Woodwalkers – Die Rückkehr (Staffel 2, Band 6). Zeit der Entscheidung - Katja Brandis - E-Book

Woodwalkers – Die Rückkehr (Staffel 2, Band 6). Zeit der Entscheidung E-Book

Katja Brandis

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Beschreibung

Der packende Abschluss der Bestsellerreihe von Katja Brandis: Im Staffelfinale von "Woodwalkers – Die Rückkehr" steht für den Puma-Wandler Carag, Wolfsmädchen Tikaani und ihre Freundinnen und Freunde von der Clearwater High alles auf dem Spiel. Für Pumajungen Carag beginnt sein drittes Schuljahr an der Clearwater High – und das hält jede Menge Herausforderungen bereit! Gemeinsam mit seinen Freunden muss sich Carag nicht nur in ganz neuen Wandlerfächern beweisen. Auch die neuen Mitschüler aus dem Club der Fabeltiere sorgen für Wirbel. Doch schlimmer noch: Außerhalb der Schule verbünden sich Carags Feinde gegen ihn. Der teuflische Ziegen-Wandler Diablo hat noch eine persönliche Rechnung mit ihm offen und die gefährliche Geschäftsfrau Lydia Lennox bringt Schritt für Schritt den Rat der Wandler unter ihre Kontrolle. Was plant sie? Auf Carag und seine Freunde wartet ihr bislang schwerster Kampf. Ob sie die mächtige Python-Wandlerin noch stoppen können? Hier kommen Tierfantasy-Fans ab 10 Jahren voll auf ihre Kosten: Spannende Gestaltwandler-Charaktere und mitreißende Abenteuer in der Natur machen jeden Band zum garantierten Lesespaß. Die Illustrationen im einzigartigen Stil von Claudia Carls setzen die Geschichten perfekt in Szene. Die Woodwalkers- und Seawalkers-Bände erscheinen halbjährlich. Bisher erschienen sind: Woodwalkers – Die Rückkehr (Staffel 2) Woodwalkers – Die Rückkehr (1). Das Vermächtnis der Wandler Woodwalkers – Die Rückkehr (2). Herr der Gestalten Woodwalkers – Die Rückkehr (3). Das Grollen der Löwin Woodwalkers – Die Rückkehr (4). Der Club der Fabeltiere Woodwalkers – Die Rückkehr (5). Rivalen im Revier Woodwalkers (Staffel 1) Woodwalkers (1). Carags Verwandlung Woodwalkers (2). Gefährliche Freundschaft Woodwalkers (3). Hollys Geheimnis Woodwalkers (4). Fremde Wildnis Woodwalkers (5). Feindliche Spuren Woodwalkers (6). Tag der Rache Woodwalkers Special Woodwalkers & Friends. Katzige Gefährten Woodwalkers & Friends. Zwölf Geheimnisse Woodwalkers & Friends. Wilder Kater, weite Welt Seawalkers Seawalkers (1). Gefährliche Gestalten Seawalkers (2). Rettung für Shari Seawalkers (3). Wilde Wellen Seawalkers (4). Ein Riese des Meeres Seawalkers (5). Filmstars unter Wasser Seawalkers (6). Im Visier der Python Seawalkers Special Seawalkers & Friends. Dreizehn Wellen Weitere Bände in Planung

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Seitenzahl: 472

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Bücher von Katja Brandis im Arena Verlag:

Woodwalkers

Carags Verwandlung

Gefährliche Freundschaft

Hollys Geheimnis

Fremde Wildnis

Feindliche Spuren

Tag der Rache

Filmausgabe: Carags Verwandlung

Woodwalkers – Die Rückkehr

Das Vermächtnis

der Wandler

Herr der Gestalten

Das Grollen der Löwin

Der Club der Fabeltiere

Rivalen im Revier

Woodwalkers & Friends

Katzige Gefährten

Zwölf Geheimnisse

Wilder Kater, weite Welt

Seawalkers & Friends

Dreizehn Wellen

Seawalkers

Gefährliche Gestalten

Rettung für Shari

Wilde Wellen

Ein Riese des Meeres

Filmstars unter Wasser

Im Visier der Python

Jugendbücher

Die Ewigen von Calliste

Der Fuchs von Aramir

Die Jaguargöttin

Der Panthergott

Khyona. Im Bann des Silberfalken

Khyona. Die Macht der Eisdrachen

Gepardensommer

Koalaträume

Der Elefantentempel

Delfinteam. Abtauchen ins

Abenteuer

Delfinteam. Der Sog des

Bermudadreiecks

Delfinteam. Ritt auf der Brandung

Katja Brandis, Jahrgang 1970, hat Amerikanistik, Anglistik und Germanistik studiert und als Journalistin gearbeitet. Schon in der Schule liehen sich viele Mitschüler ihre Manuskripte aus, wenn sie neuen Lesestoff brauchten. Inzwischen hat sie zahlreiche Romane für Jugendliche veröffentlicht, zum Beispiel Khyona, Gepardensommer, Die Jaguargöttin oder Ruf der Tiefe. Bei der Recherche für Woodwalkers im Yellowstone-Nationalpark lernte sie eine Menge Bisons persönlich kennen, stolperte beinahe über einen schlafenden Elch und durfte einen jungen Schwarzbären mit der Flasche füttern. Sie lebt mit Mann, Sohn und zwei Katzen in der Nähe von München.

www.woodwalkers.de | www.seawalkers.de

Für Hannelore

Ein Verlag in der Westermann Gruppe

1. Auflage 2025

© 2025 Arena Verlag GmbH

Rottendorfer Straße 16, 97074 Würzburg

Alle Rechte vorbehalten.

Der Verlag behält sich eine Nutzung des Werkes fürText und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Autoren- und Projektagentur Gerd F. Rumler (München). Cover und Innenillustrationen: Claudia Carls

E-Book-ISBN 978-3-401-81101-7

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Kaum zu glauben, dass ich nun schon im dritten Schuljahr der ClearwaterHigh bin. Natürlich bin ich gespannt auf die neuen Fächer und Herausforderungen, die auf uns warten. Aber ich habe auch ein bisschen Schiss davor, weil wir nach diesem Jahr an die normale Highschool wechseln müssen! Und ich mache mir Sorgen wegen unserer Feinde, besonders wegen dieser miesen Python-Wandlerin LydiaLennox – was hat sie vor? Garantiert ist auch sie hinter dem Buch mit den gefährlichen Wandlerformeln her. Was passiert, wenn dieses verdammte Ding irgendwo wieder auftaucht und die falschen Leute es in die Hände oder Pfoten bekommen?

Prolog

Kimberley

Vor ihrem Fenster ging die Sonne unter, und zwar so richtig. Das kitschige Rot-Gelb-Orange war über den Himmel geschmiert, als hätte sich ihr jüngerer Bruder mit Fingerfarben ausgetobt. Teilnahmslos starrte Kimberley nach draußen. Jemand hatte ihren Magen gegen einen Sack voll Steine ausgetauscht. Wer hätte ahnen können, dass das geheime alte Buch dieses Cherokee-Schamanen auf der Farm ihrer Käuzchen-Freundin Ava versteckt gewesen war? Und warum hatte es von allen soundso vielen Milliarden Menschen auf diesem Planeten ausgerechnet Avas Großonkel Budder finden müssen? In den letzten zwei Wochen hatte er Avas Geschwister und sie herumkommandiert, schuften lassen und mit seinem Geiz abgenervt. Der dachte doch nur ans große Geld, das ihm jetzt winkte!

»Ich fasse es nicht – wir waren zu fünft und trotzdem ist er mit dem Buch abgehauen«, sagte Ava. Als zierliches Menschenmädchen mit großen dunklen Augen saß sie auf ihrem Bett. »Wir haben so was von versagt! Wen hast du angerufen, Kim?«

»Diesen Schneeleopardenjungen«, sagte Kimberley und atmete tief durch. Seine Stimme zu hören, hatte ihr so viel bedeutet. »Er gibt dem Rat Bescheid. Jetzt wird alles gut … bestimmt. Der Rat wird das Buch von deinem Großonkel kaufen und darüber wachen, dass es nur für gute Zwecke …«

Die Tür ging auf und sie sahen den ältesten Bruder von Ava im Türrahmen lehnen. Das braune Haar hing ihm strähnig in die Stirn und er war blass vor Erschöpfung. Sein zerknittertes Hemd war schief zugeknöpft, anscheinend hatte er sich nach seiner Verwandlung das erstbeste Kleidungsstück übergestreift. »Er ist nach Osten gefahren. Nach fünfzehn Meilen oder so konnten wir einfach nicht mehr. Meine Flügel haben sich angefühlt, als würden sie gleich abfallen.«

Ein bisschen verlegen stand Kimberley auf. Endlich war es mal ein Vorteil, dass sie in zweiter Gestalt eine Kanadagans war. »Ich fliege oft Langstrecke … und Ava nicht. Aber dafür sieht sie gut im Dunkeln. Vielleicht entdecken wir irgendwo in der Gegend den Kombi.«

»Stimmt, gute Idee.« Ava nickte grimmig.

Kimberley spürte, wie neuer Mut sich in ihr sammelte. »Bis dahin hat sich Juniper sicher wieder erholt. Und mit einem Luchs als Verstärkung …«

»Aber das Gebiet, das ihr absuchen müsstet, ist riesig«, wandte Avas ältester Bruder ein. »Von der Kreuzung in Plainville aus kann er in drei verschiedene Richtungen geflüchtet sein.«

»Oh«, entfuhr es Kimberley, dann senkte sich bleischweres Schweigen über sie und die anderen.

»Immerhin stehen nicht nur schlimme Formeln in diesem Buch, auch tolle«, versuchte Ava sie wohl zu trösten. »Wie man jemandem eine zweite Gestalt geben kann zum Beispiel … Damit könnte man so viele Leute glücklich machen.«

»Ja, aber es steht auch darin, wie man jemandem seine Tiergestalt wegnehmen kann.« Kimberley schlang die Arme um ihren Körper. »Wir müssen Budder aufhalten!«

Nun tappte auch Juniper ins Zimmer; sie war noch in ihrer Luchsgestalt. Puh, das war heftig, von diesem Auto runterzukrachen, aber ich fühle mich schon besser.

Avas jüngster Bruder blickte sie bewundernd an. »Es war total mutig, dass du auf Budders Auto gesprungen bist, um ihn aufzuhalten … du konntest ja nicht ahnen, dass er so brutal bremsen würde, dass du runterkegelst …«

Hm, ja, meinte Juniper. Gibtʼs was Neues?

Gerade als Kimberley »Nein« sagen wollte, zuckte sie zusammen, weil ihr Handy zum Leben erwacht war. »Ja, hallo?«

Sie erkannte seine Stimme sofort. Das war noch mal Tian, der Schneeleopard. Ein ehemaliger Agent und zum Glück inzwischen ihr Verbündeter. »Gerade habe ich dir ein Foto geschickt. Ist er das?«

Ungläubig starrte Kimberley auf das Bild. Es war von schräg oben aufgenommen worden und etwas pixelig, aber ziemlich eindeutig. »Das ist er! Und der Truck, ja klar … aber wie …?«

»Über Satellit«, sagte Tian, als sei das ganz selbstverständlich. »Leider hat der Kerl sein Handy nicht nur ausgeschaltet, sondern anscheinend sogar den Akku rausgenommen. Und in eurer Gegend gibtʼs keine Verkehrsüberwachungskameras. Dadurch hat es etwas gedauert, ihn zu finden.«

Juniper fauchte. Wo ist der Drecksack?!

»Eure Zielperson ist in Hays, etwa eine Autostunde entfernt, und hat dort gerade in einem Motel eingecheckt. Ein Ratsmitglied ist zufällig in der Gegend, sie hat sich schon auf den Weg gemacht. Die restliche Verstärkung braucht leider ein bisschen länger. Also, wenn ihr helfen könntet …«

Schon war Kimberley auf den Füßen, auch Ava drängte zum Ausgang und Juniper folgte ihnen mit großen Sprüngen. Zum Glück klappte Kims Verwandlung gut, schon schlug sie mit den großen Schwingen, hievte ihren Körper in die Luft. Ava flatterte neben ihr, strengte sich an, um mitzuhalten.

Es war tiefste Nacht, als sie vor dem billigen Hotel in Hays ankamen. Juniper pirschte voran, Kimberley watschelte hastig hinter ihr her und Ava behielt vom Dach aus den Überblick. Das einfache, zweistöckige Gebäude bestand aus lauter genau gleichen Zimmern, deren rotbraun gestrichene Türen nach draußen auf den Parkplatz führten. Es war wenig los, nur vor vier davon parkte ein Wagen. Es roch nach Asphalt und dem Inhalt des Aschenbechers, der vor einem der Zimmer stand.

Was jetzt?, fragte Ava in die Runde und Juniper bleckte die Zähne. Vielleicht könnten wir durchs Fenster rein und ihm das Buch abnehmen. Ich bin noch nie durch eine Scheibe gesprungen, aber irgendwann ist immer ein erstes Mal!

Kimberley näherte ihren Schnabel dem Fenster des hintersten Zimmers. Ganz schön dick, das Glas. Wahrscheinlich würdest du davon abprallen wie ein Pelzball.

Vorsichtig checkten sie von außen die 24-Stunden-Rezeption ab. Na ja, es war zumindest theoretisch eine 24-Stunden-Rezeption. An der Theke war niemand in Sicht und Juniper meldete: Ich höre im Büro jemanden schnarchen.

Achtung, jemand kommt, warnte Ava und sie zuckten zusammen. Von der Straße aus ging eine füllige Dame auf sie zu, mit einem geschmeidigen Gang, der nicht zu ihrem Alter passen wollte. Sie trug einen hellen Mantel, der ihre dunkle Haut betonte.

»Hallo, ihr Lieben! Ich schlage vor, wir klopfen einfach an«, sagte die Frau, lächelte und hob grüßend die Hand. »EdwinaLafayette. Dachs in zweiter Gestalt und Ratsmitglied schon seit einigen Jährchen.«

Danke, dass Sie so schnell gekommen sind, meinte Ava.

»Ach, ich bin sowieso gerade in Kansas, weil mein Sohn hier lebt und gerade Geburtstag hatte. Wie aufregend, dass das geheime Buch bei euch aufgetaucht ist!«

Sehr erleichtert, dass diese Frau da war, versuchte Kimberley, sich vor ihr zu verbeugen, was in ihrer Gestalt wahrscheinlich völlig lächerlich aussah. Toll, dass Sie da sind! Wir müssen schnell machen, bestimmt hat Budder schon die Lennox angerufen.

Ava hakte ein: Ja, hat er bestimmt! Die will das Buch um jeden Preis und hat enorm viel Geld dafür geboten!

»Ich weiß, aber noch ist sie nicht hier … und wir schon«, sagte MrsLafayette, hob die Nase und sog die Luft ein. Dann ging sie mit festen Schritten zu dem Zimmer, vor dem der Kombi stand. »Haltet euch bereit, für alle Fälle«, sagte sie und klopfte an.

Nein, Budder schlief nicht und anscheinend hatte er Edwinas Stimme gehört. Schon riss er die Tür auf und starrte sie aus blutunterlaufenen Augen an. Sein Overall war staubig und stank nach ungewaschenem Menschenkörper. »Wer auch immer Sie sind, Sie können sich verpissen. Was ich habe, behalte ich!«

»Wieso so feindselig?«, fragte Edwina gut gelaunt. »Ich wollte Ihnen einfach nur danken. Sie haben etwas gefunden, was wir schon seit Monaten suchen – das ist großartig!«

»Ja, hab ich«, knurrte ihr Gegenüber. »Deshalb gehörtʼs mir.«

»Natürlich gehört es Ihnen. Wie wäre es, wenn wir darauf anstoßen?« Aus der Jackentasche zog Edwina ein Fläschchen Sekt, aus ihrer Handtasche brachte sie zwei Gläser zum Vorschein. »Na, wie wärʼs?«

Budder zögerte. »Ich weiß, was Sie wollen. Sie wollen …«

»Wir können bei dem guten Schlückchen auch über den Finderlohn sprechen, wenn Sie möchten.« Edwina drückte Budder Flasche und Gläser in die Hände und kramte in ihrer Tasche herum. »Irgendwo hier habe ich die Anzahlung, Moment …«

Wie clever! Verdutzt ließ Avas Großonkel alles mit sich geschehen und zum ersten Mal schöpfte Kimberley Hoffnung. Doch dann strichen zwei Speere aus Licht über ihr Gefieder und die beiden Personen vor ihr.

Ein nicht mehr neuer, aber frisch polierter grauer SUV bog auf den Parkplatz ein, bremste hart und blieb so hinter Budders Kombi stehen, dass er ihn blockierte. »Sieh an, hier sind tatsächlich Tiere, wie diese Lady aus Florida uns schon gesagt hat«, hörte Kim aus dem offenen Beifahrerfenster. »Ey, Mann, das wird gleich spaßig!«

Nein, die Lennox war nicht hier. Niemals hätte sie so schnell herkommen können.

Aber vielleicht hatte sie das gar nicht nötig.

Gänsebraten in Kansas

Carag

Manchmal träumte ich komische Sachen. Aber von einem Schneeleoparden, der mir ins Gesicht starrte, hatte ich noch nie geträumt. Gerade wollte ich mich auf die andere Seite wälzen und meinen Kopf im Kissen vergraben, als ich hochfuhr. Ein geträumter Schneeleopard riecht nämlich nicht so durchdringend nach Katze. Der Kerl hier war echt!

Sorry, dass ich durchs Fenster reinkommen musste, aber es ist ein Notfall, sagte eine Jungenstimme in meinem Kopf.

Allmählich beruhigte sich mein rasender Puls und ich konnte wieder klar denken. Ich setzte mich im Bett auf und starrte die große weiß-grau gefleckte Katze an, die vor meinem Bett hockte. »Tian? Äh … was für ein Notfall?«

Das Buch ist in Kansas gefunden worden, aber dabei gibt es Probleme, sagte der junge Ex-Agent. Du und Tikaani, ihr wollt morgen früh zu ihrer Familie nach Norden fliegen. Mit der kleinen Maschine ihres Vaters, die gerade am Flughafen steht. Ich fürchte, wir müssen stattdessen nach Süden … und zwar sofort.

»Beim großen Gewitter!« Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen. »Woher weißt du das mit dem Losfliegen? Und bist du ganz sicher? Dass es das richtige Buch ist und nicht wieder ein Fehlalarm?«

Lass uns das gerne diskutieren, wenn wir in der Luft sind. Rastlos tappte der junge Woodwalker hin und her. Könnte eine üble Situation werden dort in Kansas, wir müssen uns beeilen.

»Der Rat …«

… weiß Bescheid. Soll ich Tikaani und ihren Vater aufwecken oder machst du das in den nächsten zehn Sekunden?

Noch einmal tief durchatmen. Kurzer Blick auf meinen Wecker, es war halb zehn Uhr abends am 13. Juli, mitten in den Ferien. Meine Menschenfamilie, meine Freunde und ich waren alle früh ins Bett gegangen, um fit zu sein für die Reise. »Ich mach das. Du kannst dich schon mal verwandeln. Nimm einfach Klamotten aus meinem Schrank.«

Meine liebste Polarwölfin schlief mit Melody im Zimmer, ihr Vater unten auf der Couch. Lautlos lief ich die Treppe zu ihr hinunter. Tikaani war sowieso noch wach und hatte die Nase in einem Roman. Oje, wie sollte ich ihr beibringen, dass wir wieder nicht zu ihrem Dorf fliegen würden? Ich küsste sie – so viel Zeit musste sein! – und signalisierte, dass ich mit ihr sprechen musste. Wir schlichen uns aus dem Zimmer, ohne meine kleine Menschenschwester aufzuwecken.

»Äh … unser Flug … mit dem klappt es leider nicht ganz wie geplant«, erklärte ich und Tikaani sah alles andere als begeistert aus. »Warum? Ich will endlich meine Verwandten und Freunde wiedersehen!«

Das war genauso unangenehm, wie ich befürchtet hatte. Zum Glück war es diesmal wirklich nicht meine Schuld. Schnell erklärte ich ihr, was der Schneeleopardenjunge berichtet hatte.

Tikaani stöhnte auf. »Dieses Buch kostet mich noch den letzten Nerv. Vertraust du diesemTian? Er hat selbst gesagt, dass er schon für alle unsere Feinde gearbeitet hat.«

»Ja, aber er hat Holly das Leben gerettet während der Abschlussprüfungen«, erinnerte ich sie. »Ohne Auftrag, ohne Belohnung, einfach so.«

»Ich glaube ja auch nicht, dass er uns in eine Falle locken würde.« Tikaani schnappte sich ihre Klamotten und begann, sie überzustreifen. »In Kansas? Wie in aller Welt kommt dieses Buch nach Kansas? Keine Sorge, du brauchst nicht zu antworten.«

Nachdem ich auch ihren Vater geweckt hatte – er setzte sich noch im Halbschlaf seine geliebte Basecap auf und murmelte etwas von Flugplänen –, sagte ich auch meiner Menschenmutter Bescheid, die zum Glück noch nicht eingeschlafen war.

»Gut, dass ich mir abgewöhnt habe, mich über deine Abenteuer zu wundern«, sagte Anna nur, folgte mir … und stutzte. »Moment mal, wer ist dieser Junge da?«

»Es ist besser für Sie, wenn Sie das nicht wissen«, sagteTian – gerade in seiner Menschengestalt mit glänzend schwarzen Haaren und ernsten Mandelaugen.

»Bin ich in einen Agententhriller geraten?«, beschwerte sich Anna, wartete unsere Antwort nicht ab und fuhr uns zum JacksonHoleAirport. Auf dem Weg dorthin musste sie mit quietschenden Bremsen anhalten, als ein Hörnchen vor uns über die Straße hüpfte. Ehrlich gesagt, sieht ein Rothörnchen aus wie das andere, aber ich hatte einen starken Verdacht, wer das war.

»Holly! Übst du hier, dich platt fahren zu lassen, oder was?«, schrie ich meiner besten Freundin aus dem Autofenster heraus zu.

Das Hörnchen rannte zum Wagen, hüpfte auf die Motorhaube und legte sich dort mit dem Bauch nach unten und ausgebreiteten Ärmchen und Beinen auf das Blech. Ooooh, schön warm! Mir war gerade langweilig, da bin ich ein bisschen durch die Gegend gelaufen. Wo fahrt ihr hin?

»Rettungsmission«, sagte Tikaani.

Wie nussig! Ich komme mit! Schon war das Hörnchen durchs Fenster geturnt und machte es sich auf meiner Schulter bequem.

»Äh, aber …«, brachte ich nur heraus.

»Egal! Wir müssen los«, drängteTian, sehr skeptisch beäugt von Holly. Wer ist denn der da?

»Dein Schneesturm-Lebensretter«, erklärte ich.

Ernsthaft?! Aber das wart doch ihr!

Tikaani schüttelte den Kopf. »Weil wir dich nicht gefunden haben, hat er dich aus der Kälte reingeholt. Hast du die Schneeleopardenspucke auf deinem Fell nicht gewittert?«

Gewittert hab ich nur Medizin. Holly putzte sich die Ohren mit den Pfötchen und vermied,Tian anzusehen. Ich habe genug Katzen in meinem Leben, herzlichen Dank.

Tian zog nur die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Während wir Holly fassungslos anstarrten, trat Anna wieder aufs Gas.

Kurz darauf saßen wir alle – genau, inklusive Hörnchen – im Flugzeug. Gib mir mal dein Handy, dann schreib ich meinen Silver-Eltern ʼne Nachricht, dass ich unterwegs bin, meinte Holly bestens gelaunt, tippte auf meinem Gerät herum und versuchte dann, sich ein Nest in meinen Haaren zu bauen.

»Das ist schön«, erwiderte ich, griff sie mir und stopfte sie in die Seitentasche des Sitzes. Währenddessen ließ Tikaanis Vater die einmotorige Maschine über die Startbahn brausen und ich spürte, wie ihre Räder den Boden verließen.

Würden wir noch rechtzeitig kommen … für was auch immer?

Kimberley

Es waren zwei große, sportlich wirkende junge Männer mit Jeansjacken und identischen Basecaps – waren sie Brüder? – und ein Mädchen, die aus dem Truck kletterten. Sie grinsten breit, aber es war kein nettes Grinsen. Außerdem konnte Kimberley wittern, dass diese drei nicht nur Benzin getankt hatten. Als der erste, der muskulösere der beiden Männer, Budder betrachtete, wurde sein Grinsen breiter. »Na, das sieht doch genau nach dem Typen aus, den wir suchen sollten. Heute ist unser Glückstag!«

»Wieso sucht ihr mich?«, krächzte Avas Großonkel und klammerte sich an sein Sektfläschchen. »Wer schickt euch?«

»Schicken? Wieso? Niemand«, behauptete der zweite Mann. Im Ausschnitt seines Hemdes konnte sie die obere Hälfte eines Spiderman-Tattoos erkennen. »Los, gib das Buch her, Alter. Dann bleiben deine Knochen heil.«

Das Mädchen – es war vielleicht siebzehn oder so – lehnte sich währenddessen entspannt gegen den Wagen, die Hände in den Taschen ihrer Jeansjacke. Sie ließ Juniper-den-Luchs nicht aus den Augen.

Fassungslos beobachtete Kimberley, was geschah. Wer auch immer diese Typen beauftragt hatte, er oder sie hatte zielsicher die örtlichen Brutalos ausfindig gemacht! Hatte Avas Verwandter nur LydiaLennox angerufen? Dann war es bestimmt sie, die dahintersteckte. Vorhin hatten die beiden ja schon verraten, dass es eine Frau aus Florida gewesen war.

MrsLafayette wirkte nicht beeindruckt von den drei Fremden. »Moment«, sagte sie, zog völlig ruhig ihr Handy hervor und schrieb anscheinend eine Nachricht. Dann blickte sie auf, nickte den Neuankömmlingen zu und begann, eine Nummer zu wählen. »Wartet ihr bitte kurz? Es gibt ein paar Leute, die euch gerne wiedersehen möchten.«

Im ersten Moment schauten ihre Feinde dämlich drein, bis sie kapierten, dass die alte Lady gerade die Polizei rief.

»He, Maddox, wollen wir die Bullen hier?«, fragte der dünnere der beiden Männer – der mit dem Spiderman-Tattoo – mit theatralischer Stimme.

»Ach, muss nicht sein«, gab sein Kumpan zurück. Bevor Kimberley irgendetwas tun konnte, schubste er MrsLafayette so heftig, dass sie mit einem Aufkeuchen zu Boden ging. Dann zertrat er ihr Handy, knirschend verabschiedete sich das Display.

Tickt ihr Typen noch ganz richtig?, schrie Juniper auf.

Budder trat erschrocken einen Schritt zurück. Dann knallte er die Tür zu und schloss die Vorhänge. Na super, der hatte sich im Hotelzimmer verschanzt und plante offensichtlich nicht, ihnen zu helfen! Und sonst war anscheinend niemand wach oder in der Gegend, der sie unterstützen konnte.

MrsLafayette, sind Sie in Ordnung?, fragte Ava erschrocken vom Dach aus.

»Ja, keine Sorge, nur eine Prellung«, kam es zurück – doch im selben Moment verkündete das Mädchen: »Ich kümmere mich schon mal um die Viecher, okay?«, und holte etwas von der offenen Ladefläche. Moment mal, das waren Käfige und große Kescher!

Mit der Ausrüstung in der Hand fixierte das Mädchen Juniper. »Das Labor braucht keine so großen Katzis. Aber ʼn paar Dollar kriegen wir für die bestimmt.«

Juniper fauchte sie an. Habt ihr gesehen, was auf ihrem Auto und ihren Caps steht? CritterGrabAnimal Control … das sind die örtlichen Tierfänger! Mit ihrem ersten Sprung war sie auf der Kühlerhaube, mit dem zweiten auf dem Flachdach des Hotels.

»Die Gans nehm ich«, verkündete der Kerl mit dem Spiderman-Tattoo. »Gibt bestimmt einen tollen Braten ab.« Er griff sich einen Kescher und nahm Kimberley ins Visier. He, Moment mal, wie bitte?

»Nein, ganz einfach nein«, sagte MrsLafayette, die sich inzwischen aufgerafft hatte. Sie ging dem Mann nach, obwohl er sicher fünfzig Jahre jünger und einen ganzen Kopf größer war als sie. Wollte sie ihn etwa mit ihrer Handtasche schlagen?

Nein, sie stieß ihm den Zeigefinger in den Rücken. Ruhig wartete sie ab, bis er sich mit finsterem Ausdruck zu ihr umgewandt hatte und auf sie herunterblickte. Dann riss sie die Hände hoch und zog ihm die Fingernägel durchs Gesicht – die sie zu Dachskrallen teilverwandelt hatte! Krallen, die dazu gemacht waren, einen Bau zu graben.

»Flieg los, Mädchen, schnell!«, kommandierte die Ratsfrau, während der Superheldenfan aufbrüllte und sich die Hände gegen die blutenden Wangen presste. Das musste doch jemand gehört haben? Wieso kam denn niemand?

Hastig watschelte Kimberley los und schlug mit den Flügeln, doch das mit dem Abheben war nicht so einfach. Dafür musste sie Anlauf nehmen, für einen Senkrechtstart war ihr Körper zu schwer.

Beeil dich, Kim!Ava klang furchtbar nervös.

Mist, wieso war sie nicht gleich geflüchtet, als dieses Auto eingetroffen war? Kimberley zischte und kniff das Mädchen mit dem Schnabel ins Bein, doch Momente später warf es ein dünnes Netz über sie. Maschen überall und Kimberley fühlte zwei ihrer Federn abknicken.

»Hab sie!« Das Mädchen klang widerlich triumphierend. »Maddox, hilf mir doch mal, die zappelt ziemlich.«

»Das haben wir gleich.« Schon packte der muskulösere der beiden Männer Kimberley am Rücken. Lautlos schrie sie auf.

Kim!Ava-der-Steinkauz flatterte um sie herum und versuchte, nach dem Fremden zu hacken. Worauf das Mädchen »Na, der ist aber niedlich!« verkündete und sie mit einem zweiten Netz aus der Luft holte. Oh Shit. Juniper spähte als Luchsweibchen besorgt, aber unentschlossen vom Dach herab. Würde sie überhaupt helfen? In der ClearwaterHigh hatten sie und Kimberley sich nicht gut verstanden.

Doch dann sagte Juniper: Sieht aus, als hätte ich keine Wahl, oder?, duckte sich und sprang vom Dach. Sie landete genau auf den Schultern von Maddox, während Mr Möchtegern-Superheld noch immer über seine zerkratzten Wangen jammerte und MrsLafayette in Schach hielt.

Mindestens tausendmal hatten sie im Kampfunterricht geübt, es mit größeren Gegnern aufzunehmen. Aber dieser hier war noch eine Nummer größer als selbst ihr Kampflehrer! Halb wütend, halb erschrocken, schlug der junge Mann um sich, als Juniper Ash wie ein beißender, kratzender Pelzdämon auf ihm herumtobte.

Lass nicht zu, dass er dich packt!, schrie Kimberley.

Noch mehr gute Tipps?, gab Juniper zurück, krallte sich in seinen Sachen fest und biss herzhaft in die Hand, die sie greifen wollte.

Zum Glück dachte das Mädchen nicht daran, Maddox zu Hilfe zu eilen. »Zu schade, dass ich das nicht filmen kann für das Video zu unserem Firmenjubiläum«, amüsierte sie sich. Dann hob sie Kimberley hoch, klemmte ihr die Flügel an den Körper, hielt ihr mit der anderen Hand den Schnabel zu und schob sie in einen Drahtkäfig. In diesen Käfigen konnten sie sich nicht zurückverwandeln, selbst wenn sie unbeobachtet waren. Dazu war der Draht zu dick, sie hätten sich schwer verletzt dabei.

»Hilfe!«, krächzte MrsLafayette – die Einzige von ihnen, die gerade in Menschengestalt war – atemlos und leider viel zu leise.

Aus dem Augenwinkel sah Kim, wie der junge Mann mit den zerkratzten Wangen sich ein weiteres Netz schnappte. Mit einer geübten Bewegung stülpte er es über die Schultern seines Kumpans und den Luchs. Während Juniper kreischend vor Wut um sich schlug, packte er sie durchs Netz hindurch mit Expertengriff am Nacken und hob sie von seinem Kumpel weg. Momente später tobte ihre Mitschülerin ebenfalls in einem Käfig. Das gibtʼs doch nicht! MrsLafayette, schreien Sie lauter!

Die alte Dame holte Luft und öffnete den Mund.

Leider legte sich im gleichen Moment eine große, breite Hand darauf.

Schadensfall

Kimberley

Der größere der beiden Kerle, jetzt wieder luchslos, hatte Ratsmitglied EdwinaLafayette von hinten gepackt. »Wir sind noch nicht quitt, Lady«, hörte Kimberley ihn knurren. »Bringen Sie diesen Kerl dazu, dass er die Zimmertür öffnet – dalli!«

Endlich geschah das, worauf Kimberley gehofft hatte. In einem der anderen Motelzimmer ging das Licht an. Yeah, jemand war misstrauisch geworden. Doch die Frau hinter dem Vorhang brüllte nur: »Ich will verdammt noch mal schlafen! Ruhe da, sonst rufe ich die Cops!«

»Entschuldigen Sie, Maʼam«, gab der Superheldenfan zurück. »Wir sind die städtischen Tierfänger. Jemand hat uns einen Luchs auf diesem Grundstück gemeldet.«

Gut gelaunt fügte das Mädchen hinzu: »Lassen Sie bloß die Tür zu, sonst erwischt der Sie. Aber keine Sorge, wir haben ihn gleich.« Grinsend versuchte sie, Juniper durchs Gitter ihres Käfigs zu kitzeln, was nicht gut ankam.

»Okay«, erklang es missgelaunt aus dem Zimmer. »Macht, was ihr wollt, aber macht es leise!«

Auch in zwei anderen Motel-Fenstern war nun Licht, doch niemand schaute heraus. Was war los mit den Leuten?!

Inzwischen ging es nicht mehr nur um das Buch, jetzt ging es um ihr Leben.

Verzweifelt stieß Kimberley den stärksten Fernruf aus, den sie schaffte. HILFE! Wenn jemand mich hört, wir brauchen hier ganz dringend Hilfe!

Keine Antwort. Kein Woodwalker war in der Nähe. Das hieß, sie war momentan nur eine Gans, nicht mehr … und Menschen rupften Gänse.

Carag

Ich hasse Flugzeuge nicht mehr. Ich kann sie nur nicht ausstehen. Das von MrBlueCloud hieß seltsamerweise »Beaver«, also Biber, und stank nach Sprit. Während ich versuchte, meinem schlecht gelaunten Magen gut zuzureden, und Tikaani meine Hand hielt (was praktisch gegen alles half), merkte ich, dass auf meinem Handy eine Nachricht aus der Unterstützerdes-Rates-Gruppe einlief.

»An alle: SOS aus Kansas BEEILT EUCH! Edwina«, las ich vor und mir wurde gleich noch ein bisschen übler.

Puh, sagte Holly beeindruckt und fuhrTian nicht ganz versehentlich mit dem Puschelschwanz durchs Gesicht. EdwinaLafayette mag ich zwar nicht, weil sie im Rat für die Lennox gestimmt hat. Aber ich will auch nicht, dass ihr und den anderen was passiert.

»MrsLafayette ist supernett«, versicherte ich ihm. »Das einzige Problem ist, dass sie der Lennox leider dankbar ist, weil die ihre Enkelin gerettet hat. Ihr wisst schon, als diese miese Löwenfrau mit ihren Leuten den Rat im Naturkundemuseum angegriffen hat.«

»Wie lange brauchen wir noch bis zum Flughafen von Hays?«, fragte Tikaani ihren Vater über die Kopfhörer-Mikros, die wir alle trugen.

»Mindestens eine halbe Stunde … und danach müssen wir noch drei Meilen bis zur Stadt laufen, habe ich auf dem Plan gesehen«, kam es zurück.

Oh, toll. Und ich hatte das dumme Gefühl, dass hier jede Minute zählte.

Nachdem wir auf dem Regionalflughafen gelandet waren und das Flugzeug abgestellt hatten, rannten wir los. Tikaani und ihr Vater waren gut in so was, aberTian und ich schwitzten schon bald. Holly nicht. Sie hockte als Hörnchen auf meinem zurzeit menschlichen Kopf und rief: Ich kenne Regenwürmer, die schneller sind als ihr! Los, los, Tempo!

Es war völlig ruhig beim Motel. Zu ruhig.

Kämpfer brauchte hier niemand. Höchstens Kaffee. Die Angestellte an der Rezeption hatte ganz kleine, verschlafene Augen, als sie uns begrüßte. »Herzlich willkommen. Wie viele Zimmer hätten Sie gerne?«

»Gar keins«, informierte ich sie. »Wir suchen einen älteren Verwandten, der erst kürzlich eingecheckt hat …«

Sie wusste sofort, von wem ich redete, und verwandelte sich von einem Moment zum nächsten in einen Kaktus. »Zimmer 15. Es gab einen Schadensfall wegen ihm.«

Das klang, als wären unsere Feinde vor uns hier gewesen. »Wieso das?«, fragte Tikaani entsetzt.

»Er hat behauptet, jemand habe seine Tür aufgebrochen und ihm etwas gestohlen, noch während er im Zimmer war.« Empörung triefte aus ihrer Stimme. »Doch es waren nur die örtlichen Tierfänger, die seine gemeingefährliche Großkatze beschlagnahmt haben.«

»Nein!«, sagte ich.

»Doch!«, sagte die Frau.

»Wo ist der Mann jetzt?«, fragte Edwin BlueCloud.

»Woher soll ich das wissen? Ich habe ihn gebeten, unser Gelände zu verlassen. Worauf er lasterhafte und unchristliche Dinge zu mir gesagt hat und behauptet hat, das ginge nicht, weil jemand die Luft aus seinen Reifen gelassen habe.«

»Wann und wo haben Sie ihn zuletzt gesehen?«, fragteTian nüchtern.

»Vor etwa zehn Minuten. Er ist die Straße entlang nach Süden ge…«

»Danke«, rief ich über die Schulter zurück, während ich und die anderen mit langen Schritten aus der Motel-Lobby stürmten.

Da ist er!, rief Holly, die sich von einem Fahnenmast aus einen Überblick verschaffte. Vor diesem Laden, der gerade geschlossen hat!

Dort war Avas Großonkel damit beschäftigt, einen Nachtfalter anzuschreien. »Du bist einer von denen, ich weiß es ganz genau! Sag diesen anderen verdammten Tiermenschen Bescheid, sie sollen mir gefälligst helfen, hier wegzukommen!«

Der Nachtfalter startete von der Wand und begann einen Tanz mit der Straßenlaterne.

»Mr Budder?«, fragteTian.

Budder fuhr herum und versuchte, ihn zu packen, doch Tian glitt unter seinem Arm hindurch. Schon stand er hinter ihm. »Sie haben eine Minute Zeit, um uns zu erklären, was mit dem Buch und unseren Freunden passiert ist. Wer hat Sie angegriffen?«

Ein Strom von Flüchen und ein »Meins, meins, es war meins!« war die einzige Antwort, die er bekam.

»Nun sind es noch vierzig Sekunden«, meinte Tian ungerührt. »Wo sind die Kerle hin?«

Der alte Farmer deutete mit bebendem Zeigefinger die Straße entlang. Zu einem Nachtcafé, in dem noch ein paar Leute plauderten. Drei von ihnen lehnten mit Bierdosen in der Hand an einem SUV, dessen Ladefläche mit einer Plane abgedeckt war. Einer von ihnen trug ein halb geschreddertes Hemd, der andere hatte tiefe Kratzer im Gesicht.

»Na, das sieht doch gut aus«, sagte Tikaani.

»Das hängt davon ab, wie man ›gut‹ definiert«, meinte Tian.

»Nur drei Leute. Wir dagegen sind zwei Wölfe, zwei Raubkatzen …«

Und ein Hörnchen!

»… ja natürlich, auch ein Hörnchen, also wo liegt das Problem?« Edwin BlueCloud klang beinahe abenteuerlustig. »Daheim jagen wir Moschusochsen, die sind ʼne Nummer größer als diese Typen.«

»Wartet ab, noch wissen wir nicht, ob das überhaupt die Richtigen sind.« Ich stieß einen Fernruf aus. Ava, Kimberley, MrsLafayette, seid ihr da?

Wir bekamen gleich zwei Antworten: eine von der Ladefläche, die hauptsächlich aus Jubel bestand. Die andere aus dem Straßengraben. Oh danke, danke, dass ihr so schnell gekommen seid! Ich musste in meiner zweiten Gestalt fliehen, konnte aber in der Nähe bleiben. Ein etwas zerschunden wirkendes Dachsweibchen kroch aus dem Graben und hinkte auf uns zu.

MrBlue Clouds Miene verfinsterte sich. »Das waren diese Kerle? Die finden gleich heraus, wie scharf unsere Zähne sind.«

»Warte, Pa«, mischte sich meine Freundin ein. »Das sind Menschen … und es sind einige andere Leute in der Gegend, die alles sehen könnten.«

»Ja und?« Schon zog Tikaanis Vater seine Weste aus und öffnete seine Schnürsenkel. »Hier in der Gegend gibtʼs doch Wölfe, oder? Ich verwandle mich schon mal.«

Nein!, schrie Holly und auch ich hatte schon begriffen, worauf es Tikaani ankam. »Sie dürfen morgen nicht herumerzählen, dass Wölfe und ein Puma sie angegriffen haben. Sonst regen sich alle möglichen Leute auf und verlangen, dass die gefährlichen Tiere abgeknallt werden …«

»… sodass unsere wilden Verwandten es büßen müssen.« MrBlueCloud richtete sich wieder auf. »Guter Punkt. Habt ihr eine Idee?«

Während wir diskutierten, hatte Tian mit seinen scharfen Augen beobachtet, was unsere Gegner taten. »Einer von ihnen trägt eine Knarre im Gürtel. Nicht gut. Kimberley, was kannst du uns zu diesen dreien sagen?«

Passt auf, sie sind gefährlich! Es sind zwei Brüder und die Freundin des jüngeren Typen. Eigentlich sollten sie das Buch möglichst bald abliefern, aber sie haben beschlossen, dass sie erst einen Drink brauchen. Also haben sie das Buch ins Führerhaus geworfen, soweit ich sehen konnte. Kimberleys Gedankenstimme klang erschöpft, aber ich spürte ihre Dankbarkeit, dass wir da waren. Sie hassen Katzen, aber sie mögen Hunde eigentlich ganz gern, einer von ihnen hat selbst zwei daheim. Außerdem sind sie hier in der Gegend als Tierfänger …

»Moment! Mir fällt gerade was ein.« Diesen grimmig entschlossenen Blick auf Tikaanis Gesicht kannte ich. »Es ist leider mal wieder Zeit, mich als Hund auszugeben. Carag, gib mir Deckung, ja?«

Kein Problem, immer gerne.

In den Eingangsbereich eines weiteren geschlossenen Geschäfts geduckt, streifte sich Tikaani Pullover und Hose ab, Momente später stand an derselben Stelle eine große Polarwölfin. Ich brauche noch irgendwas, damit ich als Hund durchgehe … Pa, gib mir dein rotes Halstuch!

Nachdem ihr Vater ihr das Ding umgeknotet hatte, hätte man Tikaani mit etwas Fantasie für einen weißen Schäferhund halten können. Wenn nicht dieser wilde Stolz in ihren mitternachtsblauen Augen gewesen wäre.

»Guck mal harmlos«, forderte ich sie auf. Meine Freundin zog die Lefzen hoch, was wohl ein Lächeln sein sollte. Dabei sah man allerdings auch ihr beeindruckendes Gebiss.

»Besser nur wedeln«, meinte ich und umarmte sie, sodass ihr Fell meine Menschennase kitzelte. »Pass auf dich auf.«

Na klar, gab Tikaani zurück. Sobald ich angefangen habe, sie abzulenken, befreit ihr die anderen, okay?

Sie trabte los.

Das war garantiert die ungewöhnlichste Befreiungsaktion in der Geschichte der ClearwaterHigh! Während wir uns in der Nähe hinter ein paar Autos geduckt hatten, lief Tikaani ganz lässig zum Café hinüber. Völlig verkrampft schaute ich zu. Was war, wenn sie sich irrte? Wenn diese Typen sich einen Spaß daraus machten, auf sie zu ballern?

»He, schaut mal.« Der muskulöse Kerl mit den kurz geschorenen blonden Haaren – derjenige, bei dem Tian die Knarre erspäht hatte – ließ seine Bierdose sinken und beobachtete Tikaani. »Na, das ist ja ein Prachtköter.«

Meine Freundin wandte ihm die Schnauze zu, betrachtete ihn kurz und wedelte. Dann schlenderte sie langsam weiter, schnupperte hier und da in der Nähe des Cafés herum. Diese Kerle stinken widerlich nach Bier, das ist eine Zumutung!, hörte ich ihre Gedankenstimme in meinem Kopf. Haltet euch bereit, ja?

»Na, hast du etwa keinen Besitzer? Bist du irgendwo abgehauen?« Mit wiegenden Schritten setzte sich der Mann in Bewegung und streckte die Handfläche nach Tikaani aus, um sie schnuppern zu lassen. »Komm mal her, du Schöne! Wow, schaut euch dieses Fell an.«

»Würde sich bestimmt gut als Bettvorleger machen«, meinte das Mädchen und ich erstarrte kurz zu einer caragförmigen Statue, bis ich merkte, dass sie nur einen Witz gemacht hatte.

»Nee, dafür hat er doch schon den Luchs«, meinte der zweite Mann, was offensichtlich nicht spaßig gemeint war und Juniper ein erschrockenes Japsen entlockte. »In deinem Zwinger ist noch Platz, oder, Maddox?«

Zwinger?! Das ist widerlich, Leute, beschwerte sich Tikaani, wedelte aber eisern weiter.

»Für so ein Schätzchen doch immer. Cuddy, los, hol eine Leine aus dem Wagen, ich probier mal, ob sie einfach so mitgeht.«

Wir nickten uns zu. Dann gaben wir uns ein lautloses Okay, mit dem Einsatz loszulegen. Während Edwina-der-Dachs und wir angespannt zuschauten, huschte Holly auf den Boden und dann hoch zur Ladefläche des SUV. Ich befreie unsere Freunde, ihr holt währenddessen das Buch, ja?

Wie praktisch, dass die Leine offenbar im Inneren des Wagens lag. Ich konnte mein Glück kaum fassen, als dieser Kerl namens Cuddy das Führerhaus offen ließ, nachdem er ausgestiegen war.

Ich berge schon mal das Buch, sagte Tian, der sich inzwischen verwandelt hatte.

Ganz plötzlich kam mein Misstrauen ihm gegenüber zurück. Hatte Holly das richtige Gespür, arbeitete er auf eigene Rechnung, ging es ihm nur um die Belohnung?

»Lass nur, ich mache das.« Hastig streifte ich mir das T-Shirt aus, fand in meine Pumagestalt hinein und kam ihm zuvor. Geschmeidig huschte ich unter den SUV, glitt dann auf den Beifahrersitz. Beim großen Gewitter, ja, das war das alte Buch des Cherokee-Schamanen, ich erkannte es sofort. Über hundert Jahre alt und wertvoller als Gold, weil es uns Dinge beibringen konnte, die wir Woodwalker lange vergessen hatten. Bald war es wieder in Sicherheit!

Alle Augen waren auf Tikaani gerichtet, die herumtänzelte und immer knapp außer Reichweite der drei Leute blieb. Deshalb bekam niemand mit, wie Holly mit ihren geschickten Pfötchen die Verriegelungen der Käfige öffnete. Yeah, hab sie offen – haut ab, los, schnell!, meldete unsere Freundin und ich spürte einen gewaltigen Schwall Dankbarkeit von Kimberley.

Etwas beruhigt, packte ich das Buch mit den Zähnen und hielt es so behutsam, wie ich konnte. Doch gerade als ich wieder aus dem SUV rausspringen wollte, spürte ich, dass etwas nicht in Ordnung war.

Renn nie weg

Carag

Noch während ich mit dem Buch in den Zähnen aus dem Wagen sprang, hörte ich einen unserer Feinde »He, Alter!« rufen (womit anscheinend nicht ich gemeint war) und den anderen »He, der Braten ist weg!« (was sich wahrscheinlich auf Kimberley bezog).

Avas Großonkel Budder stapfte, ohne nach rechts oder links zu blicken, an den beiden Kerlen und dem Mädchen vorbei und kam auf mich zu. Einen Moment lang hatte ich einen guten Blick auf seinen schmuddeligen Farmoverall, seine weit aufgerissenen Augen und das stoppelige Kinn. »Denkst wohl, du kannst den Finderlohn einstreichen, was?«, blaffte er und riss mir das Buch aus dem Maul.

Einer der Schlägertypen – Maddox – packte Budder von hinten an der Schulter und zerrte ihn zurück. »Was glaubst du, was du da tust, Ziegenhintern?« Dann sah er mich und schrie auf: »He, Leute, hier ist ʼn Puma!«

In den nächsten Sekunden ging alles wild drunter und drüber. Budder schwenkte die Arme wie ein Baum seine Äste bei starkem Wind und traf das Mädchen damit im Gesicht, bis die beiden Männer ihn in den Schwitzkasten nahmen. Das Buch klatschte auf den Boden, wo ich dranzukommen versuchte, während ich gleichzeitig in alle Richtungen Prankenschläge austeilte. Cuddy, der Kerl mit dem zerkratzten Gesicht, trat nach mir und erwischte stattdessen Kimberley-die-Gans, die nicht schnell genug geflohen war.

Tikaani stürzte sich in den Kampf und versenkte die Zähne tief in die Hand von Maddox, der versucht hatte, sie an die Leine zu nehmen. Das hier ist dafür, dass du mich »Köter« genannt hast!

»Heilige Scheiße«, fluchte der Hunde-Fan und verpasste ihr einen Hieb gegen die Schnauze.

Als Edwin BlueCloud das sah, stieg ein Knurren tief aus seinem Brustkorb auf. Statt sich wie vereinbart abseits zu halten, stampfte er auf unsere drei Feinde zu. Er sah aus, als hätte er es zur Not auch mit einem Mammutbullen aufgenommen.

Ich erschrak – hatte er vergessen, dass der Kerl bewaffnet war? Hatten beide es vergessen, er und Tikaani? Genau wie ich befürchtet hatte, zog der Kerl seine Knarre.

Eiswasser rieselte mir den Rücken hinunter.

Runter! In Deckung!, schrie ich Tikaani, ihrem Vater und meinen anderen Freunden zu. Worauf es gefühlt Hörnchen, Gänse und Luchs regnete und sich ein Pelz-und-Feder-Knäuel hinter dem SUV bildete. Nur ausgerechnet der nicht besonders große, stämmig gebaute Edwin BlueCloud blieb stehen und hob die Hände. »Hey. Frieden, okay? Mach uns beide glücklich und steck das Ding weg, ja?«

»Vergiss es, Mann«, raunzte Maddox und schwankte dabei ein bisschen. Wow, der war richtig betrunken, erstaunlich, dass er überhaupt noch stehen konnte. Das merkten auch die Leute im Nachtcafé, von denen ein paar auf unseren Kampf aufmerksam geworden waren und uns angafften.

Pa, geh ganz langsam rückwärts, flehte Tikaani ihren Vater an. Noch ein paar Schritte, dann kannst du dich hinter den Wagen ducken!

Liebend gerne hätte ich den Tierfänger angesprungen, nur hätte ich damit riskiert, dass er abdrückte. Aber ich hatte schon einen besseren Einfall und es war Tikaani, die mich dazu inspiriert hatte. Statt zu fauchen, schnurrte ich, so laut ich konnte, und schmiegte mich gegen die Beine von Maddox wie eine sehr große hellbraune Hauskatze.

Völlig verblüfft blickte er nach unten, sein Mund ging auf, als wäre er ein Fisch an Land. Einen Moment lang zeigte der Pistolenlauf irgendwohin, aber nicht auf einen unserer Freunde (und netterweise auch nicht auf mich).

Wie ich gehofft hatte, nutzte Holly die Chance. Ha, nimm dies!, rief sie, sprang, landete auf der Pistole und zog das Ding mit sich nach unten. Hast wohl nicht gewusst, dass ich ausgebildetes Revolverhörnchen bin?

»Das letzte Bier war nicht mehr gut … ich sehe ganz komische Sachen«, murmelte Maddox in Richtung seiner Kumpane, während Holly versuchte, die Pistole wegzuschleppen.

»Verdammtes Biest, gib das her!«, schrie das Mädchen, das etwas weniger Alkohol intus zu haben schien. Und leider gelang es Holly kaum, das schwere Metallding zu bewegen. Das gab Budder, dem Tierfängermädchen und Tikaani die Chance, sich darauf zu stürzen.

Eulendreck, stöhnte ich, als die drei sich schreiend und knurrend ein Tauziehen um die Waffe zu liefern begannen. Das geht nicht gut!

Ging es auch nicht. Schon zuckte ich zusammen und versuchte, meinen Kopf zu schützen, als sich ein Schuss löste.

Er traf die Scheibe des Nachtcafés, die zersplitterte und wie ein Regen aus Kristall auf den Asphalt niederging. In Panik warfen sich Menschen auf den Boden, andere rannten aus dem Lokal und flohen in alle Richtungen. Holly sauste schnell wie nie zuvor eine Straßenlaterne hoch. Aufgeregte Rufe erfüllten die Luft und ich hörte das an- und abschwellende Heulen einer Sirene. Nicht gut – die Cops waren praktisch nie auf der Seite von Tieren, die Menschen bissen.

Inzwischen hatte Tikaani die Waffe im Maul und knurrte mit gesträubtem Nackenfell jeden an, der versuchte, sie ihr abzunehmen. Wütend starrte die Tierfängerin sie an und zuckte zusammen, als sie etwas auf den Kopf bekam. Hier, kleines Andenken!, schrie Holly. Warte einen Moment, gleich kommt der zweite Gang!

Ihr Timing war perfekt. Gerade als das Mädchen hochschaute, um zu sehen, woher die Kötel gekommen waren, traf sie ein gelber Strahl zwischen die Augen. »Iiih!«-Geräusche von sich gebend, wischte sie sich über das Gesicht. Leiser Applaus erklang, der, wie sich herausstellte, von einem Dachs stammte, der die Vorderpfoten gegeneinanderpatschte.

Wo war das Buch? Wir brauchten das geheime Buch, ohne das konnten wir nicht abhauen! Doch auch die Tierfänger hatten ihre Beute nicht vergessen. Ich sah, wie einer unserer drei Feinde sich danach bückte (dabei sah man, dass er sich ein Batman-Logo über den Hintern hatte tätowieren lassen).

Ein grau-weißer Schatten mit runden Pelzohren huschte vor ihm vorbei und die Hand des jungen Mannes griff ins Leere. Alles klar, ich habe das Buch, meldete Tian … und schaute irritiert hoch, als das Mädchen einen Schrei ausstieß. Keinen Schrei des Schreckens, sondern einen des Entzückens. »Ein Schneeleopard! Wie geil ist das denn! Wisst ihr, was so eine Dreckskatze wert ist?«

Schon sauste ein Netz auf unseren Verbündeten nieder.

Tian!, schrie Kimberley auf.

Kimberley

Auf keinen Fall durfte Tian etwas passieren, er hatte schon so viel für sie riskiert! Ihr geholfen, sich zu befreien von den Leuten, die sie erpressten. Sie unterstützt, wenn sie sich schwach fühlte. Er war für sie da gewesen, wenn sie Hilfe brauchte. Du bist nicht allein, hatte er zu ihr gesagt, das hatte ihr so viel Kraft gegeben.

Drei, vier gewaltige Flügelschläge, dann war sie in der Luft. Nahm Anlauf … und prallte mit ganzem Gewicht und voller Wucht gegen das Katzen hassende Mädchen. Dem wurde der Griff des Netzes aus der Hand gerissen, dann stürzte es mit einem Aufschrei nach hinten, genau auf ihren Freund, der sich eben noch nach dem Buch gebückt hatte.

Der Aufprall warf Kimberley zur Seite und bestimmt hatte sie sich einen Flügel verstaucht. Aber es hatte sich gelohnt.

Halt durch, Tian, rief Carag und hielt Budder mit gebleckten Fangzähnen und Prankenschlägen davon ab, sich auf ihren gefangenen Schneeleopardenfreund zu stürzen. Aber wie sollten sie ihn aus diesem Netz rauskriegen, bevor die Polizei kam? Hat jemand ein Messer? Schnell, schneidet mich frei!, knurrte Tian und spähte dem flackernden Blaulicht entgegen, das immer näher kam.

Nein, niemand von ihnen hatte ein Messer. Noch nicht. Aber als Kimberley sah, wie Edwin BlueCloud sich nach einer Glasscherbe von der Nachtcafé-Scheibe bückte, schöpfte sie Hoffnung. Er wickelte sich eines ihrer abgelegten T-Shirts um die Hand, packte die Scherbe und befahl: »Halt still, Kater.« Dann begann er, die Maschen aufzutrennen.

»Das Buch ist auf meiner Farm gefunden worden, ich habe es entdeckt!«, brüllte Budder, wollte um Carag herumstapfen und rutschte auf Glasscherben aus. Kopfüber kippte er in einen öffentlichen Mülleimer.

Inzwischen war Tian frei. Danke, sagte er kurz. Seine Zähne umschlossen noch immer das Buch. Geduckt kauerte die große nebelfarbene Katze auf dem Asphalt. Mit kaltem Blick aus ihren grünen Augen und zuckender Schwanzspitze nahm sie Maddox ins Visier, der leicht schwankend vor ihr stand.

»Oh – oh«, sagte Maddox, drehte sich um und rannte quer über den Parkplatz weg.

Man sollte nie vor Raubtieren wegrennen, du Depp!, schrie Holly ihm verächtlich hinterher, sauste von ihrer Straßenlaterne hinunter und verfolgte ihn mit hüpfenden Sprüngen. Das ließ den flüchtenden Tierfänger noch ein bisschen lächerlicher aussehen.

Das Blaulicht kam immer näher.

Wir müssen weg!, rief Tikaani und ließ die Waffe durch das nächstbeste Kanalgitter fallen. Kimberley war ganz ihrer Meinung. Ava blieb über ihr wie ein Schutzengel, als sie mit herabhängendem Flügel davonwatschelte. Juniper flüchtete unter ein abgestelltes Auto.

Schnell, zurück zu unseren Sachen … am besten, wir verwandeln uns!Carag rannte los. Doch nicht alle folgten seiner Aufforderung.

Wir müssen raus aus dem offenen Gelände, sagte Tian, warf Kimberley noch einen letzten, rätselhaften Blick zu und sprintete davon. Mit dem geheimen Buch, für das sie so viel durchgemacht hatten!

Carag wollte ihm nachsprinten, doch Tikaani stellte sich ihm in den Weg. Nein! Wenn die Polizisten dich hier sehen, könnten sie auf dich schießen. Tian ist nicht abgehauen, ich bin sicher, dass er das Buch dem Rat übergibt.

Kimberley fing einen Gedanken von Holly auf – So oder so, weit wird er nicht kommen – und war empört. Tian war kein Verräter, egal, was die anderen darüber dachten! Sie würden schon sehen!

Hastig verwandelten sich alle, die Anziehsachen hatten, dort, wo niemand sie sehen konnte. Auch für Holly fand sich in der Handtasche von MrsLafayette noch ein dünnes Reserve-Kleid. Dann standen sie unschuldig herum – nur Schaulustige, sonst nichts –, während zwei Streifenwagen anrückten. Die Officer begannen, Zeugen zu befragen und rot-weißes Flatterband aufzuspannen. Anklagende Zeigefinger von Nachtcafé-Besuchern deuteten auf die drei Tierfänger.

»Noch mal zum Mitschreiben … ein weißer Hund und ein Hörnchen haben Ihnen die Waffe gestohlen und diese Glasscheibe zerschossen?«, sagte einer der Officer gerade. »Soso. Bitte pusten Sie mal hier rein!«

Einer der Polizisten wandte sich an Edwina. »Haben Sie gesehen, was hier passiert ist?«

»Nein, Sir, wir sind eben erst gekommen, was war denn hier los?«, gab die alte Dame mit dem Steinkauz auf der Schulter zurück. Sie beobachtete mit hochgezogenen Augenbrauen, wie der um sich schlagende und herumpöbelnde Großonkel Budder abgeführt wurde.

Du hast dir so viel Mühe mit uns gegeben, da hast du dir eine gemütliche Nacht auf dem Revier mehr als verdient!, schickte ihm Ava sarkastisch hinterher.

Kimberley spürte, wie aufgewühlt Carag und Tikaani waren. »Wo ist der Kerl? Wo ist er mit dem Buch hin?«, presste Carag hervor, kaum dass die Polizisten ein paar Meter weitergegangen waren.

»Wenn wir Pech haben, über alle Berge«, sagte Holly spitz und kämmte sich die rotbraunen Haare mit den Fingern durch. »Retter? Ha! Eher Rettich!«

Ohne viel Hoffnung sammelte Kimberley all ihre Kraft und schickte einen lautlosen Ruf in die Nacht hinaus. Tian?

Und das Wunder geschah, es kam eine Antwort. Ich warte hinter dem Asia-Restaurant eine halbe Straße westlich. Bis gleich.

Es war ein wild zusammengewürfelter, etwas zerzauster Haufen, der sich hinter dem Restaurant einfand. Dort zwischen Stapeln alter Kartons, einem ausrangierten Herd und einem nicht besonders lecker riechenden Müllcontainer hatten sich neben ihr, der Gans, ein Luchsweibchen und ein Steinkauz eingefunden. Außerdem ein grimmig dreinschauendes Wolfsmädchen, ein blonder Junge mit grüngoldenen Augen und verkehrt herum angezogenem T-Shirt, eine alte Dame sowie ein stämmiger Inuit-Jäger mit rotem Halstuch und Basecap.

Kimberley konnte die Augen kaum von dem Schneeleoparden lösen, der ihnen würdevoll gegenüberstand, das kostbare Buch im Maul. Er ging einige Schritte auf EdwinaLafayette zu und auch sie ging ihm entgegen.

Hiermit übergebe ich das Buch des Cherokee-Schamanen offiziell dem nordamerikanischen Woodwalker-Rat, sagte Tian. Möge er es weise verwenden und nur zum Guten einsetzen. Der Finderlohn gebührt der Familie Banning, die es auf ihrer Farm entdeckt hat.

»Ich danke dir«, sagte EdwinaLafayette und hockte sich hin, um das Buch entgegenzunehmen. »So wird es geschehen.«

Kimberley wusste, dass ihr als Mensch die Tränen in die Augen getreten wären. Endlich … das alte Buch war in Sicherheit. Und Ava und ihre Familie würden nicht mehr in Armut leben müssen, von diesen Dollars konnten sie sich eine neue Farm kaufen und würden sich nicht mehr von ihrem Großonkel Budder schikanieren lassen müssen. Der vielleicht ein bisschen netter wurde, wenn er keine Geldsorgen mehr hatte!

Jetzt konnten sie endlich die Ferien genießen … und ein neues Jahr an der besten aller Schulen, der ClearwaterHigh.

Vincent Dominic

Es war nicht immer eine schöne Aufgabe, persönlicher Assistent von LydiaLennox zu sein. Das musste er zugeben, sosehr er diese Frau auch bewunderte.

An diesem Sonntagabend, am Tag vor dem Schulbeginn, saß sie mit elegant gekreuzten Beinen auf dem Sofa der Präsidenten-Suite des besten Hotels von Jackson und schrie: »Dominic! Bring mir einen Cocktail! Und eine kalte Cola für unseren Gast – aber ein bisschen plötzlich bitte! Wieso bist du immer so lahm? Ist das bei dir angeboren?«

Möwen waren nicht lahm. Schnell und elegant waren sie. Allerdings nicht als Mensch, sein Zweibeiner-Körper fühlte sich linkisch und falsch an. »Kommt sofort«, erwiderte Dominic und begann damit, den Lieblingscocktail seiner Chefin – einen Tequila Sunrise – zu mixen. Seine Hände bebten. Nicht gut. Er durfte nicht versagen, er würde vor Scham sterben, wenn sie schlecht von ihm dachte.

Andererseits würde er das Jahr vielleicht sowieso nicht überleben. Wieso war er nur auf die Wette eingegangen, die sie vorgeschlagen hatte? Seine Worte hallten in seinem Kopf wider. Ich wette mit Ihnen um mein Leben, dass Sie es schaffen werden, bis zum Jahresende die Macht über alle Wood-, Sea- und Windwalker in Amerika zu bekommen.

Sie kriegt es hin, ihren Plan zu verwirklichen, beruhigte sich Dominic. Sie schafft das, ich darf am Leben bleiben und kann ihr weiter dienen. Alles wird gut.

Der Gast, ein dunkelhaariger Jugendlicher mit länglichem Gesicht, der Vincent an irgendeinen Filmschauspieler erinnerte, warf ihm einen hämischen Blick zu. »Toll, wie du springst, wenn sie pfeift«, meinte er.

Ihm fiel keine Antwort ein. Natürlich, es war ihm eine Ehre, was sonst!

»Hast du schon den Tierfängern aus Kansas ihr Geld überwiesen? Wenn nicht, mach das heute noch«, befahl ihm Lydia – in seinen Gedanken wagte er, sie beim Vornamen zu nennen – und streckte die Hand aus, um sich den Drink reichen zu lassen.

»Habe ich schon längst getan, keine Sorge«, erwiderte Dominic.

Ohne ihn weiter zu beachten, wandte seine Chefin sich an den Gast. »Wie war dein Jugendarrest, Jonathan?«

Ohne sich zu bedanken, nahm der Junge Dominic die Cola ab. »Nennen Sie mich Diablo, das passt besser zu mir.«

LydiaLennox lächelte. »Na gut. Ich schätze es, wenn junge Leute ehrgeizig sind und sich trauen, auch ihre dunklen Gefühle zu leben. Und, bekomme ich noch eine Antwort?«

»Dieser Scheiß-Arrest hat mich zwei Wochen meines Lebens gekostet … und als der Direktor meiner Schule davon erfahren hat, hat er mich rausgeworfen«, regte sich der Junge auf. »Dann noch diese Rechnung über zweitausend Dollar für das kaputte Boot! Schikane, sonst nichts, das Ding hatte nur ein paar Kratzer! Und wer ist schuld daran? Diese miesen Gestalten von der Blue Reef High … und dieser Pumajunge. Wenn ich den zu fassen kriege …«

Diesmal lachte LydiaLennox laut auf. »Er ist ein Puma … und du eine Ziege in zweiter Gestalt.«

»Ja, und?« Diablo wirkte nicht beeindruckt. Plötzlich wurde er ganz ruhig. »Er hat sich in meinen Club eingeschlichen, um ihn für den Rat auszuspionieren. Alles kaputtgemacht hat er. Das kriegt er zurück. Mit Zinsen.«

»Wenn ich dir dabei helfe … dann kann ich auf dich zählen, richtig?« LydiaLennox nippte an ihrem gelb orangefarbenen Drink.

»Ja«, sagte der Junge nur und einen Moment schauderte Dominic vor der Kälte in seinen Augen. »Ich hätte schon eine Idee für die erste kleine Lektion. Sie haben doch gute Kontakte, oder? Sie können alles Mögliche arrangieren?« Er beugte sich vor und flüsterte LydiaLennox etwas zu.

»Ah, dir gefällt seine heile Familienwelt nicht? Bist du ein Scheidungskind?«

»Das geht Sie nichts an.«

»Egal, jedenfalls ist das eine sehr originelle Idee, ihm auf diese Art zu schaden«, freute sich seine Chefin – auch ihr war dieser Pumajunge ein paarmal zu oft in die Quere gekommen.

Vincent Dominic hörte nicht mehr zu, weil sein Blick aus dem Fenster schweifte. Herrlich, der blaue Himmel über den Rocky Mountains. Keine Wolke weit und breit. Würde sie ihm erlauben, heute fliegen zu gehen?

Nein. Wahrscheinlich nicht. Es gab so viel zu tun, wenn sie ihr Ziel dieses Jahr noch erreichen wollte.

Reich und berühmt

Carag

Es war nervenzerfetzend und anstrengend gewesen in Kansas. Ich war froh gewesen, als uns MrsLafayette im Auto zurück zum Flugplatz mitgenommen hatte. Wir hatten in einem Gebüsch tief und fest geschlafen und waren dann wieder zurückgeflogen in unsere heimatlichen Rocky Mountains.

Nun hatte unser neues, hoffentlich katziges Schuljahr begonnen.

»Wow, jetzt sind wir Drittjahresschüler«, sagte Brandon ehrfürchtig, als wir an einem Sonntagnachmittag Ende August zum Schwarzen Brett gingen und uns den neuen Stundenplan anschauten.

Das war so wunderbar normal nach allem, was wir im Sommer erlebt hatten (darunter war auch ein Abstecher nach Costa Rica im Auftrag des Rates gewesen).

»Schaut mal, wir haben weniger Verwandlungsstunden und nur noch einmal Sei dein Tier«, sagte Holly, die mit der Nase fast auf dem Papier klebte. »Stattdessen eins … zwei … drei neue Fächer …«

»Oh yeah, endlich Spurenlesen. Auf Umweltschutz freue ich mich auch.« Tikaani, meine Polarwolffreundin, sah zufrieden aus. »Aber Wirtschaft bei MrEllwood, das wird bestimmt eine völlige Zu…«

Sie schluckte im letzten Moment das Wort hinunter, das wahrscheinlich eher nicht »Zufriedenheit« gelautet hätte. Gerade kam unser stellvertretender Schulleiter zusammen mit einer schick gekleideten MissClearwater durch die Eingangstür. »Diesmal hatte es der Vortrag in sich«, berichtete sie MrEllwood gerade. »Ich erzähle den Kids wie üblich ganz nett und friedlich etwas über die Adlerpopulation hier in den Rocky Mountains und dann fragt mich plötzlich jemand: ›Wenn Sie ein Tier wären, dann bestimmt kein Adler, sondern eher ein Suppenhuhn, oder?‹«

»Was für ein Mangel an Urteilsvermögen«, regte sich MrEllwood auf, der ein Wapitibulle in zweiter Gestalt war. »Mir hätte er womöglich gesagt, dass er mich als Hirschkäfer einschätzen würde!«

»Ich kenne einen sehr netten Hirschkäfer-Wandler«, meinte MissClearwater nur.

Wir verbargen unser Grinsen, schrieben den Stundenplan ab und waren am nächsten Morgen, einem Montag, pünktlich in der ersten Stunde, die ausgerechnet Wirtschaft war, über das wir vorhin gelästert hatten.

MrEllwood schaute streng in meine Richtung. Das lag daran, dass ich gewagt hatte, unter der Bank auf mein Handy zu schielen. »Carag, tu dieses Ding weg oder ich trage dir persönlich den allerersten Verweis des Schuljahres …«

»Ich wollte nur schauen, ob es etwas Neues über den Rat und dieses alte Cherokee-Buch gibt«, versuchte ich mich zu rechtfertigen. »Das ist wirklich wichtig!«

»Und mein Fach nicht? Na gut, dass mir das mal jemand sagt.« MrEllwood stützte sich mit beiden Armen auf dem Pult ab, hinter dem er stand, und blickte mir durchdringend in die Augen. »Ich wäre dir auch sehr verbunden, wenn du mich nicht ständig unterbrechen …«

Die Tür ging auf und schon zum zweiten Mal an diesem Tag sahen wir unsere Schulleiterin. LissaClearwater war eine hochgewachsene Frau mit schulterlangen weißen Haaren und einer Adlernase. Sie nickte MrEllwood zu, der ein bisschen säuerlich dreinblickte. »Guten Morgen allerseits! Entschuldige die Unterbrechung, Isidore, aber ich habe noch ein kurzes Update zum Thema Cherokee-Buch. Ich weiß, dass ihr alle scharf auf Neuigkeiten seid.« Sie lächelte mir und Tikaani zu. »Im Moment lässt der Rat es gerade neu übersetzen, weil die Übersetzung zerstört worden ist. Aber es gibt jetzt schon ein Komitee, das Regeln aufstellt für die Benutzung der neuen Formeln. Woodwalker, die unzufrieden mit ihrer zweiten Gestalt sind, können beantragen, dass sie ihre Gestalt ändern dürfen. Wenn der Wechsel genehmigt wird, wird die Durchführung denjenigen keinen Cent kosten.«

Schnell schaute ich mich in der Klasse um. Niemand meldete sich. Auch nicht Brandon, der längst gelernt hatte, seine Bisongestalt zu akzeptieren. Ich war stolz auf ihn.

»Was ist mir dir, Henry?«, fragte Cliff, einer unserer Wölfe. »Willst du froschig-glitschig bleiben? Amphibien sind nicht cool.«

»Natürlich sind Amphibien cool