5,99 €
Als Magnus den unscheinbaren Alexander kennenlernt, trifft ihn die Liebe wie ein Schlag – beziehungsweise Alexanders Faust mitten ins Gesicht. Als Werhund mit übersinnlicher Nase hatte er ihn nämlich für eine Ratte gehalten und ihn unverblümt darauf angesprochen. Er ist sofort von dem jungen Mann fasziniert, aber kann Alexander seine Vorurteile überwinden und sich auf einen attraktiven Mann wie Magnus einlassen? Oder sind Magnus' Gefühle etwa gar nicht das, was sie zu sein scheinen? Band 2 der Wandler-Reihe "Tierisch verliebt"
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 410
Alissa Sky
© dead soft verlag, Mettingen 2019
http://www.deadsoft.de
© the author
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode.com
Bildrechte:
© Volodymyr Tverdokhlib – shutterstock.com
© Eric Isselee – shutterstock.com
© Jagodka – shutterstock.com
1. Auflage
ISBN 978-3-96089-330-1
ISBN 978-3-96089-331-8 (epub)
Als Magnus den unscheinbaren Alexander kennenlernt, trifft ihn die Liebe wie ein Schlag – beziehungsweise Alexanders Faust mitten ins Gesicht. Als Werhund mit übersinnlicher Nase hatte er ihn nämlich für eine Ratte gehalten und ihn unverblümt darauf angesprochen. Er ist sofort von dem jungen Mann fasziniert, aber kann Alexander seine Vorurteile überwinden und sich auf einen attraktiven Mann wie Magnus einlassen? Oder sind Magnus’ Gefühle etwa gar nicht das, was sie zu sein scheinen?
„Das ist wirklich nett von Ihnen“, wiederholte Alexander das dritte Mal, während die kleine Frau vor ihm weiterhin ihre Hilfe für diese und jene Tätigkeit anbot. „Ich komme bei Gelegenheit darauf zurück.“
„Ach, ich halte Sie bestimmt vom Auspacken ab! Keine Sorge! Ich bin schon wieder weg!“ Sie grinste ihn fröhlich an – und hatte ihre Dritten wahrscheinlich nicht einmal zuhause vergessen. „Nochmals willkommen! Melden Sie sich unbedingt für das Kaffeekränzchen, wenn sie fertig eingezogen sind!“
„Ich habe noch nicht einmal alle Kartons ins Haus getragen. Das kann also noch dauern.“
„Das macht doch nichts! Wir sind ja praktisch Nachbarn! Ich schaue einfach demnächst wieder bei Ihnen vorbei! Wenn Sie den Kaffee aufsetzen, bringe ich den Gugelhupf!“
Damit machte sich das uralte Persönchen tatsächlich auf den Weg und winkte ihm nur noch voller Elan zu. Alexander wusste nicht, ob er die Schiebetür schließen, sich auf den Fahrersitz werfen und schnell wieder verschwinden sollte. Er schluckte den Impuls mühsam und hob die erste Umzugskiste aus dem Wagen. Mit etwas Mühe stellte er sie auf dem sauber gekehrten Boden seiner neuen Garage ab.
Seine Garage!
Wie nur war es so weit gekommen?
Alexander konnte nicht glauben, dass dieses „Kaff-Idyll“ nun sein Leben war. Der katastrophale Unfall hatte alle seine Pläne über den Haufen geworfen und nun lebte er mitten im Nirgendwo in einem buchstäblichen Bilderbuchdorf mit Feldern und Wäldern und einem verdammten See mit Trinkwasserqualität. Das Einzige, das für die perfekte Reisebroschüre noch gefehlt hätte, wären ein paar Berge zum Skifahren gewesen. Wer dachte bei diesen Mordstemperaturen aber schon an Schnee?
Alexander richtete sich auf und streckte sich durch. Der Schweiß rann ihm sofort vom Gesicht über den Hals und Nacken und machte die Hitze noch schlimmer.
Verkackte Erderwärmung! Den Leugnern des Klimawandels hätte er so richtig gerne eine geknallt. Aber er war ohnehin immerzu wütend auf jedermann … da kam eine kleine Abreibung aus gutem Grund hin und wieder sehr gelegen. Er war immerhin schon dreißig und doch weiter von dem entfernt, was er sich für diesen Lebensabschnitt erträumt hatte, als mit sechzehn, als er die Welt der Motorräder zuerst erobert hatte. Das Nächste, was dem noch nahekam, war die Bikerbar in diesem ländlichen Nest, das wahrscheinlich nicht mal auf einer Landkarte auftauchte.
Die Ironie seines Lebens war ihm durchaus bewusst. Obwohl er auf den Rennstrecken als gefährlicher „Kamikaze“-Fahrer gegolten hatte, war es ausgerechnet ein Autounfall gewesen, der seiner ersten Karriere den Garaus gemacht hatte.
Das war sein Leben! Wenn das Schicksal ein Bewusstsein hatte, dann lachte es sich bestimmt über ihn schlapp.
Alexander wischte sich über die Stirn und betrachtete seinen Wagen, der immer noch mit diversen Kartons befüllt war. Ihm fehlte nach der langen Fahrt – und vor allem dieser Hitze – die Motivation, sie alle ins Haus zu schleppen. Sie konnten genauso gut einen Tag in der Garage auf ihn warten. Es machte keinerlei Unterschied.
Ob es in der Bar neben ein paar kühlen Getränken wohl auch nette Unterhaltung gab? In seinem neuen Heim fehlte noch beides und er verspürte deswegen keine Lust, den Abend dort zu verbringen. Wahrscheinlich war es drinnen ohnehin heiß und stickig ohne Ende. Die Entscheidung fiel da wirklich nicht schwer.
Alexander sperrte das Auto zu und schloss die Garagentür, um sich zu Fuß zur „Schakal-Bar“ aufzumachen. Mit der vollbeladenen Karre wollte er nicht herumfahren. Er hasste Verschwendung und ein schwerer Wagen fraß mehr Benzin als ein aufgeräumter mit nur einem Passagier. Sein Motorrad hingegen war noch am anderen Ende des Landes bei seinem ehemaligen Vermieter untergestellt. Davon abgesehen wollte er sich ohnehin noch einmal ein Bild von der Gegend machen, die er als seinen Eremitensitz erwählt hatte. Vielleicht konnte er so noch einen kurzen Blick auf den Golfplatz erhaschen, der neben der Abgeschiedenheit des Ortes der zweite wesentliche Grund für seine Wahl gewesen war.
Es hat schon alles seine Richtigkeit so, machte sich Alexander ein weiteres Mal Mut. Er war hier, um sich voll und ganz auf seine neue Karriere zu konzentrieren. Nur Golf, Golf, Golf … und ein wenig Essen, Trinken und Schlafen … und nochmals Golf. Alles andere musste warten, bis er wieder in der Topform war, um sich auf internationalem Niveau mit anderen Sportlern zu messen. Zumindest dafür war dieser Ort irgendwo im Nirgendwo ideal. Die Chance, hier der Liebe seines Lebens zu begegnen, war ja schon mal nahezu null.
* * *
Magnus zog sich das vom Schweiß durchtränkte Hemd vom Körper. Es hatte bereits ekelhaft an seiner Haut geklebt und ihm das Gefühl gegeben, dass er sich mitten in der Sahara befand und nicht im Haus seiner Cousins, in das er sich mehr oder weniger selbst eingeladen hatte. Langsam gingen ihm die Klamotten aus. Als er freudig erregt ein paar Sachen in den erstbesten Koffer geschmissen hatte und ein Liedchen trällernd in sein Auto gesprungen war, hatte er nicht damit gerechnet, dass die letzte Hitzewelle des Jahres ihn derart treffen könnte. Im Gebäudekomplex seiner Familie hatte jede eigene Wohnung ein perfekt ausgeklügeltes Belüftungssystem und wenn alle Stricke rissen, blieben immer noch die Hightech-Klimaanlagen, die natürlich ebenfalls vorhanden waren.
Aber wozu gab es Waschmaschinen? Bis dahin musste er eben auch mal oben ohne herumlaufen. Wieso auch nicht? Er wollte den Ladys seinen Prachtkörper nicht vorenthalten. Ich sehe eben endgeil aus, dachte Magnus mit sich selbst zufrieden, als er sich vor den Spiegel stellte und die Erfolge seines neuen Trainingsprogramms prüfte. Es war kein Wunder, dass sich Männlein und Weiblein nach ihm umdrehten, wenn er die Straße hinuntermarschierte. Seine Muskeln waren perfekt definiert und auf seine Größe abgestimmt. Sein Dreitagebart war ordentlich getrimmt und seine Augen leuchteten wie immer. Er war auch finanziell keine schlechte Partie. Dass ein Mann wie er immer noch als Single lebte, war zwar verwunderlich, aber kein Wunder, denn er wollte es genau so. Verantwortung und Magnus standen schon seit einiger Zeit auf dem Kriegsfuß miteinander und solange seine Familie unerfüllbare Erwartungen in ihn setzte, würde das auch noch ein Weilchen so bleiben. Selbst Zwillinge konnten vollkommen unterschiedliche Ziele haben – und Magnus war meilenweit davon entfernt, sesshaft und bieder zu werden.
Während seine Brüder bereits mitten im Leben standen und dabei waren, eigene Familien zu gründen, war Magnus also erst einmal bei seinem lange verschollenen Cousin untergekrochen. Nur ein Schelm hätte etwas anderes darin vermutet als seinen ehrlichen, zutiefst empfundenen Wunsch, Florian richtig kennenzulernen. Nun gut, Florian und Michael, den unverhofften Adoptivbruder, den Magnus schon alleine aus Prinzip ebenfalls in sein Herz geschlossen hatte. Familie war nun einmal Familie und endete nicht mit dem Blut. Genau betrachtet musste Magnus auch schon die mehr oder weniger festen Beziehungen seiner beiden Cousins als Verwandte mit einrechnen. Und er tat es gerne! Adrian und Alexis waren beide entzückend … und leider schon vergeben.
Wenn man jemanden gerne hatte, machte es eben keinen Unterschied, ob man wie Hund und Katz war – und in seiner Familie war das nun einmal nicht nur eine Redewendung. Magnus liebte die Vines, auch wenn sie von Katzenwandlern abstammten, während seine eigene Familie seit Jahrhunderten reinrassige Werhunde waren. Für rassistische Mentalitäten war im einundzwanzigsten Jahrhundert schließlich kein Platz mehr. Wären seine Cousins nicht schneller gewesen, hätte er seine Meinung nur zu gerne mit Taten bewiesen. Weil er nun aber um ein paar Monate zu spät auf Adrian und Lexi getroffen war, blieb ihm nichts weiter übrig, als die völlige Abwesenheit von Überlegenheitsgedanken in alltäglichen Handlungen zu zeigen. Zum Beispiel wie in diesem Moment, als er ins Erdgeschoss schlenderte und die beiden Katzenwandler im Wohnzimmer erblickte.
„Hey, Adrian! Hallo Lexi!“ Er winkte ihnen überschwänglich zu und verlor dabei die Hälfte der Taschentücher, die er bei sich trug. „Schön, euch zu sehen!“
„Du warst zuhause?“, fragte Florian vom Esstisch her, während sich sein Lebensgefährte in der fremden Küche zu schaffen machte.
„Ich war oben im Gästezimmer, ja.“
„Und was machst du mit all diesen Taschentüchern?“, fragte Alexis mit hochgezogener Augenbraue. „Oh, Fuck! Nein, sag es nicht!“
„Ich habe meinen Orangensaft verschüttet …“
„Ach, gut!“
„… als ich mir einen abgeschüttelt habe.“
„Oh, Gott!“ Alexis’ Puppengesicht verzog sich zu einer angeekelten Grimasse. „Magnus! Das will doch niemand wissen!“
„Jetzt schau nicht so angewidert drein“, meldete sich Michael, seines Zeichens Lexis fester Freund und Florians über alles geliebter Adoptivbruder. „Was denkst du, hat sich in diesen Räumen abgespielt, bevor Flo und Adrian ein Paar geworden sind?“
„Als ob du weniger Notstand gehabt hättest“, meldete sich Florian unbekümmert und schob sich das letzte Stück Brot in den Mund. Der halb aufgegessene Suppenteller war für ihn offensichtlich weit interessanter als irgendwelche Neckereien seines Adoptivbruders. „Wenn bei uns ein Polizist mit diesem lila Leuchtdings durch die Räume ginge, würde der schreiend davonlaufen.“
„Eben!“, meldete sich Magnus wieder zu Wort. „In meiner Familie sind wir alle extrem potent.“
„So redet man aber nicht vor einer jungen Dame! Hat euch das wirklich niemand beigebracht? Ernsthaft, Männer! Pfui! Schande über euch alle!“
„Du bist doch ein sehr attraktiver Kerl“, rettete Adrian seine Schwester aus ihrer peinlichen Lage. „Wieso gehst du nicht aus und suchst dir ein Abenteuer? Ich meine, wenn du wirklich so potent bist, wie du immer behauptest, sollte das doch kein Problem sein.“
Magnus beschloss, den zweifelnden Unterton zu überhören, und antwortete wahrheitsgemäß: „Weil mich keiner so gut kennt wie ich mich selbst und ich manchmal eben Spaß haben will, ohne mir vorher groß Umstände zu machen.“
„So genau wollten wir das jetzt auch wieder nicht wissen“, sagten Michael und Florian beinahe im Chor.
„Gehen wir doch zusammen in die Schakal-Bar! Da kannst du beweisen, ob du wirklich so unwiderstehlich bist, wie du immer tust.“ Alexis zwinkerte ihm von der Spüle aus zu. „Dann kann ich auch besser weghören, wenn ihr wieder so versaut redet.“
„In der Öffentlichkeit trauen sie sich das ohnehin nicht“, stimmte Adrian dem Vorschlag seiner Schwester indirekt zu.
„Musst du nicht los?“, fragte Florian verwirrt, aber hoffnungsvoll.
„Ich habe eine halbe … maximal eine Stunde Zeit. Bis dahin leiste ich euch gerne bei Onkel Schakal Gesellschaft. Ich war gefühlt ewig nicht mehr da.“
„Es ist schon hart, mit einem Hengst wie mir zusammen zu sein, was?“
Adrian seufzte, ehe er Florians Witz ohne besondere Rücksicht pulverisierte: „Du bist ein Hund, Florian. Kein Hengst. Und so hart ist er auch wieder nicht.“
Michael gab ein langgezogenes „Oh!“ von sich, schaffte es aber, sich ein Lachen zu verkneifen. Magnus gab sich da weniger Mühe und klopfte seinem Cousin als Entschuldigung auf die Schulter. „Ich bin dabei! Die erste Runde geht auch gleich auf mich.“
Das ließ sich seine kleine Zweitfamilie nicht zweimal sagen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass der dunkelhaarige Katzenwandler nur maximal eine Stunde für sie erübrigen konnte. Der genaue Grund war Magnus sowieso herzlich egal. Er freute sich einfach, dass die Pärchen ihn nicht ausschlossen, um die Dinge zu tun, die frisch Verliebte eben so taten. Er watschelte ihnen also im Entenmarsch hinterher und zwängte sich in das für fünf Leute viel zu kleine Auto. Grinsend stellte er fest, dass ihm das gefiel. Es war die sorgenfreie Scheißdrauf!-Mentalität, die ihm als Teenager in einem Millionenbetrieb gefehlt hatte … und es machte keinen Unterschied, dass von Lexi abgesehen nicht ein Jugendlicher in der alten Rostlaube gequetscht saß, die jeder Schrotthändler nur zu gerne vernichtet hätte.
„Einer von uns hätte sich verwandeln sollen, damit wir etwas mehr Platz haben“, meinte ausgerechnet Michael, der sich als Einziger nicht in ein Tier verwandeln konnte, weil er schlicht und einfach nur ein Mensch war.
„Ich ja schon mal nicht“, stellte Magnus klar. „Ich bin in meiner Hundegestalt noch größer als jetzt.“
„Stimmt auffallend“, meinte Florian mit einem Klang in der Stimme, der nur Bewunderung und keinesfalls Neid widerspiegelte.
„Wie geht das eigentlich?“, fragte sein Adoptivbruder verwirrt. „Ich verstehe, wenn man ein kleineres Tier wird … aber ein größeres?“
„Es macht doch keinen Unterschied, ob die Größe bei der Hin- oder Rückverwandlung zunimmt. Das ist gehupft wie gesprungen.“
„Ja, auch wieder wahr.“ Michael versuchte, mit den Schultern zu zucken. Es ging nur unter, weil er zwischen Magnus und Florian eingezwängt saß. „Wie das biologisch funktioniert, habe ich sowieso noch nie verstanden. Das scheint ja bei jedem anders zu sein. Florian tut die Verwandlung weh, Lexi spürt gar nichts …“
„Ich spüre schon was, aber je geübter man ist, desto leichter wird’s“, erklärte Alexis trocken.
Ihr Bruder ließ es nicht dabei bleiben. Er führte es für seinen Schwager in spe genauer aus: „Es ist eine Sache der Übung, aber natürlich gibt es auch unter den einzelnen Werrassen naturgegebene Unterschiede. Zum Beispiel, je näher der Körperbau und das Volumen deiner Tiergestalt an deiner menschlichen dran ist, desto weniger Schmerzen verspürst du bei der Verwandlung. Gerade bei den ersten paar Malen, wenn deine Zellen sich noch nicht daran gewöhnt haben oder du dich lange nicht mehr verwandelt hast. Besonders schlimm ist das bei Wertieren wie Mäusen, Ratten und …“
„Insekten“, half Michael weiter.
„Gibt es Insektenwandler?“, fragte Florian fasziniert.
„Wie sollte das möglich sein? Das geht doch wegen dem Warmblütler-Kaltblütler-Paradigma nicht.“
„Ich bin sicher, dass ich schon einmal von einem Schlangenwandler gehört habe“, warf Magnus ein.
„Aber nicht selbst gesehen, oder? Ist vielleicht also nur eine Legende.“
Das spannende Thema wurde durch ihre Ankunft bei der „Schakal-Bar“ unterbrochen. Im Gegensatz zu Magnus legten seine Formwandlerfreunde und seine Verwandtschaft nämlich großen Wert darauf, nicht in der Öffentlichkeit über derartige Themen zu sprechen. Er fand das etwas übervorsichtig. Eigentlich fand er es sogar albern. In Zeiten von Cosplay und Rollenspielen dachte wohl kaum jemand, der eines ihrer Gespräche belauschte, dass es sich bei ihnen tatsächlich um waschechte Formwandler handelte. Magnus hätte ja auch nicht geglaubt, wenn ihm jemand erzählt hätte, ein Außerirdischer zu sein. Eine Convention gab es ja inzwischen schon in fast jeder noch so kleinen Stadt. Regeln waren nun aber einmal Regeln und weil er Gast in Florians und Michaels Haus war, hielt er sich daran.
Sie setzten sich an den runden Tisch gleich rechts neben dem Eingang, der inzwischen wohl so etwas wie ihr Stammtisch geworden war, und Magnus bestellte wie versprochen die erste Runde. Wie es sich gehörte, wurde diese auch sofort auf ex geleert, woraufhin Florian sich nicht lumpen ließ und den Nachschub bestellte.
„Für mich nicht“, lehnte Adrian dankend ab. „Ich muss nachher mit dem Auto weiter.“
„So schade!“, flüsterte Florian für Magnus’ Ohren gerade laut genug und drückte einen Kuss auf die Wange seines Freundes.
„Ich entkomme den Peinlichkeiten heute wohl nicht mehr“, meldete sich Alexis zu Wort, die für ihr Alter manchmal ziemlich prüde rüberkam, was aber wohl auch am Einfluss ihres Bruders lag.
„Vergönn ihm die Freude!“, bat Michael mit einem Grinsen. „Wir haben noch die ganze Nacht, aber Flo hat sein Schmusekätzchen nur noch eine halbe Stunde.“
„Bitte, nenn mich nicht so!“
„Ich finde es niedlich“, unterstützte Florian seinen Adoptivbruder – so wie immer.
„Ah, da kommt auch schon die zweite Runde!“, rief Magnus schnell, um einem möglichen Zwist vorzubeugen.
So stieg der Alkohollevel recht schnell, was für alle bis auf Adrian auch zur guten Stimmung beitrug. Es brauchte nicht einmal den vierten Shot, ehe Florian seine eigenen Regeln vergaß und selbst unverblümt auf das Thema Formwandler zu sprechen kam: „Habt ihr euch je gefragt, ob es welche von uns gibt, die wie ihre Rasse heißen? Gerhard von Wolfenstein oder so? Gibt es das? Magnus, du weißt das doch sicher!“
„Wüsste ich jetzt auf die Schnelle nicht, nein. Das wäre ja auch etwas zu offensichtlich.“
„Wieso? Die Habsburger heißen ja auch Habsburger, weil sie ursprünglich von der Habsburg kommen.“
„Und die Stadt Salzburg heißt dann Salzburg, weil die mal eine Burg aus Salz hatte? Das kann nicht stimmen!“
„Vielleicht hatten sie das Geld für eine Burg, weil sie so viel mit Salz gehandelt haben?“
„Nein, der Fluss heißt Salzach … oder?“
„Ich weiß was!“, rief Michael und brachte die Worte vor Lachen kaum hervor: „Wolfgang für einen Werwolf!“
„Oh! Und Bärtram!“, machte Adrian sofort ungefragt mit. „Bärtram für einen Werbär!“
„Ihr zwei versteht euch schon viel zu gut“, stellte Florian unzufrieden klar, weil er sich veralbert fühlte. Er hatte seine Frage offensichtlich ernst gemeint.
Adrian und Michael grinsten sich nur an. Diese beiden unwiderstehlichen Chaoten!
„Und sie alle leben in Bärlin!“, setzte Michael noch einen oben drauf.
„So schreibt man Berlin nicht!“, widersprach Florian fast sauer.
„Nicht das Berlin. Ein eigenes Bärlin.“
„Schreibt man Bärtram mit ä?“, mischte sich nun auch Lexi ins Gespräch.
„Ich tue einfach mal so, als würde ich euch nicht kennen!“
„Jetzt, da ich darüber nachdenke … Müsstest du als Florian nicht ein Werfloh sein?“
„Wie bitte sollte das gehen?“, fragte Magnus verärgert. „Hast du dir schon mal den Größenunterschied von Mensch und Floh angesehen?“
„Na, entschuldige mal!“, kam Adrian Michael zur Hilfe. „Hast du schon mal den Unterschied zwischen Mensch und Katze gesehen?“
„Das ist richtig, aber sagtest du nicht selbst, die Wandlungsschmerzen werden immer schlimmer, je größer der Verwandlungsumfang ist? Würde ein Werfloh da nicht sterben?“
„Keine Ahnung“, gestand Adrian und stützte sein viel zu hübsches Gesicht auf seine Hand. „Darüber habe ich noch nie nachgedacht. Soweit ich informiert bin, sind Werratten die kleinsten Wandlertiere. Wobei ich aber von Erzählungen weiß, dass es in früheren Zeiten … zumindest angeblich … auch Mäuse gegeben haben soll. Aber wie gesagt, das sind nur Legenden, und getroffen hätte ich noch nie eine.“
„Was macht Florian eigentlich falsch?“, mischte sich sein naseweiser Adoptivbruder erneut zu Wort. „Wieso finden alle Formwandler einander, nur Flo läuft immer an ihnen vorbei?“
„Keine Ahnung, aber eine sehr gute Frage!“
„Danke!“
„Mein Gott, ihr zwei!“, rief Florian nun wirklich verärgert.
„Vielleicht liegt es daran, dass unser Hündchen alle anderen Formwandler nicht mag?“
„Entschuldige mal!“
„Du wolltest Schluss mit mir machen, nur weil dir meine Rasse nicht gepasst hat!“, zerschmetterte Adrian jegliches Gegenargument, das Florian vielleicht hätte heraufbeschwören können.
„Lexi mochte ich aber von Anfang an!“
„Kunststück! Die läuft ja immer mit Parfüm herum.“
„Das ist ihr Duschgel!“
„Wie sind wir noch mal auf dieses Thema gekommen?“, fragte Florian genervt.
Sein Lebensgefährte bemerkte wohl, wie sehr ihm das Thema gegen den Strich ging, denn er warf fast pseudomäßig einen Blick auf seine Armbanduhr. „Ich muss jetzt ohnehin los! Wir sehen uns morgen, ja?“
Florian streckte sich ihm sofort entgegen, um einen Abschiedskuss zu bekommen. Der aufgekommene Streit und der damit verbundene Ärger waren sofort vergessen. „Ich schicke dir eine SMS, wenn ich zuhause ankomme … damit du dir keine Sorgen machst.“
„Passt einfach gut auf euch auf! Bis morgen!“
Magnus winkte seinem neuen Freund hinterher und war doch weit mehr an Florians Reaktion interessiert. Der arme Narr war immer noch so verknallt, es sah aus, als würde er verhungern, so leidend und sehnsüchtig starrte er Adrian hinterher – und der Blick blieb auch noch, als die Tür längst wieder zugefallen war. Magnus liebte seinen Cousin, aber manchmal schaute er ihn an und war verdammt froh darüber, dass er nicht so ein hilfloser Romantiker war. Alleine beim Gedanken, nicht mehr intim mit jeder Person werden zu können, die er interessant fand, graute es ihm. Er fühlte sich viel zu jung für eine feste Beziehung und genau genommen konnte er sich auch nicht vorstellen, wie eine langanhaltende Beziehung im Bett spannend bleiben konnte. Irgendwann kannte man sich doch in- und auswendig. Wo blieb da der Nervenkitzel des Flirtens und die Befriedigung einer gelungenen Eroberung?
Als ob es weltweit jemanden gegeben hätte, den oder die er nicht innerhalb eines Abends hätte für sich gewinnen können!
„Wolltest du Adrian nicht mal begleiten?“, riss ihn Michael aus den Gedanken.
„Ja, klar. Tue ich auch noch immer, aber heute sitze ich lieber mit euch zusammen. Vielleicht begleite ich ihn nächste Woche.“
„Du reist noch immer nicht ab? Musst du nicht wieder arbeiten oder so?“
„Das meiste macht sowieso mein älterer Bruder. Und mein Zwilling hält derweil die Stellung für mich.“
„Was macht eure Firma noch mal genau?“, fragte Florian zwischen zwei Schluck Bier.
„Computertechnik ist unser Hauptgeschäft, aber wir haben unsere Finger in ein paar Wirtschaftszweigen drin.“
„Und welche?“
„Würdest du es verstehen, wenn ich es dir erklären würde?“
Florian überlegte und antwortete dann wahrheitsgemäß: „Wahrscheinlich nicht.“
„Dann macht es auch wenig Sinn, es dir zu erklären.“
Puh! Zum Glück bohrte sein Cousin nicht weiter nach. Er hätte es ihm nach dem ganzen Alkohol nämlich nicht wirklich erklären können. Und dabei ging das Betrinken gerade erst richtig los!
Magnus war immer wieder überrascht davon, wie viel Alexis trotz ihrer schmalen Form und ihrem wenigen Gewicht wegtrinken konnte, ohne dass sie sich hinter der nächsten Ecke übergab oder ohnmächtig auf der Tischplatte landete. Es hing vielleicht mit ihren Wandlergenen zusammen, denn sie war ja auch übernatürlich stark für ihren Körperbau. Am Jahrmarkt hätte sie ihn fast beim „Hau den Lukas“ geschlagen, was nicht nur seinen Stolz als Muskelmann verletzt, sondern ihn regelrecht schockiert hatte … immerhin war sie ein Katzenwandler und er war ein waschechter Wercollie.
Er überlegte gerade, ob er sie zu einem kleinen Armdrücken herausfordern sollte, als ihm ein seltsamer Geruch in die Nase drang. Nach ein wenig Schnüffeln schaute er sich neugierig um, aber er hatte die Spur wegen des ganzen Rauchs und der vielen Gäste wieder verloren. Er entdeckte allerdings ein Gesicht, das er nicht kannte – und Magnus war stolz darauf, dass er nie ein Gesicht vergaß.
„Hey, schaut mal nach rechts! Der Kerl dort! Kennt den jemand?“
„Wen?“, fragte Michael und beugte sich etwas nach vorne, um an Lexi vorbeizuschauen, die gerade etwas in ihrem Handy nachlas.
„Den da … den Lockenkopf! Der ist doch neu, oder?“
„Warte noch …“ Michael lehnte sich inzwischen über die Tischplatte. „Stimmt. Den kenne ich auch nicht. Ist vielleicht so ein Biker auf der Durchreise.“
„Das ist einer von uns!“, rief Magnus erfreut. „Da also kam der Geruch von eben her!“
„Was jetzt bitte?“, fragte Florian verwirrt.
„Der gehört zu uns! Das ist auch ein Formwandler!“
„Ich fühle mich gerade ausgeschlossen“, meinte Michael nur halb im Scherz.
„Unglaublich, oder?“ Florian schüttelte den Kopf. „Man hat mir immer gesagt, dass man hier viele von uns auf der Durchreise kennenlernen kann, aber angefangen hat das erst mit Adrian und Lexi.“
„Ich hol ihn an den Tisch!“
„Nein, lass das!“, warnte Alexis schnell und schaute von ihrem Handy hoch. „Der ist wahrscheinlich mit Freunden hier und will seine Ruhe!“
„Der steht da doch ganz einsam und alleine neben der Bar!“
„Weil er vielleicht mit dem Motorrad da ist und heute schon den ganzen Tag auf dem Hintern gesessen hat?“
„Es wäre unhöflich, nicht zumindest hallo zu sagen!“, schoss Magnus alle Warnungen in den Wind.
Gerade als er aufgestanden war und auf den Fremden zumarschieren wollte, fing ihn eine Bikergang ab. Er hatte die fünf Motorradfahrer erst vor wenigen Tagen kennengelernt und sie zu ignorieren, wäre auch unverschämt gewesen, also sagte er Hallo und ließ sich die Arme um die Schultern legen. Eigentlich verstand er sich mit den Männern ganz gut … wenn sie nur nicht so stechend nach Schweiß und Motoröl gerochen hätten!
„Was denn, was denn, was denn!“, begann der Erste von ihnen und würgte Magnus regelrecht. „Schon wieder ohne Lady unterwegs?“
„Fast. Ich sitze dort hinten mit am Tisch.“
„Heiße Braut!“
„Aber noch im Larvenstadium, oder?“, fragte der zweite Biker.
„Trotzdem Respekt!“
„Nein, das ist nicht meine Freundin!“ Magnus lachte, aber es klang ein wenig nach Verlegenheit. „Das ist die … jetzt wird’s kompliziert … Das ist die Schwester von dem Typen, den mein Cousin knallt. Wartet! So rum ist es einfacher: Das ist die Freundin von dem Typ, dessen Eltern meinen Cousin adoptiert haben.“
Die fünf Männer schauten ihn an, lachten und schüttelten sich dabei regelrecht durch.
„Sag doch einfach ihren Namen!“, riet der Erste in der Reihe. „Aber gut! Wieso einfach, wenn es auch kompliziert geht, was?“
Magnus zuckte mit den Schultern. Er hatte kein Problem damit, wenn ihn andere veralberten, solange er nur mitlachen konnte. „Kurze Frage an die Mannschaft: Kennt ihr den dort drüben?“
„Wen?“
„Den Strich da in der Landschaft!“
„Der Spargelkrieger? Nein, der sagt mir gar nichts.“
„Ist der überhaupt alt genug, um hier reinzukommen?“, meldete sich der Fünfte in der Gruppe zu Wort und rieb seinen rostroten Bart. „Der ist so winzig klein.“
„Es gibt auch alte Zwerge“, scherzte Magnus.
„Das darf man nicht mehr sagen“, verbesserte ihn ausgerechnet der Anführer der Gang, Pete, den man eher für einen Piraten als einen Anstandswauwau gehalten hätte. „Ja schön politisch korrekt bleiben!“
„Ich werde es vermerken.“ Langsam ging ihm das Gebrabbel der eindeutig betrunkenen Biker doch auf die Nerven. Immerhin wollte er den fremden Formwandler persönlich ansprechen. „Also gehört er nicht zu eurer Gang oder einer, die ihr kennt?“
„Wie gesagt, noch nie gesehen. Der Kerl ist aber schon seit ein paar Stunden da. Er saß an der Bar, als wir reingekommen sind.“
Vielleicht wartete der Fremde wirklich auf Freunde, die sich noch nicht hatten blicken lassen. Das hätte zu dem Gesichtsausdruck auf seinem Gesicht gepasst – ein wenig traurig, etwas verloren und ziemlich stinkig. Magnus musste ihn einfach ansprechen. Davon abgesehen war er zu hundert Prozent sicher, dass der von ihm ausgehende Geruch nur von einem Formwandler stammen konnte – auch wenn im Moment zu viele Duftnoten in der Luft schwebten, um seine Rasse genau definieren zu können. Er musste näher ran!
„Leute, nehmt euch hier ein Zimmer und fahrt ja nicht mit euren Fahnen weiter! Ich geh gleich mal und sage der Bardame Bescheid!“
Die fünf Männer grunzten ihren Abschied eher, als ihn auszuformulieren. Das war Magnus nur recht. Immerhin wollte er eine neue Bekanntschaft machen, auch wenn er sich ein wenig um „seine“ Biker sorgte. Sie waren Kumpels mit dem Herz am rechten Fleck. Man konnte wirklich nicht immer vom Äußeren ausgehen und das wusste niemand besser als ein waschechter Formwandler.
Magnus hatte die Strecke zum geheimnisvollen Fremden bis auf wenige Schritte zurückgelegt, als es ihm wie ein Licht aufging. Natürlich! Diesen unverkennbaren Geruch hätte er schon früher aus dem Dunst herausfiltern müssen.
„Hey, du Ratte!“
Der rothaarige Mann drehte sich ihm zu und schaute ihn wütend an.
„Wie geil ist das denn? Da kommt man ohne Erwartungen in die Bar und trifft auf eine waschechte Ratte!“
Und plötzlich passierte, was er niemals für möglich gehalten hätte: Der kleine, schlaksige, fast zierlich wirkende Kerl schlug ihm so kräftig mit der Faust ins Gesicht, dass Magnus den Halt verlor und zurückkippte.
* * *
„Er wacht auf!“
Wo war er bitte? Wer redete da? Und wieso tat sein Kopf so verdammt weh?
„Soll ich ihm noch eine Packung Eis aus dem Tiefkühlfach holen?“
„Tu, was du nicht lassen kannst. Ich bleib hier sitzen und tu gar nichts!“
„Nicht so laut, Leute! Mensch! Nehmt doch etwas Rücksicht auf meine Kopfschmerzen!“
Die Stimmen klangen verdammt vertraut. Es dauerte aber noch eine geschlagene Minute, bis sich sein Hirn wirklich aufs Aufwachen konzentrierte. Magnus öffnete die Augen und schaute um sich. Er lag auf der Couch im Haus seiner Cousins. Aber wieso lag er da?
„Hey, Mag!“, rief ihm Michael vom Tisch aus zu.
„Wer ist Meck?“
„Nein, Mag. Denk dir Magnus auf Englisch und lass die letzte Silbe weg.“
„Nein, lass das! Pfui!“
Der attraktive Freund seines Cousins hockte sich vor ihm auf den Boden und legte Magnus eine Plastiktüte mit Eis auf die Stirn. Die Kälte ließ ihn zusammenzucken, aber es fühlte sich auch verdammt gut an. Zumindest wurde er so schneller richtig munter.
„Schon besser?“, fragte Adrian mitfühlend.
„Ich habe nur etwas Kopfschmerzen. Was ist passiert? Haben die anderen mich unter den Tisch gesoffen?“
„Nein. Weißt du denn gar nichts mehr davon?“
„Von was genau jetzt?“, fragte Magnus verwirrt und genoss den Blick in diese unendlich blauen Augen. Es war kein Wunder, dass Florian diesen Kerl vögelte. „Ich weiß nur noch, dass wir in die Schakal-Bar sind, um etwas zu trinken.“
„Stimmt ja … davon habe ich mal gelesen. Wenn man ohnmächtig geschlagen wird, vergisst man die Minuten davor …“ Adrian stand wieder auf, während Magnus sich aufrecht hinsetzte und das Eispäckchen selbst gegen seine Stirn drückte. „Du hast einen Mann in der Bar gefragt, ob er eine Ratte ist, und er hat dich deswegen K.o. geschlagen.“
„Was für ein Arsch!“
„Auch wenn seine Reaktion überspannt war, hast du dich da doch selbst reinmanövriert. Wie hättest du reagiert, wenn dich ein Fremder einfach so eine Ratte nennen würde?“
„Wenn ich eine wäre: Hände schütteln und vorstellen!“
„Scheinbar hast du dich da aber geirrt.“
Adrian klopfte ihm vorsichtig auf die Schulter und marschierte in die Küche. Magnus wollte es ihm gleichtun, stellte aber fest, dass er wackelig auf den Beinen war. Es lag allerdings nicht an dem K. o., von dem er tatsächlich nichts mehr wusste. Die Couch war einfach viel zu kurz und schmal für einen Mann seiner athletischen Ausmaße. „Morgen alle zusammen!“
„Mensch, Magnus! Zu laut!“
„Du bist nicht leiser, Flo!“
Am Tisch saß seine Zweitfamilie versammelt: Florian hing halb über die Lehne seines Stuhles, Lexi lag halb auf Michael und der presste sein Gesicht auf die auf dem Tisch verschränkten Arme. Sie wirkten alle drei wie ein Häuflein Elend.
„Ich muss jetzt echt los!“ Adrian gab seiner Schwester einen Kuss auf den Scheitel, Michael einen Klaps auf die Schulter und Florian bestrafte er wohl damit, dass er ihm nur eine Tablette gegen Kopfschmerzen auf den Tisch legte. „Bleibt ja im Haus und baut einmal keine Scheiße, ja? Wir sehen uns später.“
Als er zur Tür hinausmarschierte, grüßte er Magnus nur kurz mit der Hand. Das Lächeln wirkte aufgesetzt, aber es war leicht zu erraten, wie seine Nacht mit vier „Patienten“ so ausgesehen hatte. Leider befand sich außer einer Kanne Kaffee kein Katerfrühstück auf dem Tisch. Enttäuschend!
Magnus bemerkte erst in diesem Moment, dass seine Schmerzen bereits abklangen. Seine Gene waren die geilsten! Das konnten die drei am Tisch nicht von sich behaupten.
„Wie bin ich nachhause gekommen?“, fragte Magnus nach ein paar Minuten, die er diesem Elend nur stumm zugesehen hatte.
„Onkel Schakal hat Adrian angerufen und der hat dich abgeholt“, erklärte Florian im Flüsterton.
„Und ihr habt mich nicht gebracht?“
„Wir durften ja nicht mehr fahren.“
Michael warf beide Hände in die Luft, als wollte er sagen: Bist du so blind oder doof, dass du unsere Kater nicht mitbekommst?, aber nicht die Kraft dafür verschwenden wollte, so viele Silben zu formen.
„Teilst du die Tablette mit mir?“, fragte Alexis, die sich scheinbar nicht einmal am Gespräch beteiligen wollte.
„Sei mein Gast …“
Nein, das hielt er nicht länger aus! Diese Truppe tat ja fast so, als würde sie wegen eines kleinen Alkoholnachspiels draufgehen. Magnus war fast enttäuscht. Er erwartete mehr Durchhaltevermögen von seinen Freunden – vor allem von Florian, der immerhin mit ihm verwandt war. Ihre Familie hatte schließlich einen Ruf zu verteidigen.
Gut, er hatte einen Ruf zu verteidigen.
„Ich weiß ja nicht, was ihr Versager noch so mit eurem Kater anfangen wollt, aber ich gehe jetzt und drehe meine morgendliche Runde.“
„Adrian ist doch gar nicht mehr da …“ Michael wollte noch etwas sagen, ließ es dann aber doch bleiben und legte sich zurück auf den Tisch, während seine Freundin und sein Adoptivbruder kameradschaftlich die Pille teilten und mit etwas Kaffee schluckten.
Magnus beachtete die drei nicht weiter und marschierte mit einem ausgiebigen Gähnen in sein Gästezimmer, um sich umzuziehen. Es war noch früh genug, um ein paar Kilometer hinter sich zu bringen, ehe die Sonne erbarmungslos auf ihn herunterbrennen würde. Er liebte Joggen, aber bei den Temperaturen dieser Tage hielt selbst er nicht lange durch.
Nach einer eiskalten Dusche schlüpfte er also eilig in sein Trainingsoutfit und warf nur noch einen letzten Blick in die Küche. Die Schnapsdrosseln hatten sich inzwischen aufgerafft und schmierten sich ein paar Marmeladebrote. Gut, dann musste er sich später nicht vor Adrian rechtfertigen, wie er sie in ihrem Zustand hatte alleine lassen können.
Beim Öffnen der Haustür schlug ihm bereits eine unangenehm warme Luft ins Gesicht. Das konnte ja heiter werden! Und von einer Regenwolke nicht eine Spur!
Wer einen Traumkörper wollte, musste sich aber einem albtraumhaften Training unterziehen. Und Magnus wollte unbedingt einen Körper, den jeder Bildhauer sofort in Marmor meißeln würde. Derzeit kamen ihm nur immer wieder unvorhergesehene Dinge in den Weg – und nur die Hälfte davon hatte mit Florian, Mike, Adrian oder Lexi zu tun. Auch an diesem Morgen war es so, denn er war gerade erst in sein gewohntes Tempo gekommen, als er jemanden entdeckte, der seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog.
Das konnte aber doch gar nicht sein! Magnus kniff die Augen zusammen und legte sicherheitshalber auch noch eine Hand an die Stirn, um die Sonnenstrahlen besser abwehren zu können. Nein! Er irrte sich bestimmt nicht! Das war seine „Bekanntschaft“ der letzten Nacht!
Aber was trieb der junge Mann da? Zog er etwa nur zwei Straßen weiter in eines der leerstehenden Häuser? Oder irrte Magnus sich und der Kerl zog bei seiner Freundin ein? Natürlich konnte es auch bei einer bedürftigen Großmutter sein, die gepflegt werden musste. Magnus hoffte, dass es die letzte Variante war.
Nun war guter Rat teuer! Auch wenn er sich an den Schlag nicht erinnern konnte, von dem Adrian erzählt hatte, schmerzten sein Kiefer und sein Hinterkopf, mit dem er wahrscheinlich auf den schmutzigen Holzdielen aufgeschlagen war. Der Neuling war also niemand, mit dem man sich anlegen sollte.
Er hatte sich ja gar nicht mit ihm anlegen wollen! Im Gegenteil! Er war überglücklich auf ihn zumarschiert, um ihn kennenzulernen! Die Zahl der Formwandler war in den letzten Jahrzehnten rapide zurückgegangen und neue Familien und Geschlechter zu treffen, war immer etwas Besonderes. Die einzelnen Sippen waren untereinander nämlich nicht vernetzt, um sich zu schützen. Magnus fand das übertrieben, aber er hielt sich an die Regeln, denen sich seine Familie verschrieben hatte.
Meistens.
„Hey, du da!“, rief er dem Mann mit den Umzugskartons fröhlich zu.
Es dauerte eine Sekunde, aber dann schien ihn der Lockenkopf zu erkennen. Er verdrehte die Augen so stark, dass Magnus es sogar aus der Entfernung ausmachen konnte. Als er ihn erreichte, tat er nur so, als hätte er es nicht bemerkt.
„Was tut sich so …“ Er las den Namen auf einem der Kartons. „… Alexander?“
„Legst du es auf eine zweite Abreibung an?“ Der junge Mann beäugte ihn mit zusammengekniffenen Lidern, behielt die Hände aber erst noch bei sich. „Nur, dass das klar ist: Wenn du mich noch einmal Ratte nennst, hau ich richtig zu!“
Magnus hob die Hände in einer abwehrenden Geste. „Es sollte keine Beleidigung sein.“
„Ach, nein?“
„Nein, gar nicht!“
„Also sehe ich für dich aus wie eine Ratte?“
„Du verstehst das falsch. Ich meinte eigentlich …“
„Jeder hat ein Recht auf eine eigene Meinung, aber ich bin nun mal keine Ratte und deswegen ist es beleidigend!“
Magnus machte einen Schritt zurück. Er war sich so sicher gewesen. Genau genommen glaubte er seinem Gegenüber auch nicht. Vielleicht stritt Alexander die Tatsache nur so vehement ab, weil er nicht wusste, dass er einem anderen Formwandler gegenüberstand. Natürlich! Das musste es sein! Seine Familie war ja auch immer übervorsichtig. Magnus atmete tief durch und setzte sein strahlendstes Lächeln auf. „Hör mal, ich meinte das wirklich nicht als Beleidigung, sondern …“
„Als Anmachspruch oder was?“, fiel ihm Alexander immer noch geladen ins Wort. „Bist du geistesgestört?“
„Nein, ich … Warte mal! Du bist wirklich keine Ratte, oder? Du bist eine Maus!“ Magnus schüttelte von seinem eigenen Irrtum belustigt den Kopf. Natürlich! Die Gerüche der beiden Tiergruppen waren bestimmt ganz ähnlich und mit dem Alkohol und einer vorgefassten Meinung in der Hitze des Gefechts … Es fiel ihm wie Schuppen von den Augen. „Du bist eine Maus!“
„Nicht mal mit ‚Mäuschen‘ hättest du bei mir eine Chance!“ Alexander fuhr ihm beinahe mit dem Zeigefinger ins Gesicht. Dann wurden seine Augen mit einem Mal groß und er machte einen Schritt zurück. Er stolperte dabei fast über einen der abgestellten Kartons. „Woher weißt du, dass ich …“
„An deinem Geruch!“, rief Magnus fröhlich. „Der Gestank in der Bar hat mich etwas verwirrt, aber mir war sofort klar, dass du einer von uns bist!“
Der junge Mann legte den Kopf schief und tiefe Falten gruben sich in seine Stirn. Dann zogen sich seine Augenbrauen wieder zu einem wütenden Gesichtsausdruck zusammen. Er machte den zurückgewichenen Schritt sogar wieder nach vorne. „Heterosexuelle riechen nicht anders als alle anderen, du blödes Arschloch!“
Nun war es Magnus, der gar nichts mehr verstand. Sogar seine Frage rutschte ihm unbewusst über die Lippen: „Was?“
„Wie ‚was‘?!“ Alexander gestikulierte wild mit den Armen in der Luft. „Was meinst du jetzt wieder?“
„Deinen Mäusegeruch?“ Er zuckte mit den Schultern. Langsam ging ihm dieses Katz-und-Maus-Spiel auf die Nerven. Das hätte ihn nur als Wortspiel unterhalten, wenn es Adrian oder Alexis gewesen wären, die sich mit dem Neuzugang in der Nachbarschaft unterhalten hätten. „Okay, pass mal auf! Es gibt keinen Grund für ein Versteckspiel. Ich bin ebenso ein Formwandler wie du. Ein Werhund, um genau zu sein. Deswegen habe ich deinen Geruch sofort erkannt … oder eben fast. Als Entschuldigung für meinen kleinen Irrtum kann ich nur anführen, dass ich zuvor noch nie einen Mäusewandler getroffen habe … und dein Geruch erinnert wirklich verdammt an den von Ratten.“
Alexander schaute ihn nur mit ausdrucksloser Miene an. Magnus hatte keine Ahnung, was er als Nächstes zu hören bekommen würde. Auf die tatsächliche Äußerung war er also alles andere als vorbereitet: „Du bist ja vollkommen geisteskrank!“
Magnus wich dem verurteilenden Blick nicht aus, aber er verstand das Problem einfach nicht. Er konnte nicht so weit danebenliegen! Der Geruch eines Menschen war zu anders.
„Es tut mir wirklich leid, dass unsere Beziehung auf dem falschen Bein angefangen hat, aber …“
„Beziehung? Verschwinde einfach von meinem Rasen! Und gib dem Idioten, mit dem du gewettet hast, seine verdammten zehn Euro!“
Was meinte er denn damit schon wieder? Magnus kam gerade erst darauf, dass Alexander seine Ansprache für eine Bierwette hielt, als er eine Bewegung hinter sich wahrnahm. Nachdem er sich umgedreht hatte, stand er unerwartet einem Kerl in Blaumann und Mütze gegenüber.
„Lehnert? Alexander Lehnert?“
„Ähm … das ist der da!“ Magnus zeigte mit dem Daumen über seine Schulter.
Wie hatte er einen anderen Mann überhören können? Hatte sich dieser auf Zehenspitzen angeschlichen? Wow! Sie wären beinahe belauscht worden!
„Das bin ich!“ Alexander marschierte um Magnus herum und streckte seinen Arm zum Händeschütteln aus. „Sie sind etwas zu früh!“
„Ja, ein Termin musste verschoben werden. Ich hoffe, das ist okay?“
Von diesem Augenblick an tat Alexander so, als wäre Magnus gar nicht da. Er würdigte ihn keines Blickes mehr und führte stattdessen den Handwerker zu seiner Haustür. Wenn er auch nur ein Wort gesagt hätte, wäre ihm Magnus nur zu gerne mit den Kisten und Kartons zur Hand gegangen, aber manchmal erkannte sogar er, wann er unerwünscht war.
Egal! Magnus musste sowieso weiter. Die Sonnenstrahlen fühlten sich bereits unangenehm auf der nackten Haut an. Wenn er nicht in die Gänge kam, würde er in der größten Hitze zurücklaufen müssen.
* * *
Zwei Tage waren seit seinem Zusammentreffen mit diesem seltsamen Kerl vergangen, aber Alexander fühlte sich bei der Erinnerung an ihn immer noch unwohl.
Was machte man, wenn man in der Nähe eines geistig Verwirrten lebte? Meldete man sich schon bei den ersten Anzeichen bei der Polizei und traf Vorkehrungen, falls es zu Handgreiflichkeiten kommen sollte?
Vielleicht übertrieb er ein wenig … In Dornbirn hatte er eine Zeit lang neben einer Familie mit einem geistig benachteiligten Teenager gewohnt und es war nie zu Problemen gekommen. Im Gegenteil! Er hatte des Öfteren mit der Mutter, dem Jungen selbst und den beiden jüngeren Geschwistern geplaudert. Manchmal steigerte man sich zu sehr in Dinge hinein.
Aber er sollte verdammt sein, wenn er nicht auf alle Eventualitäten gefasst sein würde!
Alexander streckte sich durch und rieb sich das Kreuz. Langsam tat ihm vom Herumschleppen diverser Gegenstände alles weh. Wie hatte er aber erahnen können, wie viel Stauraum einem beim Fehlen eines Kellers abhandenkam? Es war auch sein erster Umzug ohne Hilfe und er konnte einfach noch nicht sagen, welche Dinge er irgendwo im Mietshaus unterbringen, welche er in der Garage verstauen und welche er gleich in die nächste Mülltonne werfen sollte.
„Ach, verdammte Scheiße noch mal!“ Das Garagentor ging schon wieder von selbst auf. Er trat aus Frust kräftig dagegen. „Vermaledeiter Dreck!“
Wollten die schlechten Nachrichten denn gar kein Ende mehr nehmen?
„Probleme mit der Mechanik?“
Alexander drehte sich überrascht um und entdeckte einen hochgewachsenen Blonden vor sich, der ihm gerade wie ein Turm Schatten spendete. Waren alle Kerle in dieser Gegend Riesen?
„Diesen Mangel hat mir die Maklerin verschwiegen“, erklärte er schnell, um davon abzulenken, wie sehr ihn die plötzlich gestellte Frage erschreckt hatte.
„Ich kann sie mir bei Gelegenheit mal ansehen, wenn Sie wollen. Das sind meistens nur ein paar Handgriffe und … Oh! Mit ‚sie‘ meinte ich die Mechanik, nicht ‚Sie‘ ‚sie‘ …“
Alexander wunderte sich darüber, dass sein Gegenüber so komisch reagierte, bemerkte dann allerdings, wie verbissen er immer noch dreinschaute. Er spürte die Verspannung in seinen Wangen. Wahrscheinlich dachte der Kerl, dass er ihn wegen seiner unklaren Wortwahl so anstarrte.
„Da können wir gerne mal drüber reden. Danke.“ Er streckte die Rechte aus. „Alexander Lehnert.“
„Florian Richter. Ich wohne ein paar Straßen weiter. Freut mich!“
Sie schüttelten Hände und musterten sich gespannt. Ob dieser blonde Kerl wohl auch gerade ein Déjà-vu hatte? Irgendwo hatten sie einander schon einmal gesehen. Er war sich hundertprozentig sicher. Nur wo?
„Ziehen Sie gerade hier ein?“
„Für die nächste Zeit mal, ja. Zum Runterkommen und Durchatmen.“ Sofern ihm kein geisteskranker Bodybuilder in die Suppe spuckte und es mit seiner Ruhe schon vorbei war, ehe er sie überhaupt hatte genießen können. „Sie spielen nicht zufällig Golf?“
„Nein, das bestimmt nicht!“ Florian lachte auf. „Ich habe es nicht ganz so mit der Zielgenauigkeit. Mein Handicap wäre minus eine Million oder so … Ich schaffe nicht mal beim Billard eine Kugel ins Loch.“
„Mit genug Hingabe kann man trotzdem besser werden.“
„Das glaube ich gern, aber ich finde das Spiel einfach … Es ist mir etwas zu langweilig.“
Und ein weiterer Nachbar, den Alexander aus seiner Liste möglicher Freunde strich.
Wie konnte man Golf denn langweilig finden?
Am liebsten hätte Alexander seine neue Bekanntschaft aus dem Weg geschoben und wäre zurück ins Haus marschiert.
Wieso tat er es eigentlich nicht? Er war diesem Florian ja nichts schuldig. „Ich muss dann mal wieder! Auf Wiedersehen!“
„Bis bald!“
Hoffentlich nicht, dachte Alexander bei sich und war froh, als er ins Innere seines neuen Heimes kam. Es war zwar auch darin nicht kühl, aber zumindest kam er so aus den direkten Sonnenstrahlen. Er wollte gerade in die Küche gehen und den bisher einzigen Inhalt seines Kühlschrankes herausholen, als ihn ein seltsames Geräusch aufhorchen ließ. Weil es unmittelbar danach wieder still war, dachte er sich nichts weiter dabei und gönnte sich endlich eine Flasche Bier. Allerdings konnte er nicht mehr als den ersten Schluck genießen, denn derselbe Ton erklang noch einmal, nur noch lauter, und dieses Mal ging er ihm durch Mark und Bein. Es klang nach Nägeln, die über eine Tafel gezogen wurden, – und zwar in nächster Nähe.
Alexander verließ das Haus wieder und schaute in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war und auch schon wieder erklang. Es war nicht nur nervtötend, sondern schmerzte ihm in den Ohren. Was er erwartet hatte, konnte er selbst nicht sagen, aber keinesfalls das, was er zu sehen bekam: Dieser Florian machte sich an seiner Garage zu schaffen!
„Hey!“
Der junge Mann drehte sich ihm zu, ließ seine Hände aber unverschämt an dem Blech liegen. „Es ist wieder aufgegangen, als Sie zur Tür rein sind.“
„Lassen Sie gefälligst mein Eigentum in Ruhe! Ernsthaft jetzt!“ Handelte es sich bei dem attraktiven Kerl etwa gar nicht um einen Nachbarn, sondern einen dreisten Einbrecher, der sich nur hilfsbereit gab, um so leichter an mögliche Diebesbeute zu kommen? Wenn dem so war, dann hatte sich der Hübschling den Falschen ausgesucht! Wenn er nur einen seiner Schläger bei sich gehabt hätte! „Weg da!“
„Ich sehe es mir nur kurz an. Es ist bestimmt ein leicht zu behebendes Problem mit …“
„Letzte Warnung jetzt! Geh da weg!“
Florian hob die Hände in einer Abwehrgeste und machte einen Schritt vom Tor weg, das unmittelbar danach von selbst in die Höhe ging. „Ich wollte nur sichergehen, dass es zu bleibt, wenn Sie nicht in der Nähe sind. Hier sind viele Haustiere unterwegs, die Auslauf haben … Nicht, dass da eines versehentlich gefangen wird. Passen Sie bitte immer auf, dass Sie nicht aus Versehen eine Katze oder so einsperren.“
„Als ob!“
„Es stimmt! Hier in der Gegend gab es schon einige Vorfälle und …“
„Verschwinde endlich von meinem Grundstück oder ich werde richtig sauer!“
„Ich will doch nur erklären, wieso das so wichtig ist. Wir bekommen jedes Mal Panik, wenn eines unserer Tiere nicht nachhause kommt.“
Der Mistkerl gibt einfach nicht auf, dachte Alexander erbost und ließ sich zu einer abschreckenden Lüge hinreißen: „Wenn ich irgendein Vieh auf meinem Grund und Boden erwische, muss sich niemand mehr darum sorgen, denn dann nehme ich einen Schläger und schlag wortwörtlich ein hole-in-one!“
Es war ein wenig übertrieben und weiter von der Realität weg, als jede andere Drohung, aber sein Besucher konnte das ja nicht wissen – und seine Reaktion war noch überzogener. Florian ging ihm an die Gurgel und zischte durch gefletschte Zähne: „Du tust ihnen weh … ihnen oder irgendeinem anderen Tier … und ich tue dir weh, capisce?“
Alexanders Herz begann zu rasen. Er bekam kaum Luft, so fest war der Griff um seinen Hals, und obwohl er sich mit beiden Händen wehrte, konnte er sich nicht befreien. Es war, als ob er auf eine eiserne Rüstung einschlug.
„Kapiert?“
Alexander blinzelte verwirrt, nickte dann aber schnell – zumindest versuchte er es trotz der Hand, die immer noch an seiner Kehle lag. Danach war ihm endlich wieder erlaubt, Luft zu holen, also atmete er erst einmal tief durch.
„Ruf jemanden, der das Garagentor repariert!“
Und dann war dieser Mistkerl so schnell verschwunden, wie er aufgetaucht war. Alexander keuchte noch zu sehr, um ihm etwas Beleidigendes hinterherzurufen, aber es würde sich eine andere Gelegenheit dazu ergeben … falls „Florian“ wirklich Florian hieß und in der Nachbarschaft wohnte. Wenn es aber so war und sich nicht nur ein Einbrecher Zugang zu seiner Garage hatte erschleichen wollen, machte es seinen Umzug in diese Gegend noch um einiges schlimmer.
„Verfluchte Scheiße!“
War die gesamte Nachbarschaft an diesem Ort entweder überdurchschnittlich brutal oder völlig verrückt? Alexander kam der Kerl mit seiner Geschichte von Werhunden plötzlich weit sympathischer vor als noch vor einer Stunde. Zumindest im Vergleich zu manchen anderen. Und wenn man schon vom Teufel sprach …
Magnus war am anderen Ende des Nachbarrasens aufgetaucht und schleppte halb nackt einen großen Kanister zum kleinen Geräteschuppen quer von seiner Garage. Das alte Ehepaar Gruber rief ihm etwas zu und er antwortete irgendetwas – und Alexander fragte sich, wieso er dabei zusah. Was erwartete er denn zu sehen? Dass der blonde Riese sich das vom Schweiß durchtränkte Hemd vom Leib riss, die alten Leute mit bloßen Zähnen zerfleischte und auffraß? Nun gut, dieser Gedanke war nicht ganz von der Hand zu weisen. Immerhin hatte genau dieser Mann ihm vor zwei Tagen erzählt, dass er sich für einen Werwolf … nein, Werhund … hielt. Da war es doch nicht mehr weit zu einer Bluttat!
Alexander verspürte beinahe etwas wie Erleichterung, als sich die steinalten Leutchen wieder in ihr Haus zurückzogen und Magnus alleine in der brütenden Hitze zurückblieb. Damit waren sie zumindest fürs Erste sicher vor dem schwitzenden Riesen.
Was trieb er da eigentlich? Alexander erkannte es erst, als er das Geräusch von Wasser hörte, das mit hohem Druck gegen Metall prasselte. So, so! In dieser Gegend machten „Hunde“ also die Gartenarbeit ihrer menschlichen Mitbewohner. Wenn es nicht so lächerlich gewesen wäre, hätte Alexander aufgelacht.
Oder auch nicht. Seine Kehle tat immer noch verdammt weh.
Alexander hatte sich gerade erst dazu entschlossen, wieder ins Haus zurückzugehen und etwas zum Fixieren seines Garagentors zu suchen, als dieses die letzten Zentimeter hochfuhr und dabei ein nervtötendes Quietschen von sich gab. So gut, so schlecht, aber das bewirkte noch etwas anderes als seine Gänsehaut: Magnus schaute neugierig in seine Richtung.
Verdammt! Er hatte ihn entdeckt!
Alexander war so zwischen Fluchtreflex und Angriff hin- und hergerissen, dass er einfach wie eine Kuh auf neuer Weide stehenblieb und verwirrt vor sich hinstarrte. Magnus war offensichtlich weniger perplex. Er hob eine Hand zum Gruß und winkte ihm mit einem widerlich zufriedenen Grinsen zu.
Was sollte das nun wieder?
Nein, nein, nein! Wie seine Nachbarschaft sich um ihre Grundstücke kümmerte, war nicht seine Angelegenheit! Sollte der Kerl doch nackt Blumen gießen, wenn ihm danach war! Man musste ja nicht hinsehen, wenn entblößte Oberarme oder verdammt feuchte Hemden an übertrieben muskulöser Brustmuskulatur klebten.
Alexander drehte sich auf dem Absatz um und kehrte in sein Haus zurück. Er brauchte unbedingt eine Klimaanlage, wenn die Temperaturen im Sommer immer so hoch waren … und er sich derart über seine Mitmenschen ärgern musste.