Wissensdurstler - Roman Lachlust - E-Book

Wissensdurstler E-Book

Roman Lachlust

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Beschreibung

Christian König hat die erste Lebenshalbzeit hinter sich. Die Zweite beginnt vielversprechend. Frau weg, Kind weg, Job weg. Ihm ist klar, er muss neu durchstarten. Eine berufliche Umschulung scheint die geeignete Maßnahme zu sein. Er stürzt sich voller Wissensdurst in dieses turbulente Abenteuer und schon im Vorbereitungskurs begegnen ihm: ein Samson ohne Fell; ein Streetfighter mit vier Dioptrien und den falschen Schuhen; ein rattenscharfer Königspudel; eine Disco-Hagebutte und viele andere irre Typen. Werde auch du zum Wissensdurstler und erfahre: wie leicht es ist, das Ozonloch wieder zu schließen; wie Kafka-Texte als Rap-Version klingen; wie ein russischer Trinkspruch fast den dritten Weltkrieg auslöste; wie gefährlich eine Hummelbestäubung sein kann; wie eine Tequila-Fahne beim Zahnarzttermin unbemerkt bleibt; wie man Hämorrhoiden nach Feng-Shui-Kriterien platziert und was ein Neunzig-Minuten-Elfmeter ist.

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Das Buch:

Christian König hat die erste Lebenshalbzeit hinter sich.

Die Zweite beginnt vielversprechend.

Frau weg, Kind weg, Job weg.

Ihm ist klar, er muss neu durchstarten. Eine berufliche Umschulungscheint die geeignete Maßnahme zu sein.

Er stürzt sich voller Wissensdurst in dieses turbulente Abenteuer undschon im Vorbereitungskurs begegnen ihm:

Ein Samson ohne Fell.

Ein Streetfighter mit vier Dioptrien und den falschen Schuhen.

Ein rattenscharfer Königspudel.

Eine Disco-Hagebutte und viele andere irre Typen.

Werde auch du zum Wissensdurstler und erfahre:

Wie leicht es ist, das Ozonloch wieder zu schließen.

Wie Kafka-Texte als Rap-Version klingen.

Wie ein russischer Trinkspruch fast den dritten Weltkrieg auslöste.

Wie gefährlich eine Hummelbestäubung sein kann.

Wie eine Tequila-Fahne beim Zahnarzttermin unbemerkt bleibt.

Wie man Hämorrhoiden nach Feng-Shui-Kriterien platziert

und was ein Neunzig-Minuten-Elfmeter ist.

Der Autor:

1963 in Magdeburg geboren. Handwerker, Fachberater, Umschüler,

Angelparkbetreiber, Auswanderer, Romanautor.

Lebt seit 2019 mit Lebensgefährtin, vier Katzen,

vier Hunden und vier Kühen mitten in der paraguayischen Pampa.

Roman Lachlust gelingt es, dem Leben nicht nur auf`s Maul zu schauen, sondern auch in den Schlüpfer. Seine bildhafte Sprache lässt im Leser einen Film ablaufen. Ganz so, als wäre er im Kino. Einsteigen, anschnallen und lachen bis sich die Bauchmuskeln aufdröseln.

Stimmen aus dem Buch!

„Eine, zu einhundert Prozent wahre Begebenheit, wie sie ja vielleicht passiert sein könnte. Jedes einzelne Wort ist wahr, ich habe es mir selber ausgedacht.“

Christian König

„Der Hammeer, Alteer! Oinee ächtee Päärle unter die Regional-Literatuä. Und ich wa mit daboi, odää wääs.“

Felix Boakenhuus

„Wie jetze, ich bin in dat Buch? Hömma, schreibe bald selber eins. Boah glaub'se, dat wird'n Kochbuch über Asteräät-Liköre . Vielleicht noch wat über Hummelbestäubung, ma sehn.“

Horst Kartuschke alias Birne

„Heilije Scheisse, war dit een Trip jewesen. Ick bin so offte zu'n pissen jerannt vor lauter lachen, nu kann ick mir schon widder neue Botten koofen. Ick jlobe für`n zweeten Teil muss ick vorher uff eene Leberkur, oder wie dit heißt. Und du, koof ma ratzifatzi disse Schwarte hier! Bevor se alle wech sind. Iss wirklich jut, wa. Mensch, hab ick een Brand.“

Bruno Dicht

Inhalt

Rasenkantensteinhorizont

Touchdown

Kafka-Rap

Reisen zum Mars

Schrottwichtel

Disco-Hagebutte

Hammeerpäärle

Super-Spermi

Birne Maja

Hot-Dog-Desaster

Tequila-Zahn-Rise

Hummel-Doof und Pudel-Nass

Neunzig-Minuten-Elfmeter

Hämorrhoiden-Feng Shui

Konfuzius-Stinkefinger

Leseprobe Wissensdurstler 2

Rasenkantensteinhorizont

Eigentlich dachte ich immer, Souterrain hätte etwas mit ganz besonders viel Sonne zu tun. Das hört sich so sonnig an, so mediterran, so voller Flair und Lebensfreude.

Bei diesem Wort habe ich eine sonnige Terrasse mit freiem Blick auf den Atlantik vor meinem inneren Auge. Azurblauer Himmel, türkisfarbenes Meer, raschelnde Kokospalmen. Ich sehe, wie die Wellen auf den zuckerweißen Sandstrand rollen. Höre wie sie rauschend die Muschelschalen und Kieselsteine im endlosen Rhythmus hin und her schubbeln. Knusperbraune String-Tanga bekleidete Südsee-Schönheiten stelzen an meiner Strandmatte vorbei.

Ich spüre den warmen Wind auf meiner Haut, höre Möwengeschrei, Reggae-Musik und Cocktailglas-Geklimper.

Es riecht nach salziger Meeresluft, gegrillten Scampi und Sonnenschutzcreme.

Falls Sie ähnliche Assoziationen bei diesem Wort haben, lassen Sie sich eines Besseren belehren.

Sie liegen voll daneben.

Ich habe ein französisches Wörterbuch. Und ich habe nachgeschaut. Jetzt weiß ich es besser.

Nach der Besichtigung meiner neuen Souterrainwohnung ist mir restlos klar, es bedeutet so ziemlich das Gegenteil von sonnig.

Genauer gesagt ist es das französische Wort für unterirdisch.

Da kann man mal wieder sehen, wie dick die Franzmänner auftragen. Bei denen hört sich immer alles so toll erotisch an.

Oder kennen Sie ein französisches Wort, das uncharmant klingt?

Selbst Merde klingt da nicht wie Scheiße, sondern eher wie ein sinnlicher Frauenname oder ein leckeres Südfruchtdessert.

„Schöne komfortable Souterrainwohnung, Südseite, 50qm, 2 Zimmer, Küche mit Abstellraum, Bad mit Wanne. Günstig zu vermieten“

Beim Blick aus dem Südfenster meiner Umschüler-Souterrain-Bude, die ich nun für zwei Jahre behausen werde, bin ich auf Augenhöhe mit den Rasenkantensteinen des Nachbargrundstückes und kann praktisch mit bloßem Auge die Zellstruktur der aufgeplatzten Walnussschalen erkennen, die von dem riesigen Baum, der zwischen mir und meinem sonnigen, mediterranen Flair steht, heruntergefallen sind.

So weit unten bin ich nun?

Ich habe quasi einen Rasenkantensteinhorizont.

Merde!

Hier kann ich mich nicht mal selbstmörderisch aus dem Fenster stürzen, wenn die Nussbaumdepressionen unerträglich werden.

Da müsste ich ja nach oben springen!

Ich sehe mich schon schwankend und verzweifelt auf dem Fensterbrett stehen. Mit einer Hand am Fensterrahmen in der anderen den Abschiedsbrief, wie ich in die Menge der Schaulustigen schreie, die sich sensationslüstern vor dem Haus versammelt hat.

“Erfüllt meine Forderungen, oder ich springe! Ich verlange:

1. die Rodung des Nussbaumes

2. Tiefersetzung der Rasenkantensteine

3. wöchentlichen Rasenschnitt

4. die sofortige Beendigung der Polkappen-Schmelze!“

Es kommt immer gut, wenn man sich für die Umwelt einsetzt.

Die Polizeipsychologin redet beruhigend auf mich ein. Sie hat sich vor das Fenster gekniet um auf Augenhöhe mit mir zu sein.

Vier Feuerwehrleute legen das Sprungtuch auf den Rasen damit ich nicht darunter durch hechten kann.

Falls es gar nicht anders geht, muss ich eben Tabletten nehmen oder mich auf die Schienen der Deutschen Bahn binden.

Obwohl, da würde ich wahrscheinlich den Hungertod sterben, bei den vielen Lokführerstreiks und fahrplanmäßigen Verspätungen. Wenn es nicht so weit weg wäre, dann könnte ich mich auf den Schienenstrang der Harzer Schmalspurbahn tackern. Das ist ein Privatunternehmen bei dem ich auf Pünktlichkeit hoffen könnte und wäre eine echte Alternative.

Aber bei der Anreise durch den schönen Harz sind die Suizidgedanken sicher schon verflogen ehe der Brocken in Sicht käme. Bei der Deutschen Bahn wäre mir das zu unsicher.

Da haut man sich auf die Gleise und dann kommt keine Sau.

Da kriegt man ja gleich die nächste Depression.

Was soll's, so schlecht ist die Bude ja nun auch wieder nicht.

Die zwei Jahre werde ich das schon durchstehen und dann steht mir die ganze Welt offen.

Genau, die ganze Welt und nicht nur dieses kleine verkackte Provinznest hier.

Bad Pyrmont!

Das hört sich auch wahnsinnig fantastisch an.

Könnte sich ein Franzose ausgedacht haben.

Sicher hat dieser kaiserliche Kuschelort schon bessere Zeiten gesehen. Einige der hochherrschaftlichen aber leicht angegammelten Protz-Villen lassen noch erahnen wie prunkvoll es hier einmal war. Das alljährliche Perücken-Geläuf-Spektakel, bei dem sich einige Honoratioren der Stadt in mottenmiefige altpreußische Kostüme zwängen und durch die Stadt lustwandeln, gibt zumindest einem bestimmten Prozentsatz der hiesigen Einwohner das Gefühl einmal bedeutende Vorfahren gehabt zu haben.

Ich werde trotzdem mal versuchen, alles positiv zu sehen.

Shaka, Shaka!

„Na wenigstens kann man hier beim Fenster putzen nicht in den Tod fallen“, witzele ich den saufnasigen Hausmeister an, der mir mit gleichgültiger Miene mein neues Zuhause zeigt.

Er gibt ein Geräusch von sich, das irgendwo zwischen Zustimmung und Ungeduld liegt. Bestimmt hat er es eilig, sich wieder an seiner Flasche Detmolder Pils festzusaugen, von der ich ihn vor fünf Minuten weg geklingelt habe.

Abgesehen von der tollen Lage und der einzigartigen Aussicht bietet dieses Schmuckstück deutscher Wohnkultur mit dem französischen Namen aber doch noch echte Vorzüge.

Zum Beispiel ist es hier unten selbst im Sommer ausreichend kühl. Man könnte locker ohne Kühlschrank auskommen.

Das ist mit meinem ökologischen Denken sehr gut zu vereinbaren. Da in einem Umschüler-Kühlschrank ja hauptsächlich Bier gekühlt wird, könnte er abgeschaltet oder müsste gar nicht erst angeschafft werden. Außerdem gäbe es dann auch keine Kapazitätsprobleme. Ein unschätzbarer Vorteil, da ich die Wochenration einfach kistenweise in den Abstellraum stapeln kann.

Während man die Wohnräume aufgrund ihrer Lichtverhältnisse noch getrost als Twilight-Zone bezeichnen kann, trifft die Bezeichnung das schwarze Loch bei fensterloser Küche und Abstellraum wohl am ehesten den Nagel auf den Kopf. Hier drin ist es so strahlend hell wie im Arsch vom Grottenolm. Selbst im Dämmerlicht meines Wohnzimmers könnte ich bedenkenlos lichtempfindliche Lebensmittel oder Arzneien auf dem Fensterbrett lagern. Es gibt keine durch UV-Licht vergilbten Möbelstücke oder Wohnraumtextilien mehr … einfach herrlich!

Na also, geht doch.

Es kommt eben immer auf die Sichtweise an.

Shaka, Shaka!

„Hier sind die Schlüssel“, faselt das Erdbeernasenbier und nestelt dabei umständlich einen Schlüsselbund aus der Hose.

„Hauseingang und Keller, Wohnungstür und Briefkasten.

Ich leg Ihnen noch Teppichboden im Wohnzimmer aus.

Die Zweitschlüssel gebe ich Ihnen dann beim Einzug.

Wann wollen Sie denn einziehen?“

„Nächste Woche am Wochenende.“

„Wir sind hier an und für sich ein ruhiges Haus!“

Das soll mir recht sein. Erstens bin ich jetzt so etwas wie ein Student und muss ja viel lernen und zweitens genügt mir der Stress bei der Umschulung.

Man glaubt gar nicht, welche Profilneurosen sich entwickeln, wenn Menschen längere Zeit keine richtige Aufgabe im Leben haben und sich plötzlich wieder beweisen sollen.

Der Hausmeister gibt mir die Schlüssel. Dann verzieht er sich wieder in seinen als Werkstatt getarnten Biervorratsraum, von wo ich ihn mit den Flaschen klimpern höre.

Bis zum Umzug werde ich noch weiterhin im Hotel wohnen.

Hier ist eine ganze Etage von Umschülern bewohnt und einige davon sind auch in meinem Kurs.

Der Kostenträger der beruflichen Rehabilitation lässt sich da echt nicht lumpen. Zwar gibt es ein Internat direkt auf dem Ausbildungsgelände, aber das ist Gott sei Dank überfüllt.

Ich tausche die Bequemlichkeit eines kurzen Schulweges gern gegen den Komfort einer eigenen Wohnung. Auch wenn sie weitestgehend tageslichtlos ist.

Es wird Zeit, meine Behausung in spe abzuschließen.

Mein Zeiteisen sagt mir, dass es 16.00 Uhr ist.

Exakt um diese Zeit öffnet die Sporthalle auf dem Reha-Gelände.

Ich hetze also durch die spätherbstlich gefärbte Stadtrandidylle und schwinge mich mit Drei-Stufen-Schritten über die Seitentreppe in den zweiten Stock des Hotels. Dann betrete ich atemlos mein von der Gemeinschaft der Rentenbeitragszahler gesponsertes Economy-Zimmer mit Dusche, TV und Balkon.

Sporttasche schnappen und Sport frei!

Gerade als ich kehrt machen will, fällt mein Blick auf die Schulungsunterlagen, die auf dem Minitisch herumliegen.

Ich muss ja noch die Inhaltsangabe zu diesem abgefahrenen Kafka-Text schreiben und überlege krampfhaft, zu wann das erledigt werden sollte. Eigentlich frage ich mich ernsthaft, wozu man so etwas überhaupt braucht. Besonders wenn man eine Berufsausbildung zum Mediengestalter machen will.

Herr Demsin, unser Deutschlehrer, hat sich diese Überflüssigkeit als Projektarbeit ausgedacht und uns aufgefordert, die Aufgabe in Zweiergruppen zu lösen. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und wähle Felix` Nummer. Der hat aber leider mal wieder ausgestellt. Wahrscheinlich pennt er und verlässt sich einmal öfter darauf, dass ich diesen Kram allein erledige.

Es ist beängstigend, was Universitätsprofessoren dem armen Kafka so alles in seine Texte hinein interpretieren. Im Internet wimmelt es nur so von schwülstigen und hoch wissenschaftlichen Deutungen, welche eher auf die erklärungsnarzistischen Neigungen ihrer Verfasser schließen lassen als auf den ernsthaften Versuch, verstehen zu wollen, was denn der Meister mit seinem rätselhaften Geschreibsel wohl gemeint haben könnte.

So ein Schwachsinn. Vielleicht war der gute Kafka ja einfach nur bekloppt und nun versucht alle Welt, seine vermeintliche Genialität zu deuten und jeder fühlt sich auch gleich ein bisschen genial. Quasi seelenverwandt mit dem großen Schreiberling.

Dabei soll er ein ziemlich trauriges Leben geführt haben.

Hat angeblich extrem unter dem übermächtigen Vater gelitten und war unglücklich verliebt.

Da Felix in einer Pension am anderen Ende der Stadt untergebracht ist, werde ich mal einen der anderen Kursteilnehmer hier im Hotel fragen, ob wir diesen Kafka-Kram zu morgen schon erledigt haben müssen.

Als ich den Flur betrete, ist zumindest schon mal klar, wer auf seinem Zimmer hockt.

Durch die laubholzfurnierte Pressspanplatte mit der aufgeklebten Neun, brettern mir die Böhsen Onkelz ihren Song Kirche entgegen.

Hier wohnt Birne! Birne heißt eigentlich Horst.

Aber da er Figur und Charme einer Zwanzig-Tonnen-Abrissbirne hat, nennt ihn jeder im Kurs ehrfurchtsvoll Birne.

Er ist das fleischgewordene Klischee eines Ruhrpott-Prolls, wie es im Buche steht.

Laut, niveaulos und dumm wie'n Bergarbeiterfurz.

Aber keiner traut sich das dem 130-Kilo-Fettberg zu sagen.

Mit geschulterter Sporttasche klopfe ich dreimal an seine Pforte.

Horst's versoffene Stimme grölt gerade volles Rohr den Refrain „ … ich scheiße auf die Kirche, ihren Papst und seinen Segen.

Ich brauch ihn nicht als Krücke, ich kann alleine leben …“ Ich poche noch einmal kräftig. Diesmal anhaltend und fordernd.

„Jaaaaaa, Mann“, röhrt es genervt.

Ein Gitarrensolo später wird die Tür aufgerissen und meine Augen versagen mir den Lidschlussreflex.

Diesen Umstand werde ich noch Jahrzehnte später bedauern.

Das Bild, welches sich mir bietet, hat sich in Sekundenbruchteilen über Netzhaut und Sehnerv in mein fotografisches Langzeitgedächtnis gefräst.

Vor mir steht Samson aus der Sesamstraße. Nur ohne Fell!

Dafür trägt er ein XXL-Arminia-Bielefeld-Badetuch um die Hüften gezurrt, was jedoch auf diesem riesigen, nahtlos weißen Schwabbel so verloren wirkt, wie die Osterinseln im Pazifik.

Er sieht aus wie ein Türrahmen ausfüllendes Raffaello.

Wie diese schneeweiße Kokosnuss-Mandel-Versuchung von Ferrero. Die eisgekühlte German-Kleinigkeit, die sich die Schönen und Reichen in ihren schneeweißen Klamotten auf ihren schneeweißen Luxusjachten an ihren schneeweißen Südseestränden zwischen ihre schneeweißen Perlmuttzähne schaufeln.

Allerdings duftet er nicht nach Kokos-Mandel-Splitter, sondern so sehr nach Old Spice, dass mir die Nase läuft.

Ich schließe die Augen.

Aber leider zu spät.

„Moje“, brüllt mich die German-Kleinigkeit an.

„Hömma, bin grad voll am Duschen, verstehse.“

„Mensch Birne, wirf dir was über. Ich kriege Augenzirrhose.“

„Iss`n los?“

Ich versuche, krampfhaft meinen Blick von Birne's beachtlichem Bauchnabel, den man locker als Sitzbadewanne nutzen könnte, loszureißen und mich auf den Türrahmen zu konzentrieren.

Es gelingt natürlich nicht.

Der könnte glatt einen Gullydeckel als Nabel-Piercing nehmen.

Wie heißt eigentlich das französische Wort für Bauchnabel?

Das hört sich mit Sicherheit auch wieder total erotisch an.

Einen Moment habe ich Panik, Birne könnte mir ganz schöfferhoferlike ins Gesicht rülpsen:

“Hömma, ast du noch ein paar Kisten von die Bier, die so schön at geprickelt in mein Bauchnabell?“ und ich das dann erotisch fände.

„Müssen wir die Kafka-Zusammenfassung morgen schon fertig haben?“

Samsons fellloser Zwillingsbruder grunzt abfällig.

„Jepp. Ey man, iss mir aber völlig Latte. Hömma, ich raff eh nich wat der Spacken da schreibt.“

Das ist mir absolut klar, Birne.

Wer mit 34 Jahren noch Spiderman-Comics auf dem Nachtschrank hat und dies für die Krone der Weltliteratur hält, der kann wohl mit Texten, die nicht in Sprechblasen stehen sowieso nicht viel anfangen.

Ich überlasse die Sesamstraßen-Karikatur also seiner lauten Pogo-Mucke und nehme mir fest vor, heute Abend nach dem Sport die Kafka-Aufgabe noch zu erledigen. Schließlich nehme ich diese ganze Reha-Maßnahme hier doch sehr ernst und glaube fest daran, dadurch auch einiges in meinem Leben wieder auf die Reihe zu bekommen.

Touchdown

Nachdem ich mich gut zwei Stunden lang mit den rostigen Eisen in der Sporthalle herumgequält habe, schleppe ich meinen ausgepowerten Mittelklassekörper unter die Dusche und gönne meiner selfmade-ich-habe-keine-Kohle-Spar-Frisur eine Schauma-for-Men-Kur.

Ich lasse mich ganze zwanzig Minuten lang mit heißem Rentenbeitragszahlerwasser betröpfeln und fühle mich richtig toll.

Diese positive Hochstimmung werde ich auch brauchen, um den schier endlosen Weg bis zum Ausgang dieses düsteren Bildungstempels zu überstehen.

Bei der farblichen Gestaltung der Ausbildungsstätte waren ganz sicher psychologisch geschulte Innenarchitekten am Werk.

Einfach genial, wie der tiefschwarze Gummi-Noppenbelag des Fußbodens mit dem dunkelbraunen Hochglanzlatex der Wände harmoniert.

Wer denkt, dieses gewagte Farbenspiel sei nicht mehr zu toppen, wird verblüfft die in frechem Kinderkacke-Ocker gehaltenen Fensterrahmen ,sowie die durchfallfarbenen Deckenverkleidungen und Verklinkerungen zur Kenntnis nehmen.

Ja, das nenne ich mal farbenfroh und wirklich durchdacht.

Das heitert auf. Das macht Mut.

Schließlich ist es nicht so einfach, Menschen, die krankheits-oder unfallbedingt ihren Beruf nicht mehr ausüben können, nachhaltig zu motivieren. Damit sie sich nochmals in eine neue Ausbildung stürzen anstatt sich einfach hängen zu lassen und sich ihren Depressionen hinzugeben. Aber wer käme bei solch einem positiven und bunten Farbton-Potpourri auf den Gedanken, das Leben sei scheiße.

Mit frisch geduschten stahlharten Muskeln und dem angenehm ausgepowerten Gefühl, wie es sich nach einem harten Training einstellt, peile ich die Ausgangstür an. Ich bin in Gedanken schon bei meiner Kafka-Textzusammenfassung, die ich ja gleich noch bewältigen muss.

Da lacht sich eine glockenhelle Stimme in mein Bewusstsein und Sekunden später stolpert der dazugehörende blonde Engel in mein Blickfeld.

Mein Gehirn schrumpft auf Rosinengröße und beschränkt sich im Wesentlichen auf die Stammhirnfunktionen. In meinem nun freigewordenen Hinterkopf nimmt ein winziges Symphonieorchester platz. Es beginnt diese tolle erhebende Filmmusik von Vangelis zu spielen.

Meine Gesichtsmuskeln haben sich in den vorgezogenen Feierabend verabschiedet und sind wohl plötzlich der Meinung, es gäbe Schlimmeres als einen debilen Gesichtsausdruck.

Mein Herz springt mit einem lauten Flupp aus meinem T-Shirt.

Dort beginnt es auf Fußballgröße geschwollen, zu pulsieren.

Im gleichen Moment wird es prasselnd von zwanzig Millionen Amor-Pfeilen durchbohrt.

Ich gehe völlig entrückt weiter auf den Punkt zu, an dem wir uns automatisch in die Arme laufen werden und bestaune dabei fasziniert ihre grazilen Bewegungen.

Ihre frech verstrubbelte Kurzhaarfrisur.

Ihr süßes Gesicht.

Ihre rehbraunen Augen.

Ihr verführerischer Mund.

Ihr flacher Bauch.

Ihre endlosen Beine.

Einfach alles an ihr erscheint mir göttlich.

Ich bin jetzt fast sechs Wochen hier.

Wieso habe ich sie noch nie gesehen?

Meine Wahrnehmung schaltet auf Zeitlupe, damit ich diesen fantastischen Anblick besser genießen kann.

Sie redet beim Laufen mit jemandem neben sich, aber alles um sie herum wirkt wie ein, bis zur Unschärfe, gesoftetes Foto.

Die ganze Eingangshalle ist mit ihrer Aura ausgefüllt und alles scheint plötzlich zu strahlen.

Der schwarze Noppen-Fußboden verwandelt sich in einen zuckerweißen Sandstrand.

Die versifften Deckenverkleidungen in einen azurblauen Sommerhimmel mit hingetupften Zirruswölkchen.

Halbvergammelte Ficus-Benjamina-Zwerge finden anscheinend urplötzlich einen äußerst rätselhaften Zugang zu einem Mega-Düngerstäbchen in ihrer trüben Hydrokasten-Brühe und schießen in sekundenschnelle zu riesigen Kokospalmen auf.

Aus den braunen Wänden werden türkisfarbene Südseewellen, die mit kleinen weißen Spitzenhäubchen versehen rauschend auf den Strand rollen.

Der abgestandene Flurmief entpuppt sich als frische Meeresbrise … und der dumpfe Schmerz auf meiner linken Gesichtshälfte als die Folge dessen, ungebremst gegen den feststehenden Glasflügel einer Verbindungstür zu laufen.

Krawumm!

Mein blonder Engel guckt irritiert. Dann amüsiert. Dann weg.

Sie schwebt einen Meter entfernt an mir vorbei und plappert unbeschwert mit ihrer Begleiterin weiter, während ich wie ein Antennenwels mit breitgequetschtem Gesicht an der transparenten Hinterhältigkeit klebe.

Wenigstens kann ich mit dem offenen Auge noch einen Blick auf ihren Knackarsch werfen.

Der ist übrigens auch göttlich.

Ich versuche krampfhaft, mit meinen Sportschuhen ein Loch in den zuckerweißen Sandstrand zu polken, damit ich schnell darin versinken kann. Aber der hat sich im Moment meines Touchdowns wieder in schwarzen Noppen-Belag verwandelt.

Es bleibt mir also nichts weiter übrig, als mit hochrotem und zwischen die Schultern gezogenem Kopf verschämt um mich zu blicken und schnell das Weite zu suchen.

Erleichtert stelle ich fest, dass sonst niemand mein Missgeschick bemerkt hat und schaffe es ohne weitere Peinlichkeiten am Pförtner vorbei bis durch die Ausgangstür.

Auf dem Bürgersteig läuft mir strahlend Felix über den Weg.

Felix war mir gleich von Anfang an sympathisch.

„Na Alter, mutierst du jetzt zum Einhorn, oder was“, grinst er mich an und tippt sich bedeutungsvoll an seine Stirn.

Er kommt aus der Nähe von Lüneburg und spricht diesen geilen Dialekt wie aus einem Werner-Beinhart-Film.

Dabei zieht er die meisten Vokale typisch norddeutsch in die Länge. So, dass es sich anhört wie „Oalteeer und Einhoooon“.

Und er hängt an fast jeden Satz ein „odää wääs“.

Ich brabbele irgendwas von Sportunfall, während ich eine kohlrabigroße Beule an meiner Stirn ertaste und hoffe das Thema ist damit durch.

Erst jetzt, da ich weiß, dass sie da ist, fängt sie an weh zu tun.

Hätte ich nur nicht hingefasst.

Irgendwie kann ich die Gedanken nicht von meiner Engels-Begegnung losreißen und fühle mich immer noch wie im Zeitlupen-Modus.

„Und, Bock auf Pardie heude Abend, odää wääs“, zwinkert er mir auffordernd zu.

„Was gibt es denn für einen Grund?“, höre ich mich zurückfragen und blicke verstohlen zum Haupteingang hinter mir, in der