World of Warcraft: Krieg der Ahnen I - Richard Knaak - E-Book

World of Warcraft: Krieg der Ahnen I E-Book

Richard Knaak

5,0

Beschreibung

Der Start einer spannenden Trilogie innerhalb der Erfolgs-Reihe! Viele Monate nach der gewaltigen Schlacht um den Berg Hyjal, bei der die Brennende Legion für immer von Azeroth verbannt wurde, werden drei Kriegshelden durch eine mysteriöse Energie in eine entfernte Vergangenheit katapultiert. In eine Zeit, in der weder Orks noch Hochelfen durch die Lande streiften, sondern Drachen und dunkle Titanen die Geschicke der Welt bestimmten – in die Zeit, in der der legendäre Krieg der Ahnen seinen Anfang nahm. Die fesselnde Romanreihe um Magie, Krieg und Heldentum, basierend auf dem preisgekrönten Bestseller-Game von Blizzard Entertainment!

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Bereits erschienen

WORLD OF WARCRAFT: KriegsverbrechenChristie Golden – gebundene Ausgabe, ISBN 978-3-8332-2858-2

WORLD OF WARCRAFT: Der Untergang der AspekteRichard A. Knaak – gebundene Ausgabe, ISBN 978-3-8332-2859-9

WORLD OF WARCRAFT: Vol’jin – Schatten der HordeMichael Stackpole – gebundene Ausgabe, ISBN 978-3-8332-2617-5

WORLD OF WARCRAFT: Jaina Prachtmeer – Gezeiten des KriegesChristie Golden – gebundene Ausgabe, ISBN 978-3-8332-2523-9

WORLD OF WARCRAFT: WolfsherzRichard A. Knaak – gebundene Ausgabe, ISBN 978-3-8332-2233-7

WORLD OF WARCRAFT Band 9: Thrall – DrachendämmerungChristie Golden – ISBN 978-3-8332-2439-3

WORLD OF WARCRAFT Band 8: Weltenbeben – Die Vorgeschichte zu CataclysmChristie Golden – ISBN 978-3-8332-2234-4

WORLD OF WARCRAFT Band 7: SturmgrimmRichard A. Knaak – ISBN 978-3-8332-2051-7

WORLD OF WARCRAFT Band 6: Arthas – Aufstieg des LichkönigsChristie Golden – ISBN 978-3-8332-2050-0

WORLD OF WARCRAFT Band 5: Die Nacht des DrachenRichard A. Knaak – ISBN 978-3-8332-1792-0

WORLD OF WARCRAFT Band 4: Jenseits des Dunklen PortalsAaron Rosenberg, Christie Golden – ISBN 978-3-8332-1791-3

WORLD OF WARCRAFT Band 3: Im Strom der DunkelheitAaron Rosenberg – ISBN 978-3-8332-1640-4

WORLD OF WARCRAFT Band 2: Aufstieg der HordeChristie Golden – ISBN 978-3-8332-1574-2

WORLD OF WARCRAFT Band 1: TeufelskreisKeith R. A. DeCandido – ISBN 978-3-8332-1465-3

WARCRAFT Band 1: Der Tag des DrachenRichard A. Knaak – ISBN 978-3-8332-1266-6

WARCRAFT Band 2: Der Lord der ClansChristie Golden – ISBN 978-3-8332-1337-3

WARCRAFT Band 3: Der letzte WächterJeff Grubb – ISBN 978-3-8332-1338-0

WARCRAFT: Krieg der Ahnen, Buch 1: Die Quelle der EwigkeitRichard A. Knaak – ISBN 978-3-8332-1092-1

WARCRAFT: Krieg der Ahnen, Buch 2: Die DämonenseeleRichard A. Knaak – ISBN 978-3-8332-1205-5

WARCRAFT: Krieg der Ahnen, Buch 3: Das ErwachenRichard A. Knaak – ISBN 978-3-8332-1202-4

KRIEG DER AHNEN

TRILOGIE

BUCH 1

DIE QUELLE DER EWIGKEIT

Richard A. Knaak

Aus dem Amerikanischen von Claudia Kern

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Amerikanische Originalausgabe: “Warcraft: War of the Ancients Trilogy, Book 1 – The Well of Eternity” by Richard A. Knaak, published by Simon and Schuster, Inc., 2004.

Deutsche Übersetzung 2004, 2016 von Panini Verlags GmbH, Rotebühlstraße 87, 70178 Stuttgart. Alle Rechte vorbehalten.

Copyright © 2004, 2016 Blizzard Entertainment, Inc. All Rights Reserved. “Warcraft: War of the Ancients Trilogy, Book 1 – The Well of Eternity”, Warcraft, Blizzard Entertainment are trademarks or registered trademarks of Blizzard Entertainment in the U.S. and/or other countries. All other trademarks are the property of their respective owners.

No similarity between any of the names, characters, persons and/or institutions in this publication and those of any pre-existing person or institution is intended and any similarity which may exist is purely coincidental. No portion of this publication may be reproduced, by any means, without the express written permission of the copyright holder(s).

Übersetzung: Claudia Kern

Lektorat: Manfred Weinland, Katharina Reiche

Redaktion: Mathias Ulinski, Holger Wiest

Chefredaktion: Jo Löffler

Umschlaggestaltung: tab indivisuell, Stuttgart

Cover art by Bill Petras

Satz und E-Book: Greiner & Reichel, Köln

YDWARC004E

ISBN 978-3-8332-3405-7

Gedruckte Ausgabe:

ISBN: 978-3-8332-1092-1

9. Auflage, Oktober 2015

www.paninibooks.de

Für Martin Fajkusund meine Leser in der ganzen Welt

EINS

Der hohe, düstere Palast saß am Rand der Klippe und überschaute die gewaltigen, schwarzen Wassermassen, die unter ihm schäumten. Fast schien es, als wolle er sich in die dunklen Tiefen des Sees stürzen. Einst, als man die riesige Burg gebaut und mit Hilfe der Magie Stein und Wald zu einer Gestalt verschmolzen hatte, war sie ein Wunder gewesen, das jedes sie betrachtende Auge berührte. Ihre Türme waren Bäume, zwischen denen – zur Verstärkung – rauer Fels wucherte, und ihre stolzen Wipfel ragten weit in den Himmel hinein. Darin prangten große offene Fenster. Die Mauern erhoben sich aus vulkanischem Stein, zusammengehalten von Ranken und gigantischen Wurzeln. Der eigentliche Palast im Zentrum der Feste war vor langer Zeit durch die mystische Verbindung von mehr als hundert riesiger, uralter Bäume geschaffen worden. Man hatte sie gebogen, um das Skelett des runden Zentrums zu schaffen, über das die Steine und Ranken gelegt wurden.

Damals hatte die Burg die Herzen aller mit Staunen und einem Gefühl für Wunder erfüllt, doch jetzt erregte sie in manchen Seelen nur noch Furcht. Eine beunruhigende Aura umgab das Gebäude, und sie wurde durch diese stürmische Nacht noch verstärkt. Die Wenigen, deren Blick heute Abend die uralte Feste streifte, wendeten sich rasch ab.

Doch jene, die stattdessen auf den See unterhalb des Palastes sahen, fanden auch keinen Frieden. Die ebenholzschwarzen Wasser tobten in wildem, unnatürlichem Aufruhr. In der Ferne wuchsen brodelnde Wellen empor, als wollten sie gierig nach der Burg greifen. Sie fielen donnernd in sich zusammen … um sich von neuem zu erheben, wieder und wieder. Blitze zuckten über die weite Fläche, und ihr unheimliches Licht ließ das Wasser in Rot und Gold und dem Grün der Fäulnis glänzen. Donner grollte wie tausend Drachen, und jene, die an den Ufern des Sees lebten, fassten einander angstvoll an den Händen, drängten sich enger zusammen und fragten sich, was für eine Art Sturm hier entfesselt wurde.

Von den Mauern des Palastes starrten die dunklen Schattenrisse der Wächter misstrauisch in die Finsternis. Sie hielten nicht nur jenseits der Zinnen nach Seelen Ausschau, die so töricht sein mochten, sich der Burg zu nähern. Sie schauten auch von Zeit zu Zeit verstohlen hinter sich, und auch zum Hauptturm wanderte ihr Blick. Dort, so fühlten sie, waren unkontrollierbare Kräfte am Werk.

Und in jenem hohen Turm, in einer steinernen Kammer ohne Fenster, beugten sich große, schlanke Gestalten in schillernden, türkisfarbenen Gewändern, mit silbrigen Symbolen bestickt, über ein sechsseitiges Muster, das man auf den Boden geschrieben hatte. Im Zentrum des Musters loderten Zeichen einer uralten Sprache, als besäßen sie ein eigenes Leben.

Glitzernde, silberne Augen ohne Pupillen starrten unter Kapuzen hervor, während die Nachtelfen singend ihre Zaubersprüche woben. Dunkle, violette Haut überzog sich mit Schweiß, als die Magie innerhalb des Musters stärker wurde. Alle sahen müde aus, bereit, sich von der Erschöpfung übermannen zu lassen. Alle waren völlig entkräftet – bis auf einen. Und dieser betrachtete das von ihm initiierte Ritual nicht durch silberne Augen wie der Rest der Versammlung, sondern durch künstliche, schwarze Augäpfel, über die waagerechte, rubinrote Streifen verliefen. Trotz dieser magischen Augen bemerkte er jedes Detail, ihm entging nicht die kleinste Geste der anderen. Auf seinem langen, schmalen Gesicht, das selbst für einen Elf hager wirkte, lag, während er seine Untergebenen antrieb, ein Ausdruck von Erwartung und Gier.

Eine weitere Gestalt beobachtete all dies und sog jedes Wort, jede rituelle Bewegung in sich auf. Die Frau saß auf einem luxuriösen Sessel aus Elfenbein und Leder. Prächtiges, silbernes Haar umrahmte ihre perfekten Züge, während das seidene Kleid – das so golden war wie ihre Augen – ihre bezaubernde Figur betonte. Von Kopf bis Fuß die Vision einer Königin, lehnte sie sich in den Sessel zurück und kostete Wein aus einem goldenen Kelch. Ihre juwelenbesetzten Armreife klimperten, als sich ihre Hände bewegten, und der Rubin ihrer Tiara glitzerte im Licht der zauberischen Kräfte, die die anderen beschworen.

Ab und zu wandte sie leicht den Kopf, um die schwarzäugige Gestalt zu mustern, und über ihr Gesicht huschte ein Ausdruck von Argwohn. Doch als der Meister des Rituals einmal plötzlich zu ihr schaute, als spüre er ihren Blick, verschwand alles Misstrauen aus ihr und wurde durch ein träges Lächeln ersetzt.

Die Gesänge der Magier wogten fort.

Der schwarze See brodelte wild.

Es hatte einen Krieg gegeben, und der Krieg war vorüber.

Also, wusste Krasus, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Geschichtsschreiber die Geschehnisse aufzeichnen würden. Und diese Niederschriften würden wenig zu sagen haben über die zahllosen Leben, die vernichtet oder die einst blühenden Länder, die verwüstet worden waren, auf der gesamten sterblichen Welt, die beinahe ihr Ende gefunden hätte.

Selbst die Erinnerungen von Drachen sind unter solchen Umständen flüchtig, gestand die bleiche, in eine graue Robe gekleidete Gestalt sich selbst gegenüber ein. Krasus wusste das sehr gut, denn obwohl er den meisten Augen als ein langer, dünner, fast elfenhafter Mann mit falkenähnlichen Gesichtszügen, silbernem Haar und drei langen Narben, die sich über seine rechte Wange zogen, erschien, war er in Wirklichkeit sehr viel mehr als das. Die Meisten kannten ihn als Magier, aber ein paar ausgewählte Geschöpfe nannten ihn Korialstrasz – ein Name, den nur ein Drache tragen würde.

Krasus war als Drache geboren worden, als eine majestätische rote Echse, der jüngste Gemahl der großen Alexstrasza. Sie, der Aspekt des Lebens, war seine liebste Gefährtin … doch wieder einmal zog es ihn von ihr fort zu den kurzlebigen Völkern mit ihrer alltäglichen Not und ihrer ungewissen Zukunft.

In seiner versteckten, aus dem Fels gehauenen Wohnstätte, die er sich als neues Allerheiligstes erwählt hatte, blickte Krasus auf die Welt von Azeroth hinab. Der leuchtende, smaragdgrüne Kristall erlaubte ihm, jedes Land, jedes Wesen zu sehen, das er sich wünschte.

Und wohin der Drachenmagier auch blickte, er sah nur Verheerung.

Es schien, als seien nur wenige Jahre vergangen, seit man die grotesken, grünhäutigen Ungetüme namens Orcs besiegt hatte, die von einer jenseitigen Welt in das Land eingefallen waren. Nachdem die überlebenden Monster in Lagern zusammengepfercht worden waren, hatte Krasus geglaubt, die Welt sei bereit für den Frieden. Doch dieser Frieden war nur von kurzer Dauer gewesen. Die Allianz – die von den Menschen angeführte Koalition, zugleich die vorderste Linie des Widerstandes – hatte sofort begonnen zu zerbröckeln, und ihre Mitglieder hatten sich um die Herrschaft über ihre alten Bündnispartner gestritten. Teilweise war dies die Schuld von Drachen gewesen – oder besser gesagt, die Schuld des einen Drachen Todesschwinge –, doch vieles war auch einfach auf die Gier von Menschen, Zwergen und Elfen zurückgegangen.

Aber selbst diese Krise hätte man ohne größere Probleme meistern können, wäre nicht die Brennende Legion erschienen …

Heute betrachtete Krasus das ferne Kalimdor, das auf der anderen Seite des Meeres lag. Selbst jetzt noch glichen große Gebiete dort einem Land nach einem schrecklichen Vulkanausbruch. Kein Leben war in diesen Gegenden verblieben, keine Spuren von Zivilisation. Doch es war keine Naturgewalt gewesen, die das Land so verwüstet hatte. Die Brennende Legion hatte ihrem Gefolge nichts als Tod hinterlassen.

Die feurigen Dämonen, von einem Ort jenseits der Realität gekommen, hatten Magie gesucht und hatten Magie verschlungen. Zusammen mit ihrer monströsen Dienerschar, der Untoten Geißel, hatten sie die Welt in Trümmer legen wollen. Doch sie hatten nicht mit dem Unwahrscheinlichsten aller Bündnisse gerechnet …

Die Orcs, einst selbst Marionetten der Dämonen, hatten sich gegen ihre ehemaligen Herren gewandt und sich den Menschen, Elfen, Zwergen und Drachen angeschlossen, um die dämonischen Krieger und ihre teuflischen Bestien zu dezimieren und die Überlebenden in das höllische Jenseits zurückzudrängen, aus dem sie einst hervorgebrochen waren. Tausende hatten den Tod gefunden, aber die Alternative wäre gewesen …

Der Drachenmagier schnaubte. Es hatte keine Alternative gegeben.

Krasus ließ seine langen Finger über die Kugel spielen und beschwor eine Vision der Orcs herauf. Das Bild wurde für einen Augenblick verschwommen, dann enthüllte sich ein gebirgiger, felsiger Landstrich, der weiter im Innern Kalimdors lag. Es war ein raues Land, aber noch immer voller Leben, und es hatte die neuen Siedler auf seinem Grund willkommen geheißen.

Mehrere steinerne Gebäude erhoben sich bereits in der Hauptsiedlung, wo der Kriegshäuptling Thrall herrschte, einer der großen Helden des vergangenen Krieges. Das hohe, runde Gebäude, das ihm als Quartier diente, mochte nach den Maßstäben der meisten anderen Völker primitiv sein, doch die Orcs hatten eine Neigung zum Einfachen. Extravaganz bedeutete für einen Orc schon, einen ständigen Platz zu haben, an dem er leben konnte. Diese Wesen waren so lange Nomaden und Gefangene gewesen, dass ihnen die Bedeutung von „Heimat“ fast verloren gegangen wäre.

Mehrere der bulligen, grünlichen Gestalten bestellten ein Feld. Während er die brutal aussehenden Krieger mit ihren riesigen Stoßzähnen betrachtete, erfüllte die Vorstellung von Orc-Bauern Krasus mit großer Verwunderung. Doch Thrall war ein sehr ungewöhnlicher Orc, und er hatte die Ideen, die seinem Volk Stabilität verleihen konnten, bereitwillig ergriffen.

Stabilität war etwas, das die ganze Welt verzweifelt benötigte. Mit einer kurzen Handbewegung schickte der Drachenmagier Kalimdor fort und beschwor einen Ort, der sehr viel näher lag – die einst stolze Hauptstadt seines geliebten Dalaran. Beherrscht von den Magiern der Kirin Tor, den wichtigsten Vertretern der Zauberkünste, war sie in Lordaeron die vorderste Linie im Kampf der Allianz gegen die Brennende Legion gewesen – und damit eines der ersten Angriffsziele der Dämonen.

Halb Dalaran lag in Schutt und Asche. Von den meisten der einst stolzen Türme waren nur noch große Trümmerhaufen übrig geblieben. Die großen Bibliotheken waren niedergebrannt, immenses Wissen – über Generationen angehäuft – für immer verloren gegangen … ebenso wie zahllose Leben. Selbst der Rat der Kirin Tor hatte schwer gelitten. Einige der obersten Magier, die Krasus als Freunde oder zumindest als geachtete Kollegen betrachtet hatte, hatten den Tod gefunden. Die Führung der Magischen Gilde befand sich in einer Krise, und Krasus wusste, dass es geboten war, ihr zur Seite zu stehen. Dalaran musste mit einer Stimme sprechen, und sei es auch nur, damit das, was von der zerbröckelten Allianz noch existierte, intakt blieb.

Doch trotz all des Elends und der Prüfungen, die noch auf die Welt zukommen mochten, hatte der Drache Hoffnung. Die Probleme konnten bewältigt werden. Man musste sich nicht mehr vor den Orcs fürchten, man musste sich nicht mehr vor den Dämonen fürchten. Azeroth würde hart zu kämpfen haben, aber Krasus war überzeugt, dass die Länder dieser Welt am Ende nicht nur überleben, sondern sogar neu erblühen würden.

Der Magier ließ von dem Kristall ab und erhob sich. Die Drachenkönigin, seine geliebte Alexstrasza, würde ihn erwarten. Sie ahnte bereits, dass er in die Welt der Sterblichen zurückkehren wollte, um ihnen beizustehen, und von allen Drachen konnte sie das am Besten verstehen. Er würde sich in sein wahres Ich verwandeln, sich von ihr verabschieden – für kurze Zeit – und dann gehen, bevor Reuegefühle ihn zurückhalten konnten.

Er hatte sein neues Allerheiligstes nicht nur wegen seiner Abgeschiedenheit gewählt, sondern auch wegen seiner Größe. Als er die kleinere Kammer verließ, betrat Krasus eine gewaltige Höhle, deren Höhe es leicht mit den inzwischen verlorenen Türmen des früheren Dalaran hätte aufnehmen können. Eine Armee hätte in dieser Grotte zu lagern vermocht und sie hätte sie nicht einmal gefüllt.

Genau die richtige Größe für einen Drachen.

Krasus streckte seine Arme aus … und seine feingliedrigen Finger wurden länger, entwickelten Krallen. Sein Rücken krümmte sich, und in der Nähe seiner Schultern brachen zu beiden Seiten seiner Wirbelsäule zwei Geschwulste hervor, die sich rasch in kleine Flügel verwandelten. Seine langen Gesichtszüge streckten sich noch mehr und wurden echsenhaft.

Und während all dieser kleinen Verwandlungen dehnte sich Krasus’ Leib aus. Er wurde vier, fünf, ja zehn Mal so groß wie ein Mensch und wuchs weiter. Jede Ähnlichkeit mit einem Menschen oder einem Elf schwand schnell dahin.

Der Magier Krasus wurde Korialstrasz, der Drache.

Aber plötzlich – inmitten der Metamorphose – erfüllte eine verzweifelte Stimme seinen Kopf.

Kor … strasz …

Er stockte und fiel wieder in seine Menschengestalt zurück. Krasus blinzelte. Dann wanderten seine Augen durch den riesigen Raum, als suchten sie hier die Quelle des Schreis.

Nichts. Der Drachenmagier wartete und wartete, aber der Ruf wiederholte sich nicht.

Er zuckte die Schultern und kam zu dem Schluss, dass seine eigenen Ungewissheiten und Sorgen ihm einen Streich gespielt hatte. Er entschloss sich, seine Verwandlung wieder aufzuneh–

Und wieder schrie die verzweifelte Stimme: Korialstra …

Dieses Mal … erkannte er sie. Sofort antwortete er auf die gleiche Weise. Ich höre Euch! Was ist es, das Ihr von mir benötigt?

Es kam keine Antwort, doch Krasus fühlte, dass die Verzweiflung nicht verschwand. Er konzentrierte sich, versuchte, die Füh-ler seines Geistes auszustrecken und eine Verbindung mit demjenigen herzustellen, der ihn so dringend um Hilfe rief – demjenigen, der von keinem Geschöpf Hilfe hätte benötigen sollen.

Ich bin hier!, rief der Drachenmagier. Fühlt mich! Gebt mir einen Hinweis auf Eure Not!

Er spürte eine schwache Berührung als Antwort, die das Gefühl einer schweren Krise in sich trug. Krasus konzentrierte jedes Jota seiner Gedanken in die dürftige Verbindung und hoffte … hoffte …

Die übermächtige Präsenz eines Drachens, dessen Magie der seinen tausendfach überlegen war, ließ Krasus torkeln. Ein Eindruck von Jahrhunderten, von gewaltigem Alter, brach über ihn herein. Krasus fühlte sich, als umgebe ihn die Zeit selbst in all ihrer schrecklichen Majestät.

Aber es war nicht die Zeit … nicht ganz … sondern er, der der Aspekt der Zeit war.

Der Drache der Zeitalter – Nozdormu!

Es gab nur vier große Drachen, vier Große Aspekte, von denen seine geliebte Alexstrasza das Leben verkörperte. Der wahnsinnige Malygos war die Magie, und die ätherische Ysera beeinflusste die Träume. Gemeinsam mit dem grüblerischen Nozdormu repräsentierten sie die gesamte Schöpfung.

Krasus schnitt bei diesen Gedanken eine Grimasse. Tatsächlich hatte es einmal fünf Aspekte gegeben. Den fünften hatte man Neltharion genannt … den Erdenwächter. Doch in einer Zeit, die so lange zurücklag, dass sich selbst Krasus nur vage an sie erinnern konnte, hatte Neltharion seine Gefährten verraten. Der Erdwächter hatte sich gegen seine Brüder und Schwestern gewandt und sich so einen neuen – ihm angemesseneren – Titel erworben.

Todesschwinge. Der Zerstörer.

Der Gedanke an Todesschwinge riss Krasus aus seinem Erstaunen. Geistesabwesend berührte er die drei Narben an seiner Wange. War Todesschwinge zurückgekehrt, um erneut die Welt heimzusuchen? War dies der Grund für die Not, die aus dem Gedankenruf des großen Nozdormu sprach?

Ich höre Euch!, sprach Krasus in seinem Geist, und jetzt fühlte er noch größere Furcht, was der Grund für diesen Ruf sein mochte. Ich höre Euch! Ist es … ist es der Zerstörer?

Als Antwort flutete eine weitere übermächtige Welle erstaunlicher Bilder über ihn hinweg. Die Visionen brannten sich in seinen Schädel und machten es Krasus unmöglich, auch nur eine einzige von ihnen zu vergessen.

In keiner seiner Gestalten wäre Krasus, und mochte er auch noch so stark und noch so anpassungsfähig sein, der entfesselten Kraft eines Aspekts gewachsen gewesen. Die Wucht der Geistesmacht des anderen Drachens schleuderte ihn gegen die Höhlenwand, wo der Magier zusammenbrach.

Es dauerte mehrere Minuten, bis Krasus sich wieder vom Boden erheben konnte, und selbst dann drehte sich ihm noch der Kopf. Gedankensplitter, die nicht seine eigenen waren, drangen auf ihn ein. Er musste seine ganze Kraft zusammennehmen, nur um bei Sinnen zu bleiben.

Langsam stabilisierten sich seine Empfindungen jedoch so weit, dass er das ganze Ausmaß dessen erkennen konnte, was gerade geschehen war. Nozdormu, Herr der Zeit, hatte verzweifelt um Hilfe gefleht … um seine Hilfe. Er hatte sich aus irgendeinem Grund an den geringeren Drachen gewandt und nicht an einen seiner gleichrangigen Gefährten.

Doch etwas, das selbst einen Aspekt entsetzte, konnte nur eine monumentale Bedrohung für den Rest von Azeroth darstellen. Warum also hatte er einen einzelnen roten Drachen gewählt und nicht Alexstrasza oder Ysera?

Er versuchte wieder, den großen Drachen mit seinen Gedanken zu erreichen, doch alle Bemühungen blieben erfolglos, erhöhten nur noch das Durcheinander in seinem Kopf. Krasus fand mühsam seine Balance zurück und fragte sich, was er tun konnte. Vor allem ein Bild verlangte unablässig seine Aufmerksamkeit, das Bild einer schneebedeckten Berggegend in Kalimdor. Was auch immer Nozdormu ihm hatte erklären wollen, es hing mit dieser trostlosen Region zusammen.

Krasus würde den Hilferuf untersuchen, aber dabei würde er fähige Hilfe benötigen, jemanden, der sich gut auf neue Situationen einstellen konnte. Obwohl Krasus auf seine eigene Anpassungsfähigkeit stolz war, neigte seine Spezies im Allgemeinen dazu, sehr starrsinnig zu sein und hartnäckig an ihren Gewohnheiten festzuhalten. Er brauchte jemanden, der zuhören, aber auch sofort reagieren konnte, wenn die Entwicklung der Ereignisse dies erforderte. Nein, für eine solch unberechenbare Mission eignete sich nur eine Kreatur. Ein Mensch.

Insbesondere ein Mensch namens Rhonin.

Ein Magier …

Und in den Steppen Kalimdors hockte ein gebeugter, alter Orc an einem rauchigen Feuer. Die moosgrüne Gestalt murmelte Worte, deren Ursprung auf einer anderen, lange verlorenen Welt lag, und warf ein paar Blätter in die Flammen, wodurch der bereits schwere Qualm noch dichter wurde und seine bescheidene Hütte aus Holz und Erde ausfüllte.

Der kahlköpfige, alte Orc schob sich etwas näher an die Glut und atmete tief ein. Seine müden, braunen Augen waren von Adern durchzogen, und seine Haut hing in schlaffen Falten herab. Seine Zähne waren gelb und gesplittert, einer der Stoßzähne war schon vor vielen Jahren abgebrochen. Er konnte sich kaum ohne fremde Hilfe erheben, und wenn er ging, so tat er dies mit krummem Rücken und sehr, sehr kleinen und vorsichtigen Schritten.

Doch selbst der stolzeste Krieger huldigte ihm, dem Schamanen, mit Respekt.

Ein bisschen Knochenstaub, ein paar Tannar-Beeren … alles Teil einer altbewährten Tradition, die unter den Orcs der Gegenwart ihre Wiederbelebung erfahren hatte. Kalthars Vater hatte seinen Sohn sogar während der dunklen Jahre der Horde alles gelehrt, genau wie es Kalthars Großvater zuvor den eigenen Sohn gelehrt hatte.

Und nun, zum ersten Mal in seinem Leben, hoffte der alte Schamane inständig, dass er ein guter Schüler gewesen war.

Stimmen murmelten in seinem Kopf, die Geister jener Welt, die die Orcs nun ihre Heimat nannten. Normalerweise flüsterten sie von den kleinen Dingen, den Dingen des Lebens, aber jetzt raunten sie besorgt und warnend … ja, warnend …

Doch wovor warnten sie? Er musste mehr erfahren.

Kalthar griff in den Beutel an seiner Hüfte und zog drei getrocknete, schwarze Blätter hervor. Sie waren fast alles, was noch von einer einzelnen Pflanze übrig war, die er vor langer Zeit aus der alten Orc-Welt mitgebracht hatte. Man hatte Kalthar ermahnt, sie nicht zu benutzen, es sei denn, er hielt es für absolut notwendig. Seine Vater hatte diese Blätter niemals gebraucht, auch sein Großvater nicht.

Der Schamane warf sie in die Flammen.

Sofort verwandelte sich der Rauch in ein dickes, wirbelndes Dunkel. Nicht länger schwarz, sondern blau. Die Brauen des Orcs furchten sich angesichts dieses Farbwechsels, dann lehnte er sich wieder weit vor und saugte so viel von den Dämpfen in seine Lungen, wie er nur konnte.

Die Welt verwandelte sich und mit ihr der Orc. Er war ein Vogel geworden, der seine riesigen Schwingen ausbreitete, während er über die Landschaft hinweg glitt. Er flog sorglos über die Berge, und sein Blick erfasste die kleinsten Tiere, die entferntesten Flüsse. Ein Hochgefühl, wie er es seit seiner Jugend nicht mehr verspürt hatte, erfüllte Kalthar, aber er kämpfte gegen diese Freude an. Wenn er ihr nachgab, riskierte er, sein Gespür für sein eigenes Ich zu verlieren. Dann würde er für immer als Vogel weiterfliegen und sich nicht mehr daran erinnern, wer und was er einmal war.

Und während er noch diese Gefahren bedachte, bemerkte Kalthar plötzlich, dass im Wesen der Welt etwas falsch war. Möglicherweise lag hier der Grund für die Angst in den Stimmen. Etwas war, das nicht sein sollte. Er wandte sich in die Richtung, aus der er es zu spüren glaubte, und wurde immer banger, je näher er ihm kam.

Und in der tiefsten Schlucht der Bergkette entdeckte der Schamane die Quelle seiner Furcht.

Sein gelehrter Geist wusste, dass seine Seele in einer Vision einem Konzept gegenüberstand, dass nichts von dem, was er hier erfuhr, wirklich real war, nichts tatsächlich existierte. All dies wusste er. Aber er glaubte es nicht. Alles war so wirklich.

Kalthar erschien es als ein Wasserstrudel – doch einer, der die Dinge gleichzeitig verschlang und ausspie. Und das, was aus den Tiefen erschien und in ihnen verschwand, waren Tage und Nächte, Monate und Jahre. Der Trichter schien die Zeit selbst hinunterzuschlingen und wieder auszuspeien.

Die Vorstellung entsetzte und verwirrte den Schamanen so sehr, dass er erst, als es schon beinahe zu spät war, bemerkte, dass der Trichter jetzt versuchte, auch ihn einzusaugen.

Sofort strengte Kalthar seine Vogelgestalt an, um sich zu befreien. Er flatterte mit den Flügeln, legte all seine Kraft in die Muskulatur. Sein Geist griff nach dem alten Leib, der am Feuer saß, zerrte hart an dem hauchdünnen Band, das Körper und Seele verband und versuchte, die Trance zu brechen.

Noch immer zog ihn der Trichter auf sich zu.

Verzweifelt rief Kalthar nach den Geistern, die ihn auf seinem schamanischen Weg führten, betete zu ihnen, sie mögen ihm Stärke verleihen. Sie kamen – wie er gewusst hatte, dass sie kommen würden –, doch zuerst schienen sie zu langsam zu arbeiten. Der Trichter des Strudels füllte seine gesamte Sicht aus, schien bereit, ihn zu vertilgen.

Plötzlich wirbelte die Welt um den Schamanen. Der Trichter, die Berge … alles drehte und drehte sich …

… und mit einem Aufkeuchen erwachte Kalthar.

Erschöpfter als er es jemals zuvor gewesen war, konnte er nur knapp verhindern, dass sein Körper mit dem Gesicht voran ins Feuer stürzte. Er fing sich mit beiden Händen auf. Die ständig murmelnden Stimmen waren verschwunden. Der Orc lag auf dem Boden seiner Hütte und versuchte sich zu beteuern, dass er – ja, ganz gewiss! – jetzt wieder ganz in der sterblichen Welt existierte. Die Geister hatten ihn gerettet, wenn auch in allerletzter Sekunde.

Aber mit dieser glücklichen Gewissheit kam die Erinnerung an die Geschehnisse, deren Zeuge er in seiner Vision geworden war … und an das, was sie bedeuteten.

„Ich muss Thrall davon erzählen“, murmelte er und kämpfte sich auf seine müden, alten Beine. „Ich muss es ihm schnell berichten … oder wir verlieren unsere Heimat … unsere Welt … ein weiteres Mal!“

ZWEI

Ein beunruhigendes Vorzeichen, entschied Rhonin, während seine lebhaften, grünen Augen weiter über die Ergebnisse seines Weissagungszaubers wanderten. Jeder Magier wäre in der Lage, dies zu erkennen.

„Bist du sicher?“, rief Vereesa aus dem anderen Raum. „Hast du deine Ergebnisse überprüft?“

Der rothaarige Magier nickte, dann verzog er das Gesicht zu einer Grimasse, als er sich daran erinnerte, dass die Elfe ihn natürlich nicht sehen konnte. Er würde es ihr von Angesicht zu Angesicht sagen müssen. Sie verdiente es. Ich bete, dass sie stark genug ist.

In der Hose und der Jacke, deren dunkelblauer Stoff mit Gold besetzt war, sah Rhonin dieser Tage eher wie ein Politiker aus denn wie ein Magier. Aber schließlich hatten die letzten paar Jahre von ihm auch ebenso viel Diplomatie verlangt wie Magie. Die Politik war ihm, der es vorzog, sich kopfüber in eine Situation zu stürzen, niemals leicht gefallen. Seine dichte, rote Haarmähne und der kurze Bart verliehen ihm das charakteristische Erscheinungsbild eines Löwen, das so gut zu seinem schwer bezähmbaren Temperament passte, wenn er gezwungen war, mit verwöhnten und arroganten Botschaftern zu verhandeln. Seine vor langer Zeit gebrochene Nase, die – aufgrund seiner eigenen Entscheidung – niemals anständig gerichtet worden war, wirkte draufgängerisch und unterstrich das hitzköpfige Temperament, das man ihm nachsagte.

„Rhonin … gibt es da etwas, das du mir nicht verraten hast?“

Er konnte sie nicht länger warten lassen. Sie musste die Wahrheit erfahren, wie schrecklich diese auch sein mochte. „Ich komme, Vereesa.“

Rhonin packte seine Weissagungsinstrumente ein, nahm einen tiefen, schweren Atemzug und begab sich wieder in das Zimmer der Elfe. Doch noch in der Tür zögerte er. Alles, was Rhonin sehen konnte, war ihr Gesicht – dieses wunderschöne, perfekte Oval, in das ein großer Künstler mandelförmige Augen vom Blau eines klaren Himmels, eine winzige, nach oben gerichtete Nase und einen verlockenden Mund, der ständig halb zu lächeln schien, gesetzt hatte. Eingerahmt wurde dieses Gesicht von einer schweren Kaskade silberweißen Haares. Trotzdem hätte man sie für eine Menschenfrau halten können, hätten aus dem Haar nicht die langen, spitz zulaufenden Ohren heraus geragt, die typisch für ihr Volk waren.

„Und?“, fragte sie geduldig.

„Es … es werden Zwillinge.“

Ihr Gesicht leuchtete auf, und, wenn dies überhaupt möglich war, so wurde es damit in seinen Augen noch perfekter. „Zwillinge! Wie großartig! Wie wundervoll! Ich war so sicher.“

Sie änderte ein wenig ihre Lage auf dem hölzernen Bett. Die schlanke und dennoch mit wohl gewachsenen Rundungen gesegnete elfische Waldläuferin war jetzt seit mehreren Monaten schwanger. Verschwunden waren der Brustpanzer und die Lederrüstung, ohne die man sie früher niemals angetroffen hatte. Jetzt trug sie ein silbriges Gewand, das die kurz bevorstehende Niederkunft in keinster Weise verbarg.

Die Schnelligkeit, mit der die Schwangerschaft sich gezeigt hatte, hätte es ihnen verraten können, doch Rhonin hatte es verleugnen wollen. Sie waren erst seit wenigen Monaten verheiratet gewesen, als seine Frau ihre Umstände erkannt hatte. Beide hatten sich zunächst große Sorgen gemacht, denn nicht nur war ihre Heirat etwas höchst Seltenes, es hatte auch noch niemals jemand eine erfolgreiche menschlich-elfische Geburt für die Nachwelt aufgezeichnet.

Und jetzt erwarteten sie nicht nur ein Kind, sondern zwei!

„Ich glaube, du verstehst nicht, Vereesa. Zwillinge! Zwillinge von einem Magier und einer Elfe!“

Aber ihr Gesicht strahlte weiterhin Freude aus. „Elfen gebären nicht oft Kinder, und wir bringen nur sehr, sehr selten Zwillinge zur Welt, mein Geliebter! Sie sind für große Dinge bestimmt!“

Rhonin konnte seinen säuerlichen Gesichtsausdruck nicht verbergen. „Ich weiß. Das ist es ja, was mir Sorgen bereitet …“

Er und Vereesa hatten bereits einiges an „großen Dingen“ hinter sich. Während der letzten Tage des Krieges gegen die Horde hatte das Schicksal sie zusammengeführt. Gemeinsam waren sie in die Orc-Festung Grim Batol eingedrungen, wo sie es nicht nur mit Orcs zu tun bekommen hatten, sondern auch mit Drachen, Kobolden, Trollen … und einigem mehr. Danach waren sie von Reich zu Reich gezogen und zu einer Art von Botschaftern geworden, hatten die Allianz ständig daran erinnert, wie wichtig es war, dass ihr Bündnis intakt blieb. Das hatte jedoch nicht bedeutet, dass sie während dieser Zeit nicht ständig ihr Leben riskiert hätten, denn den Frieden, der auf den Krieg gefolgt war, hatte man bestenfalls als unsicher bezeichnen können.

Dann war, ohne Vorwarnung, die Brennende Legion erschienen.

Zu dieser Zeit war das, was als eine Zweckgemeinschaft zweier sich misstrauisch beäugender Agenten begonnen hatte, zu einer Verbindung von zwei zwar ganz und gar andersartigen, aber dennoch seelenverwandten Geschöpfen geworden. Im Krieg gegen die mörderischen Dämonen hatten der Magier und die Waldläuferin ebenso füreinander wie für ihre Länder gekämpft. Mehr als einmal hatten sie den anderen für tot gehalten, und für beide war der Schmerz, den sie dann fühlten, unerträglich gewesen.

Vielleicht war der Schmerz, einander zu verlieren, dadurch noch schlimmer erschienen, dass so viele andere geliebte Wesen bereits den Tod in diesem Krieg gefunden hatten. Dalaran und Quel’Thalas waren von der Untoten Geißel dem Erdboden gleich gemacht, Tausende von den fauligen Abscheulichkeiten hingeschlachtet worden – den Dienern des fürchterlichen Totenkönigs, der die Sache der Legion unterstützt hatte. Ganze Städte hatten ein grauenhaftes Ende gefunden, und die Lage war dadurch, dass viele der Opfer sich bald von den Toten erhoben und ihre nun verdammten sterblichen Hüllen den Rängen der Geißel angeschlossen hatten, nur noch verschlimmert worden.

Die wenigen Menschen, die von Rhonins Familie übrig gewesen waren, hatten in diesem Konflikt schon früh den Tod gefunden. Seine Mutter war bereits lange tot gewesen, sein Vater, sein Bruder und zwei Cousins waren beim Fall der Stadt Andorhal gestorben. Glücklicherweise hatten die verzweifelten Verteidiger, als ihnen alle Hoffnung auf Rettung geschwunden war, ihre eigene Stadt angezündet. Selbst die Geißel hatte aus der verbleibenden Asche keine Krieger mehr rekrutieren können.

Rhonin hatte seit seinem Eintritt in die Welt der Zauberkunst keinen seiner Verwandten mehr gesehen – selbst seinen Vater nicht –, aber er hatte eine Leere in seinem Herzen verspürt, kaum dass ihn die Nachricht von ihrem Tod erreichte. Die Kluft zwischen ihm und seinen Verwandten, die zu einem großen Teil auf den Beruf zurückging, den er sich gewählt hatte, war von einer Sekunde auf die andere verschwunden gewesen. Jetzt hatte nur noch gezählt, dass er der Letzte seiner Familie war … und vollkommen allein.

Vollkommen allein – bis er erkannt hatte, dass die Gefühle, die er für die tapfere Elfen-Waldläuferin an seiner Seite entwickelt hatte, erwidert wurden.

Als der schreckliche Kampf schließlich zu Ende war, hatte es für sie beide nur einen logischen Weg gegeben, den sie nehmen konnten. Trotz der entsetzten Stimmen, die sich sowohl aus Vereesas Volk als auch aus Rhonins magischer Zunft meldeten, hatten beide sich entschieden, sich niemals wieder zu trennen. Sie hatten ein Heiratsversprechen besiegelt und versucht, ein Leben zu beginnen, das so normal war, wie zwei Wesen ihrer so gegensätzlichen Natur es in einer gespaltenen Welt nur irgend führen konnten.

Natürlich, dachte der Magier bitter, sollte es für uns keinen Frieden geben.

Vereesa erhob sich in ihrem Bett, noch bevor er ihr helfen konnte. Selbst so kurz vor der Geburt, bewegte sich die Elfe flink und sicher. Sie fasste Rhonin an den Schultern und blickte ihm in die Augen.

„Ihr Magier! Immer seht ihr nur das Schlimmste! Und ich dachte, meine eigenen Leute wären trübsinnig! Mein Geliebter, dies wird eine glückliche Geburt werden, ein glückliches Paar Kinder! Wir werden dafür sorgen, dass es so kommt!“

Er wusste, dass sie Recht hatte. Keiner von ihnen würde irgendetwas tun, das die Kinder in Gefahr brachte. Als sie den Zustand der Elfe erkannt hatten, hatten sie sofort ihre eigenen Bemühungen um den Wiederaufbau der zertrümmerten Allianz eingestellt und sich in einer der friedlichsten Regionen niedergelassen, die es noch gab – nahe dem zerstörten Dalaran. Doch nicht zu nahe. Jetzt lebten sie in einem einfachen, aber nicht vollkommen bescheidenen Haus, und die Leute der in geringer Entfernung gelegenen Stadt achteten sie.

Die Gewissheit und Hoffnung seiner Frau versetzten den Magier noch immer in Staunen, wenn er bedachte, was sie selbst alles verloren hatte. Wenn Rhonin ein Loch in seinem Herzen gefühlt hatte, nachdem ihm eine Familie genommen worden war, die er kaum noch gekannt hatte, so musste es bei Vereesa ein bodenloser Abgrund gewesen sein, der sich in ihrem Herzen auftat. Quel’Thalas, legendärer noch – und gewiss sicherer – als selbst das von Magie regierte Dalaran, war vollkommen vernichtet worden. Elfische Festungen, seit Jahrhunderten von keiner feindlichen Hand berührt, waren in nur wenigen Tagen gefallen, und ihr einst stolzes Volk war so einfach in die Reihen der Geißel gepresst worden, als wären es nur Menschen gewesen. Zu den lebenden Leichen hatten auch mehrere Mitglieder von Vereesas fest zusammenhaltenden Clan gehört … und ein paar aus ihrer eigenen Familie.

Ihr Großvater hatte ihr von seinem verzweifelten Kampf erzählt, wie er versuchte, den grauenhaften Kadaver seines eigenen Sohnes zu vernichten, ihres Onkels. Von dem alten Mann hatte sie auch erfahren, wie ihr jüngerer Bruder von einem hungrigen Mob Untoter unter der Führung ihres eigenen älteren Bruders, den später die überlebenden Verteidiger angezündet und zusammen mit dem Rest der Geißel in den Flammen vernichtet hatten, zerfetzt worden war. Was mit ihren Eltern geschehen war, wusste bisher noch niemand, aber auch von ihnen nahm man an, dass sie nicht mehr am Leben waren.

Und was Rhonin ihr nicht erzählt hatte – und wahrscheinlich auch niemals erzählen würde –, waren die monströsen Gerüchte, die er über Sylvanas, eine der beiden Schwestern Vereesas, gehört hatte.

Vereesas andere Schwester, die große Alleria, war während des Krieges gegen die Brennende Legion zur Heldin aufgestiegen. Aber Sylvanas, sie, der Rhonins Frau stets nachzueifern bemüht gewesen war, hatte die Waldläufer in die Schlacht gegen den Verräter geführt – Arthas, Prinz von Lordaeron. Einst die leuchtende Hoffnung seines Landes, nun der grauenhaften Diener von Legion und Geißel, hatte er sein eigenes Königreich verwüstet und dann die untote Horde gegen die Elfenhauptstadt Silbermond geführt. Sylvanas hatte seinen Truppen immer wieder den Weg versperrt, und eine Zeit lang hatte es tatsächlich so ausgesehen, als würde sie ihn besiegen. Doch wo schlurfende Leichen, Ungetüme und Abscheulichkeiten versagt hatten, hatte schließlich die finstere Nekromantie des verräterischen Edelmannes den Sieg davon getragen.

Die offizielle Version besagte, Sylvanas sei tapfer im Kampf gefallen, als sie verhinderte, dass Arthas’ Lakaien das Volk von Silbermond abschlachteten. Die Anführer der Elfen – sogar Vereesas Großvater – behaupteten, der Leichnam der Waldläuferin sei in dem gleichen Feuer verbrannt, das die Hälfte der Hauptstadt verwüstete.

Doch während für Vereesa die Geschichte hier endete, hatte Rhonin durch Quellen unter den Kirin Tor und in Quel’Thalas Dinge erfahren, die ihn mit Entsetzen erfüllten. Ein überlebender Waldläufer, von den Schrecken des Krieges seines Verstandes beraubt, hatte etwas davon gebrabbelt, dass seine Anführerin nicht im Kampf gefallen, sondern gefangen genommen worden sei. Man hätte sie schrecklich gefoltert und verstümmelt und dann zuletzt zu Arthas’ purem Vergnügen getötet. Schließlich hätte der Prinz ihre Leiche in seinen dunklen Tempel gebracht und dort ihre Seele und ihren toten Leib verdorben und sie von einer heroischen Elfe in eine Botin des Bösen verwandelt … ein trauriges, klagendes Phantom, eine Banshee, die angeblich noch immer die Ruinen von Quel’Thalas durchstreifte.

Rhonin war bisher nicht in der Lage gewesen, diese Gerüchte auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen, doch er war sich sicher, dass sie mehr als nur ein Körnchen Wahrheit enthielten. Er betete, dass Vereesa diese Version niemals zu Ohren kommen würde.

So viele Tragödien … es war kein Wunder, dass Rhonin seine Sorgen nicht abstreifen konnte, wenn es um seine neue Familie ging.

Er seufzte. „Vielleicht werde ich mich besser fühlen, wenn sie erst einmal geboren sind. Ich bin wahrscheinlich nur nervös.“

„Womit du beweist, dass du ein fürsorglicher Vater sein wirst“, erwiderte Vereesa von ihrem Bett aus. „Außerdem stehen wir nicht alleine da. Jalia hilft sehr.“

Jalia war eine ältere Frau mit einem drallen, runden Bauch. Sie hatte sechs Kinder zur Welt gebracht und bei Dutzenden Geburten als Hebamme Beistand geleistet. Rhonin war sich sicher gewesen, dass eine Menschenfrau einer Elfe nicht helfen wollen würde – noch dazu einer Elfe, die einen Magier zum Gemahl hatte –, aber Jalia hatte nur einen Blick auf Vereesa geworfen, und ihre mütterlichen Instinkte waren durchgebrochen. Obwohl Rhonin sie gut für ihre Zeit entlohnte, hatte er den starken Verdacht, dass Jalia sich so oder so als Unterstützung angeboten hätte, so lieb hatte sie seine Frau gewonnen.

„Ich nehme an, du hast Recht“, begann er. „Ich habe mir nur …“

Eine Stimme – eine sehr vertraute Stimme – füllte plötzlich seinen Kopf aus. Eine Stimme, die ihm mit Gewissheit keine guten Nachrichten überbrachte.

Rhonin … ich brauche dich …

„Krasus?!“, stieß der Magier hervor.

Vereesa setzte sich auf, und alle Freude war aus ihrem Gesicht verschwunden. „Krasus? Was ist mit ihm?“

Sie kannten beide den MeisterMagier, ein Mitglied der Kirin Tor. Krasus war derjenige gewesen, der sie zusammengeführt hatte. Und er war auch derjenige gewesen, der ihnen damals nicht die volle Wahrheit über die Situation gesagt hatte, insbesondere, so weit es ihn selbst betraf. Erst unter dramatischen Umständen hatten sie entdeckt, dass er auch der Drache Korialstrasz war.

„Es … es ist Krasus“, war alles, was Rhonin in diesem Augenblick zu erwidern vermochte.

Rhonin … ich brauche dich …

Ich werde dir nicht helfen!, antwortete der Magier sofort. Ich habe meinen Teil getan! Du weißt, dass ich sie jetzt nicht allein lassen kann.

„Was will er?“, wollte Vereesa wissen. Wie Rhonin war auch ihr klar, dass Krasus nur dann mit ihnen Kontakt aufnahm, wenn sich irgendwo eine Krise anbahnte.

„Das ist doch gleichgültig. Er wird jedenfalls einen anderen finden müssen.“

Bevor du mich abweist, erlaube mir, es dir zu zeigen, blieb die Stimme beharrlich. Erlaube mir, es euch beiden zu zeigen …

Bevor Rhonin protestieren konnte, durchströmten Bilder seinen Geist. Er erlebte noch einmal Krasus’ Erstaunen, als der Herr der Zeit mit ihm Kontakt aufnahm, erkannte den Schrecken des Drachenmagiers, als ihm die Verzweiflung des Aspekts bewusst geworden war. Alles, was Krasus erfahren hatte, wurde nun von dem Magier und seiner Frau geteilt.

Zuletzt überwältigte Krasus sie mit einem Bild jenes Ortes, von dem er glaubte, dass er der Ursprung von Nozdormus Not war: eine Region kalter, unwirtlicher, zerklüfteter Berge.

Kalimdor.

Die Vision hatte nur ein Sekunden gedauert, aber als sie vorbei war, ließ sie Rhonin vollkommen erschöpft zurück. Er hörte ein Keuchen vom Bett her. Als er sich umwandte, fand der Magier Vereesa auf das Daunenkissen zurückgesunken.

Er trat sofort eilig auf sie zu, aber sie hob eine Hand und wischte seine Sorgen mit einer lässigen Bewegung fort. „Es geht mir gut! Bin nur … etwas außer Atem. Gib mir einen Augenblick …“

Die Ewigkeit hätte Rhonin für sie gegeben, aber für einen anderen hatte er nicht einmal eine Sekunde übrig. Der Magier beschwor das Bild von Krasus in seinem Kopf und antwortete: Such dir andere für deine Missionen! Diese Tage sind für mich endgültig vorbei! Ich muss mich jetzt um wichtigere Dinge kümmern!

Krasus entgegnete nichts, und Rhonin fragte sich, ob seine Antwort bereits genügt hatte, seinen einstigen Gönner dazu zu bringen, sich andere Helfer zu suchen. Er respektierte Krasus, mochte ihn sogar, aber jener Rhonin, nach dem der Drachenmagier verlangte, existierte nicht mehr. Nur seine Familie war ihm jetzt noch wichtig.

Doch zu seiner Überraschung begann die Person, von der er erwartet hatte, dass sie am bedingungslosesten zu ihm stehen würde, plötzlich zu murmeln: „Du musst natürlich sofort gehen.“

Er starrte Vereesa an. „Ich gehe nirgendwohin!“

Sie richtete sich wieder auf. „Aber du musst! Du hast gesehen, was ich gesehen habe. Er ruft dich nicht zu irgendeinem belanglosen Ausflug! Krasus macht sich große Sorgen … und seine Sorgen machen mir große Angst.“

„Aber ich kann dich jetzt nicht verlassen!“ Rhonin ließ sich neben ihr auf ein Knie niedersinken. „Ich werde dich und unsere Kinder nicht allein lassen!“

Ein Anflug ihrer Vergangenheit als Waldläuferin strich über Vereesas Gesicht. Ihre Augen zogen sich gefährlich schmal zusammen und fixierten die mysteriöse Kraft – was immer es auch sein mochte –, die sie voneinander trennen wollte. „Und das Letzte, was ich mir wünsche, ist, dass du dich in Gefahr begibst. Ich will den Vater meiner Kinder nicht opfern. Aber was wir gesehen haben, kann eine schreckliche Bedrohung für die Welt bedeuten, in die sie hinein geboren werden. Schon allein aus diesem Grund musst du gehen. Wäre ich nicht in diesen Umständen, ich würde mit dir kommen, das weißt du.“

„Natürlich weiß ich das.“

„Ich sage mir, dass er stark ist – Krasus. Sogar stärker als Korialstrasz! Ich sage mir, dass ich dich nur gehen lasse, weil du und er zusammen sein werden. Du weißt, er würde dich nicht fragen, wenn er dich nicht für fähig hielte.“

Das stimmte. Drachen respektierten nur wenige sterbliche Wesen. Dass Krasus also in irgendeiner seiner Gestalten ihn um Hilfe ersuchte, bedeutete sehr viel … und als Verbündeter des Leviathans würde Rhonin besser geschützt sein als irgendjemand sonst.

Was konnte schon schief gehen?

Rhonin nickte geschlagen. „In Ordnung. Ich gehe. Kommst du hier klar, bis Jalia da ist?“

„Mit meinem Bogen habe ich auf hundert Meter Orcs getötet. Ich habe gegen Trolle, Dämonen und mehr gekämpft. Ich habe fast die ganze Länge und Breite von Azeroth bereist … ja, mein Geliebter, ich glaube, ich komme klar, bis Jalia da ist.“

Er küsste sie. „Dann sollte ich Krasus besser wissen lassen, dass ich komme. Für einen Drachen ist er ein ziemlich ungeduldiger Geselle.“

„Er hat die Last der Welt auf seine Schultern genommen, Rhonin.“

Das machte es dem Magier auch nicht leichter. Ein altersloser Drache war sehr viel geeigneter, schreckliche Krisen zu bewältigen, als ein einfacher, sterblicher Magier, der gerade Vater wurde.

Rhonin konzentrierte sich auf ein Bild des Drachenmagiers und tastete mit seinem Geist nach seinem früheren Gönner. In Ordnung, Krasus. Ich helfe dir. Wo sollen wir uns tref–

Finsternis umschloss den Magier. Aus weiter Ferne hörte er Vereesas Stimme, die seinen Namen rief. Ein Gefühl von Schwindel überkam Rhonin.

Dann klapperten seine Stiefel plötzlich über harten Fels. Jeder Knochen in seinem Leib zitterte von dem Aufprall, und nur mit großer Mühe konnte er verhindern, dass seine Beine nicht unter ihm nachgaben.

Er stand in einer gigantischen Höhle, die offensichtlich von mehr als nur den Launen der Natur geschaffen worden war. Das Dach war ein fast perfektes Oval und die Wände irgendwann geschmolzen und so geglättet worden. Eine dämmrige Beleuchtung, deren Quelle nicht zu erkennen war, ermöglichte es, die einsame, in eine Robe gekleidete Gestalt auszumachen, die im Zentrum des gewaltigen Raumes wartete.

„Gut …“, gelang es Rhonin herauszubringen. „Ich nehme an, wir treffen uns hier.“

Krasus streckte eine seiner langen Hände nach links aus. „Da ist ein Rucksack mit Proviant und Wasser für dich. Nimm ihn und folge mir.“

„Ich hatte kaum Gelegenheit, mich von meiner Frau zu verabschieden …“, knurrte Rhonin, während er den großen, ledernen Rucksack aufnahm und ihn sich über die linke Schulter warf.

„Du hast mein Mitgefühl“, entgegnete der Drachenmagier, der bereits forschen Schrittes voraus schritt. „Ich habe bereits Vorkehrungen getroffen, damit sie nicht ohne Unterstützung ist. Es wird ihr an nichts fehlen, während wir fort sind.“

Krasus auch nur ein paar Sekunden lang zuzuhören, erinnerte Rhonin daran, wie oft der uralte Drachenmagier für ihn gedacht hatte, ohne die eigene Entscheidung des jungen Magiers abzuwarten.

Der junge Magier folgte der großen, schlanken Gestalt zum Eingang der riesigen Höhle. Dass Krasus sein Allerheiligstes seit dem Krieg mit den Orcs an einen anderen Ort verlegt hatte, war Rhonin bekannt, nicht aber, wohin er gezogen war. Jetzt sah der Mensch, dass die Höhle eine vertraute Kette von Bergen überblickte, die gar nicht so weit von seinem eigenen Zuhause entfernt lag. Im Unterschied zu ihren düsteren Gegenstücken in Kalimdor, besaßen diese Berge eine majestätische Schönheit und vermittelten nicht das Gefühl von Angst.

„Wir sind ja fast Nachbarn“, merkte der Mensch trocken an.

„Ein Zufall. Aber ein Zufall, der es mir ermöglichte, dich hierher zu bringen. Hätte ich versucht, dich von der Höhle meiner Königin aus zu rufen, wäre die notwendige magische Arbeit sehr viel aufwändiger gewesen, und ich möchte so viel von meiner Kraft erhalten wie nur irgend möglich.“

Sein Tonfall nahm Rhonin alle Feindseligkeit. Er hatte noch nie so viel Sorge in Krasus’ Stimme gehört. „Du sprachst von Nozdormu, dem Aspekt der Zeit. Ist es dir gelungen, wieder mit ihm in Kontakt zu treten?“

„Nein … und darum müssen wir alle nur erdenklichen Vorsichtsmaßregeln beachten. Um genau zu sein, wir dürfen keine Magie benutzen, um uns an unseren Zielort zu begeben. Wir werden fliegen müssen.“

„Aber wenn wir keine Magie benutzen, wie können wir dann …?“

Krasus’ ausgestreckte Arme begannen bereits, sich zu verwandeln. Sie entwickelten Schuppen und Krallen, während der Körper des Drachenmagiers schnell in Höhe und Breite wuchs und ledrige Flügel ausbildete. Krasus’ schmales Gesicht streckte und verbog sich, wurde reptilisch.

„Natürlich“, murmelte Rhonin. „Wie dumm von mir.“

Korialstrasz der Drache blickte auf seinen winzigen Gefährten herab.

„Steig auf, Rhonin. Wir müssen uns auf den Weg machen.“

Widerwillig gehorchte der Magier und erinnerte sich von früherer Gelegenheit her an die beste Art, sich auf dem Rücken eines Drachen niederzulassen. Er ließ seine Füße unter rote Schuppen gleiten, dann hockte er sich geduckt hinter den sehnigen, kraftvollen Hals des Leviathans. Seine Finger krallten sich in weitere Schuppen. Obwohl Rhonin klar war, dass Korialstrasz sein Bestes tun würde, um zu verhindern, dass sein Schützling abrutschte, wollte er kein Risiko eingehen. Niemand konnte voraussagen, was selbst einem Drachen am Himmel widerfahren mochte.

Die großen Hautschwingen flatterten einmal, zweimal, dann erhob sich der Drache mit seinem Reiter plötzlich hoch in den Himmel. Mit jedem Flügelschlag ließ er Meilen hinter sich zurück. Korialstrasz flog mühelos davon, und Rhonin konnte spüren, wie das Blut durch den Körper des Giganten raste. Obwohl er einen großen Teil seiner Zeit in der Maske des Krasus verbrachte, fühlte sich der Drache ganz offensichtlich in den Lüften am wohlsten.

Kalte Luft umpeitschte Rhonins Kopf, und der Magier wünschte sich, er hätte wenigstens noch Gelegenheit gehabt, sich umzuziehen. Der Reisemantel wäre ihm jetzt sehr dienlich gewesen. Er griff nach hinten und versuchte, seine Jacke hochzuziehen – nur um zu entdecken, dass das Kleidungsstück plötzlich eine Kapuze hatte.

Als er an sich herab blickte, erkannte Rhonin, dass er tatsächlich den dunkelblauen Reisemantel und anderes, an das er gerade gedacht hatte, über Hemd und Hose trug. Ohne auch nur ein Wort zu verlieren, hatte sein riesenhafter Gefährte seine spärliche Kleidung aufgewertet.

Die Kapuze tief über das Gesicht gezogen, dachte Rhonin über das nach, was vor ihnen lag. Was konnte den Herrn der Zeit so sehr entsetzen? Die Bedrohung klang nach etwas Akutem von katastrophalem Ausmaß … und nach etwas, gegen das ein sterblicher Magier kaum etwas würde ausrichten können.

Und doch hatte sich Korialstrasz an ihn gewandt …

Rhonin hoffte, sich als würdig zu erweisen, nicht nur um des Drachens Willen, sondern auch in Hinblick auf seine wachsende Familie.

So unmöglich es auch erschien, irgendwann während des Fluges schlief Rhonin ein. Aber selbst dann stürzte er nicht von seinem Sitz im Nacken der Flugechse in den sicheren Tod. Korialstrasz hatte natürlich, was das anging, irgendetwas damit zu tun, auch wenn der Drache allem Anschein nach völlig unbekümmert dahin flog.

Die Sonne war fast schon untergegangen, als der Magier wieder aus seinem Dämmerschlaf erwachte. Rhonin wollte seinen Gefährten gerade fragen, ob er vorhabe, die ganze Nacht durch zu fliegen, als Korialstrasz begann, in den Sinkflug überzugehen. Der Magier sah nur Wasser unter sich, die Große See. Er konnte sich nicht erinnern, je gehört zu haben, dass rote Drachen begeisterte Schwimmer seien. Hatte Korialstrasz ernsthaft vor, wie eine Ente auf dem Wasser zu landen?

Einen Augenblick später wurde seine Frage beantwortet. In der Ferne erschien ein dunkler Felsen. Nein … kein simpler Felsen, eine Insel, der es fast völlig an Vegetation fehlte.

Ein Gefühl von Angst beschlich Rhonin, wie er es früher schon einmal verspürt hatte – als er das Meer auf seinem Weg ins Land Khaz Modan überquert hatte. Damals war er mit zwergischen Greifenreitern unterwegs gewesen, und die Insel, die sie überflogen hatten, war Tol Barad gewesen, ein verfluchter Ort, den die Orcs schon früh überrannt hatten. Die Bewohner der Insel waren alle ermordet, ihre Heimat verwüstet worden, und die hochsensiblen Sinne des Magiers hatten gefühlt, wie ihre Seelen nach Rache dürsteten.

Jetzt erfuhr er wieder jenes Gefühl schrecklicher, unhörbarer Wehklagen.

Rhonin schrie den Drachen an, aber entweder riss ihm der Wind die Stimme fort, oder Korialstrasz entschied sich, ihn zu überhören. Langsam gingen sie auf der Insel nieder.

Sie landeten auf einem kleinen Berg, der eine Reihe von im Schatten liegender, zerstörter Gebäude überragte. Zu klein für eine Stadt, fand Rhonin, und er nahm an, dass es früher einmal ein Fort gewesen sein musste oder ein umfriedeter Wohnsitz. Auf jeden Fall boten die Ruinen ein beunruhigendes Bild, das die Sorgen des Magiers nur noch mehrte.

„Wann werden wir unseren Weg fortsetzen?“, fragte er Korialstrasz und hoffte immer noch, dass der Drache nur vorhatte, für ein paar Minuten Rast einzulegen, ehe sie weiter nach Kalimdor flogen.

„Nicht vor Sonnenaufgang. Um Kalimdor zu erreichen, müssen wir in der Nähe des Mahlstroms vorbei, und dafür werden wir unseren wachen Geist und frische Kräfte benötigen. Dies ist die einzige Insel, die ich im Umkreis fand.“

„Wie heißt sie?“

„Dieses Wissen ist nicht das meine.“

Korialstrasz beugte sich tief hinab und erlaubte es Rhonin so, abzusteigen. Der Magier entfernte sich gerade weit genug von seinem Gefährten, um einen letzten Blick auf die Ruinen erhaschen zu können, bevor die Finsternis sie verschlang.

„Etwas Tragisches ist hier geschehen“, sagte Korialstrasz plötzlich.

„Du spürst es auch?“

„Ja … doch was es ist, vermag ich nicht zu sagen. Wie auch immer, hier oben sollten wir sicher sein, und ich habe nicht die Absicht, mich zu verwandeln.“

Das beruhigte Rhonin ein wenig. Er entschied sich, so nahe wie möglich bei dem Drachen zu bleiben. Trotz seines tollkühnen Rufs war der Magier kein Narr. Nichts konnte ihn hinunter in diese Ruinen locken.

Sein gigantischer Kamerad schlief beinahe sofort ein und ließ einen viel zu aufgeregten Rhonin zurück, der in den Nachthimmel starrte. Vereesas Bild erfüllte seine Gedanken. Die Zwillinge würden nicht mehr lange auf sich warten lassen, und er hoffte, ihre Ankunft durch diese Mission nicht zu verpassen. Geburt war eine ganz eigene Form von Magie, eine, die Rhonin niemals hätte meistern können.

Die Gedanken an seine Familie entspannten den Magier ein wenig, und bevor er es bemerkte, war er doch noch in tiefen Schlummer gesunken. Dort leisteten Vereesa und die noch ungeborenen Zwillinge ihm weiterhin liebevolle Gesellschaft, obwohl er seine Sprösslinge niemals klar als männlich oder weiblich einzuordnen vermochte.

Vereesa verschwand in den Hintergrund und ließ Rhonin mit den Zwillingen zurück. Sie riefen nach ihm, flehten ihn an, zu ihnen zu kommen. In seinen Träumen begann er zu laufen, über eine weite Ebene zu rennen. Die Kinder wurden immer fernere Schattenrisse am Horizont. Was als ein Spiel begonnen hatte, wurde zur wilden Jagd. Die zunächst glücklichen Rufe füllten sich mit Angst. Rhonins Kinder brauchten ihn, aber erst musste er sie finden … und zwar rasch.

„Vater! Vater!“, klangen die Stimmen.

„Wo seid ihr? Wo seid ihr?“ Der Magier kämpfte sich durch ein Gewirr von Zweigen, das nur noch dichter zu werden schien, je entschlossener er sich vorankämpfte. Endlich brach er durch und fand sich vor einer hoch aufragenden Burg wieder.

Und von oben riefen wieder die Kinder. Er sah ihre fernen Gestalten, ihre Arme, die sich ihm flehentlich entgegen streckten. Rhonin wob einen Zauber, um sich in die Luft zu erheben, aber als er dies tat, wuchs die Burg und hielt mit seinem Bemühungen Schritt.

Frustriert konzentrierte er sich darauf, schneller aufzusteigen.

„Vater! Vater!“, schrillten die Stimmen, jetzt ein wenig vom Wind verzerrt.

Schließlich erreichte er das Turmfenster, wo die beiden ihn erwarteten. Mit ihren Armen versuchten sie, die Entfernung zu Rhonin zu überbrücken. Ihre Finger waren nur noch wenige Zoll von den seinen entfernt …

Doch plötzlich polterte eine riesige Gestalt in die Burg und ließ sie in ihren Grundfesten erzittern. Rhonin und seine Kinder taumelten in schnellem Sturz zur Erde hinab. Rhonin versuchte verzweifelt, die Zwillinge zu retten, aber eine monströse, ledrige Hand fing ihn auf und trug ihn davon.

„Wach auf! Wach auf!“

Der Kopf des Magiers pochte. Alles um ihn herum begann sich zu drehen. Die Hand verlor ihren Halt um ihn, und wieder begann er zu stürzen.

„Rhonin! Wo auch immer du bist! Wach auf!“

Unter ihm eilten zwei schattenhafte Gestalten heran, um ihn aufzufangen … seine Kinder, die nun versuchten, sein Leben zu retten. Rhonin lächelte dem Paar zu, und es lächelte zurück.

Lächelte zurück mit rasiermesserscharfen, tückischen Zähnen.

Und gerade noch rechtzeitig erwachte Rhonin.

Statt zu fallen, lag er auf dem Rücken. Die Sterne über ihm enthüllten, dass er sich in der dachlose Ruine eines Gebäudes befand. Modrig-feuchter Gestank attackierte seinen Geruchssinn, und ein aggressiver, zischender Laut drang an sein Gehör.

Er hob den Kopf – und starrte in eine Alptraum-Fratze.

Hätte jemand einen menschlichen Totenschädel genommen, ihn in geschmolzenes Wachs getaucht und dieses dann ungehemmt abtropfen lassen, wäre es dem schockierenden Anblick, der Rhonin erwartete, ziemlich nahe gekommen. Und hätte man diesem Gebilde noch lange, spitze Zähne, sowie rote, seelenlose, hungrig stierende Augen hinzugefügt, wäre das Bild höllischen Grauens perfekt gewesen.

Es kam auf viel zu langen Beinen auf ihn zu und holte mit knochigen Armen aus. Diese endeten in drei langen, gebogenen Fingern, welche sich tief in den bereits verwüsteten Stein gruben. Die makabre Gestalt trug die zerfetzten Überreste eines einst königlichen Mantels. Sie war so dünn, dass Rhonin zuerst glaubte, sie besäße überhaupt kein Fleisch, aber dann sah er eine fast durchsichtige Hautschicht, die die Rippen und andere sichtbare Bereiche überzog.

Der Magier war auf die Beine gesprungen und stolperte zurück, als die Monstrosität gerade nach seinem Fuß grabschte. Das schleimverkrustete Maul öffnete sich, doch statt eines Fauchens oder Schreis ertönte eine kindliche Stimme.

„Vater!“

Die gleiche Stimme wie in Rhonins Traum.

Er schauderte angesichts eines solchen Lautes aus der Kehle eines Ghuls, aber gleichzeitig weckte der Ruf einen unwiderstehlichen Drang in ihm. Wieder war ihm, als riefen tatsächlich seine eigenen Kinder nach ihm – was absolut unmöglich schien.

Ein Brüllen, das die Erde erzittern ließ, erfüllte plötzlich das zerstörte Gebäude. Rhonin erwachte wie aus einer Trance, zeigte auf das Ungetüm und murmelte ein paar Worte.

Ein Ring aus Feuer flammte um das bleiche Wesen herum auf, das jetzt schrie. Es erhob sich so hoch, wie seine ungelenken Glieder es ihm ermöglichten und versuchte, den Flammen zu entkommen.

„Rhonin!“, rief von draußen Korialstrasz. „Wo bist du?“

„Hier! Hier drin! Ein Haus, das kein Dach mehr hat!“

Noch während der Magier sprach, durchbrach die hagere Gestalt plötzlich das Feuer.

Flammen leckten an einem halben Dutzend Stellen ihres dürren Leibes. Sie öffnete ihr Maul weiter, als es hätte möglich sein dürfen – weit genug jedenfalls, um Rhonins Kopf zu verschlingen.

Bevor der Magier einen weiteren Zauber wirken konnte, verdunkelte ein riesiger Schatten die Sterne, und eine gigantische Pranke traf die teuflische Bestie. Mit einem weiteren Schrei flog der brennende Schrecken durch den Raum und krachte mit solcher Gewalt gegen eine Wand, dass um ihn herum Steine nieder prasselten.

Ein Stoß Drachenfeuer beendete, was Rhonins Zauber begonnen hatte.

Der Gestank überwältigte den Magier beinahe. Er hielt sich einen Ärmel vor Nase und Mund und sah zu, wie Korialstrasz landete.

„Was – was für ein Ding war das?“, keuchte Rhonin irgendwann.

Selbst im Dunkeln konnte er den Ekel des Leviathans erkennen. „Ich glaube … es gehörte einmal zu jenen, die diesen Ort ihr Zuhause nannten.“

Rhonin betrachtet die verkohlte Gestalt. „Das war einmal ein Mensch? Wie ist das möglich?“

„Du hast das Grauen gesehen, das die Untote Geißel während des Kampfes gegen die Brennende Legion entfesselte. Damit erübrigt sich jede Frage.“

„Haben sie das getan?“

Korialstrasz atmete schwer aus. Offensichtlich war er über diese Begegnung ebenso verstört wie Rhonin selbst. „Nein … dies ist viel älter … und entspringt einem sogar noch unheiligeren Akt, als ihn der Lichkönig jemals zelebrierte.“

„Kras … Korialstrasz! Es ist in meine Träume eingedrungen, hat sie manipuliert!“

„Ja, die anderen haben das Gleiche mit mir versucht …“

„Andere?“ Rhonin blickte sich um, während sich auf seinen Lippen bereits ein neuer Zauber formte. Inzwischen war er überzeugt, dass es in den Ruinen von Monstern nur so wimmelte.

„Wir sind sicher … für den Augenblick. Ein paar von ihnen sind jetzt weniger als das, was von deinem Freund hier übrig geblieben ist, und der Rest hat sich in alle Spalten und Winkel der Ruinen verkrochen. Ich glaube, unter der Erde gibt es Katakomben, und dort schlafen sie, wenn sie nicht gerade auf Beutezug sind.“

„Hier können wir nicht bleiben.“

„Nein“, stimmte der Drache zu. „Können wir nicht. Wir müssen weiter nach Kalimdor.“

Er beugte seinen Rücken auf den Boden hinab, damit Rhonin aufsteigen konnte. Wenig später schlug er mit den Flügeln, und das ungleiche Paar erhob sich in den nächtlichen Himmel.

„Wenn wir unsere Mission erfüllt haben, werde ich zurückkehren und dem Grauen hier ein Ende setzen“, versprach Korialstrasz. In einem weicheren Tonfall fügte er hinzu: „Es gibt schon genug Abscheuliches auf der Welt.“

Rhonin antwortete ihm nicht. Stattdessen warf er einen letzten Blick nach unten. Er mochte es sich nur einbilden, aber er glaubte zu sehen, wie weitere Ghule, nun, da der Drache verschwunden war, aus den Ruinen hervor krochen. Tatsächlich schien es ihm, als sammelten sie sich zu Dutzenden und starrten alle hungrig empor … auf den Magier.

Er riss seinen Blick von ihnen los und freute sich tatsächlich, auf dem Weg nach Kalimdor zu sein. Ganz gewiss konnte sie das, was sie dort erwartete, nach einer Nacht wie dieser nicht mehr schrecken.

Ganz gewiss nicht …

DREI

Korialstrasz erreichte die Küste von Kalimdor spät am Tage. Er und Rhonin legten nur eine kurze Rast ein, um etwas zu essen – der Drache nahm seine Kost außer Sichtweite des Magiers ein –, dann setzten sie den Weg zu der fernen Bergkette fort, die einen großen Teil der westlichen Regionen des Landes bedeckte. Korialstrasz flog mit zunehmender Entschlossenheit, je näher sie ihrem Ziel kamen. Er hatte Rhonin nicht gesagt, dass er immer wieder versucht hatte, mit Nozdormu in Kontakt zu treten … und dass dem kein Erfolg beschieden gewesen war. Bald jedoch würde es darauf nicht mehr ankommen, denn sie würden aus erster Hand erfahren, was den Aspekt der Zeit so entsetzt hatte.

„Der Berg da!“, schrie Rhonin. Obwohl er wieder geschlafen hatte, fühlte er sich kaum erfrischt. Dunkle Bilder der bösen Insel hatten seine Träume heimgesucht. „Den Berg erkenne ich wieder!“

Der Drache nickte. Es war die letzte Landmarke vor ihrem Ziel. Auch wenn er die Spitze nicht zur gleichen Zeit wie sein Reiter gesehen hätte, wäre ihm nicht die Falschheit im Gewebe der Realität entgangen … und das bedeutete, dass sie tatsächlich etwas Schreckliches erwartete.

Trotz dieser Gewissheit wurde der Leviathan sogar noch schneller. Er hatte keine andere Wahl. Was auch immer vor ihnen lag, die einzigen, die eine Katastrophe verhindern konnten, waren er und die winzige menschliche Gestalt, die er auf seinem Rücken trug.

Doch während die scharfen Augen von Mensch und Drache das Ziel erkannt hatten, bemerkten sie nicht die Augen, die wiederum sie erspähten.

„Ein roter Drache …“, grollte der Orc. „Ein roter Drache mit einem Reiter …“

„Gehört er zu uns, Brox?“, fragte sein Begleiter. „Noch ein Orc?“

Brox grunzte seinen Gefährten an. Der andere Orc war jung, zu jung, um im Krieg gegen die Legion von großem Nutzen gewesen zu sein, und er konnte sich mit Sicherheit nicht an die Zeit erinnern, als es Orcs gewesen waren und nicht Menschen, die solche Bestien geritten hatten. Gaskal kannte nur die Geschichten, die Legenden. „Gaskal, du Narr, wenn ein Drache heutzutage einen Orc tragen würde, dann nur in seinem Bauch!“