Would You Miss Me? - Heidrun Wagner - E-Book

Would You Miss Me? E-Book

Heidrun Wagner

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Beschreibung

Was ist mit Vivien passiert? Was machst du, wenn alles, woran du geglaubt hast, von einem Moment zum nächsten nicht mehr zählt? Wenn es verschwunden ist, im großen Nichts der aufgelösten Träume? Ich brauche dich. Jetzt. Aber du hast alles kaputtgemacht … Zwischen den beiden besten Freundinnen Nora und Vivien herrscht absolute Funkstille. Seit Vivien sich mit Janus, dem Herzensbrecher der Schule, eingelassen hat, ist sie nicht mehr die Gleiche. Dann verschwindet Vivien spurlos und angeblich weiß keiner ihrer neuen Freunde, was mit ihr passiert ist. Nora spürt, dass etwas Schlimmes geschehen sein muss. Als kurz darauf Kleidungsstücke von Vivien aus dem Fluss gezogen werden, geht die Polizei von einem Selbstmord aus. Nora kann das nicht glauben. Sie macht sich auf die Suche, doch je mehr sie über die letzten Wochen aus Viviens Leben herausfindet, desto mehr Zweifel und Fragen kommen auf. Wie gut hat sie ihre beste Freundin wirklich gekannt? Um die Wahrheit zu finden, muss Nora auf Viviens neue Freunde zugehen. Kann sie ihnen vertrauen oder wissen sie mehr und versuchen, etwas zu vertuschen? Der spannende Auftakt der "Little Secrets"-Reihe.

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Heidrun Wagner

Would you miss me?

Little Secrets-Reihe

 

Zum Buch

Was ist mit Vivien passiert?

Was machst du, wenn alles, woran du geglaubt hast, von einem ­Moment zum nächsten nicht mehr zählt? Wenn es verschwunden ist, im großen Nichts der aufgelösten Träume?

Ich brauche dich. Jetzt. Aber du hast alles kaputtgemacht …

Zwischen den beiden besten Freundinnen Nora und ­Vivien herrscht absolute Funkstille. Seit Vivien sich mit Janus, dem Herzens­brecher der Schule, eingelassen hat, ist sie nicht mehr die Gleiche. Dann verschwindet Vivien spurlos und angeblich weiß keiner ihrer neuen Freunde, was mit ihr passiert ist. Nora spürt, dass etwas Schlimmes geschehen sein muss.

Als kurz darauf Kleidungsstücke von Vivien aus dem Fluss ­gezogen werden, geht die Polizei von einem Selbstmord aus. Nora kann das nicht glauben. Sie macht sich auf die Suche, doch je mehr sie über die letzten Wochen aus Viviens Leben herausfindet, desto mehr Zweifel und Fragen kommen auf. Wie gut hat sie ihre beste Freundin wirklich gekannt?

Um die Wahrheit zu finden, muss Nora auf Viviens neue ­Freunde zugehen. Kann sie ihnen vertrauen oder wissen sie mehr und ­versuchen, etwas zu vertuschen?

Der spannende Auftakt der „Little Secrets“-Reihe.

Impressum

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der mechanischen, elektronischen oder ­fotografischen Vervielfältigung, der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, des Nachdrucks in Zeitschriften oder Zeitungen, des öffentlichen Vortrags, der Verfilmung oder Dramatisierung, der Übertragung durch Rundfunk, Fernsehen oder Video, auch einzelner Text- oder Bildteile.

 

Copyright © 2022 by Maximum Verlags GmbH

Hauptstraße 33

27299 Langwedel

www.maximum-verlag.de

 

1. Auflage 2022

 

Lektorat: Diana Schaumlöffel

Korrektorat: Gisela Wunderskirchner

Layout: Alin Mattfeldt

Satz: Sabine Knape

Covergestaltung: Alin Mattfeldt

E-Book: Mirjam Hecht

 

Druck: Booksfactory

Made in Germany

ISBN 978-3-948346-66-9

 

 

Inhalt

Zum Buch

Impressum

Widmung

Vor dem Sturm

Schneeflocke im Wasser

Bittersüßer Blues

Zugemauert

Herzenssplitter

Hinter den Masken

Stalkergeflüster

Doppelspiel

Die Angst im Untergrund

Der Preis war zu hoch

Austauschbar und schon vergessen

Ein Netz, geknüpft aus Lügen

Unerwünschte Sorgen

Bis zum Ende der Welt

Abgelegt und ausgetauscht

Was du zeigst und wer du bist

Für immer

Secret Messages

Wer wir nicht sind

Ein Atemzug zu weit

The End of the F***ing World

Aditheguard vs. Draxdd

Du weißt. Nichts.

Ungewollte Zusagen

Was du nicht willst

Ein Versprechen wie ein fallendes Blatt

Niemals vermisst oder Schmerz ohne Ende?

Für immer verloren?

Alles ist möglich

Gedankenschwer

Von Freak zu Freak

Wahre Helden

Ausgesperrt

Du. Ohne mich.

Was immer du glaubst

Nicht so, wie du denkst

Wir wollten alles sein

Glaubst du alles, was ich sage?

Traumsplitter

Du. Bist. Frei.

Ich. Ohne dich.

Elegantly Posed to Death

Das Ende der Welt

Im freien Fall

Ich habe uns verraten

Herz in Trümmern

Bist du bereit für die Wahrheit?

Bis zum Mond und zurück

Auf einer Seite und doch nicht zusammen

Denkfehler

Morgen. Nicht heute.

Es war immer genug

Der letzte Mensch

Rufe deinen Namen in die Nacht hinein

Ich. Nicht du.

Zwischen Wachen und Träumen

Nicht ohne dich

Parallelwelten

Wer wir sind

Nicht du. Nicht ich. Wir.

Nach dem Sturm

Und so geht es weiter

Danke

Die Autorin Heidrun Wagner

Widmung

FürYumi und Leonoraund alle, die für ihre Freundschaftbis zum Mond gehenund zurück

Vor dem Sturm

Was machst du, wenn alles, woran du geglaubt hast, von einem Moment zum nächsten nicht mehr zählt? Wenn es verschwunden ist im großen Nichts der aufgelösten Träume?

Ich brauche dich. Jetzt.

Aber du hast alles kaputtgemacht.

Du?

Oder war es doch ich?

Wir beide?

Ich stehe wieder auf der Brücke, starre in die Dunkelheit und horche, die Hände gegen das Geländer gestützt. Unter mir rauscht der Fluss vorbei.

Es ist kalt.

Eisig kalt. Wie die Leere in meinem Herzen.

Was machst du, wenn niemand mehr da ist und kein Weg dich zurückführt? In das Land, in dem noch alles möglich war? In dem du dich verlassen konntest, statt verlassen zu werden, und Ver­sprechen niemals gebrochen wurden?

Ich stemme mich hoch und suche mit den Füßen nach Halt. Vorsichtig, ich will nicht fallen, nicht jetzt. Ganz langsam lasse ich los und richte mich auf. Bis ich stehe. Auf dem Geländer. Links von mir die Brücke, rechts von mir grauschwarzes Nichts. Irgendwo dort unten rauscht das Wasser.

Die Arme zur Seite gestreckt, versuche ich zu balancieren. Ein Schritt. Zwei.

Ich habe in einer Lüge gelebt. Die ganze Zeit.

Zwischen mir und dem Abgrund sind nur ein paar Millimeter.

Balanceakt.

Sieht so Freiheit aus? Ich bleibe stehen und schaue in die ­schwarze Leere.

Ich.

Bin.

Frei.

Hinter mir heult ein Motor auf. Ich drehe den Kopf.

Shit! Ein grellweißer Strahl blendet mich. Ich schwanke, reiße die Arme hoch und

… 

Schneeflocke im Wasser

Diese Nachricht wurde gelöscht. 19:38

Warum schickt Vivien mir nach drei Wochen Funkstille eine Nachricht? Na ja, schicken ist zu viel gesagt, sie hat sie sofort wieder gelöscht. Mann! Wie soll ich jetzt darauf reagieren? Ich schiebe es schon seit gestern Abend vor mir her. Was, wenn sie den falschen Chat erwischt hat und jemand anderem schreiben wollte? Elise zum Beispiel? Dann ist es superpeinlich, wenn ich ihr antworte. Das sieht aus, als hätte ich die ganze Zeit nur auf ein Zeichen von ihr gewartet.

»Achtung!« Ein Skater rast auf mich zu und schneidet mir den Weg ab.

»Ey!«, schreie ich und stolpere zurück. Dabei rutscht mir das Handy aus den Fingern. »Kacke! Pass doch auf!«

Er dreht sich noch nicht einmal um, hebt nur kurz die Hand und kommt sich dabei wahrscheinlich supercool vor.

»Hallo? Wie wär’s mit ’ner Entschuldigung?«, brülle ich ihm hinterher.

Ohne die kleinste Reaktion fährt er einfach weiter auf das Schulgebäude zu. Offenbar ist er nicht nur blind, sondern auch taub. Ich bin kurz davor, ihm nachzurennen und ihn von seinem Skateboard zu zerren. Seine Baseballcap sitzt verkehrt herum. Der orange Kreis über dem Schirm wird immer kleiner, je weiter er sich entfernt.

»Idiot!«, murmle ich und bücke mich.

Mr. Baseballcap hat mehr Glück als Verstand. Das Handy ist mit der Hülle auf einem Grasbüschel gelandet und hat nicht einmal einen Kratzer abbekommen. Wenn es einen Display-Bruch gehabt hätte, hätte ich ihn gekillt. Neben mir kichern zwei ­Mädels, so klein, wie die sind, wahrscheinlich sechste Klasse, maximal siebte.

Haha, sehr witzig!

Die beiden interessieren sich null für den Beinahe-Display-Bruch, sie sind viel zu sehr damit beschäftigt, Mr. Baseballcap anzuhimmeln, der bei den Fahrradständern bremst, sein Skateboard mit ­einem Fußtritt in die Luft katapultiert und auffängt. Woah, wie ­lässig! Pfff. Um dem Ganzen noch eins draufzusetzen, gibt er sich ein High five mit Janus. Mann, das ist Cedric. Ich bin so blind! ­Cedric, der beste Kumpel von Janus, dem größten Idioten der Schule. Was soll man von so einem schon erwarten? Wenigstens ist Vivien nicht bei ihnen.

»Volldeppen!«, knurre ich, wische den Dreck von meinem Handy und lasse es in die Tasche gleiten.

Mit zwei Sätzen springe ich die Steinstufen hoch und gehe ins Schulgebäude. Noch drei Tage bis zum Wochenende. Ich reihe mich in den Strom der Schüler ein, steuere in Richtung Chemiesaal und massiere meine Schläfen. Warum habe ich nach nicht einmal einer halben Minute in der Schule schon wieder Kopfschmerzen? Mein Handy stößt einen Pfiff aus.

Ups, wegen Cedric habe ich vergessen, es auf lautlos zu stellen. Ich ziehe es nur halb aus der Tasche, habe keinen Bock, es abgenommen zu bekommen, und schiele auf das Display. Eine Nachricht von meiner Mutter? Sie muss doch schon seit einer Dreiviertelstunde von der Nachtschicht zurück sein. Wieso schläft sie nicht?

Guten Morgen Nora, warum hast du mir nicht erzählt, dass du dich wieder mit Vivien verträgst? Ich freu mich so für euch! Aber beim nächsten Mal gibst du mir bitte Bescheid, wenn sie hier ist. Okay?

Was? Vivien und ich haben seit Wochen kein einziges Wort miteinander gesprochen, das weiß Mama doch! An der Front gibt es keine Neuigkeiten. Viviens gelöschte Nachricht kann man ja wohl nicht zählen.

Das Handy pfeift direkt noch einmal. Mann, wer ist das jetzt? ­Vivien, die sich für heute Nachmittag mit mir verabreden will? Nachdem unser Streit offenbar Geschichte ist? Wenn es so einfach wäre, hätten wir das längst gemacht, meine verdammt noch mal beste Freundin und ich.

Es ist nicht Vivien, logisch nicht, es ist noch einmal meine Mutter. Mein Magen zieht sich zusammen, und ich kann die Enttäuschung fast schmecken. Echt. Was für ein Schwachsinn, als ob es so leicht ginge, das habe ich doch nicht wirklich geglaubt.

Sag Vivien bitte, dass sie ihre Mutter anrufen soll. Sie hat irgendetwas zu Hause vergessen. Danke, Schatz, bis später! ♥

Hm? Wieso will Viviens Mutter ihr über mich etwas ausrichten? So, als wäre alles wieder wie vor unserem Streit? Hier stimmt etwas ganz gewaltig nicht. In einem Schwung drehe ich mich um. Autsch! Super, ich bin genau in das Mädchen hinter mir gerannt. Wir halten uns beide die Stirn.

»Pass doch auf!«, schnauzt sie und funkelt mich an.

»’tschuldigung«, murmle ich.

Ihr Mund klappt auf, sicher will sie mich weiter anmotzen, aber für so was habe ich echt keine Zeit. Ich muss Vivien abfangen, ­bevor sie für die nächsten beiden Stunden im Kunstsaal verschwunden ist und nicht mehr auf ihr Handy sieht. Schnell schiebe ich mich an dem Mädel vorbei und renne los. Ein Wort hallt mir den Gang entlang hinterher, Zicke oder so. Was soll das denn jetzt? Sie braucht nicht so zu tun, als hätte ich sie schwer verletzt. Wie wär’s, wenn sie selbst mal die Augen aufmacht?

Der bescheuerte Kunstsaal ist genau auf der anderen Seite der Schule, und ich bin komplett außer Atem. Verdammt! Warum ist die Tür zu? Es hat noch nicht einmal geläutet! Mann, dann ist der Wallner bestimmt schon drin, und ich muss Vivien schreiben. Reden wäre besser, einfacher. Ich schnaufe durch, lehne mich an die Wand und ziehe das Handy aus der Tasche. Jetzt läutet es zur ersten Stunde. Super, die Neumann wird sich freuen, wenn ich in Chemie zu spät komme.

»Nicht so viel auf das Handy sehen, sonst nimmst du nur wieder jemandem die Vorfahrt.«

Ich hebe den Kopf. An mir läuft Cedric vorbei und grinst mich an.

»Haha, sehr witzig. Wie wär’s, wenn du einen Gang runterschaltest? Oder kannst du nicht bremsen mit dem Ding?«

»Dem Ding, hm? Man nennt es auch Skateboard, Punkmädchen.«

Pfff. Punkmädchen, ja klar, Skaterboy. Was weißt du schon?

Nur weil ich limettengrüne Haare habe, bin ich noch lange kein Punk. Echt. Er lacht über seinen bescheuerten Kommentar und geht in Richtung Kunstsaal. Moment. Hat er mit Vivien zusammen Kunst?

»Cedric!«, rufe ich in letzter Sekunde.

Er dreht sich um, die Augenbrauen hochgezogen, den Kopf zur Seite geneigt. Hallo? Ich habe nur seinen Namen benutzt. Das ist kein Grund, mich anzustarren, als wäre ich ein Alien.

»Kannst du mir einen Gefallen tun?«

Wenn er jetzt etwas Blödes sagt, bekommt er die volle Ladung ab. Den Beinahe-Display-Bruch habe ich noch lange nicht vergessen.

»Kommt drauf an.«

Jemand drängt sich hinter ihm vorbei und geht in den Kunstsaal, aber Cedric ignoriert das komplett. Die Tür schlägt wieder zu, und auf einmal stehen wir allein auf dem Gang. Aus dem Saal kommt das schleifende Geräusch von Stühlen, der Wallner sagt etwas über den Krach hinweg, hier draußen ist seine Stimme nur gedämpft zu hören. Und Cedric steht da, als hätte er alle Zeit der Welt. Das ist so typisch, er ist genauso arrogant wie Janus.

»Kannst du Vivien bitte ausrichten, dass sie nach Kunst hier ­warten soll?«

»Warum schreibst du ihr nicht?«

»Weil sie es jetzt sicher nicht mehr liest?« Ich unterdrücke ein Schnauben.

Muss er so blöde Fragen stellen? Einen Moment lang schaut er mich einfach nur an. Es macht ihm Spaß, mich zappeln zu lassen. Ich sehe es an dem Grinsen, das auch in seinen Augen aufblitzt.

Danke, Vivien, danke.

Ich hole Luft, drücke mein Zungenpiercing gegen die Zähne und erwidere seinen Blick. Eigentlich hätte ich es mir sparen ­können. Als ob er sich dazu herablassen würde, irgendjemandem bei irgendetwas zu helfen. Was erwarte ich eigentlich von dem besten ­Kumpel des größten Idioten der Schule?

»Wenn sie da ist, geb ich ihr Bescheid. Zufrieden?«, sagt er auf einmal, dann dreht er sich um und drückt die Tür zum Kunstsaal auf.

»Ja. Danke.« Ich sage es extra leise, aber wahrscheinlich hätte er es auch nicht gehört, wenn ich normal gesprochen hätte, so schnell wie die Tür hinter ihm zuknallt.

Will ich mich echt auf ihn verlassen? Vielleicht ist es besser, wenn ich Vivien trotzdem schreibe. Für alle Fälle. Auch wenn sie beim Wallner nie auf ihr Handy sieht. Die gelöschte Nachrichtenbox im Chatverlauf strahlt mich an. Irgendetwas ist definitiv nicht in Ordnung.

Wir müssen reden. Warte bitte nach Kunst auf mich, oder schreib mir, wo wir uns treffen können. Okay?

Klingt das zu needy? Soll ich es wieder löschen? Super. Wenn meine Mutter irgendetwas falsch verstanden hat, bin ich geliefert.

Bittersüßer Blues

»Viv? Was ist los?«

Wir saßen bei mir zu Hause auf dem Sofa, jede eine Tasse heiße Schokolade in der Hand. Auf dem braun-weißen Milchschaum schwammen schweinchen­rosane Marshmallows. Vivien hatte sie mitgebracht. Seit wir uns gesetzt hatten, hatte sie noch kein einziges Wort gesagt.

Sie zuckte mit den Schultern, wegen der Sonnenbrille konnte ich ihre Augen nicht sehen. Egal, sie schaute sowieso nur auf ihre Tasse. »Kannst du dich noch erinnern, wie Janus neulich vor dem Underdog aufgetaucht ist und diese riesigen Seifenblasen gemacht hat?«

Ich stöhnte auf. »Wie könnte ich diese dämliche Aktion je wieder vergessen? Ich hätte Fotos machen sollen.« Ein Lächeln huschte über Viviens Lippen. »Was ist los, Viv?«, fragte ich noch einmal.

Sie schüttelte den Kopf, nippte an ihrer Tasse und schaute mich immer noch nicht an. Warum sagte sie mir nicht, was los war, verdammt? Und warum fing sie ausgerechnet jetzt mit Janus an?

»Ich treff mich mit ihm. Heute Abend.«

»Bitte?« Heiße Schokolade schwappte über den Tassenrand auf ­meine Hand. Scheiße! »Schlechter Scherz, Viv! Ich meine, wir reden hier von dem ­Janus, der auf jeder Party mit einer anderen rummacht. Also der Typ, der ­ständig eine Wette mit seinem besten Kumpel am Laufen hat, wen er als Nächstes rumkriegt? Den meinst du, oder? Aber mit dem würde sich meine superclevere und allerbeste Freundin Vivien nie treffen … das …«

Mir gingen die Worte aus. Vivien und Janus. Allein die Vorstellung war schon lächerlich. Hallo? Vivien sollte sich einreihen in die Schlange von Janus’ hirnlosen Eroberungen? Nicht im Traum!

Sie drehte mir das Gesicht zu, endlich, jetzt hätte ich wirklich gern den Ausdruck in ihren Augen gesehen. Aber die großen Gläser der Sonnenbrille versperrten mir immer noch die Sicht. Ich wusste es auch so, spürte ein Ziehen in meinem Magen. Vivien machte keine Witze. Es war ihr voller Ernst.

»Du kennst ihn überhaupt nicht, Nora. Er ist …«

»Was? Muss ich dich daran erinnern, wie wir oft genug live beobachten konnten, wie er Woche für Woche mit einer anderen rummacht? Komm schon, Viv, du bist nicht blöd, willst du dich echt von ihm verarschen lassen?«

»Hör auf!« Sie knallte die Tasse auf den Tisch. Braunfleckige Schokoladen­milch verteilte sich auf dem dunklen Holz. »Menschen können sich ändern, oder? Du könntest dich auch ändern, wenn du das wolltest. Und nur, weil du das nicht willst, heißt das noch lange nicht, dass Janus es nicht kann!«

»Spinnst du jetzt? Ich könnte mich ändern? Fange ich jede Woche was mit ’nem anderen an?«

»Du bist so selbstherrlich, Nora. Was weißt du schon über Janus? Nichts. Rein gar nichts!«

Ich lachte auf, obwohl mir nicht zum Lachen war. Noch nie, ehrlich, noch nie hatte Vivien so etwas zu mir gesagt. Sie hatte sich doch selbst immer wieder über diesen Idioten ausgelassen. Und jetzt war auf einmal ich das Problem? Das kapierte ich nicht. Echt, ich kapierte es nicht.

»Was muss ich denn von ihm wissen? Mir genügt voll und ganz, was ich bisher von ihm gesehen habe.« Ich richtete mich auf, musterte Viviens Gesicht, ihre zusammengepressten Lippen.

Es langte, ehrlich.

»Eben nicht! Wenn es nur darauf ankäme, wärst du nicht mehr als ein übellauniger Punkfreak mit grün gefärbten Haaren. Aber du bist so viel mehr, oder? Denkst du, ich wäre sonst mit dir befreundet?«

»Limettengrün«, warf ich ein.

Unser Running Gag. Ich wollte sie zum Lachen bringen, die Anspannung aus dem Raum vertreiben. Aber Vivien lachte nicht.

»Viv, bitte«, fing ich wieder an, weil ich ihr Schweigen nicht ertrug. »Wir wissen beide, dass Janus es noch nie auch nur mit irgendeiner ernst gemeint hat. Was willst du von ihm? Er wird dir das Herz brechen. Und dann?«

»Pfff!« Sie stand auf. »Ich hatte echt gedacht, dass du meine Freundin bist, Nora. Ich hatte geglaubt, dass du mir das gönnen würdest, statt dich so aufzuführen, als würde die Welt zusammenbrechen. Was ist dein Problem? Sag’s mir! Was?«

Sie wartete nicht einmal auf eine Antwort, sie rannte einfach an mir vorbei in den Flur. Ohne sich noch einmal umzudrehen.

»Viv!«, rief ich ihr hinterher. »Weil ich deine Freundin bin, sage ich dir die Wahrheit. Was willst du? Soll ich dich anlügen und dir gratulieren?«

»Schön, dass du immer alles besser weißt! Vergiss es, Nora. Weißt du was? Ich brauche keinen eifersüchtigen Babysitter, ich komm ganz gut alleine klar.«

Die Wohnungstür knallte zu, und ich stand vor dem Sofa, immer noch die Tasse heißer Schokolade in der Hand. Viviens schweinchenrosane Marshmallows hatten sich längst im Milchschaum aufgelöst. Ich nahm einen Schluck. Es schmeckte ekelhaft süß, und mein Magen zog sich zusammen.

Vielleicht war es auch nicht die Schokolade, vielleicht waren es nur die Worte, die Vivien gesagt hatte.

Nur weil du dich nicht ändern willst, heißt das noch lange nicht, dass Janus das nicht kann!

Wie konnte das alles so schiefgehen? Ich hatte nur versucht, ­Vivien vor dem größten Fehler ihres Lebens zu bewahren. Eifersüchtig, ja klar. Als ob das mein Problem gewesen wäre.

»Nora Holm!«

Die Stimme der Neumann reißt mich aus meinen Gedanken.

Ich blinzle, brauche einen Moment, um meine Gedanken auf den Chemiesaal zu fokussieren und das beklemmende Gefühl abzuschütteln. »Ja?«

Verdammt. Ich will nie wieder an diesen Streit denken und an das, was Vivien mir an den Kopf geknallt hat. Und alles nur wegen Janus, diesem Idioten, der den Streit nicht wert gewesen war!

»Welcher der drei Stoffe ist sowohl hydrophil als auch lipophil?«

»Äh …«

Mann, die Frage ist stinkeinfach. Wenn ich wüsste, von ­welchen Stoffen sie spricht. Ich schiele zur Tafel, aber da steht nichts. Irgend­jemand kichert. Haha, sehr witzig! Die Neumann kommt auf mich zu.

»Hier«, sagt sie und knallt mir einen Aufgabenzettel auf den Tisch. »Bis Montag will ich die Ergebnisse von dir. Verstanden?«

Toll. Vielen Dank! Als ob die anderen besser aufpassen würden.

Ich war noch nie so froh über das Läuten, das die Doppelstunde beendet, werfe meine Sachen in die Tasche und renne los. Hinter meiner Nachricht ist nur ein Haken. Hat Vivien das Handy ausgeschaltet? Nee, niemals.

Die Tür zum Kunstsaal steht offen, und der Gang ist leer. ­Keine Spur von Vivien. Mann! Hat Cedric ihr nichts ausgerichtet? Oder hat sie keinen Bock, mich zu treffen? Hat sie die Nachricht jetzt wenigstens bekommen? Ich ziehe das Handy wieder aus der Tasche.

»Du und dein Smartphone, ihr seid unzertrennlich, oder?«

Das Handy rutscht mir fast noch mal aus der Hand. »Was?«

Cedric. Schon wieder. Mit dem obligatorischen Grinsen im ­Gesicht. Wo kommt er so plötzlich her?

»Hast du es Vivien ausgerichtet?«, frage ich und versuche, nicht genervt zu klingen, obwohl er es verdient hätte.

Nichts hat er ausgerichtet. Jede Wette.

»Sie war nicht da.«

»Was soll das heißen, sie war nicht da? Ist sie krank oder was?«

Wie passt das denn mit der Nachricht von meiner Mutter ­zusammen? Wenn sie krank wäre, würde ihre Mutter ihr ja wohl nichts über mich ausrichten lassen.

»Keine Ahnung, das musst du sie schon selbst fragen. Oder den Wallner.« Cedric nickt mir zu und schlendert betont langsam den Gang entlang Richtung Hof.

Spitze, und nun? Ich muss mit Vivien reden. Sofort. Warum ist sie nicht in der Schule? Jetzt ist Schluss, ich versuche sie anzurufen! Mist, mein Herz hämmert wie blöd, und mir ist total heiß. Mann, das ist nur ein Anruf bei meiner besten Freundin. Okay, ehemals besten Freundin.

Auf dem Klo ist ein Mädchen aus der Zehnten. Sie schaut sich unendlich lange im Spiegel an. Hat sie zu Hause keine Spiegel oder was? Bis sie endlich geht, bin ich ein nervliches Wrack. Was soll ich Vivien sagen? Wie wär’s mit:

Hey, ich bin’s, Nora. Sag mal, wie kommt meine Mutter bitte darauf, dass wir uns wieder verstehen?

Oder:

Hey, ich habe offensichtlich einen Filmriss oder so was, dabei war ich gestern stocknüchtern und die ganze Zeit zu Hause. Aber irgendwie glaubt meine Mutter, dass wir uns getroffen haben. Kannst du mir das erklären?

Haha, bescheuerter geht’s nicht mehr. Es ist sowieso egal. Statt zu klingeln, geht die Verbindung direkt zu einer Bandansage:

The person you are calling is temporarily not available.

Was soll das denn jetzt? Hat Vivien ihr Handy echt ausge­schaltet? Das ist so untypisch. Außer in Kunst schaut Vivien alle zehn ­Minuten drauf. Mindestens. Was ist hier los? Ich probier’s bei ihr zu Hause, habe keinen Bock mehr auf den Mist. Nach dem fünften Klingeln hebt jemand ab.

»Hallo?« Das ist nicht Viviens Stimme.

Ich atme auf. Weiß immer noch nicht, was ich zu ihr sagen soll.

»Hallo, hier ist Nora.«

»Ah, Nora! Hat deine Mutter dir ausgerichtet, dass Vivien mich anrufen soll? Ich erreiche sie nicht.«

Okay. Offensichtlich ist Vivien nicht zu Hause.

»Ja, aber ich hab sie noch nicht gesehen.«

»Seid ihr nicht zusammen in die Schule gegangen?«

Zusammen? Wieso das denn?

»Die Nachricht von meiner Mutter kam erst zu Stundenbeginn, und ich hab in den ersten beiden Stunden Chemie.«

»Oh, ach so. Sag deiner Mutter bitte noch mal, dass es mir leidtut, dass ich sie heute Morgen geweckt habe. Wenn Vivien mir gesagt hätte, dass deine Mutter diese Woche Nachtschicht hat, hätte ich darauf bestanden, dass ihr bei uns schlaft. Wann seid ihr gestern ins Bett?«

Bitte? Vivien hat bei uns geschlafen? Das wüsste ich!

»Äh, nicht zu spät, ehrlich. Wir waren beide kaputt«, sage ich trotzdem, kann jetzt schlecht alles auffliegen lassen. »Wir haben noch eine Serie geschaut und uns dann hingelegt.«

»Na, wenn du es sagst.« Es klingt nicht so, als würde Viviens Mutter mir das abnehmen. »Richtest du ihr bitte aus, dass ihre Kunstsachen noch hier stehen? Ich glaube, die braucht sie heute. Und sie soll nach der Schule direkt nach Hause kommen, ich muss etwas mit ihr besprechen.«

»Kein Problem, mach ich. Schönen Tag noch.«

»Danke, dir auch, Nora.«

Super, jetzt habe ich noch ungefähr sechseinhalb Stunden Zeit, Vivien aufzutreiben und herauszufinden, was hier los ist. Wo bitte hat sie übernachtet? Bei Elise vielleicht? Das hätte sie ihrer Mutter doch erzählt!

Zugemauert

Auf dem Weg zur Mathestunde versuche ich zu verstehen, was passiert ist. Vivien muss ihren Eltern gesagt haben, dass sie bei uns schläft. Bis vor unserem Streit haben wir das oft gemacht, auch unter der Woche. Hat sie mir deshalb eine Nachricht geschickt? Damit ich nicht alles auffliegen lasse, falls ihre Mutter sich bei uns meldet? Aber warum hat sie die Nachricht sofort wieder gelöscht? War es ihr peinlich? Hatte sie Angst, ich könnte Fragen stellen?

Moment. Sie war letzte Nacht aber nicht bei dem Volldeppen Janus, oder? Das hätte ich niemals gedeckt. Erst recht nicht, nachdem er sie vor einer Woche abserviert und gleich auf der nächsten Party mit einer anderen rumgemacht hat. Nicht, dass ich Vivien das nicht schon vor drei Wochen prophezeit hätte. Aber sie musste ja deswegen mit mir streiten.

Trotzdem. So tief ist Vivien nicht gesunken. Das hat sie ihm niemals verziehen. Außerdem war Janus alleine bei den Fahrradständern, und Vivien ist überhaupt nicht in der Schule aufgetaucht. Das passt nicht zusammen.

Auch in Mathe bleibt Vivien verschwunden, spätestens jetzt hätten wir uns sehen müssen. Dafür ist Elise mit ihren beiden Sidekicks da, Emma und Jasmin. Elise, der Supersonnenschein unserer Stufe. So viel gute Laune, das ist schon nicht mehr normal. Vivien und ich waren uns immer einig: Die werfen sich irgendetwas ein, ganz sicher.

Von Mathe bekomme ich nichts mit. Ich brauche einen Plan, aber ich habe keinen Bock, mit Elise zu sprechen. Leider ist sie die Einzige, die wissen kann, was Vivien gestern Abend gemacht hat und wo sie jetzt ist. Statt mit mir hängt Vivien ja seit drei Wochen lieber mit Elise und den Skaterboys ab. Und das nur, weil sie von mir die Wahrheit nicht hören wollte. Danke, echt! Sobald es läutet, folge ich Elise und ihren Sidekicks. Zum Glück hat sie sich vor Kurzem die Haare weiß gefärbt, so ist ihr hinten aufgebauschter Bob im Gedränge gut zu erkennen.

»Elise?« Ich rufe erst, nachdem der Gang schon fast leer ist, will keine Zuschauer.

Es ist sowieso schon peinlich genug, überhaupt auf Elise angewiesen zu sein. Sie bleibt stehen und dreht sich zu mir um. Ihr Gesicht ist nicht wirklich unfreundlich, aber das Dauerlächeln ist verschwunden. Bestimmt weiß sie, was ich alles über ihren besten Kumpel Janus gesagt habe. Spitze. Unter den Voraussetzungen wird sie mir sicher gern weiterhelfen.

»Was ist?«, fragt sie, und es klingt nicht die Spur freundlich.

Ihre beiden Sidekicks stehen links und rechts neben ihr, die Arme verschränkt. Ein paar Leute aus unserer Stufe laufen langsamer und schauen zu uns herüber.

Danke für eure Aufmerksamkeit!

Okay, vielleicht habe ich mich mit dem Supersonnenschein geirrt. Die drei ausdruckslosen Gesichter mir gegenüber wirken eher wie der langsam dunkler werdende Himmel, kurz bevor es anfängt zu regnen. Eine Strähne fällt mir ins Gesicht. Limettengrün. Ich ­streiche sie hinters Ohr, will Elise direkt in ihre auffällig ­geschminkten Augen sehen. Wahrscheinlich steht sie morgens zwei Stunden früher auf, um auch ja perfekt gestylt zu sein. An Vivien kommt sie trotzdem nicht ran. Hat sie deshalb die Fotos von Vivien gepostet? Um sie schlecht dastehen zu lassen?

Blöde Kuh!

Wollen die drei mich mit ihren Blicken einschüchtern? Ich richte mich auf. Da müssen sie sich schon was Besseres einfallen lassen als den lahmen Versuch, mich niederzustarren.

»Weißt du, was mit Vivien ist?«

Auf Elises Gesicht zeigt sich nicht die kleinste Regung. Nur ihre eisblauen Augen wirken auf einmal noch einen Tick kälter. »Keine Ahnung. Warum fragst du sie nicht selbst?«

Sie knallt mir die Worte hin, als könnte sie sich die Antwort nicht denken. Wie viel weiß sie von Viviens und meinem Streit? Bei dem Gedanken wird mir schlecht. Vivien weiß so gut wie alles über mich. Was davon hat sie Elise erzählt?

»Ihr Handy ist aus.« Ich schiebe mein Kinn ein Stück vor, sehe ­Elise genau ins Gesicht, damit mir nicht das kleinste Zucken entgeht.

Sie schüttelt nur den Kopf und dreht sich weg. »Tja, dann kann ich dir leider auch nicht weiterhelfen.«

»War sie gestern Abend mit euch unterwegs?«, rufe ich ihr nach.

»Warum interessierst du dich so plötzlich dafür, mit wem sie sich trifft?« Elise wirft mir einen kurzen Blick über die Schulter zu.

»War sie, oder war sie nicht?«

»Nein.« Sie wendet sich endgültig ab und geht den Gang entlang.

Ihre beiden Sidekicks begleiten sie, nur sehen sie jetzt mehr aus wie Bodyguards. Emma, die mit den ausgefransten weißblonden Haaren, dreht sich noch einmal um. Etwas an ihrem Blick ist seltsam. Wie sie zwischen mir und Elise hin und her sieht, das ist nicht normal. Aufgeschreckt, fast ängstlich.

Elise lügt.

Sie hat Vivien gesehen, oder sie weiß zumindest, wo Vivien ­gestern war. Mist. Das kann nur eines bedeuten.

Herzenssplitter

Vor der Mensa fange ich ihn ab. Echt, bis heute Morgen hätte ich geschworen, mir eher die Zunge abzubeißen, als mit dem Voll­idioten Janus auch nur ein Wort zu wechseln. Immerhin ist nur Cedric bei ihm, was wenigstens die Zahl der potenziellen ­Zuschauer einschränkt.

»Warst du gestern Abend mit Vivien unterwegs?«, frage ich ­direkt, will ihn überrumpeln, ihm weniger Zeit geben nachzudenken.

Okay. Vor allem will ich dieses blöde Gespräch hinter mich bringen.

»Hä? Wieso?« Er bleibt stehen, streicht sich den dunklen Pony aus der Stirn und sieht mich an.

Ein Lächeln im Mundwinkel.

Spar dir deinen Charme besser für jemanden auf, der genauso wenig Hirn hat wie du, Janus.

»Kannst du zur Abwechslung einfach mal auf eine Frage antworten?« Ich verschränke die Arme und versuche, ihn niederzustarren.

»Sie sind nicht mehr zusammen, falls dir das entgangen sein ­sollte«, mischt Cedric sich ein.

Warum hält er nicht einfach die Klappe?

»Ist es nicht«, gebe ich zurück, ohne Janus aus den Augen zu lassen. »Also warst du gestern mit ihr unterwegs?«

Janus verschränkt jetzt auch die Arme und lehnt sich ein Stück nach hinten. »Wieso interessiert dich das?«

»Weil sie nicht hier ist.« Erst als ich es sage, merke ich, wie bescheuert das klingt. »Und auch nicht zu Hause«, schiebe ich nach.

Cedric fängt an zu lachen. Ich kneife die Augen zusammen und funkle ihn an.

»Sorry, aber das war die bescheuertste Erklärung, die ich jemals gehört habe.« Er schüttelt den Kopf, wieder sein dämliches ­Grinsen im Gesicht. »Du tust ja fast so, als ob Janus sie entführt hätte.«

»Und, wenn er es hat?« Ich mustere Janus, so, als würde ich es wirklich für möglich halten.

In Wahrheit will ich ihn nur zur Weißglut bringen. Eine kleine Rache für den Streit, den Vivien und ich seinetwegen haben, und für Viviens Herz, das er gebrochen hat. Ich habe es ihr ja gesagt, von Anfang an, auch wenn ich mich lieber geirrt hätte. Wirklich.

»Sag mal, spinnst du?« Janus starrt mich mit offenem Mund an, seine Hände zu Fäusten geballt.

Volltreffer. Ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken.

»Hör zu, Vivien und ich haben seit genau acht Tagen kein Wort mehr miteinander geredet«, fährt er fort und geht einen Schritt auf mich zu. »Wenn ich noch einmal so eine Scheiße höre, wird, wer auch immer das gesagt hat, es bitter bereuen. Kapiert? Los Cedric, ich hab Hunger!«

Im Vorbeigehen rempelt Janus gegen meine Schulter. Statt brav seinem idiotischen Kumpel zu folgen, bleibt Cedric noch einen Moment vor mir stehen. Unsere Blicke treffen sich.

»Falsches Thema, okay? Seit sie mit ihm Schluss gemacht hat, liegen seine Nerven ein wenig blank.«

Sie? Sie hat Schluss gemacht? Klar, ganz bestimmt.

Ich zucke mit den Schultern. »Mhm. Deshalb musste der Arme sich gleich von der Nächsten trösten lassen. Logisch. Macht Sinn.«

Cedric schüttelt den Kopf. »Glaub, was du willst.«

Er lässt mich stehen und joggt hinter Janus her. Toll, das läuft alles genau nach Plan. Ich bin nicht einen Schritt weiter. Mann, nur noch drei Stunden, bis Viviens Mutter anfängt, Fragen zu stellen. Maximal.

Ein paar Jungs drängen sich an mir vorbei. Einer von ihnen trägt eine blaue Wollmütze, fast so eine wie Adrian, der ­Stalker. Moment mal … das ist es! Warum bin ich nicht gleich auf ihn gekommen? In den Wochen vor unserem Streit ist er überall aufgetaucht, wo Vivien war. In den Pausen in der Schule, bei ­ihrem ­Nebenjob im Underdog, beim Stadtbummel, einfach überall. ­Creepy, echt. Aber wenn er das immer noch macht, weiß er ­definitiv, wo Vivien gestern Abend war. Mist. Der einzige Ort, an dem ich ihn noch nie gesehen habe, ist die Mensa. Dafür ist er ständig im PC-Raum. Wann macht der auf? Um zwei oder erst um drei? Egal, ich werde es herausfinden.

Hinter den Masken

Für die Stunde Mittagspause ziehe ich mich hinter die Mensa ­zurück, habe keinen Bock, mich noch einmal mit Janus auseinander­zusetzen. Erst recht nicht, wenn Elise in der Nähe ist. Ich gehe dorthin, wo Sebastians Motorrad steht, weil sich niemand ungefragt in die Nähe dieser Maschine wagt und es somit der störungsfreiste Ort auf dem ganzen Schulgelände ist. Und auch der, an dem noch nicht einmal die Pausenaufsicht vorbeikommt. Gut so.

Sebastian Hachenbach, unser Koch und der mit Abstand ­coolste Typ der Schule. Wahrscheinlich müssten wir Sie sagen und Herr Hachenbach. Aber jeder, der bei ihm Praktikum gemacht hat, sagt einfach Sebastian.

Ich versuche, durch die kleinen Küchenfenster zu erkennen, ob er da ist. Sieht nicht so aus. Verdammt, ich hätte gern mit jemandem geredet. Jemand, der kein Idiot ist.

Dann halt nicht. Ich ziehe das Handy aus der Tasche, schaue zum hundertsten Mal heute den einen Haken hinter meiner Nachricht an, auch wenn das nichts ändert, und gehe schließlich auf Instagram. Eine halbe Minute später bin ich auf Elises Account:

Elislifebehindthemask.

Der Name ist überraschend cool für eine, die immer so darauf bedacht ist, bei allen Lehrern gut dazustehen. Leider ist es fake. Alles, was sie hier zeigt, ist nur das Image, das sie für andere pflegt und kein Stückchen echt. Ich schwöre. Trotzdem hat sie es in den letzten Monaten auf zweieinhalbtausend Follower geschafft. Seit sie in der Maske im Theater jobbt und letztes Halloween ein paar echt coole Horrorgesichter gepostet hat. Von denen sie wahrscheinlich kein einziges selbst geschminkt hat, aber egal.

Ich muss ein ganzes Stück nach unten scrollen, bis ich die beiden Fotos wiederfinde, die sie letzten Freitag hochgeladen hat. Elise postet im Schnitt zwei bis drei Bilder am Tag. Das meiste ist Schrott. Wenn man nichts zu sagen hat, macht man es mit sinnlosen Fotos auch nicht besser. Wen interessiert denn bitte, was sie isst oder in welchem Café sie sich ihren Kaffee reinzieht? Weniger schlimm, aber immer noch nicht interessant, sind die Fotos mit irgendwelcher Deko.

Schaut mal, wie süß! Soll ich mir das kaufen? Das würde doch supergut auf meinen Schminktisch passen. Was meint ihr?

Schminktisch. Klar. Die ist so was von durchgeknallt. Es ist mir doch egal, was Elise sich ins Zimmer stellt. Und ich wette, es ist selbst den Leuten egal, die ihr geantwortet haben.

Like mein Zeug, und ich like deines. Wenn ich hier noch ’nen Kommentar hinterlasse, klicken bestimmt ein paar Leute auf mein Profil.

Pfff. Vivien fährt da auch voll drauf ab. Aber immerhin postet sie keine Fotos von ihren Schminksachen und erst recht kein Essen. Tiefer als Foodposting kann man nicht sinken.

Endlich. Hier sind die beiden Fotos von Vivien und diesem creepy Typen. Okay, für einen Mittzwanziger sieht er ganz gut aus. Aber hallo? Warum posiert er mit zwei Siebzehnjährigen? Auf dem Ersten ist Elise mit drauf. Sie und Vivien stehen links und rechts von ihm, und er hält beide im Arm. Prolliger ging es nicht, oder? Und dann knutschen sie ihm auch noch die Wangen. Das passt überhaupt nicht zu Vivien. Die rennt nicht herum und knutscht irgendwelche Typen, mit denen sie wahrscheinlich noch nicht einmal drei Worte gewechselt hat. War sie besoffen? Hat Elise ihr ­irgendwelches Zeug gegeben? Mann, warum muss Vivien immer ihre übergroße Sonnen­brille und den weißen Hut tragen? Ich will ihre Augen sehen. Sie muss total dicht gewesen sein. Jede Wette. Keine Ahnung, wo Elise diesen Typen ausgegraben hat. Sie hat ihn jedenfalls verlinkt. Ah, der Text! Mir wird schlecht. Ehrlich.

Schaut mal, wen wir getroffen haben! @blackcat danke, dass du meine BFF @viv_tree so heldenhaft aufgeheitert hast! Sie macht gerade echt viel durch.

Deine beste Freundin?

Hat Elise einen Knall? Bis vor drei Wochen hat Vivien in dem ganzen Schuljahr gerade mal zehn Sätze mit ihr gesprochen. Wenn es hoch kommt. Und jetzt sind sie beste Freundinnen? Ich ­drücke das Zungenpiercing gegen die Zähne und versuche, an etwas ­anderes zu denken. Das Display verschwimmt vor meinen Augen.

Scheiße. Wenn Vivien deine beste Freundin wäre, hättest du ­diese Fotos nicht gepostet!

Die Kommentare darunter sagen alles. Irgendein Typ, der auf seinem Profilbild die Augen verdreht und die Zunge rausstreckt, fragt:

Sind die beiden nicht ein bisschen zu jung für dich, Black?

Gut erkannt, Quasimodo! Dieser Blackcat postet als Antwort den Smiley mit der Sonnenbrille. Das ist so kaputt, echt jetzt. Aber die nächste Frage von Quasimodo schießt den Vogel ab:

Welche von den beiden hast du mit nach Hause genommen, Black?

Dafür war selbst Black sich zu schade zum Antworten. Für diese bescheuerte Frage könnte ich Quasimodo eine reinhauen. Was glaubt er eigentlich, wie billig Vivien ist? Ich würde so lange auf ihn einprügeln, bis er sich bei ihr entschuldigt und sein jämmerliches ­Profil für immer und ewig löscht! Anschließend würde ich zu Elise gehen und ihr superschickes Smartphone zertrümmern. Vielleicht kapiert sie dann, was sie mit ihrem Post angerichtet hat? Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Bei den Kommentaren von Blackcats Fanclub verliere ich den Glauben an die Menschheit. Ehrlich. Wie kann man so etwas Dämliches öffentlich schreiben?

Aah, Black, du siehst sooo sexy aus! Ich werd ganz eifersüchtig …

Wann treffen wir uns wieder? Ich vermisse dich schon! *zwinker*

Und ganz unten kommt dann noch der Kommentar von Cedric:

Das ging ja schnell @revolution_PandD_style.

Revolution_PandD_style ist Janus’ Nick. Ich lass mich gar nicht erst über den Namen aus. Cedric tut gerade so, als wäre es ein Verbrechen, wenn Vivien sich von einem anderen Typen in den Arm nehmen lässt. Sein Kommentar bezieht sich bestimmt auf das zweite Foto, auf dem Vivien allein mit Blackcat ist. Diesmal hat er ­beide Arme um sie gelegt und drückt ihr einen Kuss auf die ­Wange. Sie lacht in die Kamera, ihre Augen sind immer noch hinter der Sonnen­brille verborgen. Leider. Sonst könnten alle sehen, dass das ­Lächeln nicht bis in ihre Augen reicht. Hundertpro. Cedric hat das nur nicht geblickt. Aber Viviens Kopf ist ganz leicht von dem ­Typen weggeneigt, als wollte sie den Abstand vergrößern. Und ihr Lächeln ist steif. Mir kann sie nichts vormachen, konnte sie noch nie. Ich habe sie oft genug in Situationen lächeln sehen, in denen ihr nicht zum Lächeln war. Jeden anderen kann sie mit diesem steifen Lächeln vielleicht täuschen. Den Hohlkopf Janus auf alle Fälle. Sie ist ein Naturtalent und sieht immer super aus, vor jeder Kamera, ganz egal, wie scheiße sie sich fühlt. Sie weiß einfach, wie sie sich in Pose werfen muss. Und wenn Elise sie wirklich kennen würde, hätte sie dieses Foto niemals hochgeladen.

Cedric spinnt. Was soll das heißen, ging ja schnell? Janus zu zeigen, wie wenig sie sich aus ihm macht, nachdem er mit ihr ein paar Tage vorher Schluss gemacht hat? Idiot, wenn er nicht einmal das kapiert. Als ob Vivien so wäre wie Cedric und Janus. Als ob ihr Herz nicht von Janus in tausend Splitter zertrümmert worden wäre. Wenn ihr nichts an ihm liegen würde, hätte sie sich niemals mit mir gestritten.

Die Antwort auf Cedrics Kommentar ist von einer Tusse einen Jahrgang unter uns. Sie hat es Samstagabend gepostet:

Wir haben uns um sein gebrochenes Herz gekümmert. *zwinker*

Auch wenn ich schon weiß, was mich erwartet, drücke ich auf ­ihren Nick und scrolle zu dem Foto, das sie letzten Samstag ­gepostet hat. Darauf ist Janus zu sehen, wie er rumknutscht, aber das ist nicht sie auf dem Bild. Seit Montag weiß ich, wie sie aussieht. Sie hat lockiges, rotes Haar. Wahrscheinlich macht er mit ­einer ­Freundin von ihr rum, keine Ahnung. Das Foto ist zwar von der Seite aufgenommen, aber der Fokus liegt auf Janus’ Gesicht und mehr als das und ein paar blond und schwarz gefärbte Haare von dem Mädchen, mit dem er rummacht, sind nicht zu erkennen. Der Text darunter ist richtig creepy:

You are out of the picture, sweetheart!

Sie hat Vivien getaggt, damit ihre Botschaft auch sicher ankommt. Die hat sie nicht mehr alle. Ehrlich. Trotzdem ist es der beste ­Beweis für die Doppelmoral von Janus und Cedric. Die ­können natürlich direkt nachdem sie Schluss gemacht haben, mit der Nächsten rummachen. Es stehen ja genug Mädels ohne Selbstachtung in der Schlange. Aber Vivien soll bitteschön in ihrer Trauer versinken und für die nächsten zwei Monate Janus hinterherheulen. Arschlöcher, echt!

Warum musste Elise diese bescheuerten Fotos posten und dann auch noch mit einem Typen, der offensichtlich keine auslässt und mindestens sechs Jahre älter ist? Jetzt sieht es so aus, als würde ­Vivien mit jedem rummachen.

BFF – dass ich nicht lache!

»Hast du keinen Hunger?«

Ich zucke zusammen und sehe hoch in Sebastians breites ­Gesicht. Mann, muss er sich so anschleichen? Soll ich einen Herzinfarkt ­bekommen, oder was?

Er streicht sich über den Dreitagebart und schüttelt den Kopf, ein paar blonde Strähnen fallen ihm in die Stirn. »Ich wusste nicht, dass du so schreckhaft bist?«

»Sehr witzig …«

»Was ist los?« Er zieht ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche und zündet sich eine an.

Auf dem Schulgelände, echt, was für ein tolles Vorbild! Manchmal frage ich mich, ob die Pausenaufsicht hier absichtlich nicht ­vorbeikommt, weil die Lehrer keine Lust haben, sich mit Sebastian anzulegen?

»Vivien ist verschwunden«, sage ich.

»Was meinst du mit verschwunden?« Er macht einen tiefen Zug und stößt den Rauch in einer langen Wolke nach oben.

Wie ein Drache kurz vorm Feuerspucken. Vielleicht ist das ­Tattoo auf seinem Oberarm gar keine Schlange?

»Sie ist nicht hier.«

»Ist sie krank?«

Ich schüttle den Kopf. »Dann wäre sie ja zu Hause, oder? Aber da ist sie auch nicht.«

Er zieht die Augenbrauen hoch und sieht mich kurz an. »Du meinst, sie schwänzt die Schule?«

»Ich weiß es nicht. Ich habe das Gefühl, dass irgendetwas nicht stimmt. Es passt nicht zu ihr, die Schule zu schwänzen, oder?«

Statt zu antworten, zieht er wieder an der Zigarette. Er sieht nachdenklich aus.

»Und, dann war da noch …«

Die Nachricht, will ich sagen, aber ich komme nicht dazu. Die Hintertür zur Küche geht auf, und eine ältere Frau schaut heraus.

»Sebastian, kannst du bitte kommen? Es gibt hier ein Problem …«

Ein Problem? Die Mensazeit ist fast vorbei, was für ein Problem gibt es da bitte?

»Tut mir leid, die Pflicht ruft«, sagt er und holt einen kleinen ­Taschenaschenbecher raus, um die Zigarette auszudrücken. »Lass uns später weiterreden, okay?«

Ich nicke. Auch wenn wir später nicht mehr reden werden. ­Später bin ich weg. Ich habe nur noch knapp zwei Stunden, um Vivien zu finden. Allerhöchstens.

HOFFNUNG

Du kannst nicht mehr aufhören zu weinen,

wenn du einmal damit angefangen hast.

Wusstest du das?

Da kannst du vorher so stark wie du willst erscheinen.

 

Es ist so viel Scheiße passiert,

aber ich habe gelacht und geredet,

bis zum totalen Knock-out.

Hätte sowieso nur einem einzigen Menschen vertraut.

 

Stattdessen habe ich lieber meinen eigenen Lügen geglaubt,

wollte nicht wissen, wie’s mir in Wirklichkeit geht.

Hab die Angst und den Schmerz

mit einem Lachen davongefegt

und gewartet.

Bis jemand meine Scheinwelt durchschaut.

 

Die Wahrheit sieht in dem ganzen Geäst

und keine der Lügen mehr stehen lässt.

Wollte, dass jemand mich auffängt und hält,

bevor ich in meinen eigenen Tränen ertrinke.

Und mich nimmt, wie ich bin.

Ohne die zentimeterdicke Schminke.

Stalkergeflüster

Mann, die Zeit läuft mir davon. Der bescheuerte PC-Raum macht heute erst um drei auf, was scheiße ist, obwohl ich um zwei sowieso beim Rothaus im Unterricht sitzen muss. Aber die Stunde hätte ich sausen lassen, ehrlich.

Wo treibt Vivien sich bitteschön herum? Sie verschwindet doch nicht einfach mal so für eine Nacht, schwänzt am nächsten Tag Schule und taucht dann wieder auf, als ob nichts gewesen wäre. Das ist so ganz und gar nicht Vivien. Außer sie hat sich in den ­letzten drei Wochen in einen komplett anderen Menschen verwandelt. Das glaube ich nicht, nein, das glaube ich einfach nicht. In meinem Bauch ist auf einmal ein Druck. Als hätte ich heute Mittag einen Haufen Steine gegessen, statt unfreiwillig zu hungern.

Ich nehme zwei Stufen auf einmal und komme total außer Atem beim PC-Raum an. Hoffentlich sind jetzt nicht lauter Programmiernerds hier.

Mann, Vivien, du bist mir echt was schuldig.

Adrian, der Stalker. Ausgerechnet. Obwohl. Bis vor ein paar ­Monaten war er noch völlig normal. Na ja, nicht normal. Unauffällig halt und ruhig. Angenehm. Keine Ahnung, warum er auf einmal beschlossen hat, Vivien zu stalken. Okay. Vivien sieht gut aus. Nein, nicht einfach nur gut. Sie ist das coolste Mädchen der Schule. Mit Abstand. Ich verstehe immer noch nicht, warum sie sich ausgerechnet mit Janus eingelassen hat, der viel zu blöd ist, um das zu kapieren. Er ist doch die ganze Zeit nur damit beschäftigt, sich und der Welt zu beweisen, was für ein toller Kerl er ist. Kein Raum für andere. Dass er in der zwölften ist, während wir noch in der elften abhängen, reißt es auch nicht raus.

Adrian hat sich bis jetzt nie für ein Mädel interessiert. Neben Mathe und Informatik existiert für ihn nichts. Was will er ausgerechnet von Vivien? Vivien, der schon schlecht wird, wenn sie das Wort Mathe nurhört? Sie passt überhaupt nicht zu ihm, kapiert er das nicht? Egal wie cool sie ist.

Warum mache ich mir darüber überhaupt Gedanken? Wenn er mir sagen kann, wo Vivien gestern war, bin ich wenigstens einen Schritt weiter. Na ja. Creepy ist es trotzdem.

Die Hand auf der Klinke horche ich an der Tür. Nichts. Ent­weder ist er allein, oder sie sind alle damit beschäftigt, auf ihre Bildschirme zu starren.

Ich schiebe die Tür auf. Wann war ich das letzte Mal im PC-Raum? Wahrscheinlich als wir uns alle einen Account anlegen mussten. Mein Passwort habe ich sofort wieder vergessen. Kein Interesse, auf dem Schulserver meine Hausarbeiten oder Referate abzulegen, wo Leute wie Adrian meinen Account hacken und alles lesen können.

Hier hat sich nichts verändert. Der Raum wird immer noch von den beiden Doppeltischreihen dominiert, mit jeweils acht Computern, alle zur Tafel hin ausgerichtet. Sie sind in Paaren angeordnet, damit die, die es nicht blicken, einen PC-Pro an die Seite bekommen, der sie erleuchtet. Haha. Ich war so was von froh, als ich Informatik abwählen konnte. Offensichtlich bin ich nicht die Einzige. Außer Adrian ist niemand hier. Zum Glück. Das macht es einfacher. Er sitzt in der letzten Reihe am Fenster und schaut sofort auf. Statt irgendetwas zu sagen, sieht er mich einfach nur an. Hallo? Habe ich ’nen fetten Pickel auf der Nase? Der PC-Raum ist für alle offen, oder etwa nicht? Mann, ich sollte dieses Gespräch so schnell wie möglich hinter mich bringen, es fängt jetzt schon an, mich zu nerven.

»Hey, Adrian. Hast du ’nen Moment Zeit?«, frage ich und drücke die Tür hinter mir zu.

Er räuspert sich. »Äh klar. Brauchst du Hilfe am PC? Sind alle frei …«

»Cool.« Ich gehe nach hinten und lasse mich auf den Stuhl neben ihm fallen.

Wow! Mit den roten Wangen kommt seine blaue Brille richtig gut zur Geltung.

»Was ist?«, frage ich, weil er nicht aufhört, mich anzustarren.

»Nichts.« Er lehnt sich zurück, und dabei rutscht der Stuhl ein Stück nach hinten.

War das Absicht?

»Ich bin nicht wegen einem PC-Problem hier«, fange ich an.

Je schneller ich zum Punkt komme, umso eher bin ich hier ­wieder draußen. Die ganze Situation ist schräger, als ich gedacht hätte. Awkward. Ehrlich.

»Okay?«, murmelt er, und es klingt ganz und gar nicht okay.

Pfff. Sein Blick schweift zum Bildschirm.

Twitch.tv.

Aha. Kenne ich nicht. Wem auch immer das Profil gehört, ist offline. Aditheguard. Was ist das bitte für ein Nick? Adrian bemerkt meinen Blick und minimiert das Fenster. Auch ’ne Art mir zu ­zeigen, dass mich seine Sachen nichts angehen.

»Warum bist du dann hier?«, fragt er, und irgendetwas an seinen Fingern muss total interessant sein.

Jedenfalls sieht er lieber seine Hände an als mir ins Gesicht. Toll. Er tut gerade so, als ob ich ihn fressen wollte. Dabei war ich ihm gegenüber bisher immer nett. Na ja, okay. Seit er angefangen hat, Vivien zu stalken, vielleicht nicht mehr. Aber das ist ja wohl nicht meine Schuld.

Oder?

»Du weißt nicht zufällig, wo Vivien sich gestern Abend rumgetrieben hat?«

Jetzt schaut er mich an, mit aufgerissenen Augen. »Äh, nein?« Er zupft an einer der braunen Strähnen, die unter seiner blauen Wollmütze hervorlugen. »Also, ich meine, wieso sollte sie mir sagen, was sie macht?«

Sagen nicht, aber du weißt es vielleicht trotzdem, weil du sie seit Monaten stalkst? Ich beiße mir gerade noch auf das Zungen­piercing. Schätze der Hinweis wird ihn nicht zum Reden bringen. Mann, muss es immer komplizierter werden? Kann Adrian mir nicht einfach erzählen, was er weiß? Oder ob er etwas weiß? ­Wenigstens ist er mir jetzt nicht damit gekommen, dass ich ja wohl besser wissen müsste als er, wo sich Vivien herumtreibt. Als ihre beste Freundin.

»Ich dachte, du hast sie vielleicht gesehen?«

So zufällig? Ich ziehe die Augenbrauen hoch und fange seinen Blick ein. Er will mich das mit dem Stalken jetzt nicht aussprechen lassen, oder?

»Äh, nein, tut mir leid. Außer in der Schule bin ich ihr schon länger nicht mehr begegnet«, murmelt er und schaut wieder auf seine Hände.

»Echt nicht? Noch vor drei Wochen hatte ich den Eindruck, dass du überall dort auftauchst, wo Vivien ist«, sage ich.

Es hilft ja nichts. Ich hätte es ihm und mir gerne erspart, ehrlich. Aber was soll ich denn machen, wenn er sich so begriffsstutzig stellt?

»Wir haben das vor etwa eineinhalb Wochen geklärt, sie und ich.« Er sieht ganz kurz zu mir, lächelt und konzentriert sich wieder auf seine Finger.

»Was habt ihr geklärt?« Bin ich einfach zu blöd, oder drückt er sich absichtlich so rätselhaft aus?

»Na ja, ich wollte ihr nur etwas sagen …«

»Die ganze Zeit? Du bist ihr überallhin gefolgt, nur um ihr etwas zu sagen?«

Das glaube ich nicht. Wenn es so wäre, hätte er doch gleich mit ihr reden können, statt sie wochenlang zu stalken. Für wie doof hält er mich?

»Ja. Klingt bescheuert, ich weiß. Wenn sie mich nicht konfrontiert hätte, hätte ich ihr wahrscheinlich bis heute nichts erzählt. Aber, wie gesagt, wir haben es vor etwa eineinhalb Wochen geklärt.« Er zieht die Schultern hoch, sieht mich aber nicht an.

»Und was genau hast du mit ihr geklärt?«, hake ich nach.

»Es war etwas Persönliches. Nicht so wichtig. Es …« Weiter kommt er nicht.

Die Tür fliegt auf, und ausgerechnet Janus platzt in den Raum, mit Cedric im Schlepptau. Das ist jetzt nicht wahr, bitte, das ist jetzt echt nicht wahr!

»Hey Adi! Sag mal, kannst du …« Janus bricht ab und sieht mich an. Die Augen zu kleinen Schlitzen verengt. »Was willst du hier?«

»Ich wüsste nicht, was dich das angeht«, fahre ich ihn an.

Was für ein eingebildeter Idiot! Kommt hier rein und tut so, als ob er und nicht Adrian für den PC-Raum zuständig wäre, als ob er darüber bestimmen könnte, wer hier ist.

»Danke, Adrian«, sage ich in meinem allerfreundlichsten Tonfall, so, als wäre unser Gespräch sowieso schon beendet und stehe auf. »Kann ich noch mal vorbeikommen, wenn ich noch ’ne Frage habe?«

»Äh klar. Aber ich hab echt keine Ahnung, was …«

»Schon gut«, unterbreche ich ihn.

Mann, bitte fang jetzt nicht vor Janus damit an, was ich dich ­gefragt habe.