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Schlaf ist essenziell für unsere Gesundheit – er sorgt dafür, dass unser Körper richtig regenerieren und unser Gehirn Erlebnisse und Emotionen verarbeiten kann. Dadurch haben wir tagsüber mehr Energie, fühlen uns ausgeglichener und sind leistungsfähiger. Häufig wird dieser positive Effekt jedoch durch Schlafstörungen zunichte gemacht. Yoga ist perfekt geeignet, um derartigen Beschwerden entgegenzuwirken: Die Kombination aus Meditation, Atemübungen und Asanas beruhigt Körper und Geist. Mit den wissenschaftlich fundierten schlaffördernden Yogaprogrammen von Yogaguru Mark Stephens können Sie Ihre Praxis optimal auf Ihre Bedürfnisse ausrichten und Ihren Schlaf langfristig verbessern – sei es durch einfache Entspannungsübungen am Abend, beruhigende Haltungen bei Übererregbarkeit, emotional ausgleichende Sequenzen bei Depressionen oder Atemtraining bei Schlafapnoe. Mit Yoga holen Sie das Beste aus Ihrem Schlaf heraus!
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Seitenzahl: 362
Mark Stephens
YOGAFÜR GUTENSCHLAF
Mark Stephens
YOGAFÜR GUTENSCHLAF
Das Übungsprogramm auf Basis neuester Forschung
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Wichtiger Hinweis
Dieses Buch ist für Lernzwecke gedacht. Es stellt keinen Ersatz für eine individuelle medizinische Beratung dar und sollte auch nicht als solcher benutzt werden. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.
1. Auflage 2020
© 2020 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2019 bei North Atlantic Books unter dem Titel Yoga for better sleep. © 2019 by Mark Stephens. All rights reserved. Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur Agence Schweiger.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Max Limper
Redaktion: Matthias Michel
Umschlaggestaltung: Manuela Amode
Umschlagabbildungen: shutterstock/Markovka, shutterstock/Elena Eskevich, shutterstock/Alexander Ryabintsev
Fotos: alle Fotos von Mark Stephens außer S. 315 James Wvinner
Satz: Daniel Förster, Belgern
Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien
eBook: ePubMATIC.com
ISBN Print 978-3-7423-1184-9
ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0837-2
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0838-9
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de
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Für alle Schlaflosen:Möget ihr süße Träume voller Zauber haben.
Vorwort
Über dieses Buch
Teil IGrundlagen
Kapitel 1Die Wahrheit über den Schlaf
Kapitel 2Das Wesen der Schlafstörungen
Kapitel 3Die Wissenschaft vom guten Schlaf
Teil IIÜbungen
Kapitel 4Das grundlegende Yogaprogramm für guten Schlaf
Kapitel 5Schlafförderndes Yogaprogramm bei Übererregbarkeit
Kapitel 6Schlafförderndes Yogaprogramm bei Depression und Lethargie
Kapitel 7Besserer Schlaf für Jung und Alt
Kapitel 8Schlafförderndes Yogaprogramm bei Schlafapnoe
Kapitel 9Schlafförderndes Yogaprogramm auf dem Stuhl
NachwortSchlaffördernde Rituale für Tag und Nacht
Anhang
Internationale Klassifikation der Schlafstörungen
Schlafbewertung
Tipps für besseren Schlaf
Tipps bei Jetlag und Schichtarbeit
Glossar
Literaturverzeichnis
Quellen
Dank
Über den Autor
Seit ich Mark Stephens kenne, beeindruckt mich die Breite seines Yogawissens. Er ist nicht nur ein fähiger und weiser Lehrer, sondern auch ein wahrer Eingeweihter, der Übungen, Techniken und philosophische Ansätze ergründet hat. Als er mir sagte, dass er ein Buch über Yoga und Schlaf geschrieben habe, horchte ich auf. Warum? Weil ich lange daran gezweifelt habe, dass Yoga hilft, einen besseren Schlaf zu finden. Ich litt zehn Jahre lang unter schwerer Schlaflosigkeit und schlief selten mehr als drei oder vier Stunden pro Nacht. In dieser Zeit praktizierte ich sehr viel Yoga und Meditation und fand darin in vielerlei Hinsicht einen Ersatz für meinen Schlaf. Ich ruhte mich fünf, sechs Stunden lang in Savasana (Totenhaltung) aus, immer wieder in Yoga Nidra oder Meditation wechselnd, und tankte so genügend Energie für den Alltag. Aber nie gelang es mir, mit einer bestimmten Yogahaltung, Übungsreihe oder Meditationstechnik, meinen »normalen« Schlaf zu verbessern und auf sieben oder acht Stunden zu strecken.
Deshalb bin ich Mark so dankbar für das, was er mit diesem Buch erreicht hat. Er bietet uns damit nicht nur einen sorgfältig recherchierten und verständlichen Überblick über die Schlafwissenschaft, sondern geht auch auf alle wichtigen Arten der Schlaflosigkeit und auf ihre jeweiligen Ursachen ein. Sinnvollerweise unterscheidet er dabei zwischen den Schlafproblemen der Kindheit, der Jugend, des Erwachsenenalters und der späten Jahre.
Das Wunderbare an diesem Buch ist, das die Übungen und Übungsreihen, die Mark vorstellt, wirklich funktionieren, besonders wenn man sie mit den anderen empfohlenen Maßnahmen kombiniert. Mark behauptet nicht, dass es die eine, alles entscheidende Übung gibt. Stattdessen zeigt er allerlei Tricks und Kniffe, mit denen man die Schlafsituation so verändert, dass man sich nach und nach wieder mit dem Zubettgehen anfreundet.
Besonders dankbar bin ich dafür, dass Mark unterschiedlichen Schlafstörungen eigene Übungen zugeordnet hat. Es gibt bestimmte Asanas und Atemübungen gegen Übererregbarkeit und eigene Übungen bei Depression sowie Übungsreihen für Teenager und für Senioren. Jedes Kapitel weist eine eigene Mischung aus Übungen und Anregungen auf, sodass jede Leserin und jeder Leser etwas gegen seine individuellen Schlafstörungen tun kann. Beim Ausprobieren war ich davon beeindruckt, dass sich die Übungen auf vielerlei Art miteinander kombinieren lassen, und von Marks Erfahrung, wie man sie am besten kombiniert.
Yoga für guten Schlaf ist eine ganze Bibliothek voller Informationen über den Schlaf. Ob medizinischer Rat, Meditationsanleitungen, Atemtechniken oder Life-Hacks – alles davon ist enthalten. Marks Anleitungen sind klar und leicht umsetzbar, dabei aber auch so detailliert, dass man sich bei der Arbeit mit den Übungen rundum unterstützt fühlt. Mir haben es besonders die Ausführungen zum Pranayama angetan. Sie laden dazu ein, mit allerlei Atemtechniken zu experimentieren, die sowohl zur Entspannung als auch zur Energetisierung und Selbstbelebung taugen.
Dieses Buch sollten Sie auf dem Nachttisch liegen haben, um täglich damit zu üben und zu lernen. Ich hoffe, dass Marks Weisheit auch Ihnen dabei hilft, ein gutes, lebenstaugliches Verhältnis zum Schlaf zu finden. Möge dieses Buch Ihr Zubettgehen revolutionieren und Ihnen die tiefe nächtliche Erholung bescheren, die wir alle brauchen und verdienen.
Sally Kempton
Sally Kempton ist Meditationslehrerin, schreibt für das Yoga Journal und hat unter anderem das Buch Meditation: Das Tor zum Herzen öffnen verfasst.
Schlafbeschwerden zählen weltweit zu den schwerwiegendsten Gesundheitsproblemen. Oft gelten sie als ein Problem, das hauptsächlich die Industrieländer der Nordhalbkugel betrifft, dabei sind Schlafstörungen eine globale Epidemie, die auch die Entwicklungsländer in Asien, Afrika und Lateinamerika heimsucht.1 Die gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen sind enorm, denn es erweist sich zunehmend, dass Schlafstörungen zu Gedächtnisproblemen, Lernschwierigkeiten, Stimmungsschwankungen, motorischen Störungen und seelischen Krankheiten beitragen – was tragische Folgen haben kann. In den USA leiden schätzungsweise 50 bis 70 Millionen Menschen unter Schlafstörungen, rund 10 Millionen von ihnen nehmen verschreibungspflichtige Schlafmittel ein, die besorgniserregende psychologische Nebenwirkungen haben.2 Ein ähnlich hoher Schlafmittelgebrauch ist in Europa, Japan und anderen Industrienationen zu beobachten.
Zwar sind Schlafmittel oft hilfreich, besonders wenn sie mit Schlafhygiene und psychotherapeutischer Unterstützung kombiniert werden, aber herkömmliche und moderne Yogaübungen sind eine vielversprechende Alternative, die praktisch nichts kostet, frei verfügbar ist und kaum bekannte Nebenwirkungen hat. Die wesentlichste Nebenwirkung von Yoga ist, dass dadurch nicht »nur« der Schlaf, sondern auch der allgemeine Gesundheitszustand verbessert wird.
Allerdings ist Yoga kein Allheilmittel gegen Schlafstörungen und sonstige Beschwerden. Yoga ist eine sinnvolle Ergänzung zu anderen Maßnahmen und in Kombination mit diesen angewendet die beste Medizin.
Obwohl sich der Yoga im kulturellen Mainstream der meisten westlichen Länder etabliert hat – die Werbung verkauft damit Produkte wie Autos oder Limonaden, die nichts mit Yoga zu tun haben –, bleibt er für Millionen von Menschen eine fremdartige, wunderliche oder gar sozial unverträgliche Aktivität. Angesichts der esoterischen und dogmatischen Art, wie der Yoga oft präsentiert wird, verwundert das kaum. Und es verwundert noch weniger, wenn man ein wenig in die Yogageschichte blickt und sich einige der alten (und modernen) Praktiken anschaut. Aberglaube, unhaltbare philosophische und metaphysische Annahmen und bizarre Techniken der Selbstkasteiung sind untrennbar mit den Ursprüngen vieler Yogatraditionen verbunden und wirken auf viele Menschen abschreckend.3 Zum Glück entwickelt sich der Yoga immer weiter, passt sich den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen und kulturellen Gepflogenheiten an, bietet nachvollziehbare Theorien und nachweisbare Wirkungen.
Yoga hat immer schon viele unterschiedliche Techniken mit verschiedenen philosophischen Ursprüngen umfasst. In den letzten Jahrzehnten haben sich die Vorstellungen davon, was Yoga ist, so weit voneinander entfernt, dass manche Vertreter einer bestimmten Auffassung andere, divergierende Ansätze gar nicht als Yoga anerkennen. Dieser Trend verstärkt sich eher noch. Manche Yogastile bezeichnen sich – und werben damit – als der authentischste (als ob das wichtig wäre), wirksamste (für wen?) oder sonst wie beste (als ginge es beim Yoga um Wettbewerb). Wenn die Wirksamkeit von Yoga zu Heilzwecken oder zur Verbesserung des Wohlbefindens untersucht wurde, haben die jeweiligen Forscher oft naheliegenderweise nur die von ihnen bevorzugten Yogastile ausgewertet, beispielsweise Kundalini oder Iyengar Yoga oder eher obskure Stile wie Silverlight oder Phoenix Rising. Selbst Studien, die von unbefangenen Forschern durchgeführt wurden, fokussieren sich meistens auf nur einen Stil und lassen die Frage offen, welche Yogaübungen in einer bestimmten Situation am wirksamsten sind.
Ziel dieses Buches ist es, erprobte und anwendbare Yogaübungen vorzustellen, die zur Verbesserung des Schlafes beitragen. Dazu befasse ich mich, und zwar vor dem Hintergrund der neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnisse über den Schlaf, mit verschiedenen traditionellen und innovativen Yogaübungen, um Schlafprobleme besser zu verstehen und mögliche Lösungen zu finden. Die Verwendung von verschreibungspflichtigen Schlafmitteln lehne ich nicht ab, denn bei manchen Erkrankungen sind sie die einzige Rettung. Problematisch ist jedoch, dass nicht nur Menschen von Schlafmitteln abhängig sind, sondern auch Pharmakonzerne, die juristisch ihren Aktionären verpflichtet sind, nicht dem Wohlergehen der Menschheit. Ich habe auch nichts gegen konventionelle psychotherapeutische Methoden wie die kognitive Verhaltenstherapie, die nachweislich Erfolg bei der Schlafverbesserung hat, wenngleich sie auf eher reduktionistischen Annahmen über den menschlichen Geist fußt und daher nicht die Transzendenz und Tiefe bietet, die Yoga anstrebt.
Ganz gewiss empfehle ich nicht, an einer ärztlich verordneten Medikation oder therapeutischen Behandlung irgendetwas zu ändern, ohne eine solche Entscheidung vorher mit dem Arzt oder dem Therapeuten zu besprechen.
Ich empfehle allerdings, die ungefährlichen Heilmöglichkeiten des Yoga zu erkunden. Der Blick liegt hier insbesondere auf einfachen und erprobten Übungen, hauptsächlich auf Atemarbeit, Meditation und Körperhaltungen. Zu allen Übungen werden Anpassungen geboten, die auf bestimmte Schlafprobleme, damit verbundene Erkrankungen, einzelne Altersgruppen und andere Faktoren zugeschnitten sind. Ich beziehe auch yogafremdes Wissen mit ein, das direkt mit dem Schlaf zu tun hat, beispielsweise im Zusammenhang mit Schlafhygiene, Ernährung und sonstigen Lebensgewohnheiten.
Jeder, wirklich jeder Mensch kann einen besseren Schlafzustand und dadurch auch einen besseren, bewussteren Wachzustand erreichen. Genau das ist der Sinn und Zweck dieses Buches.
Sie können sich diesem Buch auf verschiedene Weise nähern und es nutzen:
Wenn Sie sich für die Wissenschaft vom Schlaf, die Philosophie des Yoga und ihre Berührungspunkte interessieren, sollten Sie erst Teil I, dann Teil II lesen.
Wenn Sie Schlafprobleme haben und nicht wissen, warum, sollten Sie Teil I lesen. Haben Sie so die Ursache Ihrer Schlafschwierigkeiten geklärt, können Sie im entsprechenden Kapitel in Teil II erfahren, wie Sie durch Yoga zu besserem Schlaf finden.
Wenn Sie sich nicht für die Wissenschaft vom Schlaf und die Philosophie des Yoga interessieren, sondern einfach besser schlafen möchten, wird Sie die Lektüre von Teil I schnell müde machen!
Falls Sie die Ursache Ihrer Schlafschwierigkeiten kennen, können Sie gleich zu den entsprechenden Kapiteln in Teil II und dem Anhang springen, um schnell herauszufinden, wie Sie durch Yoga besser schlafen können.
Detailliertere Anweisungen zu den einzelnen Haltungen finden Sie in meinem Buch Yoga-Haltungen korrigieren oder unter »Online Resources – Instructional Videos« auf www.markstephensyoga.com.
Zuletzt noch eine Anmerkung zu den Anmerkungen: Die meisten Yogabücher geben zu den Quellen ihrer Ideen und Konzepte keine bibliografischen Hinweise. Das ist zwar eine Wohltat für Leserinnen und Leser, die daran nicht interessiert sind und es wie ich mit dem Grundsatz »In der Kürze liegt die Würze« halten, aber damit haben diejenigen Pech, die wissen wollen, auf wessen Schultern der Autor steht, ob seine Behauptungen überhaupt belegt sind und wo man mehr über bestimmte Aspekte erfahren kann. Das Buch mag dadurch zwar umfangreicher werden (und es bedeutet mehr Arbeit), aber so vermag ich, mit Ihnen die Bücher, Artikel, Korrespondenzen und Gespräche zu teilen, auf denen meine Ausführungen fußen. Außerdem wird die Lektüre der Anmerkungen Ihnen beim Einschlafen helfen.
Wir leben in einer Welt, in der die Vorstellungen darüber, was Wohlbefinden ist und was man für ein gesundes Leben tun sollte, auseinandergehen – auch beim Thema Schlaf. Der wissenschaftlich-medizinische Ansatz, der auf evidenzbasierten Maßnahmen besteht, spezialisiert sich immer mehr auf die Bekämpfung bestimmter Symptome von Schlafstörungen. Solche Lösungen sind oft sehr effektiv, haben aber genau so oft unbeabsichtigte Nebenwirkungen, besonders wenn es sich um verschreibungspflichtige Schlafmittel handelt.
Yoga vermittelt eine ganzheitlichere Sicht auf Leben, Krankheit und Heilung, ermutigt zu neuen Lebensgewohnheiten und setzt auf traditionelle und moderne Methoden zur Verbesserung des Allgemeinbefindens. In den letzten Jahren ist Yoga immer mehr in den kulturellen Mainstream und damit unter die Lupe der Wissenschaft geraten. Kontinuierlich mehren sich die Belege, dass gesundheitliche Probleme wie Stress, Angstzustände und Depression, die als Ursachen für Schlaflosigkeit und andere Schlafstörungen gelten, durch Yoga gelindert werden können.
Um besser schlafen zu können, müssen wir zunächst das Wesen des Schlafes verstehen. Dabei hilft uns die Schlafwissenschaft, wenngleich sie Lösungen anbietet, die schädlich sein können und uns von unserem wahren, ganzheitlichen Wesen entfremden. Yoga bietet dagegen tiefere Erkenntnisse und führt zu einem Leben im Einklang mit unserem wahren Wesen. Zusammen bilden Yoga und Wissenschaft ein ungleiches Gespann, das mehr Schlafqualität und damit auch mehr Lebensqualität verspricht.
Schlaf kann auf wonnevolle, eigentümliche oder sogar beunruhigende Weise rätselhaft sein – Letzteres besonders dann, wenn er nicht von selbst, umfassend oder zum gewünschten Zeitpunkt eintritt. Erst in jüngster Zeit haben wir sein Wesen und seinen Zweck genau verstanden. So definieren wir Schlaf grob als einen Zustand veränderten Bewusstseins in Verbindung mit körperlicher Ohnmacht, der weitgehend von Sinneserfahrungen abgeschieden ist, auch wenn wir wilde, banale, fantastische und doch oft erkenntnisreiche Träume erleben.
Ungeachtet oder entgegen dieser sachlichen Sichtweise hat der Schlaf Eingang in die Mythologie gefunden. Dass er in der westlichen Sagenwelt oft dunkle Eigenschaften besitzt, verwundert nicht, findet er doch meistens des Nachts statt und erinnert mit seiner Erschlaffung an den Tod. Da scheint es sinnvoll, dass Nyx, die griechische Göttin der Nacht, zwei Söhne hat: Hypnos, der Gott des Schlafes, und Thanatos, der Gott des Todes. Auch englische Dichter wie der metaphysische John Donne oder der romantische Percy Bysshe Shelley beschrieben Schlaf und Tod als eng miteinander verwoben. Die Grabinschrift »Ruhe in Frieden« zeugt von dieser Verwandtschaft und ist daher als Gutenachtwunsch eher ungeeignet.
Eine mythische Sicht des Schlafes finden wir auch in alten Yogaschriften, angefangen mit der ältesten bekannten schriftlichen Quelle über Yoga, dem Rigveda Samhita (etwa 15. Jahrhundert vor Christus). Dort erfahren wir von Ratri, der Göttin der Nacht, und ihrer Schwester Ushas, der Göttin der Morgenröte und Tochter von Surya, dem unfassbar mächtigen Sonnengott. Der Nachtgöttin Ratri haben wir Navaratri (auch Dasara) zu verdanken, eines der großen Jahresfeste in Indien, bei dem in neun Nächten der Sieg der Göttin Durga über »die Dämonen von Selbstsucht und Gier« gefeiert wird – die, wie wir sehen werden, möglicherweise eine Rolle bei Schlafstörungen spielen.1
Ushas erscheint im Rigveda zwar durchgehend als verehrte Göttin, die Kraft spendet, die Finsternis vertreibt und das wahre Wesen der Welt erhellt, aber sie wird heute nur in Teilen Indiens verehrt, besonders durch das Fest Chhath, bei dem man für das Licht und die Gaben des Lebens dankt.2 Wir tun gut daran, auch dies zu bedenken.
Die alten Mythen haben Rituale und Gewohnheiten geprägt, auch yogische, die das Dasein erleichtern sollten. So ist Surya Namaskara (Sonnengruß), im Morgengrauen ausgeführt, beispielsweise eine Verneigung vor dem Sonnengott Surya, in der sich die Hoffnung ausdrückt, er möge an den Himmel zurückkehren.
Hypnos, der Gott des Schlafes im anti-ken Griechenland
Ushas, Göttin der Morgenröte im alten Indien
In den ältesten yogischen Schriften, den Veden und Upanishaden, findet man immer wieder die Vorstellung, das der Schlaf ein Ausdruck oder ein Zeichen für eine veränderte Bewusstseinsqualität ist.3 In den Kommentaren zu diesen Schriften aus allen Epochen finden sich einander widersprechende Vorstellungen über das Wesen der Wirklichkeit und des Bewusstseins, auch wenn sie Schlaf-, Tiefschlafund Wachzustände und deren Sinneserfahrungen jeweils als Reflexionen oder Quellen des spirituellen Seins unterscheiden. Alle Kommentatoren erkennen jedoch an, dass sich das Bewusstsein in diesen Zuständen in Bezug auf Sinnes-Bewusstheit (sensory awareness) oder -Nichtbewusstheit ändert, und nehmen damit die Erkenntnisse der Neurowissenschaft und der modernen Psychologie vorweg.
In den letzten paar Jahrzehnten haben wir mehr über das Wesen des Schlafes herausgefunden als in den Jahrtausenden davor und konnten so mythische Vorstellungen zugunsten der Realität ausräumen.4 Und auch Yoga hat als Kunst und Wissenschaft in den letzten zwei Generationen mehr Fortschritte gemacht, gerade was psychologische Aspekte und praktische Übungen zur Gesundheitsförderung angeht, als in den 3500 Jahren seit seiner Entstehung in den spirituellen und abergläubischen Nebeln Altindiens. Dadurch sind zugänglichere und durchdachtere Übungen entstanden, die das Leben besser und gesünder machen. In diesem Buch nun verbinden wir diese Erkenntnisstränge zu einem Bündel wirksamer Schlafstrategien, wobei wir die Erkenntnisse und Praktiken des Yoga mit jenen der Schlafwissenschaft zusammenführen, um einfache und wirksame Maßnahmen für ein gesünderes Schlafen und Leben bereitzustellen, wobei wir nicht oder nur selten auf oft schädliche (wenn auch manchmal hilfreiche) Schlafmittel zurückgreifen.
In modernen Laboren geht man dem Schlafen und Wachen mit allerlei elektronischen Messungen und durch Beobachtung auf den Grund. Schlafwissenschaftler nutzen das Verfahren der Polysomnografie: die Aufzeichnung der Hirnströme per Elektroenzephalografie (EEG), die visuelle Darstellung der Hirnaktivität durch funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT), die Auswertung der Nervenaktivität im Bewegungsapparat durch Elektromyografie (EMG) und die Messung von Augenbewegungen per Elektrookulografie (EOG).5 Diese Präzisionstechnologien messen und verorten Hirn- und Körperaktivität, sodass wir erkennen, aufzeichnen und auswerten können, was beim Schlafen, Wachen, Dösen oder Ruhen oder bei anderen Bewusstseinszuständen im Gehirn und in anderen Körperteilen vor sich geht. Wenn wir hellwach sind, zeigen unsere Hirnströme im EEG schnellere Frequenzen und niedrigere Amplituden (also weniger Schwingung), wobei die Aktivität zwischen kleinen, aber miteinander verbundenen Hirnarealen synchronisiert ist.6 Neurowissenschaftler sprechen dabei von low voltage fast activity oder LVFA. In diesem Zustand sind wir in der Lage, aufmerksam zu sein, uns Dinge zu merken und bewusst zu denken. Überwiegen dagegen die langsamen Frequenzen, werden wir müde und schläfrig. Beim Übergang vom Schlaf- in den Wachzustand zeigen sich vorwiegend drei Frequenzbereiche:
Beta- und Gamma-Rhythmen mit niedriger Amplitude (Beta liegt bei normalem Wachbewusstsein vor, Gamma bei bewusster Aufmerksamkeit), die viele neuronale Areale gleichzeitig stimulieren, unter anderem die Lichtempfindlichkeit,
Alpha-Rhythmen, die mit einem entspannten Geisteszustand einhergehen und das Potenzial für bewusste Innenschau erhöhen, und
Theta-Rhythmen, die mit Aktivzuständen einhergehen und Aufmerksamkeit und Gedächtnisleistung steigern.
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Dieser Übergang in den Wachzustand entsteht im Hirnstamm durch das, was Neurowissenschaftler das aufsteigende retikuläre Aktivierungssystem (ARAS) nennen.8 Nervenfasern, die entlang eines Netzwerks unterschiedlicher dorsaler und ventraler Bahnen durchs Gehirn verlaufen, aktivieren das Vorderhirn und versetzen uns in einen vollständigen Wachzustand. Parallel dazu gibt es zwischen Hirnstamm und Vorderhirn ein »Ersatznetzwerk«, das dann aktiv wird, wenn der Mensch keine Reize von außen empfängt und sich auf sein Inneres einlassen kann. Möglicherweise deckt sich dies mit den Zuständen, die im Yoga pratyahara und dharana genannt werden und in denen äußere Sinnesreize ausgeblendet werden, damit sich die Aufmerksamkeit einem meditativen Zustand und einem reineren Bewusstsein zuwenden kann.9
Im Verein mit ARAS arbeiten mehrere Stoffwechselsysteme daran, uns aus dem Schlaf zu holen. Zunächst erhöht sich der Serotonin-, Cortisol-, Noradrenalin- und Histaminspiegel.10 Bald darauf regen bestimmte Neuropeptide, die Hypocretine (auch Orexine), den Hypothalamus an, und damit erreichen wir die bleibende Wachheit des Tages. Insgesamt kommt der Stoffwechsel in Gang, das sympathische Nervensystem wird aktiv, die Hirnrinde wird stimuliert, der Muskeltonus steigt.
Aufgrund ihrer funktionalen Wechselwirkung verstärken sich diese ruhigen und dennoch wachmachenden ARAS-Prozesse gegenseitig. Ihre Konvergenz – und ihre Redundanz – ist genau der Grund, warum wir normalerweise aus dem Schlaf erwachen und im Wachzustand bleiben, bis andere physiologische Kräfte und unser Verhalten zu Schläfrigkeit und Schlaf führen. Allmählich gleiten wir in tiefere Schlafzustände und in die surreale Alternativwelt der Träume ab, während das Gehirn seine integrative Magie entfaltet.
Schlaf mag wie ein einheitlicher Zustand, wenn auch von Träumen durchsetzt, erscheinen, dabei ist er ein durchaus vielfältiger Vorgang. In der Polysomnografie zeigen die Aufzeichnungen von EEG, fMRI, EMG und EOG ganz unterschiedliche Aktivitäten, je nach Schlafqualität und -stadium. Aber bevor es so weit ist, müssen wir erst schläfrig werden (außer wir sind an Narkolepsie erkrankt). Schläfrigkeit tritt auch dann ein, wenn wir uns gegen sie wehren, denn der Körper verschwört sich gegen uns, um neue Kraft zu schöpfen, das innere Gleichgewicht wiederherzustellen und seine Existenz zu erhalten. Die Hauptbeteiligten bei dieser Verschwörung tragen die Codenamen Prozess S und Prozess C. Der Schlafwissenschaftler Alexander Borbély sprach von dem Zwei-Prozesse-Modell der Schlafregulierung. Um Schlaf zu erzeugen und aufrechtzuerhalten, arbeiten S und C folgendermaßen zusammen, und zwar in ständiger Wechselwirkung.11
Je länger wir wach bleiben, desto mehr verspüren wir den Drang oder Druck zu schlafen. Der Schlafdruck ist das Ergebnis eines homöostatischen Steuersystems (Homöostase ist ein stabiler innerer Zustand oder Gleichgewichtszustand), das mit dem natürlichen Anwachsen schlaffördernder Kräfte im Wachzustand einhergeht und die Weckfunktion der bereits erwähnten ARAS-Prozesse und der Nervenzellen in der Hirnrinde hemmt – in jenen grauen Zellen, mit denen wir denken und bewusst handeln. Ohne diesen Druck hätten wir keinen Drang zu schlafen, und das würde unser physiologisches Gleichgewicht (Homöostase) stören.
Prozess S und Prozess C
All dies wird vor allem von einem Molekül namens Adenosin bewirkt, das Energiestoffwechsel, Hirnaktivität und Schlaf miteinander verknüpft. Je länger wir wach bleiben, desto mehr steigt der Adenosinspiegel im Vorderhirn.12 Da das vermehrte Adenosin die neuronale Aktivität des Gehirns dämpft, werden wir schläfrig. So sehr wir auch wach bleiben wollen, das natürliche homöostatische System sagt hartnäckig und immer lauter nein dazu, indem Stickstoffmonoxid (NO) die Ausschüttung von einschläferndem Adenosin auslöst.13 Gleichzeitig sorgen Prostaglandine und Cytokine für noch mehr Schlafdrang.14 Das Zusammenwirken dieser homöostatischen Prozesse macht die scheinbare Zauberkraft des Schlafes aus. Wenn wir einschlafen, werden die Ursachen des Schlafdrucks allmählich und stetig abgebaut. Bleiben wir dagegen wach, verstärkt sich der Druck. Aber wenn wir die Nacht durchmachen und dem nächtlich ansteigenden Schlafdruck widerstehen, bekommen wir am Morgen seltsamerweise trotz des homöostatischen Schlafdrucks einen Energieschub. Warum? Der schlafabhängige Prozess S (schlafabhängig in dem Sinne, dass der Schlafdruck davon abhängt, wie lange man wach war oder geschlafen hat) hatte soeben eine Begegnung mit dem schlafunabhängigen Prozess C.
Tief im Hirn gibt es einen stark lichtempfindlichen Mechanismus mit einem langen Namen: den Nucleus suprachiasmaticus (den wir zum Glück mit SCN – von englisch suprachiasmatic nucleus – abkürzen können). Der SCN ist unsere biologische Hauptuhr und steuert als solche anhand des sogenannten zirkadianen Rhythmus den Zeitplan, die Intensität und die Dauer des Schlafes. (Der Begriff »zirkadian« entstand in den 1950er-Jahren aus den lateinischen Wörtern circa, »um«, und dies, »Tag«.) Zirkadiane Rhythmen steuern bei allen möglichen Lebewesen den Ablauf von biologischen Prozessen, auch bei Pflanzen, aber beim Menschen regulieren sie unter anderem hormonelle Zyklen, Körpertemperatur und Appetit – aber vielleicht nichts so Offensichtliches wie den täglichen Kreislauf von Schlafen und Wachen.15 Relativ unabhängig vom homöostatischen Schlafdruck (Prozess S) richten sich Müdigkeit und Wachheit nach dem Wechsel von Tag und Nacht, egal ob wir schlafen oder nicht. Das funktioniert folgendermaßen.
Der Nucleus suprachiasmaticus
Der SCN ist unsere innere Verbindung zum natürlichen 24-Stunden-Zyklus von Tag und Nacht. Seinen Sitz hat er im Hypothalamus genau oberhalb der Sehnervenkreuzung. In der Netzhaut registrieren stark lichtempfindliche Zellen das Umgebungslicht und senden ihre Daten an den SCN. Der SCN übermittelt diese Informationen wiederum an verschiedene Leitbahnen, sodass Hormonausschüttungen und andere zeitbasierte Körperfunktionen angeregt werden.16
Eine dieser Leitbahnen führt zur Zirbeldrüse, die tief im Hirn sitzt und lange Zeit der Gegenstand fantasievoller Spekulationen in yogischen und tantrischen Kreisen, aber auch in der westlichen Schulmedizin war. Sie wurde um 170 nach Christus von dem griechischen Arzt, Chirurgen und Philosophen Galen entdeckt. Galen vermutete in den sie umgebenden Hirnventrikeln die Anwesenheit eines psychischen Pneumas, eines »Seelenatems«. So kamen seine Zeitgenossen auf die Idee, dass die Zirbeldrüse der Sitz des Bewusstseins und/oder ein direkter Zugang zum Göttlichen sein müsse. In seinen 1641 veröffentlichten Meditationen über die Grundlagen der Philosophie untersuchte der Philosoph, Mathematiker und Naturwissenschaftler René Descartes das Verhältnis von Körper und Seele und sah in der Zirbeldrüse den »Sitz der Seele« (entgegen der früheren Vorstellung, sie säße in der Brust).17 Viel später wurde die Zirbeldrüse zum Ajna Chakra, dem »dritten Auge«, das in den vormodernen yogischen oder tantrischen Quellen gar nicht vorkam, ehe es im späten 19. Jahrhundert von der fantasievollen Madame Blavatsky und anderen Theosophen dort hineininterpretiert wurde.18
Die weniger romantische Realität ist, dass die Zirbeldrüse mit dem SCN, unserem zirkadianen Schrittmacher, verdrahtet ist und die dem Sehapparat entnommenen Lichtsignale des SCN zum Anlass nimmt, Melatonin auszuschütten.19 Dieses aus Serotonin gewonnene Hormon bringt dann auf natürliche Weise unseren Schlaf-Wach-Rhythmus mit der Tageszeit in Einklang.20 (Die innere Uhr geht leider ein wenig nach, da ihr »Tag« 24,2 Stunden lang ist. Das führt dazu, dass man jeden Tag etwas später zu Bett geht und dies meist durch Ausschlafen am Wochenende ausgleicht.) Anders gesagt synchronisiert die durch die lichtgesteuerte Uhr SCN veranlasste Melatoninausschüttung unseren zirkadianen Rhythmus. Prozess C ist also der Steuermechanismus für die Schlaf- und Wachzeiten. Ohne ihn würde sich unser Schlafverhalten allein nach dem homöostatischen Schlafdruck richten und fluktuierende, unstete Schlafmuster ergeben. Erfahrungen mit Reisen in andere Zeitzonen und Arbeit in Nachtschichten zeigen, dass eine Störung des zirkadianen Rhythmus verheerende Auswirkungen auf den Schlaf haben kann.
In einem gesunden Menschen, der dem natürlichen Rhythmus von Tageslicht und Sonnenstand ausgesetzt ist, wirken Prozess S und C so zusammen, dass man wenige Stunden nach Sonnenuntergang ganz von selbst einschläft und kurz nach Sonnenaufgang aufwacht. Wie wir sehen werden, gerät diese Dynamik leicht durcheinander; dabei können jahreszeitliche Lichtverhältnisse, Koffeinzufuhr, Stress, Reisetätigkeit oder hormonelle Veränderungen eine Rolle spielen, ganz zu schweigen von Schichtarbeit. So kommt es zu Schlafstörungen, und die wiederum verursachen oder verschlimmern allerlei Gesundheitsprobleme. Auch viele Gendefekte oder sonstige Erkrankungen können den Schlaf stören. In gesundem Zustand sorgen diese dynamischen Prozesse jedoch dafür, dass wir unterschiedliche, teilweise erholsame, erbauliche und erquickliche Schlafzustände durchleben.
Grundsätzlich gibt es drei Zustände:
Wachzustand
REM-Schlaf
Non-REM- oder NREM-Schlaf
Den Wachzustand haben wir schon besprochen und in Kapitel 2 kommen wir noch einmal darauf zurück. Der REM-Schlaf wurde 1951 beinahe zufällig von einem Doktoranden namens Eugene Aserinsky in einem physiologischen Labor der Chicagoer Universität entdeckt. Aserinsky hatte dort seinen jungen Sohn an einen veralteten Hirnwellendetektor, den Offner-Dynografen, angeschlossen. Als der Junge schon viele Stunden geschlafen hatte, hörte Aserinsky, wie der Stift des Dynografen plötzlich hektisch ausschlug und Hirnwellen und Augenbewegungen auf die Papierrolle kritzelte, wie sie für den Wachzustand typisch sind. Aufgrund der aufgezeichneten Augenbewegungen nahm er an, dass sein Sohn aufgewacht war. Doch dem war nicht so, und stattdessen entdeckte Aserinsky etwas, das bei allen bisherigen Beobachtungen von Schlafenden in der Phase vor dem Aufwachen übersehen worden war: schnelle Augenbewegungen – rapid eye movement, kurz REM. Zwar erwähnte Aserinsky seine Beobachtung in einem kurzen, zusammen mit seinem Doktorvater verfassten Artikel, aber erst sein Kommilitone William Dement, der sich für Psychiatrie und Träume interessierte, vertiefte die Erforschung des Phänomens und wurde später eine führende Autorität auf diesem Gebiet.21
Dement fand heraus, dass, während wir schlafen, die meiste Zeit kein REM stattfindet. Als rationaler Wissenschaftler bezeichnete er diese Schlafphase als non-rapid eye movement, kurz NREM. Im NREM-Schlaf verbringen wir die meiste Zeit der Nacht. Bei einem gesunden Schlafverhalten wechseln die Körpersysteme zwischen unterschiedlichen NREM-Phasen (Leichtschlaf – Tiefschlaf – Leichtschlaf – Tiefschlaf …) und REM-Phasen, die alle jeweils eigene Merkmale und Wirkungen haben und deren Störung zu leichten bis schweren Gesundheitsproblemen führen kann, beispielsweise zu Demenz. Da der NREM-Schlaf vor dem REM-Schlaf eintritt, befassen wir uns zuerst mit der NREM-Phase.
Im NREM-Schlaf erleben wir die tiefsten, ruhigsten und erholsamsten Schlafstadien. Nach dem Einschlafen gehen die LVFA-Wellen des Wachzustands auf dem EEG zu langsamen Schwingungen mit hoher Amplitude über. Dies zeigt den Abstieg in den NREM-Schlaf an, aufgrund der langsamen Hirnwellen auch Slow-Wave-Sleep genannt.22
Nun beruhigen sich die Weckneuronen im ARAS, während der homöostatischen Schlafdruck (vor allem in Form von Adenosin) zum Zuge kommt. Die Schlaftiefe lässt sich auch daran erkennen, wie laut ein Geräusch sein muss, um eine schlafende Person zu wecken. Wir durchleben vier NREM Stadien (N1–N4) von unterschiedlicher Tiefe, die allesamt unterschiedliche Hirnstromaktivität aufweisen.23
N1:
Dies ist der Übergang zwischen Wachen und Schlafen. Dank der Theta-Aktivität im Vorderhirn nehmen wir äußere Sinnesreize noch undeutlich wahr, sind aber aufgrund von Alpha-Wellen in hinteren Hirnregionen völlig still. Wir sind praktisch schon eingeschlafen, aber noch sehr leicht zu wecken. Ungefähr die Hälfte aller Schläfer behauptet nach dem Aufgewecktwerden aus N1, gar nicht geschlafen zu haben. Dieser Zustand ist vergleichbar mit Yoga Nidra oder luzidem Schlafen, um 500 vor Christus erstmals als einer von vier Bewusstseinszuständen beschrieben in der
Mandukya Upanishad
(mehr dazu später). Yoga Nidra als Übungsform wurde im 20. Jahrhundert durch Swami Satyananda Saraswati populär und wird heute als Meditations- und Tiefenentspannungstechnik unterrichtet.
24
N2:
Dies ist der Übergang zum eigentlichen Schlaf. Plötzliche starke Ausschläge der Gehirnwellen, die sich spindelförmig auf dem EEG-Ausdruck zeigen, wechseln mit langen Wellen ab, sogenannten K-Komplexen. Wir gleiten tiefer in die Bewusstlosigkeit, wo möglicherweise Lernprozesse ablaufen, die sich der bewussten Erinnerung entziehen. Dann setzen sich die für die N3-Phase typischen langsameren Wellen mit hoher Amplitude durch, was aber nur zehn bis 20 Minuten lang anhält. Schlafende sind nun nicht mehr so leicht aufzuwecken, und 85 Prozent von ihnen geben nach dem Gewecktwerden an, geschlafen zu haben.
N3:
Jetzt begeben wir uns in den Tiefschlaf, auch Slow-Wave-Sleep (SWS) genannt. Spindelförmige Ausschläge und K-Komplexe sind immer noch zu beobachten, während Körpertemperatur und Herzfrequenz abnehmen und das Hirn weniger Energie verbraucht. Nun überwiegen langsame Hirnwellen mit hoher Amplitude und zunehmend die Delta-Wellen des Tiefschlafes. Der Muskeltonus im Bewegungsapparat ist sehr niedrig. Wir liegen ruhig und still, auch wenn es langsame Augenbewegungen gibt (SREM). Dieser Zustand und auch die tiefere Delta-Phase N4 dauern ungefähr 40 Minuten an. Hier wie in N4 ist ein starker Außenreiz nötig, um ein Aufwachen herbeizuführen, und ein aufgeweckter Schläfer erklärt, geschlafen zu haben.
N4:
Das tiefste Schlafstadium. Auf dem EEG zeigen sich Delta-Wellen und langsame Schwingungen in Hirnrinde und Thalamus, was auf tiefste Interaktion zwischen den beiden Hirnrindenhälften hindeutet.
25
Da N3 und N4 nicht leicht zu unterscheiden sind, fassen manchen Schlafforscher sie zu N3 oder SWS zusammen.
Nun folgt das wundersame, mal erfreuliche, mal verstörende, scheinbar wahnhafte und halluzinatorische Stadium des Schlafes. Zwar träumen wir auch im NREM-Schlaf ein wenig, aber im REM-Schlaf wird fast immer geträumt. Dies geht aus den Antworten derer hervor, die aus REM-Schlaf geweckt werden, sowie aus den EEG-Werten und gilt sowohl für kurze REMEinschübe im NREM-Stadium als auch für die langen REM-Phasen vor dem morgendlichen Aufwachen.26
All dies wurde Anfang der 1950er-Jahre von den erwähnten Doktoranden Aserinsky und Clement und ihrem Professor Nathaniel Kleitman entdeckt, die mit EEG und EMG (zur Messung des Muskeltonus) unterschiedliche Phasen der Aktivität und Anspannung feststellten und beschrieben.27
Die Neurowissenschaftler und Psychologen des 21. Jahrhunderts begreifen immer detaillierter, was im Gehirn und im Körper während des REM-Schlafs passiert und durchleuchten sogar die Herkunft, den Sinn und den Inhalt unserer Träume. Ihre Entdeckungen sind ein Teil der fortschreitenden Erforschung des REM-Schlafs. Dabei werden unter anderem neuronale Prozesse und ihre Steuerung kartografiert. Außerdem untersucht man, wie der REM-Schlaf mit Erinnerungs- und Lernvermögen zusammenhängt.28
In REM-Schlaf werden auch die für das Aufwachen wichtigen ARAS-Leitbahnen aktiviert, während der Hirnstamm noch vom Hypothalamus gesteuert wird.29 Diese Gehirnregion ist stark mit Gefühlen, Gedächtnis und Intuitionen befasst und womöglich auch zuständig für die Verarbeitung des am Tage Erlebten zu dauerhaften Erinnerungen.30 Theta-Wellen überwiegen hier wie in der Meditation, mit der wir uns in Kapitel 3 beschäftigen werden. Neben der Theta-Aktivität sorgen vermutlich pontogeniculooccipitale Wellen (PGO-Wellen) für visuelle und kognitive Traumereignisse im Bewusstsein.31 Und es geschieht noch viel mehr.
SCHLAFAKTIVITÄT
REM
NREM
Augenbewegung
Schnell
Langsam
Körperbewegung
Muskelzuckungen
Muskelentspannung
Vitalfunktionen
Schwankend
Stabil
Muskeltonus
Verringert
Im Bewegungsapparat vorhanden
Träume
Häufig
Selten
Geschlechtsorgane
Oft erregt
Selten erregt
EEG
Niederspannung
Langsame Wellen, Spindeln, V-Wellen, K-Komplexe
Anteil am Schlaf bei Erwachsenen
20–25 %
75–80 %
Anteil am Schlaf bei Kleinkindern
50 %
50 %
REM- und NREM-Schlaf
Bald nach der Entdeckung des REM-Schlafs entdeckte Michel Jouvet den paradoxen Schlaf, bei dem das EEG einen Wachzustand anzeigt, obwohl der Bewegungsapparat atonisch, also praktisch gelähmt ist.32 Muskelatonie ist eines der eindeutigsten Anzeichen für REM-Schlaf und hat sowohl Vor- als auch Nachteile.33 Der Vorteil ist, dass wir im Schlaf weitgehend still und ruhig liegen bleiben. Die Muskelatonie wird nur dann zum Problem, wenn sie mit bestimmten Schlafstörungen einhergeht, beispielsweise wenn jemand, der an Narkolepsie erkrankt ist, im Stehen einschläft und hinfällt. Umgekehrt bereiten Störungen der Muskelatonie Schwierigkeiten. Bei einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung (REM sleep behavior disorder, kurz RBD) werden Träume physisch ausagiert. Es kann auch zu Bruxismus (nächtlichem Zähneknirschen), Schlafwandeln in der NREM-Phase oder Sexsomnie (unwillkürlichen sexuellen Handlungen im Schlaf) kommen.34 Mit diesen und anderen Parasomnien befassen wir uns in Kapitel 2. Trotz der Muskelatonie geht der REM-Schlaf bei den meisten gesunden Erwachsenen mit Peniserektion beziehungsweise erhöhter Vaginadurchblutung einher. Mit Sexsomnie hat das nichts zu tun, es ist völlig normal.35
Im Verlauf des Nachtschlafs durchlaufen wir sämtliche NREM- und REM-Phasen durchschnittlich fünfmal, wobei jeder Zyklus rund 90 Minuten dauert. Nach dem Einschlafen geraten wir in leichten NREM-Schlaf, gehen langsam in tieferen NREM-Schlaf über, dem dann eine kurze REM-Phase folgt. In REM-Phasen werden wir oft kurz wach, manchmal sogar hellwach. Solange keine krankhafte Schlafstörung wie Narkolepsie vorliegt, besteht unsere Schlafarchitektur (die Aufteilung des Nachtschlafs in NREM- und REM-Phasen) aus Zyklen, die mit leichtem NREM-Schlaf beginnen, sich mehrmals vertiefen und mit REM enden. Dieser Wechsel zwischen NREM und REM wird vermutlich durch interagierende Nervenzellen (Neuronen) bewirkt, die den REM-Schlaf an- und ausschalten und das Muster von Zyklus zu Zyklus verschieben, sodass im Verlauf der Nacht die REM-Phasen zu- und die NREM-Phasen abnehmen.36 Auch wenn der NREM-REM-Wechsel vor allem von An/ Aus-Neuronen aus dem Hirnstamm gesteuert wird, spielen noch weitere Faktoren wie Stress, Gefühlslage, Temperatur, Licht und Homöostase eine Rolle.37
Zwischendurch träumen wir, vor allem während der REM-Phasen, und das ist der Grund, warum die meisten Menschen zwar von REM gehört haben, aber nicht von NREM.
Schlafarchitektur
Seit Menschen bewusst denken können, haben Träume sie fasziniert, verwirrt, amüsiert, geängstigt und erleuchtet. Träume lieferten überall auf der Welt Stoff für Fantasien, Mythen, kreative intellektuelle Spekulation und tiefgründige wissenschaftliche Forschung. Die moderne Psychologie versuchte, beginnend mit Sigmund Freuds Traumdeutung von 1899, Träume systematisch mit unterdrückten Gefühlen und Gedanken in Verbindung zu bringen. Carl Gustav Jung meinte, Träume seien symbolische Botschaften aus tieferen Seinsschichten und wiesen auf Themenbereiche hin, die man reflektieren solle. Dagegen suchte der ganzheitliche Gestalttherapeut Fritz Perls in allem, was in Träumen vorkam, einen potenziellen Zugang zur gesamten Persönlichkeit.38 Die psychologische Traumforschung macht weiterhin Fortschritte und nutzt inzwischen auch die Mittel der Neurowissenschaft.39
Träume werden durch die bereits erwähnten Impulse aus dem Hirnstamm ausgelöst. Dabei werden Seh- und Bewegungszentren im Gehirn stimuliert, während die für Gefühle und Erinnerungen zuständigen Areale ebenfalls aktiv sind und womöglich das Gedächtnis mit einbeziehen. Es wird vermutet, dass aus diesen Arealen Traumerfahrungen wie rennen, nicht rennen können, schweben und andere bewegungsbezogene Eindrücke entstehen, während sich die Muskeln in Atonie befinden.
Der Großteil der Schlafforschung erkennt in Träumen keine verborgenen Gefühle oder Wünsche, sondern schätzt ihre Aussage eher neutral ein. Bedeutung haben Träume demnach nur insofern, wie wir ihnen im Nachhinein eine verleihen. Daneben existiert die Auffassung, dass wir im REM-Schlaf emotional bedeutsame Ereignisse entwirren und fassbar machen und dass wir das am Tage Gelernte zurechtrücken und einordnen, auch wenn zum Träumen keine motivierenden Auslöser notwendig sind.40 Ob sich in Träumen nun innere Triebe offenbaren oder nicht, wird in Schlafforschung und Psychologie weiterhin heiß diskutiert.
Es ist verlockend, die Schlafstadien mit ihren Zyklen, so wie die Neurowissenschaft sie definiert, einfach mit den Vorstellungen über Wach-, Schlaf- und Traumzustand gleichzusetzen, wie sie in den alten Yogaschriften zu finden sind. Beide beschreiben schließlich unterschiedliche Bewusstseinszustände, die eine mittels der wissenschaftlichen Methode mit überprüfbaren und wiederholbaren Nachweisen, die andere quasi phänomenologisch durch reflektierte Selbsterfahrung, Beobachtung anderer und kreativer Interpretation der Erkenntnisse in Verbindung mit einer weitschweifigen Imagination.41
Wir müssen beachten, dass sich die meisten alten Yogaschriften vor allem für die Erlösung vom Leiden interessieren, das als spirituelles Problem aufgefasst wird. Wenn wir in diesen Texten also yogische Erkenntnisse über Schlafen, Wachen und Träumen suchen, müssen wir bedenken, dass sie nicht in der Absicht verfasst wurden, wissenschaftliche Fakten festzustellen. Dennoch lassen sich in diesen Dialogen (frühe Yogaschriften sind oft in der Form eines intelligenten Gedankenaustauschs verfasst) Einsichten finden, die den feinmaschigen Netzen der Wissenschaft oft entgehen und deren Erkenntnisse ergänzen. Letzten Endes geht es uns darum, den Schlaf zu verstehen und zu verbessern und so unser Wohlbefinden zu steigern, ganz gleich, welche Quellen und welche Methode uns hierfür von Nutzen ist.
Manche der Bewusstseinszustände, die die alten Yogis beschreiben, mögen zwar den Schlafstadien ähneln – wie bereits erwähnt erinnert der leichteste NREM-Schlaf an Yoga Nidra –, aber ein solcher Vergleich würde nicht nur unseren heutigen Erkenntnisstand, sondern auch die Aussagekraft der alten Schriften überschätzen. Nirgendwo dort ist in Bezug auf Schlaf von Stadien oder Zyklen die Rede, nur in Bezug auf das Bewusstsein selbst, wobei jedes Stadium ein weiterer Schritt ist, weg von äußeren Zwängen oder innerem Zwist und hin zur ursprünglichen Einheit von Geist oder Universum (die oft als ein und dasselbe gelten).
In manchen ganz frühen Texten zum Yoga werden unterschiedliche Bewusstseinszustände erörtert, vor allem in der bereits erwähnten Mandukya Upanishad, einer Urquelle der nichtdualistischen Advaita-Vedanta-Philosophie aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert.42 Das Selbst besteht hier aus vier padas (Füße oder Pfeiler), deren jeder einen unserer vier Bewusstseinszustände darstellt.
Vaishvanara
, »jedem [und jeder] gehörig«:
der Wachzustand. Das Bewusstsein richtet sich durch sieben »Glieder« (Kopf, Augen, Mund, Ohren, Lunge, Magen, Füße) und 19 »Münder« (fünf Sinnesorgane, fünf Organe des Handelns, fünf Arten der Atmung –
prana vayus
, Seele, Geist, Gedanken und Selbstwahrnehmung) nach außen.
Taijasa
, »lichtvoll«:
der Traumzustand. Das Bewusstsein richtet sich auf denselben Wegen wie beim Wachzustand nach innen, allerdings subtiler.
Prajna
, »weise«:
der Zustand des Tiefschlafs
Der vierte Pada
ist unbenannt, »maßlos«, nichtdual und bezieht sich auf die ursprüngliche Einheit des Bewusstseins, des Universums.
Bei genauem Studium dieser und anderer Urschriften über Yoga und Schlaf – seien es die anderen wichtigen Upanishaden, das Brahmasutra, die Bhagavadgita und das Yogasutra des Patanjali aus dem 4. Jahrhundert nach Christus, das seit den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts das meistzitierte yogaphilosophische Werk ist – findet man keine Stellen, an denen das Wesen von Traum oder Schlaf ergründet werden.43 Zeitgenössische Yogalehren, die weitgehend auf westlicher Psychologie beruhen, befassen sich mehr mit Schlafstadien und Bewusstseinszuständen, besonders wenn es um Yoga Nidra geht.44
Dort, wo über Träume nachgedacht wird, gelten sie meist als verfeinerte Form des Bewusstseins, verglichen mit dem Wachzustand, während der Tiefschlaf dem reinen, wissenden Bewusstsein nahegestellt wird, da er frei von Sinneseindrücken ist. Das ist merkwürdig, entsteht doch unser klarstes Bewusstsein möglicherweise nicht in den Illusionen, die wir im Traum durchleben, sondern dann, wenn wir hellwach und unsere Sinne aufnahmefähig sind. In den Schriften drückt sich eher eine tantrische Sensibilität aus, die uns auch in manchen zeitgenössischen Yogastilen begegnet, die offen sind für die Erforschung von Achtsamkeit, Psychosomatik, Inkarnation und sich dem Leben im Hier und Jetzt öffnen – wichtige Themenfelder, auf die wir noch zurückkommen werden, wenn es um die Kultivierung der Schlafqualität geht.
Der Schlaf ist ein Teil des angeborenen Beharrens darauf, dass das Gehirn genährt und geordnet wird und sich der Körper auf das vorbereiten kann, was man im Wachzustand unternimmt und erlebt. Yogis mögen betonen, dass der Schlaf dabei hilft, die gunas – die uns innewohnenden Qualitäten Energie, Trägheit und Harmonie – auszubalancieren und uns einem klareren Bewusstsein gegenüber zu öffnen.
Neurowissenschaftler und andere, die sich mit der Schlafforschung befassen, betrachten dagegen mit zunehmender Präzision die neurologischen und physiologischen Prozesse bei verschiedenen Schlaf-, Wach- und Übergangszuständen. Wir haben jetzt ein besseres Verständnis dafür, warum wir schlafen als jemals zuvor.
Im Schlaf sind wir nicht nur einfach nicht wach. Nein, der Schlafzustand ist »eine hochkomplexe, metabolisch aktive und wohlgeordnete Abfolge unterschiedlicher Stadien«, in denen wir unsere Kapazitäten wiederherstellen, um im Wachsein klar denken und gut funktionieren zu können.45 Es wird immer deutlicher, dass der Schlaf in vielerlei Hinsicht die Grundlage unserer Gesundheit darstellt und sich im Laufe unseres Lebens in erheblichem Maße auf Stoffwechsel, Immunsystem, Gedächtnisvermögen, Lernfähigkeit, Kreativität, Verdauung, Stimmungs- und Gefühlslage, Motorik und alle anderen Körperfunktionen auswirkt. Der Körper erneuert und restauriert seine Gewebe und optimiert seine physiologischen Systeme, also Nerven-, Herz-Kreislauf-, Hormon-, Muskel-, Skelett-, Atem-, Verdauungs-, Harn- und Reproduktionssystem.
Eine schlecht geschlafene Nacht reicht, um am eigenen Leibe zu spüren, welche Auswirkungen der Schlaf auf Grundfunktionen wie klares Denken, Entscheidungsfindung, emotionale Stabilität, Ausdauer und Koordination hat. Und wenn wir die Beeinträchtigungen unseres Wohlbefindens nicht bemerken und glauben, mit fünf oder sechs Stunden Schlaf auszukommen, täuschen und schaden wir uns in Wirklichkeit. Wer nicht über ein äußerst seltenes Gen verfügt, das bei einem sehr kleinen Prozentsatz von Menschen vorkommt, benötigt etwa sieben oder acht Stunden Schlaf, um gesund zu bleiben. Der Schlafbedarf hängt nicht von der subjektiven Erfahrung ab, denn die wird häufig durch Stimulanzien wie Kaffee, Tee und andere koffeinhaltige Getränke verzerrt, sondern davon, »ob die Schlafmenge ausreicht, um all das zu bewirken, was Schlaf bewirken kann«.46
Der Hauptzweck des Schlafes besteht in der Wiederherstellung der Hirnfunktionen, die vier wichtige Bereiche des Alltags abdecken:
Die Fähigkeit, klar und konzentriert zu denken.
47
Offenbar wirken sich Schlafstörungen bei ansonsten gesunden Menschen negativ aus auf den präfrontalen Kortex, die zu ihm führenden Nervenbahnen und den posterioren Parietalkortex, der direkt mit dem präfrontalen Kortex verbunden ist, in dem wir aktiv denken.
48
Hochfrequente, für die Funktion der Hirnrinde wichtige Oszillationen werden beeinträchtigt, Projektionen im basalen Vorderhirn werden gehemmt, was die visuelle Aufmerksamkeit und Reaktionsfähigkeit herabsetzt, und die Dopaminspiegel werden verändert, was die kognitiven Fähigkeiten schwächt.
Die Fähigkeit, neue Informationen aufzunehmen (zum Beispiel beim Lernen) und Gelerntes zu behalten (Gedächtnis).
49
Verschiedene miteinander in Zusammenhang stehende Mechanismen können durch Schlafunterbrechung oder Schlafentzug beeinträchtigt werden, darunter die hormonelle Stressreaktion auf Schlafstörungen. Dies führt durch Belastung der Nebennieren zu einem Anstieg des Corticosteronspiegels und folglich zu einer Hemmung der Hippocampusneurogenese, die für eine vollständige Wiederherstellung der kognitiven Kapazität während des Schlafes erforderlich ist. Schlafunterbrechungen können sich auch auf das Gedächtnis oder das Erinnerungsvermögen auswirken, indem sie die synaptische Homöostase während des NREM-Schlafes stören und die Konsolidierung und Stabilisierung von Erinnerungen an Ereignisse hemmen, die sich dann möglicherweise zu leicht Bahn brechen können (was mit einer gewissen Labilität einhergehen kann).
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Emotionale Ausgeglichenheit und Flexibilität.
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Die meisten von uns wissen aus eigener Erfahrung, dass man nach einer schlechten Nacht launischer ist. Die Neurowissenschaft ist dabei herauszufinden, warum Schlafentzug uns stärker auf negative Erfahrungen reagieren lässt, warum er unsere Mimik beeinträchtigt und warum er es uns erschwert, die Emotionen anderer zu interpretieren: Das emotionale Gedächtnis und unsere mesolimbischen Belohnungssysteme, die entscheiden, ob wir einer Versuchung nachgeben oder widerstehen, und die im normalen REM-Schlaf aufgepäppelt werden, nehmen Schaden, wenn der Schlaf gestört wird. Wer »Träum weiter« sagt, meint es also eigentlich gut, besonders wenn man bedenkt, wie sich Schlafstörungen auf Angstzustände und Nervosität auswirken.
Optimale Motorik, etwa beim Gehen auf schmalen Pfaden oder beim Balancieren auf Füßen oder Händen.
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In einer bahnbrechenden Studie, die Anfang der 2000er-Jahre im neurophysiologischen Labor der Harvard University durchgeführt wurde, fand man deutliche Belege dafür, dass die Entwicklung der Motorik von Hirnzuständen abhängt. Dabei trat auch ein Zusammenhang zwischen Schlafstadium und Aufgabenkomplexität zutage: Komplexe Tätigkeiten sind mehr auf REM-Schlaf angewiesen, während einfache Aufgaben eher auf NREM-Schlaf der N2-Phase angewiesen sind.
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Wenn wir uns Schlaf und kognitive Dysfunktionen genauer ansehen, finden wir zunehmend Hinweise darauf, dass Schlafunterbrechung und -entzug mit Demenz zusammenhängen, auch in Form von Alzheimer. Die Alzheimer-Krankheit ist eine chronische und fortschreitende neurologische Störung mit kognitiven und funktionellen Behinderungen; sie steckt hinter den meisten Fällen von Demenz.54 Die Heimtücke von Alzheimer liegt unter anderem in dem erst unauffälligen, aber allmählich und dauerhaft fortschreitenden Krankheitsbild, das sich mit der Zeit verschlechtert.55