück. Doch von Frau Winter war nichts mehr zu sehen. Sie war verschwunden! Das Buch und die Visitenkarte lagen noch auf dem Tisch. Irritiert ging ich zur Eingangstür und öffnete sie mit einem Ruck. Aber der Nebel war zu dicht, als dass man etwas hätte sehen können, auch keine Person in einem roten Mantel.

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2

Ärgerlich betrachtete ich die Visitenkarte. Manche Künstler waren tatsächlich etwas seltsam. Was sollte ich bloß von diesem Auftritt halten? Frau Winter wollte doch unbedingt in meinen Räumen eine Veranstaltung abhalten, einen Märchenabend. Und jetzt war sie einfach ohne Termin verschwunden. Wollte mich diese Person auf den Arm nehmen, oder was?

»Angelina Winter – Märchenfee, zauberhafte Märchenevents für Groß und Klein«, stand auf ihrer Visitenkarte. Darunter war eine mobile Nummer angegeben, die ich sofort wählte. Die Mailbox meldete sich und wies mich darauf hin, eine Nachricht zu hinterlassen, was ich auch tat, allerdings leicht säuerlich. Mein Ton fiel ziemlich harsch aus.

Ich probierte es noch dreimal unter der angegebenen Nummer. Schließlich gab ich es auf und blickte auf den dampfenden Tee aus der Spezialmischung, der sein liebliches Aroma verbreitete. Vorsichtig setzte ich die Tasse an die Lippen und ließ mich auf einen meiner Stühle fallen. Einige Sekunden später fühlte ich mich tatsächlich ausgesprochen wohl und erheitert. Es gab keinen Grund mehr, mir Gedanken zu machen. Auch nicht über Angelina Winter. Sie würde sich melden, wenn ihr ein Event hier wichtig war, da war ich mir sicher. Ansonsten fühlte ich eine Leichtigkeit und Gelassenheit in mir wie nie zuvor. Diese Kräutermischung hatte es tatsächlich in sich.

Nach einer Weile beschloss ich, dass es nun endgültig Zeit war, nach Hause zu gehen. Und so zog ich mir die Winterjacke an und verließ mein kleines Café.

Draußen herrschte immer noch so dichter Nebel, dass es fast unmöglich war, zu Fuß heimzufinden. Doch Menschen, die nahe am See lebten, wussten, dass es in den Herbst- und Wintermonaten manchmal tagelang keinen Sonnenschein gab. Die meisten ertrugen diese Tatsache mit Genügsamkeit. Und wer sich nach Licht und Sonne sehnte, musste sich bloß ins Auto setzen und eine halbe Stunde weit ins Allgäu fahren, zum Beispiel nach Scheidegg oder Lindenberg. Diese beiden Orte rühmten sich dafür, die sonnigsten im Allgäu zu sein. Auf den Bergkuppen konnte man dann hinunter zum See blicken und die dicke Nebelsuppe betrachten, die all die Orte am Wasser verschlang.

Guter Dinge lief ich nach Hause zu meiner kleinen Wohnung am Seeufer im Gebiet Malerecke, direkt am traumhaft schönen Naturstrand. Dort lebte ich in einem der historischen Häuser mit niedrigen Decken, Stuck an den Wänden und blau bemalten putzigen Fensterläden. Die Eingangstür war ein wenig schief und quietschte beim Öffnen, aber ich liebte meine kleine Wohnung.

Ein altmodischer Briefkasten links von der Haustür wartete darauf, von mir geleert zu werden. Ich fischte nach drei Briefen und einem Katalog und legte alles auf den großen Esstisch, der in meiner Wohnküche stand und aus stabilem Eichenholz pure Gemütlichkeit ausstrahlte.

Der Kräutertee der Märchenfee hatte mich wohl auch ziemlich müde gemacht, denn ich gähnte lange und ausgiebig und beschloss, die Briefe heute nicht mehr zu öffnen. Wahrscheinlich waren es sowieso nur Rechnungen. Stattdessen streckte ich mich genüsslich auf meinem bordeauxfarbenen Sofa aus und blätterte ein wenig in dem Katalog mit hübscher Winterkleidung, der bereits mit herabgesetzten Preisen warb. Dabei dauerte es bis zum Winterschlussverkauf noch eine ganze Weile. Aber das Geschäft mit den Rabatten lief wohl das ganze Jahr über gut. Auch bei mir im Café konnte man Gutscheine erwerben. Und immer wieder vereinbarte ich mit den Künstlern, deren Ware ich in Kommission nahm, Sonderpreisaktionen anzubieten. Ab morgen würde ich mich dann zusätzlich um die Weihnachtsdekoration im Schaufenster kümmern, um das herbstliche Ambiente auf den kommenden Winterzauber vorzubereiten und das Adventsgeschäft anzukurbeln. Vor allem meine ökologischen Wintertees liefen im Advent sehr gut, sowohl als Geschenk für Weihnachten als auch im Café, wenn es draußen neblig, kalt und ungemütlich war. Dann wärmte ein winterlicher Tee Leib und Seele.

Beim Blättern im Katalog merkte ich, wie mir allmählich die Augen zufielen. Ich war wohl müder als gedacht und entschied mich deshalb, ins Bett zu gehen und mich einmal richtig auszuschlafen.

 

Als ich am nächsten Morgen meine Getreidemühle in Betrieb nahm, Äpfel schälte und Rosinen mischte, um mir ein leckeres Morgenmüsli zuzubereiten, fiel mein Blick wieder auf die Briefe vom Vortag. Es war noch sehr früh, draußen war es düster, und immer noch lag dichter Nebel über unserer kleinen Stadt. Ich hatte geschlafen wie ein Stein, tief und traumlos, und fühlte mich immer noch sehr heiter und beschwingt. Deshalb angelte ich mir die Briefe und öffnete sie der Reihe nach. Wie erwartet waren zwei von ihnen Rechnungen. Ich legte sie zur Seite und öffnete den dritten. Dieser Brief brachte mein Blut in Wallung und vertrieb all meine Heiterkeit auf einen Schlag.

Michael Müller, der Bruder meiner besten Freundin Isabel, teilte mir mit, dass er der neue Besitzer des Cafés Strandperle sei und seine Schwester nun in Zukunft ihre Rosenprodukte nur noch bei ihm verkaufe.

»Was erdreistet der sich!«, rief ich und knallte den Brief wütend auf den Tisch. »Der kann doch seiner Schwester nicht befehlen, ihre Sachen nicht mehr bei mir zu verkaufen!«

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Isabel davon wusste. Oder etwa doch? Das musste ich sofort klären. Ich griff zu meinem Telefon, um Isabel anzurufen, obwohl es noch beinahe mitten in der Nacht war. Entsprechend müde und missmutig klang ihre Stimme, als ich sie endlich am Telefon hatte.

»Bist du verrückt, Kathie! Weißt du eigentlich, wie spät es ist? Kurz vor sechs! Du hast mich aus dem Schlaf gerissen! Was ist denn bloß los?«, krächzte sie.

»Entschuldige, aber ich muss das klären. Seit wann ist Michael wieder zurück aus Australien? Ich dachte, er wäre für immer ausgewandert und stolzer Besitzer eines Cafés irgendwo am Ende der Welt. Und nun schreibt er mir, dass er das Café Strandperle gekauft hat und du deine Rosenprodukte nicht mehr bei mir verkaufen wirst.«

»Wie bitte? Was hat er geschrieben?«

»Also stimmt es doch, dass er hier ist.«

»Ja, das stimmt. Michael ist wieder zurück. Es ging alles ganz schnell. Wir wissen auch erst seit ein paar Tagen, dass er die Strandperle gekauft hat. Aber das mit den Rosenprodukten stimmt nicht. Davon weiß ich nämlich nichts.«

Ich atmete erleichtert auf.

»Er hat mir einen Brief geschrieben, in dem er mir ankündigt, dass du deine Rosenprodukte nur noch bei ihm in der Strandperle verkaufen wirst.«

»Das kann er gar nicht! Das ist ganz alleine meine Entscheidung!«, rief Isabel jetzt aufgebracht.

»Er ist halt immer noch dein großer Bruder, der über dich bestimmen will«, sagte ich spitz.

»Das ist wahr. Ich muss mit ihm reden. So geht das nicht.«

»Ich bin alles andere als begeistert. Ausgerechnet Michael hat das Café Strandperle gekauft!«

»Beruhige dich, Kathie. Ich weiß, dass du und Michael nie gut miteinander ausgekommen seid.«

»Daran hat sich nichts geändert. Er ist einfach auf Krawall gebürstet, dein lieber Bruder.«

»Ach Kathie, sag so etwas nicht. Es ist schon Jahre her, dass er dich im Schwimmbad ständig an den Zöpfen gezogen hat.«

»Er hat mich in den Keller gesperrt, mir tote Mäuse untergejubelt und Frösche in die Schuhe gesteckt.«

»Aber da waren wir doch noch Kinder. Diese Zeiten sind längst vorbei.«

»So, meinst du? Jetzt ist Michael mein größter Konkurrent!« Ich hörte Isabel stöhnen und wartete ungeduldig auf ihre Antwort.

»Ja, ich weiß«, flüsterte sie nach einer Weile. »Glaub mir, mir tut das auch echt leid. Aber vielleicht ist das ja auch eine Chance. Ich glaube, Michael hat sich wirklich geändert. Ich habe ihn nur einmal kurz gesehen, weil er die Wohnung oben in der Strandperle bezogen hat. Aber er kam mir schon sehr verändert vor. Viel reifer als früher.«

Ich stieß wütend die Luft durch die Zähne. »Das hoffe ich sehr. Meine Güte, Isabel, du weißt doch selbst, dass dein Bruder nicht so ganz einfach im Umgang ist. Er war immer so ein schrecklicher Macho, ein Besserwisser und jemand, der andere bevormundet. Auch wenn er dein Bruder ist, aber er hat mich immer nur auf die Palme gebracht. Was hat ihn bloß zurück nach Deutschland getrieben? Ich dachte, er ist dort glücklich in diesem kleinen Nest. Wie hieß es noch mal?«

»Millthorpe.«

»Ja, Millthorpe. Diese anthroposophische Gemeinde mit einer Handvoll Einwohnern und dem tollen Café mit deinem Bruder als Hahn im Korb.«

»Michael war ja auch glücklich dort, bis … Na ja, er hat leider auch einige Schicksalsschläge einstecken müssen. Seine Frau hat ihn nach der Fehlgeburt verlassen. Er ist geschieden. Und dann gibt es noch eine uneheliche Tochter, die vier ist. Mehr weiß ich aber auch nicht. Michael ist ja erst seit ein paar Tagen zurück.«

»Und da hat er schon gleich das Café Strandperle kaufen müssen!«

»Bitte spar dir deinen Sarkasmus, Kathie. Wir wussten alle nichts davon. Und ja, irgendwie hat er genügend Geld angespart, um das Café zu kaufen.«

»Ich wusste gar nicht, dass es zum Verkauf stand.«

»Tja, wir auch nicht.«

Knurrend setzte ich mich mit dem Telefon auf mein Sofa.

»Das ist für mich ein harter Schlag, Isabel. Du weißt gar nicht, was das für mich bedeutet, wenn dein ehrgeiziger Bruder hier alles dominieren wird. Ich habe ehrlich gesagt Angst um meine Existenz, schon gar, wenn er mir gleich so kommt.«

»Aber die Strandperle ist doch ein rein klassisches Café für eher ältere Semester.«

»Ja, bisher. Aber wenn dein Bruder hier ebenfalls auf biologisch und nachhaltig macht, dann kann ich zumachen. Schließlich kommt er aus diesem ökologischen Nest aus Australien. Sein Café dort war sicher kein klassischer Sahnetortenbunker. Außerdem hat die Strandperle direkten Seeblick und Zugang zum Wasser.«

Isabel versprach mir, auf ihren Bruder aufzupassen und für mich ein gutes Wort einzulegen. Auch sie wollte nichts anderes, als dass wir uns alle gut verstanden und nicht gegenseitig die Butter vom Brot nahmen.

»Ich muss langsam los, Isabel. Aber danke, dass du deine Rosenprodukte weiterhin bei mir verkaufen wirst.«

»Ist doch selbstverständlich, Kathie, denn nur dort gehören sie hin, ins Café Rosenrot.«

»Danke«, sagte ich leise, dann beendeten wir das Gespräch.

Nun musste ich mich ein wenig beeilen, um rechtzeitig zum Frühstück aufzuschließen. Ich wollte noch die Brötchen abholen, die ich von einem Biobäcker aus der Region erhielt und die zusammen mit der Ware für den Bioladen am Marktplatz geliefert wurden. So konnte ich meinen Gästen frische, wohlschmeckende Brötchen zum Frühstück anbieten, die ich zusammen mit den selbst gemachten Marmeladen, den frischen Eiern und unglaublich würzigem und schmackhaftem Käse servierte. Fleisch und Wurst gab es bei mir nicht, dafür aber besondere Leckereien aus frisch gemahlenem Getreide und deftige Brotaufstriche. Es war meine Aufgabe, diese Brotaufstriche herzustellen und das Getreide zu mahlen. Ansonsten stand schon in aller Frühe meine Angestellte Rebecca bereit, die den ganzen Vormittag im Café bediente.

Heute war Krabbelgruppenvormittag, und die privat organisierte Gruppe aus engagierten Müttern und ein paar Vätern, die es sich nicht nehmen lassen wollten, Elternzeit zu nehmen und ihren Nachwuchs überall hinzubringen, wo es früher ausschließlich Frauen gab, stand schon vor der Tür. Sie hatten den Seminarraum gemietet, trafen sich einmal wöchentlich, um mit den Kindern zu spielen, und versammelten sich nach der Stunde noch im Café, um gemütlich zusammenzusitzen, zu plaudern und zu brunchen.

Mein Café lebte von solchen Gruppen, insofern war die Kombination aus Café und Seminarraum ideal. Nur Rebecca machte mir heute Sorgen. Sie wirkte bleich, unausgeschlafen und desorientiert. Und just schepperte es im Küchenbereich. Wahrscheinlich war ihr eine Tasse oder ein Teller heruntergefallen. Ich eilte sofort zu ihr in die Küche und half ihr beim Aufkehren der Scherben.

»Was ist denn los mit dir, Rebecca? Du siehst schon die ganze Zeit so müde und fertig aus. Gibt es Probleme? Fehlt dir was?«

Rebecca wehrte ab und bückte sich noch tiefer, damit ich ihr Gesicht nicht sehen konnte.

»Es ist nichts, wirklich nicht. Es wird auch gleich wieder besser gehen. Ich habe nur schlecht geschlafen. Das ist alles.«

»Bist du dir da sicher?«

»Selbstverständlich«, antwortete sie müde und erhob sich langsam.

Mit den dunklen Schatten unter den Augen und dem erschöpften Ausdruck im Gesicht sah sie heute wenig ansprechend aus. Ihre blonden Haare waren strähnig und lieblos hinter die Ohren geschoben. Die hellen Augen wirkten glanzlos und leicht gerötet, und der schmuddelig beige Pullover machte sie noch bleicher und wirkte wie aus der Mottenkiste. Außerdem wies er einen Fleck auf, den ich missbilligend betrachtete. Wo war nur meine fröhliche, hübsche und strahlende Rebecca geblieben? Ich glaubte ihr nicht, dass sie einfach nur schlecht geschlafen haben sollte, und musterte sie eingehend und wohl auch ein wenig streng.

Rebecca hielt schützend die Hände vor die Brust, als sie meinen kritischen Blick bemerkte, und entschuldigte sich noch einmal für ihre Ungeschicklichkeit.

»Wäre es nicht besser, wenn du freinehmen würdest?«, fragte ich mit ruhiger Stimme, als sie nervös an dem Fleck herumrieb.

Rebecca atmete erleichtert auf und nickte mir dankbar zu.

»He, ich bin doch kein Unmensch. Wenn jemand krank ist, dann ist er krank und gehört ins Bett. Und wenn jemand sonst wie in der Krise steckt, dann hat er hier auch nichts verloren. Du weißt doch, wie wichtig es ist, dass wir alle fröhlich sind und den Gästen das Gefühl geben, dass unser sonniges Gemüt und unsere Leckereien alle Wolken am Himmel und in ihrem Leben vertreiben. Unsere Gäste sollen sich wohlfühlen. Mehr noch, sie sollen sich so wohlfühlen, dass sie hier eine Art Kraftquelle für sich entdecken und gerne wiederkommen.«

»Ich weiß, Kathie. Wir sind so eine Art Kraftplatz. Es tut mir leid, dass ich so schlecht drauf bin. Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, was mit mir los ist. Ich fühle mich einfach nur völlig fertig und erschöpft.«

»Dann ist es wirklich besser, wenn du nach Hause gehst. Ich rufe Nelli und Trudi an. Eine von ihnen hat immer Zeit zum Helfen. Den Rest schaffe ich alleine. So voll scheint es heute nicht zu werden.«

»Danke, Kathie.«

»Keine Ursache. Und jetzt ab mit dir nach Hause!«, befahl ich lachend.

Rebecca drehte sich noch einmal um. »Übrigens, Maja kommt heute eine Stunde später mit den Kuchen und Torten. Sie hat sich entschuldigt, aber sie schafft es nicht früher. Der kleine Moritz ist erkältet und heute nicht in der Schule.«

Ich zuckte mit den Schultern und dachte an mein großes Kühlfach, wo die Leckereien von gestern lagerten, die ich in der Zwischenzeit anbieten konnte, bis Maja mit der neuen Ware kommen würde.

»Dafür bringt sie den Himbeertraum mit, ganz frisch«, fügte Rebecca hinzu.

»Na dann«, sagte ich und winkte Rebecca zum Abschied, die in ihren Wintermantel geschlüpft war und das Café verließ.

Majas Tortenkünste waren der Knüller im Landkreis. Sie und ihre Mutter backten die besten Torten und Kuchen weit und breit und lieferten sie mir am späten Vormittag ganz frisch ins Café. Viele ihrer Kreationen waren vegan, andere waren einfach so himmlisch, dass kaum jemand ihnen widerstehen konnte. Zu den beliebtesten Torten zählte der Himbeertraum, eine kalorienarme Frischkäsetorte, die leicht, luftig und himmlisch schmeckte. Wir führten sie aber nicht täglich im Programm, sondern nur jeden zweiten Tag. Das andere Highlight von Majas Künsten war eine ausgesprochen erfrischende Mangotorte mit Quark, die ebenfalls so hervorragend schmeckte, dass wir einige Liebhaber dieser Torte hatten, die nur wegen ihr in unser Café kamen und sie jeden zweiten Tag bei uns erhielten, immer dann, wenn die Himbeertorte nicht da war. Auf diese Weise freuten sich die Tortenfans abwechselnd auf unsere Spezialitäten, die wir extra knapp hielten, um die Gäste bei der Stange zu halten.

Zwei ältere Damen betraten das Café, die ich hier noch nie gesehen hatte. Sie waren wohl Touristinnen, die sich über das Wetter beschwerten, das im Augenblick herrschte, und die Vorzüge von Wellnessbehandlungen im Ort betonten. Den Aufenthalt in Langenargen hatte die eine ältere Dame von ihrem Mann zum Geburtstag geschenkt bekommen, einschließlich zahlreicher Behandlungen, die die Frau wohl bitter nötig hatte, denn sie wirkte sehr zerknittert und faltig. Ihre Begleiterin musste wohl mit ihr gereist sein, was ich aus dem Gespräch der beiden entnahm. Sie bestellten Tee und Marmeladenbrötchen zum Frühstück und interessierten sich besonders für die Edelsteine in meinem Schaufenster.

Nachdem ich sie bedient hatte, griff ich zum Telefon und rief Nelli und Trudi an, die mir immer zur Seite standen, wenn es hier mal eng werden sollte, was immer mal wieder vorkam. Nelli und Trudi waren Zwillingsschwestern, Freundinnen meiner Mutter, die auf der anderen Seite von Langenargen lebten und sich als Rentnerinnen zu Tode langweilten. Nachdem ihre Ehemänner gestorben waren, waren sie zusammengezogen und freuten sich unbändig, wenn sie bei mir einspringen konnten. Manchmal kamen sie auch zu zweit und unterhielten die Gäste mit ihrem flotten Aussehen und ihrer guten Laune. Mit ihren gepunkteten Glockenkleidern im Stil der Fünfzigerjahre und ihren Retroaccessoires waren sie stets gern gesehen, vor allem bei unseren einheimischen Gästen. Aber auch die Touristen fanden die beiden sehr drollig und originell, wenn sie wie die putzigen Püppchen unsere Leckereien servierten und geistreichen Small Talk machten.

Beide stimmten sofort zu, in der nächsten Stunde vorbeizukommen, sodass ich erleichtert aufatmen konnte und die Zeit nutzte, um meine Eltern auf Mallorca anzurufen, was ich mindestens einmal in der Woche tat.

Meine Mutter begrüßte mich auch gleich überschwänglich. »Es ist sonnig und mild«, säuselte sie glücklich.

»Geht es dir und Papa gut?«, fragte ich ein wenig ängstlich.

»Mädchen, uns geht es sehr gut. Du musst dir keine Sorgen machen, wirklich nicht.«

»Aber …«

»Kein Aber. Wir sind froh, hier zu sein und den Winter nicht mehr ertragen zu müssen. Es ist zwar nicht übermäßig warm heute, aber die Sonne scheint. Das genügt uns.«

»Du sagst mir doch die Wahrheit, Mama, oder?«

»Aber natürlich. Außerdem sind wir die Eltern und nicht du.«

»Mit so einem Herzinfarkt ist nicht zu spaßen.«

»Das tun wir auch nicht, glaub mir. Dein Vater ist wieder ganz gesund. Wir haben hier in Palma sehr gute Ärzte, und fast alle sprechen Deutsch. Es könnte zu Hause nicht besser sein. Und das milde Klima tut uns so gut, dass wir wieder Bäume ausreißen könnten. Selbst ich könnte das nach der Operation. Der Tumor ist weg, ganz und gar. Also mach dir keine Sorgen. Genieße es lieber, dass du nun Herrin dieses wunderbaren Cafés bist.«

»Hm«, meinte ich nachdenklich. »Ich bin euch immer noch so dankbar, dass ihr mir die Räume finanziert habt. Als Eigentümerin habe ich doch ganz andere Möglichkeiten. Vor allem muss ich keine Pacht zahlen. So kann ich ins Personal investieren und in anständige Ware. Das hat sich wirklich gelohnt, Mama.«

»Das wissen wir, Kind. Es war schon immer dein Traum, ein eigenes Café zu haben. Und wozu hätten wir auf unserem Geld sitzen bleiben sollen? Wie du siehst, hat es auch noch für unsere bezaubernde kleine Wohnung in Palma gereicht. Diese zwei Zimmer genügen uns vollkommen. Wir sind zufrieden hier.«

»Vermisst ihr manchmal den Bodensee und Langenargen?«

»Ach was, nicht die Bohne. Wasser haben wir ja hier genug, mehr als genug. Und auf den Nebel können wir getrost verzichten. Nur du fehlst uns, Kind. Wann kommst du uns besuchen?«

Ich seufzte, und meine Mutter hatte feine Ohren.

»Schon verstanden«, sagte sie, aber es klang nicht beleidigt, eher verständnisvoll.

»Es ist gerade nicht so einfach, Mama. Die Strandperle ist verkauft worden. Und gekauft hat sie Michael Müller. Du erinnerst dich, der wüste Michael, der nach Australien ausgewandert ist und jetzt in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zurückgekommen ist, um die Strandperle zu übernehmen.«

»Na und? Konkurrenz belebt das Geschäft. Es ist doch egal, wer die Strandperle betreibt. Sie war und ist und bleibt dein Konkurrent.«

»Ja, aber die Schulzes haben mich völlig in Ruhe gelassen. Wir haben friedlich nebeneinanderher existiert.«

»Und das hat sich jetzt geändert?«, fragte meine Mutter plötzlich scharf.

»Ja. Michael will mir vorschreiben, dass ich Isabels Rosenprodukte nicht mehr anbieten darf, weil er sie selbst in sein Sortiment aufnehmen will.«

»Ihr seid also immer noch auf dem Niveau der Kinder stecken geblieben, ihr zwei.«

»Das ist nicht wahr, Mama! Jetzt geht es um was ganz anderes«, verteidigte ich mich empört.

Meine Mutter schnaubte leise und sagte dann lachend: »Ihr seid nach wie vor Kindsköpfe. Aber ihr werdet das schon hinbekommen. Michael kocht auch nur mit Wasser. Wirst sehen, seine Drohungen sind einfach nur leere Hülsen. So wie ich mich an die kleine Isabel erinnere, lässt sie sich das nicht gefallen. Wäre ja noch schöner, dass der große Bruder aus Down Under kommt und über alle bestimmen will. Kurzfristig auch noch. Ach, herrlich!«

»Das amüsiert dich wohl! Ich glaube es nicht! Wie kannst du nur lachen?«

»Entspann dich, Kind. Es wird schon alles gut. Mama weiß das. Und nun muss ich aufhören, denn wir werden jetzt unseren Morgenspaziergang machen. Bis bald, Kathie.«

»Tschüs, Mama. Und grüß Papa von mir«, sagte ich lahm und legte dann auf.

Das Gespräch mit meiner Mutter hatte mich keineswegs beruhigt. Ich wusste nicht wirklich, wie es ihnen ging, denn beide neigten dazu, sich die Welt schönzureden und die Tatsachen zu verdrängen. Mutters Krebsoperation und Vaters Herzinfarkt wurden einfach ignoriert, zumindest mir gegenüber. Das fand ich nicht in Ordnung, aber es war nicht möglich, mit ihnen ein ernstes Wort zu reden. Immerhin ging es ihnen auf Mallorca gut. Die ärztliche Versorgung war dort wirklich ausgezeichnet, vor allem dann, wenn man bereit war, für besondere Leistungen tiefer in die Tasche zu greifen. Ich war froh, dass meine Eltern nicht unvermögend waren und sich bescheidenen Luxus gönnen konnten. Und über mein Voraberbe, das Café, freute ich mich unendlich.

Als Nelli und Trudi das Café betraten, wirkten sie wie zauberhafte Farbtupfer an diesem trüben Tag. Sie hatten ihre weit schwingenden Kleider an, unter denen sogar ein wenig farbiger Tüll hervorschaute, so eine Art Petticoat. Ihre blondierten Haare waren elegant hochgesteckt und mit winzigen Hütchen, die seitlich am Kopf befestigt waren, in Form gebracht.

»Hallo, Kathie«, begrüßten sie mich fröhlich und verzogen die knallrot bemalten Lippen zu einem angedeuteten Kussmund.

»Ihr kommt gerade recht. Die Stimmung hier braucht ein wenig Abwechslung und Aufmunterung«, erwiderte ich und umarmte die eineiigen Schwestern, die ich nur an dem kleinen Leberfleck an Trudis Hals unterscheiden konnte.

»Gut, dass du angerufen hast. Uns war schon wieder fürchterlich langweilig. Du kannst uns ruhig öfter einbestellen.«

»Ja, aber wie ihr wisst, ist Rebecca auf diesen Job angewiesen. Sie hat nach wie vor Angst, dass ihr beide ihr die Arbeit wegnehmen könntet, wenn ihr hier zu oft auftaucht.«

»Ach, das Spätzchen soll sich doch keinen Kopf machen. Wir würden ihr doch nie im Leben den Job streitig machen, nicht wahr, Nelli?«

Nelli nickte. »Rebecca weiß das eigentlich. Wir haben es ihr oft genug gesagt.«

»Das nützt nichts. Sie ist eine liebenswerte Person, aber sie hat keinerlei Rücklagen und muss den Kredit von ihrem Exmann abbezahlen, der einfach untergetaucht ist und sie sitzengelassen hat.«

»Hey, nicht wütend werden, Kathie. Das lohnt sich nicht. Es ist Rebeccas Leben und ihre Entscheidung.«

»Klar«, entgegnete ich und zügelte meine aufkeimende Wut. »Ich kann es nur manchmal nicht mehr hören, wie sie ihn immer noch verteidigt. Das ist unglaublich. So etwas ärgert mich maßlos.«

»Uns auch«, bestätigten die Schwestern, bevor wir uns den neuen Gästen widmeten, die das Café betraten.

Trudi bediente sogleich die älteren Damen, die jetzt endlich zahlen wollten, während Nelli einen jungen Mann beriet, der einen Rosenquarzanhänger für seine Freundin erwerben wollte. Derweil richtete ich den Brunch für die Krabbelgruppe, die in ein paar Minuten aus dem Seminarraum kommen würde.

Zwei Stunden später eilte eine etwas abgehetzte, aber verschmitzt grinsende Maja ins Café und brachte uns ihre frischen Backkreationen einschließlich ihres legendären Himbeertraums. Ein älterer Herr mit Stock wartete schon auf das erste Stück dieses Gaumenschmauses. Da Maja etwas später als sonst kam, vertröstete ich den Herrn mit einem edlen Latte macchiato und kleinen Gebäckstücken.

»Wie geht es Moritz?«, fragte ich Maja, die ihre dicken schwarzen Haare unter einer grob gestrickten Wollmütze verbarg und um ihren Pfefferminztee bat, den ich täglich für sie bereithielt, als Aufmerksamkeit des Hauses sozusagen, denn Maja war wirklich ein Schatz und eine großartige Frau, die ihren Sohn Moritz zusammen mit ihrer Mutter alleine großzog, nachdem ihr Mann bei einem Bootsunglück vor drei Jahren ums Leben gekommen war.

»Er hustet«, antwortete Maja und blies in die Tasse. Dann verzog sie ihre breiten Lippen und lächelte mich zufrieden an.

»Du siehst gut aus«, bestätigte ich anerkennend, »wenn man mal von dem ganz normalen täglichen Wahnsinn absieht.«

»Danke, es geht mir auch ganz gut. Ist Moritz krank, habe ich halt ein wenig Zeitdruck. Ich hoffe, ich habe euch nicht allzu lange warten lassen.«

»Nein, schon gut«, sagte ich und senkte die Stimme. »Herr Sautter konnte es schon nicht mehr erwarten. Er ist wohl verrückt nach deinem Himbeertraum. Und nach dir«, fügte ich schelmisch hinzu.

»Hihi«, kicherte Maja hinter vorgehaltener Hand. »Wenn er nach der Torte verrückt ist, dann ist ja alles gut. Auf mich kann er lange warten.«

»Dabei wäre er eine gute Partie.«

»Nein, nicht im Ernst, Kathie. Er ist mindestens dreißig Jahre älter. Mindestens.«

»Was gibt es da zu kichern?«, fragte Trudi, die soeben das leere Glas Latte macchiato abräumte. »Für Unanständiges bin ich immer zu haben. Also raus damit, Mädels.«

»Pst, nicht so laut«, warnte ich mit einem vorsichtigen Blick auf Herrn Sautter.

Maja deutete mit dem Daumen auf ihn, woraufhin wir uns alle anblickten und beinahe laut losgeprustet hätten. Wir wussten alle, dass Herr Sautter nicht nur den Himbeertraum anhimmelte, sondern alles anschmachtete, was weiblich war und mindestens dreißig oder vierzig Jahre jünger als er. Trudi und Nelli allerdings beachtete er kaum, schließlich waren die beiden Frauen bloß an die fünfzehn Jahre jünger als er. Das zählte für ihn nicht, war ihm wohl zu alt, was die beiden Schwestern manchmal etwas auf die Palme brachte.

Wir wechselten noch ein paar amüsante Worte und zwinkerten uns unauffällig zu, wenn wir zu Herrn Sautter blickten, der jetzt versonnen den Himbeertraum verspeiste und gleichzeitig versuchte, eine der jungen Mütter zu beeindrucken. Wir schüttelten die Köpfe und wussten doch, dass unsere Gäste manchmal eben etwas eigenwillig waren. Herr Sautter war im Grunde harmlos, aber seine Vorliebe für deutlich jüngere Frauen, mit denen er flirtete, stieß nicht immer auf Verständnis.

»Danke für den Tee«, sagte Maja und zog sich die Mütze in die Stirn. »Ich muss weiter. Bis morgen!«

Die Tortenbehälter und Kuchenbleche hatte sie übereinandergestapelt und ließ sich von Nelli zur Tür bringen.

»Was ist eigentlich das?«, fragte Trudi an mich gewandt und hielt mir das merkwürdige Märchenbuch unter die Nase, das die Künstlerin bei mir gelassen hatte.

»Ach das«, erwiderte ich gelangweilt, holte tief Luft und erzählte ihr die Geschichte mit der Märchenfee.

»Mach dir nichts draus. Du weißt doch, dass viele Künstler einfach unzuverlässig sind. Das ist doch nichts Neues. Ich wundere mich sowieso, dass du dich auf so etwas überhaupt noch einlässt.«

»Na ja, es ist halt gut fürs Image.«

»Aber die Organisation ist immens, und nachher zicken diese Künstler nur herum. Wenn ich da an diese Schauspielerin denke, die partout alles anders haben wollte als abgesprochen und sich wie eine Diva aufgeführt hat. Und dann dieser vergammelte Musiker, der wohl seit Monaten nicht mehr geduscht hatte. Das war echt eine Zumutung für das Publikum.«

Wir schmunzelten beide bei ihren Worten.

»Wahrscheinlich hast du recht, ich sollte mich mit solchen Leuten nicht mehr abgeben. Wir brauchen dennoch weiterhin ein gutes Gesamtkonzept. Vor allem jetzt, wo die Strandperle einen neuen Besitzer hat …«

»Was?«, riefen beide Schwestern wie aus einem Mund.

»Ja, ihr habt richtig gehört. Die Strandperle ist verkauft worden. Der neue Besitzer ist ein unangenehmer Zeitgenosse, den ich noch von früher kenne. Aus der Kindheit sozusagen.«

»Und da wart ihr nicht die besten Freunde.«

»Ganz und gar nicht.«

»Na, das kann ja heiter werden«, unkte Nelli.

»Nicht nur heiter, sondern auch richtig spannend«, warf Trudi ein und rieb sich die Hände.

Ich starrte die beiden an, als wären sie von allen guten Geistern verlassen. »Euch macht das wohl Spaß, oder?«

»Mensch, Kathie, jetzt sei doch nicht so verbissen. Entspann dich mal. Sei locker. Was soll dir denn passieren? Dir gehört dieses Café. Es läuft gut, du hast dein Auskommen, wir arbeiten gerne für dich, und deine Gäste sind begeistert. Außerdem gibt es weit und breit kein Café mit angeschlossenem Seminar- und Kunstbetrieb. Das ist hier einzigartig. Da wirst du doch nicht vor dem neuen Besitzer der Strandperle Angst haben?«

»Ja, ja, macht euch nur alle lustig über mich. Mit diesem neuen Besitzer ist nicht gut Kirschen essen. Das weiß ich ganz genau.«

»Na, dann werdet ihr euch schon die Köpfe einschlagen, oder?«

Die beiden schlugen sich vor Lachen auf die Schenkel, sodass der Tüll wippte.