Yesterday Blues - Alissa Sky - E-Book

Yesterday Blues E-Book

Alissa Sky

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Als Julius seinen ehemaligen Zimmergenossen Noir zu einem Doppeldate bittet, erlebt er die Überraschung seines Lebens: Seine Verlobte war einst mit Noirs Partner liiert! Als auch noch herauskommt, dass Julius und Noir mehr als nur zusammen studiert haben, ist das Chaos perfekt. Welche der beiden Beziehungen kann dieses überstehen? Und sollte man eine zweite Chance nutzen, wenn sie sich bietet?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 217

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Alissa Sky

Impressum

© dead soft verlag, Mettingen 2021

http://www.deadsoft.de

© the author

Cover: Irene Repp

http://www.daylinart.webnode.com

Bildrechte:

© get4net – www.stock.adobe.com

1. Auflage

ISBN 978-3-96089-490-2

ISBN 978-3-96089-491-9 (epub)

Inhalt

Als Julius seinen ehemaligen Zimmergenossen Noir zu einem Doppeldate bittet, erlebt er die Überraschung seines Lebens: Seine Verlobte war einst mit Noirs Lebensgefährten liiert! Als auch noch herauskommt, dass Julius und Noir mehr als nur zusammen studiert haben, ist das Chaos perfekt.

Kapitel 1

Ein Abend der Überraschungen

„Müssen wir da wirklich hin?“, maulte Paul vor dem Spiegel und strich eine widerspenstige Strähne zurück.

Noir gab seinem Freund einen Klaps auf den Po, als er sich hinter ihm vorbeidrängte. Auf dieses Gespräch ließ er sich gar nicht erst ein. „Es ist nur ein kurzes Dinner mit Freunden.“

„Deine Freunde, nicht meine.“

„Genau genommen nur ein Freund“, verbesserte sich Noir, während er Haare von seinem Jackett streifte. „Ich kenne Julius’ Verlobte ja auch nicht. Wahrscheinlich will er nur mit dem dicken Klunker angeben, den er ihr angesteckt hat.“

Paul gab den Kampf gegen seine Frisur auf und drehte sich ihm zu. In seinem Gesicht war Schalk zu erkennen. Eine Augenbraue war ebenso höhergerutscht wie sein linker Mundwinkel. „Mit so Leuten bist du also befreundet?“

Noir bevorzugte, die Anschuldigung zu überhören. „War. Aber ja, sehr, sehr eng.“

„Eng genug, um diesen Abend über uns ergehen lassen zu müssen?“

„Ja, und wir werden ihn genießen!“

„Dein Wort in Gottes Ohr.“ Paul gab ein unzufriedenes Seufzen von sich und deutete zur Tür. „Dann lass uns los! Je früher wir dort sind, desto früher können wir wieder gehen.“

Noir ignorierte das Drängeln und trat selbst an den Spiegel, um einen letzten Blick hineinzuwerfen. Er brauchte meist länger als sein Partner, aber an diesem Abend hatte er sein Ritual bereits hinter sich. Er sah makellos aus. Ein wenig blass mit schwarzen Ringen um den strahlend blauen Augen, aber dagegen konnte und wollte er nichts machen. Make-up war etwas für Damen bei Opernaufführungen, wie er fand. Er kämmte sich also nur pseudomäßig mit den Fingern durch die Haare und folgte Paul zur Tür, der sie bereits geöffnet hatte und auf ihn wartete. Es sollte wohl keine Hilfsbereitschaft sein. Sein Lebensgefährte quengelte nur nonverbal – es war die etwas erwachsenere Version vom Aufstampfen mit dem rechten Fuß. Noir ließ es sich trotzdem nicht nehmen, Paul ein wenig zu necken, also lehnte er sich beim Vorbeigehen zu ihm und presste ihm einen Kuss auf die Wange. „Was für ein Gentleman!“

„Du weißt genau, dass ich dir die Tür nicht deswegen aufgehalten habe, oder?“, fragte dieser beim Abschließen. Seine Stimme war dank Noirs Zärtlichkeit aber nicht mehr ganz so kratzbürstig. Als er ihm kaum später das Auto öffnete, lächelte er sogar.

„Nochmals danke, dass du mich begleitest! Du bist mein Ritter in schimmernder Rüstung.“

„Übertreib es jetzt nicht, okay?“

„Wie du willst! Ich höre unterwegs sowieso lieber Musik als zu reden.“

„Woher kennst du den Typen noch gleich?“, fragte Paul, als er sich hinter das Steuer gesetzt hatte und den Motor startete – ehe er auch wie gewünscht das Radio anmachte.

„Das habe ich dir schon mindestens fünfmal erzählt. Wir waren drei Jahre lang Zimmergenossen im Studentenheim. Wenn du mir auch mal zuhören würdest, wüsstest du das. Seit Jahren.“

„Entschuldige! Wenn ich müde bin, gehen bei mir eben Sachen bei diesem Ohr rein und beim anderen ungehört wieder raus.“ Er schaute in den Rückspiegel und setzte zurück. Noir war sicher, dass er sich später auch an diesen Teil ihres Gespräches nicht erinnern würde. „Wir bleiben bis zweiundzwanzig Uhr. Maximal! Du weißt, dass ich morgen schon wieder um vier aus den Federn muss.“

„Ja, tut mir leid!“

„Kein Problem. Ich habe ja auch nicht nachgedacht, als ich dir zugesagt habe.“

Sie tauschten Blicke aus. Auf beide Gesichter war ein Lächeln geschlichen. Der Alltag machte sich in ihrem Leben bemerkbar, aber ihre Liebe war ungebrochen und wuchs jeden Tag sogar noch an.

„Danke, dass du trotzdem mitkommst.“ Noir lehnte sich über die Schaltung und küsste Paul noch einmal auf die Wange, obwohl er genau wusste, dass sein Freund jede Form des Körperkontakts beim Autofahren ablehnte.

Er lehnte sich danach also schnell in seinem Sitz zurück und kuschelte sich regelrecht hinein. Es war bereits stockdunkel und die Lichter der Laternen und Fenster huschten nur so an ihnen vorbei. Auf den Straßen war allerdings noch genug los, um sich beim Fahren besser zu konzentrieren. Noir verließ sich aber darauf, dass Paul ihn gesund und munter zum Restaurant befördern würde. Seine Zeit des Sturm und Drangs war vorbei. Endlich! Das Leben war einfacher mit einem Partner, der seine Gesundheit nicht aus Jux und Tollerei zum Fenster hinauswarf.

Noir lächelte in sich hinein, als er an ihr erstes Treffen dachte. Manche Leute legten es einfach auf eine Abreibung an. Es war unglaublich, dass er mit diesem Unglücksmagneten zusammengekommen war! Er warf einen Blick neben sich und ließ ihn an der muskulösen Gestalt hinauf- und hinabgleiten. Gut, zumindest ihre physische Anziehung war leicht erklärt. Die meisten seiner Freunde hatten ein verschwörerisches „Schon klar!“ von sich gegeben, als er ihnen Paul vorgestellt hatte. Eigentlich fand er das immer noch recht verletzend, denn von seinen engsten Vertrauten nahm er eigentlich an, dass sie ihn nicht als oberflächlich einschätzten. Konnte er es ihnen bei einem Sportlertyp wie Paul aber wirklich verdenken? Der Arsch hätte ohne weiteres in einer Werbung für Proteinpräparate auftreten können!

Noir zog die Lichtblende herunter und warf einen Blick in den Spiegel. Dafür hatte er ein schöneres Gesicht, machte er sich klar, ehe er sie wieder hochschob. Es fehlte ihm gerade noch, dass Paul ihm vorwarf, eingebildet zu sein. Das war er nämlich nicht. Ihn überkamen nur manchmal Selbstzweifel, wenn er Paul mit seinem schönsten Lächeln und seinem selbstsicheren Gehabe in einen Raum marschieren sah.

Meine Augenringe sind im gedämpften Licht eines romantischen Restaurants bestimmt nicht zu sehen, dachte Noir. Nicht, wenn man ihn nicht genau musterte. Aber würden der lange verschollene Studienkollege und die ihm völlig fremde Verlobte nicht genau das tun?

„Dort drüben ist es schon!“, schreckte ihn Paul aus den Gedanken und setzte den Blinker. „Parken wir gleich hier. Wer weiß, ob wir weiter vorne einen leeren Platz finden würden.“

„Ich gehe doch gerne mit dir spazieren“, neckte Noir und bekämpfte sein Grinsen. „Wenn wir Händchen halten, versteht sich.“

„Bist du heute wieder kindisch!“

„Hey, ich muss mich immerhin an dein Niveau anpassen!“

Ein Außenstehender hätte ihre Plänkeleien als Streit interpretiert, aber Noir und Paul schenkten sich nie etwas. Sie genossen ihre kleinen Wortgefechte meistens sogar. Nur weil sein Geliebter an diesem Abend schon müde war und er seinetwegen nicht viel Schlaf bekommen würde, steckte Noir zurück und ließ Paul das letzte Wort. Sein Freund belohnte das mit einem ausgestreckten Arm. Sie marschierten also Hand in Hand zum Lokal und spähten durch eines der Fenster. Es war unwahrscheinlich, Julius in einem so großen Saal zu entdecken, und doch schafften sie es.

„Da ist er!“ Noir löste seine Rechte aus Pauls Griff, um ihm auf die Schulter zu klopfen und auf seinen ehemaligen Studienkollegen zu zeigen. „Der gutgekleidete Mann an der Wand neben der Statue! Zweiter Tisch von rechts.“

„Bist du sicher?“

„Na, entschuldige mal! Ich werde doch den Typ wiedererkennen, mit dem ich drei Jahre lang Leben und Zimmer geteilt habe!“

„Der ist doch aber viel zu alt, um dein Studienkollege gewesen zu sein.“ Paul warf ihm einen prüfenden Blick zu, als müsste er sich erst davon überzeugen, dass Noir wirklich so jung war, wie er ihn vor seinem geistigen Auge vor sich sah. „Der kriegt ja schon graue Schläfen.“

„Du weißt aber schon, dass Menschen aller Altersgruppen studieren dürfen?“, fragte Noir verstimmt, ehe er weit leiser nachschob: „Und so viel älter ist er jetzt auch wieder nicht.“

„Kann sein … Wahrscheinlich kommt er mir nur so alt vor, weil du auch schon zwei Jahre älter bist als ich. Dann die Jahre zwischen dir und ihm dazugerechnet …“

„Anderhalb Jahre.“

„Sage ich doch!“

„Ein Jahr und fünf Monate, um genau zu sein. Also bin ich sogar weniger als anderthalb Jahre älter als du.“

Paul atmete laut aus. Sein Atem war in der kalten Nachtluft zu erahnen. „Willst du dich jetzt zu ihm setzen oder stehen wir nur hier rum und reden?“

„Ich muss das wirklich genau überlegen“, gab Noir giftig zurück und schüttelte den Kopf. „Wenn du so drauf bist, machst du nämlich keinen guten Eindruck! Und der erste ist mir in diesem Fall sehr wichtig.“

„Wieso sollte dir der bitte wichtig sein?“

„Gehen wir einfach rein! Los, komm!“

Paul bemerkte wohl, dass er den Bogen überspannt hatte, denn er gab keine Spitze von sich und sagte in der Tat einmal gar nichts. Er überließ Noir die Vorstellung und nickte dem fein angezogenen Kellner nur freundlich zu, als er sie an der Bar vorbei in den hinteren Bereich des Lokals führte. Es war ohnehin an Noir, seinen Freund von früher zuerst anzusprechen.

„Julius! Guten Abend! Dass wir es endlich mal geschafft haben!“

„Ah! Ich freue mich, dass ihr es einrichten konntet!“ Der gutgekleidete Mann in Schwarz erhob sich und reichte ihnen die Hand. Erst Paul, den er bisher nicht kannte, mit festem Druck und direktem Blickkontakt. Es sollte wohl seine non-verbale Version von „Ich habe keine Berührungsängste mit der Queer-Community!“ sein. Julius war schon immer ein recht vornehmer Mann gewesen, aber sein gereiftes Äußeres und seine Manieren taten das ihre, um ihm die Aura eines Gentlemans zu verleihen. „Schön, Sie kennenzulernen! Es ist mir wirklich eine große Freude. Ich habe in den guten, alten Tagen ja schon einiges von Ihnen gehört.“

„Danke für die Einladung.“ Paul erwiderte das Lächeln, aber es war ihm anzusehen, dass er sich nicht ganz wohl bei diesem Doppeldate fühlte. So etwas lag ihm einfach nicht. Wer einmal Pauls Freundschaft errungen hatte, besaß sie für immer, aber um diese zu erhalten, musste man sich anstrengen und vor allem auch Glück haben, ihm überhaupt lange genug nahe zu sein, um sich in sein Herz schleichen zu können. Es geschah diese Tage nur noch selten. „Ich wünschte, ich könnte das Kompliment zurückgeben.“

Noir wäre am liebsten ins nächste Mauseloch gekrochen. Nein, ein talentierter Rhetoriker würde sein Lebensgefährte nie werden. Er war ein Mann fürs Grobe und meistens dachte er nicht über die Dinge nach, die er sagte. Da er das Herz aber am rechten Fleck hatte, ließen sich zumindest die meisten Handgreiflichkeiten vermeiden – und in ihrem Freundeskreis war sein fehlendes Einfühlungsvermögen ohnehin kein Thema mehr. Über derartige Beobachtungen konnte Noir sich aber später noch Gedanken machen, denn Julius wandte sich ihm bereits zu. Sein Händeschütteln war nun weit intimer. Er legte zusätzlich die Linke auf Noirs Finger und drückte sie fest.

„Wir haben unser Treffen wirklich viel zu lange hinausgeschoben.“

„Es gab immer viel zu tun.“ Das war nur halb gelogen, denn Noir war vollkommen sicher, dass die Führung einer eigenen Klinik selbst ein Genie wie Julius fordern musste. So sehr er seinen Freund dafür auch bewunderte, bei dem Gedanken an dessen Aufstieg fühlte er sich unwohl. Seit der unerwarteten Einladung hatte er es geschickt verdrängt, aber was wollte er seinem überaus erfolgreichen Studienkollegen sagen, wenn er ihn nach seinen eigenen Erfolgen fragte? „Du hast schon bestellt?“

„Ich wollte nicht, dass ihr auf den Wein warten müsst, wenn ihr ankommt! Also, los! Setzen wir uns doch!“ Julius deutete auf die beiden Stühle gegenüber seiner Seite und lächelte Noir fröhlich an. Im Gegensatz zu ihnen war er in bester Laune. „Ich hoffe, ich habe euren Geschmack getroffen.“

„Bei Wein in einem so schicken Restaurant kann man bestimmt nichts falsch machen“, meinte Paul und damit hatte er wahrscheinlich sogar recht, obwohl er keinerlei Ahnung von Weinen hatte. Château-Wein aus Frankreich oder billiger Supermarktfusel war ein und dasselbe für ihn – und dafür liebte ihn Noir sogar ein wenig. Er selbst konnte mit überteuerten Tropfen ebenso wenig anfangen. Nicht, dass sie sich preisgekrönte Marken hätten leisten können …

„Seid ihr gut hergekommen?“, fragte Julius und lächelte dabei so fröhlich, dass Noir nicht sagen konnte, ob es nur ein geschickter Themenwechsel sein sollte.

„Wir kommen öfters an diesem Lokal vorbei“, erklärte er ebenfalls mit einem Lächeln.

„Ich hatte einen längeren Auftrag ganz in der Nähe“, fügte Paul hinzu und deutete zum Fenster hinaus die Straße in den Norden hinauf. „Ich war beim Rainlandt-Projekt mit dabei.“

„Tatsächlich?“ Julius nickte ihm zu. „Es ist ein wundervolles Gebäude geworden. Sehr modern und doch mit einem Touch Heimeligkeit und Bauernschick.“

„Ja, stimmt. Letzterer kam von mir. Ich habe alle Holzpartien designt und selbst hergestellt.“

„Hört, hört! Sie sind also ein Möbeldesigner und -hersteller?“

„Mir ist es lieber, wenn man uns als das bezeichnet, was wir sind: Tischler. Ich finde all diese neudeutschen Bezeichnungen unnötig und vor allem auch unnötig kompliziert. Environment Improvement Technician … Trifft es Putzfrau nicht viel genauer?“

Noir nahm einen viel zu großen Schluck aus seinem Glas. Er sah sich erneut nach einem Loch um, in das er sich verkriechen konnte – obwohl er im tiefsten Inneren Pauls Meinung teilte. Man musste allerdings nicht schon alle Überzeugungen hinausschreien, wenn man jemanden gerade erst kennenlernte. Einen Mann von Julius’ hohem Bildungsstand noch dazu!

„Ich denke, es geht hier vor allem um die Genderneutralität. So kann auch ein Mann putzen gehen, ohne sich ausgeschlossen zu fühlen.“

„Was spricht denn gegen das Wort ‚Putzmann‘, wenn man schon neue Begriffe einführt?“

Einen Moment trat Schweigen ein. Noir wusste nichts zu sagen, denn Paul hatte erneut einen Punkt. Ihr Gegenüber hingegen schien zu überlegen, wie er auf Pauls ungefilterte Aussagen reagieren sollte. Es war offensichtlich, dass er sich sonst in Kreisen befand, in denen Termini wie dieser beschlossen wurden – nicht kritisiert oder gar ins Lächerliche gezogen.

„Wo ist denn eigentlich deine Verlobte?“, fragte Noir schnell, der genau wusste, dass sie mitgekommen sein musste, weil ein viertes Glas auf dem Tisch stand.

„Sie ist bestimmt mal wieder extra lang im Bad, um sich hübsch zu machen. Was sie natürlich überhaupt nicht nötig hat. Aber du kennst ja die holde Weiblichkeit! Sie will doch immer den besten Eindruck machen.“

Im Gegensatz zu so manch anderen, dachte Noir und warf dem Mann seines Lebens einen Blick von der Seite zu.

„Ah, da kommt meine Angebetete ja schon!“ Julius erhob sich und umrundete den Tisch, um ihr entgegenzugehen. „Guten Abend, mein Schatz! Ich habe schon befürchtet, etwas ist dir dazwischengekommen. Schön, dass du es geschafft hast.“

„Entschuldige! Ich musste nochmal zurück ins Büro. Wartest du schon lange?“

„Ich würde Jahre auf dich warten. Das weißt du doch! Aber jetzt komm! Ich stelle dir unsere Gäste vor!“

Noir und Paul erhoben sich wie auf ein geheimes Signal und drehten sich dem letzten Mitglied ihres Quartetts zu.

„Oh, fuck!“

Noir starrte seinen Lebensgefährten entrüstet an. „Paul!“

„Scheiße, nein! Das verstehst du nicht!“ Sie tauschten Blicke aus und Noir bemerkte erst in diesem Augenblick, wie erschrocken Paul aussah. Er war regelrecht weiß geworden. „Das ist meine Verlobte! Ich meine, Ex-Verlobte … Das ist Renée! Meine Renée!“

Wahrscheinlich wich auch ihm jede Farbe aus dem Gesicht. Damit hatte er nicht gerechnet. Natürlich nicht! Wer konnte denn eine solche Entwicklung erwarten? Niemand! Die Chancen dazu standen eins zu Millionen! Noir war zu perplex, um eine Begrüßung herauszubringen. Er schaffte es nicht einmal, eine Hand für einen non-verbalen Gruß zu heben. Ihm wurde allerdings verdammt heiß. Vielleicht wurde er gar nicht blass. Wenn er Pech hatte, lief er so rot wie eine Tomate an.

„Meine Herren“, begann Julius an den Tisch zurückgekommen, „das ist meine atemberaubend schöne, hinreißende und talentierte Renée.“

„Wir kennen uns bereits“, erklärte die junge Frau und hielt Paul nach einem Moment des Zögerns die Hand hin. „Schön, dich wiederzusehen … auch wenn es etwas ungewöhnliche Umstände sind.“

„Ebenfalls … Ich meine, schön dich wiederzusehen. Du siehst umwerfend aus.“

Renée musterte Paul recht auffällig von oben bis unten. Es war eindeutig, dass sie das Kompliment ohne Zögern zurückgeben konnte. Noir war gespannt, ob sie es tun würde. Nach einem dafür zu langen Moment, ließ sie sich schließlich dazu herab: „Du auch. Der Bart steht dir. Du siehst aus wie einer der Businessmänner in den höchsten Etagen.“

„Danke … Ich nehme zumindest an, dass das ein Kompliment sein sollte.“ Paul zwang sich ein verlegenes Lächeln auf und hob die Hand zu einem Händeschütteln. Ihm fiel wohl zu spät auf, dass sie das bereits getan hatten, also hob er sie höher und kämmte sich mit den Fingern durchs Haar. „Du bist also wirklich Geschäftsfrau geworden?“

„Eine sehr erfolgreiche noch dazu“, warf Julius von der Seitenlinie aus ein.

„Ich gebe mir zumindest die größte Mühe, unter die Top-Leute des Landes zu kommen.“ Sie drehte den Kopf zur Seite, um ihre Locken hinter ihre Schulter zu werfen. Es war faszinierend anzusehen. „Und du bist jetzt also … schwul?“

„Bisexuell.“ Julius gab Paul nicht einmal die Chance, selbst zu antworten. „Nachdem man nicht einfach über Nacht eine neue Sexualität bekommt, ist anzunehmen, dass es sich hier um einen Fall von Bisexualität handelt.“

„Da hast du wahrscheinlich recht. Ich bin nur etwas verwundert, mehr nicht.“

„Das ist übrigens Noir, von dem ich dir schon so viel erzählt habe.“

Renée schaute von ihrem Verlobten fort und direkt in sein Gesicht. Er verspannte sich deswegen. Er glaubte nicht, dass die Blondine bereits von ihm wusste. Julius hatte sich in den letzten Jahren nicht einmal bequemt, sich ein einziges Mal mit ihm zu treffen. Wie oft konnte er da schon in seinen Gedanken auftauchen, um anderen von ihm zu erzählen? Noir hingegen wusste so einiges von der jungen Frau, denn Paul hatte ihm alles gestanden, alles berichtet und wohl nicht das unbedeutendste Erlebnis mit ihr ausgelassen. Zumindest das half ihm dabei, Fassung zu wahren: Er war ihr immerhin einen Schritt voraus.

Trotzdem war es Renée, die zuerst die Hand für eine verspätete Begrüßung hob.

„Ich muss mich wahrscheinlich nicht mehr vorstellen“, begann sie mit einem wenig überzeugenden Lächeln und deutete mit dem Kopf in Richtung ihrer jeweiligen Partner. „Der Abend verspricht, interessant zu werden, nicht wahr?“

Das konnte sie laut sagen! Noir war noch immer so überfahren, dass er noch einen Moment brauchte, ehe er mit einem Nicken reagieren konnte. „Das ist wahr. Wie gesagt, ich bin Noir, Pauls Lebensgefährte. Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen.“

Wenn das keine Lüge war, dann wusste er nicht, was er sonst als solche definieren sollte.

„Setzen wir uns! Der Wein erwartet uns bereits!“

Renée setzte sich ohne ein Zeichen auf den Stuhl neben jenem, den Julius zuvor ausgesucht hatte. Das hieß wohl, dass das Liebespaar öfter in diesem Lokal speiste und sie bereits Stammplätze hatten. Wahrscheinlich war der ausgesuchte Wein ebenfalls der Lieblingstropfen der adrett gekleideten Blondine.

„Na, komm!“, wiederholte Julius seine Einladung und legte Noir die Hand aufs Kreuz, wie er es sonst bei seinen Damen tat, wenn er sie in eine bestimmte Richtung lenken wollte.

Noir war zu perplex, um eine Andeutung darüber zu machen. Er setzte sich nur Julius gegenüber hin und nahm einen großen Schluck vom bereitgestellten Rotwein. Paul hätte ihm seine Nervosität deswegen bestimmt angesehen, wenn er denn in seine Richtung geschaut hätte. Natürlich haftete sein Blick aber auf dem Gesicht seiner Verflossenen.

Wenn er nur auf ihn gehört und das Treffen abgesagt hätte!

„Bestellen wir doch erst mal!“, schlug Julius vor, weil die Luft um sie immer dichter zu werden schien. Bald würde man sie mit einem Messer schneiden können. „In einem solchen Restaurant wird man zwar nicht zur Eile gedrängt, aber die Blicke der überheblichen Kellner sind dafür umso eindringlicher.“

„Julius!“, tadelte Renée und nahm doch die edel ausgestattete Speisekarte entgegen, als ein hochgewachsener Mann in einem schwarzen Anzug sie ihr als erste überreichte.

Die beiden Verlobten waren recht schnell bei ihrer Auswahl, was Noirs Verdacht bestätigte. Es musste sich um ein ihnen bekanntes Restaurant handeln. Er selbst warf ebenfalls nur einen kurzen Blick in die Karte, denn ihm war der Hunger vergangen. Darüber hinaus verstand er die Namen der meist französischen Gerichte ohnehin nicht.

Entweder erriet Julius seine Lage oder er erinnerte sich an seine Vorlieben, denn er deutete auf die immer noch geöffnete Karte und riet ihm, einen Blick auf Seite vier ganz oben zu werfen. Noir machte sich gar nicht erst die Mühe, nachzusehen, worum es sich dabei handelte. Er nickte nur, woraufhin sein Freund eben dieses Gericht bestellte. Paul hingegen nahm sich seine Zeit, auch wenn seine Stirn in tiefen Falten lag und er einmal sogar an der Innenseite seiner Wange kaute. Er war offensichtlich ebenso überfordert wie er selbst. Es überraschte Noir deswegen, als sein Lebensgefährte nach einer gefühlten Ewigkeit in makellosem Französisch bestellte.

Woher kam das denn? Ihm war nicht bewusst gewesen, dass Paul jemals einen Kurs besucht hatte.

Oder lag es an Renée? Hatten sie im Laufe ihrer Beziehung erlesene Lokale wie dieses besucht und er erinnerte sich an die Namen? Wenn es so gewesen war, dann musste er sich regelrecht für seine Ex-Freundin überwunden haben, denn seit ihrer Anfangszeit hatte Paul nicht ein einziges Mal Interesse an einem Restaurant dieser Preisklasse gezeigt. Im Gegenteil! Am glücklichsten war er mit einfacher Hausmannskost oder selbst gebackener Pizza.

„Du möchtest wirklich dieses Gericht?“, fragte Renée scheinbar mehr an ihrer Serviette als an der Antwort interessiert. „Früher konnte man dich damit regelrecht verjagen.“

„Geschmäcker verändern sich mit der Zeit“, erwiderte Paul und zuckte mit den Schultern, ehe er einen auffälligen Blick in Julius’ Richtung warf. „Das weißt du doch selbst genau.“

„Das ist wahr. Bei manchen verändert er sich aber weit mehr als bei anderen, oder?“

„Kommen wir doch gleich zum Grund unseres erfreulichen Wiedersehens.“ Julius hatte eindeutig die Ruhe weg. Entweder das, oder er ignorierte einfach, dass an diesem Tisch das Potenzial für eine Gruppenschlägerei schwelte. „Noir, ich möchte, dass du auf meine Hochzeit kommst. Es wäre mir eine Ehre, wenn du den Trauzeugen für mich übernehmen könntest, falls mein Cousin bis dahin nicht wieder auf den Beinen ist.“

Renée warf ihrem Verlobten einen Blick zu, der mehr als tausend Worte sagte. Julius blickte zwar nicht in ihre Richtung, aber er schien ihn dennoch zu bemerken, denn er fügte hinzu: „Unbedingt!“

„Ich …“ Noir wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Es war das erste Mal seit seinem Studium, dass er Julius zu Gesicht bekam. Das alleine war schon aufregend genug – aber seinen Trauzeugen zu spielen? Das war die Aufgabe des besten Freundes oder eines geschätzten Familienmitgliedes. Was sollte das? „Ich kann das noch nicht beantworten … Ich weiß ja noch nicht einmal, an welchem Datum ihr die Hochzeit feiern wollt …“

„Erst in vier Monaten! Also keine Sorge! Bis dahin kannst du dir bestimmt deine Termine passend einteilen.“

„Schatz“, fragte Renée in ihrer aufgesetzt ruhigen Art, „denkst du nicht, dass es Paul gegenüber sehr unhöflich wäre, sein Kommen auf die Hochzeit seiner Ex-Verlobten zu verlangen?“

„Stört es dichdenn, dass Noir kommt?“

„Du meinst Paul“, verbesserte die hübsche Blondine mit einem entnervten Lächeln.

„Ich hatte nichts mit Paul“, widersprach Julius.

Es dauerte eine Sekunde, aber dann sank die Bemerkung und Renées Augen weiteten sich ebenso, wie sich Pauls Mund öffnete. Ihm fiel regelrecht die Kinnlade runter.

„Du willst doch nicht etwa sagen …“

„Wir waren jung und abenteuerlustig“, unterbrach Julius seine Verlobte, ehe ihre Stimme noch vorwurfsvoller werden konnte. „Während des Studiums soll man sich doch finden und Dinge ausprobieren.“

Noir fand es nicht gerade schmeichelhaft, dass er mehr oder weniger als „Ding“ bezeichnet wurde. Er schluckte seinen Missmut aber, denn er verstand nur zu gut, dass diese Offenbarung für die unvorbereitete Verlobte ein Schock war. Wieso Paul ihm wütende Blicke zuwarf, war ihm hingegen ein Rätsel. Er hatte ihm nie vorgemacht, dass er jungfräulich in ihre Beziehung geschlittert war. Woher also kam der Vorwurf in seinen Augen?

„Zurück zum Thema“, meinte Julius, immer noch Herr der Lage. „Würdest du denn mein Trauzeuge sein wollen?“

Noir atmete tief durch und hoffte, dass er ebenso gelassen wirkte wie sein Gegenüber. Er bezweifelte es. „Es spricht nichts dagegen. Aber wieso ich?“

„Mein Cousin hatte einen schweren Unfall und als Fachmann lehne ich mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich behaupte, dass er für die Hochzeitsvorbereitungen … vielleicht sogar die Zeremonie selbst … ausfällt.“

„Ja, so etwas dachte ich mir schon. Aber wieso bin ich der Ersatzmann? Gibt es keinen Onkel oder zweiten Cousin oder … du weißt schon … Freunde, die du öfter als einmal alle fünf Jahre siehst?“

„Julius hat keine Freunde“, stellte seine Sitznachbarin klar und strich ein letztes Mal über die ausgebreitete Serviette über ihrem Schoß. Der Kellner servierte ihr natürlich zuerst. „Er ist ein Workaholic. Manchmal sehe selbst ich ihn tagelang nicht. Dabei sollte man annehmen, dass man als Chef einer Klinik mehr Zeit auf dem Golfplatz verbringt als im OP.“

„Ich muss die Angestelltenkosten tief und die Arbeitszeit der Kollegen dabei doch so gering wie möglich halten, ohne die Qualität für unsere Patienten zu verringern.“

Julius klang immer noch gelassen, aber seiner Stimmlage war anzuhören, dass sie dieses Gespräch wohl schon des Öfteren geführt hatten. Noir fragte sich, ob nur er es bemerkte oder ob auch ein Unbekannter es tat. Er würde Paul auf der Autofahrt zurück nachhause danach fragen … falls er überhaupt zu Wort kommen würde. Immerhin war es das erste Wiedersehen mit Renée seit der katastrophalen Trennung am Campus, die Paul regelrecht das Herz gebrochen hatte.

„… außerdem habe ich kein Talent für Golf. Oder, Noir?“

Er hatte nicht zugehört! Er zuckte also nur unverfänglich mit den Schultern. Bei genauerer Überlegung konnte er sich aber nicht daran erinnern, auch nur ein einziges Mal mit Julius auf einem Golfplatz gewesen zu sein. Aber vielleicht meinte er ja genau das?

„Deswegen sage ich dir doch, dass du Stunden bei diesem Lehnert nehmen sollst“, fuhr Renée fort, als wollte sie gar nicht erst auf seine Antwort warten. Wahrscheinlich war es auch so. „Wann bietet sich jemals wieder die Chance, bei einem international gefeierten Golfstar in die Lehre zu gehen? Nimm das Angebot besser an, bevor er es zurückzieht. Er hat es ohnehin nur gemacht, weil ihm die Szene in der Klinik so peinlich war.“