Witches & Hunters - Janina Schneider-Tidigk - E-Book

Witches & Hunters E-Book

Janina Schneider-Tidigk

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Beschreibung

Wenn der Mensch, den du liebst, dir den Tod bringen kann ... Ein neues Leben und eine neue Identität. Das ist es, was Cataleya braucht, um ihre magischen Fähigkeiten zu verstecken, nachdem ihre Familie einem Verrat zum Opfer fiel. Was sie ganz und gar nicht gebrauchen kann, ist Alistair. Der junge Mann mit dem einnehmenden Lächeln und den grellgrünen Augen, hinter denen sich ebenfalls ein dunkles Geheimnis verbirgt. Denn Alistair ist ein Hexenjäger. Dazu geboren, um Wesen wie Cataleya zu töten. Sie wäre die perfekte Beute – wenn da nur nicht dieses verfluchte Gefühlschaos wäre. Keiner von ihnen ahnt jedoch, dass er nicht der Einzige ist, der die junge Frau jagt …

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Seitenzahl: 545

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Witches & Hunters

Verbranntes Vertrauen

Janina Schneider-Tidigk

Copyright © 2021 by

Drachenmond Verlag GmbH

Auf der Weide 6

50354 Hürth

http: www.drachenmond.de

E-Mail: [email protected]

Lektorat: Stephan Bellem

Korrektorat: Michaela Retetzki

Layout: Stephan Bellem

Umschlagdesign: Marie Graßhoff

Bildmaterial: Shutterstock

ISBN 978-3-95991-825-1

Alle Rechte vorbehalten

Mögliche Triggerthemen:

Blut, Verlust, Bedrohung, Gewalt, Kidnapping

Erstellt mit Vellum

Inhalt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Kapitel 38

Kapitel 39

Kapitel 40

Kapitel 41

Kapitel 42

Kapitel 43

Kapitel 44

Kapitel 45

Kapitel 46

Kapitel 47

Kapitel 48

Kapitel 49

Epilog

Danksagung

Drachenpost

Für Mama.

Weil du seit dem Tag, an dem ich auf die Welt kam, an mich geglaubt hast.

Und, weil du es immer tun wirst. Ich liebe dich.

Und für dich, Maja. Weil es ohne dich, dieses Buch nicht geben würde.

Blood // Water – grandson

Witch – Karmina

Hoping – Alicia Marie

Born for This – The Score

Natural – Imagine Dragons

Youngblood – 5 Seconds of Summer

Rescue Me – OneRepublic

Black Magic Woman – VCTRYS

As Long As You Love Me (Acoustic Version) – Justin Bieber

I Feed You My Love – Margaret Berger

Be Like You (feat. Broods) – Whethan

River (King Kavalier Remix) – Bishop Briggs

Kill This Love – BLACKPINK

In my Mind – Dynoro & Gigi D´Agostino

Gome Togehter – Gary Clark Jr. & Junkie XL

Unforgettable – Nico Santos

Six Feet Under – Billie Eilish

Last Hurrah – Bebe Rexha

Bad Boy – CARYS

Towards the Sun – Mia Love

Play With Fire – Nico Santos

Materpiece – Thomas Doherty

Million Ways – HRVY

Wicked Games – RAIGN

Grossfire – Stephen

Nerve – Neoni

Who I Am – The Score

Greedy – Ariana Grande

Prolog

Ashland 1660

Der Klang ihrer Schreie hallte über den Dorfplatz. Vögel stiegen aus den Bäumen auf und flogen in weite Ferne. Bürger standen etwas abseits und klammerten sich ängstlich aneinander. Aus Furcht, sie könnten die Nächsten auf dem Scheiterhaufen sein. Die Frau schrie, als die Flammen langsam auf sie zukrochen und nach ihrem Fleisch lechzten. Sie bettelte und flehte, doch keiner meiner Brüder war gewillt, ihren Worten Gehör zu schenken. Für solche wie sie gab es kein Erbarmen, keine Vergebung und vor allem: keinen Ausweg. Dafür würden wir sorgen.

Die Schreie schwollen zu einer schmerzlich schönen Melodie an, während wir dabei zusahen, wie sich die junge Frau in Qualen unter den heißen Flammen wand. Ich hatte nur noch Augen für den Erfolg, den ich mit ihrem Tod erzielt hatte, für meine Brüder und mich. Eine weniger, die unsere Leben bedrohte.

Aus der Menge hörte ich leises Schluchzen. Die Menschen trauerten um ein Monster, eine Abscheulichkeit vor dem Herrn. So etwas wie diese Kreaturen würde es nie wieder in Ashland geben. Nicht, solange die Archers über diese Stadt regierten.

1

Cataleya

Ashland 2021

Ein Vogel kackte auf meine Windschutzscheibe. Ich atmete tief ein und betrachtete den Fleck, der nun direkt vor meiner Nase prangte. Wie jeden Morgen stand ich um Punkt sieben Uhr fünfzig an der Wilhelm Kreuzung und wartete auf Alistair. Und wie jeden Morgen war er viel zu spät dran. Heute hatte dies, im wahrsten Sinne des Wortes, beschissene Folgen. Das Klatschen, als das weiße Zeug auf meiner Scheibe aufschlug, hatte mich so aus der Fassung gebracht, dass ich kurz zusammenzuckte. Der Aufprall war sogar so laut gewesen, dass eine Highnote von Ariana Grande, die mir aus den Lautsprechern entgegensang, darin unterging. So stellte ich mir einen perfekten Start in den Tag vor. Mal ganz davon abgesehen, dass ich hundertprozentig zu spät zum Matheunterricht kam, wusste ich nicht, ob ich nur durch die Scheibenwischer mein Auto wieder sauber bekam. Zur Not musste ich mit etwas Magie nachhelfen, obwohl ich sie nur sehr ungern in der Öffentlichkeit einsetzte.

Doch bevor ich beginnen konnte, einen Zauber auszuüben, wurde die Beifahrertür aufgerissen und Alistair ließ sich auf den Sitz neben mir fallen. Er hatte ein Talent dafür, irgendwo unauffällig aufzutauchen und mich zu erschrecken. Er sah mich aus seinen grellgrünen Augen an und sogleich bildete sich ein unwiderstehliches Lächeln auf seinem Gesicht, das ich einfach nicht unerwidert lassen konnte. Außerdem kamen so seine Grübchen zum Vorschein, von denen ich niemals genug kriegen konnte.

»Guten Morgen, Schönheit.« Er beugte sich über die Mittelkonsole des Mini hinweg und presste seine Lippen auf meine. Augenblicklich begann sich ein Feuer in meinem Körper auszubreiten. Ich drängte mich ihm entgegen. Und als er anfing, meine Lippen mit seiner Zungenspitze behutsam zu öffnen, wurde ich in den siebten Himmel katapultiert. Ich wollte mehr, aber Alistair zog sich bereits zurück. In seinem Blick erkannte ich die Lust, die sich als Funkeln widerspiegelte und wahrscheinlich auch in meinen Augen zu erkennen war.

»Morgen.« Die Vogelscheiße war für mich inzwischen vollkommen vergessen, genauso wie meine schlechte Laune. Meine Hand fand von allein den Weg zu seinem Kopf und ich fuhr ihm durch das blonde Haar.

»Du bist wieder mal zu spät«, flüsterte ich. Er und auch ich wussten genau, dass ich nicht ganz bei der Sache war. Alistair kannte mich einfach zu gut. Nicht jede Seite von mir, aber die meisten.

»Da hast du natürlich recht.«

»Ich finde, ich sollte für jede Verspätung zehn Dollar beko…« Bevor ich meinen Satz vollenden konnte, fühlte ich wieder Alistairs Lippen auf meinen. Diesmal intensiver und fordernder. Doch ich fiel nicht noch mal auf seinen Charme herein. Nun war ich diejenige, die sich zurückzog.

»Wir müssen los. Das mit den zehn Dollar führen wir ab jetzt ein, mein Freund.« Ich wandte mich von seinem markanten Gesicht ab und sammelte mich, indem ich auf den weißen Klecks starrte. Wie poetisch. Nachdem ich das Einrasten des Sicherheitsgurtes neben mir hörte, fuhr ich los. Alistair legte seine Hand auf meinen Oberschenkel und ich hieß die Wärme, die von ihm ausging, willkommen.

»Du siehst toll aus, Cat. Wie immer.« Ich musste grinsen, denn jeden Tag machte er mir ein anderes Kompliment. Als wäre es eine Art Aufgabe für ihn. Leise flüsterte ich ein »Danke« und bog an der nächsten Kreuzung rechts ab. Ich griff nach seiner Hand, die auf meinem Oberschenkel ruhte, und verschränkte unsere Finger ineinander. Zur Schule brauchten wir noch etwa zehn Minuten, da Alistair beinahe in der Mitte von Ashland wohnte. Ich trat kräftiger aufs Gaspedal und hoffte inständig, dass ich noch ein bisschen Zeit rausholen konnte.

»Was machst du heute nach der Schule?« Unauffällig blickte ich zu ihm und beobachtete, wie sich sein Gesicht und sein Körper deutlich anspannten. Auch in meiner Hand spürte ich die Veränderung.

»Nichts Besonderes.« Alistair starrte aus dem Fenster. Er wollte meinem Blick ausweichen. Ich wusste genau, was er und seine Familie taten. Schon Tage davor spürte ich es in meinen Eingeweiden … sie würden jagen gehen. Wenn sie nicht schon längst dabei waren.

Vor zwei Wochen fand ich heraus, warum Alistair mich nie zu sich mitnehmen wollte, warum er mir nichts von seiner Familie erzählt hatte, warum ich ihn immer an der Kreuzung abholen sollte und wieso wir uns nur bei mir trafen. Er stammte aus einer Jägerfamilie, besser gesagt: Hexenjäger.

Jeder Jäger trug ein Mal auf der Innenseite des Armes, das ihm bei der Aufnahme eintätowiert wurde. Somit konnten sie sich untereinander erkennen. Seines hatte ich nach unserer ersten gemeinsamen Nacht entdeckt. Im Nachhinein war ich froh, dass er mich nie zu sich nach Hause mitgenommen hatte, seine Familie hätte mich genauestens beobachtet. Vielleicht sogar überprüfen lassen.

Ich hatte eigentlich vor, ihm von meiner Magie zu erzählen, doch nach meiner Entdeckung wusste ich, dass es den sicheren Tod für mich bedeutet hätte. Schon allein bei dem Gedanken an die Tötungsmethoden der Jäger lief es mir kalt den Rücken hinunter. Ich wusste nie, ob Alistair sich vor der bevorstehenden Jagd sträubte oder ob er vielleicht sogar darauf hinfieberte. Seine Anspannung konnte ich nicht deuten.

Die unangenehme Stille zwischen uns im Auto wurde von Arianas neuem Album begleitet und ich war erleichtert, dass wenigstens Musik lief, um die Stimmung zu lockern. Bis zur Schule schwieg Alistair hartnäckig, obwohl er beim Einsteigen noch so süß gewesen war. Der Parkplatz war wie immer gerammelt voll, deshalb war ich dazu verdammt, mich in die letzte Reihe zu stellen. Alistair stürzte aus dem Auto, noch bevor der Motor aus war, und ging mit eiligen Schritten auf die Schule zu.

»Hey! Bleib doch stehen.« Fassungslos joggte ich ihm hinterher. Doch er machte keinerlei Anstalten, meiner Aussage Folge zu leisten.

»Alistair!« Er hörte wieder nicht, drehte sich noch nicht mal zu mir um oder zeigte irgendeine Regung, die darauf schließen ließ, dass er mich überhaupt wahrgenommen hatte. Am Eingang der Schule hatte ich ihn endlich eingeholt und griff nach seinem Arm, um ihn zum Stehenbleiben zu bewegen. Ich ging um ihn herum und blickte ihn genau an. Sein schönes Gesicht war verkniffen und seine Kieferknochen pressten sich angespannt aufeinander.

»Hey. Was ist los mit dir? Habe ich irgendwas gesagt oder getan? Warum bist du auf einmal so seltsam?« Sein Blick, mit dem er mich vor einigen Sekunden noch nicht bedacht hatte, flog zu mir und ich musste an mich halten, um nicht einen Schritt zurückzutreten. So viele Emotionen spukten in seinem Blick umher, die ich nicht entschlüsseln konnte.

»Nichts, Cat. Ich muss los.« Mit diesen Worten befreite er sich aus meinem schlaffen Griff und stapfte den leeren Schulflur entlang. Ich blieb schockiert zurück. So hatte er sich in den ganzen Monaten, die wir schon zusammen waren, noch nie verhalten. War es eine besondere Jagd oder war etwas anderes innerhalb seiner Familie passiert? Das Einzige, was ich über sie wusste, war, dass Alistair einen älteren und einen jüngeren Bruder besaß. Eine Mutter hatte er nicht mehr. Sie war vor sechs Jahren gestorben, als Alistair gerade einmal zwölf Jahre alt war. Er lebte seitdem bei seinem Vater, Armin, der der Anführer der Jäger im gesamten Bundesstaat war.

Schon früh wurde uns Junghexen, neben der Geschichte des dunklen Hexers, sein Name eingebläut, um uns das Fürchten zu lehren. Doch erst als ich entdeckte, dass Alistair ein Jäger war, fing ich an, mich über ihn zu erkundigen. Dabei fand ich heraus, dass sein Nachname in Wirklichkeit Archer war. Anschließend erfuhr ich den Namen seines Vaters. Armin. Er wurde unter den Hexen immer mit einem Zittern in der Stimme ausgesprochen. Armin Archer. Als Kind war es mir egal, wer welchen Namen trug, jetzt war ich äußerst dankbar für die Information, die sich in mein Hirn eingebrannt hatte. Denn sie konnte mein Leben retten.

Keine Ahnung, wie viele es von der Sorte gab, aber zugleich ahnten auch die Jäger nicht, wie viele von unserer Art noch existierten. Die meisten von uns gehörten einem Zirkel an, der immer aus fünf Hexen oder Hexern bestand. Aber natürlich gab es auch unabhängige Hexen, die sich keinen Gruppen anschließen wollten. Im Zirkel war man jedoch stärker, er gleicht einer Familie. Vor allem für mich.

Als ich damals nach Ashland kam, spürte ich einige Hexen auf und wir schlossen uns kurzerhand zusammen. Von diesem Moment an konnte ich meine Hexenschwestern und -brüder auf eine unerklärliche und auch unheimliche Weise spüren. Ebenjenes Gefühl gab mir Halt und stärkte mir den Rücken. Es war das warme Gefühl von Heimat.

»Cataleya, solltest du nicht im Unterricht sein?« Der Direktor der Ashland High kam direkt auf mich zu und seine Miene sah nicht gerade erfreut aus. Nur langsam tauchte ich aus meiner Grübelei auf und kehrte in die Wirklichkeit zurück.

»Doch, Sir, ich bin schon auf dem Weg.«

Er nickte mir mit verkniffenem Gesicht zu, deshalb beeilte ich mich, aus seinem Blickfeld zu verschwinden, bevor er noch auf die Idee kam, mir irgendeine Strafe aufzubrummen. Vor dem Klassenzimmer, in dem gerade der unbeliebteste Unterricht der Schule stattfand, blieb ich kurz stehen, um mich zu sammeln, ehe ich anklopfte. Von drinnen kam nur ein gebrummtes »Herein«. Wow, wie freundlich sich die Stimme von Mr. Jones anhörte. Wahnsinn. Da bekam man doch gleich Lust auf zwei Stunden Zahlen und Formeln.

Doch der Lehrer schenkte mir noch nicht mal einen Blick, als ich eintrat, sondern notierte sich lediglich etwas auf einem Blatt, das auf dem Pult lag. Wahrscheinlich stand dort so etwas wie: Cat, mal wieder zu spät. Er hatte sich bestimmt schon damit abgefunden, dass ich jedes Mal aufs Neue nicht pünktlich kam, und versuchte mit der Situation zu leben. Schnell flitzte ich auf meinen Platz und nahm dabei deutlich Levis Glucksen aus der hintersten Reihe wahr. So ein Arsch. Er war einer der beiden Hexer in unserem Zirkel. Und er sah immer so braun gebrannt aus, als würde er direkt vom Strand kommen, dabei lag Ashland nicht einmal an der Küste. Der einzige Sand, den es bei uns zu finden gab, war hinter der Schule, auf dem Sportgelände.

Samu, oder eher Samuel, war der zweite. Cora und Merope vervollständigten unsere Gruppe. Beide Jungs befanden sich gerade in meinem Kurs, Cora und Merope in einem anderen. Mr. Jones fuhr mit seinem bombastischen Unterricht fort. Deshalb packte ich vorbildlich, wie ich war, meine Sachen aus und versuchte den Erklärungen des rundlichen Mannes vor der Tafel zu folgen.

Auf einmal landete ein zusammengefalteter Zettel auf meinem Tisch und ich drehte mich in die Richtung, aus der er angeflogen kam. Levi zwinkerte mir zu und ich griff nach dem gefalteten Papier.

Warum sind wir denn heute wohl zu spät ;D

Alle aus dem Zirkel wussten natürlich über die Beziehung von Alistair und mir Bescheid, doch sie ahnten nicht, was er in Wirklichkeit für eine Gefahr für uns darstellte. Denn ebenso wie ich hatte Alistair einen falschen Nachnamen angegeben. Es war schlau, denn jede Hexe und jeder Hexer zuckte zusammen, wenn sie den Namen Archer hörten. Blind warf ich das Papier über meine Schulter und Samuels Lachen zufolge hatte ich genau mein Ziel getroffen. Levis Stirn.

Zufrieden lehnte ich mich zurück und ließ den restlichen Unterricht über mich ergehen, wobei ich die ganze Zeit völlig in Gedanken versunken war. Vor meinem inneren Auge sah ich Alistair, der mit seiner Familie auf die Jagd ging. Blutüberströmt und mit ernstem Gesicht. Würde es heute wirklich passieren? Oder hatte ich mich getäuscht? Außerdem fragte ich mich, ob Alistair noch immer solche Stimmungsschwankungen hatte. Denn wenn das zutraf, würde ich einen Teufel tun und mich lieber von ihm fernhalten.

Irgendwann hatte ich das Gefühl, von meinen eigenen Gedanken erdrückt zu werden. Zum Glück erlöste mich die Schulglocke, bevor Mr. Jones uns noch mehr Aufgaben aufbrummen konnte. In Rekordzeit stopfte ich den Block, Stifte und Mappe in meine Tasche zurück und raste aus dem Klassenzimmer, wobei ich versehentlich ein paar meiner Mitschüler anrempelte. Ich murmelte nicht ernst gemeinte Entschuldigungen, denn seien wir mal ehrlich, jeder versuchte so schnell wie möglich hier rauszukommen. Auf dem Gang verlangsamte ich meine Schritte und wartete darauf, dass Samu und Levi zu mir aufschlossen.

»So schlimm ist sein Unterricht doch gar nicht.« Der äußerst muskulöse Hexer, der mich um gut zwei Köpfe überragte, stieß mich mit seinem Oberarm an, sodass ich zusammen mit Samu nach rechts geschubst wurde.

Als ich mich wieder aufgerichtet und Samu einen überprüfenden Seitenblick zugeworfen hatte, versuchte ich, Levi mit meinem ganzen Körpereinsatz zurückzuschubsen. Jedoch blieb er so bewegungslos wie ein Wellenbrecher. Seine einzige Reaktion darauf war ein Schmunzeln sowie eine hochgezogene Augenbraue. Idiot.

Samu hingegen beobachtete das ganze stumm von der Seite.

»Doch, natürlich! Kannst du ihm auch nur eine Minute folgen, ohne einzuschlafen?« Entgeistert sah ich ihn an.

»Ich mag seinen Unterricht«, meinte Samu von der anderen Seite. Dabei klang seine Stimme so gelassen und entspannt wie eh und je. Als ich sein Seitenprofil musterte, sah ich den gleichgültigen Gesichtsausdruck, als würde ihn nichts und niemand aus der Ruhe bringen können. Es wunderte mich nicht wirklich, dass er kein Problem mit Mr. Jones’ Stoffvermittlung hatte.

Instinktiv hatten wir drei den Weg zum Sportplatz eingeschlagen, auf dem Cora schon auf uns wartete. Bevor sie irgendwas sagen konnte, zog Levi sie in einen innigen Kuss. Jupp, sie waren schon seit über zwei Jahren ein glückliches Paar und ließen öffentlich jeden, egal ob freiwillig oder unfreiwillig, an ihrer Liebe teilhaben.

Kaum zu glauben, aber bis vor ein paar Monaten wussten sie nicht einmal von der magischen Begabung des jeweils anderen Bescheid. Ein bisschen stolz war ich schon auf mich, da ich den beiden auf die Sprünge geholfen hatte, indem ich sie einlud, dem Zirkel beizutreten.

Samu gab ein belustigtes Schnauben von sich und lehnte sich an die Wand, um seine Zigaretten aus der Hosentasche ziehen zu können. Beiläufig steckte er sich eine Kippe in den Mund und augenblicklich glühte sie. Er hatte sie mit seiner Magie angezündet.

»Was machst du eigentlich, wenn jemand zu dir kommt und dich nach einem Feuerzeug fragt, weil er gesehen hat, dass du rauchst?«, fragte ich schnippisch. Sein Blick wanderte zu mir und er zog lässig den linken Mundwinkel nach oben.

»Dann, meine liebste Cataleya, werde ich sagen, dass ich das Feuer von einer Freundin mit orangen Haaren bekommen habe.«

Kopfschüttelnd wandte ich mich wieder Cora und Levi zu, die unserem kleinen Gefecht aufmerksam gelauscht hatten. Cora runzelte die Stirn.

»Ihr habt auch nichts von Merope gehört, oder?«

Der Reihe nach sah sie uns alle an, doch jeder von uns schüttelte den Kopf. Das war seltsam, denn sie war nie krank. Wirklich absolut nie. Als beinahe alle Lehrer während einer Grippewelle ausgefallen sind, kam sie trotzdem in die Schule.

»Komisch«, murmelte Levi und ließ sich neben Cora auf eine Bank fallen, die am Rand des Sportplatzes stand.

»Wartet, ich versuche sie durch unser Band aufzuspüren.« Cora trat von Levis Seite und war gerade dabei, die Augen zu schließen, als ich sie aufhielt.

»Musst du nicht. Geht ihr lieber in den Unterricht. Ich muss sowieso noch auf die Toilette, dabei kann ich sie auch orten.«

»Du meinst, während du auf Toilette musst?«, fragte Cora mich ungläubig und auch Levi sowie Samu warfen mir belustigte Blicke zu.

»Ja, aber natürlich. Was denn auch sonst?« Bevor ich die Antworten hören konnte, war ich schon auf dem Weg in die Mädchentoilette der Turnhalle. Noch im Laufen griff ich nach meinem Handy, das in der hinteren Hosentasche steckte, und versuchte Mer anzurufen. Und falls das nichts bringen sollte, würde ich sie mit Magie orten.

»Der gewünschte Gesprächspartner ist zurzeit leider nicht erreichbar …«

So langsam beschlich mich ein ungutes Gefühl. Daraufhin wählte ich die Nummer von ihrem Zuhause und hoffte inständig, dass sie einfach krank war und mit einer Wärmflasche im Bett lag. Jedes weitere Klingeln ließ mich nervöser werden. Ruhelos tigerte ich in der Mädchentoilette auf und ab. Wenigstens roch es hier drinnen nicht nach dem Mief aus der Umkleide.

»Hallo.« Eine tiefe, brummige Stimme meldete sich, wahrscheinlich Meropes Vater.

»Hi, hier ist Cat. Ich wollte fragen, wie es Merope geht? Wir machen uns alle ein bisschen Sorgen.«

Mit meinen schwarz lackierten Nägeln zupfte ich ungeduldig an meiner ebenso dunklen Lederjacke herum und wippte von den Fersen auf die Fußballen und wieder zurück.

»Wie soll ich die Frage verstehen, ist sie etwa nicht in der Schule?« Oh, oh. Das erste Oh war dafür, dass Merope anscheinend nicht daheim war, und das zweite Oh war dafür, dass ich mich jetzt in einer sehr unangenehmen Lage befand.

»Ah, stimmt. Doch, ist sie! Sie kommt mir gerade entgegen. Ich bin nämlich zu spät gekommen und konnte sie nicht erreichen. Deswegen bin ich davon ausgegangen, dass sie krank sein muss. Entschuldigen Sie das Missverständnis. Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen noch.« Er legte wortlos auf und meine Hand sank herab, bis sie nur noch nutzlos an meiner Seite hing. Zwar war ich überaus stolz, dass mir so schnell eine Ausrede eingefallen war, aber ich hatte nun ein großes Problem.

Verdammte Scheiße, wo war sie? Mein Herzschlag beschleunigte sich augenblicklich, und ich wusste, dass ich jetzt irgendetwas unternehmen musste. Die Tür der Toilettenkabine fiel hinter mir zu und ich sperrte sie ab, während ich auf dem geschlossenen Klodeckel saß und mein Handy wegsteckte.

Meine Unterarme legte ich locker auf meine Oberschenkel und atmete tief ein und aus. Langsam schloss ich meine Augen und tastete nach der Magie in meinem Inneren. Ich spürte, wie sie erwachte und das Blut in meinen Adern zu reiner Energie verwandelte. Die schlummernde Macht in mir wollte in Aktion treten. Durch unseren Zirkel waren wir alle fünf miteinander verbunden. Über das Band, das zwischen uns bestand, würde ich versuchen sie aufzuspüren.

Ich tastete mich Stück für Stück voran und hangelte mich an dem unsichtbaren Band zu Merope entlang. Die Magie pulsierte, was bedeutete, dass es funktionierte. Schweißperlen bildeten sich auf meiner Stirn und zeugten von meiner Anstrengung. Vor meinen geschlossenen Augen begann sich ein Bild zu schärfen.

Ich war auf einer Lichtung.

Nein, Merope befand sich auf einer Lichtung. Ich sah alles durch ihre Augen. Und in der nächsten Sekunde nicht mehr, die Umgebung wurde schwarz. Vermutlich behinderte irgendjemand oder etwas ihre Sicht. Oder es wurde gerade ein Sack über ihren Kopf gestülpt, denn ich konnte kurz darauf ihren lautstarken Protest hören.

»Ihr verdammten Dreckskerle! Lasst mich sofort frei! Was glaubt ihr, wer ihr eigentlich seid?!« Ich fühlte ihre rasende Wut, sie übertrug sich auf mich und breitete sich in mir wie ein Lauffeuer aus.

»Halt dein Maul, Hexe«, zischte eine Männerstimme hinter Meropes Kopf. Sie schrie daraufhin auf und plötzlich wurde es still. Ich wurde mit einer gewaltigen Wucht in meinen eigenen Körper zurückgeworfen und musste mich an der Wand abstützen, damit ich nicht von der Toilette fiel.

Jeder Zauber, je nach Schwierigkeit, brauchte seine Zeit. Dieser war so anspruchsvoll, dass eine Hexe normalerweise langsam vorgehen musste. Eine ungewollte und schnelle Entkoppelung war nicht sehr angenehm. Doch nicht allein das war der Grund für meine Gänsehaut, sondern auch der Fakt, dass Merope in der Gewalt von Hexenjägern war. Das vermutete ich zumindest. Der kurze Blick, den ich durch Meropes Augen werfen konnte, reichte mir schon aus, denn ich wusste ganz genau, wo sie sich gerade befand. Ich hatte den riesigen Baum gesehen, der einer der Energiepunkte in Ashland war. Sie war ganz in der Nähe der Schule, genauer gesagt, im Wald dahinter.

Ich überlegte, ob ich den anderen davon erzählen sollte. Kam aber zu dem Schluss, dass ich sie nicht in diese Sache mit reinziehen wollte, da es gefährlich werden könnte. Denn ich würde durch mein Auftreten meine wahre Identität verraten und wollte nicht, dass die anderen dies auch taten. Zwar konnte ich keinen von ihnen für immer schützen, aber für diesen Moment erschien es mir wie die richtige Entscheidung.

2

Alistair

Äste knackten unter meinen Schuhsohlen, als ich durch den Wald hinter der Schule stapfte. Nachdem ich Cat heute Morgen erfolgreich im Flur abgeschüttelt hatte, rief mich mein Bruder Aiden an, dass ich so schnell wie möglich herkommen solle. Ich verschwand direkt nach der Englischklausur und meldete mich im Sekretariat für den restlichen Tag krank.

Alan, mein jüngerer Bruder, war anscheinend auch schon auf dem Weg, so viel hatte mir Aiden, der älteste von uns, am Telefon verraten.

Die Sonnenstrahlen schienen durch die Baumkronen und trafen mein Gesicht, sodass sich angenehme Wärme auf meiner Haut ausbreitete. Aiden hatte mir mitgeteilt, dass sie eine Hexe aufgespürt hatten. Und da wir als Nachwuchs der Jäger auch anwesend sein sollten, um so viel Praxiswissen wie möglich zu sammeln, waren wir irgendwie gezwungen, dem Geschehen beizuwohnen. Erneut.

Schon seitdem ich ein kleiner Junge war, gab es in meiner Welt nichts Wichtigeres als die Geschichten über böse Hexen. Besonders, nachdem sie sich als wahr herausstellten und ich mich zusammen mit meinen Brüdern in Trainingsräumen wiederfand, um mit den verschiedensten Waffen zu üben. Währenddessen wurden uns die Legenden der Jäger eingetrichtert.

Die Bäume reihten sich inzwischen nicht mehr eng aneinander und ich sah in der Ferne schon die Lichtung, auf der ein riesiger Baum wuchs, der die anderen seiner Art meterhoch überragte. Ich konnte nur wenige Schritte von ihm entfernt sechs Personen ausmachen, allerdings war nirgends eine Frau zu sehen.

»Da bist du ja, Alistair! Wir haben schon auf dich gewartet«, rief mein Vater, sobald er mich entdeckte. Nun wandten sich auch die anderen Männer um. Darunter konnte ich Aiden, Alan, meinen Onkel und zwei enge Freunde von Dad erkennen. Ich begrüßte die Freunde meines Vaters und bekam ein knappes Nicken als Antwort. Onkel Jack klopfte mir hart auf den Rücken, jedes Mal aufs Neue. Seine blonden Haare waren kurz geschoren und ich entdeckte in seinem Gesicht bereits die ersten Falten. Auch Vater sah man so langsam sein Alter an, wobei man beachten musste, dass er trotz alledem noch sehr fit und muskulös wirkte. Die Narben in seinem Gesicht zeugten von vielen bestrittenen Kämpfen gegen die Hexen.

»Wo ist sie?« Neugierig sah ich Vater an, der etwas hinter Aiden mit seinem Blick fixierte. Als mein älterer Bruder schließlich die Gnädigkeit besaß und mit einem Augenrollen zur Seite trat, konnte ich erkennen, worauf mein Vater blickte. Im Gras lag der Länge nach eine, den Körperrundungen nach zu schätzen, junge Frau. Zuvor hatten die durchaus, auch wenn ich es nicht gern zugab, breiten Schultern von Aiden meinen Blick auf sie verdeckt.

»Wie habt ihr sie gefunden?«, wollte Alan wissen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich atmete tief ein, um meine angespannten Muskeln etwas zu lockern, damit ich dem Gespräch so aufmerksam wie möglich folgen konnte. Dabei roch ich den unglaublich angenehmen Duft des Waldes und merkte, wie sich meine Schultern entspannten.

»Ich habe sie in der Bibliothek gesehen, als ich nach einem Buch zur aktuellen Wirtschaftslage gesucht habe.« Aiden wollte die Firma unseres Vaters übernehmen und interessierte sich für nichts anderes mehr, außer für die momentanen Aktienstände und was sonst noch alles dazugehörte. Und natürlich das Jagen. Da die Bibliothek öffentlich war, konnte sie jeder nutzen.

»Sie stand vor einem hohen Regal und versuchte an eines der oben stehenden Bücher heranzukommen. Ich wollte gerade meine Hilfe anbieten, als die Bücher aus dem Regal herausfielen und ihr beinahe auf den Kopf geknallt wären.« Er stoppte kurz, um sich über die Lippen zu lecken, und erzählte weiter.

»Ich dachte, dass ich gleich den Krankenwagen rufen müsste, aber auf einmal stoppten die Bücher mitten in der Luft. Als wäre es ein Film und sie hätte auf Pause gedrückt. Sie hat mich gar nicht wahrgenommen, deswegen konnte ich ihr unauffällig folgen und sie in einem günstigen Moment betäuben.«

Wir Jäger hatten nach jahrhundertelanger Forschung ein Pulver aus einer speziellen Pflanze entwickelt, das Hexen in geringer Dosis betäuben konnte. In hohen Mengen war es tödlich für sie. Wir hatten der Pflanze den Namen Hexenkraut gegeben. Kreativ, ich weiß.

»Das hast du sehr gut gemacht, Aiden«, lobte unser Onkel. Zwar bedankte mein Bruder sich höflich, aber ich hatte das Gefühl, dass er dieses Kompliment lieber von jemand anderem erhalten hätte.

Die gefesselte Gestalt hinter Aiden fing an sich zu rühren. Da sich allerdings noch immer ein Sack über ihrem Kopf befand, konnte ich nicht erkennen, wer von unseren Mitschülerinnen ihre wahre Gestalt vor uns verbergen konnte.

»Ich möchte, dass ihr das macht, Jungs!« Dad sah uns auffordernd an und trat mit seinen Freunden und Onkel Jack ein paar Schritte zurück, um uns Platz zu machen. Alan ging in der Zwischenzeit zu der zappelnden Hexe, zog sie auf die Beine und packte sie so, dass sie sich nicht befreien konnte. Ihre Arme waren nach hinten gestreckt und wurden so verdreht, dass sie sich bei jeglicher Gegenwehr etwas zerren oder brechen würde. Dad und seine Freunde sowie Onkel Jack verschwanden zwischen den Bäumen, aber ich war mir sicher, dass unser Vater in der Nähe bleiben würde. Sie alle vertrauten zwar darauf, dass wir die Angelegenheit zu Ende bringen würden, wollten uns aber trotzdem im Auge behalten. Aiden und ich waren diejenigen, die mit der Hexe sprechen mussten, um eventuell mehr Informationen über ihren Zirkel herauszufinden. Dabei spielte er den bösen und ich den guten Cop. So bezeichnete es Alan jedenfalls.

»Lass mich los, du Bastard!«, zischte sie mit Nachdruck. Aiden zog ihr den Sack vom Kopf und darunter kamen schwarze Haare zum Vorschein. Bevor ich meine Musterung fortsetzen konnte, schoss ihr Schädel jedoch in einem wahnsinnigen Tempo nach vorn und sie verpasste Aiden eine heftige Kopfnuss. Dieser taumelte nach hinten und hielt sich die Hand an die Stirn. Wären wir in einer anderen Situation gewesen, hätte ich sogar gelacht.

Alan brachte das Mädchen mit einem Ruck wieder in die Ausgangsposition und nun konnte ich es endlich vollständig ansehen. Ich kannte sie, denn sie war eine von Cats Freundinnen. Leider wollte mir ihr Name einfach nicht einfallen. Bisher hatte ich noch nie etwas mit Cat und ihren Freundinnen unternommen. Der Blick aus den bernsteinfarbenen Augen zuckte zu mir. Nur damit sich ihre Lider geschockt hoben. Sie scannte mein Gesicht noch mal genauestens ab. Die vollen Lippen öffneten sich, als wolle sie etwas sagen, doch es kam kein Ton heraus. Ich musste sie mit demselben Gesichtsausdruck mustern, denn Aiden, der sich wieder gefangen hatte, betrachtete abwechselnd sie und dann wieder mich.

»Du kennst sie?«, fragte er. Ich brachte nur ein Nicken zustande.

»Und du bist einer von diesen beschissenen Jägern! Verdammt, du bist mit meiner besten Freundin zusammen!« Wütende Funken schienen aus ihren Augen zu sprühen, denn sie blickte mich so hasserfüllt an, wie ich es noch nie in meinem Leben erfahren hatte. Eine Millisekunde lang war ich froh, dass Alan sie festhielt und das Pulver ihre Kräfte blockierte, denn sie sah ganz nach jemandem aus, der gern auf die Kacke haute. Aiden konnte dies mit seiner blutigen Nase unterschreiben.

»Warte …« Mein großer Bruder drehte sich zu mir um und funkelte mich nun genauso zornig an wie die Hexe. »… du hast eine Freundin und dachtest nicht, dass du es uns gegenüber erwähnen könntest?« Er machte zwei große Schritte auf mich zu, ich konnte seine Wut förmlich spüren.

»Nein, weil euch das überhaupt nichts angeht.« Zwar hatte ich vorgehabt, ihnen Cat vorzustellen, aber ich war bisher noch nicht dazu gekommen. Ehrlich gesagt, war ich auch nicht besonders scharf darauf, sie in meine verzwickte Familiengeschichte einzuführen. Aiden wandte sich widerwillig von mir ab, doch ich wusste, dass er zu Hause das Thema noch mal anschneiden würde. Ich konzentrierte mich wieder auf die dunkelhaarige Hexe, aber ihre Aufmerksamkeit galt inzwischen etwas anderem.

Sie blickte zwischen mir und Aiden hindurch und ein kleines Lächeln bildete sich auf ihren Lippen. Auch Alan schien etwas bemerkt zu haben, denn seine Stirn lag in Falten und sein Blick landete kurz auf mir, bevor er erneut den Punkt hinter mir fixierte.

»Lasst sie gehen.«

Die leise, aber kräftige Stimme hätte ich überall wiedererkannt. Langsam drehte ich mich um und entdeckte Cat zwischen den Bäumen. Sie stand etwa zwanzig Meter von uns entfernt und starrte mir mit ihren moosgrünen Augen direkt in mein Innerstes. Ihre roten Haare bewegten sich im leichten Wind und die Schnallen, die lose von ihrer Lederjacke herunterhingen, schwangen sanft hin und her.

»Das ist deine Freundin, oder, Alistair?«, meldete sich Alan. Ich nickte daraufhin nur.

»Sie sieht wütend aus«, fügte er noch unnötigerweise hinzu, woraufhin ich ihn nur mit einem bösen Blick bedachte.

»Cat, was machst du hier?« Und woher wusste sie, wo wir waren? »Geh am besten wieder zurück. Du hast keine Ahnung, was für eine Gefahr sie ist. Das hier ist auf keinen Fall deine Freundin!« Ich machte ein paar Schritte auf sie zu, doch sie hob abwehrend die Hand, was mich augenblicklich innehalten ließ. Verwundert sah ich sie an.

»Komm bloß nicht näher. Lass sie gehen, Alistair.« Breitbeinig und mit noch entschlossenerem Blick stand sie mir gegenüber. Merkte sie nicht, wie ernst ich es meinte? Warum nahm sie meine Warnung nicht wahr?

»Cat, du hast keine Ahnung, was hier überhaupt los ist.« Ich hoffte inständig, dass sie sich einfach umdrehen und weggehen würde. Denn sonst wüsste ich nicht, was ich machen sollte. Eins war mir klar: Ich wollte auf keinen Fall, dass sie verletzt wurde. Ich musterte sie, ihr hübsches, mit Sommersprossen überzogenes Gesicht, die Lippen, bei denen ich immer meine Kontrolle verlor, und ihre Augen, bei deren Anblick ich jedes Mal das Gefühl hatte, an meinen eigenen Emotionen zu ertrinken.

»Ich weiß ganz genau, was hier abgeht. Also lasst meine Freundin gehen. Das sage ich jetzt zum letzten Mal auf nette Weise.« Mit großen Schritten kam Cat auf uns zu, was Aiden dazu veranlasste, auch ein paar Schritte zu mir aufzuschließen.

»Und ich bitte dich, nein, ich flehe dich an: Geh und ich erkläre dir alles später.« So langsam war ich wirklich am Verzweifeln. Wieso, um Gottes willen, wollte sie nicht einfach auf mich hören? Natürlich war mir klar, dass sie ihre Freundin nicht einfach im Stich lassen wollte, aber sie musste doch wenigstens so von dieser Szene schockiert sein, dass sie meine Warnung befolgen würde. Doch ihre Mimik und Körperhaltung sprachen eine ganz andere Sprache. Kinn vor, aufrechte Haltung und Anspannung. Sie war bereit, für was auch immer.

»Du musst wissen, dass es mir leidtut, Alistair. Ich wollte es dir schon so oft sagen.« Ihr Gesicht wurde für einen Moment ganz weich, genauso wie ihre Augen, die mich mit so viel Liebe anblickten wie erst heute in der Früh. Für was wollte sie sich entschuldigen? Ich verstand nur noch Bahnhof.

»Aber ich kann und werde meine Freundin nicht im Stich lassen. Und schon gar nicht werde ich zulassen, dass sie von Jägern getötet wird!«

Bevor ich die Wahrheit verarbeiten konnte, die Cat mir gerade offenbart hatte, riss sie ihre Arme in die Höhe. Eine Druckwelle erfasste mich und meine Brüder, die uns durch die Luft schleuderte. Beim Aufprall wurde mir der Sauerstoff aus der Lunge gepresst und für einige Momente konnte ich nur komplette Dunkelheit wahrnehmen. Ächzend setzte ich mich auf und versuchte meinen Blick wieder zu schärfen. Aiden lag ein paar Meter neben mir, doch Alan stand noch immer aufrecht. Zwar hatte die Hexe sich von ihren Fesseln befreien können, aber ihr war es nicht gelungen, ihn zu verletzen.

Die wild herumwirbelnden Gedanken in meinem Kopf ordneten sich, und erst jetzt wurde mir bewusst, dass Cat das alles verursacht hatte. Sie war diejenige gewesen, die eine Druckwelle erschaffen hatte. Ich suchte selbst auf die Entfernung ihren Blick, und obwohl Strähnen ihres Haares in ihrem Gesicht hingen, war ihr Blick vollkommen auf mich fokussiert. So viel Bedauern und Schmerz standen darin geschrieben, dass sich meine Vermutung bestätigte. Sie war eine von denen.

Sie war eine Hexe.

Ich hörte mich selbst bei dieser Erkenntnis japsen und verstand, wie auch sie begriff. Die Schwarzhaarige stellte sich hinter sie und betrachtete uns abwechselnd mit einem angeekelten Blick. Sie schien in keinster Weise davon berührt zu sein, dass sie beinahe gestorben wäre. Cats Gesicht ließ mich innehalten. Sie starrte mich an und es schien so, als würde sie die Zeit anhalten und zurückspulen wollen, damit wir der Wahrheit entfliehen konnten. Dass sie eine Hexe war und ich der Jäger sein würde, der ihr auflauerte.

»Ich wollte dich niemals verletzen, das musst du mir glauben.«

Ein letztes Mal sah sie mich an und ich erkannte, wie ihr stumme Tränen über die Wangen liefen. Sie schnipste, und plötzlich waren die beiden weg, als wären sie niemals hier gewesen.

Fassungslos starrte ich auf die Stelle, an der vor ein paar Sekunden noch meine Freundin gestanden hatte. Langsam begann mein Hirn wieder zu arbeiten … sie war eine verdammte Hexe und ich hatte nichts davon bemerkt! In Gedanken versunken hatte ich nicht mitbekommen, wie Aiden seiner Wut freien Lauf ließ, bis er sich zu mir herunterbeugte und an dem Kragen meines Pullovers zog. Ich schlug seine Hand weg und stemmte mich hoch, sodass ich nun auf ihn hinabblickte.

»Ist das dein scheiß Ernst!? Deine Freundin, die du uns noch nicht mal vorgestellt hast, ist eine Hexe! Und du willst mir erzählen, dass dir nichts aufgefallen ist?« Er hätte mich sicherlich gleich geschlagen, wenn in diesem Moment nicht Dad aus dem Wald gekommen wäre.

»Ganz ruhig, Aiden.« Er strafte ihn mit einem Blick, bei dem es mir die Nackenhaare aufstellte. Nun wandte er sich an mich, Alan trat zu uns und sah unseren Vater gespannt an.

»Ich wusste schon lange, dass du eine Freundin hast, Alistair. Dein Onkel hat dies längst in Erfahrung gebracht. Und ich hatte die ganze Zeit schon die Vermutung, dass sie eine von denen ist.«

Mir wurde schlecht. Er, mein eigener Vater, hatte mich beschatten lassen? Und das auch noch von unserem besten Mann. So nannte ich ihn zumindest, da er von niemandem gesehen wurde. Nie. Doch jetzt war ich sein Opfer, und das gefiel mir gar nicht. Mein Onkel wich dem wütenden Blick aus, mit dem ich ihn bedachte.

»Als Aiden ihre Freundin entdeckt hatte, wusste ich, dass es die perfekte Möglichkeit war, um meine Theorie zu testen. Denn natürlich haben wir auch das Umfeld deiner Hexe beschattet.«

Seine Hand hatte er während des Sprechens auf meine Schulter gelegt und drückte mir kurz ins Fleisch, als Zeichen seines Bedauerns.

»Damit wollte ich dir die Augen öffnen. Und die Wahrheit erfahren. In dieser Welt voller Ungeheuer musst du aufpassen, mit wem du dich einlässt. Verstanden, mein Junge?«

Ich brachte nur noch ein Nicken zustande. Alan betrachtete mich mit einem mitleidigen Blick, doch Aiden sah mich hingegen so voller Argwohn an, als hätte ich die Familie verraten.

»Ich möchte, dass ihr den gesamten Hexenzirkel ausfindig macht und zur Strecke bringt. Zwei kennt ihr schon, findet heraus, ob es noch mehr von ihnen gibt, und vertraut keinem mehr außer euren Jägerbrüdern.«

Vaters Ansprache strahlte so viel Autorität und Macht aus, dass ich es nicht wagte, auch nur einen Ton zu sagen. Ich konnte ein weiteres Mal nur nicken. Alles in meinem Kopf, in meinem Leben schien sich um hundertachtzig Grad gedreht zu haben. Nichts war oder würde so sein, wie es einmal war. Die Erde würde sich zwar weiterdrehen, aber meine eigene Welt hatte keinen Antrieb mehr. Denn dieser war seit einiger Zeit Cat gewesen. Sie war der Grund, weswegen ich lachte, weswegen ich mich auf den nächsten Tag freute und weswegen ich alles für sie sein wollte.

»Gehen wir, los. Wir treffen uns zu Hause.« Dad und Aiden verschwanden im Wald, während Alan und ich in die entgegengesetzte Richtung zur Schule zurückgingen, dorthin, wo Alans Wagen stand. Schweigend liefen wir nebeneinanderher, nur den Atem des jeweils anderen und die Geräusche des Waldes im Ohr, bis Alan irgendwann die Stille brach.

»Du wusstest es wirklich nicht, oder?«

Ich wandte meinen Kopf nach rechts, um ihn besser sehen zu können. Sein Blick traf auf meinen. Grasgrün auf Grellgrün.

»Nein, ich hatte keine Ahnung.« Mir wurde in diesem Moment bewusst, dass der Wald langsam anfing, sich zu verfärben. Es wurde von Tag zu Tag kühler und der Herbst hielt Einzug in unser Land. Die Luft wurde ebenfalls merklich frischer.

»Aber anscheinend wusste sie ganz genau, was du bist. Hast du ihr irgendetwas über unsere Familie erzählt?«

Abrupt blieb ich stehen und sah ihn fassungslos an.

»Glaubst du ernsthaft, ich würde irgendjemanden etwas über unsere Familie erzählen? Sicher nicht!«

»Sie ist, oder besser gesagt, war anscheinend nicht nur irgendjemand für dich. Du bist verliebt in sie.« Diese Aussage brachte mich zum Verstummen und ich ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen. Ich wusste nicht, ob er recht hatte, und wollte mir darüber auch momentan keine Gedanken machen. Denn eines stand fest: Meine Liebe zu Cat würde nicht weiterexistieren können.

Cataleya

Sieben Monate zuvor …

Ich hatte es geschafft. Erleichtert atmete ich aus, ließ danach erneut die Luft in meine Lunge fließen und spürte die neu gewonnene Energie in mir. Mit jedem Atemzug schien ich stärker zu werden. Lebendiger. Als ich den Blick hob, sah ich meinen Zirkel. Gemeinsam standen wir um ein Feuer, das wir draußen im Wald entfacht hatten. Durch unsere Magie konnten wir verhindern, dass es sich ungewollt ausbreitete. Der Duft nach Kiefernnadeln und Regen lag in der Luft und veranlasste meinen Körper dazu, sich zu entspannen. Wir waren nicht umsonst hier. Nachdem ich zuerst Merope und Samuel aufgelesen hatte, fand ich schließlich auch Levi und Cora. Sie waren die Hexen und Hexer, zu deren Magie ich mich hingezogen fühlte. Natürlich gab es in der kleinen Stadt Ashland noch weitere Hexen und Hexer, doch auch außerhalb waren sie zu finden. Denn wir waren überall. Und am stärksten sind wir, nachdem wir uns verbunden haben. Uns zu einem Zirkel zusammengeschlossen haben. Keiner war begeistert von der Idee, einen Zirkel zu gründen, doch nach und nach konnte ich sie überzeugen. Alle von ihnen meinten, dass sie die verstärkte Kraft und den Zusammenhalt nicht benötigten. Dass sie sicher wären. Aber nachdem sie meine Geschichte gehört hatten, waren sie anderer Meinung. Worüber ich heilfroh war, denn ein Zusammenschluss bedeutete mehr Macht, Kraft und jemanden, auf den man sich verlassen konnte. Verbunden durch Magie. Und das war ein Schutzfaktor, den ich unbedingt haben wollte. Den ich unter Umständen auch benötigte.

»Also dann«, flüsterte ich und blickte jedem tief in die Augen. Keiner von ihnen sagte ein Wort, alle warteten gespannt auf das, was als Nächstes kam. Jeder von uns hatte den Zauber gelernt, ohne den es nicht möglich war, das Band zwischen uns zu knüpfen. Ich streckte meine Hand aus und ergriff die von Merope und Levi. Als sich schließlich alle an den Händen hielten, spürte ich bereits das Surren der Magie. Wie eine leichte Vibration floss sie durch unsere vereinten Körper hindurch und hinterließ ein atemberaubendes Gefühl. Das Feuer knackte und die Wärme schlug mir entgegen. Es half uns. Feuer war eine Quelle der Energie, und diese benötigten wir für dieses Ritual.

»Bereit?«, wisperte Cora zögerlich, und als schließlich alle von uns zustimmend genickt hatten, schloss jeder Einzelne die Lider. Trotz der erwarteten Dunkelheit hinter meinen Augen war es heller als gedacht. Der Vollmond, der zu dieser Konvergenz erforderlich war, schien heute heller zu sein als an einem anderen Tag. Als wüsste er, dass wir ihn brauchten. Die Griffe um meine Hände wurden fester, als wir gemeinsam begannen, den Spruch aufzusagen. Worte, die ein normaler Mensch nicht hätte aussprechen können, flossen über unsere Lippen. Mit jeder Silbe pulsierte die Magie in meinem Körper mehr und mehr. Mich überkam eine Gänsehaut. Es war wie ein Rausch, gewaltig und unfassbar intensiv. Mein Körper verlangte nach mehr, und das bekam er auch. Immer öfter wiederholten wir die Formel, liebkosten sie mit unseren Stimmen und gaben uns der Macht hin. Und nach und nach spürte ich es. Es fühlte sich an wie eine Art Band, das von jedem Einzelnen zum Nächsten gespannt wurde, bis wir schließlich miteinander verbunden waren. Die Macht schien in jedem von uns bis ins Unermessliche gestiegen zu sein, so wallend fühlte es sich an. Abrupt ließen wir einander los und ich trat einige Schritte zurück, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

»Wow, das war krass«, sagte Samu schockiert. Seine Augen waren weit aufgerissen. Selbst nachdem wir uns voneinander gelöst hatten, spürte ich noch immer die berauschende Wirkung der Konvergenz. An den Plätzen, an denen wir gestanden hatten, blieben verbrannte Stellen am Boden zurück. So als hätte die Magie sie hinterlassen. Von diesen verbrannten Punkten führten Abzweigungen zu den jeweils anderen verkohlten Stellen. Sie ergaben einen perfekten fünfzackigen Stern. Ein neuer Zirkel wurde erschaffen. Die Magie war ein Teil unserer selbst. Sie durchflutete uns wie ein Lebenselixier. Drang aus jeder Zelle und Pore unseres Körpers. Sie lag in unserem Blut. Sie war unsere Bestimmung, denn wir waren die Magie.

Wir, die Hexen von Ashland.

3

Cataleya

Merope knallte die Teetasse so laut auf den Tisch, dass ich Angst hatte, sie würde gleich in tausend Teile zerschellen. Nachdem ich Mers Fesseln mit einem Zauber gelöst hatte, ging alles so verdammt schnell. Doch das Bild von Alistairs Gesicht wollte nicht aus meinem Kopf verschwinden. Der Ausdruck in seinen Augen, der mir das Atmen erschwerte und mich weiterhin gefangen hielt.

Mittlerweile waren wir in der Waldhütte angekommen, die mit unzähligen Schutzzaubern verhüllt war. Einzig Mitglieder unseres Zirkels konnten sie überwinden und die Hütte finden. Für alle anderen war sie nicht zugänglich, sie würden einfach daran vorbeilaufen. Die Hütte hatte meinem Onkel gehört, bevor er gestorben war, genauso wie das Haus in Ashland, das nun auf meinen Namen lief.

Dorthin hatte ich Alistair mitgenommen, da er niemals zu sich nach Hause wollte. Wahrscheinlich wollte er, dass ich seine verrückte Familie nicht kennenlerne. Jetzt war es sowieso schon zu spät dafür.

»Wieso hast du mir nichts davon erzählt? Du wusstest, dass er ein beschissener Jäger ist!«, rief Mer.

Offensichtlich gründete Meropes Wut nicht nur auf dem Vorfall, sondern auch auf meiner Verschwiegenheit ihr gegenüber. Verständlich.

»Ich wusste nicht, wie ich es euch erzählen sollte, ich war einfach so …«

»Du hättest es ja wenigstens mir erzählen können, ich bin deine beste Freundin und wir haben uns bis jetzt immer alles erzählt! Wieso auch nicht dieses Mal? Was war so anders?«, fragte sie, und ich hörte die Enttäuschung deutlich aus ihrer Stimme heraus.

Ihre Hand schloss sich um die gerade abgestellte Tasse fest mit ihrer Hand, als wollte sie sich an ihr festhalten.

»Ich weiß, und es tut mir leid, dass ich dir nichts gesagt habe, doch ich konnte es einfach nicht. Alistair ist … ich konnte einfach nicht.« Erschöpft von den Ereignissen und meinen eigenen Gefühlen, die sich in mir auftaten, sank ich gegen die Lehne des Stuhles und nahm die unangenehmen Schmerzen im Rücken wahr.

Wahrscheinlich stammten sie von der Anspannung, die beim Zaubern entstanden war. Wir saßen in der kleinen rustikalen Küche am runden Walnusstisch mit jeweils einer Tasse Tee und Keksen. Die Mittagssonne schien durch das kleine viereckige Fenster über der Spüle und einige Strahlen erreichten den Teppich in der Mitte des Raumes.

Von der Lichtung aus waren wir sofort hierhergekommen, mein Mini stand also noch immer vor der Schule. Dort wird er nun auch ein paar Tage stehen, da ich erst mal nicht in die Schule gehen würde.

Auch Merope würde in den nächsten Tagen hierbleiben. Die anderen wussten noch nichts von dem Vorfall und sie mussten auch unbedingt weiter zur Schule gehen, da sie nun ohnehin von Alistair beobachtet wurden. Denn er würde nun versuchen herauszufinden, ob es noch mehr Hexen oder Hexer in meinem Umfeld gab.

»Nichts aber – er ist ein Jäger. Jemand, der uns töten will, und du wusstest davon. Er hätte uns alle auslöschen können. Ich wäre fast gestorben! Das ist kein Spiel, Cat«, rief Mer aufgebracht. Ich sah das erboste Glitzern in ihren Augen.

»Das weiß ich, und ich sehe es auch nicht als Spiel. Dass du in Gefahr gebracht wurdest, ist etwas, was ich auf gar keinen Fall wollte. Das musst du mir glauben.«

Mer nickte.

»Und das mit Alistair. Ich konnte nicht, obwohl ich wusste, dass er eine Gefahr darstellen könnte. Ich hatte gehofft, dass ich das hinkriege. Irgendwie«, flüsterte ich.

Ich hatte natürlich keine Ahnung, wie ich das angestellt hätte, doch probiert hätte ich es allemal.

Meropes Blick brannte auf meiner Wange, während ich den Keks in meiner Hand genauestens betrachtete. Es war eine unangenehme Stille, die sich wie ein schweres Gewicht über den Raum senkte.

»Er ist dir wirklich wichtig, oder, Cataleya?«

Ich wagte wieder einen Blick in Meropes Richtung und erkannte in ihren Augen Verständnis und Mitgefühl. Erstickt nickte ich, ihre Wut schien wie weggeblasen und genau das schätzte ich so an ihr, ihre Empathie. Obwohl sie jedes Recht hatte, sauer auf mich zu sein, wählte sie trotzdem einen anderen Weg und versetzte sich in meine Lage. Ihre Art und die Erkenntnis, was für eine gute Freundin sie doch war, schnürte mir die Kehle nur noch mehr zu und ein dicker Kloß bildete sich darin.

Der komische Alistair am Morgen, Meropes Verschwinden, Alistairs Reaktion und Meropes Verständnis, all das war zu viel für mich. Ich schluchzte auf und ließ den doofen Keks fallen. Ich hatte sowieso nicht vorgehabt, ihn zu essen. Krümel verteilten sich über den Tisch, doch das war mir egal.

Ich bemerkte nicht mal, dass sie sich bewegt hatte, bis sich zwei schlanke Arme um mich schlossen und ich fest an Merope gezogen wurde. Sofort stieg mir der Duft nach Lavendel in die Nase. Ich erwiderte die Umarmung und schluchzte leise in ihre Haare. Lange hielten wir uns so. Es war wie Balsam für meine Seele.

»Es tut mir so schrecklich leid, Mer.«

»Das weiß ich.«

Mehr brauchte ich nicht. Mein Herz verlor einen großen Stein, der es zuvor niedergedrückt hatte.

Langsam löste sie sich von mir, strich die Tränen weg und reichte mir ein Taschentuch. Keine Ahnung, wo sie das so schnell herbekommen hatte.

»Sorry, falls ich dich angesabbert habe.«

Merope grinste daraufhin nur und schüttelte belustigt den Kopf.

»Ich hole eben Feuerholz, sonst erfrieren wir hier noch«, klärte sie mich auf und war schon aufgestanden. Die Dielen knarzten bei jedem Schritt, den sie machte. Die Tür gab beim Öffnen ein leises Quietschen von sich.

Jetzt, da ich allein war, versuchte ich nicht an den Ring unter meinem Shirt zu denken. Der silberne, schlichte Ring, den Alistair mir geschenkt hatte, als Versprechen für ein gemeinsames Leben. Obwohl es vielleicht eine kindische Illusion voller Träume war, bedeutete mir dieses Schmuckstück sehr viel.

Weitere Tränen stiegen in mir auf und der Ring auf meiner Haut schien in Flammen zu stehen, so als wollte er, dass ich schmerzlich daran erinnert wurde, was gerade geschehen war. Doch ich drängte sie zurück, den Schmerz und die Tränen. Für heute war es definitiv genug.

Als wäre dies das Stichwort gewesen, hörte ich, wie die Eingangstür wieder geöffnet wurde. Schwere Schritte kamen auf die Küche zu und kurz darauf erschien ein Lockenkopf im Türrahmen. Samu. Seine bloße Anwesenheit brachte mein Innerstes dazu, sich zu entspannen. Er hatte dieselbe Wirkung wie ein Lagerfeuer. Es war beruhigend, die Flammen dabei zu beobachten, wie sie sich bewegten. Der Geruch nach Rauch wirkte einschläfernd und die bloße Anwesenheit war beinahe hypnotisierend.

»Hey, was ist denn hier los?«, fragte er augenblicklich. Seine schlaffe Körperhaltung war sofort angespannt. Er erkannte meine verquollenen Augen und kam schnurstracks auf den Tisch zu, um sich einen Stuhl hervorzuziehen.

»Hey. Das erzähle ich dir, wenn Mer wieder da ist. Was machst du hier?«

Nickend und mit besorgtem Blick setzte er sich an meine Seite. »Ich wollte nur meine Lernsachen holen, die habe ich oben liegen lassen.«

Er betrachtete mich. »Brauchst du …?«

Er ließ die Frage offen, aber ich wusste, was gemeint war. Samu hatte die Fähigkeit, die Emotionen von Personen zu erkennen und gelegentlich auch zu beeinflussen. Das hieß, er konnte meine Trauer und Verzweiflung in Glück und Geborgenheit umwandeln.

Jede Hexe besaß Magie, manche mehr und manche weniger, doch wir konnten unsere Kräfte schulen und weiterentwickeln. Die Hexer würden immer auf demselben Kräftestand bleiben, dafür waren sie von vornherein sehr stark. Wenn sie nicht in frühesten Lebensjahren lernten, damit umzugehen, würden sie an ihrer eigenen Magie zugrunde gehen. Samuels Kräfte waren wirklich erstaunlich, doch es gab noch mehr mit magischen Talenten. Levi war ein Heiler, lebensbedrohliche Wunden konnte er allein mit der Kraft seines Willens verheilen lassen. Das kostete ihn enorme Energie. Denn jede Magie hatte ihren eigenen Preis. Und manchmal war dieser sehr hoch.

Merope hatte die sogenannten vierten Augen, oder besser gesagt, das zweite Gesicht. Sie kann mit Geistern und Verstorbenen kommunizieren. Ab und an bekam sie auch Visionen. Diese sind jedoch sehr schwer richtig zu deuten. Wegen ihrer Begabung interessierte sie sich auch schon früh für die Kunst des Kartenlegens. Ebenso für das Vorhersagen der Zukunft. Dieses hatte sie jedoch enttäuscht, da alle Wahrsagerinnen, die sie besucht hatte, keine wahre Magie angewandt hatten. Keine von ihnen war eine Hexe.

Cora besaß keine spezielle magische Begabung, aber sie hatte ein beachtliches Talent dafür, Tränke und Mixturen herzustellen. Mithilfe des Grimoires ihrer Großmutter probierte sie auf dem Dachboden viele verschiedene Gebräue aus. Manchmal ging es gut, aber andere Male konnte man die Hütte ein paar Tage lang nicht betreten, ohne Gefahr zu laufen, wegen des Gestankes umzukommen. Doch sie wurde von Trank zu Trank besser, und das Schönste war, wenn Levi sie voller Stolz betrachtete. In mir machte sich eine Wärme breit, als ich an meine Freunde dachte und was die beiden hatten. Jeder von uns war unterschiedlich, ebenso wie unsere Kräfte. Magie ist mannigfaltig.

Ich war eine Elementar, ich konnte das Feuer sowie die Energie beeinflussen und zu meinem Vorteil nutzen. Dazu kam noch, dass der Kater meiner Mutter sprechen konnte. Wirklich sprechen. Teilweise fühlte sich das wie eine magische Begabung an. Dies war ihm, Rufus, aber nur durch eine Kette möglich. An dieser befand sich ein hellblauer Kristall, in dem ein mächtiger Zauber gebunden war, der es Rufus möglich machte, mit Hexen und Hexern zu kommunizieren. Menschen waren von dieser Magie ausgeschlossen. Für sie hörte er sich wie ein normaler Kater an. Manchmal, wenn ich mit ihm sprach, fühlte ich mich ein bisschen wie Sabrina mit ihrem Salem. Zwar war es manchmal anstrengend, dem Gebrabbel eines verwöhnten Katers zu lauschen, der mich ausschließlich als Dosenöffner betrachtete, doch ab und zu tat es gut, ihm einige Dinge anzuvertrauen. Denn er würde sie niemals meinen Freunden erzählen, dazu war unsere verkorkste Beziehung zu stark.

»Nein, aber danke, Samu«, sagte ich. Dann schenkte ich ihm ein kleines Lächeln, das sehr gezwungen wirken musste. Aber ich war wirklich dankbar für sein Angebot, mir meine Gefühle zu nehmen. Ich wollte und konnte sie nicht einfach wegwischen. Es wäre so, als würde es mich nicht stören, was dort zwischen mir und Alistair vorgefallen war. Doch das tat es. Es war kompliziert und ich wusste noch nicht, wie ich diese Lage meistern sollte. Aufgeben jedoch war für mich keinesfalls eine Option.

Die knarzenden Dielen verrieten mir, dass Merope mit dem Holz zurückkam. Ihr Blick ging zu Samu und sie sah zwischen uns hin und her.

»Hey, hat Cataleya dir schon alles erzählt?«, fragte sie und breitete ihre Arme aus. Der Stapel Holz landete krachend vor dem Steinkamin auf dem Boden. Das war mein Zeichen. Ich erhob mich vom Stuhl und setzte mich auf den rot gemusterten Teppich. Die Holzscheite richtete ich im Kamin zu einer Pyramide auf, wobei mir jedes Mal wieder etwas umfiel. Nachdem ich es geschafft hatte, dass alles an seinem vorgesehenen Platz blieb, fokussierte ich mich auf mein erbautes Werk.

»Nein, sie wollte noch warten, bis du kommst«, hörte ich Samu sagen.

Ich atmete ein und tastete nach meiner Magie, die sich nicht mehr ganz so tief in meinem Innersten befand wie zuvor. Mit einem Schnipsen und meinem bloßen Willen ließ ich den Zunder in Flammen aufgehen. Langsam wuchs die zunächst kleine Flamme und wurde immer größer. Die ausgehende Wärme quittierte ich sogleich mit einem Seufzen und legte die restlichen Holzstücke in den großen beigen Bastkorb.

Merope und Samu hatten mich die ganze Zeit über beobachtet. Dies fiel mir erst auf, als ich mich umdrehte und beide mich mit einem undurchdringlichen Blick musterten. Die Flammen züngelten in der Zeit den Turm aus Holz empor und ich fühlte die Macht, die von ihnen ausging. Schweren Herzens begab ich mich wieder an den Tisch und setzte mich. Ich überließ Merope das Reden und warf ab und zu zustimmendes Gemurmel ein. Sie hatte ihm alles genau beschrieben und ich erfuhr auch, dass sie meine Anwesenheit beim Ortungszauber gespürt hatte. Doch mit keinem Sterbenswörtchen hatte sie erwähnt, dass es Alistair und seine Brüder waren, die sie umbringen wollten. Auf seine Frage, ob wir diese Personen kannten, antwortete Mer nur, dass sie anscheinend auf unsere Schule gingen, mehr wüsste sie aber nicht.

In diesem Moment war ich unsagbar erleichtert, dass sie die Identität von Alistair geheim gehalten hatte, selbst wenn sie das absolut nicht gemusst hätte. Nicht sollte. Denn sein Bruder hatte versucht, sie zu töten. Alistair hatte versucht, sie zu töten. Doch sie tat das für mich, nicht für ihn. Dafür liebte ich sie noch ein kleines bisschen mehr. Ich fragte mich, weshalb ich so froh darüber war und warum ich es nicht einfach selbst gesagt hatte. Er war ein Jäger, ein Mörder. Und er wollte meine beste Freundin töten. Doch etwas in mir hinderte mich daran. Es waren meine Gefühle ihm gegenüber. Ich musste es meinem Zirkel erzählen, doch erst, wenn wir alle beisammen waren. Samuel versicherte sich noch einmal, ob bei uns alles okay sei, und verschwand gegen Nachmittag.

Mer legte sich in ihrem Zimmer hin und in der Zeit wollte ich mich auch in meines zurückziehen.

Da wir uns öfters hier aufhielten und es genügend Räume im oberen Geschoss gab, hatten wir beschlossen, dass jeder seinen eigenen Raum bekommen sollte. Zum Glück hatte ich nicht nur die zwei Häuser geerbt, sondern auch obendrein ausreichend Geld, das es uns ermöglichte, all das hier zu finanzieren.

Für mich war es eine ideelle Investition, denn ich mochte es, meine Freunde um mich zu haben. Und deshalb war es mir nicht wichtig, wie viel Geld ich in Möbel und Essen für alle investierte.

Levi und Cora teilten sich ein Zimmer. Dafür bekamen sie das größte von allen. Ich war diejenige, die hier in der Hütte am meisten Zeit verbrachte, denn es fühlte sich schwer nach einem richtigen Zuhause an. In das Stadthaus ging ich nur, wenn ich Alistair dabeihatte, aber sonst war ich lieber hier und hatte meine Ruhe.

Wortwörtlich, denn hier gab es kaum Netz. Außerdem wartete niemand im anderen Haus auf mich. Meine gesamte Familie war tot. Beinahe zumindest. Am Leben war nur noch eine Person, die mein Blut teilte. Diese mied ich aber aus gutem Grund. Schnell verdrängte ich den Gedanken daran.

Eine Bewegung am Fensterbrett zog meine Aufmerksamkeit auf sich, als ich mein Zimmer betrat. Es war Rufus. Mein pechschwarzer Kater rekelte sich und betrachtete mich aus zu Schlitzen verengten Augen. Dabei klimperte die dünne Silberkette mit dem hellblauen Stein, die er um den Hals trug. Im ersten Moment hatte ich sie nicht gesehen, da sie in seinem dichten Fell vergraben war.

»Warum bist du denn hier? Ich dachte, ich hätte meine Ruhe vor euch Junghexen«, erklang die erstaunlich tiefe Stimme des Katers. Ich wiederhole, mein Zimmer. Wie schon gesagt, definitiv verzogener Kater. Doch er schenkte mir ein kleines Lächeln, das für jeden anderen eher nach einem Zähneblecken aussah. Seine Laune war etwas Alltägliches und es erinnerte mich daran, dass sich nicht alles verändert hatte. Mich überkam eine Welle der Erleichterung.

»Frag nicht, Rufus, alles viel zu kompliziert.«

Entkräftet ließ ich mich der Länge nach auf das rosa bezogene Bett fallen und schaffte es nicht einmal mehr, meine Lichterketten anzumachen, die ich so liebte. Der Duft des Weichspülers stieg in meine Nase. Er weckte in mir Erinnerungen an meine Mutter. Sie hatte immer den gleichen Weichspüler verwendet und die Wäsche duftete so herrlich nach ihm.

»Du weißt, ich mag komplizierte Dinge. Wenn es genauso amüsant wird wie das erste Date mit deinem Hübschling, dann möchte ich es unbedingt hören, Jungblut.«

Oh, bitte keine weiteren Erinnerungen an ihn. Selbst wenn meine Gedanken geordnet und wieder einigermaßen klar wirkten, so war ich trotzdem nicht auf die Emotionen vorbereitet, die mit Erinnerungen an ihn verbunden waren. Denn genau genommen konnte man sich nicht darauf vorbereiten. Sie kamen in kleinen Wellen, oder aber auch oft genug als gewaltige Hurrikans über einen. Und gerade in diesem Moment war ich für keines von beidem bereit.

»Ich erzähle es dir ein andermal«, flüsterte ich.

Daraufhin hörte ich nur, wie er mit einem motzendem Schnauben aus meinem Zimmer stolzierte. Toll, jetzt hatte ich auch noch einen alten beleidigten Kater an der Backe.

4

Alistair

Der Spind gab ein Scheppern von sich, als ich mich mit der Schulter dagegenlehnte. Ich wartete auf Cat. Mir war es völlig egal, wer das mitbekam, aber ich musste mit ihr reden. Mein Kopf ließ mir keine Ruhe, ich wollte einfach nur verstehen. Begreifen.

Ich hatte keinen Schlaf gefunden und quälte mich dauernd mit unzähligen Fragen, auf die ich keine Antworten kannte. Eine Erklärung, irgendwas.