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Elias staunt nicht schlecht: Seine fiese Mathelehrerin hat plötzlich eine tintenblaue Zunge! Und an der Tafel prangt ein riesiges "Z". Z wie Zorro? Ist Der Rächer der Armen und Hilflosen in der Schule gewesen? Elias und Luna, die Neue in der Klasse, würden den geheimnisvollen Helden zu gern kennenlernen. Überall in der Stadt taucht auf einmal Zorros Zeichen auf. Doch als Elias' Leih-Opa Kurt aus seinem Haus vertrieben wird, kann Elias nicht aur einen Zorro warten. Er muss selbst eingreifen … Eine starke Geschichte für alle, die mutig sind oder es werden wollen.
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Seitenzahl: 151
Für Lwie Lisa
Weitere Titel des Autors bei Coppenrath:Kidnapping OmaI can see U
eISBN 978-3-649-63369-3
© 2019 Coppenrath Verlag GmbH & Co. KG,Hafenweg 30, 48155 MünsterAlle Rechte vorbehalten, auch auszugsweiseText: Matthias MorgenrothIllustrationen: Astrid HennLektorat: Frauke ReitzeSatz: Helene Hillebrand
www.coppenrath.de
Das Buch erscheint unter der ISBN 978-3-649-62880-4.
Blau
Kaninchen
Turnschuhe
Rache
Nikolaus
X Y Z
Der dicke Neffe
Wut im Bauch
Turban
Schwarzer Tag
Überfall
Freiheit
Eine Hand im Gebüsch
Telefonate
Der Plan
Lippenstift
Bunt
Blau.
Tiefseeblau.
Elias holte tief Luft. Er kniff die Augen zusammen und sah genau hin.
Blau blieb blau.
Er hörte Luna neben sich kichern. Was bedeutete, dass sie es auch sah: Die Schöller vorne an der Tafel hatte blaue Lippen! Und alle Dreier und die Nullen und Quadrate, von denen sie erzählte, wurden plötzlich auch blau, lächerlich blau – denn wer kann schon eine Lehrerin ernst nehmen, die tiefseeblaue Lippen hat!
„Blau“, flüsterte Luna und stieß ihm mit dem Ellbogen in die Seite.
„Blau“, flüsterte Ella hinter ihnen und stupste Greg an und Greg pikste Sven mit dem Bleistift und eine blaue Welle der Begeisterung rollte durch die Klasse, von Sven zu Murat, von Murat zu Kata, Lili und Aylin, von vorne nach hinten und zurück.
Blau!
Die Schöller schaute irritiert auf, nahm noch einen tiefen Schluck aus ihrer Kaffeetasse und verzog kurz das Gesicht, bevor sie mit der Verbesserung der Mathearbeit fortfuhr. Dieser verflixten Mathearbeit, in die sie nichts als fiese, hinterhältige Aufgaben gemischt hatte! Auf jeden Fall aber nicht das, was sie seit Wochen geübt hatten.
„Das hätte Grundwissen sein müssen“, sagte sie jetzt und grinste und dabei wurde das Blau in ihrem Gesicht noch viel blauer. Denn nicht nur ihre Lippen, auch ihre Zähne strahlten blau. Tiefblau.
Tiefseeblau.
Tintenblau.
Und endlich konnte Elias eins und eins zusammenzählen: Kaffeetasse plus Kaffee plus Tinte plus zwei tiefe Schlucke – das ergab …
„Blau!“, platzte es aus Basti heraus, und Esther, die sonst immer besonders still saß, fiel vor Lachen vom Stuhl und rollte direkt vor Elias’ Füße.
Jemand musste der Schöller Tinte in ihre Kaffeetasse getan haben!
Jetzt konnten sie nicht mehr. Jetzt prusteten sie los. Alle in der Klasse gleichzeitig. Und endlich einmal, Elias sah es genau, verstand die fieseste Mathelehrerin der Schule ihre sonst so berechenbare Welt nicht mehr. Denn das war ihr noch nie passiert, dass die ganze 5c über sie lachte, als seien alle … nun ja, blau.
„Seid ihr – besoffen?“, kullerten blaue Worte aus ihrem Mund, und als sie merkte, dass die Kinder ihr auf die Lippen starrten, versuchte sie, nach unten zu schielen. Dann schnitt sie eine schiefe Grimasse und zog sogar kurz an ihrer Zunge, die ebenfalls tiefblau war, bevor ihr einfiel, dass Mathelehrerinnen nicht an ihren Zungen ziehen. Weswegen sie stattdessen zum Spiegel hastete, der über dem Waschbecken neben der Tür hing. Und endlich die ganze Bescherung mit eigenen Augen sehen konnte.
Es war die beste Mathestunde seines Lebens, fand Elias – diese blaue Stunde, mit der alles begann.
Nichts hatte er gewusst in dieser verflixten Mathearbeit, da war er sich sicher, und bei dem Nichts hatte er sich mit tausendprozentiger Sicherheit auch noch hundertmal verrechnet. Er hatte sich heute überhaupt nur in die Schule getraut, weil es den anderen in seiner Klasse nicht besser gegangen war und die meisten genau wie er tränenverschmierte, halb leere Blätter abgegeben hatten.
„Blau!“, rief jetzt auch die Schöller, als sie sich im Spiegel anschaute.
Elias sah ihre Gedanken rattern, sah ihren Blick über die Klasse zum Pult wandern und bis hinüber zur Kaffeetasse, an der außen verräterische blaubraune Tropfen herunterrannen. Dabei versuchte sie, nicht selbst loszulachen, über sich und ihre blaue Zunge und die ganze Schweinerei. Und dann tat die Schöller etwas, von dem keiner und erst recht Elias nicht geahnt hätte, dass sie überhaupt wusste, wie das geht: Sie streckte die Zunge raus!
Sie streckte der ganzen Klasse ihre tintenblaue Zunge raus.
Lange.
Der Effekt verblüffte sie wohl selbst, denn nun schrien die Kinder fast vor Begeisterung.
„Jetzt ist’s aber mal gut“, versuchte die Schöller sie zu beruhigen. „So witzig ist eine blaue Zunge auch wieder nicht.“
Aber alle lachten und lachten und konnten nicht aufhören.
„Eure Schule ist doch nicht so schlecht“, flüsterte Luna Elias zu.
Sie war vor einem Monat neu zu ihnen in die Klasse gekommen und bisher sehr, sehr unzufrieden gewesen, wie Elias bemerkt hatte. Nicht nur mit Mathe. Auch mehr so im Allgemeinen. Und sie sagte es sogar lautstark! Sie war einfach anders als alle Mädchen, die Elias kannte. Er grinste ihr zu.
„Ihr kommt trotzdem nicht um die Mathearbeit herum“, sagte die Schöller schließlich, als sie immer weiter kicherten. „Und da sind leider viele schlechte Noten zu erwarten.“
Mit einem Schlag wurde es still. Die Schöller klappte ihre schwere Tasche auf, die schon die ganze Stunde wie eine stumme Drohung auf dem Pult gestanden hatte. Die Klasse hielt den Atem an.
Als die Schöller jedoch die dicke Mappe mit ihren Heften herausnahm, konnte jeder sehen, dass nicht nur mit ihrer Zunge, sondern auch mit dieser Mappe etwas nicht stimmte.
„Eure Schule ist geradezu genial“, murmelte Luna.
Elias holte zum zweiten Mal in dieser Stunde tief Luft. Denn die Mathearbeiten waren keine Mathearbeiten mehr. Die Mathearbeiten waren ein klebriger Klumpen, der aussah wie die Pappmaschee-Masse, mit der sie in Kunst freies Modellieren geübt hatten. Das konnte doch gar nicht sein! So etwas passierte doch normalerweise nicht, dass aus Mathearbeiten klebrige Pappmaschee-Klumpen wurden! War der Schöller Tapetenkleister ausgelaufen? Aber welche Mathelehrerin war denn so blöd, flüssigen Tapetenkleister in ihrer Tasche zu transportieren?
Der Schöller fielen fast die Augen raus.
„Jetzt hört der Spaß aber auf“, japste sie und schien ernsthaft erschüttert, sodass Elias wegschauen musste, damit er nicht aus Versehen Mitleid mit ihr bekam.
„Jetzt fängt der Spaß erst an“, murmelte Luna neben ihm, und wieder einmal staunte er darüber, dass sie so anders war.
„Eine Mathearbeit ist eine amtliche Angelegenheit“, hörte er die Schöller. Und dann hörte er sie laut darüber nachdenken, was denn mit dieser amtlichen Matsch-Angelegenheit jetzt anzufangen sei. „Vielleicht muss ich einfach allen eine Sechs geben! Das wäre ja nur gerecht!“
Die Schöller klappte mit Schwung die Tafel auf – und erstarrte. Und an dieser Stelle fängt die Geschichte überhaupt erst so richtig an.
Zunächst hatte Elias den Riesenbuchstaben auf der Tafel gar nicht erkannt, sondern gedacht, irgendjemand habe die Innenseite einfach wild bekritzelt.
Aber hinter ihnen flüsterte Ella: „Z?“
Und da konnte er es auch erkennen: Auf der Tafel war ein großes Z. Er hörte Luna neben sich kichern. Was bedeutete, dass sie es ebenfalls sah.
Auch die Schöller starrte das riesige Z aus Kreidestrichen an.
„Zorro!“, rief Murat fassungslos. „Z – wie Zorro! Zorro war hier!“
„Zorro? Um uns zu rächen, oder was?“, erwiderte Basti ungläubig.
Einige lachten, aber nur wenige.
Elias war zu Fasching mal als Zorro gegangen, doch das war schon ein paar Jahre her. Er stellte sich vor, wie Zorro, der Rächer der Armen und Enterbten, mit Umhang, Degen und schwarzer Maske durchs Schulhaus zog, um all die ungerechten Noten und Beurteilungen zu zerstechen und der Schöller und dem Direktor einen gerechten Schrecken einzujagen. Um all das zu tun, was die Kinder sich selbst nicht trauten.
Die Schöller, die Zorro anscheinend ebenfalls kannte, fuhr sich unsicher über das Gesicht. Sie hatte mittlerweile auch ein blaues Kinn.
„Was soll denn das nun wieder?“, fragte sie, aber sie schien keine Antwort zu erwarten.
„Ein Z auf der Tafel heißt Zorro – war – hier!“, wiederholte Murat eindringlich und langsam breitete sich ein Flüstern aus, beinahe ehrfurchtsvoll. Denn auch das hatte es noch nie gegeben, dass jemand in der Mathestunde ein Zorro-Zeichen auf die Tafel schrieb.
Bevor sie jedoch weiter spekulieren konnten, ob Zorro, der gute Rächer mit der schwarzen Maske, tatsächlich in einer ganz normalen Schule auftauchen würde, ertönte der Gong. Jetzt gab es kein Halten mehr. Alle sprangen auf, liefen zur Tafel und wischten vorsichtig mit den Fingern über den geheimnisvollen Kreidestrich. Die Schöller stand daneben und sah auf einmal nicht nur blau, sondern auch sehr, sehr müde aus.
„Ich werde darüber nachdenken müssen“, hörte Elias sie sagen.
Aber dann hatten sie Sport und trieben wie eine Herde Schafe aus dem Klassenzimmer hinaus, durch die Gänge und bis hinüber in die Turnhalle.
„… mit mir zusammen sein?“, hörte Elias Luna nach der Schule fragen und verschluckte vor Schreck seinen Kaugummi.
Hatte er sie richtig verstanden? Hatte sie gerade gefragt, ob er mit ihr … zusammen sein wollte? Äh – das hatte noch kein Mädchen zu ihm gesagt! Er fühlte, wie er rot wurde. Rot von den Haarwurzeln über die Nasenspitze bis zum Hals und wahrscheinlich auch noch bis zum kleinen Zeh. Tomatenrot.
„Was … hast du gesagt?“, hörte er sich stottern und hustete an seinem verschluckten Kaugummi herum.
„Gehst du mit mir zusammen heim?“, wiederholte Luna ungeduldig.
„Ach so, heim“, krächzte Elias mit glühenden Wangen. Wahrscheinlich hatte er sich beim ersten Mal verhört.
„Ich bräuchte nämlich ein wenig Hilfe“, sagte Luna, während sie ihm auf den Rücken klopfte. „Und du bist so wunderbar unverdächtig.“
Elias wusste nicht, ob das ein Kompliment oder eine Beleidigung war. Unverdächtig konnte langweilig, dröge, blass und blöde bedeuten. Aber natürlich auch ehrlich, freundlich und nett. Er wollte lieber nicht nachfragen. Stattdessen nickte er.
„Ich hab Zeit. Mama ist eh noch im Krankenhaus.“
Luna sah ihn erschrocken an. „Was hat sie denn?“
„Spätschicht“, murmelte Elias. „Sie ist Ärztin, da hat man so was.“
„Ach so“, erwiderte Luna. „Das ist ja praktisch. Wenn du mal krank bist, weiß sie immer Bescheid.“
Elias nickte. „Zumindest, wenn sie zu Hause ist. Meistens hat sie entweder Spätschicht oder Frühschicht oder sie macht Überstunden.“ Er betastete seine Wangen. Sie schienen wieder einigermaßen normal zu sein.
„Meine Mama ist immer zu Hause“, sagte Luna. „Aber Enrico geht ja auch noch nicht mal in den Kindergarten.“
„Dein Bruder?“, vermutete Elias.
Sie nickte. „Mein kleinster. Dann kommt Carlo, dann Chiara – und dann komm ich. Ich bin die Älteste.“
„Vier Kinder, wow“, staunte Elias.
Er war fast jeden Nachmittag allein zu Hause, denn Mama hatte im Krankenhaus tatsächlich immer viel zu tun. Und Papa arbeitete bei der Zeitung und kam meistens auch erst nach dem Abendessen heim.
„Vier Kinder und ein Kaninchen sind wir“, korrigierte Luna. „Deshalb brauch ich auch deine Hilfe.“
Sie gingen an der Bushaltestelle vorbei, und Elias meinte, das Wörtchen blau zu verstehen. Blau und wieder blau. Und ein Junge in der Nähe sagte, er habe gehört, dass die Mathelehrerin der 5c von oben bis unten blau angelaufen sei und dass Zorro quer durchs Klassenzimmer gehechtet sei, mit Degen und Maske, wie in einem Kinofilm, das sei der Wahnsinn gewesen! Und dass Zorro auch mal bei der 6b vorbeikommen solle, unbedingt, da sei er noch viel nötiger!
Luna und Elias wechselten einen Blick, aber bevor sie loslachen konnten, weil das doch sehr übertrieben war, wurden sie von hinten angerempelt, und Esther aus ihrer Klasse torkelte an ihnen vorbei. Sie versuchte, ihr Baguette zu retten, das ihr gerade aus der Hand geschlagen worden war. Doch es war zu spät. Schon lag das Brot in einer Pfütze. Die Tomaten und der Mozzarella schwammen daneben wie kleine traurige Schiffchen.
„Mann“, schimpfte Esther leise vor sich hin, „das war mein Mittagessen.“
Luna drehte sich mit einem Ruck um. „Welcher Depp war denn das?“
An einer Ecke des Haltestellenhäuschens lehnte Tom aus der Siebten und schaute herausfordernd in die Runde. Und knackte mit seinen Fingern.
„Lass doch“, murmelte Elias. „Der rempelt immer rum.“
„Und Esthers Brot?“
Elias deutete auf Esther, die sich schon durch die Reihen der Busschüler geschlängelt hatte. „Die will auch keinen Streit.“
„Pah!“ Luna warf Tom einen wütenden Blick zu, aber der beachtete sie gar nicht. „Na gut. Diesmal lassen wir ihn davonkommen.“
Elias starrte sie an. Sie war wirklich anders.
Mit einem Satz sprang Luna in die Pfütze, dass es nur so spritzte und alle Kinder an der Bushaltestelle in Deckung gehen mussten. Sogar Tom. Aber bevor sich jemand beschweren konnte, war sie schon losgerannt. Elias zögerte kurz, dann sauste er hinterher. Ohne in die Pfütze zu springen. Seine Schuhe waren nämlich nicht wasserdicht.
An der Ecke hatte er sie eingeholt.
„Also“, begann sie das Gespräch wieder, als sei nichts geschehen. „Ich brauche deine Hilfe. Du musst mir heute das Heu reinschmuggeln. Der Hausmeister hat schon Verdacht geschöpft.“
„Hausmeister?“ Elias verstand kein Wort. „Heu?“
„Wir dürfen eigentlich keine Tiere halten, aber was sollten wir denn mit Butzi machen? Da hat Papa gesagt, dann ist Butzi eben illegal und erst mal verstecken wir ihn vor dem Hausmeister, dann wird sich schon alles regeln.“
„Wer ist denn Butzi?“
„Na, mein Kaninchen.“
„Dein Kaninchen ist illegal?“
„Unser Hausmeister ist eigentlich illegal“, meinte Luna und kickte einen Stein weg. „Der Idiot hat an allem was auszusetzen. Und was das Schlimmste ist, er beobachtet alles. Ich glaube, er durchsucht sogar die Bio-Mülltonne nach Hasenkötteln, um Beweise zu haben und uns wieder aus der Wohnung schmeißen zu können.“
„Ich glaub, den kenn ich“, überlegte Elias. Der Wohnblock, in den Luna mit ihrer Familie gezogen war, lag schräg gegenüber von dem Reihenhaus, in dem Elias wohnte. „Das ist der, der immer schimpft, wenn im Garagenhof Fußball gespielt wird.“
„Klingt nach ihm“, meinte Luna. „Er heißt Kinski.“
Sie blieb vor dem Futtertrog stehen. Der Futtertrog war die Zoohandlung, in der Elias alle zwei Wochen Hühnerfutter für Kurt kaufte. Mama sagte immer, er sei Elias’ Leih-Opa. Er wohnte ein paar Häuser weiter die Straße hinunter, nicht weit von Elias entfernt. Kurt war schon sehr alt. Und er hatte zwei Hühner in seinem Garten.
„Los, gehen wir rein!“, sagte Luna und öffnete die Ladentür zum Futtertrog.
Elias folgte ihr verwirrt.
Der Geruch nach Heu empfing sie. Frisches, duftendes Heu. Wie in einer Scheune. Nur ohne Kühe. Stattdessen flitzten weiße Mäuse in ihren Käfigen hin und her und in einem großen Gehege lagen einige Meerschweinchen faul im Stroh und mümmelten an Salatblättern herum.
„Die größte Packung Bio-Kleintierheu“, bestellte Luna.
„Heute kein Kraftfutter?“, fragte die Futtertrog-Frau Elias. Sie hatte ihn also erkannt.
Elias schüttelte den Kopf. „Wir haben noch.“
„Wofür brauchst du Kraftfutter?“, fragte Luna. „Für dich?“
Sie lachte.
„Nein“, protestierte Elias, „für einen Freund. Und Nachbarn. Oder besser gesagt, für seine Hühner.“
„Wirklich die ganz große Packung Heu?“, fragte die Futtertrog-Frau jetzt und sah Luna zweifelnd an.
„Logisch. Wenn schon, denn schon“, erwiderte Luna. „Ich muss doch ausnutzen, dass ich heute Hilfe habe.“
„Wenn du meinst.“ Die Verkäuferin hievte ihnen einen Plastiksack über die Theke, der fast fünfmal so groß wie ihre Schulranzen war.
„Was schaust du so? Gemeinsam geht es schon“, sagte Luna und schubste Elias rückwärts aus dem Laden heraus, nachdem sie gezahlt hatte.
Der Riesenplastiksack war glatt und rutschig und unhandlich und flutschte ihnen immer wieder aus den Fingern. Hühnerkraftfutter trug sich leichter.
„Du wartest hier“, sagte Luna, bevor sie um die nächste Straßenecke bogen. „Ich geh vor. Sollte der Kinski da sein und rumspionieren, lenke ich ihn ab. Wenn ich pfeife, schmuggelst du das Heu hoch.“
„Äh – hoch? Schmuggeln? Allein? Wie soll das gehen?“ Elias sah sie ratlos an, dann betrachtete er den Riesensack mit Hasenheu. Er war wirklich nicht zu übersehen.
Eben noch hatte er sich vorgestellt, wie er geschickt etwas Heu unter seinen Pulli schob und damit lässig an allen grimmigen Hausmeistern dieser Welt vorbeischlenderte, ohne dass irgendjemand irgendetwas bemerken konnte. Und wie Luna ihn dafür bewunderte. Aber daraus würde nichts werden. Er konnte schon froh sein, wenn er den unhandlichen Sack allein bis in Lunas Haus geschleppt bekam.
Luna zwinkerte ihm aufmunternd zu. „Das klappt schon. Hauptsache, wir sind schnell!“
Sie spähte um die Ecke.
„Aber – welcher Eingang ist es denn überhaupt?“
„Der linke. Leise jetzt!“ Sie steckte die Hände in die Hosentaschen und spazierte los, als würde sie nur mal eben frische Luft schnappen wollen.
Elias starrte ihr nach. „Und – in welchem Stock wohnst du?“
„Im vierten.“
Schon bog sie in ihren Hof ein.
„Aber – wo muss ich klingeln … wie heißt du denn noch mal mit Nachnamen?“
Sie hörte ihn nicht mehr.
Elias schluckte.
Probehalber hob er den Sack auf seine Schultern. Er kam sich vor wie ein großer, dicker Käfer, so wie er da stand, seinen Schulranzen auf dem Rücken und den Sack Bio-Kleintierheu auf den Schultern. Da hörte er den Pfiff.
Luna.
Anscheinend war die Luft rein.
Elias rannte los, gebückt unter seinem Schulranzen und dem Riesensack, bog hastig in den Hof ein und steuerte schwankend auf den linken Eingang zu. Die Haustür stand offen, so ein Glück! Schwer atmend hielt er inne und schaute sich um. Links saßen zwei Mädchen auf dem Gehweg und zeichneten mit Malkreide. Rechts lehnte ein schlaksiger Jugendlicher in schwarzem Kapuzenpulli an der Wand und schrieb etwas in sein Handy.
Elias lauschte. Irgendwo von unten erklang eine keifende Männerstimme, dann hörte er Luna zurückschimpfen. Sie schien im Keller zu sein. Was bedeutete, dass der Weg nach oben frei war.
Also schnell weiter!
Vierter Stock, hatte Luna gesagt. Ungeduldig drückte Elias den Aufzugknopf, spähte ängstlich Richtung Kellertreppe, drückte wieder und noch ein drittes Mal, hörte den Aufzug endlich mit einem Rattern ankommen, zog die Tür auf und schob sich und den Plastiksack mit dem Heu hinein.
Vierter Stock.
Er drückte.
Rumpelnd setzte sich der Aufzug in Bewegung. Elias verlor den Halt und stieß gegen die Wand. Er stöhnte auf. Mist. Er war gegen die Knöpfe gepoltert und jetzt waren nicht nur der vierte, sondern auch noch der zweite und der dritte Stock gedrückt. Das würde ihn wertvolle Zeit kosten! Der Aufzug hielt im zweiten Stock. Elias fluchte leise und hoffte bloß, dass der Hausmeister noch schön lange auf Luna einreden würde. Oder umgekehrt. Dann hielt der Aufzug brav im dritten Stock. Elias schaute durch das schmale Sichtfenster ins Treppenhaus. Niemand zu sehen. Er spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinunterlief. Ging denn das nicht schneller!
Endlich.
Vierter Stock.