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Als der attraktive Adrian ins Nachbarhaus einzieht, ist Florian sofort Feuer und Flamme. Doch aus irgendeinem Grund beißt er bei Adrian auf Granit, obwohl sie bald in längeren Chats feststellen, dass sie eine Menge Gemeinsamkeiten haben. Ein weiteres Problem ist, dass Florian nicht weiß, wie er Adrian gestehen soll, dass er ein Gestaltwandler ist – ein Werhund. Außerdem geraten die beiden sich immer wieder aus unerfindlichen Gründen in die Haare. Ob das daran liegt, dass Adrian ein nicht unwesentliches Geheimnis für sich behält und die beiden sich eigentlich buchstäblich nicht riechen können?
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Seitenzahl: 427
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Alissa Sky
© dead soft verlag, Mettingen 2018
http://www.deadsoft.de
© the author
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode.com
Bildrechte:
© DoraZett – fotolia.de
© Artem Furman – fotolia.de
1. Auflage
ISBN 978-3-96089-215-1
ISBN 978-3-96089-216-8 (epub)
Als der attraktive Adrian ins Nachbarhaus einzieht, ist Florian sofort Feuer und Flamme. Doch aus irgendeinem Grund beißt er bei Adrian auf Granit, obwohl sie bald in längeren Chats feststellen, dass sie eine Menge Gemeinsamkeiten haben.
Ein weiteres Problem ist, dass Florian nicht weiß, wie er Adrian gestehen soll, dass er ein Gestaltwandler ist – ein Werhund. Außerdem geraten die beiden sich immer wieder aus unerfindlichen Gründen in die Haare. Ob das daran liegt, dass Adrian ein nicht unwesentliches Geheimnis für sich behält und die beiden sich eigentlich buchstäblich nicht riechen können?
„Flo! Hey, Flo! Das musst du dir ansehen!“
„Was ist denn?“, fragte Florian verstimmt. Er war gerade erst übers Gewächsgitter zum Dach hochgeklettert und wollte die Triebe nun auch in die richtige Stellung bringen. Genau genommen machte er das nur für Michael und seinen an Besessenheit grenzenden Perfektionismus. Ihm selbst war schnurzpiepegal, ob die wilden Weinreben die gesamte Hausfront bedeckten oder nicht. Manchmal konnte er kaum glauben, wie sehr ihr Lebensstil inzwischen an Spießertum grenzte, aber was tat man nicht alles für den wichtigsten Menschen im Leben … „Kann das nicht warten?“
„Nein! Sonst verpasst du die neuen Nachbarn!“, drängelte Michael.
„Was?“
Das alte Haus auf dem Nachbargrundstück war das Einzige im ganzen Ort, das ihr eigenes an Altbackenheit überflügelte. Hätte auch nur ein einziger Gartenzwerg im Vorgarten gestanden, es wäre auf der Titelseite der „Schöner leben im romantischen Vorort!“ erschienen. Florian war sicher, dass es eine derartige Zeitschrift geben musste – und wenn nicht, dann saß wahrscheinlich gerade irgendein Typ in kariertem Hemd samt Schal vor seinem nigelnagelneuen Laptop und entwarf besagte Zeitschrift.
Er hätte Haus und Hof verwettet, dass es Jahre dauern würde, bis sich ein Rentnerpaar dazu herabließe, nebenan einzuziehen. Zu seinem Leidwesen hatte er tatsächlich gewettet. Schade um die hundert Euro. Hoffentlich würde sich Michael wenigstens so galant zeigen, ihm beim nächsten Abend in der „Schakal-Bar“ ein Bier auszugeben.
Als Florian nur noch ein Meter vom Boden trennte, sprang er vom Gitter und steckte das Zentimetermaß ein, mit dem er den zartgrünen Trieben seinen Willen hatte aufzwingen wollen. Es war natürlich auch Michaels Wille gewesen – so wie immer, seit er zwölf und sein Adoptivbruder sechs gewesen war. Er ging zu diesem und stellte sich auf die Zehenspitzen, um besser zu sehen, wer sie von nun an mit seiner Anwesenheit beehren würde.
„Nicht so auffällig, Flo!“, warnte Michael. „Sonst denkt der noch, dass wir ihn ausspionieren.“
„Was wir auch gerade tun“, nervte Florian zurück. Diese kindischen Neckereien würden sie wohl niemals sein lassen. „Davon abgesehen beweist mein mit Grasflecken übersätes Shirt ja wohl, dass ich im Garten zugange war.“
„Ich habe dir gesagt, du sollst nicht im Tank-Top herumwerkeln … Angeber.“
Florian kam nicht mehr dazu, eine Bemerkung zurückzugeben, denn die Tür des kleinen weißen Lieferwagens öffnete sich. Einen Moment später stieg auch schon ihr neuer Nachbar aus – und Florian wünschte sich, das Zentimetermaß doch in der Hand behalten zu haben, um sich wenigstens etwas von seinem Starren abzulenken. Er fand es mindestens so unhöflich wie unverschämt, dass er den Neuankömmling derart begaffte, aber er konnte es nicht ändern, denn sein neuer Nachbar sah umwerfend aus. Groß und schlank, dabei aber gut gebaut, mit einem Gesicht wie aus einem Hollywoodfilm. Sein dunkelbraunes Haar fiel ihm beinahe bis auf die Schultern … Florian überkam die Lust, seine Finger hindurchgleiten zu lassen. Sein Hals war trocken. Er räusperte sich.
Der neue Nachbar schaute wohl deswegen zu ihnen hinüber. Hatte er sie beim Einbiegen in die Auffahrt nicht gesehen? Oder hatte er ihnen eigentlich ausweichen wollen und fühlte sich nun ertappt?
„Los, komm!“ Michael warf ihm einen neckischen Blick zu. „Sagen wir mal hallo!“
Tatsächlich trafen sie sich in der Mitte der Einfahrt, denn der Fremde marschierte unmittelbar nach ihnen los. Er stellte den Umzugskarton, den er vor sich hertrug, aber nicht neben sich ab. Das war ein untrügliches Zeichen dafür, dass er es nicht auf einen längeren Plausch anlegte.
„Willkommen in der Nachbarschaft!“, grüßte Michael bereits auf fünf Schritte Entfernung und grinste sein typisches Paradelächeln. „Wir sind ab jetzt also Nachbarn.“
„Wenn das da Ihr Haus ist … ja, dann ist dem wohl so. Schön, Sie kennenzulernen.“
„Fangen wir doch gleich mit ‚Du‘ an. Ich bin Michael. Das ist Florian, der ungekrönte Heimwerkerkönig der Nachbarschaft.“
Florian streckte automatisch den Arm zum Händeschütteln aus. Er hatte, vom Aussehen seines Gegenübers hingerissen, nicht nachgedacht. Der neue Nachbar bemühte sich aber, ihn aus seiner peinlichen Lage zu retten, indem er den schweren Karton nur auf der Linken balancierte und ihm die Rechte reichte.
„Erfreut. Adrian. Die Gegend ist wirklich bezaubernd. Nach einem derart ruhigen Plätzchen mit guter Verkehrsanbindung habe ich lange gesucht.“
Gute Verkehrsanbindung? Florian fühlte sich verpflichtet, ihm mitzuteilen, dass es gerade einmal einen Bus pro Stunde gab und dass dieser um halb sieben Uhr abends den Betrieb einstellte. Andererseits musste Adrian ja irgendwie zur Besichtigung des Anwesens gekommen sein, also war ihm das wohl klar und er wollte nur höflich sein. Das oder er meinte die Nähe zur nächsten Stadt, die mit einem Flitzer in einer Viertelstunde zu erreichen war.
Florian stellte fest, dass er die ihm dargebotene Hand immer noch schüttelte. Er ließ eilig los und lächelte gezwungen. Es roch, als ob ein ganzer Reisebus voller It-Girls hinter ihm Selfies schießen würde.
„Mir ist ein Parfumflakon runtergefallen“, verteidigte sich der Hübschling, dem Florians verwunderter Blick nicht entgangen war.
„Aha“, sagte Michael und warf Florian, aus welchem Grund auch immer, einen neckenden Blick von der Seite zu.
„Der Lieblingsduft meiner Schwester“, fügte der junge Mann mit rollenden Augen hinzu. „Nur so zur Info, auch wenn es meine Nachbarn eigentlich nichts angeht. Ich könnte mich in Rosenwasser baden und es wäre meine Sache.“
Florian schlug Michael in die Rippen. Der Neuankömmling hatte recht, das ging sie tatsächlich nicht das Geringste an. Außerdem war nicht gleich jeder schwul, der gern Parfum trug. Florian kannte eine ganze Reihe von metrosexuellen Männern, die sich lieber einen Keuschheitsgürtel angezogen und den Schlüssel weggeworfen hätten, als einen Schwanz auch nur in die Nähe ihrer Hinterpartie kommen zu lassen.
„Sollen wir beim Schleppen der Kisten helfen?“, bot Florian an, um dem peinlich aufgeladenen Moment zu entkommen.
„Das ist sehr nett, aber ich möchte euch nicht …“
„Gar kein Problem!“, meldete sich Michael zu Wort und lächelte fröhlich in die Runde. „Ich schleppe lieber Kisten, als weiter im Garten zu malochen. Meine Finger sind schon ganz spröde.“
Zur Unterstreichung seiner Worte hob er beide Hände hoch. Im Gegensatz zu Florians waren sie halbwegs sauber, was ihn vermuten ließ, dass er sich bei der Verschönerung ihres Anwesens zu viel Mühe gab. Anstatt das zu kommentieren, erklärte Florian beschwichtigend: „Wenn Sie … du nicht willst, dass wir … als völlig Fremde … in dein Haus kommen …“
„Ähm, nein … nein. Das ist schon okay“, sagte Adrian schnell und drückte Florian zum Beweis den Karton an die Brust. Dieser war ganz schön schwer. Dass der neue Nachbar ihn mit nur einer Hand – und mit solcher Leichtigkeit dazu – getragen hatte, machte Florian schon ein wenig an. Er ließ es sich aber nicht anmerken, weil Adrians Blick noch immer auf ihm ruhte. „Dann gehe ich mal und sperre die Tür auf.“
Während Michael zum kleinen Laster ging, um die erste Ladung herauszuheben, marschierte der Neuankömmling also zum Eingang seines Hauses. Florian war sich nicht sicher, was er davon halten sollte, dass er ihnen vertrauensselig den Rücken kehrte.
„Einfach in den Vorraum stellen“, riss ihn Adrian aus seinen Gedanken und deutete auf die geöffnete Tür. „Ich hole schon mal das nächste Zeug.“
Florian trat ungeniert ein und schaute sich im „Vorraum“ um. Es war eigentlich kein abgeschlossener Raum wie in seinem eigenen Haus, sondern ein engerer Eingangsbereich, der nahtlos ins erste Zimmer des Hauses überging. Von außen täuschte die Bude. Im Inneren war sie weit moderner, mit großen, freien Flächen und hohen Fenstern, die das Licht ungestört hereinfallen ließen. Florian war verwundert, dachte aber nicht weiter drüber nach und beeilte sich stattdessen, wieder unter die Sonne zu kommen. Er wollte nicht schon in der ersten Stunde als „Gruftspion“ bei den neuen Nachbarn verschrien sein.
Auf dem Weg zum Kastenwagen kam ihm Michael auf halber Strecke entgegen. Er zog eine Augenbraue hoch, als er den beinahe leeren Wäschekorb in den Armen seines Adoptivbruders entdeckte.
„Schon klar“, rief Florian. „Das war nur zufällig das Oberste.“
„Quatsch!“, flüsterte Michael ihm beim Passieren zu. „Ich lasse die schweren Kisten für dich stehen, damit du mit deinen Muckis angeben kannst.“
„Ja, genauso sieht mir dein Grinsen aus.“
Michael erwiderte nichts, aber sein zufriedenes Lachen konnte man auch als Antwort deuten.
Florian schaute zum Himmel und schüttelte den Kopf. Irgendwann würde er seinem Adoptivbruder diese freche Art abgewöhnen müssen. Weil sie ihm aber doch ein gutes Gefühl verschaffte, ließ er Erziehungsmaßnahmen fürs Erste bleiben. Er war schließlich dankbar dafür, dass Michael den Tod seiner Eltern so gut überwunden hatte. Was ihn selbst betraf, litt er weit mehr unter ihrem Verlust, auch wenn er nur durch Adoption zu den Richters gehörte. Genau genommen hatte er noch nicht einmal den Tod seiner biologischen Familie überwunden. Daran wollte er aber nicht denken. Der Tag hatte so fröhlich angefangen.
„Was soll ich als Nächstes nehmen?“, fragte er Adrian, um sich von seinen düsteren Gedanken abzulenken.
„Einen Moment noch! Ich bringe den verdammten Knoten nicht auf.“
Florian machte einen Schritt zur Seite und schaute in den Wagen, in dem Adrian sein Hab und Gut mit mehreren Seilen festgebunden hatte. Er hatte es dabei wohl mit der Vorsicht übertrieben.
„Soll ich ein Messer holen?“
„Nein. Das muss auch anders gehen.“
Nicht einmal Alexander der Große hätte es geschafft, dieses Wirrwarr an Seilen zu lösen. Der Gordische Knoten war ein Dreck dagegen.
„Vielleicht … wenn wir eine der Schachteln herausquetschen können … Dann sollte mehr Spielraum für die anderen Sachen sein. Ich versuche es mal von der anderen Seite aus.“
Florian musste seinem Nachbarn zumindest zugestehen, dass er nicht gleich aufgab. Auch wenn er sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, wie sie das ohne drastischere Maßnahmen schaffen sollten.
„Wieso versucht ihr nicht, den Vordersitz etwas zurückzukippen?“, meldete sich Michael aus dem Hintergrund.
Adrian und Florian schauten sich einen Moment an. Ihm wurde dabei heiß, und es lag nicht an der herunterknallenden Sonne. Sie beherzigten den Vorschlag, und natürlich lag Michael goldrichtig – so wie immer. Florian konnte sich trotzdem nicht vorstellen, dass der Wagen ohne die Hilfe eines Messers wieder in seinen ursprünglichen Zustand versetzt werden konnte. Aber das ging ihn eigentlich nichts an. Leider.
„Du stehst auf WLLB30?“, rief Michael begeistert, als er deren CD in einem der offenen Kartons entdeckte.
„Nein, das ist nur … emotionaler Ballast, den ich noch nicht loswerden konnte.“ Adrian schnappte nach einer kleineren Kiste und zog sie vorsichtig durch das Chaos der Seile hindurch. „Das ganze Zeugs der Band ist von meinem Ex.“
Michael stieß Florian regelrecht in die Seite.
Adrian bemerkte es zum Glück nicht, weil er mit dem Rücken zu ihnen noch halb im Auto lehnte. „Willst du es haben? Irgendwann muss ich ja Klarschiff machen.“
„Oder wir machen einen Grillabend und vernichten die CDs als Befreiungsschlag!“ Michael klang derart fröhlich, dass Florian ihm am liebsten auch einen Stoß versetzt hätte. „So sehr mir das Herz deswegen auch bluten würde.“
„Das wäre doch eine Verschwendung“, schmetterte Adrian den Vorschlag ab.
Florian hatte einen derartigen Kommentar schon erwartet. Immerhin mühten sie sich gerade mit dem Ausladen ab, weil Adrian sich weigerte, die Seile zu durchschneiden. Er fand es also angenehm, als sein Adoptivbruder nichts mehr sagte. So brachten sie das Schleppen der Kisten, Kartons und Scheffel weit schneller hinter sich. Florian fragte sich, ob die neuen Nachbarn alle Möbel vom Vormieter übernommen hatten. Noch vor einer Stunde hätte er das für unmöglich gehalten, aber nachdem er das alte Gebäude von innen gesehen hatte, wusste er, dass es recht schick eingerichtet war. Zumindest für seinen eigenen, nicht gerade hypermodernen Geschmack.
Als er die letzte Ladung vor Adrians Füßen abstellte, reichte ihm dieser die Hand.
„Vielen Dank für die Hilfe! In dieser Hitze hätte es alleine weit mehr Mühe gemacht.“ Der Hübschling reichte auch Michael die Hand und drückte fest zu. „Ich werde jetzt erst mal alle Fenster aufreißen, damit ich die abgestandene Luft aus den Räumen bekomme.“
„Es gibt um diese Jahreszeit viele Sommergewitter“, erklärte Florian mit einem Lächeln. „Also die Fenster am besten nie ganz aus den Augen lassen.“
Adrian und Michael schauten zur selben Zeit hoch. Der Himmel war strahlend blau. Florian stand aber zu seiner Warnung. Manchmal lagen nur zwanzig Minuten zwischen schönstem Sommertag und größtem Unwetter samt Sturm und Blitzen – „raining cats and dogs“, wie sein Adoptivvater immer gerne gesagt hatte.
„Ich würde euch für die Hilfe ja gerne etwas Kühles zum Trinken anbieten, aber …“ Adrian deutete auf die Kisten und Kartons. Natürlich war sein Kühlschrank leer, so wie alle seine anderen Schränke wahrscheinlich auch. „Ein anderes Mal aber gerne.“
„Abgemacht!“, nahm Michael die Einladung an, ehe Florian die Chance bekam, höflich abzulehnen und zu erklären, dass sie doch gerne geholfen hatten. „Wir müssen sowieso wieder in den Garten. Sonst scheint die Sonne auf unser Blumenbeet und wir können nicht mehr gießen, weil es uns die Blätter ruinieren würde.“
Na klasse, dachte Florian und atmete vielleicht zu theatralisch aus. Nun hatte Adrian bestimmt einen ganz falschen Eindruck von ihnen. Nur weil Florian bewusst war, wie spießerhaft ihr Alltag inzwischen geworden war, warf er seinem Adoptivbruder keinen seiner warnenden Blicke zu. Es wäre ohnehin vergebene Liebesmüh gewesen. Die zogen nicht mehr, seit der inzwischen große Scheißer elf geworden war. Florian dachte trotzdem, dass sie besser auf ihr eigenes Grundstück zurückkehren sollten, ehe sie die Chance bekamen, sich vor Adrian zu Volldeppen zu machen.
„Einen guten Einzug noch und fröhliches Auspacken!“
Adrian warf ihm ein Lächeln zu und beugte sich zu seinen Sachen hinunter, um das erste Album von WLLB30 hervorzuziehen. Florian versuchte, dabei nicht auf den ihm entgegengestreckten Knackhintern zu starren.
„Ich werde dazu abshaken, so als Befreiungsschlag. Dann wird’s schon werden.“
„Ganz meine Rede“, freute sich Michael, dass Adrian seine Worte zur Band noch im Kopf hatte. „Auf Wiedersehen!“
„Tschüss! Und auf gute Nachbarschaft!“
„Ciao“, verabschiedete sich auch Florian und schob seinen Adoptivbruder zur Tür hinaus. Er ignorierte das deswegen auf ihn hereinprasselnde Meckern. Erst als sie aus Adrians Hörweite waren, beklagte er sich: „Hast du sie noch alle? Weißt du, wie peinlich das für mich war? Der weiß doch jetzt genau, dass ich auch auf Männer stehe!“
„Und das stört dich?“
„Nein … ja! Das macht man doch nicht so! Wir sind keine Teenager mehr. Ein derart kindisches Verhalten ist in unserem Alter nicht mehr süß. Und war es wirklich wichtig, mit diversen … Informationen über mich hausieren zu gehen?“
„Also, ein nicht-heteronormativer Nachbar ist doch echt das Unspektakulärste, was dieses Dorf zu bieten hat. Ich meine, hier lebt immerhin mein allerliebster Werhund! Und wer hat schon jemals von Werhunden gehört?“
„Du weißt genau, dass es von uns mehr gibt als von den Werwölfen. Diese Idioten sind nur so bekannt, weil sie nicht aufpassen … Was uns andere noch so richtig in die Scheiße reiten kann.“
„Ach, komm! Heutzutage passen die Werwölfe bestimmt besser auf als früher. Vor hundert Jahren, also vor DNS-Tests und solchen Verfahren, musste man ja nicht so vorsichtig sein.“
„Du weißt nicht viel übers Mittelalter, oder?“
„Ich weiß nicht mal viel über die Gegenwart.“ Michael nahm seine Sorgen einmal mehr nicht ernst. Florian ließ ihm das nur durchgehen, weil ihm sein Lächeln in den Monaten nach dem Autounfall so gefehlt hatte. „Und tu nicht so, als wärst du der große Kenner der Wervölker. Alle tatsächlich zutreffenden Infos haben wir von Onkel Schakal und den Leuten in seiner Bar.“
„Ich diskutiere nicht weiter mit dir über dieses Thema.“
„Natürlich nicht! Weil du genau weißt, dass ich recht habe!“
„In deinen Träumen vielleicht.“
Michael musste immer das letzte Wort haben. Zumindest schnappte er sich die leere Gießkanne und marschierte damit in Richtung Gartenschlauch. Er hielt also sein Wort, sich in Zukunft mehr an der Haus- und Gartenarbeit zu beteiligen.
Florian ließ die Weinreben für den Moment Weinreben sein und ging zum Vordereingang, um die Heckenschere und die Leiter zu holen. Vielleicht konnte er beim Stutzen einen weiteren Blick auf den neuen Nachbarn erhaschen.
Verdammt! Er war ein Gruftspion.
Seine Neugierde war allerdings berechtigt. Was führte einen derart schönen Mann in ein kleines Nest wie dieses? Ob der Kerl als Model gearbeitet hatte oder als aufstrebender Schauspieler gescheitert war, konnte Florian nach nur einem kurzen Gespräch nicht erahnen. Er wusste nur eines ganz genau: Er wollte diesen Mann näher kennenlernen.
* * *
„Was für eine geile Sau“, murmelte Florian vor sich hin und ließ den Kaffee in seiner Tasse weiter kalt werden.
Michael war nicht mehr ganz so euphorisch, ihm beim Ausspionieren der Nachbarschaft zuzuschauen. Inzwischen nervte Florian seinen Adoptivbruder wohl gewaltig. Zumindest ließen unmutige Seitenhiebe nicht mehr lange auf sich warten: „Muss das wirklich sein? Du weißt, ich mach jederzeit gern den Wingman für dich, aber muss ich mir deswegen auch diese Art von Meldung anhören?“
„Natürlich. Du darfst ja auch Zeug sagen wie: geile Schnitte, heißer Feger oder …“
„Das sagst du nur, weil du genau weißt, dass ich niemals so über meine Ladys reden würde!“ Michaels Stimme klang ein wenig lauter als zuvor. Da hatte Florian offensichtlich einen Nerv getroffen. Und das war gut so! Er musste zumindest hin und wieder bei ihren verbalen Rangeleien gewinnen. In letzter Zeit hatte er es Michael ohnehin viel zu leicht gemacht. „Ich rede nicht abschätzig über die holde Weiblichkeit.“
Woher hatte sein kleiner Aufreißer plötzlich derartige Begriffe? So redete doch kein junger Mann. Florian war sich nicht einmal sicher, ob Männer überhaupt jemals solches Vokabular ausgesprochen hatten. Anstatt Michael darauf hinzuweisen, scherzte er: „Du willst doch nur, dass ich mir schlecht vorkomme.“
„Erstens stimmt das nicht! Und zweitens bin ich nur so, wie du mich miterzogen hast.“
„Miterzogen. Ein schönes Wort.“ Er grinste seinen Mitbewohner/besten Freund/Adoptivbruder an. „Ich durchschaue dich trotzdem. Du verwickelst mich in dieses Gespräch, damit ich Adrian nicht weiter ausspioniere.“
„Ach, du bist dir also zumindest im Klaren darüber, dass du ihn ausspionierst?“
„Ich schaue aus meinem Fenster! Es ist ja nicht so, dass ich ihn stalke oder so.“ Florian nahm einen Schluck kalten Kaffee, weil ihm das Gespräch doch ein klein wenig unangenehm wurde. „Ich habe zuerst hier gewohnt. Und ich sage ihm ja auch nicht, dass er halb nackt in meinem Vorgarten herumlaufen soll.“
„Wir könnten ihn einfach bitten, das in Zukunft nicht mehr zu tun.“
„Untersteh dich!“ Erst als er zu Michael hinüberschaute, entdeckte er das spitzbübische Grinsen auf dessen Gesicht. „Du bist ein Arschloch, Mike.“
„Und du bist ein Schwanzlutscher. Was kann man da machen?“
Florian beschloss einmal mehr, nicht weiter auf sein großmäuliges Anhängsel einzugehen, und konzentrierte sich lieber wieder auf das, was nebenan geschah.
„Hey, da tut sich was! Ist das seine Schwester?“
„Was? Wo?“
Michael stand innerhalb weniger Sekunden bei ihm am Fenster. War ja klar! Wenn es um ein hübsches Mädchen ging, warf Michael die guten Vorsätze über Bord.
Adrian hatte den Ankömmling inzwischen erreicht und hob sie hoch, ehe er sie fest umarmte. Hätte er ihnen nicht von seiner Schwester erzählt, Florian hätte die beiden für ein Liebespaar gehalten. Nur weil sein Nachbar einen Exfreund hatte, hieß das nicht, dass er nicht auch ein paar Exfreundinnen in petto haben konnte. Florian hoffte, dass es keine Exfreundinnen gab.
„Die beiden sehen sich total ähnlich!“, stellte Michael seltsam begeistert fest und drückte seine Nase beinahe gegen die Fensterscheibe. „Die Schönheit liegt wohl in der Familie.“
„Mach mal den Mund zu!“
„Was?“
„Dein Mund“, flüsterte Florian seinem Spionagekumpel zu. „Du sabberst sonst gleich.“
„Sagt der Hund, oder was?“
„Reduzier mich nicht darauf!“
In einer Sache hatte Michael aber recht: Die neuen Nachbarn waren extrem attraktiv. Die Haut der jungen Frau schimmerte beinahe im Licht, ihre Züge waren ein wenig markant, aber makellos, und ihr Lächeln ließ ihr Gesicht strahlen. Die offen zur Schau gestellte Zuneigung ihres Bruders schien ihr allerdings zu missfallen, denn sie schob ihn gleich am Boden angekommen von sich und redete ohne Luftholen auf ihn ein. Sie steckte dabei ihr schwarzes Haar hoch. Die silberne Spange wirkte darin wie ein Stern am Nachthimmel – was bestimmt auch die Intention war. Zumindest ging Florian davon aus. Was wusste er schon von Mode? Oder von Mädchen?
„Wir sollten wirklich nicht noch länger spionieren“, gab er Michael schließlich recht, obwohl dieser plötzlich nicht mehr auf seine eigenen Ratschläge hören wollte. „Setz dich wieder! Sonst räume ich den Tisch ab.“
„Mein Gott, Flo! Heute kannst du’s ja mal wieder!“
Michael gab aber tatsächlich mal nach. Diesen Tag musste Florian sich rot im Kalender anstreichen.
Florian setzte sich ebenfalls hin und verteidigte sich nur halb im Scherz: „Du weißt, wie ich es hasse, wenn ich die Reste vom Teller kratzen muss.“
„Ich habe Müsli mit Marmelade“, erklärte Michael mit gelangweiltem Blick. „Und ich bin sowieso mit dem Abwasch dran.“
„Rede doch keinen Müll! Du beginnst heute dein neues Praktikum. Da lasse ich dich doch keine niedere Hausarbeit erledigen.“
„Es ist ein Volontariat an der örtlichen Bücherei. Wie schwer kann das schon sein?“
„Das hängt immer von den Leuten ab, mit denen man es zu tun hat.“ Davon konnte Florian ein Lied singen. Er wartete deswegen auf Widerworte oder zumindest einen kleinen Anflug von Aufmüpfigkeit – allerdings umsonst. Michael stocherte nur in seinem Müsli herum. Florian fiel erst in diesem Moment auf, dass sein Gegenüber noch nichts gegessen hatte. „Du bist wirklich nicht wegen dem Pra… dem Volontariat aufgeregt? Du wirkst ein wenig nervös.“
„Daran liegt’s nicht. Nur … Heute ist Elenas Geburtstag. Du erinnerst dich? Groß, rote Haare … Muttermal am Kinn? Sie schmeißt am Abend sicher wieder eine ihrer berühmt-berüchtigten Poolpartys. Was soll ich sagen? Ich vermisse meine Freunde in der alten Heimat eben noch. Manchmal mehr, manchmal weniger.“ Er schob die Schale eine Armlänge von sich. „Übrigens, Jake hat beim letzten Anruf gefragt, wie es dir geht. Soll ich ihm etwas von dir ausrichten?“
„Woher hat er denn unsere Nummer? Ich dachte, die ist geheim?“
„Er hat mich natürlich am Handy angerufen.“ Michael zog das „natürlich“ derart in die Länge, als wäre Florian der altmodischste Mensch der Welt. Unmittelbar nach seiner Bemerkung erinnerte er sich aber daran, dass sie nach dem Umzug auch neue Handyverträge abgeschlossen hatten. Er schob nämlich kleinlaut nach: „Er ist mein bester Freund. Ich kann ihm nicht einfach meine neue Nummer vorenthalten.“
Florian verdrehte die Augen. Er war allerdings weniger genervt als enttäuscht.
„Ich dachte, du hättest die Freundschaft beendet, als wir im letzten Jahr hierhergezogen sind.“
„Er ist mein bester Freund“, wiederholte sein Gegenüber mit einem Seufzen. „Ich kann ihm eben nicht lange böse sein.“
Dich bedrängt er ja auch nicht sexuell, dachte Florian, behielt das aber für sich. Wenn Michael sich wieder mit seinem besten Freund vertrug, dann wollte er ihm das nicht verderben, egal, wie unwohl er sich selbst dabei fühlte. Er wechselte also schnell das Thema, indem er fragte: „Wollen wir heute in der ‚Schakal-Bar‘ vorbeischauen? Wir haben schon länger nicht mehr nachgefragt, ob es Neuigkeiten bei der Suche nach anderen Werhunden gibt. Und wir könnten deinen ersten Tag an der Bibliothek feiern.“
„Ich hätte total Lust auf einen Männerabend! Aber ich muss meine Seminararbeit bis Ende des Monats einreichen. Bis in die Morgenstunden Zukippen ist da nicht.“
„Als ob ich zulassen würde, dass du dich betrinkst.“
„Als ob du noch nie sturzbesoffen nach Hause gekommen wärst!“
„Da war ich ein Teenager und wusste es nicht besser!“
„Und ich mache mich mal besser auf den Weg zur Bücherei. Du nervst heute sowieso nur.“ Michael stand auf und schaute sich unschlüssig um. „Wo ist mein Rucksack?“
Florian stellte seine Tasse zur Seite und marschierte ins Wohnzimmer. Wenigstens einer von ihnen musste Ordnung halten, oder sie würden irgendwann im Chaos versinken.
„Den habe ich vorhin aus dem Weg geräumt, damit du nicht wieder darüber fällst, wenn es an der Tür klingelt.“
„Flo, das war einmal! Und ich war zehn!“
„Du warst vierzehn und du hast dir die Elle und die Speiche gleich dazu gebrochen.“
Michael murmelte irgendetwas vor sich hin. Weil Florian davon ausging, dass es eine Schimpftirade war, fragte er allerdings nicht genauer nach. Wie es der Zufall wollte, klingelte es gerade an der Tür, als er den Rucksack über seine Schulter geworfen hatte. Er grinste in sich hinein. Vielleicht hatte er seinen Adoptivbruder gerade davor bewahrt, seinen ersten Tag an der Bücherei wegen eines gebrochenen Beins zu verpassen. Dann kam ihm allerdings ein Gedanke und er rief eilig: „Lass mich hingehen!“
Florian wäre wegen einer Falte im Teppich beinahe selbst gestolpert. Er rannte regelrecht zum Eingang, aber natürlich war Michael, der eben noch in der Küche gestanden hatte, zuerst an der Tür. Florian hätte ihn dafür erschlagen können, denn er hatte eine Vermutung, wer sich um diese Uhrzeit bei ihnen blicken lassen könnte. Als er in den Eingangsbereich kam, hörte er auch schon Adrians tiefe Stimme.
„Hallo, schöner schwarzer Mann! Ist Florian auch da?“ Er gab der hübschen Schwarzhaarigen neben sich einen liebevollen Klaps auf den Rücken. „Das ist meine Schwester Alexis. Sie bevorzugt es allerdings, wenn man sie ‚Lexi‘ nennt.“
„Erfreut“, sagte diese weniger begeistert und tippte eine letzte Nachricht in ihr Handy, ehe sie es in ihrer Hosentasche verschwinden ließ.
„Ich freue mich, dich kennenzulernen“, grüßte Michael in seiner gewohnt fröhlichen Art und hielt ihr die Hand hin. Die beiden lächelten sich an. „Ich mag deine Parfummarke.“
„Häh?“, fragte Lexi verwirrt.
„Erzähle ich dir später“, murmelte Adrian und hob ein Körbchen hoch. „Ich habe Salz und Brot dabei. Das ist ja Tradition, wenn man in eine neue Nachbarschaft zieht, richtig?“
„In dieser Gegend sind es die alteingesessenen Nachbarn, die den Neulingen Brot und Salz überreichen“, erklärte Florian endlich an der Tür angekommen. Es war früh am Morgen, und der Tag hatte seine viel zu heißen Temperaturen noch lange nicht erreicht. Trotzdem wurde ihm heiß, und jedes Haar an seinen Armen schien sich aufzustellen. „Wenn man so was schon macht, dann sollte man es auch richtig machen.“
„Es ist für meinen nächsten Umzug vermerkt.“ Entweder hatte Adrian die Gereiztheit in seiner Stimme nicht bemerkt oder er bevorzugte es, sie wohlwollend zu überhören. Er zwinkerte ihm beim Reden sogar zu. „Dabei sollte man annehmen, dass Leute gerne Geschenke bekommen. Außerdem muss man heutzutage selbst die Initiative ergreifen, wenn man jemanden kennenlernen möchte.“
„Vorschlag meinerseits“, unterstützte Lexi ihren Bruder bei seiner nachbarschaftlichen Mission, „wir schneiden uns jeder eine Scheibe runter und frühstücken zusammen.“
Noch ehe sein Adoptivbruder antworten konnte, versperrte Florian demonstrativ mit seinem Arm den Eingang.
„Keine Chance.“
„Komm schon, Florian!“
„Ich brauche heute keine Fremden im Haus!“
Er klang derart aggressiv, dass Michael ihn verwirrt von der Seite anblinzelte. Adrian schien ebenfalls wie vor den Kopf gestoßen. Er ließ das Körbchen sinken und biss sich auf die Lippe. Lexi hingegen stemmte die Arme in die Seiten.
„Was ist los mit dir?“, fuhr sie Florian an. Angst vor Fremden hatte die Kleine also nicht. „Schon mal was von guten Manieren gehört?“
Was war das nur mit den Jugendlichen und diesen veralteten Begriffen? War das ein neuer Trend, der Florian bisher entgangen war? Er konnte sich auch nicht erinnern, Lexi das Du angeboten zu haben.
„Michael muss los. Wenn er wegen diesem Mist seinen Volontariatsplatz verliert …“
„Viel Glück an deinem ersten Tag dann!“, schnitt Adrian ihm das Wort ab und hielt Michael die Hand hin, die auch sofort geschüttelt wurde. Anscheinend wollten beide die Szene so schnell wie möglich beenden. „Toi, toi, toi!“
„Wird schon schiefgehen.“ Lexi tippte Michael mit der Faust auf die Schulter. „Man sieht sich.“
Sie wandte sich zum Gehen, schaute Florian dabei aber mit verengten Augen an. Adrian schüttelte den Kopf und bedachte ihn mit einem abwertenden Blick, der dem seiner Schwester recht ähnlich war. Das stank Florian. Immerhin gehörte es zum guten Ton, dass man einen Besuch zuvor ankündigte. Er schlug die Tür deswegen vielleicht ein klein wenig zu kräftig zu, nachdem Adrian sich ebenfalls umgedreht hatte.
„Alter, was war denn gerade los mit dir?“
„Die zwei haben mich einfach aufgeregt.“
„Weil sie nett sein und sich traditionell vorstellen wollten? Flo, das war dein erster Eindruck bei dem Mädchen! Hast du sie noch alle?“
Florian wusste ja selbst nicht, wieso er sich derart verhalten hatte. Normalerweise war er bei ersten Treffen so charmant und höflich wie möglich. Er hinterließ gerne ein Lächeln im Gesicht anderer – selbst wenn er diese niemals wiedersehen sollte. Man brachte ihn sonst auch nicht so schnell aus der Fassung.
Weil ihm keine Erklärung für sein ungewohntes Gehabe einfiel, murrte er kleinlaut: „Es ist ja nicht so, dass ich die Kleine anbaggern will.“
„Aber du glaubst, dass du bei dem Modeltypen Chancen hast, wenn seine kleine Schwester dich scheiße findet?“
„Es ist ja auch nicht so, dass ich den Typen anbaggern will.“ Was natürlich eine Lüge war, die bis zum Himmel stank. Florian relativierte seine Bemerkung also ein wenig: „Zumindest nicht mehr nach dem Auftritt gerade.“
„Was hat er denn bitte gesagt, dass dich so auf die Palme gebracht hat?“
Florian wollte schon ratlos mit den Schultern zucken, als ihm die einzige logische Erklärung kam: „Er hat dich ‚schwarzer Mann‘ genannt.“
Michael gab ihm einen kräftigen Stoß in die Magengegend. „Für den Fall, dass dass neu für dich sein sollte: Ich bin schwarz! Von Geburt an, falls du irgendwie unter Farbenblindheit leidest und dir deshalb nicht sicher bist.“
„Aber muss man das explizit erwähnen? Wirklich? Deine Hautfarbe ist doch scheißegal!“
„Wie kann einem so was nur derart …“ Michael brach mitten im Satz ab und musterte ihn von oben bis unten. Seine braunen Augen verengten sich sogar. „Jetzt mal im Klartext: Bist du wirklich wütend auf ihn, weil er mich ‚schwarzer Mann‘ genannt hat, oder nicht doch eher, weil er mich ‚schöner schwarzer Mann‘ genannt hat?“
Florian imitierte den unzufriedenen Blick und er hätte auch das eine oder andere Widerwort an den „schönen schwarzen Mann“ bringen können. Stattdessen zog er sich nur dessen Rucksack von den Schultern und rammte ihn Michael gegen die Brust. „Du musst in fünfzehn Minuten in der Bibliothek sein. Mach hinne!“
* * *
Einen halben Tag und eine Menge Schuldgefühle später konnte sich Florian noch immer nicht erklären, wieso er so wütend geworden war. Er vermied deswegen alle Fenster zum Grundstück des linken Nachbarhauses und brachte stattdessen den Keller in Ordnung. Weil der Tag sich trotzdem in die Länge zog, warf er sein schlechtes Gewissen über Bord und marschierte mit seinem Werkzeug in den Garten. Es sollte ihm zumindest niemand vorhalten, feige zu sein.
Er wollte gerade um das Haus herum zu den Weinreben marschieren, die er am Tag zuvor wegen dem Neuzugang in der Straße vernachlässigt hatte, als er Adrian sah – zumindest seine Beine. Sein Nachbar lag unter einem alten Golf und schraubte mit dem einen oder anderen Seufzen an dessen Unterseite herum. Florian blieb samt seiner Kübel in den Händen stehen und beobachtete das Schauspiel für einen Moment. Er war noch nicht sicher, was nach dem verpatzten Frühstück die bessere Strategie war: Adrian in Ruhe zu lassen oder sich bei ihm zu entschuldigen. Sein kleiner Ausrutscher würde bestimmt nicht zum Ende ihrer aufkeimenden Freundschaft führen oder gar zu einem ausgewachsenen Nachbarschaftsstreit. Aber es war doch eine Frage der Ehre, sich zu entschuldigen, wenn man sich wie ein Arschloch benommen hatte.
Florian stellte die beiden Eimer mit seinem Werkzeug ab und marschierte zum ächzenden Golf, der sich scheinbar mit allen Kräften gegen eine Generalsanierung wehren wollte.
„Ähm … hallo?“ Ein metallischer Ton erklang. Wovon er genau ausgelöst wurde, wusste Florian nicht, aber er hoffte, dass Adrian sich nicht vor Schreck den Kopf angeschlagen hatte. Er hockte sich sicherheitshalber hin und lugte unter das Auto. „Alles klar?“
„Einen Moment!“ Adrian arbeitete sich wie eine Raupe unter dem Golf hervor. „Hey, Nachbar!“
Florian war wegen des fröhlich klingenden Tonfalls so erleichtert, dass er ihm die Hand hinhielt, um ihn hochzuziehen. Adrian packte ohne Zögern zu und ließ sich auf die Beine helfen. Erst als sie voreinander standen, schien er sich für seinen Aufzug zu schämen, denn er rieb sich verlegen am Nacken und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Er hinterließ dabei einen schwarzen Streifen auf seiner Haut.
„Michael hat es trotz Störung rechtzeitig zu seinem Volontariat geschafft, hoffe ich.“ Adrian deutete mit dem Kopf zu dem alten Golf, unter dem ein Rinnsal irgendeiner Flüssigkeit hervorlief. „Ich musste meine Schwester heute auch schon retten. Ihr Wagen ist mal wieder abgesoffen. Mensch, ich sage ihr schon so lange, sie soll sich endlich ein neues Auto zulegen. Ich würde es ihr sogar zahlen … Aber sie vermisst unseren Vater, und der alte Kasten war eben seiner.“
Das war eine verdammt wichtige Information, aber Florian war zu abgelenkt, um sich darauf zu konzentrieren. Er hatte nur Augen für sein Gegenüber. Adrians Haut war von einer dünnen Schicht Schweiß bedeckt, die bei jeder Bewegung in der Sommersonne aufblitzte. An seinem Kinn und an der rechten Wange waren schwarze Flecken von der Reparatur, die Florians Finger beinahe magisch anzogen. Der Geruch von Öl und Benzin haftete an ihm … und dieser war verdammt geil. Florian wusste nicht wieso, aber dieser eigentlich widerliche Gestank hatte schon immer positive Konnotationen für ihn gehabt. Florian fand das Arbeiten an Maschinen männlich und Adrian deswegen noch um so vieles mehr sexy. Hing das mit der Leidenschaft seines Ziehvaters zusammen, an alten Motoren herumzuschrauben? Sein Ödipuskomplex ließ wohl wieder grüßen.
Von diesem sehr seltsamen und noch weit gruseligeren Gedanken musste er sich schnell ablenken. Deswegen war er nicht in die Nachbareinfahrt gekommen, sondern wegen seines schlechten Verhaltens. Er bereute es wirklich. Adrian erneut gegenüberzustehen und sich in seinem Lächeln zu sonnen, ließ seine Schuldgefühle sogar noch anwachsen. Wie er ihm das aber mitteilen sollte, war eine andere Frage.
„Ich wollte mich entschuldigen, falls ich heute Morgen etwas Falsches gesagt haben sollte“, stahl ihm Adrian in dem Moment die Worte, als er sie gerade zusammengestellt hatte.
„Nein, bitte! Die Schuld liegt bei mir.“ Florian verschwieg natürlich Michaels Theorie, dass er nur stinkeifersüchtig gewesen war. Das war ja auch nichts, das man einem praktisch Fremden einfach so ins Gesicht sagen konnte – oder sollte. Davon abgesehen glaubte Florian es auch nicht. Er war nicht der Typ für Eifersucht. „Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss. Es tut mir furchtbar leid. Normalerweise bin ich nicht derart … scheiße.“
„Jeder hat einmal einen schlechten Tag.“ Adrian lächelte ihn an – und Florians Knie wurden weich. „Die Größe zu besitzen, sich zu entschuldigen, macht dich gleich wieder sympathisch. Ach, ich habe etwas für dich und deinen Mitbewohner!“
„Bruder … mehr oder weniger.“
Adrian schaute wieder zu ihm hoch. Seine Augen waren derart blau, man hätte darin ertrinken können.
„Oh … verstehe.“
Wieso zögerte Adrian? Und was sollte dieses ominöse „Oh“ bedeuten? Florian runzelte die Stirn. Dann traf es ihn wie einen Schlag und er zuckte beinahe vor Schreck zusammen. „Nein, also … nein! Michael und ich sind Adoptivbrüder! Wir sind kein Paar oder so!“
Adrian schaute ihn überrascht an. Diese Reaktion hatte er anscheinend nicht erwartet. .Er fing sich aber schnell und legte eine Hand an die Hüfte. In dieser Pose sah er verdammt sexy aus. Es war unmöglich, dass er das nicht wusste. Oder gab es tatsächlich Menschen, die sich unbewusst derart lasziv gaben? Florian hoffte, dass es nicht so war.
Adrian zog ein Kärtchen aus seiner Hosentasche und hielt es Florian hin. Es war eine Visitenkarte. „Ich dachte, nachdem du so ausgerastet bist, weil ich unseren Besuch nicht angekündigt habe … nun ja … fürs Ankündigen sollten wir erst einmal Nummern austauschen.“
Florian hätte vor Scham sterben können. Es stimmte! Weder Adrian noch Lexi hatten ihr Kommen anmelden können, weil ihnen die Kontaktdaten gefehlt hatten. Und „ausgerastet“? Er dachte an Michaels geschockten und dann verärgerten Blick. Hatte er denn wirklich dermaßen die Beherrschung verloren? So schlimm hatte er sein Verhalten nun auch wieder nicht in Erinnerung.
„Also, ähm … sorry nochmals?“ Er schaute Hilfe suchend zu dem alten Golf der ersten Generation. „Falls es das nächste Mal mit ihrem Auto ein Problem gibt, dann könnt ihr … ich meine, wenn ihr wollt … anrufen. Ich kenne mich ein bisschen mit Motoren aus.“
„Okay, schick mir eine SMS, dann speichere ich deine Nummer ein.“
Adrian hob den Arm für einen Handschlag alter Schule. Florian stieg sofort darauf ein. Sein Vater hatte immer gesagt, dass man auf den Händedruck eines Mannes achten sollte. Daran konnte man angeblich erkennen, welche Art von Mensch er war. Wenn das wirklich stimmte, so interessierte Adrian ihn sogar noch mehr als zuvor. Der Schönling hatte nämlich einen unerwartet festen Griff. Er ließ ihn leider zu früh – wenn auch mit einem Lächeln – wieder los.
„Ich schicke dir eine, sobald ich im Haus bin und halbwegs sauber.“
„Lass dir Zeit!“ Adrian betrachtete seine Finger und hob sie zum Beweis für seine folgenden Worte hoch: „Ich bin selbst ja auch nur noch halb Mann und halb Dreck.“
„Also, mein schlechtes Benehmen ist verziehen?“
„Wenn du demnächst wirklich nach unserem Golfi schaust, sogar vergeben und vergessen!“
„Abgemacht!“
Erneut dieser feste Händedruck. Florians Hand fühlte sich heiß an, nur weil Adrians Finger darin lagen. Leider ließ sich das Gespräch nicht verlängern, denn sein Gegenüber setzte sich wieder auf den Asphalt, um erneut unter das Vehikel zu kriechen. Inzwischen hatte sich eine kleine Lache Flüssigkeit angesammelt. Florian ging davon aus, dass es die Kühlerflüssigkeit war. Er wollte aber nicht wie ein Besserwisser rüberkommen oder sich aufdrängen. Vielleicht ergab sich dadurch aber die Möglichkeit, nach ein wenig Gartenarbeit wieder seine Hilfe anzubieten. Dann war Adrian vielleicht auch schon so verzweifelt, dass er sich über einen erneuten Besuch freuen würde.
Er war ein berechnender Mistkerl. Und er war nicht sicher, ob ihm seine neuen Verhaltensmuster gefielen. Was machte Adrian nur mit ihm?
„Hey, kommt in zwei Stunden doch rüber zu uns!“, rief dieser schon halb unter dem Auto hervor. „Das Wetter ist schön. Wir werden im Garten essen und die Sonne genießen. Ich wasche mir auch vorher die Hände, versprochen!“
„Wir kommen auf jeden Fall!“
Wie kam er denn auf diesen Müll? Das schrie ja regelrecht nach: „Ich rücke dir nicht mehr von der Pelle, Kumpel!“ Wenn es aber wirklich so klang, bemerkte Adrian es nicht. Er verschwand bis zur Hüfte unter dem alten VW und begann wieder mit seiner Zange zu werkeln – was auch immer er an der Stelle werkeln konnte. Florian ließ ihn erst mal selbst herumexperimentieren. Er konnte sich ja nach dem Abendessen immer noch um mögliche Fehler kümmern. Das erste gemeinsame Abendessen! Er war wieder gut im Rennen.
* * *
„Ich bin wieder daheim!“, rief Michael von der Eingangstür und raschelte mit irgendwas, als er sich die Schuhe auszog.
„Du bist spät dran, aber das macht nichts. Wie war dein erster Tag denn so?“
„Super! Mein Chef ist total gemütlich und freundlich. Obwohl ich die erste Woche wohl nur Staub wischen und die Scharniere des alten Zettelkatalogs schmieren werde.“
Florian lächelte in sich hinein, als er das hörte. Er stand nämlich in diesem Moment auf einem Barhocker und machte sich mit einem Schraubenschlüssel am Hängekasten über der Spüle zu schaffen. Irgendwie hatte er die Zeit bis zu Michaels Rückkehr ja verbringen müssen.
„Hast du ihm vorgeschlagen, ein digitales System zu installieren? Für irgendwas muss dein abgebrochenes Erststudium ja gut gewesen sein.“
„Erstens, danke für den Seitenhieb! Zweitens, ja, habe ich. Inzwischen finde ich das alles aber so charmant altmodisch, dass ich nicht mehr weiß, ob ich das überhaupt tun sollte.“ Michael kam mit einer großen Einkaufstüte in die Küche und hievte sie auf den Tisch. Er hatte offenbar einen Tante-Emma-Laden leergekauft – oder ausgeraubt. Es tat Florian fast leid, dass sie zu den Nachbarn essen gehen würden, obwohl sich Michael offensichtlich aufs gemeinsame Kochen gefreut hatte. Noch wusste dieser aber nichts von seinem „Glück“.
„Wie viel Platz haben wir im Kühlschrank und in der Kühltruhe? Ich hoffe, wir bringen das alles unter.“
Florian sprang mit einer eleganten Drehung vom Barhocker und warf den Schraubenzieher nach nur kurzem Zielnehmen in die drei Meter entfernte Werkzeugkiste. Manchmal musste er eben angeben. Sonst vergaß sein Adoptivbruder noch, von wem er all seine Tricks gelernt hatte.
„Wenn ich das machen würde, wärst du sauer und würdest mir mit der passenden Unfallstatistik in der Hand einen Sicherheitsvortrag halten“, neckte Michael unbeeindruckt.
„Im Gegensatz zu dir kann ich so was eben.“ Florian prüfte, ob die Schranktür nun weniger sperrte. Sie war zu locker geworden. Darum konnte er sich aber später noch kümmern. „Bevor du dir die Arbeit machst, alles fürs Kochen durchzuschauen … Hast du Lust, bei den neuen Nachbarn zu essen?“
„Ist es wichtig, was ich will?“, fragte Michael mit neckend-herausforderndem Blick. „Oder hast du schon ein Zelt in der Hose? Zieh dir besser eine Jeans an! Die versteckt das besser.“
„Manchmal frage ich mich wirklich, wieso ich überhaupt noch mit dir zusammenwohne.“
„Weil die Miete fürs Haus so für dich billiger ist. Hey, was hängt da am Korkenbrett?“
„Was?“ Er verfolgte Michaels Blick. „Ach, das! Adrians Visitenkarte samt E-Mail und allem Drum und Dran.“
„Schön für dich … und Respekt! Du schmeißt den Mann buchstäblich aus der Bude und kriegst trotzdem seine Nummer! Vielleicht sollte ich mir deine Flirttipps wirklich mal anhören.“
Florian verspürte zwei Sekunden lang Stolz, aber dann kehrte sein schlechtes Gewissen zurück. Er hatte Adrian und seine kleine Schwester wirklich mies behandelt, als sie am Morgen vor ihrer Haustür aufgetaucht waren. Und Michael hatte eindeutig recht mit dem, was er ihm danach vorgeworfen hatte: Der erste Eindruck zählte, und er hatte diesen bei Alexis total verkackt. Adrian hatte seine Einladung auch ausgesprochen, ehe er sich mit ihr beraten hatte. Vielleicht bekam er innerhalb der nächsten halben Stunde noch eine Absage. Ob sie höflich und charmant ausfallen würde, hing wahrscheinlich davon ab, wer ihm die schlechte Nachricht überbringen würde.
„Zeig mal!“, rief Michael, der plötzlich neben ihm stand und einfach nach der Visitenkarte fasste. Nicht, dass Florian sie ihm sonst vorenthalten hätte. „Adrian D. Vine. D … Vine. Auf Englisch wäre das ja mal eine geile Sache!“
„Was?“, fragte Florian mit gerunzelter Stirn.
„Divine. Du weißt schon! Übersetzt heißt das so viel wie ‚göttlich‘. Und das D steht für … Also, wenn man erneut vom Englischen ausgeht …“ Michael bemerkte wohl seinen Blick, denn er ließ den Witz sofort bleiben. „Ich habe nichts gesagt.“
Gut, dachte Florian und schüttelte noch einmal warnend den Kopf. Er kannte Michael immerhin schon, seit sie klein gewesen waren. Wenn er diesem erst einmal derartige Scherze erlaubte, gewöhnte er sich daran, hielt sie für öffentlichkeitstauglich und trug sie dann auch in der Öffentlichkeit vor. Das musste bei Adrian unbedingt verhindert werden.
Florian lenkte also schnell vom Thema ab: „Übrigens, er dachte, dass wir ein Paar sind.“ Er freute sich schon auf die Reaktion, und sie ließ auch nicht lange auf sich warten. Michael hielt beim Auspacken der Einkaufstasche inne und schaute ihn mit hochgezogener Augenbraue an. Florian ging deswegen sogar noch einen Schritt weiter: „Wieso glauben die Leute das nur immer?“
Er klang wohl zu belustigt, denn Michael lehnte sich über den Tisch und fragte: „Ja, wieso das denn? Glauben die Leute wirklich, ich würde keinen besseren als dich abkriegen?“
Das war jetzt ein wenig harsch. Florian stemmte die Arme in die Seiten, um seine Unzufriedenheit zu zeigen, aber auch um seine durchtrainierte Brustmuskulatur passend in Szene zu setzen.
„Du könntest froh sein, wenn dich einer wie ich wollte.“
„Da könntest du sogar recht haben. Die Arschlöcher häufen sich langsam.“
Die Zeit für liebevolles Necken war vorbei. Michael klang zu ernst für einen Scherz. Er dachte vielleicht sogar an ihre alte Heimatstadt. Wie Florian die Stimmung da noch retten sollte, ehe sie zu den Nachbarn gingen, war eine haarige Frage.
„Deshalb sind wie ja hierhergezogen“, tröstete Florian sein Gegenüber schnell.
„Wir sind hierhergezogen, weil wir über Onkel Schakal andere Werhunde finden wollen.“
Das war nur einer von mehreren Gründen, dachte Florian bedrückt und verdrängte seine negativen Gedanken. Er wollte sich den Abend nicht verderben lassen, schon gar nicht von Jake. Da kam ihm die rettende Idee.
„Alexis wird auch da sein. Flirten ist erlaubt, aber mehr nicht, klar?“
„Entschuldige mal!“ Michael lehnte sich an den Tisch. Die Lebensmittel würden so noch länger auf das Verstauen warten müssen. „Du gehst doch auch zur Jagd rüber, oder nicht?“
„Wir gehen rüber, um ein besseres Verhältnis zu den Nachbarn auf der linken Seite zu bekommen als zu denen auf der rechten.“ Das war natürlich nur ein Teil der Wahrheit und natürlich wusste Michael das auch. „Außerdem ist das etwas anderes. Adrian und ich sind wahrscheinlich gleich alt.“
„Ja, ihr seid beide wie ein guter Wein.“
„Ich bin nur … Ach, lassen wir das. Benimm dich einfach, wenn wir drüben sind!“
„In anderen Worten, ich soll mich verstellen.“
„So ist es. Und jetzt geh zur Seite und lass mich ausräumen! Sonst können wir die Sachen gleich wegschmeißen.“
* * *
Wenig später fanden sich die Brüder vor der Haustür des neu bezogenen Hauses wieder und waren beide auf ihre Weise gespannt. Michael war neugierig, die ganze Einrichtung zu sehen und wie sehr sie dem biederen Anschein von außen spottete. Und Florian … Nun ja, sein Interesse galt eben den Bewohnern.
Das Läuten war gerade erst verklungen, als sie Adrians Stimme aus dem hinteren Teil des Gebäudes hörten. Hoffentlich lag das an den offenen Fenstern, dachte Florian und überlegte, ob auch ihr Haus so hellhörig war.
„Ich gehe ja schon!“, erklang eine helle Frauenstimme. Einen Moment später wurde die Tür auch schon geöffnet und Lexi stand in einem Tanktop und einer zerschlissenen Jeans vor ihnen. „Willkommen im Casa de los Vines! Du bist überpünktlich. Adrian ist noch nicht so weit.“
„Wir hatten eigentlich keinen fixen Zeitpunkt …“
„Hallo nochmals! Ich bin Lexi.“ Sie schien sein unhöfliches Verhalten vom Morgen noch nicht vergeben zu haben, denn sie ignorierte ihn absichtlich und hielt stattdessen Michael die Hand zum Gruß hin. „Nur zur Erinnerung.“
„Bei schönen Frauen merke ich mir die Namen immer sofort“, flirtete dieser Lexi ohne Vorwarnung an. Florian hätte ihm dafür eine überbraten können.
„Nett! Ich werde später nachgucken, aus welchem Film das geklaut ist.“
„Den Titel kann ich dir auch so verraten: ‚Michael TM‘!“
„Wobei das ‚TM‘ für ‚Trottelmeister‘ steht“, spuckte Florian ihm in die imaginäre Suppe und hielt der jungen Frau die Flasche Wein entgegen. „Wir hatten nichts Besseres da. Ich hoffe, der ist okay.“
„Na ja, da Salz und Brot die Gegend hier regelrecht in Panik versetzen, wird’s wohl reichen müssen.“
Michael hielt sich brav im Zaum, aber es war seinem Blick anzusehen, dass er dem Mädchen am liebsten ein High-Five angeboten hätte. Aber alles im Leben kam irgendwann zurück. Und sein kleiner Bruder wollte ja demnächst übers Wochenende auf ein Festival fahren. Es würde sich noch zeigen, ob er das Auto so lange leihen durfte.
„Ah, ihr seid noch hier!“ Adrian kam an die Tür und lächelte seine Gäste mit geröteten Wangen an. Kam er direkt aus der Dusche oder war er aus dem ersten Stock heruntergerannt? „Kommt rein! Sonst wird es hier drin zu heiß.“
„Wir gehen durch in den hinteren Garten“, erklärte Lexi und gab Michael ein Zeichen, ihr zu folgen.
Florian war das nur recht. Er brauchte einen Moment, um die Situation zu klären. „Okay, wie sauer ist die Kleine auf mich?“
Adrian schenkte ihm ein schönes, aber auch verlegenes Lächeln, als er mit einem Schulterzucken antwortete: „Es hilft zumindest nicht, wenn du sie ‚Kleine‘ nennst. Sie denkt, dass sie schon eine Erwachsene ist.“
„Wie alt ist sie denn?“
„Achtzehn. Und bevor eine unverlangte Rechtsbelehrung kommt: Sie ist mein kleines Mädchen und sie wird immer mein kleines Mädchen bleiben.“
„Nur darf man das eben nicht vor ihr sagen.“ Florian erwiderte Adrians Lächeln, das sofort strahlender wurde. „So geht es mir bei meinem Bruder. Das macht ein gewisser Altersunterschied einfach, richtig?“
„So ist es. Aber jetzt komm wirklich rein! Ich versuche, die Sommerhitze auszusperren.“
Da würde er in dieser Gegend kaum Erfolg haben, dachte Florian, als er seinem Gastgeber durchs Haus zum hinteren Garten folgte. Obwohl er sich weit mehr für diesen und seine Schwester interessierte, schaute er sich doch neugierig um. Adrian kommentierte das nicht, sondern warf ihm nur einen unsicheren Blick zu.
„Ich stinke trotz ausgiebigem Duschen immer noch nach Benzin. Entschuldigung!“
Noch ehe Florian ihm versichern konnte, dass ihn das nicht störte, meldete sich Lexi aus dem Hintergrund: „Ich habe dir gleich gesagt, dass es nicht am Motor liegt.“
„Dann hättest du das Problem eben alleine lösen sollen.“
„Was soll das heißen? Alleine lösen?“ Lexi drängte sich mit einer Karaffe Saft an ihnen vorbei. „Du hast es doch auch nicht geschafft. Drum musste ich ja mit dem Bus fahren.“
„Entschuldige, dass ich heute auch kurz zum Amt fahren musste, Lexi!“
Florian ging bei diesem Necken beinahe das Herz über. Es erinnerte ihn an die Zeit, als Michael noch derart frech und dabei doch süß gewesen war. Inzwischen war er leider nur noch frech. Florian setzte sich also gerne gegenüber seinen beiden Gastgebern hin, um das Schauspiel besser genießen zu können.
„Wegen der Hitze haben wir nur kalte und leichte Speisen zubereitet. Wir hoffen, dass das in Ordnung ist. Ansonsten … wir müssen ohnehin noch den örtlichen Lieferservice ausprobieren.“ Adrian deckte eine Schüssel ab, während Lexi sich an einer zweiten zu schaffen machte. „Zur Karotten-Ingwer-Suppe passt am besten der Couscous-Salat. Wer lieber den Nudelsalat probieren will, sollte die Carpaccio als Vorspeise essen.“
Michael zog eine Augenbraue hoch und warf Florian einen schwer zu deutenden Blick zu. Normalerweise aß er lieber deftig und warf gerne schon mal Junkfood ein – was seit ihrem Umzug vor einem Jahr auch häufig vorkam, weil Florian ihm mit Essen über all seine Verluste hinwegtrösten wollte. Michaels Blick schrie aber nicht das erst vermutete „Ich habe es gewusst!“ in die Welt. Was bedeutete dieser Mix aus Rechthaberei und Vergnügen aber dann?
Erst als sein Gastgeber Florian fragte, was er gerne essen würde, und er antwortete, dass er beide Möglichkeiten lieben würde, traf es Florian wie ein Schlag. Michael hatte beim ersten Treffen wegen des Parfüms ähnliche Blicke in seine Richtung geworfen und ihm im Laufe des Gesprächs auch einen Ellbogen in die Seite gerammt. Der kleine Scheißer sagte ihm ohne ein Wort, dass er sich an Adrian ranschmeißen sollte! In diesem Moment erkannte Florian auch endlich, worauf Michael anspielte: Adrian hatte sehr leichte Kost zubereitet, die ihm für sein Training volle Energie, aber wenige Kalorien zuführen würde. Um überhaupt auf diese Idee zu kommen, musste Adrian ein Auge auf ihn geworfen haben. Oder er hatte zumindest ein wenig bei seinem Fitnesswahn zugeschaut. Diese Theorie hatte allerdings einen entscheidenden Makel: Sie wussten nicht, ob es wirklich Adrian gewesen war, der das Essen zubereitet hatte. Ein Mann durfte aber doch hoffen …
„Mmm! Die Suppe ist echt gut!“, lobte Michael, der vor allen anderen mit dem Probieren angefangen hatte.
Florian hoffte, dass es sich bei den neuen Nachbarn nicht um eine strenggläubige Familie handelte, die vor dem ersten Bissen immer ein Tischgebet sprach. Wenn es so sein sollte, dann machten die beiden Geschwister gute Miene zu bösem Spiel. Adrian lächelte Florian sogar an, als er ihm zwei Schalen mit je einer Suppenvariante vor die Brust stellte.
„Vielleicht versuchst du erst mal beide. Dann kannst du dich immer noch entscheiden, mit welcher ich den Teller auffüllen soll. Beim Salat gehe ich aber jede Wette ein, dass es der Couscous wird, oder?“