1,99 €
Auf einer Anhöhe inmitten der rauen Landschaft Yorkshires liegt das Anwesen »Wuthering Heights«, dem Wind schutzlos ausgesetzt, der hier strenger weht als anderswo. Sein Besitzer, der herzensgute Mr. Earnshaw, nimmt den Findling Heathcliff bei sich auf, in den sich Earnshaws Tochter Catherine bald schon heftig verliebt. Doch ihre Liebe endet in einer Tragödie ...
nexx classics – WELTLITERATUR NEU INSPIRIERT
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 551
Emily Brontë / Ellis Bell
Wuthering Heights
(Sturmhöhe)
Impressum
Cover: Gemälde "Lady Abercromby" von Henry Raeburn
Covergestaltung: nexx verlag gmbh, 2015
ISBN/EAN: 9783958703902
Rechtschreibung und Schreibweise des Originaltextes wurden behutsam angepasst.
www.nexx-verlag.de
Ellis Bells künstlerische Persönlichkeit ist eng mit ihrer Heimaterde – mit dem Rahmen, den das Leben ihrer Jugend gab – verknüpft und mit den Ereignissen, die diese Jugend füllten – und ihr Leben war kaum mehr als eine Jugend. Ich will daher von ihrer Jugend sprechen, damit man ihr Dichten verstehen lerne.
Ellis Bell – oder sagen wir besser Emily Bronte, denn dies war des Mädchens wahrer Name, wurde 1817 oder 1818 als Tochter eines Geistlichen, des Reverend Patrick Bronte, in Thornton bei Bradford (Nord-England) geboren. Als sie etwa im dritten Lebensjahre stand, siedelte ihr Vater nach Haworth über, und kurze Zeit danach starb ihre Mutter. Die sechs Kinder – fünf Mädchen und ein Knabe – waren nun ganz sich selbst überlassen – in dem einsamen Pfarrhaus zur Seite des Kirchhofs, hinter dem sich kahl, in endlosen Hügelwellen, die stumme Heide breitete. Der kränkliche Pfarrer war reizbar und grüblerisch und exzentrisch in Denken und Tun. Auch die Dienerschaft war alt: bizarre, grobe, mürrische Menschen; sie schienen wie eine Personifikation der sie umgebenden Natur: seltsam, kraftvoll und schweigend. Die Kinder hatten nur einander, keins hatte einen gleichaltrigen Gefährten, und die kleinen Seelen, die nach Freude, nach Ereignis suchten, schufen sich eine ideale Welt. Ihre unerzogene Phantasie, aus dem Blute des Vaters geboren, vom Wesen der Heimaterde genährt, erbaute diese Welt in bunter Schaurigkeit und bevölkerte sie mit grimmen Gestalten, gierigen Unholden.
Das begabteste der Kinder Charlotte (nachmalige Verfasserin des bekannten Romans »Jane Eyre, die Waise von Lowood«), war Führerin bei diesem Spiel. Mit dreizehn Jahren verstand sie es meisterhaft, wunderliche Geschichten zu ersinnen; die anderen lauschten und taten es ihr nach. Sie glaubten an diese ihre sonderbare Welt, sie wurde ihnen wirklich – und blieb ihnen wirklich. Die zwei Meisterromane »Jane Eyre« (Currer Bell) und »Wuthering Heights« (Ellis Bell) tragen beide an dieser Last des Ungewöhnlichen und Grausigen.
Dies Gedankenspinnen, Bildermalen, in das die Kinder ihre ganze Energie legten, das ihnen lieber und naturgemäßer war als Tanz und lauter Jubel, gab ihnen allen etwas gemeinsames. Ihre Seelen glichen einander, wie später ihre Schicksale einander glichen. War es, weil sie alle den Keim desselben Leidens in sich trugen – eines Leidens, dem so viele auserlesene Menschen zum Opfer fallen, dass man fragen möchte: ist nicht dies körperliche Siechtum vielleicht für eine gewisse Erhabenheit des Geistes, für ein besonders subtiles Fühlen, ekstatisches Glühen, die Vorbedingung?
Das Leben griff ein in die enge Gemeinsamkeit der Geschwister – und bald darauf der Tod. Die beiden ältesten Mädchen, Elisabeth und Mary, wurden aus dem Hause getan, in eine Pension. Die Schwindsucht raffte beide im folgenden Jahr dahin. Charlotte und Emily, die den älteren Schwestern ins Institut gefolgt waren, wurden nun wieder nach Haus gerufen. Und von neuem lebten die Mädchen ihren Träumen, zu denen sich mit den Jahren ein starker Wissensdrang gesellte. Wie unheimlich und fremd diesen Heidekindern übrigens das Institutsleben, der Zwang, erschienen ist, beweist »Die Waise von Lowood«, in der Charlotte ihre Eindrücke aus jener Zeit wiedergibt. 1842 zogen Charlotte und Emily nach Brüssel, um die französische Sprache zu erlernen. Nach zwei Jahren kehrten sie wieder heim. Sie fanden hier neues Elend. Der Bruder, Patrik, hatte sich dem Trunk ergeben. Und vier Jahre lang mussten die Mädchen täglich mit ansehen, wie ein reiches Leben gegen sich selber wütete, wie der begabte Bruder in Schmutz und Schwäche unterging.
In diesen Jahren des Schmerzes schlossen die drei Schwestern – Anne, die jüngste, war im Hause geblieben – sich eng aneinander. Jede entdeckte nun das schöne Talent der anderen, sie lasen einander vor, was sie im Stillen geschrieben hatten und beschlossen, gemeinsam einen Band Verse zu veröffentlichen, ihre Autorschaft jedoch zunächst unter den Pseudonymen Currer, Ellis und Acton Bell zu verbergen. Sie führten diese Absicht aus. Das Buch wurde aber wenig beachtet. Dieser Mißerfolg gab den Schwestern nur neuen Ehrgeiz. Jede von ihnen machte sich an eine Prosaarbeit: Emily (jetzt also Ellis Bell) schrieb »Wuthering Heights«, Acton den Roman »Agnes Grey« und Currer verfaßte eine Novelle »The Professor«, für die sie aber zunächst keinen Verleger fand. Sie ließ sich nicht entmutigen und schrieb nun eine längere Erzählung: »Jane Eyre, die Waise von Lowood«, die sofort akzeptiert und gedruckt wurde und ihren Siegeszug durch die Welt antrat, ehe noch die Romane der beiden Schwestern veröffentlicht waren. Als diese dann nachfolgten, konnten sie neben der »Jane Eyre« nicht mehr bestehen; man hielt beide Arbeiten für Jugendwerke Currer Bells, und meinte, der Autor scheue sich, sie mit seinem wahren Namen zu zeichnen. Diesen Irrtum berichtete Currer in einer »biographical notice«, die sie einem im Herbst 1850 erschienenen Neudruck der »Wuthering Heights« voransetzte. Ellis sollte diese Neu-Herausgabe ihres einzigen Romans nicht mehr erleben: sie starb am 19. Dezember 1848 an dem Familienübel der Brontës, der Schwindsucht. Die jüngere Schwester, Anne, folgte ihr im Frühjahr 1849. So blieb es die Aufgabe Charlottes, der einzigen Überlebenden, den Irrtum zu klären und den Schwestern zu ihrem Recht zu verhelfen. Sie tat das mit liebevollem Herzen und schrieb auch ein Vorwort zu den »Wuthering Heights«, in dem sie diesen Roman wohl hoch einschätzt, aber nicht in vollem Umfange zu würdigen weiß. Wer wusste das damals überhaupt? Das prächtige Werk, diese grandiose Mischung von Romantik und Naturalismus, kam damals viel zu früh. Man war nicht reif für die Wahrheiten dieses Buches – und nannte sie daher Unwahrheiten, das Buch selbst »eine literarische Kuriosität«. Man anerkannte die naturechte Schilderung der wilden Landschaften Nord-Englands, aber die Menschen, die Ellis Bell in diese Landschaft setzte, nannte man »phantastische Riesengeschöpfe, düster und teuflisch in ihrer übertriebenen Bosheit«.
So schrieb man noch in den siebziger Jahren. Doch welch eine Wandlung im Geiste von damals zu heute! Wir von heute wissen, es ist ein Buch voll lebendiger Wahrheiten! Die »dämonische« Gestalt eines Heathcliff ist keineswegs unnatürlich. Es gibt und gab wohl stets Menschen von solch suggestiver Gewalt wie dieser Heathcliff, von so geheimnisvollem Lebenswandel und so immenser Willenskraft. Und es gibt Menschen, die zehnmal weiter gehen in ihrer Lust am Bösen, als dieser Mann, dessen leiderschütterte Seele ihn zwang, mit Energie und Bosheit ein ganzes Geschlecht zu vernichten. Und die anderen Gestalten dieses Romans sind so echt, teilweise so »typisch«, dass über sie nichts gesagt zu werden braucht. Sie alle sind Menschen, wie sie in der düsteren Natur Nord-Englands notwendig erwachsen mussten. Es sind Menschen ihrer Heimaterde, die Ellis Bell da schildert, und jener Heathcliff, der die anderen so düster überragt, – er ist die gestaltgewordene Tücke des unheimlichen Heidemoors, das riesenhaft und stumm und finster seiner Opfer lauert.
Zum Schluss ihres Vorworts findet Charlotte schöne, charakteristische Worte für das so feine Werk der Schwester, das von uns Heuteigen weit über »Die Waise von Lowood« gestellt werden muss. Und diese schönen Worte mögen auch hier den Schluss bilden:
»Wuthering Heights« erwuchs in wilder, unwirtlicher Werkstatt – auf Heimatboden. Der Bildner fand auf einsamem Moorland einen mächtigen Granitfelsen. Er betrachtete ihn und sah, dass man aus diesem Felsen ein wildes, dunkles, finsteres Haupt herausentwickeln könne, eine Gestalt, die jedenfalls ein Großes haben werde – Macht! Er schuf mit grobem Meißel und nach keinem anderen Modell als seinen Traumvisionen. Mit Zeit und Fleiß bekam der Felsen Menschenähnlichkeit; und da steht er nun: ragend, dunkel und drohend – halb Fels, halb Menschenbild: dies dämonisch-schrecklich, jener reizvoll schön, denn seine Farbe ist von sanftem Grau, und weiches Heidemoos bekleidet ihn, und Heidekraut mit rosigen Glöckchen und balsamischen Düften blüht vertrauensvoll zu Füßen dieses Riesen.
Gisela Etzel
1801. – Ich bin soeben von einem Besuch bei meinem Hauswirt zurückgekehrt – dem einsamen und einzigen Nachbarn, mit dem ich zu tun haben werde. Wirklich, dies ist ein prächtiges Land! In ganz England, glaube ich, hätte ich keine andere Gegend gefunden, die so völlig dem Getriebe der Geselligkeit entrückt ist. Für den Misanthropen ein wahres Eden! Und Mr. Heathcliff und ich sind so recht ein passendes Paar, diese Einsamkeit miteinander zu teilen. Ein kapitaler Kerl! Wie argwöhnisch er die schwarzen Augen zusammenkniff, als ich bei ihm vorgeritten kam, und wie misstrauisch er die Hände tiefer in die Jackentaschen bohrte, als ich meinen Namen nannte! Das gewann ihm gleich mein Herz, wovon er freilich nichts ahnen mochte.
»Mr. Heathcliff?« fragte ich.
Er nickte.
»Mr. Lockwood, Ihr neuer Mieter«, stellte ich mich vor. »Ich gebe mir die Ehre, mein Herr, Sie sobald als möglich nach meiner Ankunft aufzusuchen, um die Hoffnung auszusprechen, dass ich Sie in meinem beharrlichen Bemühen, Drosselkreuzhof als Wohnsitz zu erlangen, nicht etwa belästigt habe; ich hörte gestern, Sie hätten daran gedacht –«
»Drosselkreuzhof ist mein eigen«, unterbrach er mich ausweichend. »Würde niemandem erlauben, mich zu belästigen, soweit ich es verhindern könnte –. Treten Sie ein!«
Das »treten Sie ein« war mit zusammengepressten Zähnen gemurmelt worden und drückte den Gedanken aus: »Geh zum Teufel!« Selbst das Tor, an dem er lehnte, ließ seinen Worten keine einladende Bewegung folgen. Und dieser Umstand, glaube ich, veranlasste mich, der Aufforderung Folge zu leisten. Ich fühlte Interesse für einen Mann, der noch unzugänglicher zu sein schien, als ich selbst es war.
Als er sah, dass die Brust meines Pferdes sich gegen das Tor presste, zog er eine Hand hervor und öffnete. Dann ging er mürrisch die Allee hinauf mir voran. Als wir den Hof betraten, rief er: »Josef, nimm Mr. Lockwoods Pferd und bring Wein herauf«.
Aha, da haben wir das gesamte Dienstpersonal, wie mir scheint, schloss ich aus diesem bündigen Auftrag. Kein Wunder, dass zwischen den Pflastersteinen Gras wächst, und dass nur das liebe Vieh für das Beschneiden der Hecken sorgt.
Josef war ein ältlicher, nein, ein alter Mann; sehr alt vielleicht, obschon stark und sehnig. »Gott helf uns!« murmelte er leise und sichtlich missvergnügt, als er mir vom Pferde half. Dabei sah er mich mit so saurer Miene an, dass ich mitleidig vermutete, er bedürfe, um sein Mittagessen zu verdauen, tatsächlich göttlicher Hilfe und sein frommer Ausruf habe zu meiner unerwarteten Ankunft keine Beziehung.
Sturmheidhof heißt Mr. Heathcliffs Wohnort; der Name soll den atmosphärischen Tumult bezeichnen, dem dieser Ort bei stürmischem Wetter ausgesetzt ist. Reinen, stärkenden Luftzug müssen sie dort in der Tat haben. Man kann sich die Gewalt des um die Ecken des Gutshofs blasenden Nordwinds vorstellen, wenn man die schiefe, geduckte Haltung der paar verkümmerten Föhren, die hinter dem Hause stehen, betrachtet und die Reihe dürrer Dornbüsche, die alle ihre Glieder nach einer Richtung drehen, als erbettelten sie Almosen von der Sonne. Glücklicherweise hatte der Baumeister Voraussicht genug gehabt, ein festes Haus aufzurichten. Die schmalen Fenster sind tief in die Mauer eingelassen und die Hausecken sind mit gewaltigen Ecksteinen verteidigt. –
Ich blieb ein Weilchen auf der Schwelle stehen, um die reiche Ornamentik der Front, die besonders verschwenderisch das Haupttor umrahmte, zu betrachten. Über dem Portal entdeckte ich unter einer Menge zerbröckelnder Greife und schamloser kleiner Buben die Jahreszahl 1500 und den Namen Hareton Earnshaw. Ich hätte gern einige Fragen gestellt und den Eigentümer um eine kurze Geschichte des Ortes gebeten, aber seine Haltung an der Tür schien mein schleuniges Eintreten oder gänzliches Verschwinden zu erwarten, und ich hatte keine Lust, seine Laune zu verschlimmern – wenigstens nicht ehe ich das Hausinnere besichtigt hatte.
Ein Schritt brachte uns – nicht etwa in den Flur, sondern geradewegs in das Wohnzimmer, das hier meistens »Diele« genannt wird. Es dient für gewöhnlich sowohl als Küche wie als Wohnraum. Aber im Sturmheidhof hatte die Küche sich wohl in einen anderen Teil des Hauses zurückziehen müssen, denn ich vernahm tief aus dem Inneren Stimmengeplapper und das Klirren von Küchengerät; auch bemerkte ich hier am großen Herd keine Spuren des Kochens, Bratens oder Backens, und an den Wänden hingen keine kupfernen Pfannen und blechernen Siebe. Eine Wand allerdings erstrahlte in prächtigen Lichtreflexen; hier türmte sich auf einem riesigen eichenen Büfett Reihe über Reihe ungeheurer zinnerner Schüsseln, zwischen denen silberne Kannen und Becher standen, bis zur Decke empor. Diese war nie getüncht gewesen: ihre ganze Balkenstruktur lag nackt vor den forschenden Blicken ausgebreitet, ausgenommen dort, wo ein mit Haferbroten und Schweineschinken hoch beladenes Hängebrett sie verbarg. Über dem Kamin hingen mehrere ordinäre alte Flinten und einige Reiterpistolen; auf dem Kaminsims standen als einziger Schmuck drei buntbemalte Blechbüchsen. Den Fußboden bildeten glatte weiße Steinfliesen. Die einfachen, hochlehnigen Stühle waren grün gestrichen. Ein oder zwei schwarze Lehnsessel verbargen sich im Schatten. In einem Bogen unter dem Büfett lag eine riesige rehfarbene Pointer-Hündin, umringt von einer Schar quiekender Jungen. Und andere Hunde dehnten sich auf anderen Lagerplätzen.
Der Raum und seine Einrichtung hatte durchaus nichts Auffallendes, nur hätte er einem schlichten Bauern von steifer Haltung und stählernen Gliedmaßen, der in Kniehosen und Stulpenstiefeln seiner Arbeit nachgeht, gehören sollen. Solch einen Bauern, behäbig im Armstuhl sitzend, den schäumenden Bierkrug vor sich auf dem runden Tisch, kann man zwischen den Heidhügeln im Umkreis von fünf, sechs Meilen überall finden, wenn man nur rechtzeitig nach Tisch aufbricht. Mr. Heathcliff aber steht in zu seltsamem Kontrast zu seiner Behausung und Lebensweise. Er ist dem Äußeren nach ein schwarzer Zigeuner, nach Kleidung und Manieren ein Edelmann; das heißt, ein Edelmann wie die anderen Gutsbesitzer auch: ziemlich ungepflegt vielleicht, auch ziemlich mürrisch, und doch infolge seiner aufrechten und wohlgebildeten Figur nicht übel wirkend. Möglich, dass manche Leute ihn etwas dummstolz finden, mir sagt eine innere Stimme, dass er das nicht ist. Ich fühle vielmehr instinktiv: seine Zurückhaltung entspringt einem Widerwillen gegen auffällige Gefühlsäußerungen – gegen gegenseitige Freundlichkeitsbezeigungen. Gewiss wird auch er lieben und hassen, aber im geheimen; würde man ihn jedoch wiederlieben oder -hassen, so würde er das wahrscheinlich als Impertinenz betrachten.
Nein, ich gehe doch zu weit. Ich bedenke ihn zu freigebig mit meinen eigenen Attributen. Wenn Mr. Heathcliff sich einer oberflächlichen Bekanntschaft gegenüber reserviert verhält, so mag er ganz andere Gründe dafür haben, als ich im gleichen Falle haben würde. Mein Charakter ist, wie ich hoffe, ziemlich einzigartig. Meine liebe Mutter pflegte zu sagen, ich würde nie ein behagliches Heim haben; und erst letzten Sommer bewies ich mich eines solchen vollkommen unwürdig.
Während ich am Meeresstrande einen sonnigen Monat genoss, brachte mich der Zufall in die Gesellschaft eines berückenden Geschöpfes: in meinen Augen eine Göttin – solange sie mich beachtete. Ich sprach meine Liebe niemals aus; dennoch – wenn Blicke reden können, so würden die meinigen selbst einem Idioten verraten haben, dass ich bis über die Ohren verliebt sei. Sie verstand mich schließlich und blickte Antwort: den denkbar süßesten aller Blicke. Und was tat ich? Ich bekenne es schamvoll: ich zog mich frostig in mich selbst zurück, wie eine Schnecke, – mehr und mehr nach jedem Augenaufschlag; bis endlich die arme Unschuld ihren eigenen Sinnen nicht mehr traute und, über ihren vermeintlichen Irrtum ganz niedergeschmettert und verwirrt, ihre Mutter überredete, das Feld zu räumen. Dies mein seltsames Benehmen brachte mich in den Ruf überlegter Herzlosigkeit; wie unverdient, weiß allein ich zu beurteilen. –
Ich setzte mich in der Nähe des Herdes auf einen Stuhl, demjenigen gerade gegenüber, dem sich mein Hauswirt zuwandte, und wollte eine Gesprächspause durch den Versuch, die Hundemutter zu streicheln, ausfüllen; sie hatte ihre Kinderstube verlassen und schlich mit gekräuselter Oberlippe und fletschenden Zähnen hinten um meine Beine herum. Meine Liebkosung veranlasste sie zu einem langen Knurren.
»Sie täten besser, den Hund in Ruh zu lassen«, grollte Mr. Heathcliff gleichzeitig, indem er dem Tier einen Fußtritt versetzte. »Sie ist nicht gewöhnt, verhätschelt zu werden. Ist kein Schoßhündchen.« Dann wandte er sich einer Seitentür zu und rief wieder: »Josef!«
Josef antwortete aus den Tiefen des Kellers mit unverständlichem Gemurmel, kam aber nicht herauf. So tauchte sein Herr zu ihm hinunter und ließ mich mit der rauflustigen Hündin und einem Paar grimmiger zottiger Schäferhunde allein, die gemeinsam alle meine Bewegungen misstrauisch überwachten. Ich hatte nicht Lust, die Bekanntschaft ihrer Raubtiergebisse zu machen, und saß daher still. Da ich aber annahm, dass sie mimische Beleidigungen nicht bemerken würden, begann ich unglücklicherweise dem Trio Fratzen zu schneiden, und irgendein Ausdruck meines Gesichtes irritierte Madame derart, dass sie plötzlich in Wut ausbrach und auf meine Knie sprang. Ich schleuderte sie ab und beeilte mich, den Tisch zwischen uns zu rücken. Dies Vorgehen brachte die ganze Bande auf die Beine: ein halb Dutzend vierfüßiger Feinde, jeder Größe und jeden Alters, sprang aus verborgenen Winkeln in die Mitte des Raumes. Meine Absätze und Rockschöße bildeten ihre Angriffspunkte. Die größeren Streiter wehrte ich, so gut ich konnte, mit dem Schüreisen ab, doch war ich gezwungen, laut um den Beistand eines der Hausbewohner zu rufen, damit der Friede wieder hergestellt werde.
Mr. Heathcliff und sein Diener erstiegen die Kellertreppe mit empörender Langsamkeit. Ich glaube nicht, dass sie es um eine Sekunde eiliger hatten als sonst, obwohl im Wohnzimmer ein wahrer Sturm tobte. Glücklicherweise war ein Wesen aus der Küchenregion schneller: eine resolute Person mit hochgeschürztem Kleid, nackten Armen und feuergeröteten Backen stürzte, eine Bratpfanne schwingend, in unsere Mitte und machte von dieser Waffe und ihrer Zunge so ausgiebigen Gebrauch, dass der Aufruhr wie mit einem Zauberschlag sich legte, und nur sie zurückblieb, hochatmend wie das Meer im Sturm. Da betrat ihr Herr die Szene.
»Was zum Teufel ist denn hier los?« fragte er, mich in einer Weise fixierend, die ich nach dieser ungastlichen Behandlung nur schlecht vertragen konnte.
»Ja zum Teufel, was wohl!« brummte ich. »Ihre Bestien sind ja wie besessen, Herr; Sie könnten einen Fremden ebenso gut mit einer Brut von Tigern allein lassen!«
»Um Leute, die keine Gegenstände anfassen, kümmern sie sich nicht«, bemerkte er, stellte die Flasche vor mich hin und rückte den Tisch wieder an seinen Platz. »Es ist gut, dass die Hunde wachsam sind. – Ein Glas Wein gefällig?«
»Nein, danke.«
»Doch nicht etwa gebissen, wie?«
»Wenn ich es wäre, so würde es dem Beißer übel ergangen sein.«
Heathcliffs Antlitz erheiterte sich zu einem Grinsen.
»Nun, nun«, sagte er, »Sie sind aufgeregt, Mr. Lockwood. Hier, trinken Sie ein Glas Wein. Gäste sind in diesem Haus so außerordentlich selten, dass ich und meine Hunde, wie ich gern zugebe, sie kaum zu empfangen verstehen. Ihr Wohl, Herr!«
Ich verneigte mich und tat ihm Bescheid, denn ich begann einzusehen, dass es albern sein würde, wegen des schlechten Betragens von ein paar Kötern verdrießlich zu sein. Außerdem war ich nicht geneigt, den alten Gesellen auf meine Kosten noch weiter zu amüsieren. Er – wahrscheinlich einsichtsvoll erkennend, wie unklug es sei, einen guten Mieter zu kränken – mäßigte etwas seine lakonische Art und kam auf eine Sache zu sprechen, die, wie er meinte, von Interesse für mich wäre. Er brachte das Gespräch auf die Vor- und Nachteile meines gegenwärtigen Aufenthaltsortes. Er behandelte dies Thema sehr gewandt, und ehe ich heimkehrte, fühlte ich mich ermutigt genug, für morgen einen zweiten Besuch zu planen. Er selbst wünschte offenbar keineswegs, nochmals durch mich belästigt zu werden; ich werde dessen ungeachtet hingehen. Es ist erstaunlich, wie gesellig ich mir vorkomme im Vergleich zu ihm.
Neblig und kalt setzte der gestrige Nachmittag ein. Ich hatte so halb und halb die Absicht, ihn am warmen Ofen meines Arbeitszimmers hinzubringen, anstatt über Hügel und Moor nach Sturmheidhof zu traben. Als ich jedoch nach Tisch (notabene – ich speise um 1 Uhr; die Haushälterin, eine würdige Frau, die als Erbstück mit dem Hause alt geworden, konnte oder wollte meinen Wunsch, gegen 5 Uhr zu dinieren, nicht verstehen) – als ich also nach Tisch mit diesem Vorhaben die Treppe hinaufstieg und das Zimmer betrat, fand ich dort eine Dienstmagd, die, von Besen und Kohleneimern umgeben, vor dem Feuer kniete und höllischen Staub und Rauch aufwirbelte, indem sie die Flammen durch fortwährendes Nachschütten von Kohlen erstickte. Dieser Anblick trieb mich augenblicklich wieder zurück. Ich nahm meinen Hut, und nach einem Gang von vier Meilen erreichte ich Heathcliffs Gartentor gerade rechtzeitig, um den ersten flaumigen Flocken eines Schneetreibens zu entkommen.
Auf dieser kalten Hügelhöhe war die Erde vom Frost hartgefroren, und die Luft ließ mich an allen Gliedern beben. Da es mir nicht möglich war, die Kette zu lösen, sprang ich über den Zaun, rannte die gepflasterte und mit Stachelbeersträuchern eingefasste Allee hinauf und pochte um Einlass, bis meine Knöchel schmerzten und die Hunde heulten. Aber es war vergeblich.
»Nichtswürdige Insassen!« dachte ich; »für eure grobe Ungastlichkeit verdientet ihr gänzliche Isolierung. Ich wenigstens würde meine Türen nicht während des Tages verriegelt halten. Übrigens mache ich mir nichts daraus, ich will hineinkommen.«
Entschlossen ergriff ich die Klinke und rüttelte heftig daran. Josefs saures Gesicht blickte aus einem der runden Stallfenster.
»Wat 's los?« schrie er. »De Här is drunnen uf der Schafweid. Geht 'nunner, wann 'r mit ihm sprechen wollt.«
»Ist niemand im Haus, um die Tür zu öffnen?« rief ich als Antwort.
»Da is niemand als die Fraa, un die macht nit uff, und wann 'r Eich bis in d' Nacht abschinnen dut.«
»Warum? Können Sie ihr denn nicht sagen, wer ich bin? He, Josef?«
»Ich bedank mich davor! Ich will nix damit z' dun han«, brummte er und zog den Kopf zurück.
Es begann stärker zu schneien. Ich erfasste die Klinke, um einen neuen Versuch zu machen, als ein junger Mann ohne Rock, eine Mistgabel schulternd, hinten im Hof erschien. Er rief mir zu, ihm zu folgen, und nachdem wir eine Waschküche und einen gepflasterten Vorraum durchschritten hatten, auf dem sich ein Kohlenschuppen, ein Brunnen und ein Taubenhaus befanden, erreichten wir schließlich das große, warme, liebenswürdige Gemach, in dem man mich gestern empfangen hatte. Es glühte herrlich im Glanz eines mächtigen Feuers, das aus einem Berg von Holz, Torf und Kohlen hervorlohte. Und nahe dem Tisch, der mit einem reichlichen Nachtmahl besetzt war, bemerkte ich zu meiner Freude die »Fraa«, eine Persönlichkeit, deren Existenz ich bisher durchaus nicht vermutet hatte. Ich verbeugte mich und wartete, da ich annahm, sie würde mich auffordern, Platz zu nehmen. Sie lehnte sich jedoch in ihren Stuhl zurück und sah mich an – und blieb regungslos und stumm.
»Raues Wetter!« bemerkte ich. »Ich fürchte, Mrs. Heathcliff, die Tür muss unter den Folgen der lässigen Aufmerksamkeit Ihrer Dienstboten leiden: ich hatte harte Arbeit, mich ihnen hörbar zu machen.«
Sie öffnete nicht den Mund. Ich starrte sie an – wie sie mich; wenigstens ruhten ihre Blicke auf mir, kühl und gleichgültig und verwirrend.
»Setzen Sie sich«, sagte der junge Mann barsch. »Er wird bald kommen.«
Ich gehorchte; und ich räusperte mich und rief die niederträchtige Juno, die bei dieser zweiten Begegnung die äußerste Spitze des Schwanzes zu bewegen geruhte, gewissermaßen zum Zeichen, dass sie meine Bekanntschaft anerkannte.
»Ein schönes Tier!« begann ich wieder. »Gedenken Sie sich von den Kleinen zu trennen, gnädige Frau?«
»Sie sind nicht mein«, sagte die liebenswürdige Wirtin, abweisender als selbst Heathcliff geantwortet haben könnte.
»Ah, dies sind Ihre Lieblinge?« fuhr ich fort, mich nach einem dunklen Kissen wendend, auf dem, wie mir schien, junge Katzen lagen.
»Merkwürdige Lieblinge!« sagte sie verächtlich.
Unglücklicherweise war es ein Haufen toter Kaninchen. Ich räusperte mich nochmals und rückte näher zum Feuer, meine Bemerkung über das schlechte Wetter wiederholend.
»Sie hätten nicht herauskommen sollen«, sagte sie, indem sie sich erhob und nach den bemalten Büchsen auf dem Kaminsims langte.
Sie hatte bisher im Schatten gesessen, jetzt erst hatte ich einen klaren Anblick ihrer Gestalt und ihres Gesichtes. Sie war schlank und anscheinend noch sehr jung: eine herrliche Figur und das entzückendste kleine Gesicht, das ich je gesehen habe; feine Züge, sehr blond; flachsfarbene, nein goldene Locken, lose auf den zarten Hals niederfallend, und Augen, die, wenn sie freundlich geblickt hätten, unwiderstehlich gewesen wären. Zum Glück für mein empfängliches Herz schwankte ihr Ausdruck nur zwischen Verachtung und einer Art Verzweiflung, die für diese jungen Augen außerordentlich befremdend war.
Die Büchsen waren ihr fast unerreichbar. Ich machte eine Bewegung, ihr zu Hilfe zu kommen. Sie kehrte sich zu mir, zornig wie ein Geizhals, dem jemand den Vorschlag gemacht hat, ihm ein wenig beim Zählen seines Geldes zu helfen.
»Ich brauche nicht Ihre Hilfe«, fuhr sie mich an, »ich kann sie allein herunterholen.«
»Ich bitte um Verzeihung!« beeilte ich mich zu erwidern.
»Hat man Sie zum Tee gebeten?« fragte sie, vor ihr sauberes schwarzes Kleid eine Schürze bindend, und beugte sich mit einem Löffel Teeblätter über den Topf.
»Ich werde mich freuen, eine Tasse zu bekommen«, antwortete ich.
»Hat man Sie eingeladen?« wiederholte sie.
»Nein«, sagte ich lächelnd, »aber Sie sind ja die geeignete Persönlichkeit, dies nachzuholen.«
Sie warf Tee und Löffel fort, nahm ihren Stuhl wieder ein und runzelte die Stirn und schob die Unterlippe vor, wie ein Kind, das weinen will.
Nun stellte sich der junge Mann, der sich inzwischen einen entschieden schäbigen Rock angezogen hatte, vor dem Feuer auf und blickte mich von der Seite an, als bestände zwischen uns eine tödliche Fehde. Mir kamen Zweifel, ob er nur ein Dienstbote sei. Seine Kleidung war ordinär, und seine Sprechweise entbehrte völlig jener Überlegenheit, die Mr. und Mrs. Heathcliffs Benehmen zeigte. Seine dicken braunen Locken waren rau und ungepflegt, sein Bart verwildert und seine Hände gebräunt, wie diejenigen eines gewöhnlichen Arbeiters. Dennoch war sein Benehmen frei, fast hochmütig, und er bezeigte der Dame des Hauses keine dienstbotenhafte Aufmerksamkeit. In Ermangelung klarer Beweise für seine Stellung, schien es mir das geratenste, sein seltsames Betragen nicht zu bemerken, und fünf Minuten später befreite mich Heathcliffs Eintritt wenigstens bis zu einem gewissen Grade aus meiner unbehaglichen Situation.
»Sie sehen, mein Herr, ich bin meinem Versprechen gemäß gekommen!« rief ich munter; »und ich fürchte, das Wetter wird mich für eine halbe Stunde hier festhalten, falls Sie mir für diese Zeit Unterkunft gewähren können.«
»Halbe Stunde?« sagte er, die weißen Flocken von seinen Kleidern schüttelnd. »Soll mich wundern, ob Sie Lust haben werden, durch dicken Schneesturm zu wandern. Wissen Sie, dass Sie Gefahr laufen, sich in den Sümpfen zu verirren? Selbst Leute, die mit den Mooren hier gut bekannt sind, verlieren an solchen Abenden häufig den Weg. Und ich kann Ihnen sagen, es ist vorläufig keine Aussicht auf einen Wetterumschlag.«
»Vielleicht könnte einer Ihrer Leute meinen Führer machen und bis zum Morgen in Drosselkreuzhof bleiben – könnten Sie einen entbehren?«
»Nein, keinen.«
»Oh ... Nun gut, dann muss ich mich eben auf meinen eigenen Spürsinn verlassen.«
»Hm!«
»Gibt's bald Tee?« fragte der mit dem schäbigen Rock und wandte seinen grimmigen Blick von mir zu der jungen Dame.
»Soll er welchen haben?« fragte sie, sich an Heathcliff wendend.
»Mach ihn fertig, hörst du!« war die grobe Antwort, die mich zusammenfahren ließ. Der Ton, in dem dies gesagt worden war, verriet ein wahrhaft böses Naturell. Ich sah mich nicht mehr veranlasst, Heathcliff einen prächtigen Kerl zu nennen.
Als die Vorbereitungen beendet waren, lud er mich mit einem »Nun, Herr, rücken Sie Ihren Stuhl heran« ein. Und wir alle, einschließlich des bäurischen Jünglings, setzten uns zu Tisch. Ein finsteres Schweigen herrschte, während wir aßen und tranken.
Ich dachte, wenn ich diese Wolke heraufbeschworen habe, so muss ich einen Versuch machen, sie wieder zu vertreiben. Sie konnten doch nicht alle Tage so grimmig und stumm dasitzen: so übellaunig diese Menschen auch sein mochten, schien es mir doch undenkbar, dass sie dies böse Stirnrunzeln alltäglich zur Schau trugen.
»Es ist merkwürdig«, begann ich also, während ich mir eine zweite Tasse Tee einschenken ließ, »es ist merkwürdig, wie die Gewohnheit unseren Geschmack und unsere Anschauungen formen kann. Viele würden nicht begreifen können, dass ein so völlig von der Welt abgeschlossenes Leben, wie Sie, Mr. Heathcliff, es führen, noch Freude bieten könne. Trotzdem wage ich zu sagen, dass Sie, umgeben von Ihrer Familie und an der Seite Ihrer liebenswürdigen Gefährtin, dieses guten Genius über Ihr Herz und Heim ...«
»Meine liebenswürdige Gefährtin!« unterbrach er mich mit einem diabolischen Grinsen. »Wo ist sie – meine liebenswürdige Gefährtin?«
»Mrs. Heathcliff, Ihre Gattin, meine ich.«
»So, ja ... oh, Sie wollen andeuten, dass ihr Geist gewissermaßen als Engel den Sturmheidhof bewacht, wenn auch ihr Leib dahingegangen ist. Habe ich Sie recht verstanden?«
Meinen Irrtum gewahrend, versuchte ich, ihn wieder gut zu machen. Ich hätte sehen können, dass ein zu großer Altersunterschied zwischen den beiden bestand, um es glaubhaft erscheinen zu lassen, dass sie Mann und Frau seien. Er war ungefähr vierzig, ein Alter, in dem der Mann sich selten der Täuschung hingibt, dass ein junges Mädchen ihn aus Liebe heirate. Der Traum ist dem Greisentum aufgespart.
Sie sah nicht älter aus als siebzehn.
Dann fiel mir blitzartig ein: der Tölpel an meiner Seite, der seinen Tee aus der Untertasse schlürft und sein Brot mit ungewaschenen Händen isst, könnte ihr Mann sein – Heathcliff junior selbstredend. Da hat man die Folgen des Lebendigbegrabenseins. Sie hat sich an diesen Bauern weggeworfen aus purer Unkenntnis dessen, dass bessere Männer existieren! Wie schade – hoffentlich werde ich nicht die Veranlassung werden, dass sie ihre Wahl bereut. Diese letzte Betrachtung klingt vielleicht etwas dünkelhaft; sie ist es nicht. Mein Nachbar erschien mir beinahe abstoßend. Dagegen wusste ich aus Erfahrung, dass ich ziemlich anziehend war.
»Mrs. Heathcliff ist meine Schwiegertochter«, sagte Heathcliff, meine Vermutung bestätigend. Dabei warf er ihr einen sonderbaren Blick zu – einen Blick voll tiefsten Hasses; es sei denn, dass seine Augen nicht wie die Augen anderer Menschen die Sprache der Seele redeten.
»Ah gewiss, jetzt sehe ich: Sie sind der glückliche Besitzer dieser gütigen Fee«, bemerkte ich, mich meinem Nachbar zuwendend.
Der Bursche wurde blutrot und ballte die Faust. Er schien handgreiflich werden zu wollen. Doch fasste er sich schnell wieder und beruhigte den Sturm in seinem Innern durch halblaute Verwünschungen gegen mich, die ich jedoch nicht beachtete.
»Kein Glück in Ihren Mutmaßungen, Herr«, sagte mein Gastgeber; »keiner von uns hat das Vorrecht, Ihre gute Fee sein eigen zu nennen; ihr Mann ist tot. Ich sagte, sie sei meine Schwiegertochter, so muss sie also meinen Sohn geheiratet haben.«
»Und dieser junge Mann hier ist ...«
»Nicht mein Sohn, sicherlich.«
Heathcliff lächelte wieder, als sei es doch ein zu kühner Scherz, ihm die Vaterschaft über diesen ungeschlachten Bären zuzumuten.
»Mein Name ist Hareton Earnshaw«, grollte der andere, »und ich möcht Ihnen raten, ihn zu achten!«
»Ich habe keine Missachtung gezeigt«, war meine Antwort, während ich heimlich über die Würde lachte, mit der er sich vorstellte.
Er heftete den Blick auf mich, länger als mir daran lag, ihn zu erwidern, denn ich fürchtete in Versuchung zu kommen, ihm entweder ein paar herunterzuhauen oder meine Heiterkeit laut werden zu lassen. Ich begann mich in diesem liebenswürdigen Familienkreis unaussprechlich überflüssig zu fühlen.
Das körperliche Wohlbehagen, das der warme Raum bereitete, ging völlig in der unerquicklichen Stimmung unter, die diese Menschen zu verbreiten wussten. Ich beschloss, mich wohl zu hüten, ein drittes Mal dies Dach über meinem Haupte zu haben.
Als die Mahlzeit beendet war und niemand ein Wort der Unterhaltung hatte, trat ich ans Fenster, um nach dem Wetter zu sehen. Ein trauriger Anblick: schon war es schwarze Nacht da draußen, und Himmel und Hügel verschmolzen im wilden Wirbel von Wind und Schnee.
»Es scheint mir ganz unmöglich, jetzt ohne Führer heimzufinden«, konnte ich mich nicht enthalten auszurufen. »Die Wege werden schon begraben sein; und selbst wenn sie schneefrei wären, so könnte ich doch kaum einen Schritt weit sehen.«
»Hareton, treib die Schafe in den Scheunenschuppen; wenn sie über Nacht in der Hürde bleiben, werden sie einschneien«, sagte Heathcliff.
»Was soll ich tun?« fuhr ich in wachsender Besorgnis fort.
Meine Frage blieb unbeantwortet, und als ich mich umblickte, gewahrte ich nur Josef, der den Hunden den Futternapf brachte, und Mrs. Heathcliff, die sich über das Feuer beugte und sich damit unterhielt, ein Bündel Streichhölzer abzubrennen, das vom Kaminsims gefallen war, als sie die Teebüchse wieder hinaufstellte. Nachdem der erstere seine Schüssel niedergesetzt hatte, blickte er sich forschend im Zimmer um und krächzte dann mit heiserer Stimme:
»Wie kennt 'r doch nur so faul da 'rumstehen, wo die annem all furt sin! Aber 'n Tunichgut seid 'r – un rede nutzt nit, bessern tut 'r Eich nit, aber zum Satan geht 'r, grad wie Eire Mutter z'vor.«
Im ersten Moment glaubte ich, dass diese Beredsamkeit mir gelte, und da ich ohnedies wütend war, ging ich auf den alten Schurken los, um ihn hinauszuwerfen. Mrs. Heathcliff jedoch verblüffte mich durch die Worte, die sie dem Mann erwiderte.
»Du elender alter Heuchler!« entgegnete sie. »Fürchtest du nicht, bei lebendigem Leibe vom Teufel geholt zu werden, wenn du so leichtsinnig seinen Namen anrufst? Ich warne dich davor, mich nochmals zu reizen, sonst werde ich ihn um die Gunst ersuchen, dich schleunigst abzuführen. Da, schau nur her«, fuhr sie fort, ein großes dunkles Buch vom Wandbrett nehmend; »ich will dir zeigen, wie weit ich in der schwarzen Kunst fortgeschritten bin. Bald werde ich's euch gründlich zu kosten geben! Es war nicht Zufall, dass neulich die rote Kuh verreckte, und auch dein Rheumatismus ist schwerlich als göttliche Heimsuchung zu betrachten.«
»Oh Gottlosigkeit!« stöhnte der Alte. »Herr, erlöse uns vom Übel!«
»Er wird dich nicht erlösen, Josef. Du bist längst ein Verworfener. Pack dich jetzt, oder ich werde dir Schlimmes antun. Ich werde euch alle in Wachs und Ton verwandeln, und der erste, der den Kreis, den ich um mich ziehen werde, überschreitet, wird – ich sage nicht, was mit ihm geschehen wird, aber du wirst ja sehen. Geh! Mein Auge ruht auf dir!«
Die kleine Hexe gab bei diesen Worten ihren schönen Augen einen möglichst boshaften Ausdruck, und zitternd vor Entsetzen und angstvoll betend eilte Josef hinaus. Ich vermutete, sie habe sich aus Langeweile einen Scherz mit ihm gemacht; nun wir allein waren, bestrebte ich mich, sie für meine Lage zu interessieren.
»Mrs. Heathcliff, sagte ich ernst, »Sie werden entschuldigen, dass ich Sie störe. Ich wage es, weil jemand, der so schön ist wie Sie, unzweifelhaft auch ein gutes Herz hat. Also bitte, geben Sie mir einige Anhaltspunkte, mit deren Hilfe ich den Heimweg finden kann. Ich weiß ebenso wenig, wie ich nach Hause finden soll, als Sie wissen würden, nach London zu gelangen.«
»Nehmen Sie den Weg, den Sie gekommen sind«, antwortete sie, während sie es sich in einem Lehnstuhl bequem machte, eine Kerze anzündete und das große Buch aufschlug. »Der Rat ist kurz, aber so gut, als ich ihn geben kann.«
»Wenn Sie nun aber erfahren würden, man habe mich tot in einem Sumpf oder in einer Schneewehe gefunden, würde Ihr Gewissen Ihnen da nicht zuflüstern, dass das zum Teil Ihr Verschulden sei?«
»Wieso? Ich kann Sie ja nicht begleiten. Die würden mich nicht bis zur Gartenmauer gehen lassen.«
»Sie? Es täte mir leid, wenn Sie in solcher Nacht um meinetwillen auch nur die Schwelle überschreiten müssten!« rief ich. »Ich möchte, dass Sie mir den Weg sagen, nicht, dass Sie ihn zeigen; oder dass Sie Mr. Heathcliff veranlassen, mir einen Führer mitzugeben.«
»Wen? Da ist er, Earnshaw, Zillah, Josef und ich. Wen möchten Sie haben?«
»Gibt es denn keine Knechte hier?«
»Nein; es gibt weiter niemand.«
»So bin ich gezwungen, zu bleiben.«
»Das mögen Sie mit Ihrem Gastgeber abmachen. Mich geht das nichts an.«
»Und hoffentlich wird Ihnen diese Erfahrung eine Lehre sein, keine voreiligen Wanderungen mehr zu unternehmen«, scholl Heathcliffs harte Stimme vom Kücheneingang herüber. »Was Ihr Hierbleiben anbetrifft, so bemerke ich, dass ich für Besucher keine Unterkunft geschaffen habe. Wenn Sie bleiben, müssen Sie mit Hareton oder Josef das Bett teilen.«
»Ich kann hier im Zimmer auf einem Stuhl schlafen«, entgegnete ich.
»Nein, nein! Ein Fremder ist ein Fremder, sei er arm oder reich. Es passt mir nicht, irgendwem zu gestatten, sich hier herumzutreiben, wenn ich ihn nicht überwachen kann!« sagte der ungezogene Kerl.
Nach dieser Beleidigung war meine Geduld erschöpft. Mit einem Ausruf des Widerwillens schritt ich an ihm vorbei in den Hof, wobei ich in meiner blinden Hast mit Earnshaw zusammenrannte. Es war so dunkel, dass ich das Ausgangstor nicht sehen konnte, und während ich danach suchte, hörte ich eine weitere Probe ihres höflichen Benehmens untereinander. Zunächst schien der junge Mann sich meiner annehmen zu wollen.
»Ich werde mit ihm bis an das Ende des Parks gehen«, sagte er.
»Du wirst mit ihm zur Hölle gehen!« schrie sein Herr – das heißt, ich vermutete, dass der Alte zu ihm in diesem Verhältnis stand. »Und wer soll nach den Pferden sehen, he?«
»Das Leben eines Menschen ist von größerer Bedeutung als die einmalige Vernachlässigung der Pferde; jemand muss gehen«, äußerte Mrs. Heathcliff, freundlicher als ich erwartet hatte.
»Nicht, wenn du es befiehlst!« gab Hareton zurück. »Wenn du um ihn besorgt bist, solltest du lieber den Mund halten.«
»So wünsche ich, dass dich sein Geist verfolgen möge, wenn der Mann im Moor den Tod findet. Und ich wünsche, dass Mr. Heathcliff nie einen anderen Mieter bekommen möge, bis Drosselkreuz eine Ruine ist!« entgegnete sie scharf.
»Jeh, jeh, sie verwünscht 'n«, murmelte Josef, dem ich mich genähert hatte.
Er saß in Hörweite und melkte beim Schein einer Laterne die Kühe. Ohne viel Umstände ergriff ich die Laterne und eilte dem nächsten Ausgang zu, indem ich ausrief, dass ich sie morgen zurückschicken würde.
»Här, Här, er stehlt sich unser Lantern!« schrie der Alte, mich verfolgend. »Heh, Packan! Heh, Hunde! Heh, Wolf! faßt 'n, faßt 'n!«
Als ich die Zauntür öffnete, sprangen mir zwei haarige Ungeheuer an den Hals, rissen mich nieder und löschten das Licht, während ein schallendes Gelächter von Heathcliff und Hareton meiner Wut den Gipfel aufsetzte. Glücklicherweise schienen die Bestien nur gewohnt zu sein, sich herum zu räkeln und zu gähnen und allenfalls mit dem Schwanz zu wedeln, denn sie bezeigten keine Lust, mich bei lebendigem Leibe zu zerreißen; aber sie duldeten auch nicht, dass ich mich erhob, und ich war genötigt, still zu liegen, bis es ihren niederträchtigen Herren gefallen würde, mich zu befreien. Als das geschehen war, befahl ich, bebend vor rasendem Zorn, den Hallunken, mich sofort hinauszulassen, bei Gefahr ihres Lebens, falls sie mich noch eine Minute zurückhielten – und äußerte noch einige zusammenhanglose Drohungen, die stark nach König Lear schmeckten.
Meine maßlose Aufregung verursachte mir ein heftiges Nasenbluten; und noch immer lachte Heathcliff, und noch immer schimpfte ich.
Ich weiß nicht, wie diese Szene geendet haben würde, wäre nicht eine Person bei der Hand gewesen, die vernünftiger war als ich und wohlwollender als mein Wirt. Dies war Zillah, die stämmige Haushälterin, die herbeigelaufen kam, um nach der Ursache des Aufruhrs zu sehen. Sie meinte, man habe mich gewaltsam angegriffen, und da sie nicht wagte, sich gegen ihren Herrn zu wenden, gebrauchte sie ihre Zungenfertigkeit dem jüngeren Schurken gegenüber.
»Na, Mr. Earnshaw«, schrie sie, »ich bin nur neugierig, was Sie nächstens anstellen werden! Sollen wir auf unserem Grund und Boden die Leute ermorden? Nein – der Dienst in diesem Hause ist nichts für mich. Sehen Sie nur den armen Menschen; er erstickt ja! – Nun! Nun! Kommen Sie, ich werde' Ihnen helfen! So, so; halten Sie still.«
Mit diesen Worten goss sie mir einen Napf Eiswasser in den Nacken und zog mich in die Küche. Mr. Heathcliff, der nach seinem Heiterkeitsanfall schnell wieder in die alte Grämlichkeit verfiel, folgte uns.
Ich fühlte mich scheußlich elend und schwindlig und schwach. Es blieb mir daher nichts anderes übrig, als ihn für diese Nacht um Unterkunft zu bitten. Er gebot Zillah, mir ein Glas Branntwein zu geben, und begab sich dann ins innere Gemach. Die Magd kam den Anordnungen ihres Herrn nach und führte mich, als ich mich ein wenig erholt hatte, in mein Nachtquartier.
Während sie mir die Treppen hinauf voranging, empfahl sie mir, das Licht zu dämpfen und kein Geräusch zu machen; denn ihr Herr habe eine wunderliche Neigung für das Zimmer, in dem sie mich unterbringen wolle, und würde wissentlich keinen Menschen dort hineinführen. Ich fragte nach der Ursache. Sie kenne sie nicht, antwortete sie, sie lebe hier erst seit kaum zwei Jahren, und es gäbe hier so viel Sonderbares im Hause, dass sie mit dem Neugierig sein nicht erst habe beginnen können.
Selbst zu erschöpft, um Neugier zu bezeigen, schloss ich meine Tür und sah mich nach dem Bett um. Die Einrichtung des Raumes bestand jedoch nur aus einem Stuhl, einem Schrank und einem großen eichenen Kasten, der an den Seitenwänden viereckige Glasscheiben hatte. Ich trat hinzu, blickte durch eins der Fensterchen hinein und erkannte, dass es der Kasten einer altmodischen Kutsche war, der nun hier in der Ecke der Bodenstube noch ein besonderes Geheimstübchen abgab. Es war in der Tat ein kleines Kabinett, in dem das Brett eines der beiden Zimmerfenster die Stelle eines Tisches vertrat. Ich öffnete den Wagenschlag, stieg mit meiner Kerze hinein, schloss die Tür und fühlte mich nun endlich geborgen.
Auf dem Fensterbrett, auf das ich meine Kerze stellte, lagen ein paar verschimmelte Bücher; das Brett selbst war über und über bekritzelt. Ich las in den verschiedensten Lettern: Catherine Earnshaw, hier und da variiert in Catherine Heathcliff und Catherine Linton.
In stumpfer Müdigkeit lehnte ich den Kopf an das Fenster und fuhr fort zu lesen: Catherine Earnshaw – Heathcliff – Linton; bis mir die Augen zufielen. Doch kaum hatte ich sie geschlossen, als im Dunkel vor mir gespensterhaft beleuchtete Buchstaben tanzten – lauter Catherines; und als ich aufblickte, um den zudringlichen Namen zu verscheuchen, sah ich, dass der brennende Docht meiner Kerze sich auf eins der alten Bücher herabgeneigt hatte und auf dem Einband schwelte. Es roch nach verbranntem Leder. Ich kürzte den Docht, und da ich mich infolge der Kälte und meines Unwohlseins sehr unbehaglich fühlte, setzte ich mich aufrecht hin und schlug in der Absicht, zu lesen, das lädierte Buch auf meinen Knien auf.
Es war eine in schrägen Lettern gedruckte Bibel. Sie hatte einen unangenehm modrigen Geruch. Die erste Seite trug die Aufschrift: »Catherine Earnshaw ihr Buch« – und ein Datum, das etwa ein Vierteljahrhundert zurücklag. Ich schloss den Band und griff nach einem anderen, und so fort, bis ich sie alle durchgesehen hatte. Catherines Bücherei war recht gewählt, und der Grad ihrer Zerlesenheit bewies, dass sie viel benutzt worden war, wenn auch nicht immer zu ihrem eigentlichen Zweck. Kaum ein Kapitel war einem Kommentar in Tinte und Feder entgangen – oft war jeder kleinste weiße Raum damit bedeckt. Teilweise waren es nur abgerissene Sätze, doch manchmal schienen sich die Notizen geradezu zu einem Tagebuch zu erweitern. Die Handschrift war ungelenk und kindlich. Oben auf einer leeren Seite entdeckte ich zu meiner Freude eine ausgezeichnete Karikatur meines Freundes Josef – roh, aber doch geschickt skizziert. Sofort erwachte in mir ein gewisses Interesse für die unbekannte Catherine, und ich machte mich daher sogleich an die Entzifferung ihrer verblassten Hieroglyphen. –
»Ein grässlicher Sonntag!« begann die erste Aufzeichnung. »Ich wollte, der Vater wäre wieder da. Hindley ist ein gräulicher Stellvertreter – sein Benehmen gegen Heathcliff ist abscheulich. Heathcliff und ich haben die Absicht zu rebellieren – wir haben heute Abend die einleitenden Schritte getan.
»Den ganzen Tag goss es in Strömen; wir konnten nicht zur Kirche gehen, deshalb musste Josef in der Dachstube eine Andacht abhalten, und während Hindley und seine Frau sich drunten beim behaglichen Feuer wärmten und gewiss nichts anderes taten, als in ihren Bibeln lesen, mussten Heathcliff und ich und der unglückliche Stalljunge unsere Gebetbücher nehmen und hinaufsteigen. Wir wurden nebeneinander auf einen Sack voll Korn gesetzt und froren weidlich. Wir hofften, dass es auch Josef zu kalt sein werde, um lange hier zu hocken, und dass er uns nur eine kurze Predigt halten werde. Vergebliches Hoffen! Die Andacht dauerte genau drei Stunden, und trotzdem hatte mein Bruder die Dreistigkeit, als er uns herunterkommen sah, auszurufen: »Was? Schon fertig?« Früher durften wir an Sonntagabenden spielen, vorausgesetzt, dass wir nicht zu geräuschvoll waren; jetzt genügt schon ein Kichern, dass man uns in die Ecke stellt.
»Ihr vergesst, dass ihr einen Herrn in mir habt«, sagt der Tyrann. »Den ersten von euch, der meinen Zorn reizt, werde ich niederschlagen. Ich verlange vollkommene Gesittung und Ruhe. Halt Junge! Warst du das? Frances, Liebchen, zupf ihn am Ohr; ich habe ihn mit den Fingern schnalzen gehört.« Frances zupfte ihn recht herzhaft am Ohr, und dann ging sie und setzte sich ihrem Mann aufs Knie; und da saßen sie wie zwei Babys und küssten sich und schwatzten Unsinn, stundenlang – albernes Geplapper, dessen wir uns geschämt haben würden. Wir setzten uns unters Büffet und machten es uns in unserer Höhle da so bequem als möglich. Ich hatte gerade unsere Schürzen zusammengeknotet und sie als Vorhang aufgehängt, als Josef hereinkommt. Er reißt natürlich sofort mein Kunstwerk herunter, gibt mir ein paar hinter die Ohren und krächzt:
»De Här knapp unner der Ärd, un Sunndag noch nit vorriwer, un grad ewen erseht 's heilig Evangelium vernummen, un schun hott 'r eier Dummhäte wierer im Kopp. Schaamt eich! Do, hockt eich her, ihr Sataner! Do sinn gude Biecher, do last drin. Her mit eich, un denkt driwer noh, datt 'r mol selig wären dhut.«
»Als er dies sagte, wies er uns Plätze an, die vom Feuer so weit entfernt waren, dass wir nur mühsam die Druckschrift lesen konnten. Ich konnte diese Beschäftigung nicht ertragen. Ich nahm mein schmieriges Buch am Deckel und schleuderte es in die Hundeecke; Heathcliff warf seines hinterdrein. Da gab's einen Tumult!«
»Här Hindley«! schrie unser Kaplan, »do kinnt 'r wat siehn: dat Frääle Kathi hot de Deckel vum ›Helm der Erlesung‹ zerriß, un de Heathcliff hot die ›Stroß zur Höll‹ verschmiert. En wahre Schand is 's, dat Ihr su ebbes dulde dhut. Ach, wat hätt' de alt Här se vermewelt – awer dä is furt.«
»Hindley kam von seinem Paradies am Kamin herbeigeeilt und, den einen von uns beim Kragen packend und den anderen beim Arm, schleppte er uns beide in die Küche, wo Josef beteuerte, dass der ›böse Nicklas‹ uns holen würde. So getröstet, bekamen wir jeder einen besonderen Winkel angewiesen, um dort seine Ankunft abzuwarten; ich langte dies Buch und ein Tintenzeug vom Brett und stieß die Haustür auf, um genug Licht zu haben. Und ich habe mir seit zwanzig Minuten die Zeit mit schreiben vertrieben. Aber mein Freund ist ungeduldig und schlägt vor, dass wir uns den Mantel des Milchmädchens umhängen und unter seinem Schutz aufs Moor ausreißen sollen. Ein schöner Gedanke – und wenn dann der Griesgram hereinkommt, so mag er glauben, seine Prophezeiung habe sich verwirklicht; wir können uns im Regen auch nicht unbehaglicher und frostiger fühlen als hier. –«
Ich nehme an, dass Catherine ihren Plan ausführte, denn der nächste Satz schien später geschrieben zu sein und war recht tränenvoll:
»Das hab ich mir nicht träumen lassen, dass Hindley mich so weinen machen würde«, schrieb sie. »Mein Kopf schmerzt, dass ich ihn nicht auf dem Kissen lassen kann, und doch kann ich nicht aufhören. Armer Heathcliff! Hindley nennt ihn einen Vagabund und will ihn nicht mehr mit uns bei Tisch sitzen lassen, und er sagt, er und ich dürfen nicht mehr zusammen spielen, und droht ihn aus dem Hause zu jagen, wenn wir seinen Befehl nicht respektierten. Er hat unseren Vater beschuldigt (wie darf er?), Heathcliff zu wohlwollend behandelt zu haben, und schwört, dass er ihn auf den ihm gebührenden Platz hinunterdrücken werde. –«
Ich begann schläfrig zu werden. Mein Auge wanderte vom Manuskript zur Druckschrift. Ich sah einen rotumrahmten Titel: »Siebzig mal sieben und die erste der Einundsiebzig. Ein frommer Diskurs, gehalten von Reverend Jabes Branderham in der Kapelle von Gimmerton Sough.« Und während ich, nur noch halb bei Bewusstsein, zu ergrübeln suchte, was Jabes Branderham aus seinem Thema gemacht haben konnte, sank ich in die Polster zurück und schlief ein. Oh, diese entsetzlichen Folgen schlechten Tees und schlechter Laune! Denn was sonst konnte mir diese furchtbare Nacht verursacht haben? Soweit ich nur zurückdenken kann, wüsste ich mich nicht einer Nacht zu erinnern, in der ich ähnlich gelitten hätte.
Ich fing an zu träumen – fast noch ehe ich aufgehört hatte, mir meiner Umgebung bewusst zu sein. Ich dachte, es sei Morgen und ich hätte mich, von Josef geführt, auf den Heimweg begeben. Der Schnee lag viele Fuß tief auf den Wegen, und während wir uns langsam voran arbeiteten, ermüdete mich mein Begleiter mit unausgesetzten Vorwürfen, weil ich keinen Pilgerstab mitgenommen hatte. Ohne einen solchen könne ich nie ins Haus hineinkommen, sagte er, und schwang prahlerisch einen derben Knüttel, der wohl einen Pilgerstab vorstellen sollte. Einen Augenblick hielt ich es für unsinnig, dass ich, um Zutritt zu meinem eigenen Wohnsitz zu erlangen, durchaus einer solchen Waffe bedürfen solle; dann kam mir wieder eine neue Vorstellung. Ich ging ja nicht dorthin. Wir gingen vielmehr, um den berühmten Jabes Branderham über den Text »Siebzig mal sieben« predigen zu hören, und entweder Josef, der Prediger oder ich hatten die erste der einundsiebzig Sünden begangen und sollten öffentlich bloßgestellt und in den Kirchenbann getan werden.
Wir kamen zur Kapelle. Ich habe sie tatsächlich auf meinen Wanderungen zwei- oder dreimal gesehen; sie liegt in einer Talsenkung in der Nähe eines Sumpfes, dessen feuchte Torfmasse, wie es heißt, die dort Begrabenen mumienhaft erhält. Pfarrer Jabes also hatte in meinem Traum eine große und aufmerksame Gemeinde um sich versammelt; und er predigte – großer Gott! welch ein Sermon, eingeteilt in vierhundertundneunzig Teile, von denen jeder einer der üblichen Kanzelreden gleichkam und jeder eine besondere Sünde behandelte! Wo er diese auftrieb, kann ich nicht sagen. Er hatte eine eigene Art, die Sprüche auszulegen, und es gehörte zu seinen Voraussetzungen, dass die »geliebten Brüder« bei jeder Gelegenheit andere Sünden begingen. Und das waren gar seltsame Vergehen, wie ich sie nie vorher geahnt hatte.
Oh, wie müde wurde ich. Wie ich mich krümmte, und wie ich gähnte und einnickte und wieder erwachte! Wie ich mich kniff und mir die Augen rieb, wie ich aufstand und wieder niedersaß und Josef Zeichen machte, mir mitzuteilen, ob er wohl jemals zum Ende kommen würde. Ich war verdammt, alles bis zum Schluss anzuhören. Endlich war er bei der »ersten der Einundsiebzig« angelangt. Da kam mir eine Inspiration.
Ich fühlte mich veranlasst, mich zu erheben und Jabes Branderham als den Sünder der Sünde, für die kein Christ Verzeihung erlangt, anzuklagen.
»Herr!« rief ich aus, »hier innerhalb dieser vier Mauern sitzend, ertrug und vergab ich Ihnen die vierhundertundneunzig Teile ihres Diskurses. Siebzig Mal siebenmal habe ich meinen Hut nehmen und fortgehen wollen – siebzig Mal siebenmal haben Sie mich gezwungen, meinen Sitz wieder einzunehmen. Der vierhunderteinundneunzigste Teil ist zuviel! Genossen im Martyrium, los auf ihn! Reißt ihn nieder und zermalmt ihn in Atome, dass der Ort, der ihn kennt, ihn nicht mehr kennen möge!«
»Du bist der Mann!« schrie Jabes nach einer ernsten Pause, sich über das Kanzelpolster lehnend. »Siebzig Mal siebenmal hast du gähnend dein Gesicht verzerrt – siebzig Mal siebenmal hat meine Seele nach Rat gesucht. Weh! das ist menschliche Schwachheit. So mag dies auch vollendet werden! Der erste der Einundsiebzig ist gekommen, Brüder! Richtet ihn, wie es geschrieben steht.«
Nach diesem Schlusswort stürzte die ganze Versammlung, ihre Pilgerstäbe schwingend, auf mich los, und da ich zu meiner Verteidigung keine solche Waffe besaß, begann ich mich mit Josef, meinem nächsten und eifrigsten Angreifer, um die seinige zu raufen. Manche mir zugedachten Hiebe sausten auf andere Schädel nieder. Die ganze Kapelle dröhnte von der Prügelei. Jeder erhob die Hand gegen seinen Nachbar, und Branderham, der nicht gewillt war, müßig zu bleiben, bezeigte seinen Eifer in einem Hagel lauter Schläge auf den Rand der Kanzel, die so laut widerhallten, dass sie schließlich – zu meiner unaussprechlichen Erleichterung – mich weckten. Und was war es, das den ungeheuren Aufruhr verursacht hatte? Wer hatte in diesem Streit die Rolle des Jabes gespielt? Nur der Zweig einer Fichte, der bis ans Fenster reichte und mit seinen dürren Zapfen an die Scheiben prasselte. Einen Augenblick horchte ich auf, erkannte den Störenfried, wendete mich zurück und nickte von neuem ein und träumte wieder, womöglich noch unangenehmer als vorher.
Diesmal war ich mir bewusst, dass ich in dem eichenen Kabinett lag, und ich hörte deutlich den stürmischen Wind und das Schneetreiben; ich hörte auch, dass der Fichtenzweig sein kratzendes Geräusch wiederholte, und wusste, woher der Laut kam. Aber er quälte mich so sehr, dass ich beschloss, wenn möglich, ihn zum Schweigen zu bringen. Und ich träumte, dass ich aufstand und versuchte, das Fenster zu öffnen. Der Haken war aber in die Öse festgelötet, ein Umstand, den ich in wachem Zustand wahrgenommen, nun aber vergessen hatte. »Und dennoch – der Lärm muss aufhören!« knurrte ich, zerschlug die Glasscheibe mit der Faust und streckte den Arm aus, um den zudringlichen Zweig zu ergreifen; stattdessen schlossen sich meine Finger um eine kleine kalte Hand! Mich überkam das grauenhafte Entsetzen eines Albtraumes: ich versuchte, den Arm zurückzuziehen, aber die Hand umklammerte fest die meine, und eine höchst traurige Stimme schluchzte: »Lass mich ein – lass mich ein!« – »Wer bist du?« fragte ich und mühte mich, mich von dem Griff zu befreien. »Catherine Linton«, antwortete es fröstelnd. (Warum dachte ich gerade Linton? Ich hatte Earnshaw wohl zwanzigmal mehr gelesen als Linton.) »Ich bin heimgekommen, ich hatte im Moor den Weg verloren!« Während es sprach, erkannte ich die schwachen Umrisse eines Kindergesichtes, das durch das offene Fenster blickte. Entsetzen machte mich grausam. Da es mir nicht gelingen wollte, das Geschöpf abzuschütteln, zog ich sein Handgelenk auf die zerbrochene Scheibe nieder und rieb es hin und her, bis das Blut niederrann und die Wagenkissen durchnässte. Noch immer jammerte das Kind: »Lass mich ein!« und lockerte nicht seinen klammernden Griff; ich war fast wahnsinnig vor Entsetzen. »Wie kann ich?« antwortete ich schließlich, »lass mich los, wenn du willst, dass ich dich einlassen soll.« Die kleinen Finger lösten sich, ich zog meine Hand herein, türmte hastig die Bücher pyramidenartig vor das Loch und hielt mir die Ohren zu, um das jammervolle Bitten nicht mehr hören zu müssen. Wohl eine Viertelstunde, so schien es mir, hielt ich die Ohren geschlossen; doch sowie ich wieder aufhorchte, hörte ich das kummervolle Winseln: »Lass mich ein!«
»Geh weg«! rief ich, »ich werde dich nie einlassen, und wenn du zwanzig Jahre darum bitten solltest!« – »Es sind zwanzig Jahre«, klagte die Stimme. »Zwanzig Jahre! Seit zwanzig Jahren bin ich ruhelos gewandert.« Darauf hörte ich ein schwaches Kratzen von draußen, und der Stoß Bücher wankte. Ich wollte aufspringen, konnte aber kein Glied rühren und schrie in namenloser Angst gellend auf.
Zu meiner Verwirrung entdeckte ich, dass mein Schrei nicht nur eingebildet gewesen war, denn eilige Schritte nahten meiner Zimmertür, jemand stieß sie hastig auf, und durch die Fenster meines Bettraumes drang Lichtschein. Ich saß bebend da und wischte mir den Schweiß von der Stirn. Der Eingetretene schien zu zögern und murmelte etwas vor sich hin. Endlich sagte er flüsternd, anscheinend kaum eine Antwort erwartend: »Ist jemand hier?« Ich hielt es für das Beste, meine Anwesenheit zu bekennen, denn ich kannte Heathcliffs liebenswürdigen Ton zur Genüge und fürchtete, er werde weiter suchen, falls ich mich schweigend verhalten würde. Ich wandte mich also zur Seite und öffnete den Wagenschlag. Die Wirkung, die dies hatte, werde ich in meinem Leben nicht vergessen.
Heathcliff stand in Hemd und Unterhosen nahe der Stubentür; in der Hand hielt er eine Kerze, die ihm über die Finger tropfte. Sein Gesicht war so weiß, wie die Wand hinter ihm. Das Knarren des Wagenschlags erschreckte ihn wie ein Blitzstrahl. Das Licht entfiel seiner Hand, und seine Aufregung war so außerordentlich, dass er es kaum aufzuheben vermochte.
»Es ist nur Ihr Gast, Herr!« rief ich schnell, da ich ihm die Demütigung, noch länger seine Feigheit zu zeigen, ersparen wollte. »Ich hatte das Unglück, infolge eines Albtraumes laut zu schreien. Es tut mir leid, dass ich Sie weckte.«
»Zum Henker, Mr. Lockwood! Ich wünschte, Sie wären beim –«, begann mein Wirt und setzte das Licht auf einen Stuhl, da es seinen Händen von neuem zu entfallen drohte. »Und wer führte Sie in dies Zimmer?« fuhr er fort, während er die Fäuste ballte und mit den Zähnen knirschte. »Wer war es? Ich hätte große Lust, den betreffenden noch diesen Moment aus dem Hause zu jagen!«
»Es war Ihre Magd Zillah«, antwortete ich, aus dem Wagen springend. »Mir wär's recht, wenn Sie's täten, Mr. Heathcliff; sie verdient es wirklich. Ich vermute, sie wollte sich auf meine Kosten einen neuen Beweis dafür schaffen, dass es in diesem Raume spukt. Nun, daran ist kein Zweifel: er wimmelt von Kobolden und Gespenstern. Sie haben allen Grund, das Zimmer verschlossen zu halten, ich versichere Sie. Keiner wird Ihnen für einen Schlummer in dieser Geisterhöhle Dank wissen.«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Heathcliff, »und wo wollen Sie hin? Bleiben Sie nur für den Rest der Nacht darin, nun Sie mal da sind; aber um Himmelswillen, wiederholen Sie nicht das fürchterliche Geschrei, das nur zu entschuldigen wäre, wenn man versucht hätte, Ihnen den Hals abzuschneiden!«
»Hätte der kleine Satan zum Fenster hereingekonnt, sie würde mich erdrosselt haben«, entgegnete ich. »Ich werde mich der Verfolgung Ihrer gastlichen Ahnen nicht noch einmal aussetzen. War nicht der Reverend Jabes Branderham Ihnen von mütterlicher Seite her verwandt? Und das Satansmädel, Catherine Linton oder Earnshaw oder wie sie hieß? Sie muss ein Wechselbalg, eine gottlose kleine Seele gewesen sein! Sie sagte mir, sie gehe seit zwanzig Jahren um, sicherlich eine gerechte Strafe für ihre Vergehen bei Lebzeiten.«
Kaum hatte ich diese Worte geäußert, als ich mich der Verbindung von Heathcliffs und Catherines Namen in den Aufzeichnungen erinnerte, was meinem Gedächtnis bis eben ganz entfallen gewesen war. Ich errötete über meine Unbedachtsamkeit; ohne jedoch zu zeigen, dass ich mir des beleidigenden Charakters meiner Worte bewusst geworden sei, beeilte ich mich hinzuzufügen: »Die Wahrheit, Herr, ist die: ich brachte den ersten Teil der Nacht damit zu –« hier stockte ich von neuem; ich hatte sagen wollen: in jenen alten Bänden zu blättern – dann wäre aber meine Kenntnis ihres gedruckten wie auch ihres geschriebenen Inhalts offenbar geworden. So korrigierte ich mich also und fuhr fort: »damit zu, den in das Fensterbrett eingekratzten Namen zu buchstabieren; eine langweilige Beschäftigung, sie sollte mich schläfrig machen, wie etwa zählen oder ...«
»Was fällt Ihnen ein, Herr, so zu mir zu sprechen!« donnerte Heathcliff. »Wie – wie wagen Sie es unter meinem Dach?! – Gott! Er ist verrückt, solche Reden zu führen!« Und verzweifelt griff er sich an die Stirn.
Ich wusste nicht, sollte ich ihm diese Worte übelnehmen oder sollte ich sie nicht beachten und in meinem Bericht fortfahren. Doch da er mir so tief ergriffen schien, hatte ich Mitleid und erzählte weiter. Ich versicherte, dass ich den Namen Catherine Linton nie vorher gehört hätte, dass aber das häufige Überlesen desselben ihn, nachdem ich in Schlaf gefallen war, zu einer Traumgestalt personifizierte. Während ich so sprach, sank Heathcliff langsam in die Polster des Wagenbettes zurück, so dass er schließlich meinen Blicken ganz verloren war. Doch erriet ich an seinen schnellen, unregelmäßigen Atemzügen seine tiefe Bewegung. Da ich ihn nicht wissen lassen wollte, dass ich seine Aufregung bemerkt hatte, ordnete ich meine Kleidung, sah nach der Uhr und sagte wie für mich selbst: »Noch nicht drei Uhr! Ich hätte geschworen, dass es sechs sei. Die Zeit kriecht hier; wir müssen wohl schon um acht Uhr zur Ruhe gegangen sein.«
»Stets um neun im Winter; aufgestanden wird um vier«, sagte mein Wirt, ein Stöhnen unterdrückend, und wischte sich, wie ich an der Bewegung des Armes erriet, eine Träne aus den Augen. »Mr. Lockwood«, fügte er hinzu, »Sie können in mein Zimmer gehen; unten sind Sie so frühzeitig nur im Wege, und mir hat Ihr kindischer Schrei den Schlaf ohnedies zum Teufel gejagt.«
»Und mir auch«, erwiderte ich. »Ich will bis Tagesanbruch im Hof promenieren, und dann breche ich auf. Und Sie brauchen eine Wiederholung meines lästigen Besuches nicht zu befürchten; ich bin jetzt ganz davon geheilt, mein Vergnügen in der Geselligkeit zu suchen – sei es in Stadt oder Land. Ein vernünftiger Mann sollte an sich selbst Gesellschaft genug haben.«
»Ergötzliche Gesellschaft!« murmelte Heathcliff. »Nehmen Sie das Licht und gehen Sie, wohin Sie wollen«, sagte er dann. »Ich komme gleich nach. Aber gehen Sie nicht in den Hof, die Hunde sind nicht angekettet; und auf der Diele hält Juno Wache, und – nein! Sie können nur auf den Treppen und Gängen herumsteigen. Doch fort mit Ihnen. In zwei Minuten bin auch ich bei Ihnen.«
Ich gehorchte, soweit es das Verlassen des Zimmers anbetraf. Draußen jedoch stand ich still, da ich nicht wusste, wohin die engen Gänge führten; so wurde ich unbeabsichtigt Zeuge des seltsamen Benehmens meines Gastgebers, das mich fast an seinem Verstände zweifeln ließ. Er öffnete mit Gewalt das Fenster und brach in leidenschaftliches Weinen aus. »Komm herein«, schluchzte er, »komm herein! Cathy, komm, komm! O mein Herz, mein Lieb, nur einmal komm noch! Höre mich diesmal, höre mich endlich, Catherine!«