Yoga bei Essstörungen - Lilly Lia Hoffmann - E-Book

Yoga bei Essstörungen E-Book

Lilly Lia Hoffmann

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Beschreibung

Den Körper neu kennenlernen Yoga ist nicht nur eine der beliebtesten Sportarten in Deutschland, sondern ist durch die achtsamen und bewussten Körperübungen auch therapeutisch heilsam. In diesem Buch kombiniert eine erfahrene Yogalehrerin wertvolle Übungen und psychologische Hintergrundinformationen für Betroffene von Essstörungen. Wer unter Essstörungen leidet, hat einen starken Willen und ein festes Ziel, das jedoch einem gesunden oder akzeptierenden Eigenbild widerspricht. Diese Stärke und Willenskraft der Betroffenen nutzt Lilly Hoffmann, um ihnen eine Alternative zu zeigen. Denn der Körper spielt auch beim Yoga weiterhin die entscheidende Rolle, hier aber weist die Autorin behutsam einen Weg, sich in diesem wieder zuhause zu fühlen. Lilly Hoffmann erklärt in ihrem Buch die psychologischen Hintergründe von Essstörungen, zeigt als Betroffene großes Verständnis, reflektiert eigene Erfahrungen und teilt ihren persönlichen Heilungsweg mit anderen. Das Praktizieren der Körperübungen wird durch Fotos unterstützt, sodass alle Lesenden – auch solche, die bislang kein Yoga gemacht haben – diese direkt ausprobieren können.

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Wieder im eigenen Körper zu Hause sein

»Mit Yoga möchte ich Menschen mit Essstörungen auf ihrem Heilungsweg begleiten. Mein Ziel ist es, Betroffene darin zu unterstützen, die verloren gegangene Einheit von Körper, Geist und Seele durch sanfte Yogapraxis wiederherzustellen. Bewusste Atmung, Körperübungen und Meditation sollen dabei helfen, die Signale des Körpers besser wahrzunehmen, Selbstliebe zu erfahren und mentale Kraft für den Heilungsprozess zu schöpfen.«

Lilly Lia Hoffmann

Yoga bei Essstörungen

Meine Übungen für Körper, Seele & Geist

BALANCEratgeber

Inhalt

Vorwort

Meine Geschichte

Yoga als mein Wegbegleiter

Den Körper einsetzen

Mentale Kraft schöpfen

Was Heilung für mich bedeutet

Warum und für wen ich dieses Buch schreibe

Was dich in diesem Buch erwartet

Was ist eine Essstörung?

Überblick Essstörungen

Magersucht

Bulimie

Binge-Eating-Störung

Atypische Essstörungen

Häufigkeit und Verlauf von Essstörungen

Ursachen von Essstörungen

Folgen von Essstörungen

Behandlung von Essstörungen

Was ist Yoga?

Philosophische Grundlagen

Yoga heute

Yoga bei Essstörungen

Was sagt die Wissenschaft?

Was sagen Betroffene?

Mein Konzept für Yoga bei Essstörungen

Ressourcenorientierung

Übungsmethoden

Körperübungen

Atemübungen

Meditation

Coaching für Körper, Seele und Geist

Die Yogapraxis

Gestaltung der Rahmenbedingungen für deine Yogapraxis

Übungseinheit Mut und Kraft

Körperübungen

Atemübung

Meditation

Coaching für Körper, Seele und Geist

Übungseinheit Selbstmitgefühl und Selbstliebe

Körperübungen

Atemübung

Meditation

Coaching für Körper, Seele und Geist

Übungseinheit Ruhe und Entspannung

Körperübungen

Atemübung

Meditation

Coaching für Körper, Seele und Geist

Übungseinheit Vertrauen und Sicherheit

Körperübungen

Atemübung

Meditation

Coaching für Körper, Seele und Geist

Übungseinheit Loslassen und Freiheit

Körperübungen

Atemübung

Meditation

Coaching für Körper, Seele und Geist

Ein paar Worte zum Schluss

Buchempfehlungen

Verwendete Literatur

Impressum

Vorwort

»Wenn Essen wieder Essen wird und Nahrungsmittel wieder nähren. Wenn Körper wieder einfach nur Körper sind: ein Wunderwerk des Zusammenspiels von Atmung, Herz, Kreislauf und Verdauung. Eine Heimat für Gedanken und Gefühle, für Herz und Seele.«

STEPHANIE LANGE

Menschen, die an einer Essstörung leiden, sind oft sehr sensibel und feinfühlig. Ein gestörtes Essverhalten ist meistens Ausdruck des Versuchs, sein überforderndes Gefühlsleben unter Kontrolle zu bringen und bedrängende Emotionen »in den Griff« zu bekommen. Gerät etwas im Leben aus dem Lot und lässt sich nicht mehr kontrollieren, wird der Fokus auf Essen bzw. Nicht-Essen, Gewicht, Aussehen und Kalorienzählen gelegt. Denn das lässt sich erst einmal kontrollieren und beherrschen und lenkt damit von den tieferliegenden Gefühlen ab.

Unter einer Essstörung leiden Menschen oft viele Jahre. Selbst nach einer grundsätzlichen Heilung kann sich in belastenden Lebenssituationen die Symptomatik immer wieder zeigen. Sie ist immer als ein Hinweis der Seele zu verstehen, dass etwas im Leben gerade nicht stimmig ist.

So habe ich es auch bei Lilly erlebt, als sie vor vielen Jahren in meine psychotherapeutische Praxis kam. Ein ruhiges, freundliches Mädchen, das versuchte, mit ihrem Essverhalten ihre Gefühle und Ängste in Schach zu halten und mit außerordentlich guten Schulnoten ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Wie sie es in ihrer Familie gelernt hatte, leitete sie ihren Wert von ihren Leistungen ab. Somit stand sie immer unter Druck, sich selbst zu disziplinieren, um die an sie gestellten Erwartungen zu erfüllen. In der therapeutischen Arbeit war damit eine Frage ganz zentral: »Wer bin ich ohne die Anorexie und ohne meine Leistungen? Was bleibt dann noch von mir übrig?«

So herausfordernd es auch erscheinen mag, der Weg aus einer Essstörung geht immer durch die eigenen Gefühle hindurch und nie an ihnen vorbei.

Und diese Gefühle machen sich in unserem Körper bemerkbar: Als Schmetterlinge im Bauch, als Herzklopfen, als Kloß im Hals. Angst, Freude, Unsicherheit, Wut, Kränkung – alle Gefühle sind im Körper spürbar.

In meiner jahrelangen Erfahrung mit Menschen mit Essstörungen wurde mir immer klarer, wie wichtig es ist, neben der psychischen Bearbeitung der Themen, mit dem eigenen Körper in Verbindung zu treten – ihn anzunehmen und sich mit ihm zu versöhnen, ist für den Heilungsprozess unabdingbar.

Parallel zu ihrer Therapie entdeckte Lilly Yoga in einer sanften und intuitiven Form. Mit Begeisterung erzählte sie mir, wie gut ihr die Übungen taten und wie sehr sie dadurch ihren Körper und damit sich selbst spüren konnte. Diese Entdeckung war für Lilly ein Durchbruch. Sie hatte damit eine enorme Kraftquelle für sich entdeckt und eine Möglichkeit gefunden, sich ohne Druck und Perfektion selbst zu erfahren. So lernte sie Schritt für Schritt, bei sich anzukommen und wieder heil zu werden.

Durch das Yoga wurde die Therapie plötzlich leichter, Hürden und Blockaden ließen sich überwinden, Ängste besser aushalten. Lilly machte eine Ausbildung zur Yogalehrerin und leitete von da an Frauen mit Essstörungen im Yoga an. Inzwischen hat Lilly ihre Therapie bei mir längst abgeschlossen und ist zu einer sehr geschätzten Kollegin geworden. Ihre achtsame, von eigenen Erfahrungen geprägte Art und ihr offener Umgang mit ihrer eigenen Geschichte machen sie zu einer wertvollen Wegbegleiterin.

Viele meiner Patient*innen haben bei Lilly Yoga praktiziert. Sie berichten, wie heilsam es ist, so sanfte und positive Erfahrungen mit dem eigenen Körper zu machen, wie gut es ihnen tut, sich ohne Konkurrenz und Leistungsdruck mit sich selbst zu beschäftigen und wie gut es tut, in einer Gruppe zu sein, in der alle auf ihrem Weg der Heilung sind. Meine psychotherapeutische Arbeit erfährt im Zusammenwirken mit Lillys Körperarbeit große Unterstützung und wird dadurch endlich ganzheitlich.

Dieses Buch ist eine wertvolle Inspiration für Betroffene und ebenso geeignet für alle, die in ihren Praxen und Kliniken Patient*innen mit Essstörungen behandeln.

Endlich! Innovativ und dringend notwendig – ich danke dir von Herzen!

Stephanie Lange

Tiefenpsychologisch fundierte Körperpsychotherapeutin mit Schwerpunkt Essstörungen

Meine Geschichte

Vielleicht war alles nur ein Missverständnis. Vielleicht habe ich eine Essstörung entwickelt, weil ich als kleines Mädchen etwas sehr Entscheidendes falsch interpretiert habe. Ich bin in einer scheinbar perfekten Familie aufgewachsen. Meine Eltern waren jung, gesund, gut aussehend, beruflich sehr erfolgreich und vermögend. Meine große Schwester war selbstbewusst und beliebt. Ich selbst war so süß, dass mein Aussehen niemals unkommentiert blieb. Ich habe es geliebt, zu lernen, zu arbeiten. Ich habe es geliebt, bewundert und gelobt zu werden – für mein Aussehen, für meine guten Noten, für mein vorbildlich soziales Verhalten. Ich war davon überzeugt, dass Perfektionismus, Leistung und Erfolg die Voraussetzungen für ein glückliches Leben und die Liebe meiner Mitmenschen seien.

Wenn ich meinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht wurde, war ich von mir selbst enttäuscht und arbeitete hart daran, meine Fehler zu korrigieren und meine selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Erwachsene deuteten meine überdurchschnittlichen Schulleistungen oft als Unterforderung. Statt mich zu bremsen, motivierten und lobten sie mich, was mich darin bestärkte, mich selbst weiter anzutreiben. Meine größte Angst war es, die Erwartungen anderer Menschen zu enttäuschen und damit einhergehend der Gedanke, sie könnten mich dann für weniger intelligent halten. Ich dachte, ich werde für meine Disziplin geliebt. Dass meine Familie und meine Freunde mich um meiner selbst willen lieben, habe ich erst viele Jahre später begriffen – und paradoxerweise hat mir meine Essstörung zu dieser Erkenntnis verholfen.

Als ich in die Pubertät kam, veränderte sich mein Körper schnell. Während meine Freundinnen weiterhin wie Mädchen aussahen, hatte ich bereits weibliche Kurven und zog damit die Blicke auf mich. Ich schämte mich für die Veränderungen meines Körpers, und die Kommentare anderer verletzten und verunsicherten mich zutiefst. Die Entwicklung meines Körpers löste in mir ein Gefühl von Kontrollverlust aus. Ein bedrohliches Gefühl, gegen das ich versuchte mit noch größerer Selbstdisziplin und noch mehr Leistung anzugehen.

Kurz nach meinem dreizehnten Geburtstag starb eine meiner engsten Freundinnen an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Kein Gebet, kein Flehen hatte geholfen – obwohl ich Gott für das Leben meiner Freundin unzählige Deals angeboten hatte, war es mir nicht möglich gewesen, ihren Tod abzuwenden. Meine Gefühle der Ohnmacht, der Trauer und des Vermissens waren schmerzhafter und intensiver als alles, was ich jemals zuvor empfunden hatte. Ich war überzeugt, nie wieder glücklich werden zu können. Spätestens mit dieser Erfahrung war für mich die Entwicklung vom Mädchen zur Frau mit Verlust, Trauer, Unwohlsein, Scham und Angst fest assoziiert.

An dem Tag, an dem meine Freundin starb, fasste ich einen Entschluss: Ich würde die Kontrolle, die ich über mein Leben und meinen Körper verloren hatte, wiedergewinnen. Und so begann ein Kampf gegen meine Weiblichkeit, gegen meine Natur, gegen mich selbst. Ich wurde immer dünner, bis meine Periode schließlich ausblieb. Mein Körper verwandelte sich von dem einer Frau wieder zurück zu dem eines Mädchens, und die Sucht nach dem Dünn-Sein wurde zu meinem Betäubungsmittel. Ich fokussierte mich immer stärker auf meinen Körper. Selbstdisziplin, insbesondere hinsichtlich des Essens, und Leistungsdenken nahmen mich völlig ein, wodurch zumindest zeitweise meine Trauer und mein Schmerz in den Hintergrund zu treten schienen.

Dinge, die mir als Kind Freude bereiteten, wie Urlaube, Restaurantbesuche oder Einladungen von Freunden, wurden zu einer Bedrohung für mich. Meistens fand ich passende Ausreden, um nicht vor anderen essen zu müssen. Wenn es allerdings kein Entkommen gab, wie an Weihnachten oder an Geburtstagen in der Familie, dann saß ich vor dem Essen, das ich nicht selbst zubereitet hatte, und spürte Panik in mir aufkommen und Tränen in den Augen.

Ich fühlte mich, als wäre ich in einer Parallelwelt gefangen. Die größte Bedrohung in dieser Welt waren Kalorien und Gewichtszunahme. Essen und Nichtessen waren die Waffen im täglichen Kampf gegen meinen Körper. Mein Körper war zur Projektionsfläche geworden. Egal was um mich herum geschah – Konflikte in der Familie, Mobbing in der Schule, Verlusterlebnisse – ich projizierte Gefühle wie Wut, Trauer und Angst auf meinen Körper und nutzte ihn als Ventil. Meine zwanghafte Beschäftigung mit dem Körper betäubte meinen seelischen Schmerz. Ich dachte, dass ich mit der Kontrolle meines Körpergewichts und meines Essverhaltens auch die Kontrolle über mein Leben haben würde.

Und tatsächlich war mein Leben durch die Zahlen auf der Waage, in den Lebensmitteltabellen und bei den Kalorienangaben – im wahrsten Sinne – berechenbar geworden. Ich hatte die totale Kontrolle über jedes Gramm, das ich zu mir nahm, über jedes Gramm, das ich an meinem Körper duldete oder eben auch nicht. Mein Ziel war erreicht. In Wahrheit hatte aber die Essstörung die absolute Kontrolle über mich und mein Leben übernommen. Ich wurde immer schwächer und kraftloser.

Mir war bewusst, dass ich in dieser Welt, in der Kalorien, Gewicht und Leistung regierten, nicht für immer gefangen sein wollte. Mit der Zeit entwickelte ich einen illusorischen Wunsch: Ich wollte ein gesundes Leben führen, ohne mein Essverhalten ändern zu müssen. Ich wollte voller Kraft und Energie sein und das Leben in all seinen Facetten genießen können. Ich wünschte mir Liebe, Partnerschaft und Freundschaften, sehnte mich nach Urlauben, genussvollem Essen, wollte feiern und frei sein. Dabei wollte ich aber an meinem Ernährungsstil und meinem Körperbild festhalten. Die Furcht davor, die Kontrolle abzugeben war riesig. Ich dachte, wenn ich mich mit Untergewicht schon oft zu dick fühlte, wie sollte es mir dann erst gehen, wenn ich wieder zunahm.

Mir wurde schließlich klar, dass ich den Umgang mit meinem Körper und mein Essverhalten verändern musste, wenn ich meine körperliche und mentale Kraft zurückgewinnen wollte. Gerne würde ich sagen können, dass der Schalter nur einmal umgelegt werden muss und die Heilung dann von ganz allein gelingt – und womöglich gibt es auch solche Fälle, denn der Heilungsweg verläuft bei jedem anders –, doch bei mir war es nicht so. Mein Heilungsprozess begann zwar in dem Moment, in dem ich über Veränderung nachdachte, doch die ersten Schritte auf diesem langen Weg waren mühsam und meine inneren Widerstände enorm groß. Ich habe in den vergangenen Jahren viele Höhen und Tiefen auf meinem Weg erlebt – Zeiten positiven Fortschritts, aber auch Rückschläge. Zum Glück war ich in Begleitung von Menschen, die mich unterstützt und mir geholfen haben, von Abwegen zurück auf meinen Heilungsweg zu finden und dort zu bleiben – ich bekam professionelle Hilfe von Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen, Ernährungsberater*innen und Coaches, von meiner Familie und von Freunden. Ein zuverlässiger Wegbegleiter und meine größte Stütze war und ist Yoga.

Yoga als mein Wegbegleiter

Meine erste Begegnung mit Yoga hatte ich mit acht Jahren, als mich meine Tante mit in eine Yogastunde nahm. Ich war fasziniert von den Körperübungen, und manchmal, wenn meine Tante zu Besuch war und sie bei uns im Wohnzimmer Yoga praktizierte, turnte ich ihr nach. Ich erinnere mich daran, wie ich in einem Yogabuch meiner Mutter geblättert und bewundert habe, wie die Menschen auf den Fotos sich verdrehen und verbiegen konnten. Doch erst viele Jahre später wurde Yoga zu einem Teil meines Lebens.

Als ich fünfzehn Jahre alt war, besuchte ich auf Anraten meines Arztes einen Yogakurs. Mein Arzt hatte mir verboten, Sport zu machen, und ich dachte zunächst, dass er mir Yoga als eine Art Trostpflaster verordnet hatte – wenn Rennen und Schwitzen nicht erlaubt waren, so durfte ich mich wenigstens verbiegen und verdrehen. Aber schnell begriff ich, dass Yoga sehr viel mehr ist als akrobatische Körperübungen.

Gleich in den ersten Stunden des Yogakurses konnte ich fühlen, dass mein Körper, meine Seele und mein Geist voneinander getrennt waren – etwas, das zusammengehörte, war auseinandergebrochen. Die regelmäßige Yogapraxis half mir, die Beziehung zwischen meinem Körper, meinen Gedanken und meinen Gefühlen zu verbessern und die verloren gegangene Einheit wiederherzustellen. Ich machte die heilsame Erfahrung, dass ich über den Körper Zugang zu meiner Seele und meinem Geist finden kann. Ich begriff, dass es im Yoga nicht um Leistung und Bewertung geht, sondern darum, die Aufmerksamkeit ins Hier und Jetzt zu lenken und innere Ruhe zu finden. Es eröffnete sich mir eine ganz neue Welt – eine Welt, in der ich mich weiterentwickeln konnte, ohne mich selbst unter Leistungsdruck zu setzen.

Den Körper einsetzen

Yoga und Essstörungen haben für mich eine große Gemeinsamkeit – bei beiden ist der Körper Vermittler.

Im Yoga hilft der Körper durch Übungen, Meditation und Atemtechniken, die Gedanken zur Ruhe, das Gedankenkarussell zum Stoppen zu bringen. Der Körper geht mit dem Geist eine enge Verbindung ein. Wenn der Körper lernt zu entspannen und überflüssige Anspannung loszulassen, ist es auch möglich, im Kopf Ruhe einkehren zu lassen.

Bei einer Essstörung sind es äußere Einflüsse, Stressoren, Ängste, Sorgen und Ansprüche, die das Gedankenkarussell immer schneller werden lassen. Die Gedanken kreisen so schnell, dass eine Beobachtung der Gedanken unmöglich zu sein scheint, und wenn man doch hinschaut, aufs Karussell aufspringt, kann sich ein schmerzhaftes Gefühl von Schwindel und Übelkeit einstellen. Da Körper und Geist hier so eng miteinander verbunden sind, ist es naheliegend, die Aufmerksamkeit weg von den Gedanken, hin zum Körper zu wenden. Die Nahrungsaufnahme und das Gewicht zu reduzieren oder übermäßig viel zu essen, ist ein Weg, die Gefühle zu betäuben – Körper und Geist kommen in einen entspannten Zustand. Leider keine Entspannung, die lange anhält. Das Gedankenkarussell nimmt neue Fahrt auf, ein ewiger Teufelskreis.

Menschen, die unter einer Essstörung leiden, benutzen ihren Körper als Ventil. Man könnte also meinen, dass es daher sinnvoll wäre, die Aufmerksamkeit vom Körper wegzulenken, um diesen Kreislauf zu durchbrechen. Doch meine Erfahrung ist eine andere. Mir hat es geholfen, die hohe Sensibilität, die ich für meinen Körper habe, für meine Heilung zu nutzen. Durch Yoga habe ich gelernt, die Signale meines Körpers besser zu deuten und liebevoller mit ihm umzugehen. Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass ich mich jetzt an jedem Tag wohl in meinem Körper fühle. Es gibt bessere und es gibt schlechtere Tage und auch Zeiten, in denen mir der Umgang mit dem Essen immer noch schwerfällt. In den vergangenen Jahren habe ich aber gelernt, mit meiner Essstörung besser umzugehen. Wenn ich mir früher aus dem Nichts heraus unglaublich dick vorgekommen bin und mich gefühlt habe, als hätte ich über Nacht enorm zugenommen, zwang ich mich zu einer Extra-Sporteinheit und ließ mindestens die nächste Mahlzeit ausfallen. Dabei ging es mir nicht um ein vermeintliches Schönheitsideal, sondern um ein Körpergefühl, das in mir Panik auslöste.

Mir war schon damals bewusst, dass ich attraktiver gewesen wäre, wenn ich Normalgewicht gehabt hätte. Heute weiß ich, dass dieses Körpergefühl nichts mit meinem realen Körpergewicht zu tun hat, sondern die Ausdrucksweise meines Körpers ist, mir zu sagen, dass etwas in meinem Leben gerade Beachtung braucht. Wenn ich es in diesen Momenten schaffe, Yoga zu praktizieren, mit meinem Körper in Verbindung zu gehen, tief durchzuatmen und meinen Gefühlen und Gedanken Raum zu geben, erkenne ich meistens schnell, was mir in meinem Leben gerade Stress bereitet.

Mentale Kraft schöpfen

Yoga hat mir nicht nur dabei geholfen, die Beziehung zu meinem Körper zu verbessern, sondern dient mir auch als mentale Kraftquelle. Mit meiner Essstörung gingen wiederkehrende depressive Episoden einher. Episoden, in denen es sich so anfühlte, als würde sich ein grauer, schwerer Schleier über mein Leben legen. Ich fühlte mich energielos und empfand eine innere Leere und gleichzeitige Verzweiflung, die ich nicht in Worte fassen konnte. Durch Yoga habe ich gelernt, angenehmen und unangenehmen Gefühlen und Gedanken gleichermaßen Raum zu geben. Eine Erfahrung, die sehr herausfordernd, aber auch sehr heilsam ist.

Yoga hilft mir wahrzunehmen, dass meine Gefühle und Gedanken kommen und gehen, so wie das Ein- und Ausatmen kommt und geht. Kein Gefühl und kein Gedanke – ob positiv oder negativ – bleibt für immer. Ich stelle mir Gefühle und Gedanken wie Ebbe und Flut vor. Wenn ich sie annehme, kann ich sie anschließend auch wieder loslassen und muss sie nicht durch emotionales Essverhalten betäuben oder verdrängen. In meiner Yogapraxis konnte ich die Zuversicht gewinnen, dass nach schweren Phasen auch wieder leichtere Phasen im Leben kommen werden, und daraus habe ich Kraft geschöpft. Es mag abgedroschen klingen, aber Yoga hat Licht in meine Dunkelheit gebracht.

Die Essstörung wird für mich wahrscheinlich lebenslang ein Begleiter bleiben, den ich annehmen muss. Wenn ich das tue und achtsam bin, kann ich die Botschaften der Essstörung wahrnehmen und dankbar dafür sein, dass sie mir mitteilt, wenn mein Leben aus dem Gleichgewicht zu geraten droht.

Was Heilung für mich bedeutet

Heute bin ich 29 Jahre alt und gesund – soweit man bei einer Suchterkrankung von gesund sprechen kann. Gesund bedeutet für mich, dass mein Körper sich von den Jahren, in denen ich stark untergewichtig gewesen bin, erholen konnte und ich wieder einen regelmäßigen Menstruationszyklus habe. Das Ausbleiben meiner Periode bereitete mir größte Sorgen und war damit der stärkste Antrieb, gesund werden zu wollen. Meinen Zyklus begreife ich sinnbildlich als Ausdruck von Weiblichkeit, Natur und Verbindung zu mir selbst. So war ich, als ich meine Periode nach langem Warten schließlich wieder bekam, meinem Körper unendlich dankbar dafür, geheilt zu sein.

Heilung heißt für mich aber nicht, dass die Essstörung ausgelöscht ist. So wie man von ehemaligen Alkoholikern sagt, dass sie trocken sind, müsste man, meiner Meinung nach, auch von trockenen Essgestörten reden. Heilung bedeutet für mich, Essensgedanken, emotionalen Hunger, plötzliches Unwohlsein im eigenen Körper oder eine verzerrte Selbstwahrnehmung bewusst wahrzunehmen und als Botschaft, als wichtige Mitteilung zu erkennen. Wenn man den eigenen Gefühlen und Gedanken Beachtung schenkt, muss man sie nicht betäuben. Insbesondere als trockene Essgestörte muss ich mein Leben lang achtsam sein, um nicht rückfällig zu werden. Essen ist überlebenswichtig, deswegen können wir es, anders als Alkoholiker den Alkohol, nicht weglassen. Einen gesunden Umgang mit dem Essen zu finden, ist eine tagtägliche und lebenslange Aufgabe.

Warum und für wen ich dieses Buch schreibe

Während meiner Schulzeit ist in mir der Wunsch gereift, Yogalehrerin zu werden, weil ich die heilsamen Erfahrungen, die ich durch Yoga machen konnte, anderen Menschen weitergeben wollte. Die Verbindung von Körper, Geist und Seele begeisterte mich, und ich beschloss nach dem Abitur, Psychologie an der Universität in Köln zu studieren, mit der Idee, zusätzlich eine Yogalehrer*innenausbildung zu machen, um Psychologie und Yoga beruflich miteinander zu verbinden.

Doch schon nach wenigen Semestern musste ich mein Psychologiestudium unterbrechen. Mein Leistungsstreben und mein Perfektionismus hatten mich im universitären Umfeld wieder so fest im Griff, dass auch die Essstörung mit voller Wucht zurückgekommen war. Meine Noten waren mir wichtiger als meine Yogapraxis geworden, mit dem Ergebnis, dass ich nicht achtsam mit mir umging und mich wieder in meiner Krankheit verfing. Es war das gleiche Muster wie einige Jahre zuvor – Kontrolle, Leistung, Perfektionismus und ein gestörtes Essverhalten dominierten mein Leben. Mit dem Unterschied, dass ich jetzt wusste, welcher Weg mich aus diesem Teufelskreis herausführen würde: Meine Yogapraxis.

Die gesundheitsbedingt erzwungene Studienpause nutzte ich, um 2016 meine erste Yogaausbildung zu beginnen. Ich machte meine Leidenschaft zum Beruf. Es folgten viele weitere Yogaausbildungen und Fortbildungen in verschiedenen Yogastilen, ehrenamtliche und freiberufliche Arbeit als Yogalehrerin sowie eine Festanstellung in einer Yogaschule. Mein Herzensprojekt der vergangenen Jahre waren Yogakurse für Menschen mit Essstörung.

Mit Yoga möchte ich Menschen mit Essstörung auf ihrem Heilungsweg begleiten. Mein Ziel ist es, Betroffene darin zu unterstützen, die verloren gegangene Einheit von Körper, Geist und Seele durch sanfte Yogapraxis wiederherzustellen. Bewusste Atmung, Körperübungen und Meditation sollen dabei helfen, die Signale des Körpers besser wahrzunehmen, Selbstliebe zu erfahren und mentale Kraft für den Heilungsprozess zu schöpfen.

Seit 2020 stehe ich mit Psychotherapeut*innen, Ärzt*innen und Ernährungsberater*innen, die Menschen mit Essstörungen unterstützen, in engem Austausch. Wir haben zusammen in Köln ein Netzwerk aufgebaut, innerhalb dessen ich mich der Themen Yoga und Körperwahrnehmung bei Essstörungen angenommen habe. Wir sind uns alle einig, die Heilung einer Essstörung kann nur ganzheitlich erfolgen, denn Körper, Seele und Geist sind gleichermaßen betroffen. Yoga ist eine wirkungsvolle Begleitung auf dem Heilungsweg einer Essstörung, kann die ärztliche und psychotherapeutische Behandlung aber nicht ersetzen. Daher ist Yoga als ergänzende und nicht als alleinige Therapieform zu verstehen.

Neben meiner Arbeit als Yogalehrerin habe ich mehrere Versuche unternommen, mein Studium fortzuführen. Bei jedem Versuch löste das universitäre Umfeld einen so starken inneren Druck in mir aus, dass meine Essstörung sich lautstark meldete. Hinzu kamen weitere Stresssymptome wie Tinnitus, starke Lebensmittelunverträglichkeiten, Angst und Panik. Ich beschloss schließlich, das Studium ganz aufzugeben, um meine psychische und körperliche Gesundheit zu schützen. Eine Entscheidung, die mich traurig machte, weil ich das Gefühl hatte, von meiner Essstörung zu dieser Entscheidung gezwungen worden zu sein. Tief in mir war nach wie vor der Wunsch, mein Psychologiestudium abzuschließen – aber ohne die Essstörung als übergriffigen Begleiter an meiner Seite, der mir sämtliche Energien raubt.

Während der Corona-Pandemie fanden meine Yogakurse wegen des Lockdowns ausschließlich online statt, und so konnten mein Freund und ich für einige Monate nach Spanien gehen. Ich wollte die Zeit am Meer nutzen, um mir bewusst zu werden, welche beruflichen Schritte ich zukünftig gehen wollte. Ich beschloss in dieser Zeit, meinem Studium eine letzte Chance zu geben – diesmal in Form eines Fernstudiums. Ich hatte die Hoffnung, dass mir das Studium vom Meer aus, anders als das Studium in Präsens, nicht so viel Stress und in der Folge keine gesundheitlichen Probleme bereiten würde. Meine Hoffnung erfüllte sich. Ich studierte für einige Monate Angewandte Psychologie in Spanien und führte das Studium schließlich in Köln fort. Ich bin dankbar, dass ich letztendlich doch selbst entscheiden konnte, welchen Weg ich gehen wollte, und es nicht die Essstörung für mich entschieden hat. Mittlerweile bin ich ausgebildeter und zertifizierter Coach in den Bereichen Hypnose-, Wingwave- und High Performance Coaching. Meine berufliche Vision ist es, Menschen dabei zu unterstützen, Hindernisse zu überwinden, um ein gesundes und selbstbestimmtes Leben führen zu können.

Mit diesem Buch richte ich mich an Menschen, die unter Magersucht, Bulimie, Binge-Eating oder an einer anderen Form von Essstörung leiden und den Wunsch haben, den Weg zurück in ein gesundes Leben zu finden. Dabei spielt es keine Rolle, wie alt du bist, welches Geschlecht du hast, ob du dich am Anfang oder schon im weiteren Verlauf deiner Krankheitsgeschichte bzw. deines Heilungsprozesses befindest.

Mit diesem Buch möchte ich außerdem auch die Angehörigen von Menschen mit Essstörungen ansprechen, die ein besseres Verständnis dafür gewinnen möchten, was Essstörungen bedeuten. Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Essstörungen können das Buch nutzen, um mit ihren Kindern Yogaübungen aus dem Praxisteil zu machen. Begleitend zu einer Therapie haben Eltern somit auch die Möglichkeit, ihr Kind zu Hause auf einem ganzheitlichen Heilungsweg zu unterstützen.