YUKON Reise-Tagebuch 1986 - Jens Bomholt - E-Book

YUKON Reise-Tagebuch 1986 E-Book

Jens Bomholt

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Beschreibung

Kanu-Reise im Sommer 1986 von Whitehorse in Kanada bis Alakanuk an der Bering-See: 2300 Meilen durch die Wildnis von Kanada und Alaska. Ohne Begleitung, Unterstützung, Sponsor. 1986: zu einer Zeit vor GPS, Google Earth, Mobiltelefon, Digitalkamera und anderen heutigen Selbstverständlichkeiten.

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Reisen ist Leben

Leben ist Reisen

Jens Bomholt

YUKON Reise-Tagebuch 1986

per Kanu durch Alaska

© 2018

Jens Bomholt

 

Sturzeneggstr. 36 B

 

CH 9015 St. Gallen

 

[email protected]

Fotos, Illustrationen, Umschlag: Jens Bomholt

Verlag & Druck:

tredition GmbH, Hamburg

ISBN:

Paperback

978-3-7469-9427-7

 

Hardcover

978-3-7469-9428-4

 

eBook

978-3-7469-9429-1

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

YUKON REISE-TAGEBUCH 1986

von Jens Bomholt

Dies ist mein Bericht über den Sommer 1986, in dem ich den ganzen Yukon von Whitehorse nach Alakanuk mit dem Kanu befahren habe.

Abbildung 1: Reiseroute: Yukon von Whitehorse bis Alakanuk

Der Yukon ist einer der grössten Flüsse der Welt. Auf einer Länge von mehr als 2300 Meilen, oder ca. 3700 Kilometern, ist er relativ problemlos befahrbar. Er fliesst vom Yukon Territory Canadas aus quer durch Alaska in die Bering-See.

VORWORT DES AUTORS

Diese Reise war etwas, wozu ich selbst die Idee hatte und was ich persönlich in Angriff nahm: ganz alleine, nur für mich.

Unterstützung

Ich machte diese Reise ohne jegliche Unterstützung:

• ohne Sponsoren und ohne Support irgendwelcher Art

• ohne kostenlose Ausrüstung

• ohne Begleit- und Betreuungsteam

• ohne Finanzierungshilfe durch Kredite, Darlehen, Crowdfunding, Verlustübernahmegarantien o.ä.

• ohne Verträge für ein Buch, Vortragstourneen o.ä.

Technische Rahmenbedingungen

Meine jüngeren Leser werden sich mit den folgenden Informatioen viel besser in das Erlebnis dieses Reiseberichts hineinfühlen können, und ältere Leser werden sich vielleicht noch an diese Zeit erinnern:

• 1986 gab es noch kein Internet. (1993 wird Datenverkehr erst 1% der Informationsflüsse über Telekommunikation ausmachen!)

• Meine Recherchen zur Vorbereitung liefen also schriftlich (Brief per Post) oder telefonisch (nur Festnetz).

• Ferngespräche kosteten noch ein Vermögen. Technisch wäre es natürlich möglich gewesen, von der Schweiz aus einen Reiseveranstalter in Whitehorse anzurufen. Die Telefonnummer hätte ich herausfinden können: ein Telefonbuch von Alaska hätte ich vermutlich in der Schweizerischen Nationalbibliothek in Zürich vorgefunden, und es gab eine internationale Auskunft über Telefonnummern.

• Mobiltelefone waren noch nicht erfunden. Erst 1989 würde Nokia mit dem «Mobira Cityman», 800 Gramm leicht und 10'000 deutsche Mark günstig, den Durchbruch schaffen. Mit diesem Gerät wird man … ortsunabhängig telefonieren können. Zumindest in gewissen Gegenden mit der notwendigen technischen Infrastruktur. Telefonieren - das war dann auch alles.

• Möglichkeiten wie eMail oder Google lagen noch in ungeahnter ferner Zukunft.

• Landkarten waren aus Papier und kosteten eine Stange Geld. Wo bekommt man Karten über Gebiete wie Alaska? In normalen Geschäften sicher nicht.

• Satellitennavigation gab es nicht: erst 1993 würde GPS zur zivilen Nutzung freigegeben werden – und dann vorerst mit künstlich verfälschten Koordinaten.

• Google Earth lag in ferner Zukunft.

• Gute Sonnenschutzprodukte hatten den Schutzfaktor 6, solche für extreme Ansprüche Schutzfaktor 8.

• Fotoapparate funktionieren noch optomechanisch und benutzten Filmrollen. Die Filmrolle musste man einlegen, die belichtete Filmrolle (36 Fotos bei Kleinbildfilm wie ich ihn benutzte) musste man zurückspulen, dann an ein Labor einschicken und dabei recht viel Geld locker machen, um schliesslich (nach etlichen Tagen des Wartens) entwickelte Dias oder Negative und Papierabzüge zu bekommen.

• Eine Postkarte aus Alaska war vielleicht 1-2 Wochen unterwegs bis zum Empfänger in der Schweiz.

• 1986 war China erst langsam dabei, sich zu einer Wirtschaftsmacht zu entwickeln. In den Geschäften von Europa und den USA gab es noch keine preisgünstigen Waren chinesischen Ursprungs. Meine Ausrüstung, auch Kleider, Schlafsack etc., kostete noch richtig satt Geld – wie heutige Hochpreisprodukte von exklusiven Markenanbietern. Die einzelnen Gegenstände waren nicht einfach nach Belieben ersetzbar. Nicht nur das: eine Konsum- und Wegwerf-Mentalität im heutigen Sinn war uns zu jener Zeit völlig fremd.

Geniessen Sie diesen Bericht um so mehr, wenn Sie wissen: es ist nicht nur eine geographische Reise – es ist auch eine Zeitreise in eine erstaunlich nahe aber gleichzeitig verblüffend ferne Vergangenheit!

Kapitel 1

VORBEREITUNG UND ANREISE

Die Idee

Etwa dreieinhalb Jahre davor, im Herbst 1982, hatte ich die USA mit dem Fahrrad durchquert. Praktisch ohne Vorbereitung, ohne Training, mit einem Minimum an Gepäck, und alleine, habe ich während etwas mehr als acht Wochen ca. 6’500 Kilometer zurückgelegt. Die Fahrt führte von der Ostküste quer durch den Kontinent an die Westküste und dann dem Pazifik entlang nach San Francisco. Diese Reise war derart eindrücklich und erlebnisreich, dass für mich feststand, wieder einmal eine solche Reise zu machen, mit einem einfachen (nicht motorisierten) Transportmittel, einem Minimum an Gepäck, und alleine. Da sich so eine Reise nicht in den üblichen vierwöchigen Ferien durchführen lässt, plante ich sie für den nächsten Stellenwechsel in etwa drei Jahren, also Sommer 1986. Hatte ich zuerst an den Mississippi gedacht, der mich bei der Tour durch die Südstaaten der USA so faszinierte, so kam mir bald einmal der Gedanke, dass es auch der Yukon sein könnte: Wildnis, Abenteuer, Gold, Bären, Mitternachtssonne …

Die Vorbereitung

Aus Überzeugung beschränke ich meine Vorbereitungen jeweils auf ein absolutes Minimum. Dadurch werden meine Reisen viel spontaner, abenteuerlicher und erlebnisreicher. Aber eine minimale Vorbereitung muss sein:

Kanutraining

Kanu-Erfahrung sammelte ich bei einer zweiwöchigen, geführten Tour auf den Seen und Kanälen in Farmland, Süd Schweden. (Veranstalter Sun Team, gebucht bei SSR).

Vorbereitende Lektüre

• «richtig reisen» Canada, AlaskaAutor Ferdi WengerVerlag office du livre

• Abenteuer-Almanach CanadaAutor Elmar EngelVerlag Knaur

Die wichtigsten Informationen:

• die Temperaturen im Sommer sind etwas niedriger als hier im Schweizer Unterland

• der Yukon ist von Whitehorse im Yukon Territory Canadas bis zur Mündung in die Bering-See befahrbar. Der Schwierigkeitsgrad des Flusses ist 1 bis 2, also geeignet für ein offenes Kanu. Es gibt nur zwei Stromschnellen, die beide durchfahren werden können.

• der Fluss ist ab ca. Mitte Mai (manchmal aber erst nach der ersten Juniwoche) frei von Eis, und damit befahrbar.

Reisebüros

Vorbereitende Korrespondenz besteht aus einem Brief an Rainbow Adventure Tours (Anschrift folgt), in welchem ich um Informationen bitte, insbesondere auch über die Möglichkeit, ein Kanu zu kaufen. als Antwort kommt ein Haufen mich nicht interessierender Prospekte und ein computergedruckter Standardbrief. Ich verzichte auf weitere Korrespondenz.

Beim Reisebüro Xanaplan in Zürich, welches auf Canada und Alaska spezialisiert ist, kaufe ich eine Woche vor meinem Abflug ein Flugticket nach Vancouver. Dies einerseits, weil ich nicht realisiere, wie weit es von Vancouver nach Whitehorse ist (nämlich ca. 1000 Meilen bzw. 1600 km), andererseits aber, weil in Vancouver im Sommer 1986 die Weltausstellung Expo 86 stattfindet. Bei Herrn Werner Hess, dem Geschäftsführer des Reisebüros, frage ich nach, ob er jemanden kennt, der den Yukon auf ganzer Länge befahren hat. Nein, aber er habe einmal in einem Abenteuer-Magazin einen Bericht von jemandem gelesen, der sich durch die Yukon Flats gewagt habe. Es sei mörderisch: man verirre sich in einem Labyrinth von Kanälen, die oft als Sackgasse enden. Und die Insekten …

• Xanaplan AG (Firma 1993 gelöscht)Felsenstrasse 12Postfach 4438034 ZürichTelefon 01 / 55 72 35

Bei Xanaplan buche ich den Flug mit KLM Zürich-Amsterdam und mit CP AIR nach Vancouver, Hinflug 12. Juni 1986, Rückflug 31. August 1986, SFR 1’829.-

Vorschriften und Behördenkram

Behördenkram, also Visa, Waffeneinfuhr, Jagd- und Angellizenz, Devisenbestimmungen etc. beschränken sich auf ein Minimum: ich angle und jage nicht und trage auch kein Gewehr zum Schutz gegen wilde Tiere. Ein Visum ist nicht nötig, aber die zulässige Aufenthaltsdauer wird an der Grenze bestimmt und hängt vom Aussehen, vom Reisezweck und vom Vorhandensein genügender finanzieller Mittel ab (Richtlinie ca. 30 $ pro Tag). Aber nicht nur deshalb nehme ich genügend Geld mit, sondern auch, um mich notfalls aus allen Klemmen befreien zu können, in die mich meine sehr knappe Vorbereitung bringen könnte.

Nochmals kurz:

• Visum für Canada nicht erforderlich.

• Visum für die USA erforderlich. Meine Einreise geschieht aber in der Wildnis: es gibt dort keine Zollkontrolle.

• die Waffeneinfuhr nach Canada wäre, soweit ich gehört habe, völlig problemlos. Allerdings sind Revolver und Pistolen strengstens verboten. Will man eine kurzläufige Waffe für den Teil der Reise in den USA, muss man sie direkt dorthin vorausschicken.

• über Angel- und Jagdlizenzen informiert das Reisebüro. Gegen Angriffe wilder Tiere kann man sich ohne Jagdlizenz verteidigen.

Mitgenommene Ausrüstung

Die Ausrüstung, die ich aus der Schweiz mitgenommen habe, ist unten aufgelistet. Ich reise nicht gerne mit viel und sperrigem Gepäck, und ich werde mir die erforderliche Ergänzung meiner Ausrüstung in Whitehorse kaufen.

Schlafsack

Wichtigster Ausrüstungsgegenstand für mich ist mein Daunenschlafsack: ich liebe Daunen, obwohl die Plastiksäcke mit Hollofill, Quallofill etc. nicht nur gleich warm und fast gleich kompakt sein sollen, sondern vor allem kaum Wasser aufnehmen, auch nass noch gut isolieren, und schnell trocknen. Ausser dem Schlafsack habe ich mitgenommen:

Bekleidung

Unterwäsche, lange Unterwäsche, Socken, Kniestrümpfe, Thermo-Unterhemd, Rollkragenpulli, Hemden mit Brusttaschen, dünner Wollpullover, lange Jeans, kurze Hosen, Turnschuhe, Seglerschuhe (unempfindlich gegen Nässe), halbhohe Gummistiefel, Thermoweste, Texpore Überhosen, Texpore Jacke mit Kapuze, Südwester Hut (aus Plastik), Poncho aus gummibeschichtetem, robustem Stoff. Badehosen.

Ausrüstung

Militärtaschenmesser mit Säge, drei Billigfeuerzeuge (die sind wasserdicht und ersparen mir wasserfeste Zündhölzer), jede Menge Mammutschnur, Katadyn Wasserfilter, Kompass, Campingbesteck, für den Daunenschlafsack eine Goretex Schlafssackhülle / Biwaksack, kleine Feldflasche, Regenschirm (auch gegen Sonne), übliches Necessaire.

Apotheke

Übliches Verbandszeug, Schmerztabletten, Antibiotika (rezeptpflichtig), Micropur Tabletten um Wasser zu desinfizieren, Sonnencreme mit Schutzfaktor 6 und Lippenschutzstift mit Faktor 8 (damals das höchste).

 

DONNERSTAG, DER 12. JUNI 1986

Die Anreise

Die Anreise führt mit einem verspäteten Flug nach Amsterdam, so dass ich den Flug nach Vancouver gerade eben noch knapp erwische.

Der Grenzübergang

Bei der Einreise nach Canada liegt es im Ermessen des jeweiligen Grenzbeamten, die Dauer des Aufenthaltsvisums festzulegen. Willst du Ärger bekommen, dann nimm nur so viel Geld mit, wie du unbedingt brauchst, kleide dich als Hippie oder Trapper, und erzähle dem Grenzbeamten, dass du alleine die Wildnis erobern willst, den Bären, Wölfen und Moskitos trotzen, etc. Ich ziehe es vor, unauffällig gekleidet und sauber rasiert zu erscheinen, eine ausreichende Menge Geld dabeizuhaben, und dem Grenzbeamten zu erklären, dass ich an geführten Touren teilnehmen will (den Brief und die Prospekte des Reisebüros in Whitehorse habe ich dabei), und dass ich vorerst vor allem auch die Expo 86 besuchen will. Meine Einreise ist denn auch ganz problemlos.

Vancouver

In Vancouver bleibe ich zwei Tage. Ich miete mir am Flughafen für zwei Tage ein Auto (teuer, schwierig ohne Kreditkarte, aber praktisch). Billiger wäre sicher die Gebrauchtwagenvermietung «rent a wreck» im Zentrum der Stadt. Ich wohne in der riesigen Jugendherberge; Campingplätze gibt es keine im Stadtgebiet.

Informationen betreffend Vancouver:

• Auskunft über Busse zur Jugendherberge am Informationsschalter am Flughafen.

• Jugendherberge 8 $ (members) bzw. 10 $ (non members) pro Nacht. Geöffnet das ganze Jahr, von 16:00 bis 10:00 Uhr mit Nachtsperre von 00:00 bis 04:00 Uhr.

• Auskünfte aller Art beim Tourist Information Center im Zentrum der Stadt.

 

FREITAG, DER 13. JUNI 1986

Die EXPO 86

Ich besuche die Expo. Sie ist zentral, gross und eindrücklich. Aber die Menschenmengen: überall muss man Schlange stehen, manchmal mehr als eine Stunde, vor allem bei den Hauptattraktionen.

Abbildung 2: Expo 86 in Vancouver

Thema: Mobilität

Das Thema dieser Expo ist «Mobilität». Mobilität und Reisen: wie passend für mich!

Abbildung 3: moderne Rennjacht an der Expo

Abbildung 4: Thema Mobilität an der Expo

Ein Tag in Vancouver und an der Expo reicht mir, und ich kaufe ein Flugticket für einen Flug nach Whitehorse.

SAMSTAG, DER 14. JUNI 1986

Der Flug nach Whitehorse

Der Flug Vancouver - Whitehorse mit CP Air kostet ca. 260 $ (kanadische Dollar), normaler Tarif inkl. Steuern. In Europa, also vor deiner Abreise, kannst du Flugpässe für z.B. eine Woche unbeschränktes Fliegen auf allen Linien einer bestimmten Gesellschaft kaufen. Dieser Flugpass kostet weniger als mein Flug einfach Vancouver - Whitehorse!

Am Mittag fliege ich ab. Aus dem Flugzeug sehe ich schneebedeckte Berge überall. Ob die Temperaturen tatsächlich über 20 Grad Celsius (plus!) sein werden in Whitehorse? Wir haben Zwischenhalte in Prince George und Fort St. John.

Whitehorse

Ankunft in Whitehorse: es ist warm und schön. Vom Gratistelefon im Flughafen rufe ich die Visitor Information an und erhalte dort die Adresse des Youth Hostel. Mike und Kristy, mit Tochter Jessie und Hund Shadow, führen ein winziges Familienhostel, heimelig und nett, für 10 $ (members) und 15 $ (non members, also auch für mich). Es gäbe auch einen Campingplatz, aber ich habe Lust, in einem Bett zu schlafen.

Abbildung 5: Bärenfalle

Weitere Vorbereitungen in Whitehorse

Es ist Samstagnachmittag: Büros und Geschäfte werden erst am Montag wieder offen sein. Dies stört mich nicht, denn ich brauche jeweils mindestens zwei Tage, um mich alleine in der Fremde seelisch zurechtzufinden. Nach der Anreise fühle ich mich furchtbar einsam und fehl am Platz. Ich bin hungrig, müde, nervös, fern von zu Hause, kenne niemanden, frage mich, was ich hier soll, ob das nicht ein riesiger Fehler war …

Aber das geht in etwa zwei Tagen vorbei, wenn ich mich richtig verwöhne, gut esse, in einem richtigen Bett schlafe und die Zeit gehen lasse.

 

SONNTAG, DER 15. JUNI 86

Ich verbringe den Sonntag in der Stadt (die Jugendherberge ist auf der anderen Seite des Flughafens, oberhalb der Stadt, etwa eine halbe Stunde zu Fuss entfernt). Whitehorse ist eine grosse Stadt mit ca. 15’000 Einwohnern: sie ist die Hauptstadt des Yukon Territory.

Abbildung 6: Whitehorse

Ich gehe zum Visitor Information Center, hole einen Stadtplan und Broschüren, lese die Inserate am Anschlagbrett. Ich gehe durch die Stadt und merke mir, wo die verschiedenen Einkaufszentren, die Secondhandshops und Reisebüros sich befinden. Ich gehe am Fluss entlang, kaufe Zeitungen und lese sie, insbesondere auch die Kleinanzeigen, welche Kanus zum Verkauf anbieten. Ich besuche das Mac Bride Museum: eine super Ausstellung von Gegenständen, Bildern und Dokumenten aus der Goldrausch-Zeit. Gespräche mit verschiedenen Leuten benutze ich dazu, Tipps für den Kauf eines Kanus und die Vorbereitung der Fahrt zu bekommen.

Abbildung 7: Schaufelraddampfer S.S. Klondike in Whitehorse

MONTAG, DER 16. JUNI 1986

Auf der Suche nach einem Kanu

Ich bin wieder in der Stadt unterwegs, diesmal haben aber Geschäfte und Büros offen. Ich kaufe noch nichts, um nichts schleppen zu müssen, aber ich sammle alle Informationen, gehe in Geschäfte und vergleiche Preise, gehe bei allen Kanuvermietern vorbei und frage nach gebrauchten Kanus, die zu verkaufen seien, etc.

• Secondhand Shops:

○ 2nd avenue discount

○ fred's new and used

○ 20/20

• Anschlagbretter (bulletin boards):

○ Visitor Information Center

○ Einkaufszentren und Warenhäuser

• Sportgeschäfte:

○ Hougens

○ einige weniger grosse Geschäfte

• Kanuverleiher / Outfitter:

○ rainbow adventure tours3089 - 3rd avewhitehorse, yukon, y1a 5b3

○ karpes and pough companyp.o. box 5152whitehorse

○ tatshenshini expeditions1602 alder streetwhitehorse y1a 3w8

○ wanderlust wilderness adventuresp.o. box 5076whitehorse y1a 4s3

○ yukon tours200 - 307 jarvis streetwhitehorse y1a 2h3

• Zeitungen:

○ Yukon News

○ Whitehorse Star

Bei der Suche nach einem Kanu verzichte ich darauf, die Radiostation anzurufen, welche solche Anfragen an ihre Hörer weiterleitet, und ich rufe auch nicht die an den Anschlagbrettern angegebenen Telefonnummern an. Ein gebrauchtes Kanu in einem Secondhandshop ist spottbillig, aber eine völlige Schwarte. Das Preisniveau von guten gebrauchten Kanus scheint von 500 $ aufwärts zu sein. Verbreitet sind Coleman Kunststoff-Kanus (billig) und Grumman Aluminium-Kanus (teuer). Diverse Fiberglas-Kanus, z.B. Clipper, liegen dazwischen. Gebrauchte Holz- und Holz-Stoff-Kanus sind selten; ich würde als Nichtfachmann keines kaufen. In Gesprächen erfahre ich, dass die Coleman Kanus als Badewannen bezeichnet werden, dafür seien sie unzerstörbar. Als Mietboote auf dem schnellfliessenden oberen Yukon sind sie ideal. Neu werden sie im Woolworth für 460 $ (15 Fuss) bzw. 540 $ (17 Fuss) verkauft. Ein neuer Clipper Scout, Fiberglas mit Kevlar-Verstärkung, kostet bei Hugens 750 $. Ein neues Grumman (17 Fuss) kostet mindestens 850 $. Das Grumman ist aber nicht nur das leichteste, sondern auch das schnellste, und es sieht am kanumässigsten aus. Am Abend treffe ich mich mit David Howe von Rainbow Adventure Tours, um zwei gebrauchte Grumman 17 Fuss Aluminium-Kanus anzuschauen. Wenige Minuten später bin ich stolzer Besitzer eines Kanus für den Preis von 620 $. Zugegeben, eine Coleman «Badewanne» kostet neu weniger, aber ich habe jetzt das beste Kanu, das es gibt, und Dave hilft mir mit Transport, stellt mir für morgen tagsüber einen Abstellraum in der Stadt hinter seinem Büro zur Verfügung, bringt mich und meine Sachen zum Fluss, und gibt mir wichtige Tipps. Ich bin zufrieden und in mein Kanu verliebt.

Ich habe heute auch Zelte, Paddel und Schwimmwesten angeschaut und die Preise verglichen. Morgen werde ich mir den Rest meiner Ausrüstung zusammenkaufen und hoffentlich auch starten. Das Wetter ist fantastisch gut, der Fluss fliesst zügig Richtung Norden, und ich möchte am liebsten schon unterwegs sein. Nichts mehr von der Niedergeschlagenheit, die jeweils die ersten zwei-drei Tage nach der Anreise vorhanden ist!

Flussbeschreibung

Bei Karpes and Pough habe ich zwei Büchlein gekauft mit detaillierten Flusskarten und Streckenbeschreibungen für die Strecken Whitehorse - Carmacks und Carmacks - Dawson.

Whitehorse - Dawson ist die vielbefahrene und gut unterhaltene Strecke, auf welcher jährlich Hunderte von Touristen den Weg der Stampeder (Goldsucher während des Goldrausches) nachvollziehen. Auf dieser Strecke bis nach Dawson und dessen Goldfeldern gibt es eine Menge historischer Siedlungen, Blockhäuser, Pfade, Goldgruben etc., die zum Teil auch gepflegt und restauriert werden. Am Abend lese ich diese Flussbeschreibungen sowie einschlägige Literatur, die in der Jugendherberge aufliegt.

 

DIENSTAG, DER 17. JUNI 86

Der Dienstag bringt wieder fantastisches Wetter. Gestern Nacht um 22 Uhr schien noch die Sonne, und beim Aufwachen steht sie wieder hoch am Himmel. Heute Nacht waren noch zwei Schweizer in der Herberge, die mit einem unglaublich billigen Flugpass eine Woche umherfliegen. Ausserdem ein Neuseeländer, der trampt. Ich packe meine Sachen, schultere den Rucksack und gehe runter in die Stadt.

Einkäufe

Die Büros und Läden haben noch geschlossen. Ich gehe zum Secondhand-Shop und kaufe ein Paddel, sowie Kochtopf, Bratpfanne, Kaffeetopf, Tasse und eine Bratschaufel für zusammen 22 $. Das Paddel stellt sich als fantastisch gut heraus, und ich werde es immer benutzen, obwohl ich es nur als Ersatz vorgesehen hatte. Während ich warte, dass die Banken aufmachen, damit ich das Geld für Kanu und Ausrüstung holen (bzw. einen 1000 $ Traveller Check einlösen) kann, mache ich mir eine Einkaufsliste.

Ich bezahle das Kanu bei Dave und deponiere die ersten Einkäufe. Dann zum Einkaufszentrum, wo die Warenhäuser Hudson Bay Company Store, Woolworth, Super Value und einige kleinere Läden in einem grossen Gebäude-Komplex angeordnet sind. Die Einkäufe in einem Geschäft deponiere ich jeweils an der Kasse, und gehe in den nächsten Laden.

• Zelt: ich hätte ja zu gerne ein leichtes, kleines, erstklassiges Bergsteiger-Biwakzelt. Aber im Kanu? Gewicht spielt keine Rolle. Und wenn es tagelang regnet? Ein Dreimann-Zelt ist das Minimum. Für 99 $ (Aktionspreis) kaufe ich ein Dome Zelt (Kuppelzelt), mit dem ich sehr zufrieden sein werde, solange das Wetter nicht allzu nass ist. Es ist gerade genügend robust, um zwei Monate Dauergebrauch recht gut zu überstehen. Am wichtigsten ist das feinmaschige («noseeum proof») Moskitonetz vor Fenster und Eingang: durch die groben Maschen in Billigzelten lassen sich die bugs nicht stoppen.

• Liegematte: auch die dürfte weich und gross und sperrig sein. Ich habe leider nur eine dreiviertel-lange dünne aus Insulite gekauft; heute würde ich mehrere und grössere kaufen. Insulite hat als Material den riesigen Vorteil, dass es kein Wasser aufnimmt. Ich muss die Matte also nicht einpacken. (Ca. 10 $).

• Schwimmweste: ich kaufe eine gute Schwimmweste mit Schnellverschlüssen, und trage sie immer und ohne Ausnahme, wenn ich auf dem Wasser bin. Selbst bei absoluter Windstille und Temperaturen über 30 Grad. (Ca. 35 $).

• Paddel: für 40 $ gibt es high tech space age Paddel mit spezial-Aluminiumrohr und spezial-Kunststoffblatt. Bei high tech und space age bin ich vorsichtig; vor allem aber hasse ich das Gefühl von nassem kaltem Aluminium in der Hand bei Kälte und Regenwetter. Ich kaufe das grösstmögliche Holz-Paddel mit langem Schaft und grossem Blatt. Ich werde es nur als Ersatz Paddel benutzen, da das im Secondhandshop gekaufte um Klassen besser ist. (ca. 20 $).

• Wasserdichte Behälter: ich kaufe zwei grosse Säcke aus gummibeschichtetem Tuch, und einige Tupperware Behälter für Sachen wie Zündhölzer, Teebeutel, Anfeuerpapier, Seifenpulver. Später auf dem Fluss sehe ich, dass gewisse Vermieter ihre Kunden mit Kunststoff-Fässern ausrüsten, deren ganze Deckel abnehmbar und wieder wasserdicht verschliessbar sind. Etwas sperrig, aber sonst fantastisch. Absolut wasserdicht, ideal auch für den Schlafsack. Sie schwimmen bei einer Kenterung, und man kann sie als Sitz oder Tisch benutzen.

• Wasserbehälter: das Flusswasser ist meist trinkbar, ausser flussabwärts von Ortschaften. Trotzdem kaufe ich mir einen 4 Gallonen Plastik-Behälter, wo ich klares Wasser aus Bächen und Quellen dabeihaben kann, welches ich mit Micropur desinfiziere. Zum Kochen benutze ich Flusswasser, aber zum direkt Trinken nicht. Ich weiss aus Erfahrung, wie ekelhaft Reisedurchfall ist. Wie ich später höre, ist die Gefahr real: «Beaver Fever» (Biber Fieber) wird im Wasser übertragen in der Nähe von Biber Kolonien, und befällt Tiere und Menschen. Es soll ganz ekelhaft sein.

• Moskito repellant bzw. Bug Dope: Insekten-Schutzmittel. Das wirksamste ist seit einem oder zwei Jahrzehnten die Marke Muskol, das heisst die Chemikalie DEET. die konzentriertesten Mittel haben 100% DEET, davon mindestens 95% als aktive Substanz. Man reibt es ein und ist für maximal 8 Stunden geschützt. DEET sei das synthetisierte Angst- und Alarm-Sekret der Insekten, wie sie es selbst zur gegenseitigen Warnung vor Gefahr ausscheiden. Auf der Haut mag es etwas brennen, besonders, wenn man Sonnenbrand hat. Ansonsten ist es reines Gift: nicht in Augen und Mund. Hände waschen. Plastik und Gummi löst es auf, auch gewisse Kleider gehen kaputt. Aber es wirkt! Ich kaufe mehrere Fläschchen; eines davon trage ich immer auf mir: es gehört zur Überlebens-Ausrüstung.

• Esswaren: im Super Value gibt es «bulk food», d.h. Nahrungsmittel zum selbst Abfüllen. Ich fülle einen Sack mit Reis, einen mit kurzen Teigwaren und einen mit Linsen. Weiter kaufe ich Kartoffeln, Zwiebeln, Karotten, Haferflocken, Nüsse, Rosinen, Schokolade, Gewürze etc. Dann mit dem Einkaufswagen zwischen den Gestellen durch. Markenfreie Artikel sind an fantasielosen gelben Verpackungen erkenntlich und kosten nur zwei Drittel der Markenartikel. Die Wahl ist einfach: von allem, was gelb ist, nehme ich zwei. Dann noch Trockenfleisch, Brot (nein, kein Schaumgummi; es gibt geschnittenes Roggenbrot ohne Konservierungsmittel!) und Früchte. Spülmittel, Scheuerlappen und Abfallsäcke ergänzen meine Küchen Ausrüstung. Kostenpunkt ca. 180 $. Ich rechne damit, dass mir diese Vorräte für 10 Wochen reichen, und dass ich unterwegs nur Kleinigkeiten und frische Lebensmittel kaufen muss.

Die Einkäufe sind erledigt; es ist kurz nach Mittag. Ich rufe ein Taxi, hole die deponierten Waren aus den verschiedenen Geschäften, lade sie in den Kofferraum, und lasse mich zu Daves Büro fahren. Ich deponiere die Sachen, und gehe essen: zwei doppelte Hamburger, und (meine Lieblings-Nahrung) zwei grosse Milkshakes. Dann abmelden.

Abmeldung bei den Mounties

Abmeldung bei der RCMP: die RCMP ist die Royal Canadian Mounted Police (königliche kanadische berittene Polizei), kurz die Mounties genannt. Sie empfehlen den Flussreisenden, sich sicherheitshalber abzumelden und am nächsten Etappenort wieder anzumelden. Ich fülle also mein Formular aus mit Reiseroute, Abfahrts- und geplanter Ankunftszeit, besonderen Merkmalen (Farbe und Art des Kanus, des Zelts) etc., und erhalte gratis eine Flussbeschreibung. Diese polizeiliche Überwachung bzw. der Schutz durch die Mounties gilt aber nur bis Dawson, und ich wundere mich, ob ich mich dann bei der amerikanischen Polizei anmelden muss, bzw. ob ich als Einzelreisender überhaupt in die Wildnis gelassen werde. Ich weiss, dass man sich bei Wanderungen in amerikanischen Nationalparks ab- und anmelden muss, und dass unter gewissen Umständen die Erlaubnis verweigert wird.

Bereit für den Aufbruch

Damit ist alles klar. Dave gibt mir die Quittung für das Boot. Eine Karte von Alaska konnte ich nicht auftreiben; in Daves Büro hängt eine an der Wand, und wir schauen sie an. Dave hat vor drei Jahren einem Japaner ein Kanu verkauft, der damit den ganzen Yukon hinuntergefahren ist, bis nach St. Michael. Dave ist immer noch in brieflichem Kontakt mit ihm. Ausser diesem Japaner kennt er niemanden, der den ganzen Fluss «gemacht» hat, und meint, ich dürfte, falls ich es schaffe, dieses Jahr der einzige sein, der in Whitehorse startet. Dave fährt mich mit kompletter Ausrüstung zum Fluss. Er packt Werkzeug aus. Wofür Werkzeug? Eine Querstrebe im Kanu wird entfernt, und ich kann das Kanu rückwärts benutzen. Ich sitze auf dem ursprünglichen Vordersitz und damit näher zur Mitte des Kanus, das eigentlich für 2 Mann bestimmt ist. Damit habe ich eine günstigere Position. Dave wäscht noch mit Verdünner sein Firmensignet vom Kanu, nimmt einige Fotos mit meiner Kamera auf, und wünscht mir alles Gute.

Abbildung 8: David Howe bringt alles zum Fluss

Abbildung 9: Proviant

Abbildung 10: jetzt nur noch einpacken …

Abbildung 11: … und alles ist startbereit an einem perfekten Tag

Kapitel 2

DER YUKONVON WHITEHORSE NACH DAWSON

Der Aufbruch

Es ist kurz vor vier Uhr. Die Sonne wird bis 23 Uhr scheinen. Das Wetter ist super: das perfekte Reisewetter. Nicht allzu heiss dank vieler fotogener Wolkenschäfchen am Himmel. Der Fluss lockt. Ich nehme mir nicht die Zeit, alles sorgfältig zu verpacken, wasserdicht zu verstauen und anzubinden. Einfach nur die Sachen rein ins Kanu, die Schwimmweste und die Stiefelchen anziehen, und das Kanu ins Wasser schieben.

Das Wasser ist kalt, nicht wärmer als etwa 5 Grad Celsius. Die Strömung ist stark, mindestens fünf Meilen pro Stunde - das ist schneller, als man mit aller Anstrengung gegenan paddeln könnte! Die Rampe, an der ich einwassere, liegt etwa eine halbe Meile unterhalb eines Staudammes, der an der Stelle früherer Stromschnellen steht.

Die Stampeder

Die «stampeder», welche zu den Goldfeldern bei Dawson gereist sind, haben sich damals in Skagway, wohin sie mit dem Schiff angereist sind, ausgerüstet. Dann haben sie zu Fuss, mit einem vorgeschriebenen Gewicht von mindestens 1000 Pfund Ausrüstung pro Person, den mörderischen Chilkoot Pass überwunden, mit seiner berüchtigten 45 Grad steilen Flanke mit in massives Eis und Schnee gehauenen Stufen. Über den White Pass sind sie an den Lake Bennett gelangt. Dort bauten sie während des Winters, so dass im ersten Frühling des Goldrausches eine Flotte von 700 Schiffen, Booten, Flossen und anderen mehr oder weniger schwimmfähigen Konstruktionen bereitstand, um nach dem Aufbrechen des Eises nach Dawson zu segeln. Ich mache es mir bequemer und verzichte auf die meisten der 1000 Pfunde Ausrüstung, auf Chilkoot, White Pass, Lake Bennett und auf die Stromschnellen vor Whitehorse. Dafür kann ich mir dann aber auch nicht die Taschen voll Gold stopfen.

Abbildung 12: Von Whitehorse in Richtung Dawson

Ich bin unterwegs

Ich fühle mich im Kanu sicher; die zweiwöchige Lehre in Schweden hat sich unbedingt gelohnt. Leute sitzen am Fluss, meist sind es Indianer. Sie rufen mir gute Wünsche zu, ermahnen mich, nicht zu kentern, und schon sind sie mitsamt Whitehorse hinter der ersten Biegung verschwunden. Den Wasserkanister habe ich schon gefüllt, oberhalb der Stelle, wo das Abwasser von Whitehorse in den Yukon fliesst. Aber sonst habe ich noch keine Organisation in die Dinge gebracht. Ob ich es wohl schaffen werde? Ich bin ja auch ein wenig spät dran: das Eis ist meist Mitte Mai bereits gebrochen, und der Fluss damit befahrbar. Aber wegen eines Wohnungsumzugs und einer Taufe, bei der ich Götti (Patenonkel) wurde, konnte ich nicht so früh starten. Und heute ist bereits der 17. Juni.

Noch höre ich die Geräusche der Stadt und des Highways, aber schon sehe ich einen grossen Vogel: ein Adler? Ein Fisch springt. Ob ich wohl Grosswild sehen werde? Es wird dunkler. Eine Wolke. Wind. Ein Regentropfen. Der Wind macht das Paddeln schwierig, indem er das Kanu herumdrückt. Gleichzeitig, sobald die Sonne nicht mehr scheint, sieht das hier noch klare Wasser düster und gefährlich aus: durch die starke Strömung kocht und brodelt die Oberfläche und ist voller Wirbel. Stellenweise ist das Wasser wieder so flach, dass ich zuerst mit dem Paddel Grund berühre und dann mit dem Bug auflaufe, während das Heck von der Strömung herumgezogen wird.

Es gilt, auf Hindernisse wie Steine, Felsbrocken, Sand- und Kiesbänke achtzugeben, während ich gleichzeitig versuche, den Poncho über meine Ausrüstung zu breiten, ihn festzubinden, meine Regenbekleidung zu suchen sowie die Wärmeweste (kühl ist es plötzlich auch). Aber ich habe es nicht besser verdient: eine Viertelstunde sorgfältiges Packen hätte mir diesen Ärger und die Hektik erspart, und mögliche grössere Probleme…

Der Wind kann ein echtes Problem werden. Einige Meilen flussabwärts beginnt der Lake Laberge: dreissig Meilen lang, an der engsten Stelle etwa zwei Meilen breit. Wie unsere Bergseen hier in der Schweiz: lange schmale Seen mit Bergen auf beiden Seiten. Wenn ein Wind bläst, dann wie durch eine Düse. In kürzester Zeit werden grosse Wellen aufgepeitscht, die ein Kanu versenken können, bevor man das Ufer erreicht.

Am Lake Laberge

Ich erreiche den See. Es ist etwa 22 Uhr; die Sonne scheint, wenn sie nicht gerade von einer Regenwolke verdeckt wird. Regenschauer, Wind mit starken Böen. Auf einer sandigen Halbinsel will ich übernachten. Ich ziehe das Kanu aufs Land und packe mein Zelt aus, das ich heute erst gekauft habe. Es ist freistehend, und man stellt es auf, ohne zuerst seinen Boden mit Häringen zu befestigen. Im Windschatten und im hohen Gras und Schilf wimmelt es von Moskitos. Schnell Bug Dope einreiben und lieber im Wind draussen bleiben, wo es keine bzw. weniger Moskitos hat. Ich kämpfe mit dem Zelt, versuche die flexiblen Stangen einzufädeln. Der Wind zerrt am Zelt, während gleichzeitig diverses Zubehör droht weggeblasen zu werden. Ich könnte einige Hände und Füsse mehr gebrauchen, um alles zu halten, zu sichern, zu holen und das Zelt fertig aufzustellen. Aber schliesslich schaffe ich es. Noch ein Foto machen, Schlafsack und Rucksack holen, Boot festbinden und mit Poncho abdecken.

Das Zelt schliessen, die drei eingedrungenen Moskitos killen und ab in den Sack. 22:30 Uhr und Sonnenschein. Der erste Tag ist geschafft: «dimidium factum, qui coepit, habet» (lat.: «die Hälfte hat geschafft, wer begonnen hat») denke ich zufrieden, bevor ich einschlafe.

Abbildung 13: mein erstes Nachtlager bei Upper Laberge

 

MITTWOCH, DER 18. JUNI 1986

Es ist ruhig, die Sonne scheint. Ich lese die Flussbeschreibung der Mounties. Auch sie sagt, man soll sich dicht am Ufer halten auf dem See. Ich esse Birchermüsli, packe, starte. Diesmal habe ich das Gepäck besser verstaut und befestigt. Die Regenbekleidung liegt griffbereit. Das Ersatzpaddel ist am Kanu angebunden. Als notwendigste Überlebens-Ausrüstung habe ich das Militär-Taschenmesser mit Säge an einer Kette dabei, sowie ein Feuerzeug und ein Fläschchen Bug Dope: diese Sachen trage ich immer auf mir.