Wüstenzauber (Band 1) - Marliese Arold - E-Book

Wüstenzauber (Band 1) E-Book

Marliese Arold

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Beschreibung

Fantastische s Lese abenteuer : Von Dein Spiegel-Bestseller-Autorin Marliese Arold ("Magic Girls") kommt eine atemberaubende und geheimnisvolle Geschichte über ein junges Mädchen, dass seinen eigenen, starken Weg finden muss . Samira ist die abenteuerlustige und starke Tochter des geheimnisvollen Kaufmanns Tarik und bereist mit ihm die Karawansereien der Wüste immer auf der Suche nach mächtigen magischen Gegenständen . Als ihr Vater von einem Treffen mit einem Händler nicht zurückkehrt , ändert sich Samiras Leben schlagartig. Was ist ihm nur zugestoßen? Eine gefährliche Suche beginnt , bei der Samira nicht nur ihre eigene Magie entdeckt , sondern sich auch einem mächtigen Zauberer stellen muss … Auftakt eines neuen fantastischen Lese-Abenteuers der Dein Spiegel-Bestseller-Autorin Marliese Arold Die abenteuerlustige Samira muss sich im Wüstenzauber aus 1001 Nacht beweisen , um ihren verschwundenen Vater wiederzufinden und ihre wahre Bestimmung zu finden . Schwerpunktthemen: selbstbewusst für sich einstehen , unverzichtbare Freundschaft und gemeinsam stark sein die neue spannende Reihe für Kinder ab 8 Jahren Für Fans von " Magic Girls " und " Ostwind " Cover mit Folienprägung veredelt

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Seitenzahl: 349

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Marliese Arold

Wüstenzauber

Samiras magische Reise

Band 1

Impressum

Alle in diesem Buch veröffentlichten Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt und dürfen nur mit ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung des Verlags gewerblich genutzt werden.

Eine Vervielfältigung oder Verbreitung der Inhalte des Buchs ist untersagt und wird zivil- und strafrechtlich verfolgt. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Bei der Verwendung im Unterricht ist auf dieses Buch hinzuweisen.

Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG („Text und Data Mining“) zu gewinnen, ist untersagt.

Ein Ebook der Edition Michael Fischer

1. Auflage 2024

© 2024 Edition Michael Fischer GmbH, Donnersbergstr. 7, 86859 Igling

Text: Marliese Arold Cover: Anna Fiedler Layout und Satz: Anna Fiedler Produktmanagement und Lektorat: Dagmar Hoppe

Sämtliche Illustrationen stammen von Shutterstock: Wüstenlandschaft: © Sandy777; reitendes Mädchen Silhouette: © Mzorin und © Sogno Lucido und © Christos Georghiou; Palmen: © MH Eamin Design; Sandwolken: © Evgenia Vasileva; Schweif hinter Titel: © mutus; Lampe: © krissikunterbunt; Schnörkel (auch Kapitelvignette und trennendes Element im Innenteil): © Anna Pogulyaeva; Ornament Pattern (Vor- und Nachsatz): © Ezhevika.

Herstellung: Elina Ovcharenko

ISBN: 978-3-7459-2655-2

www.emf-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Magische Steine oder gemeiner Schwindel

Der geheimnisvolle Seiltänzer

Sorgen um Tarik

Das Rätsel um die Tränenwandlerin

Der graue Detektiv Rafi

Unverhofftes Wiedersehen

Der Überfall

Flucht in die Wüste

Tödliche Gefahr

Aufbruch in die Oasenstadt

Ein Tiermarkt voller Magie

Im Gefängnis der Stadtwache

Auf der Flucht mit dem weißen Kamel

Kameltränen lügen nicht

Der Flug des Falken

Die Weisheit des Einsiedlers

Das Nachtschloss

Der Schicksalskelch

Ist es ein Märchen oder wahr?

Ein Teppich, alt und wunderbar,

hat Zauberkraft, die keinem gleicht.

Er fliegt und macht das Reisen leicht.

Er bringt dich, aber das ist schwer,

auch in das Land ohn‘ Wiederkehr.

Doch frei von Furcht muss sein dein Herz,

bereit, zu tragen jeden Schmerz,

bereit, zu kämpfen, hart und viel,

dann winkt die Liebe dir am Ziel.

Magische Steine oder gemeiner Schwindel

„Komm mit, Samira! Der Händler, zu dem wir wollen, sitzt dort drüben!“

„Du musst mich nicht immer an der Hand nehmen, Vater! Ich bin dreizehn!“

„Aber ich will nicht, dass du im Gedränge verloren gehst, Liebes!“

„Das passiert schon nicht!“ Samira entzog ihrem Vater die Hand. Er hatte einen festen Griff gehabt. Sie wusste, dass er immer Angst um sie hatte, denn seit dem Tod ihrer Mutter vor gut drei Jahren gab es nur noch sie beide – Vater und Tochter. Doch sie war kein kleines Kind mehr und konnte gut auf sich selbst aufpassen.

Samira spürte den Wüstensand auf ihren Lippen, als sie sich an der Seite ihres Vaters, des Kaufmanns Tarik, durch das Gewimmel schob, das auf dem Markt herrschte. Die Luft war voller aufregender Gerüche – gebratenes Fleisch, duftende Süßigkeiten, edle Gewürze. Von allen Seiten ertönte der Singsang der Händler, die lautstark ihre Waren anpriesen.

„Frische Feigen! Erstklassige Ernte!“

„Saftige Granatäpfel! Gut für euer Wohlbefinden!“

„Schwarzer Pfeffer aus China, so günstig wie noch nie!“

„Feinste Seide, so dünn wie Spinnweben!“

Samira liebte den Trubel, das Gewirr aus vielen Menschen, die bunten Farben der Stoffe und die funkelnden Gefäße aus Silber und Gold.

„Hier sind wir!“ Tarik blieb vor einem Tisch stehen, der vor Waren überquoll. Auch daneben und dahinter hatte der Händler, ein kleiner buckliger Mann mit schmutzigem Turban, seine Angebote ausgebreitet. Als er den Kaufmann und seine Tochter erblickte, verzog er seinen Mund zu einem Lächeln und verneigte sich tief.

„Guten Tag, die Herren! Womit kann ich dienen?“

Samira unterdrückte ein Schmunzeln. Sie wurde oft für einen Jungen gehalten, wenn sie ihren Vater auf seinen Reisen begleitete. Das lag daran, dass sie praktische Männerkleider trug, anstatt sich in kostbare Gewänder zu hüllen, wie ihr Vater es am liebsten gewollt hätte. Außerdem war ihre Stimme von Natur aus dunkel. Ihre schönen, lockigen Haare versteckte sie unter einem Turban, genau wie es Tarik tat. Doch an dessen Turban prangte über der Stirn ein großer Smaragd. Dieser sei sein drittes Auge, behauptete Tarik oft. Er könne damit Dinge sehen, die anderen verborgen blieben. Samira beneidete ihren Vater um diesen Edelstein, sie hätte auch gerne einen funkelnden Smaragd gehabt.

„Wir suchen nichts Bestimmtes, sondern wollen uns ein bisschen umsehen“, erklärte Tarik dem Händler.

„Eine gute Entscheidung, meine Herren, eine sehr gute!“, antwortete dieser eifrig und verneigte sich mehrmals. „Bei mir findet Ihr Schätze, die die Welt noch nicht gesehen hat. Wertvolle Seltenheiten!“ Er griff mit seinen runzligen Fingern eine kleine Dose. „Seht her, edle Herren! In diesem Gefäß befindet sich Pulver aus gemahlener Schlangenhaut, und wenn Ihr eine Prise davon schnupft, dann wird Euch im Traum Eure Allerliebste erscheinen. Ich versichere Euch, Ihr habt noch nie so angenehm geträumt!“

Samira verzog ein wenig das Gesicht. Die Vorstellung, sich Schlangenpulver in die Nase zu stopfen, erregte ihren Ekel. Sie hatte auch ohne Hilfsmittel sehr lebhafte Träume, in denen sie die unglaublichsten Abenteuer erlebte. Am schönsten aber war es, wenn sie von ihrer Mutter träumte. Samira konnte dann ihr Parfüm riechen und ihre liebevollen Umarmungen spüren. Manchmal erwachte sie aus so einem Traum mit nassen Wangen und sehnte sich dann unendlich nach ihr. Warum hatte sie so früh sterben müssen?

Zuweilen konnte sich Samira nicht einmal mehr an ihr Gesicht erinnern. Dann bat sie ihren Vater, ihr das Medaillon mit dem Bildnis ihrer Mutter zu zeigen. Djamila war eine wunderschöne Frau gewesen, und Tarik behauptete, Samira sehe ihr immer ähnlicher.

Die Stimme ihres Vaters riss Samira aus ihren Gedanken.

„Was hast du noch anzubieten?“, fragte er den Händler.

Der kleine Mann wühlte in seinen Sachen. Er zog einen abgegrif­fenen Lederbeutel hervor und schüttete den Inhalt in seine Hand. Ungefähr ein Dutzend bunter Steine funkelten verführerisch im Licht der Öllampe, die von der Decke des Marktstands herabhing.

„Edelsteine, meine Herren! Aber keine gewöhnlichen, o nein! Jeder Stein besitzt eine Zauberkraft, die Euch das Leben leichter macht. Rosenquarz für die Liebe, Saphir für den inneren Frieden, Rubin für nie endende Kraft.“ Der Händler lächelte und entblößte mehrere braune Zahnstümpfe. „Ich würde Euch einen Sonderpreis machen, zwölf Steine für den Preis von zehn!“

Samira hatte einen grünen Edelstein erspäht, der dem Smaragd auf dem Turban ihres Vaters glich. Er war sogar ein Stück größer und schimmerte noch auffallender. Sie hätte sofort zugegriffen und das Angebot des Händlers angenommen, aber ihr Vater lächelte nur dünn.

„Meine Augen sind noch nicht so trüb, dass sie geschliffenes Glas nicht erkennen können. Der Schliff ist sehr schön, wohl­gemerkt. Aber deine angeblichen Edelsteine sind nicht einmal eine Kupfermünze wert.“

„Aber, aber, mein Herr …“ Der Händler schien fassungslos zu sein. „Dann bin ich beim Einkauf betrogen worden! Glaubt mir, ich schwöre, das wusste ich nicht! Bitte verzeiht, dass mir dieser Irrtum unterlaufen ist.“ Er verbeugte sich so tief, dass seine Nase fast die Tischkante berührte.

„Am besten, du packst deine Sachen zusammen und verschwindest! Deine Waren sind nichts anderes als wertloser Plunder! Du wirst weder mit mir noch mit anderen anständigen Kaufleuten Geschäfte machen!“, schimpfte Tarik. „Sei froh, dass ich nicht die Wachen rufe!“

Er fasste Samira am Arm und zog sie vom Stand weg. Samira war enttäuscht. Waren die herrlichen Steine wirklich nur billiges Glas gewesen? Als sie sich noch einmal umdrehte, sah sie, wie der Händler die Steine mit verdrossener Miene wieder in den Lederbeutel steckte und unter den Tisch schob. Er machte keine Anstalten, seinen Stand abzubauen, sondern wandte sich erwartungsvoll einer Schar junger Männer zu, die sich ihm näherten.

„Woher hast du so schnell gewusst, dass die Steine nur aus Glas sind, Vater?“, fragte Samira auf dem Rückweg zur Herberge. Es dämmerte bereits, die Nacht brach in dieser Gegend immer schnell herein. „Hat dir das dein drittes Auge verraten?“

Tarik lachte leise. „Nein, Samira, das hat mit Magie nichts zu tun, sondern mit Erfahrung. Es gibt viele ehrliche Händler und auch einige, die betrügen, weil sie hoffen, schnell reich zu werden. Dieser Mann vorhin hat uns weismachen wollen, dass er Wunderdinge besitzt. Aber echte Wunder sind selten. Hast du seine abgearbeiteten Hände und seine schäbige Kleidung gesehen? Besäße er wirklich magische Dinge, warum hätte er es dann nötig, den ganzen Tag auf dem Markt zu stehen? Er ist in Wahrheit ein armer Tropf, und noch armseliger sind seine Gedanken, wenn er glaubt, durch Betrug sein Glück zu machen.“

Samira dachte über die Worte ihres Vaters nach. Sie war noch nicht ganz überzeugt, denn sie glaubte nur zu gerne an magische Dinge. Die Aussicht, ihrem Leben durch so einen Zauber plötzlich eine völlig neue Wendung geben zu können, erschien ihr sehr verlockend. Die wenigen Tricks, die ihr Vater ihr bisher beigebracht hatte, waren nur kleine Alltagshelfer und trotzdem so mühsam zu lernen.

„Und wenn er ein Zauberer war, der sich nur als Händler verkleidet hat?“, fragte sie.

„Warum sollte sich ein so wichtiger Mann auf den Markt stellen, bis ihm die Beine schmerzen?“, entgegnete Tarik und lächelte. Er kannte die Vorliebe seiner Tochter für Märchen und fantastische Geschichten nur allzu gut.

„Vielleicht …“, Samira überlegte, „vielleicht, um die Menschen zu studieren?“

„Hm.“ Ihr Vater wiegte den Kopf. „Das könnte natürlich sein. Aber ich versichere dir, dass dieser Kerl ganz bestimmt kein Magier war, sondern nur ein kleiner, schäbiger Betrüger.“

Er klang so überzeugt, dass es Samira fast peinlich war, wie sie sich von dem Geglitzer der Steine derart hatte blenden lassen. In diesem Moment zweifelte sie daran, dass sie eines Tages in Tariks Fußstapfen treten konnte. Denn nichts wünschte sie sich mehr. Sie wollte später reisen und mit Waren handeln wie er. Auch mit magischen. Doch Tarik behauptete immer, das sei Männersache und für eine junge Frau viel zu gefährlich.

„In ein paar Jahren wirst du heiraten, Samira. Einen reichen Kaufmann oder noch besser einen Prinzen. Und du wirst ihm eine gute Ehefrau sein.“

Samira jedoch fand diese Vorstellung schrecklich. Das musste ein entsetzlich langweiliges Leben sein – und dazu hatte sie überhaupt keine Lust. Sie wollte die Welt sehen und Abenteuer erleben, anstatt nur in ihren Gemächern zu sitzen und sich die Zeit mit Harfenspiel oder Stickereien zu vertreiben. Wie oft hatte sie sich schon gewünscht, als Junge geboren worden zu sein, weil man einem Jungen einfach mehr zutraute und ihm einen wesentlich größeren Freiraum zugestand als einem Mädchen. Zum Glück war Tarik nicht so streng wie die Väter von Samiras Freundinnen. Wenn sie genug bettelte, erlaubte er ihr vieles, von dem die Mädchen aus ihrem Bekanntenkreis nur träumen konnten. Beispielsweise durfte sie ihn fast immer auf seinen Reisen begleiten. Sie durfte jedes Buch lesen, dass sich in Tariks Besitz befand – und das waren sehr viele! Und sie konnte mit Tarik über alles reden, ihn alles fragen. Er antwortete ihr mit unermüdlicher Geduld, und wenn er etwas nicht wusste, so versuchten sie, es gemeinsam herauszufinden. Samira liebte ihren Vater und ihr Leben, wie es im Moment war. Auch wenn sie sich sehr nach ihrer Mutter sehnte und nach noch etwas, das sie nicht wirklich greifen konnte. Erinnerungen, Bilder. Vor allem morgens, wenn sie aus einem ihrer lebhaften Träume erwachte …

Inzwischen kam die Karawanserei in Sicht, wo Samira und ihr Vater mitsamt ihren Reittieren untergebracht waren. Vor dem Eingang zur Gaststube flackerte eine Laterne. Die Fenster besaßen hölzerne Läden als Schutz vor fremden Blicken und der Hitze. Samira war schon in vielen Herbergen gewesen, und diese war eine der angenehmeren.

„Ich schaue mir meine Gäste genau an“, hatte der Wirt bei der Begrüßung gesagt. „Betrunkene kommen gar nicht erst in mein Haus. Und meine Zimmer sind sehr reinlich. Keine Flöhe, keine Wanzen!“

Samira hatte nur in sich hineingelächelt. Die Sache mit dem Ungeziefer war in Herbergen ein großes Problem. In den Strohsäcken wimmelte es oft von Krabbeltieren, und manchmal huschten sogar Ratten durch Mauerritzen in die Räume. Doch Samira und ihr Vater schliefen in Schlafsäcken, die Djamila noch zu ihren Lebzeiten für sie genäht hatte. Die Schlafsäcke bestanden aus regenbogenfarbener Seide und waren mit feiner Kamelwolle gefüllt. Sie wärmten selbst in eiskalter Nacht und waren angenehm kühl in schwülen Sommernächten. Das Beste aber daran war, dass sie dank Djamilas Zaubersprüchen jegliches Ungeziefer fernhielten. Das galt auch für Schlangen und Skorpione. Samira hatte sogar gemerkt, dass ihr Schlafsack, den sie ja schon seit Jahren in Gebrauch hatte, auf magische Weise mitzuwachsen schien, denn sie war allein im letzten Jahr um zwei Handbreit größer geworden. Früher war es ihr nicht aufgefallen, aber inzwischen war ihr klar geworden, dass ihre Mutter wohl über ungewöhnliche Fähigkeiten verfügt hatte.

Tarik hatte vor, noch zwei Tage in dieser Karawanserei zu verbringen, bevor er mit seiner Tochter weiterzog. Samira wusste, dass ihr Vater demnächst einen wichtigen Geschäftstermin hatte. Deswegen hatten sie überhaupt diese Reise unternommen. Er redete wenig darüber, und sie brannte vor Neugier. Es ging um einen sehr seltenen Teppich, der angeblich fliegen konnte und noch andere magische Eigenschaften haben sollte. Tarik hatte bereits angekündigt, dass er allein zu diesem Termin gehen wolle und Samira in der Herberge bleiben solle. Samira hoffte jedoch, ihn noch umzustimmen, sodass er sie mitnehmen würde.

„Wir sollten noch einmal nach unseren Tieren sehen, bevor wir zu Abend essen und uns zur Ruhe begeben“, meinte Tarik.

Samira war einverstanden. Sie passierten ein Tor mit einem Rundbogen, durchquerten einen Innenhof und gelangten zum Stall, der sich im rückwärtigen Teil der Karawanserei befand.

Der vertraute Geruch nach Stroh und warmen Tierleibern schlug Samira entgegen. Sie liebte diesen Duft, es war, als käme sie nach Hause. Tarik und sie waren mit zwei Pferden unterwegs; außerdem gehörte zu ihnen ein Maultier, das ihr Gepäck trug. Tarik ritt einen feurigen schwarzen Hengst namens Rayan. Das Tier war wunderschön, aber auch sehr nervös. Es warf jeden ab, den es nicht leiden konnte. Samira hatte eine kleine, sehr trittsichere Stute mit weißem Fell, das mit unzähligen braunen Flecken gesprenkelt war. Wegen der Ramsnase wirkte das Tier nicht gerade hübsch, aber Samira liebte ihre Stute von Herzen und hatte ihr den Namen Aida gegeben. Das Maultier hieß Yara, und es hatte die sanftesten braunen Augen, die Samira je gesehen hatte.

Samira schlüpfte unter der Absperrung hindurch und überprüfte, ob die Tiere richtig angebunden waren. Sie vergewisserte sich, dass sie genug Futter und Wasser für die Nacht hatten. Weil alles in Ordnung war, warf Tarik dem hageren Jungen, der für den Stall zuständig war, eine Kupfermünze zu, während Samira ihre hässliche Stute umarmte und ihr Koseworte ins Ohr flüsterte. Sie stellte fest, dass Aida gebürstet war, denn ihr Fell war von Staub befreit und glänzte. Rayan dagegen hatte sich auf dem Boden gewälzt, soweit es sein Anbindestrick zugelassen hatte. Schmutz und Strohhalme klebten auf seinem Fell, die Brust war verkrustet von getrocknetem Schweiß. Der Pferdejunge bemerkte Samiras kritischen Blick. „Er hat mich nicht rangelassen“, rechtfertigte er sich. „Ich hatte Angst, einen Tritt abzukriegen.“

Samira sagte keinen Ton, sondern streckte nur die Hand in seine Richtung aus. Der Junge verstand sofort und reichte ihr zwei unterschiedliche Striegel.

„Willst du Rayan etwa heute noch putzen?“, fragte Tarik verwundert. „Das hat doch bis morgen Zeit!“

„Vater, ich gehe nie zu Bett, ohne zuvor meine Haare gebürstet zu haben“, erwiderte Samira. „Sonst fühle ich mich nicht wohl. Und Rayan geht es bestimmt genauso.“

Tarik lächelte. „Ich weiß, dass du am liebsten im Stall schlafen würdest. Na, dann tu, was du tun musst, meine Tochter! Aber halte dich nicht zu lange bei den Tieren auf und vergiss nicht, dir hinterher gut die Hände zu waschen. Du findest mich in der Gaststube.“

Samira nickte und sah zu, wie ihr Vater mit langen Schritten den Stall verließ. Dann widmete sie sich der Fellpflege.

Der Hengst hielt still und genoss die kräftigen, aber zugleich sanften Striche, mit denen Samira sein Fell von Schmutz befreite. Samira hatte Respekt vor Rayan, aber sie wusste, dass er ihr nichts tun würde. In Momenten wie diesem hatte sie das Gefühl, dass es eine innere Verbindung zwischen ihr und dem Pferd gab. Rayan war groß und stark, und sie stellte sich vor, dass er sie bei Gefahr beschützen würde. Dabei war sie noch nie auf ihm geritten. Tarik hatte es bisher nicht erlaubt, obwohl Samira eine gute Reiterin war. Aber der Hengst war viel größer als Aida und besaß ein ungleich hitzigeres Temperament.

Aus den Augenwinkeln sah Samira, wie der Junge vorsichtig aus seiner Ecke kam und ins Licht der Öllampe trat.

„Bei dir hält er still!“ Seine Stimme war voller Bewunderung.

„Rayan kennt mich“, erwiderte Samira knapp.

Der Junge trat noch einen Schritt näher. „Stimmt es, dass du ein Mädchen bist?“

Samira sah ihn über die Schulter an. „Ja, das ist richtig“, sagte sie. „Warum fragst du?“

„Du siehst aus wie ein Junge“, meinte er. Er schüttelte den Kopf. „Warum machst du das?“

„Das geht dich gar nichts an“, antwortete Samira schnippisch. Sie hatte keine Lust, ihm zu erklären, dass sie sich in Jungenkleidung einfach wohler fühlte und dass weite Hosen auf Reisen viel praktischer waren. Sie mochte es nicht, von allen Seiten angegafft zu werden – so, wie es oft an Festtagen geschah, wenn Tarik verlangte, dass sie sich herausputzte, ihre feinsten Kleider anlegte und Schmuck trug. Schon ihre prächtigen, gelockten Haare erregten Aufsehen. Immer ging es nur um ihr Aussehen, um ihre großen Augen, ihre hübsch geschwungenen Lippen oder den Bogen ihrer Augenbrauen. Besonders die schwarze Flut ihrer Haare veranlasste die Leute, Lobeshymnen auf Samira anzustimmen. Dabei war sie doch mehr als nur ein hübsches Gesicht und eine zierliche Figur in einem kostbaren Kleid! Aber wer machte sich schon die Mühe, in sie hineinzublicken und sich für ihre Gedanken zu interessieren, für ihre Gefühle und ihr Herz? Wer nahm Anteil an ihren Träumen oder an ihrer Trauer um ihre Mutter? Alle sahen nur das Äußere!

Bei Tarik war es anders. Zu ihm sagte nie jemand: „Was hast du für einen schönen Bart!“ oder „Wie beeindruckend deine kräftigen Schultern sind!“. Nein, man lobte ihn wegen seiner Klugheit, und man pries seinen Gerechtigkeitssinn. Oft kamen Leute zu ihm, um ihn um Rat zu fragen oder seine Meinung zu hören. Manche wollten, dass er einen Streit schlichtete. Niemanden kümmerten seine wohlgeformten Hände oder seine buschigen Brauen, die sich oft nachdenklich zusammenzogen.

Samira fand das ungerecht. Auch sie besaß einen ausgeprägten Sinn für Recht und Unrecht, aber danach fragte keiner.

Als sie Rayan von allem Schmutz befreit hatte, taten ihr die Arme weh. Aber sie hatte den Hengst sehr gründlich geputzt. Der Junge war inzwischen wortlos verschwunden. Samira legte das Putzzeug zur Seite, dann verabschiedete sie sich von Rayan und Aida. Selbst das Maultier bekam einen Kuss auf die Stirn. Sie blies die Lampe aus, damit die Tiere Ruhe hatten, und verließ den Stall.

Das Mondlicht beleuchtete den Innenhof. An einem Wasserfass wusch sich Samira Hände und Arme und benetzte auch ihr verschwitztes Gesicht. Dann eilte sie über den Hof und schlüpfte durch den Hintereingang in die Gaststube der Karawanserei.

Rauch und Stimmengewirr schlugen ihr entgegen, es roch nach Bier und Gebratenem. Der Raum war inzwischen gut gefüllt, und Samira musste eine Weile suchen, bis sie ihren Vater in einer Ecke entdeckte. Er sprach gerade mit einem Fremden, und den Mienen nach zu urteilen, hatten die beiden Männer einen Streit. Samira schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch und wich einem Mädchen aus, das ein Tablett mit Speisen balancierte.

„Nein, nein und nochmals nein!“, rief Tarik und erhob sich von der Bank, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. „Das kommt überhaupt nicht infrage! Ausgeschlossen!“

„Ganz, wie Ihr meint!“, säuselte der Fremde, aber in seinen Augen lag ein unheilvoller Glanz. „Hoffentlich bereut Ihr Eure Entscheidung nicht. Manchmal muss man wählen zwischen dem, was man am meisten liebt.“ Er verzog seinen Mund zu einem breiten Grinsen, dann stand er ebenfalls auf und schickte sich an, den Raum zu verlassen. Als Samira und er sich begegneten, musterte er sie von oben bis unten, lächelte sie sonderbar an und berührte sie leicht an der Schulter. Samira wich zur Seite aus und sah ihn empört an.

„Nicht so zornig, kleine Wüstenrose!“, murmelte der Fremde amüsiert und lachte in sich hinein. Dann ließ er sie stehen und verließ den Gastraum.

Samira lief ein Schauder über den Rücken, der Mann war ihr unheimlich. Da war irgendetwas in seinem Blick gewesen …

„Wer war das?“, fragte sie, als sie sich neben ihren Vater auf die Bank quetschte.

Tarik winkte nur. „Niemand, der wichtig ist. Mach dir keine Gedanken. Was willst du essen? Sicher bist du hungrig. Ich kann dir diese Pfannkuchen mit Walnüssen nur empfehlen!“

Samira roch den Duft von Zimt, der von Tariks Teller aufstieg, und das Wasser lief ihr im Mund zusammen. Ihr Vater hatte das Gericht kaum angerührt, obwohl er sonst einen guten Appetit hatte. Lag es an dem Gespräch mit dem Fremden? Samira hatte das Gefühl, dass ihr Vater ihr etwas verschwieg.

Tarik schob ihr seinen Teller zu. „Hier, iss! Ich fürchte allerdings, der Pfannkuchen ist schon kalt geworden.“

Doch das störte Samira nicht. „Danke!“ Hungrig biss sie in den Pfannkuchen, und es kam ihr vor, als habe sie noch nie etwas Köstlicheres gegessen. Sie liebte Nüsse, und der Pfannkuchen selbst war so zart und weich, dass er auf der Zunge schmolz. Und der Geschmack nach Zimt … Sie schloss die Augen vor lauter Wohlbehagen. Sofort sah sie im Geist eine Stadt vor sich, Gebäude mit runden Kuppeln und Mauerwerk mit Mosaiken. In ihrer Vorstellung saß sie auf einem fliegenden Teppich und schwebte über den Häusern. Von oben konnte sie alles genau sehen, das Gewimmel auf den Straßen, die Menschen, die Kamele. In der Ferne erhob sich ein Gebirge, und Samira wusste, dass sie unbedingt dorthin musste. Jedes Mal, wenn sie Zimt aß, tauchten solche Bilder von fremden Gegenden vor ihrem inneren Auge auf. Bunt und klar und deutlich. Ihre Mutter hatte es als Fernweh bezeichnet, als Samira ihr einmal davon erzählt hatte.

„Träumst du wieder?“ Die Stimme ihres Vaters beendete abrupt ihre Fantasievorstellung. Samira riss die Augen auf.

„Du bist sicher müde, genau wie ich“, meinte Tarik. „Für uns beide war es ein langer Tag. Ich vergesse immer wieder, wie anstrengend das Reisen für dich sein muss. Du bist ja noch ein Kind.“

Samira war zu erschöpft, um zu protestieren. Noch zwei Bissen, dann hatte sie den Pfannkuchen aufgegessen und wischte sich über den Mund. Es stimmte, sie war ungeheuer müde, und auch ihrem Vater sah man die Anstrengung an. Unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, das kam nicht nur von dem schummrigen Licht in der Gaststube. Das Stimmengewirr im Raum wirkte einschläfernd, und in diesem Moment erschien es Samira sehr verlockend, gleich hier am Tisch ein Nickerchen zu machen. Ihr Vater fasste sie am Oberarm, und sein fester Griff brachte sie wieder zur Besinnung.

„Meinst du, du schaffst es noch die Treppe hinauf zu unserer Schlafstube?“, fragte er belustigt.

Samira ließ sich von ihm hoch- und durch den Raum ziehen. Ihre Beine waren schwer wie Blei, und die hölzernen Stufen in den ersten Stock kamen ihr höher vor als tagsüber. Es war, als würde eine unsichtbare Last sie nach unten ziehen wollen.

Tarik lachte leise. „Du Arme, du schläfst ja schon fast im Stehen ein!“

Sie gingen einen schmalen Gang mit vielen Türen entlang, bis sie den letzten Raum erreichten. Zum Glück mussten sie ihre Unterkunft nicht mit anderen Gästen teilen. Tarik zog aus seinem Gewand einen großen eisernen Schlüssel hervor und schloss die Tür auf. Das Gepäck mit den zum Teil wertvollen Stoffen stand noch genauso an der Wand, wie sie es zurückgelassen hatten.

„Sieht so aus, als hätte sich niemand daran zu schaffen gemacht“, murmelte Tarik, hörbar erleichtert.

„Hast du denn keinen Zauberspruch gegen Diebe gesprochen?“, fragte Samira verwirrt und bemühte sich, die Augen offen zu halten.

„Doch, aber du weißt, dass er nicht immer hilft.“

Tarik war auf seinen Reisen schon mehrfach bestohlen worden. Seit Samira ihn begleitete, war es nicht wieder passiert, aber das konnte reiner Zufall sein. Tarik verließ sich nicht darauf. Deswegen hatte er vom Wirt einen Schlüssel verlangt, um den Raum abschließen zu können.

„Möchtest du die Lampe entzünden, Samira, oder soll ich es tun?“

„Ich will es versuchen, Vater.“ Trotz ihrer Müdigkeit kniete sich Samira auf den Boden. Vor ihr stand eine kleine Öllampe. Sie konzentrierte sich auf den Docht, hielt ihre flache Hand einige Fingerbreit darüber und sagte im Befehlston: „Flamme, erwache!“

Es zischte, der Docht glühte kurz auf, um gleich darauf wieder zu erlöschen. Ein dünner Rauchfaden stieg kräuselnd empor.

„So eine Kamelkacke!“, schimpfte Samira.

„Du sollst nicht fluchen“, ermahnte ihr Vater sie.

„Aber ich kann nicht einmal so eine verdamm… äh … blöde Lampe anzünden!“ Samira ärgerte sich über sich selbst. Seit einem halben Jahr lehrte ihr Vater sie endlich einige leichte Zaubersprüche, die im Alltag hilfreich waren, aber die Magie wollte ihr einfach nicht gehorchen.

„Du musst Geduld mit dir haben, Samira, das sage ich dir immer wieder!“

Tarik kniete sich an ihre Seite. Samira nahm eine flüchtige Handbewegung wahr, und schon tanzte eine helle Flamme auf dem Docht, ohne dass ihr Vater auch nur ein Wort laut ausgesprochen hatte.

„Wie machst du das nur?“ Der Neid in Samiras Stimme war nicht zu überhören.

„Ich habe mir das Licht vorgestellt und die Lampe höflich darum gebeten.“ Tarik schmunzelte. „Bitte ist nämlich ein mächtiges Zauberwort.“

Samira verdrehte die Augen. Die Lampe war aus verbeultem Metall, das Öl minderwertig und der Docht nur ein gedrehtes Stück Schnur. Warum, in aller Welt, sollte man zu so einem Krempel Bitte sagen?

Sie erhob sich und ging zu den Gepäckstücken, um die Schlafsäcke herauszuholen und auf dem Boden auszubreiten.

Entrollt euch – bitte!, befahl sie ihnen und machte damit einen weiteren Versuch, Magie auszuprobieren. Ein Schlafsackzipfel schien ihr höhnisch zuzuwinken, aber beide Säcke blieben Bündel. Also blieb Samira nichts anderes übrig, als mit der Hand nachzuhelfen. Sie seufzte.

Als hätte ihr Vater ihre Gedanken erraten, begann er zu reden: „Du musst dir die Magie als eine Art unsichtbare Kraft vorstellen. Oder, noch besser, als ein lebendiges Wesen, das dich stets begleitet, aber deinen Augen meistens verborgen bleibt. Und diese Kraft oder dieses Wesen musst du mit freundlichen Worten ansprechen und bitten, dir zu helfen.“

Noch immer missmutig schlüpfte Samira in den Schlafsack. Ihr Vater werkelte noch ein paar Minuten herum und kramte in seinen Sachen, bevor er sich ebenfalls hinlegte und mit einer Handbewegung das Licht löschte.

Es wurde nicht ganz dunkel im Raum, denn durch die Ritzen des hölzernen Fensterladens drang das Mondlicht herein und malte ein Muster auf den Boden. Draußen waren die Stimmen von Betrunkenen zu hören, jemand stimmte ein Lied an, die Töne waren schrecklich falsch. In der Ferne bellte ein Hund.

„Morgen muss ich dich leider den ganzen Tag allein lassen“, sagte Tarik unvermittelt. „Meinst du, du schaffst das?“

Samira schnappte in der Dunkelheit nach Luft. „Wie? Ich darf nicht mit?“

„Es sind wichtige Geschäfte zwischen Männern. Du weißt ja, ich bin auf der Suche nach einem ganz seltenen Teppich. Du würdest dich endlos langweilen.“

Samira setzte sich auf. Der Schlafsack raschelte. „Mir dir langweile ich mich nie, Vater! Ich finde es spannend, wie du die Waren beurteilst und um den Preis feilschst. Wie kann ich das lernen, wenn ich nicht zuschauen darf?“

Jetzt war es ihr Vater, der seufzte. „Samira, mein Goldstück, ich liebe dich über alles, das musst du mir glauben. Aber die Mission, die mir bevorsteht, ist nicht ungefährlich. Deswegen habe ich dem Wirt bereits Bescheid gesagt, dass du morgen in der Herberge bleibst und er ein Auge auf dich haben soll. Vielleicht kannst du ein wenig in der Küche mithelfen, damit dir die Zeit nicht zu lang wird. Am Abend bin ich wieder da, das verspreche ich dir, und übermorgen verlassen wir dann diesen Ort und ziehen weiter.“

Samira presste die Lippen zusammen und suchte fieberhaft nach einem Argument, mit dem sie ihren Vater überzeugen konnte, sie doch noch mitzunehmen.

„Ich werde still sein wie ein Mäuschen. Du wirst gar nicht merken, dass ich dabei bin.“

„Samira, ich habe Nein gesagt“, erwiderte der Vater mit Nachdruck. „Und das ist mein letztes Wort zu dieser Sache. Finde dich damit ab!“

Samira biss sich auf die Lippe. Wut stiegt in ihr hoch, ließ ihr Herz schneller klopfen und vertrieb jede Müdigkeit. Während neben ihr Tariks gleichmäßige Atemzüge zu hören waren, lag sie hellwach auf ihrem Lager und starrte in die Dunkelheit. Von weit her ertönte das Gebrüll einer Raubkatze, vielleicht eines Leoparden.

Ich fürchte mich nicht, dachte Samira. Weder vor Löwen noch vor Leoparden. Ich bin so tapfer wie ein Mann! Warum begreift das mein Vater nicht? Ach, wenn ich als Junge geboren worden wäre, hätte ich es leichter!

Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie ballte im Schlafsack die Hände zu Fäusten. Dass sie so hilflos war, machte sie zornig.

„Eines Tages“, murmelte sie, „werde ich meinem Vater beweisen, was ich kann! Dann wird er Augen machen!“

Der geheimnisvolle Seiltänzer

Samira wurde erst wach, als ihr Vater sie weckte. Gegen Morgen war sie tief und fest eingeschlafen, und es fiel ihr schwer, sich aus der Traumwelt zu lösen.

„Ich bin dann mal weg“, sagte Tarik, der bereits fix und fertig für die Reise angezogen war und sein Gepäck geschultert hatte. „Es kann spät werden, aber mach dir keine Sorgen. Der Wirt weiß schließlich Bescheid. Du kannst nachher hinuntergehen und frühstücken.“

Er beugte sich zu ihr herab und küsste sie auf die Stirn. Samira nahm in ihrer Schlaftrunkenheit wahr, dass er mit dem Zeigefinger ein Zeichen auf ihren Scheitel malte, wahrscheinlich einen Schutzzauber. Dann verließ er den Raum. Erst als die Tür hinter ihm geschlossen war, fiel Samira ein, dass sie ihm viel Glück für die Reise hätte wünschen sollen. Einen Augenblick lang dachte sie daran, ihm nachzueilen. Aber eigentlich war sie immer noch beleidigt, weil er sie in der Herberge zurückließ. Deswegen kuschelte sie sich tiefer in den Schlafsack und versuchte, den Traum wiederzufinden, den sie so abrupt verlassen hatte. Sie war mit ihrer Stute Aida mitten in der Wüste gewesen und hatte das Bild einer Stadt in der Luft gesehen – die Stadt aus ihren Zimt­träumen. Sie hatte nicht gewusst, ob die blauen Türme wirklich in der Nähe waren oder ob es sich nur um eine Luftspiegelung, eine Fata Morgana, handelte. Gerade war ein Reisender aufgetaucht, den sie hatte fragen wollen, aber da hatte ihr Vater sie leider geweckt.

Als sie das nächste Mal erwachte, war es schon Mittagszeit. Durch die Öffnungen des Fensterladens stach die Sonne. Samira setzte sich auf, öffnete ihren Schlafsack und versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Sie konnte sich nicht erinnern, ob sie weitergeräumt hatte. Das war ungewöhnlich. Meistens hatte sie ihre Träume beim Aufwachen noch deutlich vor Augen, und manche begleiteten sie sogar durch den Tag und vermittelten ihr das Gefühl, dass alles möglich war und sie ihr Schicksal nach ihren Wünschen lenken konnte. Doch an diesem Tag hatte sie nur einen Brummschädel, der sich anfühlte, als sei er bis oben hin mit Sand gefüllt. Ihr kam der Verdacht, dass ihr Vater einen Schlafzauber über sie gelegt hatte, damit sie nicht ihre Stute schnappen und ihm folgen konnte.

Samira wusch sich mit dem wenigen Wasser, das sich noch in der Schüssel befand, die für ihren Vater und sie bereitgestanden hatte. Nachdem sie sich angezogen hatte, begab sie sich hinunter in die Wirtsstube, denn ihr Magen knurrte inzwischen gewaltig. Zu ihrer Verwunderung war kein einziger Gast in dem Raum. Eine magere Küchenmagd, die die gespülten Krüge mit einem Tuch trocknete, erklärte Samira, dass die Küche sowie die Wirts­stube geschlossen seien und erst wieder am späten Nachmittag geöffnet würden.

„Aber ich habe Hunger“, sagte Samira trotzig. „Mein Vater ist heute den ganzen Tag auf Reisen, und er hat gesagt, dass der Wirt Bescheid weiß. Als Übernachtungsgast habe ich ein Recht auf ein Frühstück.“

Die Küchenmagd zuckte mit den Schultern. „Dann hättest du eben früher aufstehen müssen.“ Ihre Züge wurden milder. „Sicher kannst du in einer der Garküchen auf dem Basar etwas zu essen bekommen.“

Samira nickte verdrossen. Ihr Vater hatte ihr ein paar Kupfer­münzen dagelassen, das war kein Problem. Doch es ärgerte sie, dass sie wegen seines Schlafzaubers das Frühstück verpasst hatte. Und eigentlich sollte sie ja auch in der Herberge bleiben.

„Mein Vater hat mit dem Wirt geredet, ich könnte vielleicht in der Küche mithelfen.“ Dazu hatte sie zwar keine Lust, aber vielleicht konnte sie so ein Stück Gebäck oder eine andere Süßigkeit ergattern.

Die Küchenmagd legte das Tuch beiseite und stemmte die Hände in die Hüften. „Was willst du denn in der Küche? Du stehst da nur im Weg herum. Eine wie du, die den halben Tag verschläft, macht sich bestimmt nicht freiwillig die Hände schmutzig!“

Samira starrte die Magd fassungslos an. Dann drehte sie sich ohne ein Wort um und stürmte zur Hintertür hinaus. Sie kochte innerlich vor Wut. So eine Unverschämtheit!

Ihre Füße trugen sie automatisch zu den Stallungen. Sie brauchte jetzt jemanden, mit dem sie reden konnte – auch wenn es nur ihre Stute war. Der warme Pferdeleib würde sie trösten und ihr Geborgenheit schenken.

Im Stall schlug ihr stickige Luft entgegen, es roch nach den Ausdünstungen der Tiere. Samira blinzelte und unterdrückte einen Hustenreiz. Aida begrüßte sie sofort mit einem freundlichen Wiehern. Als Samira unter der Absperrung hindurchschlüpfte, bemerkte sie, dass im Nebenabteil immer noch Rayan stand, der Hengst ihres Vaters. Samira stutzte. Sie hatte fest angenommen, dass Tarik auf seinem Pferd zu dem geheimnisvollen Treffen ritt. Er hatte es zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber Samira wusste, dass er auf Reisen so gut wie nie ein anderes Pferd benutzte.

Der Hengst stampfte unruhig mit den Hufen. Samira sah mit einem Blick, dass er weder Wasser noch Futter hatte. Neuer Unmut stieg in ihr hoch. Warum hatte der Pferdejunge Ra­yan nicht versorgt, wie es seine Pflicht gewesen wäre? Samira zögerte nicht lange. Sie holte Heu aus dem Lager, schleppte mehrere Eimer Wasser herbei und schüttete sogar etwas von dem teuren Hafer in Rayans Futterkrippe. Der Hengst sah sie dankbar an und prustete, bevor er sein Maul in die Köstlichkeit senkte.

Samira ging zu ihrer Stute, schmiegte sich an ihren Hals und flüsterte ihr Koseworte ins Ohr. Sowohl Aida als auch das Maultier hatten Futter und Wasser; nur der Hengst war vernachlässigt worden. Lag es daran, dass sich der Pferdejunge vor Rayan fürchtete und sich nicht in seine Nähe getraut hatte? Dann aber wäre er ein schlechter Stallbursche! Als erfahrener Pfleger musste man wissen, wie man sich außerhalb der Reichweite der Hufe bringen konnte, ohne dass das Tier Hunger oder Durst leiden musste.

Aida hörte ihr geduldig zu, als Samira ihr ihr Leid klagte. Sie nickte ein paar Mal mit dem Kopf, als würde sie alles genau verstehen.

„Du bist eine Liebe“, murmelte Samira. „Vielleicht kannst du mir auch verraten, was ich machen soll. Ich langweile mich schon jetzt zu Tode. Außerdem bin ich fast am Verhungern!“

Samira hörte ein leises Lachen und dann das Rascheln von Stroh. Sie wandte sich um und entdeckte hinter einem hölzernen Pfosten den Kopf des Stallburschen.

„Hast du mich etwa belauscht?“, fauchte sie wütend.

„Du hast laut genug geredet“, antwortete der Junge und kam hinter dem Pfosten hervor. „Ich hätte mir schon Wachs in die Ohren stopfen müssen, um nichts zu hören.“

Samira spürte, wie sie knallrot anlief. Ihre Worte waren nicht für Fremde bestimmt gewesen, sondern nur für Aida.

„Warum hast du den Hengst meines Vaters nicht versorgt?“, schimpfte sie. „Mein Vater wird sehr wütend werden, wenn er erfährt, dass du deine Arbeit nicht getan hast.“

Jetzt war es an dem Jungen, verlegen zu werden. Seine Ohren, die links und rechts unter seiner Kopfbedeckung hervorschauten, begannen regelrecht zu glühen.

„Ich hatte die Anweisung, den Hengst am frühen Morgen zu füttern. Es hieß, sein Besitzer werde heute mit ihm ausreiten und ihn erst am Abend zurückbringen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß auch nicht, warum das Pferd noch da ist.“

Das ungute Gefühl in Samiras Bauch verstärkte sich. „Hast du gesehen, wie mein Vater weggegangen ist?“

Der Junge schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, ich habe nichts mitbekommen. Es waren etliche Reisende im Stall, und ich habe nicht darauf geachtet, ob dein Vater dabei war. Später habe ich mich dann gewundert, dass das Pferd immer noch angebunden ist.“

„Und du bist nicht auf die Idee gekommen, ihm Futter und Wasser zu geben?“

„Die Pferde werden nur morgens und abends gefüttert. Was kann ich dafür, wenn das Vieh so verfressen ist, dass es alles gleich auf einmal verschlingt?“

„Bestimmt hast du Rayan zu wenig gegeben“, fauchte Samira. „Siehst du nicht, wie groß und kräftig er ist? Solche Pferde brauchen mehr Futter als andere. Wahrscheinlich willst du dich beim Wirt einschleimen und bist besonders sparsam mit dem Heu!“

Sie stellte fest, dass der Junge bereits verschwunden war und ihre letzten Worte gar nicht mehr gehört hatte. Ihre Wut verpuffte schlagartig. Stattdessen machte sich nagender Hunger bemerkbar. Sie überlegte. Ihr Vater hätte bestimmt nichts dagegen, dass sie die Herberge verließ, um sich etwas zu essen zu kaufen. Er hatte ja nicht wissen können, dass sie kein Frühstück mehr bekam.

Samira vergewisserte sich, dass in der Tasche ihres Gewands noch ein paar Münzen klimperten. Sie tätschelte ein letztes Mal ihre Stute, rief Rayan einen Abschiedsgruß zu, klopfte dem Maultier die Schulter, dann verließ sie den Stall.

Sobald sie aus dem Schatten des Hofs auf die Straße trat, traf sie die Mittagshitze wie ein Schlag.

Trotz der hohen Temperatur waren viele Leute unterwegs. Manche zogen ihre schwer beladenen Tiere hinter sich her. Wasserträger balancierten Eimer an einer Stange, die sie sich über die Schultern gelegt hatten. Ein Schlangenbeschwörer kauerte an einer Mauer, eine Flöte an den Lippen, während sich aus dem Korb vor ihm eine Kobra erhob und ihren langen Hals ruckartig hin und her bewegte.

Samira war fast eingeschüchtert von dem Menschengewimmel, und zuerst fühlte sie sich sehr unsicher ohne ihren Vater. Am liebsten wäre sie umgekehrt, aber ihr knurrender Magen erinnerte sie daran, dass sie in der Herberge nichts zu essen bekommen würde. Also schlug sie den Weg zum Marktplatz ein.

Das Gedränge schien noch dichter zu werden. Von allen Seiten prasselten Geräusche auf Samira ein: das rhythmische Schlagen eines Tamburins, das Rasseln von Schellen und immer wieder quäkende Töne eines Blasinstruments. Samira entdeckte einen Musiker, der auf zwei Saiten herumzupfte, die über einen Schildkrötenpanzer gespannt waren. Mehrfach wurde sie grob angerempelt, oder sie musste rasch zur Seite springen, um nicht mit jemandem zusammenzustoßen. Endlich stieg ihr der Geruch von würzigem Öl in die Nase, und sie folgte dem Duft, in der Hoffnung auf eine leckere Mahlzeit.

Doch wieder versperrte man ihr den Weg. Diesmal war es eine Truppe von Gauklern, die sich durch die Menschenmenge drängte. Ein Riese mit ungeheuer langen Beinen ging eine Weile neben Samira her und rief ihr von oben herab Scherzworte zu.

Sie wusste natürlich, dass es kein echter Riese war, sondern dass sich unter seinen weiten Hosen Stelzen aus Holz verbargen. Doch er bewegte sich so geschickt und ohne zu straucheln, dass sie ihn nur bewundern konnte. Ein Mann mit nacktem Oberkörper und Pluderhosen jonglierte mit fünf bunten Bällen, die in der Luft ein Rad aus flimmernden Farben zu bilden schienen.

Plötzlich wurde Samira auf eine weiß gekleidete Gestalt aufmerksam, die sich hoch über ihr auf einem Dach befand. Ein Seil spannte sich zwischen den Häusern, und der Artist in Weiß schickte sich gerade an, es zu betreten. Das Seil schien viel zu schmal zu sein, als dass ein Mensch darauf hätte gehen können.

Ein Raunen lief durch die Menge, als der Künstler erst seinen ersten und dann seinen zweiten Fuß auf das Seil setzte. Samira hielt unwillkürlich den Atem an. Der Mann in Weiß lächelte zu ihr herunter, er schien sie direkt anzusehen. Dann machte er einen weiteren Schritt. Einmal schien er zu schwanken und ruderte heftig mit den Armen, um sein Gleichgewicht wiederzufinden. Die Leute rings um Samira stöhnten erschrocken auf, und auch ihr entfuhr ein Laut des Entsetzens. Doch der schreckliche Augenblick verging, ohne dass der Seiltänzer abstürzte. Im Gegenteil. Jetzt wurden seine Schritte wagemutiger, er begann sogar zu hüpfen, so als befände er sich auf dem festen Boden und nicht auf einer kaum fingerdicken Schnur hoch über den Köpfen der Leute. Samira war voller Bewunderung. Wie schaffte er es nur, sich so sicher zu bewegen? Ging das überhaupt noch mit rechten Dingen zu? Oder benutzte er einen Zauber, der verhinderte, dass er herabstürzte und sich das Genick brach?

Ohne Zwischenfall erreichte der Artist das Ende das Seils, betrat das Dach, verneigte sich und warf den Zuschauern eine Kusshand zu. Wieder hatte Samira den Eindruck, dass er sie dabei ansah und niemanden sonst. Ihr Herz schlug schneller. Aber noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, war der Mann auch schon verschwunden, während die Zuschauer noch immer Beifall klatschten. Kurz darauf begann die Menge, sich zu zerstreuen. Auch Samira erinnerte sich wieder daran, dass sie sich eigentlich etwas zu essen kaufen wollte.

Als sie sich umdrehte, wurde sie von einem Jungen angerempelt. Alles ging blitzschnell. Er hatte ihr in die Tasche gegriffen und schon eine Kupfermünze herausgeholt. Doch Samira reagierte genauso rasch und hielt das Handgelenk des Diebes fest. Der Junge wand sich unter ihrem festen Griff. Er war höchstens zehn Jahre alt, schätzte Samira.

„Lass mich los!“, zischte der Junge.

„Erst wenn du mir meine Münze wiedergibst“, erwiderte Samira.

„Sie gehört mir!“

„Nein, es ist meine! Du hast sie mir gerade gestohlen!“

Inzwischen wurden ein paar Leute auf die beiden aufmerksam.

„Willst du, dass ich die Wachen rufe?“, drohte Samira.

Der Junge blickte sie wütend an und spuckte dann auf den Boden. Im gleichen Augenblick ließ er die Münze fallen. Samira ließ ihn los, und der Junge tauchte in der Menge unter, so schnell, wie er gekommen war. Als sie sich nach der Münze gebückt hatte und wieder aufsah, stand auf einmal der Fremde vor ihr, mit dem ihr Vater sich am Abend zuvor gestritten hatte.

„Brauchst du Hilfe, Mädchen?“

Samiras Kehle wurde eng. Genau wie gestern Abend fühlte sie in seiner Gegenwart ein großes Unbehagen.

„Danke, ich komme schon klar!“, erwiderte sie und ärgerte sich, weil ihr ein Kloß in der Kehle steckte und ihre Stimme so dünn klang.