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Die Abenteuer der "Woodwalkers" gehen weiter! In der zweiten Staffel der Bestsellerreihe von Katja Brandis warten größere Herausforderungen als je zuvor auf Puma-Wandler Carag, Wolfsmädchen Tikaani und ihre Freundinnen und Freunde von der Clearwater High. Die Sommerferien stehen bevor, doch das Leben von Pumajunge Carag ist turbulenter denn je. Noch immer prahlen die Mitglieder des Fabeltier-Clubs rund um den Ziegen-Wandler Diablo in den sozialen Medien mit ihren Verwandlungen und gefährden damit das Geheimnis der Woodwalker. Carag soll die Fabeltiere zur Vernunft bringen, denn sie planen ein großes Treffen mit Live-Performances in Florida. Kann er sie dort noch stoppen, bevor die "Wahrheitssucher" Wind von diesem Treffen bekommen? Und was wird aus ihm und Tikaani? Während das Wolfsmädchen ein Praktikum im Krankenhaus macht, kundschaftet Carag mit seiner Schwester Mia und seinen Eltern ein nahegelegenes Naturschutzgebiet aus, in dem Bäume für eine neue Pipeline gerodet werden sollen. Carag muss kämpfen ? für das Revier seiner Vorfahren, die Gemeinschaft der Wandler und seine Zukunft mit Tikaani. Hier kommen Tierfantasy-Fans ab 10 Jahren voll auf ihre Kosten: Spannende Gestaltwandler-Charaktere und mitreißende Abenteuer in der Natur machen jeden Band zum garantierten Lesespaß. Die Illustrationen im einzigartigen Stil von Claudia Carls setzen die Geschichten perfekt in Szene. Die Woodwalkers- und Seawalkers-Bände erscheinen halbjährlich. Bisher erschienen sind: Woodwalkers ? Die Rückkehr (Staffel 2) Woodwalkers ? Die Rückkehr (1). Das Vermächtnis der Wandler Woodwalkers ? Die Rückkehr (2). Herr der Gestalten Woodwalkers ? Die Rückkehr (3). Das Grollen der Löwin Woodwalkers ? Die Rückkehr (4). Der Club der Fabeltiere Weitere Bände in Planung Woodwalkers (Staffel 1) Woodwalkers (1). Carags Verwandlung Woodwalkers (2). Gefährliche Freundschaft Woodwalkers (3). Hollys Geheimnis Woodwalkers (4). Fremde Wildnis Woodwalkers (5). Feindliche Spuren Woodwalkers (6). Tag der Rache Woodwalkers Special Woodwalkers & Friends. Katzige Gefährten Woodwalkers & Friends. Zwölf Geheimnisse Woodwalkers & Friends. Wilder Kater, weite Welt Seawalkers Seawalkers (1). Gefährliche Gestalten Seawalkers (2). Rettung für Shari Seawalkers (3). Wilde Wellen Seawalkers (4). Ein Riese des Meeres Seawalkers (5). Filmstars unter Wasser Seawalkers (6). Im Visier der Python Seawalkers Special Seawalkers & Friends. Dreizehn Wellen
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Bücher von Katja Brandis im Arena Verlag:
Woodwalkers. Carags Verwandlung
Woodwalkers. Gefährliche Freundschaft
Woodwalkers. Hollys Geheimnis
Woodwalkers. Fremde Wildnis
Woodwalkers. Feindliche Spuren
Woodwalkers. Tag der Rache
Woodwalkers – Die Rückkehr.
Das Vermächtnis der Wandler
Woodwalkers – Die Rückkehr.
Herr der Gestalten
Woodwalkers – Die Rückkehr.
Das Grollen der Löwin
Woodwalkers – Die Rückkehr.
Der Club der Fabeltiere
Woodwalkersand Friends.
Katzige Gefährten
Woodwalkersand Friends.
Zwölf Geheimnisse
Woodwalkersand Friends.
Wilder Kater, weite Welt
Seawalkers. Gefährliche Gestalten
Seawalkers. Rettung für Shari
Seawalkers. Wilde Wellen
Seawalkers. Ein Riese des Meeres
Seawalkers. Filmstars unter Wasser
Seawalkers. Im Visier der Python
Seawalkersand Friends.
Dreizehn Wellen
Der Fuchs von Aramir
Die Jaguargöttin
Der Panthergott
Khyona. Im Bann des Silberfalken
Khyona. Die Macht der Eisdrachen
Gepardensommer
Koalaträume
Delfinteam. Abtauchen ins Abenteuer
Delfinteam. Der Sog des
Bermudadreiecks
Delfinteam. Ritt auf der Brandung
Katja Brandis, Jahrgang 1970, hat Amerikanistik, Anglistik und Germanistik studiert und als Journalistin gearbeitet. Schon in der Schule liehen sich viele Mitschüler ihre Manuskripte aus, wenn sie neuen Lesestoff brauchten. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Jugendliche veröffentlicht, zum Beispiel Khyona, Gepardensommer, Die Jaguargöttin oder Ruf der Tiefe. Bei der Recherche für Woodwalkers im Yellowstone-Nationalpark lernte sie eine Menge Bisons persönlich kennen, stolperte beinahe über einen schlafenden Elch und durfte einen jungen Schwarzbären mit der Flasche füttern. Sie lebt mit Mann, Sohn und zwei Katzen in der Nähe von München.
www.woodwalkers.de | www.seawalkers.de
Für Hedi
Ein Verlag in der Westermann Gruppe
1. Auflage 2024
© 2024 Arena Verlag GmbH
Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg
Alle Rechte vorbehalten
Dieses Werk wurde vermittelt durch dieAutoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler (München).
Cover und Innenillustrationen: Claudia Carls
E-Book ISBN 978-3-401-81088-1
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Das war ein sehr aufregendes Schuljahr bisher! Ich habe meine ersten Aufträge für den Rat bewältigt, mich mit dem Club der Fabeltiere herumgeschlagen und mit den miesen »Wahrheitssuchern«, die glauben, dass es Wandler gibt, aber leider denken, dass wir Feinde der Menschen sind. Zum Glück haben meine Freunde und ich die Prüfung geschafft und dürfen vorrücken ins dritte Schuljahr an der ClearwaterHigh. Doch leider ist Tikaani gerade sauer auf mich, weil ich sie vernachlässigt habe, und außerdem ist diese Pythonfrau aus Florida, LydiaLennox, nun Mitglied des Woodwalker-Rates! Beides gar nicht gut. Wenigstens ist das alte Cherokee-Buch mit dem gefährlichen Geheimwissen nach wie vor verschollen …
Er war so furchtbar schwach. Seit die Löwenfrau die Formel aus diesem alten Buch an ihm erprobt und seine Lebenskraft gestohlen hatte, war nicht mehr viel von ihm übrig. Tag und Nacht dämmerte er in seiner Pumagestalt vor sich hin. Manchmal fiel es ihm nicht leicht, zwischen Traum und Wirklichkeit zu unterscheiden.
Doch als er sah, wie dieser Mann von Mitte vierzig sein Gefängnisgehege betrat und den Arztkoffer auf dem Boden absetzte, wusste er sofort, dass dies wirklich passierte. Und obwohl er den Mann seit Jahren nicht gesehen hatte, erkannte er ihn sofort.
Elijah?, fragte er ungläubig und versuchte, sich aufzurichten. Es klappte mit Müh und Not. Drei bewaffnete Wachen beobachteten es argwöhnisch.
»Ja, ich bin’s.« Unglaublich, er war es. Ein Puma-Wandler so wie er, momentan in seiner menschlichen Gestalt als kräftiger Mann mit halblangen dunkelblonden Haaren, Bart und einer etwas knolligen Nase. »Hallo, Andrew. Lange nicht gesehen.«
Ja, brachte Andrew irgendwie heraus. Und jetzt spazierst du einfach hier herein?
Nun wechselte auch Elijah zur Gedankensprache über. Einfach? Du machst wohl Witze. Einfach war es nicht gerade, hier reinzukommen. Nur weil ich Arzt bin und mit dir ziemlich vieles nicht stimmt, hat es überhaupt geklappt. Er packte ein Stethoskop aus und noch ein paar Instrumente.
Warum bist du hier?, fragte Andrew, noch immer fassungslos. Früher waren sie beste Freunde gewesen, hatten beide versucht, Naturfilmer zu werden … was nur einer von ihnen geschafft hatte. Dann waren Andrews Frau und seine Tochter erschossen worden – und Elijah hatte den Kontakt einschlafen lassen. Ausgerechnet, als Andrew ihn am dringendsten gebraucht hatte. Du willst mich doch nicht etwa heilen?
»Ich weiß nicht, ob ich ihm helfen kann«, sagte Elijah zu den Wachen. »Das, was er hat, ist keine gewöhnliche Krankheit.«
»Das wissen wir.« Sein Bewacher klang schroff. »Tun Sie, was Sie können, okay?«
»Okay.«
Wieso bist du hier?, wiederholte Andrew, diesmal schärfer.
Elijah begann, ihn zu untersuchen, und flüsterte gleichzeitig in seinen Kopf: Ich arbeite inzwischen am Krankenhaus in JacksonHole. Dort hat neulich jemand deinen Namen erwähnt; ein junger Puma-Wandler namens Carag. Seither hat es mich wieder gequält … dass ich dich damals im Stich gelassen habe.
Genau, das hast du – und das haben Carag und seine miesen Freunde auch, knurrte Andrew und streckte seine Sinne nach Elijah aus. Der fühlte sich zwar nach Wandler an, doch seine Pumawitterung war kaum vorhanden. Wahrscheinlich hatte sich sein ehemaliger Freund schon lange nicht mehr verwandelt.
Elijah hielt kurz inne, um ihm in die Augen zu blicken. Ich wollte mich schon vor Jahren entschuldigen. Dafür, dass ich nicht stark genug war, deine Trauer auszuhalten. Es tut mir leid, Andrew. Wahrscheinlich willst du trotzdem nichts mehr mit mir zu tun haben, das könnte ich verstehen …
Mit allem hatte AndrewMilling gerechnet, aber nicht mit dem. Hier im Gefängnis des Rates einen Freund wiederzufinden, wie es in seinem Leben keinen zweiten gegeben hatte. Ein rauer Atemzug hob seine Brust und er spürte, wie Luft in ihn hineinströmte, frische, belebende Luft. Ich verzeihe dir.
Nun senkte der Arzt den Kopf. Sicher sah keine der Wachen, dass seine Augen feucht geworden waren. Du hast so viel durchgemacht. Was kann ich für dich tun? Dich zu befreien, schaffe ich nicht, das haben andere schon versucht.
AndrewMilling horchte in sich hinein. Lange nachdenken musste er nicht. Lass uns reden, sagte er. Über das, was wir noch nie jemandem gesagt haben. Über unsere finstersten Geheimnisse.
Und wenn ich das nicht aushalte?
Dann ist das dein Problem, Elijah.
Sein alter Freund ElijahMcAlister holte tief Luft. So soll es sein, sagte er nur und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Sieh an, dieser räudige, alte Verbrecher ist schon viel munterer«, sagte eine der Wachen – eine Frau – und tippte Andrews Hinterpranke mit dem Fuß an. »Was haben Sie mit ihm gemacht, Doc? Ihm erzählt, dass er bald wieder die Weltherrschaft antreten und die Menschen vernichten kann?« Sie lachte.
»Nein«, sagte Elijah nur und musterte die Wache mit durchdringendem Blick. »Ich werde jetzt gehen. Aber morgen und die Tage darauf komme ich wieder. Sorgen Sie dafür, dass niemand mir den Einlass verwehrt.«
Dann war er weg und Andrew konnte nur hoffen, dass sein alter Freund nicht doch nur ein Traumbild gewesen war.
Es ist so katzig, dass wir bald Ferien haben, verkündete meine Pumaschwester Mia an einem sonnigen Frühlingsnachmittag und versetzte mir einen spielerischen Prankenschlag. Früher hatte ich nie Ferien, ganz schön gemein, oder?
Was meinst du damit? Ich duckte mich unter ihrem Schlag weg. Als du noch nicht in die Schule gegangen bist, konntest du doch den ganzen Tag machen, was du willst … das ganze Jahr über!
Ja, aber darüber freut man sich nicht so wie über Ferien. Mia rannte mit großen Sätzen voran, sprang auf einen Felsen und hielt genüsslich die Schnauze in die Sonne. Wir werden eine so tolle Zeit mit Mom und Pa in den Bergen haben!
Ja, ich freute mich auch. Noch eine Woche Schule, dann konnte ich endlich mehr Zeit mit meiner Mutter verbringen, wieder wild als Raubkatze durch die Berge streifen. Konnte bis Ende August vergessen, dass es Dinge wie Mathe, Physik und Musikunterricht gab. Allerdings warteten auch gefährliche Einsätze auf mich – ich hatte dem Rat versprochen, dass ich in Florida versuchen würde, den Club der Fabeltiere aufzuhalten. Sonst konnte es sein, dass diese Wandler, die unbedingt berühmt werden und mit ihren tollen Gestalten angeben wollten, das Geheimnis der Woodwalker verrieten. Das wäre gefährlich für uns alle, weil die »Wahrheitssucher« ja vorhatten, uns zu enttarnen und zu bekämpfen.
Mia rief: Los, wer am schnellsten ganz oben auf diesem Baum ist! Schon kletterte sie die nächstbeste Kiefer hoch – mit so viel Energie, dass der ganze Baum schwankte und Kiefernnadeln mir auf den Kopf rieselten.
Nee, sagte ich und schüttelte den Kopf, sodass die Dinger überall hinflogen. Ich hab noch was vor. Etwas Wichtiges.
Von oben spähte das hellbraun-cremefarbene Gesicht meiner Schwester auf mich herab. Was denn?
Tikaani zurückgewinnen, sagte ich … und rannte los.
Sie hatte gesagt, dass sie eine »Beziehungspause« brauchte, und was auch immer das genau heißen sollte, etwas Gutes war es auf keinen Fall. Wir hatten uns schon seit einer Woche nicht mehr geküsst! Meine Polarwolffreundin ging mir aus dem Weg und hatte gesagt, es sei besser, wenn wir uns in nächster Zeit nicht so oft sehen. Als ich eingewandt hatte, dass wir uns fast jeden Tag im Klassenzimmer begegnen würden, hatte sie nur gesagt: »Du weißt schon, was ich meine.«
Das ging gar nicht – ich liebte diese Wölfin, ohne sie kam mir mein Leben vor wie ein Rieseneimer voll verdorbenem Pfannkuchenteig (von dem verstand ich was seit unserer letzten Prüfung). Holly hatte mir versprochen, dass sie jede Menge Ideen dafür hatte, wie es wieder klappen würde zwischen Tikaani und mir. Heute wollte sie sie mir endlich verraten.
Ich fand meine Freunde auf der Lichtung, wo sie gerade dabei waren, unser Baumhaus auseinanderzunehmen. Oder so hörte es sich jedenfalls an.
»Da bist du ja endlich!«, meinte Holly und hieb hoch über mir auf ein Kissen ein, sodass es Dreckkrümel auf mich herabregnete. Ich musste niesen.
Was heißt »endlich«? Wieso habt ihr schon ohne mich angefangen mit dem Aufräumen?, fragte ich und bekam dafür eine Decke über den Kopf geworfen.
»Fang!«, rief Brandon ein bisschen zu spät. »Die muss dringend in die Wäsche. Da sind ungefähr tausend Katzenhaare dran!«
Tja, komisch, warum nur?, gab ich zurück, packte die Decke mit den Zähnen und schleifte sie in Richtung Schule. Jetzt war es ja egal, wenn sie noch dreckiger wurde.
Dann fuhr ich die Krallen aus, kletterte am Stamm des Baumes hoch, der unseren Treffpunkt trug, verwandelte mich und zog mich an, damit ich besser mithelfen konnte. Oben wischte Dorian (der für mindestens die Hälfte der Katzenhaare verantwortlich war) gerade an den Fenstern herum und nickte mir zur Begrüßung zu. Brandon hielt sich gar nicht lange mit einem Hallo auf, sondern drückte mir gleich einen Besen in die Hand. »Hier – raus mit den Flöhen, Chipskrümeln und Maiskörnern, die mir runtergefallen sind!«
»Flöhe springen über Besen einfach drüber«, informierte ich ihn und begann trotzdem, das Borstending zu schwingen und alles, was auf dem Boden so vor sich hin gammelte, aus der offenen Holztür zu befördern.
Dabei wirbelten auch ein paar weiße Polarwolfhaare hoch und mein Herz krampfte sich zusammen, weil ich Tikaani so vermisste. Wo war sie gerade? Dachte sie gerade an mich … oder an Escoro, den Zulu-Jungen, mit dem sie sich bei unserem Austauschbesuch angefreundet hatte?
Holly ließ die beiden Kissen fallen, die sie gerade auf den Balkon schaffen wollte, und hatte wohl vor, mir mitleidig die Wange zu tätscheln. Ich konnte gerade noch rechtzeitig ihr Handgelenk packen. »Ich bin kein krankes Pferd«, brummte ich.
»Weiß ich, aber du schautest gerade so trübsinnig drein«, meinte Holly und schenkte mir ein breites, beruhigendes Lächeln. Weil es mit dem Putzen gut voranging, verkündete meine Hörnchenfreundin kurz darauf: »So, ich glaube, die Bude ist sauber. Lagebesprechung!«
Wir warfen uns auf die weich geklopften Kissen und die frische Decke. »Also, was meinst du, wie könnte ich Tikaani …?«, begann ich ein bisschen verlegen und endlich schaute Holly nicht mehr nur geheimnisvoll drein, sondern rückte raus mit der Sprache. »Sie verarztet Leute als Schulsanitäterin, das weißt du ja. Ich habe mitbekommen, dass sie diese Woche sogar bei einer regelmäßigen Sprechstunde mitmacht!«
»Ja, und?«, fragte ich. »Ich bin kerngesund, wie die Menschen sagen, obwohl ich nicht genau weiß, mit welchen Kernen sie sich dabei vergleichen.«
»Garantiert Haselnüsse.« Holly blickte mir beschwörend in die Augen. »Checkst du es nicht, Kater? Du denkst dir einfach ein paar Krankheiten aus, gehst zu ihr und bist ihr eine Weile ganz nah! So kannst du wenigstens kurze Zeit allein mit ihr sein und sie kann nichts dagegen einwenden.«
Ich konnte nicht fassen, warum ich noch nicht selbst auf die Idee gekommen war. »Okay, das klingt gut, und was noch?«
»Mädchen lieben, wenn man für sie Gedichte schreibt«, sagte Holly. »Hast du schon mal eins geschrieben?«
»Äh, nein.« Ich fühlte mich überfordert.
»Kriegst du hin.« Holly winkte ab. »Außerdem mögen Mädchen es, wenn man ihnen ganz besondere Geschenke macht. Geschenke, die genau zu ihnen passen.«
»Das stimmt«, sagte Brandon, griff tief in eine Papiertüte und betrachtete kummervoll die letzten Maiskörner aus seinem Vorrat. »Ich habe Salomé neulich eine Politur für ihre Säbelzähne geschenkt, das kam richtig gut an.«
»Oh wow.« Dorian blickte beeindruckt drein. »Da hast du aber Glück gehabt. Sie hätte auch denken können, du findest ihre Zähne zu gelb.«
Brandon blickte entsetzt drein.
»Du hast nicht mehr alle Nüsse beisammen, Dorian«, schimpfte Holly. »Niemals würde Salomé so etwas von Brandon denken.« Mein Freund schaute zufrieden drein, bis Holly fortfuhr: »Schließlich hat er als Bison selbst ziemlich gelbe Zähne.«
»Das musst gerade du sagen mit deinen Nagerbeißerchen, die sind nicht immer ein schöner …«, begann ich und bekam ein Kissen – das mit den Blumen drauf – an den Kopf. Ich packte das karierte Teil und revanchierte mich damit. Kurz darauf war die Luft im Baumhaus voll von fliegenden Dingen, darunter einige Ersatzklamotten, die wir eben noch ordentlich zusammengelegt hatten. Brandon schleuderte seine Papiertüte, die allerdings nicht weit kam. Ich verfehlte Dorian knapp mit dem Handfeger und bekam dafür einen Wischlappen an die Stirn.
Als sie gerade kein Kissen zu fassen bekam, griff Holly zu einer Süßigkeitenpackung aus unserem Vorrat, überlegte es sich aber doch anders und warf sie nicht. Wir beendeten das Duell schnaufend und lachend zugunsten eines Snacks.
Die Idee mit den Geschenken klang irgendwie logisch und ich hatte schon eine Idee. Aber zuerst würde ich das mit dem Besuch in Tikaanis Sprechstunde ausprobieren.
Ich spähte hoch zur Sonne und schätzte die Zeit. Bald würde meine Lieblingswölfin in der Krankenstation sein. »Bis später!«, rief ich meinen Freunden zu, teilverwandelte meine Fingernägel zu Krallen und kletterte am Stamm hinunter, während Brandon noch dabei war, die Strickleiter vom Balkon nach unten zu befördern. Wie sonst sprang ich die letzten drei Meter zu Boden, doch diesmal hätte ich mir dabei beinahe den Knöchel verstaucht.
Ich holte tief Luft, ärgerte mich darüber, dass mein Herz so schnell schlug, und hinkte in Richtung Krankenstation.
Da war sie schon, die schönste Polarwölfin der Welt. In weißem T-Shirt und Jeans saß sie auf dem Arztstuhl im Krankenzimmer, in dem außer ihr niemand war – gut! Gerade sortierte sie irgendwelche Bandagen. Als sie mich sah, hellte sich ihr Gesicht auf … immerhin das!
»Hi, Carag«, sagte sie und blickte nun ernsthaft drein. Konzentriert. »Seit wann bist du krank?«
»Seit eben«, beklagte ich mich und hinkte noch ein bisschen stärker. »Ich bin vom Baumhaus gesprungen, wo wir dich übrigens vermisst haben und wo es jetzt noch gemütlicher ist als sonst …«
Doch Tikaani hörte schon nicht mehr zu. »Lass mal sehen. Ziehst du mal die Socke aus?«
Das tat ich und freute mich sehr darüber, dass sie nun meinen Fuß nahm und untersuchte. Wie schön sich ihre Finger auf meiner Menschenhaut anfühlten. Wir waren ganz nah beieinander und mein Herz klopfte noch schneller.
»Wo tut es weh? Da? Da?«
»Ach, einfach überall«, behauptete ich und versuchte, möglichst leidend zu klingen.
»Hm, das ist komisch, weil das Gelenk überhaupt nicht geschwollen ist«, murmelte Tikaani. Sie holte ein blaues Eispack aus dem Kühlschrank. »Hier, tu das drauf, gut gekühlt ist halb gewonnen. Und spring die nächsten Tage nirgendwo herum.«
»Mach ich – danke, sehr lieb von dir«, sagte ich. Ich widerstand tapfer der Versuchung, sie zu küssen, nahm das Kühli und ging zum Ausgang.
Leider vergaß ich, dabei zu hinken.
»Carag!«, knurrte Tikaani mir hinterher. »Du hast gar nichts, stimmt’s?«
»Doch«, sagte ich und seufzte. »Ich vermisse dich so sehr, dass es wehtut!«
»Auch im Fuß?« Tikaani klang skeptisch.
»Weiter oben noch viel mehr«, musste ich zugeben und einen Moment lang schauten wir uns tief in die Augen, ich hatte das Gefühl, dass zwischen uns etwas geschah …
Doch dann steckte Leroy den Kopf durch die Tür. »Wann bin ich endlich dran? Ich habe mir einen riesigen Dorn eingetreten und Tabitha hat gesagt, ich sterbe an Blutvergiftung, wenn ich den nicht sofort …«
»Du bist genau jetzt dran. Und gute Nachrichten: Du stirbst wahrscheinlich nicht«, sagte Tikaani und schob mich zur Tür. Drei Atemzüge später stand ich wieder draußen im Flur.
Egal – ein Anfang war gemacht! Ich würde wiederkommen. Und natürlich noch Hollys andere Ideen durchprobieren. Zufällig wusste ich, dass unsere Köchin mal ein großes Tiefkühlsteak gekauft und noch nicht verwendet hatte. »Sag mal, Jamie, kann ich das der Schule abkaufen?«, fragte ich und unser Regenwurm-Aushilfskoch sagte sofort Ja.
Den Abend verbrachten wir mit Kartenspielen und damit, Ferienpläne zu schmieden – Brandon und Holly wollten im Juli mitkommen zu meinem Fabeltiereinsatz in Florida.
»Glaubst du, wir können diese Leute davon abhalten, das Geheimnis der Woodwalker zu verraten?«, fragte Brandon besorgt, aber auch ein bisschen fasziniert. »Ist wirklich eine Wandlerin mit Drachengestalt bei denen?«
»Na ja … sie kann sich aussehen lassen wie ein kleiner Drache, weil sie eine Tripel-Wandlerin aus Eidechse und Fledermaus ist«, erzählte ich und blickte meine Freunde mit gemischten Gefühlen an. »Seid ihr wirklich sicher, dass ihr mitkommen wollt? Es könnte gefährlich werden.«
»Na klar kommen wir mit«, regte sich Holly auf. »Glaubst du im Ernst, ich verpasse diese Chance, Noah wiederzusehen?« Schon seit dem Herbst war sie mit einem Seawalker-Jungen aus der BlueReefHigh zusammen, die beiden telefonierten ständig.
»Ähm, ja, und das mit dem ›gefährlich‹ ist dir egal?«, hakte ich nach.
Hollys rotbraune Haare schienen sich zu sträuben, obwohl sie gerade in Menschengestalt war. »Ich hasse diese hohlen Nüsse jetzt schon! Nur um ganz viele Klicks zu kriegen, wollen sie uns alle bloßstellen? Du wirst schon sehen, wir halten die auf und die Gefahr ist mir schnurzkackegal!«
Das beruhigte mich enorm. Auf meine Freunde konnte ich mich verlassen, immer und überall. »Klingt gut. Bis morgen – möge der Mond für euch leuchten«, sagte ich, schlich mich in die Küche und schnappte mir das Steak. Es war schön hart gefroren und mit Brandons Taschenmesser war es nicht weiter schwer, es in eine Herzform zu schnitzen. Ich schob es unter dem ziemlich breiten Türspalt von Tikaanis und Bertas Zimmer durch, als die beiden schliefen. Es war ein äußerst schmackhaftes Geschenk – ich musste mich sehr beherrschen, um es nicht zu probieren – und würde ihr Herz bestimmt zum Schmelzen bringen!
»Bin gespannt, wie Tikaani das Steakherz findet, das ich ihr geschenkt habe«, sagte ich beim Frühstück zu meinen Freunden.
»Oh, wie romantisch!«, schwärmte Holly.
»Du hast was?«, fragte Dorian.
Ich hatte keine Zeit für eine Antwort. Dort kam schon Tikaani, sie setzte sich an den Tisch mit unseren Wolfs-Wandlern und wurde von Jeffrey und den anderen fröhlich begrüßt. »Heute früh war auf dem Boden unseres Zimmers so ein komischer Fleck – sah fast aus wie Blut«, hörte ich sie erzählen. »Wisst ihr was drüber?«
Hä? Moment mal?
»Da lag heute früh ein Stück Fleisch … es hatte eine seltsame Form, war aber echt lecker«, mischte sich Berta beim Vorbeigehen ein.
Ich sackte auf meinem Stuhl zusammen. Bären waren einfach immer hungrig, daran hätte ich denken sollten! Dabei hatte ich mir so gewünscht, dass Tikaani sich freute und an mich dachte.
Meine Freunde warfen mir mitleidige Blicke zu. »Du könntest heute mit den Gedichten anfangen, die wirken garantiert«, versuchte Holly, mich aufzuheitern. »Und morgen hält Tikaani schon wieder eine Sprechstunde!«
In Biologie verriet uns MissClearwater etwas über die Fächer, die wir im dritten Schuljahr haben würden. »Umweltschutz, Fährtenlesen und Wirtschaft kommen dazu«, berichtete sie. »Ihr werdet …«
»Fährtenlesen? Cool. Einfacher hab ich nie ’ne Eins bekommen«, freute sich Jeffrey und auch die anderen Wölfe sahen sehr zufrieden aus.
»Seit wann dürft ihr eure Lehrkräfte unterbrechen?« LissaClearwater warf ihm einen düsteren Blick zu. »In Umweltschutz werden wir praktische Übungen und Theorie mischen.«
»Tun wir in Umweltschutz auch etwas gegen diese Pipeline, die nördlich von uns durch den State Forest führen soll?« Lous ganzer Körper war angespannt.
»Auf jeden Fall, die ist ein ernstes Problem.« Die Lippen unserer Schulleiterin waren schmal geworden. »In einem State Forest dürfen die Leute zwar ihre Freizeit verbringen und sogar zu bestimmten Jahreszeiten jagen und der Staat darf auch Bäume fällen lassen, um das Gebiet zu ›pflegen‹. Aber es ist eigentlich verboten, die Natur dort zu verschandeln und auszubeuten.« Sie zeigte uns auf der Karte, um welchen Wald es ging. »Wenn die Pipeline trotzdem gebaut wird, dann wird …«
»Was? Dort?« Ich war fassungslos und vergaß einen Moment lang sogar meinen Liebeskummer. »Das kenne ich! Meine Großeltern Snowtracker und Atiina haben dort gelebt. Es ist ein gutes Revier mit klarem Wasser, vielen Bäumen und jeder Menge Tiere.«
»Bald wohl nicht mehr mit so vielen Bäumen«, sagte Berta traurig und praktisch jeder in der Klasse begann, aufgeregt mit seinen Nachbarn zu diskutieren. Nur ich war stumm vor Schock – mein Vater würde außer sich sein, wenn er diese Neuigkeiten erfuhr.
MissClearwater hob die Hand, um uns zu bremsen. »Ich habe schon förmliche Beschwerde eingelegt bei den Behörden. Um so was zu verhindern, gibt es schließlich Gesetze.«
»Aber das reicht nicht!«, rief Cookie. »Wir müssen diese Pipeline verhindern … irgendwie! Wissen die Leute überhaupt, was dort passiert?«
»Nein, noch haben viele nicht davon gehört, glaube ich.« Lous Mund war verkniffen.
»Wisst ihr, was? Ich fliege nachher gleich mal vorbei und schaue mir selbst an, wo die Pipeline verlaufen würde«, versprach uns LissaClearwater.
»Wer steht denn dahinter? Hinter dieser Pipeline?«, fragte Jeffrey wütend.
»Ein Rohstoffunternehmen«, erklärte ihm Lou. »Eins, dessen Namen ich bisher gar nicht kannte. Aber sie scheinen schon echt viel Einfluss zu haben.«
MissClearwater nickte. »Eine noch ziemlich neue Firma. Sie hat leider Projekte weltweit, die der Natur schaden und sie ausbeuten. Der Rat versucht, mehr darüber rauszufinden und über seine Kontakte in die Politik ihre Projekte zu verhindern, aber es ist leider nicht einfach. So, und jetzt viel Spaß bei Geschichte und Geografie.«
An diesem Tag fanden wir einen neuen Spruch in Lous schöner Handschrift auf der Tafel in unserer Cafeteria:
Die Natur spricht zu denen, die zuhören.
Nachdenklich betrachtete ich den Spruch und beschloss, den Menschen dabei zu helfen zuzuhören. So oft und so gut wir es eben schafften.
Die meisten Lehrer machten nicht mehr viel Unterricht vor den Ferien und MrBrighteye war keine Ausnahme. »Wir schauen heute einen Film«, verkündete er. »Ich habe euch Der mit dem Wolf tanzt mitgebracht, darin erfahrt ihr viel über den amerikanischen Bürgerkrieg und wie der Westen vor hundertfünfzig Jahren aussah.«
Nell, Brandon und ich seufzten gleichzeitig. »Wir haben schon in Biologie, Verwandlung und Sei dein Tier Filme geschaut«, gab ich zu bedenken. Früher in den Bergen hätte ich nicht mal gewusst, was ein Film war, und jetzt saß ich hier drin und musste mehrmals am Tag auf einen Bildschirm starren!
»Also der über betrunkene Tiere war sehr lustig«, meinte Frankie, unser Otter. »Ich hätte nicht gedacht, dass sich Delfine durch die Stoffe, die in Kugelfischen enthalten sind, einen ansäuseln! Aber haben Sie mal rausgeschaut?« Vorwurfsvoll zeigte er durchs Fenster auf die Lichtung, die in strahlendem Frühlingssonnenlicht gebadet war.
»Genau, das hier ist nicht artgerecht«, beschwerte sich Holly. Sehnsüchtig blickte auch ich nach draußen und warf dann einen verstohlenen Seitenblick auf Tikaani. Beim großen Wald, was hätte ich dafür gegeben, wenn sie liebevoll zurückgeschaut hätte. Und ja, gerade wandte sie den Kopf in meine Richtung … und drehte ihn dann wieder zurück, als Cliff zu sprechen begann. »Wir könnten stattdessen mit den anderen Spurenlesen üben«, schlug er vor. »Wetten, Nimble, Lou und Henry wissen nicht mal, wie eine Dachsspur aussieht?«
Henry kreuzte die Arme vor der Brust. »Kann ich was dafür, dass ich als Mensch aufgewachsen bin?«
BillBrighteye zu überzeugen, war nicht gerade schwer. Fünf Minuten später war meine Klasse draußen und tollte in zweiter Gestalt über die Pausenlichtung. Ich genoss meine Pumagestalt und schleckte mein etwas zerzaustes Fell in Form, kurz bevor Holly auf mir herumturnte und alles wieder durcheinanderbrachte. Unsere Maus-Wandlerin Nell reiste in Cliffs Halsfell, damit sie mit uns Schritt halten konnte.
Schaut mal, welche Spuren ihr am Fluss so findet, kommandierte MrBrighteye und gehorsam senkten wir die Nase auf den Boden, was bei Henry-dem-Frosch sehr lustig und ziemlich vergeblich aussah.
Haha, stellt euch vor, wir finden versehentlich das alte Buch mit den Verwandlungsformeln, weil die Youngblood es in der Nähe versteckt hat. Shadow flog kreuz und quer durch die Gegend, kehrte aber immer wieder zu seinem Freund Frankie zurück. Der folgte gerade einer Hasenfährte (sie war nur ein paar Minuten alt und stammte von Nimble).
Das ist nicht witzig, fuhr ich unseren Rabenjungen an. Dieses alte Buch ist gefährlich, ich hoffe einfach nur, dass niemand es findet! Hast du vergessen, was für Formeln darin stehen?
Na, na, so reizbar bist du doch sonst nicht, Carag, sagte Shadows Schwester und landete auf dem haarigen Wolfsrücken ihres Freundes Jeffrey.
Ein Cherokee-Schamane hatte dieses Buch im 19. Jahrhundert geschrieben, aus Angst, wichtige Informationen über die Wandler-Kultur könnten verloren gehen. Obwohl es eigentlich verboten war, solches Walkers-Wissen aufzuzeichnen. In seinem Buch standen zum Beispiel Hinweise, wie man jemandem eine zweite Gestalt geben konnte, aber auch, wie man jemandem sein Tier-Ich wegnahm. Es stand darin, wie sich die Tiergestalt ändern ließ, aber auch, wie man jemandem die Lebenskraft stahl. Dieses Wissen war jahrhundertelang verloren gewesen … bis wir es wiedergefunden hatten. Leider hatte unsere Feindin Rebecca Youngblood es in die Hände bekommen und es übersetzen lassen. Doch nach ihrem Angriff auf den Rat war es spurlos verschwunden und Rebecca Youngblood, die im Gefängnis des Rates saß, weigerte sich, auch nur ein Wort darüber zu sagen.
»Macht es dich auch so fertig, dass das Revier deiner Großeltern gerade beschädigt wird?«, fragte Tikaani und ich nickte stumm. Aber ich versuchte, es vorerst zu vergessen und irgendwie den Frühling und die Fährtensuche zu genießen.
Was meinst du damit, du hast eine Dachsfährte gefunden?, fuhr Jeffrey gerade Viola an. Das sieht doch jeder Welpe, dass hier ein Fuchs entlanggelaufen ist!
Jeffrey, wenn du nicht freundlicher mit deinen Mitschülern reden kannst, darfst du im Herbst nicht mit-helfen, Fährtensuche zu unterrichten, ermahnte ihn MrBrighteye.
Wow, er darf beim Unterrichten helfen?Leroy klang beeindruckt.
Jeffrey knurrte leise. Habe ich gesagt, dass ich das will?
Also ICH würde das schon gerne machen, meldete sich Cliff zu Wort.
Aber als wir zur Schule zurückkamen, vergaßen wir das alles wieder. Dort am Eingang lungerte nämlich ein Junge herum, der auf eine Baumlänge Entfernung nach Mensch roch!
Die Hotelsuite roch nach Reinigungsmittel und künstlichem Blumenduft. Lydia machte es sich auf der Couch bequem, warf ihre Handtasche aus Gürteltierleder auf einen Sessel und zog seufzend die etwas zu engen High Heels aus. Leider war keine Zeit dafür, eine dieser wunderbaren, alten Schwarz-Weiß-Filmkomödien zu schauen, zu shoppen oder in einem trüben Gewässer schwimmen zu gehen. Wer Wert auf Macht und Geld legte, hatte keine Zeit für lange Pausen.
Vincent Dominic Tencent war in derselben Hotelsuite dabei, mit dem Reisebügeleisen ihre Blusen zu glätten. Der schlanke, junge Mann mit dem kurz geschorenen hellblonden Haar wirkte als Mensch immer ein bisschen linkisch … erst in der Luft war er in seinem Element.
»Ab jetzt nenne ich dich nur noch Dominic«, machte sie ihm klar. »Zwei Vornamen sind einer zu viel. Was wolltest du eigentlich als Kind werden, Dominic?«
»Oh, bitte nicht fragen, MrsLennox. Zu peinlich.« Ihr Helfer verzog das Gesicht. Kurz war er abgelenkt, ach so, er hatte einen Marienkäfer auf dem Couchtisch entdeckt. Vorsichtig nahm er das Tier hoch und trug es zum Fenster, ließ es fliegen und blickte ihm einen Moment nach. Was für eine Zeitverschwendung.
»Lass mich raten.« Lydia lächelte. »Pilot? Oder Seemann? Mehr fällt mir für eine Möwe gerade nicht ein.«
»Ich wollte Rapper werden. Vielleicht, um die Leute in meiner Schule zu beeindrucken … die haben mich immer behandelt, als sei ich nicht da.« Seine Wangen färbten sich rötlich. »Aus der Rap-Karriere ist nichts geworden. Und … und Sie?« Er wusste, dass er sich gerade weit vorwagte. »Gibt’s etwas, von dem Sie schon immer geträumt haben … schon als Jungpython?«
»Haha, ja, natürlich, Tagträume waren meine einzige Möglichkeit, aus diesem miesen Leben zu fliehen.«
Dominic wartete und ließ das Bügeleisen sorgfältig über ihre Dior-Bluse gleiten, es war die aus pfirsichfarbener Seide.
»Für mein Ziel hätte mich damals jeder ausgelacht, meine Eltern am lautesten.« LydiaLennox nippte an einem Kaffee.
»Ich werde ganz sicher nicht lachen«, versprach ihr Helfer.
»Königin wollte ich werden. Oder etwas in der Art. Die Macht über alle Woodwalker in Amerika gewinnen. Oder sogar über alle Woodwalker der ganzen Welt. Ist doch schön, dass das kein Traum bleiben muss, oder?« Sie öffnete den Kalender auf ihrem Handy. »Jetzt haben wir Juni. Bis Jahresende sollte ich es eigentlich geschafft haben.«
Kein Geräusch. Fragend blickte Lydia zur Seite und sah, dass ihr treuer Mitarbeiter sie anglotzte … und gerade dabei war, der Dior-Bluse ein Brandzeichen zu verpassen. Sie runzelte die Stirn, beruhigte sich aber wieder, als er seinen Fehler erkannte und das Bügeleisen hastig entfernte. »Ich würde ja mit dir wetten«, meinte sie. »Aber mir fällt gerade kein Wetteinsatz ein, der für mich interessant wäre.«
»Wie wäre es damit? Wenn Sie es schaffen, diesen Traum noch dieses Jahr zu erfüllen, arbeite ich ein Jahr lang kostenlos für Sie!«, bot Dominic an.
»Aber du arbeitest doch sowieso schon kostenlos für mich«, wandte LydiaLennox ein. »So ein Praktikum ist Gold wert für dich.«
»Ja, natürlich. Natürlich.« Dominic senkte den Kopf über seine Arbeit. »Es ist mir eine Ehre, eine wirklich große Ehre, Sie zu unterstützen, MrsLennox.«
»Schon gut.« Lydia lächelte ihm zu. Der Junge amüsierte sie, auch wenn er manchmal etwas zu laut atmete oder sogar die Nase hochzog. Plötzlich kam ihr ein noch amüsanterer Einfall und ihr Lächeln wurde breiter. »Wie wäre es … mit deinem Leben?«
»Mit … meinem Leben?« Sie sah, dass seine Hand zitterte. »Als Wetteinsatz? Sie meinen, wenn Sie nicht noch dieses Jahr …?«
»Genau. Die Wahl der Methode bleibt natürlich dir überlassen, falls du verlierst. Was ist, glaubst du wirklich an mich oder nicht?« Sie betrachtete ihn, versuchte zu raten, ob er darauf eingehen würde.
»Ich glaube an Sie. Überall und jederzeit. Ohne Sie hätte ich meine Flügel nicht entdeckt.«
»Na dann – es gilt?«
Dominic schluckte. Die Augen des Möwen-Wandlers waren groß vor Furcht und sie sah, dass er sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Er ahnte wohl, dass es kein Scherz war.
Doch dann erwiderte er ihr Lächeln. »Ohne Sie hätte ich das vielleicht sowieso getan«, sagte er erst leise, dann fügte er lauter hinzu: »Ich wette mit Ihnen um mein Leben, dass Sie es schaffen werden, bis zum Jahresende die Macht über alle Wood-, Sea- und Windwalker in Amerika zu bekommen.«
»Guuut, mein Freund.« LydiaLennox merkte, dass ihre Stimme ein wenig zischelig wurde, und unterdrückte es sofort. Samtig sollte sie klingen, das kam bei den Leuten viel besser an. »Die Wette gilt. Ich bin stolz auf dich, Dominic.«
Dominic stellte das Bügeleisen hin und ging Richtung Bad. Erst mit langen, festen Schritten, dann immer schneller. Sie hörte Geräusche, die stark darauf hindeuteten, dass ihr Helfer gerade seinen Mageninhalt von sich gab.
Als sie den Alarmruf hörte – Da ist ein Mensch vor unserer Schule! –, fuhr sie herum, ein bisschen beschämt, weil Cliff und Jeffrey den Fremden vor ihr gewittert hatten.
Zum Glück wandte der Junge mit den schwarzen Locken ihnen den Rücken zu, sonst hätte er sich vielen verschiedenen Tieren gegenübergesehen, darunter einige mit ziemlich langen Zähnen. Er wäre möglicherweise in Panik geraten.
Los, schnell, alle großen Wandler durch den Pauseneingang ins Klassenzimmer. Dann sofort verwandeln und anziehen, befahl MrBrighteye und lief voraus, um ihnen die Tür zu öffnen. Tikaani rannte so unauffällig wie möglich hinterher.
Ein Mensch! Was macht der denn hier?Carag klang entgeistert, während er sich hinter einen Busch duckte. Leider war das Ding ziemlich klein, rechts sah man eine seiner Vorderpfoten und links ragte eine zuckende braune Schwanzspitze aus dem Gebüsch hervor. Diese Beziehungspause zwischen ihnen ging ihr wirklich an die Nieren. Aber es musste sein, sie musste sich darüber klar werden, was Carag ihr wirklich bedeutete … und sie ihm. Irgendwie süß, dass er neulich bei ihrem Dienst in der Krankenstation vorbeigekommen war.
Was der Mensch macht? Herumlungern, so wie es aussieht. Schon checkte Holly den Fremden ab, hüpfte in seiner Nähe herum und tat so, als würde sie einen Kiefernzapfen abknabbern. Bäh, der ist ja noch aus dem letzten Herbst!