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Dick und Nicole Diver sind ein glamouröses Paar, das eine Villa an der Côte d’Azur gemietet hat und sich mit einer Gruppe von amerikanischen Auswanderern umgibt. Rosemary Hoyt, eine 17-jährige Schauspielerin, und ihre Mutter wohnen in einem nahe gelegenen Resort. Rosemary verliebt sich in Dick und freundet sich mit Nicole an. Rosemary spürt, dass mit dem Paar etwas nicht stimmt, und ihr Verdacht wird bestätigt, als ein anderer Partygast, Violet McKisco, berichtet, dass sie Zeuge von Nicoles Nervenzusammenbruch in einem Badezimmer wurde… In dem Maße, in dem Dick sich Rosemary nähert, zerbricht er das empfindliche Gefüge seiner Ehe und bringt sowohl Nicole als auch sich selbst auf einen gefährlichen Weg. In diesem gefeierten halb-autobiografischen Werk erforscht F. Scott Fitzgerald die Zerstörungskraft von intimen Beziehungen in einem Roman, der die Höhen und Tiefen des Jazz-Zeitalters einfängt – ein Zeitalter des Idealismus und der zerbrochenen Träume. „Zärtlich ist die Nacht” ist eine vernichtende Kritik am Materialismus und an der Heuchelei der Goldenen Zwanziger Jahre und eine ergreifende und einfühlsame Schilderung einer persönlichen Tragödie und Desillusionierung. Dies ist der dritte von insgesamt drei Bänden.
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ROMAN
IN DREI BÄNDEN
BAND DREI
AUS DEM AMERIKANISCHEN
ÜBERTRAGEN VON
GRETE RAMBACH
TITEL DES ORIGINALS:
»TENDER IS THE NIGHT«
FürGerald und Sara
Already with thee! tender is the night,
But here there is no light,Save what from heaven is with the breezes blownThrough verdurous glooms and winding mossy ways.
Ode to a Nightingale
ZÄRTLICH IST DIE NACHT wurde im amerikanischen Original zuerst veröffentlicht von Charles Scribner´s Sons, New York 1934.
Diese Ausgabe wurde aufbereitet und herausgegeben von
© apebook Verlag, Essen (Germany)
www.apebook.de
1. Auflage 2023
V 1.0
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.d-nb.de abrufbar.
Band Drei
ISBN 978-3-96130-565-0
Buchgestaltung: SKRIPTART, www.skriptart.de
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F. SCOTT FITZGERALD
ZÄRTLICH IST DIE NACHT
BAND EINS | BAND ZWEI | BAND DREI
GESAMTAUSGABE
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BUCHTIPPS
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MIT FEUER UND SCHWERT. BAND 1
QUO VADIS? BAND 1
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Inhaltsverzeichnis
Zärtlich ist die Nacht. Band Drei
Impressum
Viertes Buch
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
Fünftes Buch
I
II
III
IV
V
VI
VII
VIII
IX
X
XI
XII
XIII
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Zu guter Letzt
Im November wurden die Wellen schwarz und fluteten über die Brandungsmauer auf die Uferstraße. Was vom Sommerleben noch übriggeblieben war, verschwand, und der Strand lag melancholisch und verlassen in Sturm und Regen da. Gausses Hotel hatte wegen Ausbesserungs- und Erweiterungsarbeiten geschlossen, und das Gerüst des Sommerkasinos in Juan les Pins wurde größer und imposanter. Wenn Dick und Nicole nach Cannes oder Nizza fuhren, lernten sie neue Menschen kennen: Orchestermitglieder, Gastwirte, Gartenliebhaber, Schiffsbauer – denn Dick hatte ein altes Boot gekauft – und Angestellte des Syndicat d'Initiative. Sie lernten ihre Dienstboten kennen und kümmerten sich um die Erziehung ihrer Kinder. Im Dezember schien Nicole wieder wohlauf zu sein. Als ein Monat vergangen war ohne Gespanntheit, aufeinandergepreßte Lippen, unmotiviertes Lächeln und unerklärliche Bemerkungen, fuhren sie für die Weihnachtsfeiertage in die Schweizer Alpen.
Dick klopfte mit seiner Mütze den Schnee von seinem dunkelblauen Skianzug, bevor er hineinging. Die Halle, deren Fußboden zwanzig Jahre hindurch von Nagelschuhen mißhandelt worden war, hatte man für den Tanztee ausgeräumt, und etwa achtzig junge Amerikaner, die in Internaten bei Gstaad lebten, hüpften zu der fröhlichen Weise von »Don't bring Lulu« umher oder ergingen sich heftig in den ersten Zuckungen des Charlestons. Es war eine Gruppe von jungen, schlichten und unbemittelten Leuten – die »Sturmtruppen« der Reichen waren in St. Moritz. Baby Warren hielt es für eine entsagungsvolle Tat, daß sie sich hier mit den Divers traf.
Dick erspähte die beiden Schwestern mühelos in dem zart von Geistern durchwobenen, leicht schwankenden Raum – sie wirkten in ihren Wintersportkostümen auffallend, wie Bilder auf einem Plakat, Nicole in Himmelblau, Baby in Ziegelrot. Der junge Engländer sprach auf sie ein, aber sie hörten ihm nicht zu, denn sie waren ganz verzaubert vom Anblick des jugendfrischen Tanzes.
Nicoles schneewarmes Gesicht leuchtete auf, als sie Dick sah. »Wo ist er?«
»Er hat den Zug verpaßt. Ich werde ihn später abholen.« Dick setzte sich und schlug seine Beine mit den schweren Bergschuhen übereinander. »Ihr beide seht erstaunlich aus. Von Zeit zu Zeit vergesse ich mal, daß wir zusammengehören, und es versetzt mir einen Schock, wenn ich euch sehe.«
Baby war eine große, gutaussehende Frau, völlig absorbiert von dem Bewußtsein, beinahe dreißig zu sein. Typischerweise hatte sie zwei Männer aus London mitgebracht, einen, der gerade von der Universität kam, und einen alten, ausgekochten viktorianischen Lebemann. Baby hatte gewisse altjüngferliche Eigenheiten an sich: Berührungen waren ihr zuwider, sie fuhr zusammen, wenn sie unversehens angefaßt wurde, und anhaltende Berührungen wie etwa Küsse und Umarmungen drangen unmittelbar durch die Haut hindurch in die Front ihres Bewußtseins ein. Ihren Körper selbst bewegte sie wenig, statt dessen stampfte sie nach altmodischer Weise mit dem Fuß und warf den Kopf zurück. Sie fand Gefallen daran, sich in Todesahnungen zu ergehen, die beim Hinscheiden von Freunden in ihr erwachten, und beharrlich nährte sie in sich die Vorstellung von Nicoles tragischem Schicksal.
Babys jüngerer Engländer hatte die Damen bei ihrer Talfahrt auf abschüssigem Skigelände und beim Bobrennen begleitet. Dick, der sich bei einem gar zu ehrgeizigen Telemark den Knöchel verstaucht hatte, war zufrieden, daß er mit den Kindern an der »Schlitterbahn« herumlungern konnte.
»Bitte, sei vergnügt, Dick«, redete Nicole ihm zu. »Warum machst du dich nicht an ein paar von diesen kleinen Mädelchen heran und tanzt nachmittags mit ihnen?«
»Was sollte ich mit ihnen reden?«
Ihre tiefe, ein wenig rauhe Stimme wurde etwas höher und nahm den Tonfall klagender Koketterie an: »Sag: ›Tleines Mädi, wer ist hier wohl das süßeste Geschöpfchen?‹ Was meinst du dazu?«
»Ich mag tleine Mädis nicht. Sie riechen nach Badeseife und Pfefferminz. Wenn ich mit ihnen tanze, komme ich mir vor, als schöbe ich einen Kinderwagen.«
Das Thema war verfänglich – er war vorsichtig bis zu einem Grade der Befangenheit, der ihn starr über die Köpfe von jungen Mädchen hinwegblicken ließ.
»Es gibt eine Menge Geschäftliches zu erledigen«, sagte Baby. »Erstens mal habe ich Nachricht von zu Haus über den Besitz, den wir immer den Bahnhofsbesitz nannten. Die Eisenbahnen hatten zuerst nur einen Teil erworben, jetzt haben sie das übrige dazugekauft, und es hat Mutter gehört. Nun gilt es, das Geld anzulegen.«
Der Engländer tat so, als behage ihm die konkrete Wendung nicht, die das Gespräch nahm, und machte sich an ein Mädchen auf der Tanzfläche heran. Baby verfolgte ihn einen Moment mit den zweifelnden Blicken der Amerikanerin, die ihr Leben lang eine Schwäche für Engländer hat, und fuhr herausfordernd fort:
»Es ist sehr viel Geld. Dreihunderttausend pro Kopf. Ich behalte die Anlage meines Kapitals im Auge, aber Nicole hat keine Ahnung von Sicherheiten, und ich glaube, du auch nicht.«
»Ich muß zum Zug«, meinte Dick ausweichend.
Draußen atmete er feuchte Schneeflocken ein, die er gegen den dunkler werdenden Himmel nicht mehr wahrnehmen konnte. Drei Kinder, die im Schlitten an ihm vorbeifuhren, riefen ihm in einer fremden Sprache ein paar warnende Worte zu; er hörte sie an der nächsten Wegbiegung kreischen, und etwas weiterhin hörte er Schlittengeläut, das im Dunkeln den Berg heraufkam. Der feiertägliche Bahnhof lag in Vorfreude glitzernd da; junge Leute erwarteten neuankommende junge Leute, und als der Zug einlief, war es Dick gelungen, sich dem Rhythmus einzufügen, und er gab sich Franz Gregorovius gegenüber den Anschein, als knapse er von einer endlosen Reihe von Vergnügungen eine halbe Stunde ab. Aber Franz war im Augenblick so stark von einem Vorhaben in Anspruch genommen, daß er über Dicks Stimmungen hinwegging. »Ich könnte einen Tag nach Zürich kommen«, hatte Dick geschrieben, »oder vielleicht kannst du es einrichten, nach Lausanne zu kommen.« Franz hatte es sogar eingerichtet, den ganzen Weg bis Gstaad zu machen.
Er war vierzig Jahre alt. Gesunde Reife war bei ihm gepaart mit einem Hang zu liebenswürdig-förmlichem Benehmen, am wohlsten jedoch fühlte er sich in einer gewissermaßen spießbürgerlichen Sicherheit, aus der heraus er die gemütskranken Reichen verachten konnte, die er zu neuen Menschen machte. Sein wissenschaftliches Erbteil hätte ihm eine größere Welt erschließen können, aber er hatte, anscheinend mit Vorbedacht, das Niveau eines bescheideneren Daseins gewählt, und diese Tatsache wurde durch die Wahl seiner Frau gekennzeichnet. Im Hotel unterzog Baby Warren ihn einer schnellen Prüfung, und da sie an ihm keinerlei Merkmale entdeckte, vor denen sie Respekt hatte – das verfeinerte Benehmen oder das verbindliche Wesen, an dem die bevorzugten Kreise einander erkennen –, behandelte sie ihn in der Folge als zweite Garnitur. Nicole hatte immer etwas Angst vor ihm. Dick liebte ihn, wie er seine Freunde liebte, ohne Vorbehalt.
Am Abend fuhren sie den Berg hinab ins Dorf, auf kleinen Schlitten, die den gleichen Zweck erfüllen wie die Gondeln in Venedig. Ihr Ziel war ein Hotel mit einer altmodischen, schweizerischen Trinkstube, von deren holzgetäfelten Wänden die Stimmen widerhallten und wo es Uhren, Fässer, Steinkrüge und Geweihe gab. Viele Gruppen von Gästen an langen Tischen schlossen sich zu einer großen Gesellschaft zusammen und aßen Rührei mit Käse – eine besonders unverdauliche Art von Welsh rarebits, die heißer, gewürzter Wein genießbar machte.
Es war gemütlich in dem großen Raum; die jüngeren Engländer stellten das fest, und Dick mußte zugeben, daß es keine andere Bezeichnung dafür gab. Der scharfe, berauschende Wein löste seine Verkrampfung und ließ ihn die Welt so sehen, als bestünde sie aus den grauhaarigen Männern der goldenen neunziger Jahre, die am Klavier Wechselgesänge zum besten gaben, aus den jungen Stimmen und den leuchtenden Kostümen, deren Farben durch den Rauch im Lokal gedämpft wurden. Vorübergehend war ihm zumute, als befänden sie sich auf einem Schiff mit Land in Sicht; in den Gesichtern all der jungen Mädchen lag dieselbe unschuldsvolle Erwartung der Möglichkeiten, die der Situation und der Nacht innewohnten. Er sah sich um, ob das gewisse Mädchen da war, und es war ihm so, als säße sie am Tisch hinter ihnen – dann vergaß er sie, fing an, dummes Zeug zu schwatzen, und tat alles, damit sich seine Leute amüsierten.
»Ich muß mit dir sprechen«, sagte Franz auf Englisch. »Mir stehen hier nur vierundzwanzig Stunden zur Verfügung.«
»Ich dachte mir, daß du etwas auf dem Herzen hast.«
»Ich habe einen Plan – einen ganz großartigen.« Er ließ die Hand auf Dicks Knie fallen. »Ich habe einen Plan, durch den wir beide zu gemachten Männern werden.«
»Was ist es?«
»Dick – wir könnten zusammen eine Klinik haben – die alte Klinik von Braun am Zuger See. Bis auf einige Punkte ist die Anstalt ganz modern. Er ist krank – er will nach Österreich, wahrscheinlich, um dort zu sterben. Eine einmalige Gelegenheit. Du und ich – ideale Partner! Sage nichts, bevor ich zu Ende bin.«
An dem gelben Funkeln in Babys Augen erkannte Dick, daß sie zuhörte.
»Wir müssen es gemeinsam anpacken. Du würdest nicht zu sehr gebunden sein – es wäre dir damit eine Basis, ein Laboratorium, ein Schwerpunkt gegeben. Du könntest dort wohnen, solange das Wetter schön ist, sagen wir, nicht mehr als ein halbes Jahr. Im Winter könntest du nach Frankreich oder Amerika gehen und deine frischen klinischen Erfahrungen schriftlich niederlegen.« Er dämpfte die Stimme. »Und wenn jemand in deiner Familie pflegebedürftig ist, so sind die Möglichkeiten und Bequemlichkeiten der Klinik zur Hand.« Dicks Miene ließ erkennen, daß dieses Thema ihm nicht behagte, darum ließ Franz es fallen und stoppte seine Rede kurz ab. »Wir könnten Partner sein. Ich, der Geschäftsführer, du, der Theoretiker, die hervorragende medizinische Autorität und so weiter. Ich bin mir über mich klar – ich weiß, mir fehlt das Geniale, über das du verfügst. Aber in meiner Art hält man mich für sehr tüchtig; ich gelte als durchaus maßgebend in bezug auf die modernsten klinischen Behandlungsmethoden. Ich habe der alten Klinik praktisch monatelang vorgestanden. Der Professor hält den Plan für ausgezeichnet und rät mir, ihn auszuführen. Er sagt, er selbst würde ewig leben und bis zur letzten Minute arbeiten.«
Um sich ein Urteil bilden zu können, stellte sich Dick die Ausführung des Planes handgreiflich vor.
»Und die finanzielle Seite?« fragte er.
Franz zog die Augenbrauen und die Falten seiner Stirn in die Höhe und bewegte seine Hände, die Ellbogen und die Schultern nach vorn; er straffte die Beinmuskeln, so daß sie sich unter dem Stoff der Hose ausprägten, und dirigierte sein Herz zur Kehle und seine Stimme zum Gaumen.
»Das ist es ja! Geld!« klagte er. »Ich besitze nur wenig. Der Preis beträgt in amerikanischem Geld zweihunderttausend Dollar. Die Instand ... setzungs ... arbeiten« – zögernd erwog er die Kosten –, »deren Notwendigkeit du einsehen wirst, werden zwanzigtausend amerikanische Dollar schlucken. Aber die Anstalt ist eine Goldgrube – das kann ich dir sagen; ich habe die Bücher gesehen. Bei einer Investierung von zweihundertzwanzigtausend Dollar haben wir ein sicheres Einkommen von –«
Babys Neugier war so offenkundig, daß Dick sie ins Gespräch zog.
»Hat dich deine Erfahrung nicht auch gelehrt, Baby«, fragte er, »daß es sich unweigerlich um Geld dreht, wenn ein Europäer dringend einen Amerikaner zu sprechen wünscht?«
»Um was handelt es sich?« fragte sie unschuldig.
»Dieser junge Privatdozent findet, daß er und ich uns in ein großes Geschäft einlassen und versuchen sollten, Nervenkranke aus Amerika herüberzulocken.«
Franz starrte Baby ängstlich an, als Dick fortfuhr:
»Aber wer sind wir schon, Franz? Du bist Träger eines großen Namens, und ich habe zwei Broschüren geschrieben. Genügt das, um jemand anzulocken? Und ich habe nicht so viel Geld – ich besitze nicht den zehnten Teil davon.« Franz lächelte zynisch. »Wahrhaftig ich habe es nicht. Nicole und Baby sind reich wie Krösus, aber es ist mir noch nicht gelungen, etwas davon in meinen Besitz zu bringen.«
Jetzt hörten alle zu – Dick hätte gern gewußt, ob das Mädchen vom Tisch hinter ihm gleichfalls horchte. Die Vorstellung reizte ihn. Er beschloß, Baby an seiner Statt sprechen zu lassen, so wie man häufig zuläßt, daß Frauen ihre Stimmen erheben in Fragen, die außerhalb ihres Bereiches liegen. Baby wurde plötzlich wie ihr Großvater, kühl und sachlich.
»Ich finde, es ist ein Vorschlag, den du in Betracht ziehen solltest, Dick. Ich weiß nicht, was Doktor Gregory gesagt hat – aber es scheint mir –«
Hinter ihm hatte sich das Mädchen in einen Rauchring hineingebeugt und hob etwas vom Fußboden auf. Nicoles Gesicht, am anderen Ende des Tisches, war ein Widerschein seines eigenen – ihre Schönheit, die sich verführerisch darbot, ergoß sich in seine Liebe, die stets gerüstet war, um sie zu beschützen.
»Überleg es dir, Dick«, bedrängte ihn Franz erregt. »Wenn jemand über Psychiatrie schreibt, sollte er auch wirklich klinischen Kontakt haben. Jung schreibt, Bleuler schreibt, Freud schreibt, Forel schreibt, Adler schreibt – sie befinden sich aber auch in ständigem Kontakt mit Geisteskrankheiten.«
»Dick hat mich«, lachte Nicole. »Ich dächte, das wäre genug Geisteskrankheit für einen Mann.«
»Das ist etwas anderes«, meinte Franz vorsichtig.
Baby überlegte, daß sie Nicoles wegen immer beruhigt sein könnte, wenn Nicole in der Nähe einer Anstalt lebte.
»Wir müssen es sorgfältig überlegen«, sagte sie.
Obwohl ihre Unverfrorenheit Dick belustigte, ermutigte er sie nicht.
»Die Entscheidung liegt bei mir, Baby«, sagte er sanft. »Es ist nett von dir, daß du mir eine Klinik kaufen willst.«
Baby erkannte, daß sie zu weit gegangen war, und machte schleunigst einen Rückzieher:
»Selbstverständlich ist es ausschließlich deine Angelegenheit.«
»Für eine Sache von solcher Bedeutung braucht man Wochen, um sich zu entscheiden. Ob mir wohl die Vorstellung, daß Nicole und ich in Zürich vor Anker gehen, behagt?« Sich Franz zuwendend, kam er ihm zuvor: »Ich weiß, Zürich besitzt ein Gaswerk, fließendes Wasser und elektrisches Licht – ich habe drei Jahre dort gelebt.«
»Ich werde dich alleinlassen, damit du darüber nachdenken kannst«, sagte Franz. »Ich bin voller Zuversicht –«
Einhundert Paare fünfpfündiger Bergstiefel hatten begonnen, zur Tür hinzustampfen, und sie folgten dem Gedränge. Draußen im klaren Mondschein sah Dick, wie das Mädchen ihren kleinen Schlitten an einem der Pferdeschlitten weiter vorn festmachte. Sie selbst verpackten sich in ihren eigenen, und beim scharfen Peitschenknallen zogen die Pferde an und stürmten in die Nachtluft hinaus. Hinter ihnen liefen und stolperten Gestalten, die jüngeren stießen sich gegenseitig von den Schlitten und landeten im weichen Schnee. Dann keuchten sie hinter den Pferden her, um sich erschöpft auf einen Schlitten fallen zu lassen oder jammernd zurückzubleiben. Die Felder zu beiden Seiten waren wohltuend ruhig; der Raum, durch den sich die Kavalkade bewegte, war hoch und endlos. Auf freier Ebene ließ der Lärm nach, so als wenn sie alle aus einer atavistischen Regung heraus in dem weiten Schneegefilde auf das Heulen von Wölfen lauschten.
In Saanen gerieten sie in den Gemeindeball, bei dem es von Kuhhirten, Gasthausangestellten, Ladeninhabern, Skilehrern, Bergführern, Touristen und Bauern wimmelte. In den warmen, eingeschlossenen Raum zu kommen, nachdem man sich draußen so animalisch naturverbunden gefühlt hatte, war, als ob man sich einen absurden, imposanten Ritternamen zulegte, so klangvoll wie Sporenstiefel im Krieg oder wie die Nägel von Fußballschuhen auf dem Zementboden des Umkleideraums. Das herkömmliche Jodeln war zu vernehmen, und sein vertrauter Rhythmus nahm Dick die Illusion, die ihm die Umgebung anfänglich hatte romantisch erscheinen lassen. Zuerst glaubte er, es sei, weil er das Mädchen aus seinen Gedanken vertrieben hatte; dann ging es ihm auf, es war, was Baby gesagt hatte: »Wir müssen es sorgfältig überlegen« – und das, was unausgesprochen zwischen den Zeilen stand: »Du gehörst uns, und früher oder später wirst du es zugeben. Es ist widersinnig, weiterhin Unabhängigkeit vorzutäuschen.«
Es war Jahre her, seit Dick Groll gegen einen Menschen gehegt hatte – seit der Zeit, als er in New Haven junger Student gewesen und an ein volkstümliches Essay über »Geisteshygiene« geraten war. Jetzt war er wütend auf Baby und versuchte gleichzeitig das Gefühl in sich zu verdrängen, das ihn gegen ihre Kälte und die auf ihren Reichtum pochende Unverschämtheit aufbrachte. Es würde Hunderte von Jahren dauern, ehe die Frauen, die sich wie Amazonen gebärdeten, begreifen lernten, daß ein Mann nur in seinem Stolz verwundbar und so zartbesaitet ist wie Humpty-Dumpty, wenn man ihm einmal zu nahe getreten ist – auch wenn manche von ihnen die Tatsache mit den Lippen anerkennen würden. Doktor Divers Beruf, die zerbrochenen Schalen von etwas, das wie ein angeknackstes Ei war, wieder zusammenzufügen, hatte ihn Furcht vor Scherben gelehrt.
»Wenn bloß die guten Manieren nicht wären«, sagte er auf dem Rückweg nach Gstaad in dem leicht dahingleitenden Schlitten.
»Nun, ich finde das hübsch«, sagte Baby.
»Nein, das ist es nicht«, beharrte er, zu der in Pelz vermummten Gestalt gewandt. »Gute Manieren sind das Eingeständnis einer Zartheit, die mit Glacéhandschuhen angefaßt werden muß. Und was Rücksichtnahme anbetrifft – man nennt einen Menschen nicht so leicht Feigling oder Lügner; aber wenn man sein Leben lang die Gefühle der Leute schont und ihre Eitelkeit nährt, weiß man schließlich nicht mehr, worauf man bei ihnen Rücksicht nehmen soll.«
»Ich glaube, die Amerikaner nehmen es ziemlich ernst mit ihren Manieren«, sagte der ältere der beiden Engländer.
»Mag schon sein«, meinte Dick. »Die Manieren meines Vaters waren ihm aus den Tagen überliefert, als man erst schoß und sich dann entschuldigte. Bewaffnete Männer – Gott, ihr Europäer habt im bürgerlichen Leben seit dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts keine Waffen mehr getragen –«
»Eigentlich nicht, das kann stimmen –«
»Nicht nur eigentlich. Tatsächlich nicht.«
»Dick, du hast immer so tadellose Manieren gehabt«, sagte Baby einlenkend.
Die Frauen sahen ihn über die Menagerie von Pelzen hinweg etwas beunruhigt an. Der jüngere Engländer begriff nichts – er gehörte zu der Sorte Menschen, die immer um Gesimse und Balkone herumspringen, als glaubten sie, sich in der Takelage eines Schiffes zu befinden – und erzählte während der ganzen Fahrt zum Hotel eine alberne Geschichte von einem Boxkampf mit seinem besten Freund, in dessen Verlauf sie sich eine Stunde lang gegenseitig geliebt und braun und blau geschlagen hatten, immer jedoch mit großer Zurückhaltung. Dick wurde witzig.
»Dann haben Sie ihn jedesmal, wenn er Ihnen eins versetzte, für einen noch besseren Freund gehalten?«
»Ich hatte noch mehr Achtung vor ihm.«
»Das ist eine Prämisse, die ich nicht verstehe. Sie und Ihr bester Freund boxen um einer geringfügigen Sache willen –«
»Wenn Sie es nicht begreifen, kann ich es Ihnen nicht erklären«, meinte der junge Engländer kühl.
So geht es mir, wenn ich sage, was ich denke, sagte sich Dick.
Er schämte sich, den Mann gereizt zu haben, denn er erkannte, daß die Albernheit der Geschichte in der geistigen Unreife des Erzählers und in der geschraubten Art seiner Darstellung begründet lag.
Es herrschte ausgesprochene Karnevalstimmung, und sie gingen mit der Menschenmenge in den Grillraum, wo ein tunesischer Barmixer die Beleuchtung kontrapunktisch mit der Melodie des Mondes in Einklang brachte, der von jenseits der Eisfläche in die großen Fenster starrte. Bei diesem Licht fand Dick das Mädchen farblos und uninteressant – er kehrte sich von ihr ab, um das Dunkel zu genießen, die glimmenden Zigarettenenden, die grün und silbern wirkten, wenn die Lichter rot aufflammten, den weißen Lichtstreifen, der jedesmal über die Tänzer fiel, sobald die Tür zur Bar geöffnet und geschlossen wurde.
»Sage mir, Franz«, bat er, »glaubst du, deine Patienten davon überzeugen zu können, daß du Charakterstärke besitzt, nachdem du die ganze Nacht aufgesessen und Bier getrunken hast? Meinst du nicht, sie werden dir deinen verdorbenen Magen anmerken?«
»Ich gehe schlafen«, verkündete Nicole. Dick begleitete sie zur Tür des Fahrstuhls.
»Ich würde mitkommen, aber ich muß Franz zeigen, daß ich nicht zum Kliniker tauge.«
Nicole betrat den Fahrstuhl.
»Baby hat eine Menge gesunden Menschenverstand«, sagte sie nachdenklich.
»Baby ist eine –«
Die Tür wurde zugeschlagen, und während er das Surren des aufsteigenden Fahrstuhls vernahm, vollendete er in Gedanken den Satz: »Baby ist eine oberflächliche, eigensüchtige Person.«
Zwei Tage später jedoch, als Dick mit Franz im Schlitten zum Bahnhof fuhr, mußte er zugeben, daß er der Sache wohlwollend gegenüberstand.
»Wir fangen an, uns im Kreise zu drehen«, gestand er. »Ein Leben in diesem Maßstab bringt unweigerlich eine Überbeanspruchung mit sich, der Nicole nicht gewachsen ist. Der idyllisch-ländliche Charakter unserer sommerlichen Riviera ändert sich – nächstes Jahr wird es dort eine Saison geben.«
Sie kamen an der glatten, grünlichen Eisbahn vorbei, wo Wiener Walzer erklangen und die Farben vieler Bergschulen sich leuchtend vom blaßblauen Himmel abhoben.
»Ich hoffe, wir werden's schaffen, Franz. Mit keinem anderen als mit dir würde ich's wagen.«
Leb wohl, Gstaad! Lebt wohl, ihr frischen Gesichter, ihr kalten, süßen Blumen, Sterne im Dunkeln. Leb wohl, Gstaad, leb wohl!
Eines Julimorgens erwachte Dick um fünf Uhr aus einem langen Kriegstraum, schritt zum Fenster und blickte auf den Zuger See hinaus. Sein Traum hatte in düsterer Pracht begonnen; marineblaue Uniformen überquerten einen dunklen Platz hinter Musikkapellen, die den zweiten Satz von Prokofjews »Die Liebe der drei Orangen« spielten. Plötzlich waren da Feuerspritzen, Symbole des Verderbens, und ein grausiger Aufruhr von Verstümmelten auf einem Verbandplatz. Er knipste seine Nachttischlampe an und machte sich eingehende Notizen, die mit den halbironischen Worten schlossen: »Kriegsneurose eines Nichtkämpfers.«
Als er auf dem Bettrand saß, kamen ihm das Zimmer, das Haus und die Nacht leer vor. Im Nebenzimmer murmelte Nicole verzweifelt vor sich hin, und sie tat ihm leid um der Verlassenheit willen, die sie im Schlaf fühlen mochte. Für ihn stand die Zeit meistens still, dann vergingen ein paar Jahre plötzlich schneller, wie im Zeitraffer des Films; aber für Nicole glitten die Jahre immer nach der Uhr, dem Kalender und dem Geburtstag dahin, mit dem schmerzlichen Bewußtsein ihrer vergänglichen Schönheit.
Selbst diese verflossenen anderthalb Jahre am Zuger See erschienen ihr als vergeudete Zeit, in der sich der Wechsel der Jahreszeiten nur an den Gesichtern der Arbeiter auf der Straße erkennen ließ: rot im Mai, braun im Juli, schwarz im September und im Frühjahr wieder weiß. Sie war aus ihrer ersten Krankheit frisch und kräftig, mit neuen Hoffnungen hervorgegangen, hatte so viel erwartet und war doch, wenn man von Dick absah, aller Existenzmöglichkeiten beraubt, erzog Kinder, die sie nach außen hin nur maßvoll lieben durfte, die wie behütete Waisenkinder waren. Die Menschen, die sie gern hatte und die in der Mehrzahl Rebellen waren, regten sie auf und waren ihr nicht zuträglich – sie suchte in ihnen nach der Vitalität, die sie unabhängig, schöpferisch oder schroff gemacht hatte, suchte vergebens –, denn ihre Geheimnisse wurzelten tief in Kindheitskämpfen, die sie vergessen hatten. Sie interessierten sich mehr für Nicoles äußere Harmonie und ihren Scharm, die das andere Gesicht ihrer Krankheit waren. Sie führte ein einsames Leben, in dem sie nur Dick besaß, und Dick wollte sich nicht besitzen lassen.
Oftmals hatte er erfolglos versucht, seine Macht über sie zu lockern. Sie waren oft vergnügt miteinander, unterhielten sich in den Liebespausen der weißen Nächte; immer jedoch, wenn er sich von ihr abwandte und sich in sich selbst verschloß, ließ er sie zurück, ein Nichts in den Händen, auf das sie starrte, dem sie viele Namen gab, von dem sie aber wußte, daß es nur die Hoffnung war, er möge bald zurückkommen.
Er rollte sein Kissen fest zusammen, legte sich mit dem Nacken darauf, wie die Japaner es tun, um den Kreislauf des Blutes zu verlangsamen, und schlief noch einmal ein. Später, als er sich rasierte, erwachte Nicole, ging umher und teilte abgerissene, kurze Befehle an Kinder und Dienstboten aus. Lanier kam herein, um seinem Vater beim Rasieren zuzusehen – dadurch, daß er neben einer Nervenklinik lebte, hatte sich in ihm ein außergewöhnliches Vertrauen zu seinem Vater und Bewunderung für ihn entwickelt, gleichzeitig mit einer übertriebenen Gleichgültigkeit gegen die meisten anderen Erwachsenen. Die Patienten schienen ihm entweder durch ihr Aussehen sonderbar oder kamen ihm wie farblose, überkorrekte Geschöpfe ohne Persönlichkeit vor. Er war ein hübscher, vielversprechender Junge, und Dick widmete ihm viel von seiner Zeit in der Art eines wohlwollenden, aber strengen Offiziers einem ehrerbietigen Rekruten gegenüber.
»Warum läßt du immer, wenn du dich rasierst, etwas Seifenschaum oben auf deinen Haaren stehen?« fragte Lanier.
Vorsichtig brachte Dick seine eingeseiften Lippen auseinander. »Dahinter bin ich nie gekommen. Ich habe mich off gewundert. Ich glaube, es geschieht, weil mein Zeigefinger voll Seifenschaum wird, wenn ich mit ihm am Haaransatz entlangstreiche; aber wie er oben auf meinen Kopf kommt, weiß ich nicht.«
»Ich werde morgen genau aufpassen.«
»Das ist deine einzige Sorge vor dem Frühstück.«
»Ich möchte es eigentlich nicht Sorge nennen.«
»Eins zu Null für dich.«