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mehrbuch-Weltliteratur! eBooks, die nie in Vergessenheit geraten sollten. Die drei Musketiere ist ein Roman von Alexandre Dumas dem Älteren in Zusammenarbeit mit Auguste Maquet. Er wurde 1844 veröffentlicht und ist der erste Teil einer Trilogie über d'Artagnan und seine drei Freunde Athos, Porthos und Aramis, die zu den Musketieren der Garde gehören. Die Folgebände heißen Zwanzig Jahre danach und Der Vicomte von Bragelonne oder Zehn Jahre später. #wenigeristmehrbuch
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Zehn Jahre später
Alexandre Dumas
Mitte Mai 1660 ritten im Schloßgarten zu Blois drei Männer, begleitet von zwei Pagen, über die Stadtbrücke, dem alten Schlosse zu. Die Leute, die am Quai spazieren gingen oder herumstanden, kümmerten sich nicht viel um die vornehme Gesellschaft. Kaum daß einer mal den Hut lüftete oder mit den Worten: »Da kommt Monsieur von der Jagd«, den Nachbar darauf aufmerksam machte. Gaston von Orléans führte, als ältester Bruder des verstorbenen Königs, noch immer den Titel Monsieur. Die guten Bürger von Blois hätten sich eigentlich etwas darauf einbilden können, daß Monsieur ihr heiteres Städtchen zu seinem Wohnort erkoren hatte, allein sie fanden an dem etwas schlafmützigen Herrn mit den trüben Augen und der matten Haltung kein Gefallen.
Monsieur ritt einen kleinen Apfelschimmel und saß auf einem Sattel aus flandrischem Sammet. Dazu trug er ein karmoisinrotes Wams, das ihn schön aus seiner Begleitung heraushob. Der Kavalier an seiner Seite, der Oberstallmeister, war violett gekleidet, der Oberjägermeister zu seiner linken grün. Einer der Pagen trug auf einer Stange zwei Falken, der andere ein Jagdhorn, in das er zwanzig Schritte vor dem Schlosse einmal hineinblies. Darauf traten acht Hellebardiere in Reih und Glied, und Monsieur ritt feierlich ins Schloß. Im Hofe stieg er vom Pferde und begab sich in seine Gemächer, wo der Kammerdiener ihm beim Umkleiden half. Dann streckte er sich in den Armstuhl und schlief ein. Die Hellebardiere wußten, daß sie von nun ab keinen Dienst mehr haben würden, und legten sich der Länge nach auf die Bänke, die eben von der Sonne warm beschienen wurden. Wenn nicht ein paar Vögel in den Hecken gezirpt hätten, hätte man glauben können, das ganze Schloß läge im Schlafe, als wäre es elf Uhr abends.
Diese Stille wurde plötzlich von einem lauten Lachen unterbrochen, das aus jener Ecke des Schlosses herüberschallte, in welche eben die Morgensonne hineinschien. Dort sah man einen kleinen, mit Blumen geschmückten Balkon, und auch in dem Zimmer stand auf einem viereckigen Tische eine langhalsige Vase mit einem Strauß Maiblumen. An diesem Tische saßen zwei Mädchen, die man nach ihrer Kleidung für entlaufene Klosterzöglinge hätte halten können. Die eine schrieb einen Brief, die andere sah ihr dabei zu. Die letztere, aus deren Munde das laute Lachen erklungen war, mochte neunzehn Jahre alt sein. Sie war brünett und hatte lebhafte Augen, die unter kühn geschwungenen Brauen unternehmend blitzten. Zwischen frischen roten Lippen glänzten perlenartige Zähne. Ihre Bewegungen hatten etwas Explosives. – Die andere, welche den Brief schrieb, hatte blaue träumerische Augen, klar und rein wie der Himmel an diesem Tage. Sie war blond und trug das Haar in weichen Locken. Ihre Wangen waren rosig. Ihre zarte, weiße Hand und ihre weichen Schultern waren zwar schön geformt, erschienen aber doch ein klein wenig zu mager.
»Montalais!« rief diese Dame in sanftem Tone, »du lachst wie ein Mann. Nicht doch so laut. Die Gardisten hören es ja – und wir selbst können nicht hören, wenn Madame klingelt.«
»Die Gardisten schlafen, Luise,« antwortete die Montalais. »Du könntest eine Kanone abschießen, sie würden jetzt nicht aufwachen. Und wenn Madame schellt, na, du weißt ja, das hört man bis über die Brücke. Du ärgerst dich nur, daß ich gerade jetzt lache, während du schreibst, weil du Angst hast, deine Mutter, die gute Frau von Saint-Rémy, könnte heraufkommen und uns überraschen. Dann würde sie natürlich das Blatt Papier da sehen, auf das du seit einer vollen Viertelstunde noch nichts weiter geschrieben hast als die Worte: ›Werter Herr Rudolf!‹ – Und wenn deine Mutter dich ertappte, so würde sie Zetermordio schreien.«
Darauf lachte sie wieder. Die junge Blondine wurde nun ernstlich böse und zerriß das Papier. – »Ei, ei,« rief die Montalais, »unser Lämmchen wird zornig? Sei doch vernünftig, deine Mutter kommt ja gar nicht. Und warum sollst du nicht einmal an einen alten Freund schreiben?« – »Nun schreibe ich eben nicht an ihn!« antwortete die Blondine. – »Wohl zur Strafe für mich?« rief die Montalais lachend. »Doch horch, da klingelt es. Jenun, Madame muß eben warten oder heute morgen auf die Gesellschaft ihres ersten Ehrenfräuleins verzichten.«
In der Tat hatte es geklingelt – das Zeichen, daß Madame das Frühstück erwarte. Alsbald setzte sich denn auch die Dienerschaft in Bewegung und trug die Speisen ins Schloß, und wo der feierliche Zug vorbeikam, da präsentierten die Hellebardiere, die das Glockenzeichen dem süßen Schlummer entrissen hatte.
»Madame muß ohne mich frühstücken,« sagte die Montalais. »Sie wird mich dafür bestrafen, indem sie mich nicht auf die Spazierfahrt mitnimmt, aber das ist es eben, was ich wünsche. Es ist immer dasselbe – immer die gleichen ausgefahrenen Gleise! Und zum Schluß geht's immer wieder an den Fenstern jenes Schloßflügels vorbei, wo sich Maria von Medici befunden, und immer wieder sagt Madame: ›Wie ist es möglich, daß sich die Königin Maria aus diesem Fenster retten konnte? Siebenundvierzig Fuß hoch! Die Mutter von zwei Prinzen und drei Prinzessinnen!‹ Ist das vielleicht eine Unterhaltung? Ich danke schön. Du hast gut reden, Luise. Du bist hier keinem Zwange unterworfen. Denn obwohl du ein Ehrenfräulein bist wie ich, hat doch Madame die Zuneigung, die sie für deinen Stiefvater hegte, auf dich übertragen. Du hast hier im Grunde weiter keine Pflichten als hin und wieder an deinen schönen Rudolf zu schreiben. Na, und das tu nur jetzt. Fang also getrost einen neuen Bogen an.«
»Wie kannst du so reden?« entgegnete Luise. »Du hast eine glänzende Zukunft. Du bist bei Hofe zugelassen. Wenn der König sich vermählt, wird Monsieur zu ihm gerufen werden; du wirst die Festlichkeiten mitansehen –«
»Und auch Rudolf sehen, der bei dem Prinzen ist,« warf die Montalais ein. »Doch genug! Du sollst an ihn schreiben.« – Und sie reichte Luise Feder und Papier.
»Und fang diesmal nicht an: Werter Herr Rudolf!« fuhr die Montalais fort, »sondern so, wie dir ums Herz ist. Schreibe also: Mein lieber Rudolf! – O, erröte doch nicht – ich lese es ja in deinen Augen – Und weiter schreibe: Du mußt dich gewiß sehr am Hofe zu Paris langweilen, daß du noch Zeit hast, an ein Mädchen aus der Provinz zu denken.«
Luise stand plötzlich auf. »Nein, Montalais,« versetzte sie, »so ist mir nicht ums Herz. Vielmehr so – und nun lies das!« Und sie schrieb mit raschem Entschluß ein paar Zeilen. – Die Montalais las: »Ich wäre unglücklich gewesen, wenn Sie mich weniger inständig um ein Andenken an mich gebeten hätten. Hier erinnert mich ja doch alles wieder an die schönen ersten Jahre, die wir zusammen verlebt haben und die mir unvergeßlich sind.« – »Bravo!« rief die Montalais, »so ist's richtig. Und was schreibst du zum Schlusse? ›Ich danke Ihnen, Rudolf, daß Sie meiner gedenken. Wundern kann mich's nicht; haben doch unsere Herzen oft füreinander geschlagen‹ ...«
In diesem Augenblick erklangen Hufschläge auf dem Schloßhof. Luise sprang ans Fenster und rief: »Rudolf ist's.« Dann sank sie vor dem noch unvollendeten Briefe nieder. – »Er kommt wie gerufen,« sagte die Montalais und sah neugierig hinaus. – »Zurück vom Fenster!« rief Luise und zog sie fort. – »Ach was!« rief die Mutwillige, »er kennt mich ja gar nicht, laß mich nur sehen!«
Es war ein großer schlanker Mann von etwa 25 Jahren, der in den Hof ritt. Das malerische Kostüm seiner Zeit stand ihm sehr gut. Er rief einen der Gardisten heran. »Melde mich,« sprach er, »ich bringe eine Botschaft für Seine Königliche Hoheit.« – »So will ich gleich den Hofmeister, Herrn von Saint-Rémy rufen,« antwortete der Bote, »das heißt, nur wenn es dringlich ist.« – »Das ist es,« versicherte der Reiter. »Ich muß so rasch wie möglich vor Seine Hoheit geführt werden.«
»Welchen Namen darf ich dem Hofmeister nennen?«
»Graf von Bragelonne aus dem Gefolge des Prinzen Condé.« – Der Soldat grüßte militärisch und eilte davon. Nach wenigen Minuten kam er zurück.
Ihm folgte die wohlbeleibte Gestalt des Herrn von Saint-Rémy, durch den raschen Lauf ganz außer Atem gebracht. – »Sie in Blois, Herr Graf von Bragelonne?« rief er, sich den Schmerbauch haltend. »Guten Tag! Wie wird sich Fräulein von Lavall ... hm, und meine Frau freuen, Sie zu sehen! Was bringen Sie denn? Hoheit frühstücken eben? Sind es gute Nachrichten?« – »Sehr gute und sehr wichtige.« – »Hoheit lassen sich nicht gern stören, doch in diesem Falle will ich es wagen, Sie sogleich zu melden. Hoheit sind zum Glück auch gerade in sehr guter Laune.« – Nach diesen Worten führte er den jungen Mann ins Schloß.
Monsieur und Madame saßen an ihrer reich gedeckten Tafel. Die Becher klirrten, die Schüsseln dampften, und Gaston von Orléans ließ sich's schmecken, als Saint-Remy mit der Meldung hereintrat, ein Bote vom Prinzen von Condé bitte um Einlaß. – Monsieur erschrak ein wenig. Es schien, als wenn der Name des großen Prinzen einen gespenstischen Schatten über die Tafel werfe. – »Wie heißt der Bote?« fragte er, um seine Bewegung vor seinem Haushofmeister zu verbergen. – »Graf von Bragelonne, ein Edelmann aus dieser Gegend,« antwortete Saint-Rémy. – Monsieur richtete einen fragenden Blick auf Madame. Sie nickte leicht mit dem Kopfe, und Gaston befahl, den Boten vorzulassen.
Rudolf von Bragelonne trat ein, verneigte sich tief vor dem erlauchten Paare und erwartete schweigend die Ansprache des Prinzen. Dieser wartete, bis der letzte der Dienerschaft das Zimmer verlassen hatte und die Türen geschlossen worden waren. – »Sie kommen von Paris?« fragte er dann, die Augen auf den Abgesandten heftend. »Was macht der König?« – »Es geht ihm gut, Königliche Hoheit.« – »Und meine Schwägerin?« – »Ihre Majestät die Königin-Mutter sind noch immer brustleidend, doch befinden sie sich besser.« – »Und Sie kommen im Auftrage des Prinzen von Condé?« – »Sehr wohl, und soll diesen Brief überreichen und auf Antwort warten.«
Gaston von Orléans nahm mit zitternder Hand das Schreiben in Empfang, betrachtete es mit verstörtem Blick, öffnete es dann, las es und rief in freudigem Tone: »Das ist ja eine sehr angenehme Ueberraschung! Madame lesen Sie nur! oder lesen Sie es bitte meiner Frau vor, Herr Graf!« – Rudolf sprang herzu, nahm Monsieur das Schreiben aus der Hand und las: »Königliche Hoheit! Majestät reisen an die Grenze. Binnen kurzem wird die Vermählung Seiner Majestät stattfinden. Nun würden Majestät gern einen Tag in Blois verleben, und ich bitte Sie, mir mitzuteilen, ob Sie damit einverstanden sind, daß ich Ihr Schloß in die Marschroute einsetze. Sollte Ihnen diese unvermutete Bitte Verlegenheit verursachen, so lassen Sie es mich durch den Ueberbringer dieses Schreibens alsbald wissen. Majestät würden dann eben nicht über Blois, sondern über Vendôme oder Romorantin reisen. In der Hoffnung jedoch, Eurer königlichen Hoheit damit einen Gefallen zu erweisen, bin ich Ihr Prinz von Condé.«
»Nichts könnte uns angenehmer sein,« rief Madame »Sagen Sie Herrn von Condé, wir danken für seine Aufmerksamkeit.« – »Wann wird Majestät kommen?« fragte der Prinz. – »Heute abend.« – »So schnell? Dann sind Majestät wohl schon in Orléans?« – »Noch näher, Hoheit. Wahrscheinlich schon in Meung.« – »Mit dem Hofe?« – »Jawohl.« – »Ich vergaß, zu fragen – wie geht es dem Kardinal?« – »Eminenz scheinen sich wohl zu befinden.« – »Seine Nichten sind jedenfalls bei ihm?«
»Nein, die Fräulein von Mancini sind auf Geheiß Seiner Eminenz nach Brouage gegangen und reisen am linken Loireufer, während der Hof am rechten reist.« – »Wie? Fräulein von Mancini verläßt den Hof?« rief Monsieur, und ein Funke seiner früheren Freude an Intrigen blitzte in seinen trübseligen Augen aus. Darauf entließ er den Grafen, klingelte und rief den hereintretenden Schranzen und Dienern die magischen Worte zu: »Seine Majestät der König werden heute abend hier eintreffen.«
»Es lebe der König!« riefen die Hofleute wie aus einem Munde, und Gaston von Orléans, der ein ganzes Menschenleben lang den Ruf: »Es lebe der König!« hatte mitanhören müssen, neigte betrübt das Haupt; denn er hatte diesen Ruf eine lange Zeit nicht mehr vernommen. Das erlauchte Paar verließ die Tafel, und Madame rief im Hinausgehen Herrn von Saint-Rémy zu, man solle dafür sorgen, daß Graf von Bragelonne aufmerksam verpflegt würde.
Der Haushofmeister nahm sich sogleich des jungen Mannes an, erhielt aber auf seine Einladung, im Schlosse zu bleiben, die Antwort: »Ich danke, Herr von Saint-Rémy aber ich habe Sehnsucht, den Grafen, meinen Vater, wiederzusehen.« – »Das ist begreiflich,« sagte der Haushofmeister. »Bitte, mich aufs beste zu empfehlen.« – Nach diesen Worten wollte Graf von Bragelonne in den Hof hinabsteigen, um sich sein Pferd vorführen zu lassen, doch plötzlich vertrat im dunklen Korridor die Gestalt eines Mädchens ihm den Weg. Es legte den Finger auf die Lippen und reichte ihm die Hand. – »Wollen Sie mir folgen, Herr Ritter?« fragte die junge Dame leise. – Der Graf zauderte nicht, sondern ließ sich von der zarten Hand, die die seine festhielt, fast willenlos fortführen. Der Weg war indessen zu kurz, als daß unterwegs der Graf Zeit gehabt hätte, sich wegen des Ziels, zu dem er geleitet würde, Gedanken zu machen. Die unbekannte Dame stieß eine Tür auf und zog ihn in ein Zimmer. Kaum trat er ein, so hörte er einen lauten Schrei und sah eine schöne Blondine mit blauen Augen und schneeweißen Schultern, die, seinen Namen nennend, mit gefalteten Händen in einen Stuhl sank. Rudolf erkannte sie, warf sich vor ihr auf ein Knie und vermochte nur das eine Wort hervorzubringen: »Luise!«
»O, Montalais,« flüsterte Luise, »wie konntest du mich so hintergehen?« – »Wieso denn hintergehen?« – »Du hast doch gesagt, du wolltest dich nur im Hofe erkundigen. Nun bringst du den Grafen zu mir!« – »Er muß sich doch den Brief abholen.« – Rudolf sah das Schreiben auf dem Tische liegen und streckte die Hand aus; da auch Luise eben danach griff, begegneten sich ihre Hände, und Rudolf zog die des jungen Mädchens ehrfurchtsvoll an die Lippen. Inzwischen nahm die Montalais den Brief an sich, faltete ihn zusammen und steckte ihn in den Busen. – »Hier ist er wohlgeborgen, Luise,« sagte sie. »Der Graf wird nicht so kühn sein, ihn aus diesem Versteck zu rauben. Nun, ich sehe, Luise, du hast mir verziehen, daß ich den Grafen herführte, und der Graf selbst wird mir deshalb gewiß auch nicht böse sein. So wollen wir denn wie alte Freunde miteinander reden. Luise, stelle mich zuerst dem Herrn Grafen vor.«
»Herr Vicomte,« sagte Luise mit holdem Lächeln, »gestatten Sie mir, Sie mit meiner besten Freundin, Aure von Montalais, Ehrendame an Madames Hofe, bekannt zu machen. Sie sind ihr bereits bekannt. Meine Freundin weiß alles.« – Die Montalais nickte lachend. – »Schluß nun mit den Höflichkeiten!« rief sie. »Nehmen Sie Platz, Graf, und erzählen Sie, was für eine Botschaft Sie zu bestellen hatten.« – »Es ist kein Geheimnis mehr, Fräulein,« antwortete Rudolf. »Der König kommt nach Blois.« – Die Montalais war sogleich wie aus dem Häuschen. »Den König und den Hof sollen wir sehen?« rief sie, in die Hände klatschend. »Aber wann denn, Vicomte?« – Als sie jedoch erfuhr, daß Majestät schon am Abend dieses Tages kommen werde, zog sie ein saures Gesicht. – »Da hat man ja nicht mal Zeit, sich zu putzen,« schmollte sie. – »Trösten Sie sich,« antwortete Rudolf galant, »Sie sind ja immer schön.« – »Sehr gütig, Herr Graf! Also heute abend – mit dem ganzen Hofe? Sind die Fräulein Mancini auch dabei?« – »Nein, die sind nicht im Gefolge.« – »Aber man sagt doch, der König könne ohne Fräulein Marie von Mancini nicht leben.« – »Er wird wohl ohne sie leben müssen, denn der Kardinal hat sie aus seiner Nähe verbannt.« – »O, dieser Heuchler!« rief die Montalais und ließ sich durch eine warnende Gebärde Luisens nicht abschrecken hinzuzusetzen: »Ach was, es hört uns hier niemand. Mazarino Mazarini ist ein Heuchler, ich wiederhole es. Es wäre ihm nichts lieber, als wenn er seine Nichte Maria zur Königin von Frankreich machen könnte!«
»Nicht doch,« versetzte der Graf. »Hat doch Mazarin selbst Seiner Majestät die Infantin Maria-Theresia zur Gemahlin bestimmt. Zwischen Don Louis de Hara und Seiner Eminenz ist der Ehekontrakt schon abgeschlossen worden.« – »Also liebt der König Fräulein von Mancini nicht?« – »Im Gegenteil, er betet sie an.« – »Na, dann wird er sie auch heiraten. Und wenn's darüber zum Kriege mit Spanien käme.« – »Rede doch nicht so närrisches Zeug, Montalais,« rief Luise dazwischen. »Die Königin-Mutter wünscht, daß ihr Sohn die Infantin heirate, und er wird seiner Mutter nicht ungehorsam sein. Vor kindlichem Gehorsam muß die Liebe zurückstehen.« – Mit einem Seufzer schlug Luise die Augen nieder, während die Montalais mit übermütigem Lachen rief: »Ei nun, ich habe keine Eltern mehr.«
Doch mitten in ihrem Lachen unterbrach sie sich und horchte mir ernster Miene nach der Tür hin. »Mein Gott, es kommt jemand,« sagte sie. – »Wer kann das sein?« rief Luise ängstlich. – »Nach dem schwerfälligen Schritt zu urteilen, ist es Herr Malicorne,« sagte die Montalais. »Nun, der ist nicht eifersüchtig.« – »Nein,« rief Luise erschrocken, »er ist es nicht! Es ist meine Mutter – ich kenne ihren Schritt.« – Frau von Saint-Rémy!« sagte Rudolf betroffen. »Wo soll ich mich verbergen?« – »Ja, wahrhaftig,« sprach die Montalais, »nun erkenne ich auch die klappernden Stelzschuhe der Frau Mama. Nur ruhig Blut, Herr Graf! Das Fenster hier ist leider fünfzig Fuß hoch und geht auf einen gepflasterten Hof hinaus. Aber Sie können hier in diesen Schrank eintreten, der ist wie gemacht dafür.«
Frau von Saint-Rémy stieg rascher als gewöhnlich die Treppe hinauf und trat eben ein, als die Montalais den Schrank schloß und sich an die Tür lehnte. – »So finde ich dich doch hier, Luise?« rief Frau von Saint-Rémy in ungehaltenem Tone. – »Ja, Mutter,« antwortete Luise kleinlaut, als wäre sie über einem schweren Vergehen ertappt worden. – »Bitte, nehmen Sie doch Platz, gnädige Frau,« sagte die Montalais, ohne vom Schranke wegzutreten, doch Frau von Saint-Rémy lehnte in etwas spitzem Tone ab. »Ich danke, Fräulein Aure,« sagte sie. »Komm rasch mit mir, Kind, du mußt anfangen, Toilette zu machen,« wendete sie sich an Luise. »Wissen Sie denn etwa die große Neuigkeit noch nicht?« fragte sie mit einem Blick auf die Montalais. »Sollte wirklich noch niemand bei Ihnen gewesen sein?«
Dabei sah sie nach dem Tische hin, und Luise, ihrem Auge folgend, sah nun zu ihrem Entsetzen, daß Rudolf dort seinen Hut hatte liegen lassen. Die Montalais stellte sich rasch vor den Tisch, und Frau von Saint-Rémy fuhr fort, als wenn sie wirklich nichts gesehen hätte: »Es ist eben ein Eilbote mit der Nachricht angekommen, daß heute abend der König eintreffen wird. Da müssen sich alle jungen Damen schön machen. Also komm, Luise!«
Das junge Mädchen folgte der Mutter, die auf dem Wege zur Tür noch leise die Worte sprach: »Ich habe dir doch verboten, zur Montalais zu gehen! Und wem gehört der Hut auf dem Tische? Sicher diesem Tagedieb, dem Malicorne. Ein Ehrenfräulein darf mit solchem Taugenichts auf keinen Fall –«
Die andern Worte verloren sich auf dem Korridor, so daß die Montalais sie nicht mehr hörte. Sie zuckte leichthin die Achseln und ließ Rudolf aus seinem Versteck heraus. – »Verlassen Sie das Schloß so rasch wie möglich,« sagte sie, »damit uns durch irgendwelche Indiskretion der guten Dame nicht etwa Unannehmlichkeiten entstehen. Leben Sie wohl!« – »Werde ich von Luise hören?« fragte Rudolf. – »Gewiß, gewiß. Nur Mut! Hier in Blois kümmern wir uns nicht allzusehr um Papas und Mamas Einwilligung. Fragen Sie nur Malicorne.«
Rudolf schlich in den Hof, holte sein Pferd, schwang sich in den Sattel und ritt spornstreichs davon.
Er folgte der wohlbekannten Straße, an die sich viele ihm teure Erinnerungen knüpften, und bemerkte bald das spitze Dach, die beiden Türmchen und die Schwärme von Tauben, die sie umflogen. Ein Jahr war es nun her, daß er seinen Vater nicht wiedergesehen hatte, und diese ganze Zeit über war er beim Prinzen Condé gewesen. Nach den stürmischen Zeiten der Fronde hatte Condé sich feierlich mit dem König ausgesöhnt. Solange Feindschaft zwischen ihnen bestand, war Graf von Bragelonne dem Prinzen ferngeblieben und hatte, statt an dessen revolutionären Unternehmungen teilzunehmen, unter Turenne für den König gekämpft. Condé war Bragelonne sehr zugetan und verübelte ihm diese Königstreue nicht; vielmehr nahm er ihn nach der Aussöhnung mit dem Hofe mit Freuden bei sich auf. So jung Rudolf auch noch war, so hatte er doch unter Turenne und unter Condé bereits in zehn siegreichen Schlachten mitgefochten und durfte sich einen Soldaten nennen, dessen Schild durch keine Niederlage befleckt war.
Rudolf fand die Gartentür offen und ritt ohne weiteres hinein, ungeachtet der zornigen Gebärden eines alten Mannes, der am Wegesrande stand und offenbar erst um Erlaubnis zum Eintritt gefragt sein wollte. Der Alte arbeitete an einem Blumenbeete und trat entrüstet auf den Reiter zu; doch kaum hatte er dessen Gesicht gesehen, so warf er sein Arbeitszeug weg und rannte mit Zeichen höchster Freude auf das Haus zu. Der Graf ritt ruhig weiter, gelangte in den Hof, gab sein Pferd einem Knecht, ging ins Haus und trat in das Zimmer des Grafen de la Fère.
Der Graf war noch immer eine schöne stattliche Erscheinung, obwohl nun sein Haar fast weiß geworden war und der Schnurrbart stark ins Graue spielte. Trotz des Alters hatte der Mann, dem so mancher erlauchte Mund unter dem Namen Athos Lob und Dank gesprochen, noch nichts von seinem imposanten Aeußern eingebüßt. – Rudolf umarmte ihn so zärtlich und so stürmisch, daß der Graf sich nicht loszumachen vermochte. – »Rudolf!« rief er endlich, einen Schritt zurücktretend. »Du hier? Hast du Urlaub oder ist etwas passiert?« – »Ich war als Abgesandter des Königs in Blois. Majestät will seinem Oheim einen Besuch abstatten.« – »So hast du Monsieur gesehen? Ich wünsche dir Glück dazu.« – Rudolf verneigte sich. Athos sah ihm prüfend ins Auge. – »Wen hast du sonst noch in Blois gesehen?« – »Ich habe auch Madame gesehen, Vater,« antwortete der junge Mann. – »Ja doch, aber an die dachte ich dabei nicht,« versetzte Athos mit einem strengeren Blick. »Oder verstehst du mich nicht, Rudolf?«
»Ich verstehe Sie sehr wohl, Vater,« erwiderte Rudolf errötend. »Auch sinne ich nicht auf Ausflüchte, wenngleich ich nicht sofort eine Antwort bereit habe.« – »Also hast du Fräulein von Lavallière gesehen?« fragte der Vater. – »Ja. Ich wußte nicht, daß sie im Schlosse zu Blois sei, der Zufall führte mich zu ihr.« – »Der Zufall?« entgegnete der Graf de la Fère. »Und in welcher Gestalt erschien dir dieser Zufall?« – »In der Gestalt eines Fräuleins von Montalais.« – »Was ist das für eine Dame?« – »Ich habe sie nie zuvor gesehen und weiß nur, daß sie Ehrendame der Herzogin von Orléans ist.« – »Genug, ich habe dir geraten, Fräulein von Lavallière aus dem Wege zu gehen. Wenn nun der Zufall seine Hand im Spiele hatte, so kann ich dir ja wohl keinen Vorwurf machen. Mein Wunsch ist es und bleibt es, daß du sie nicht besuchst. Merke dir das ein für alle Mal, Rudolf. Und nun von etwas anderm! Kehrst du gleich in deinen Dienst zurück?« – »Nein, lieber Vater, ich kann den ganzen Tag bei Ihnen weilen. Der Prinz hat mir weiter keinen Auftrag gegeben, als den, den ich nun erledigt habe.« – »Er und der König sind wohlauf?« – »Wie immer. Vater.« – Nach Mazarin erkundigte sich der alte Herr nicht – er hatte schon früher nie nach ihm gefragt.
»Es freut mich, daß ich dich einen ganzen Tag bei mir habe – so will ich mich auch durch nichts abhalten lassen,« rief er. »Doch da ist ja unser alter Grimaud. Komm her, Mann, laß dich von dem Burschen hier umarmen.« – Das ließ sich Grimaud nicht zweimal sagen, eilte herbei und drückte den Jüngling an die Brust. Als dann Vater und Sohn in den Garten gingen, sah er ihm mit Tränen im Auge nach. »Wie groß er geworden ist!« murmelte er und strich seinen weißen Knebelbart. Und er hatte recht. Rudolf reichte mit dem Kopfe fast an den Querbalken der Tür heran.
In Blois herrschte große Aufregung, wurde doch der König mit dem gesamten Hofstaat erwartet, und wo sollten alle diese Menschen, 100 Reiter, 10 Kutscher, 200 Pferde und ebensoviele Diener und Hofleute untergebracht werden? Mit dieser Frage beschäftigte sich alsbald die ganze Stadt. Im Schlosse gar ging alles Hals über Kopf, denn die Zeit für die Vorbereitungen war knapp bemessen, und es galt, Wildbret zu holen, Fische zu beschaffen und Blumen zur Verzierung der Tafel zu besorgen. Eine ganze Schar von armen Leuten wurde aufgeboten, die die Höfe und Gärten ausfegen mußten.
Im untern Teile der Stadt, kaum hundert Schritte vom Schlosse entfernt, stand in der schönen Altgasse ein ehrwürdiges Haus mit spitzem Giebel, das im ersten Stock drei, im zweiten zwei, im dritten nur ein Fenster hatte. Der Sage nach hatte zur Zeit Heinrichs III. ein Stadtrat darin gewohnt, der auf Betreiben der Königin Katharina erdrosselt worden war. Nachher hauste darin ein Italiener namens Cropoli, ein ehemaliger Koch des Marschalls von Ancre. Der Mann hatte aus dem Hause eine kleine Restauration gemacht und war besonders wegen seiner schmackhaften Maccaroni weit und breit bekannt geworden, namentlich seit die Königin Maria von Medici, die im Schlosse gefangen gewesen, sich einmal eine Schüssel voll von dieser Spezialität hatte holen lassen. Als er starb, übernahm sein Sohn das Restaurant, änderte seinen italienischen Namen in einen französischen um, indem er aus Cropoli Cropolé machte, und ließ einen berühmten Maler kommen, der ein Schild mit den Bildnissen zweier Königinnen und mit der Inschrift »Zu den Medicis« malen mußte.
Das Gasthaus Cropolés erfreute sich eines großen Zuspruchs, und der Besitzer, der sich inzwischen auch mit einer jungen Französin verheiratet hatte, welche sogar eine hübsche Summe Geldes mit einbrachte, war auf dem besten Wege, ein reicher Mann zu werden. Daß dies so rasch wie möglich geschähe, war natürlich sein innigstes Verlangen. Anläßlich des Königsbesuchs hoffte er nun ein schönes Stück Geld auf einmal zu verdienen.
Im Gasthaus logierte zur Zeit nur ein Fremder, ein großer, stattlicher Mann von etwa dreißig Jahren und ernstem, fast trübsinnigem Wesen. Er trug ein Wams aus schwarzem Sammet mit weißem Kragen von puritanischem Schnitt. Ueber seiner etwas sarkastischen Oberlippe kräuselte sich ein blonder Schnurrbart. Seine blauen Augen hatten einen durchdringenden Blick, dem man schwer standhalten konnte.
Zu der damaligen Zeit gab es eigentlich nur zwei Klassen Menschen, den Kavalier und den gemeinen Mann, und diese beiden Klassen waren damals ebenso scharf voneinander geschieden wie heutzutage die weiße und die schwarze Rasse. Cropolés Gast nun mußte selbst auf einen flüchtigen Blick hin der ersteren Klasse zugezählt werden: man erkannte in ihm sofort einen Edelmann von reinstem Wasser. Trotzdem aber behagte es nun dem Wirt nicht, daß dieser alleinstehende Fremde die besten Zimmer seines Gasthauses innehatte, zumal er nach einer kurzen Mitteilung, daß er einen Herrn namens Parry erwarte, welcher sofort nach der Ankunft zu ihm zu führen sei, den Mund viele Stunden hintereinander nicht wieder geöffnet hatte. Erst als draußen lauter Lärm erscholl, und ungewöhnlich lebhaftes Treiben die sonst so stille Stadt erfüllte, erwachte er aus seiner gleichgültigen Ruhe und fragte nach der Ursache dieser Aufregung.
Cropolé nahm die Gelegenheit beim Schopfe und erzählte, daß der König erwartet würde, und daß er selbst nun in die größte Verlegenheit käme, da er für die zu erwartenden Gäste keine Zimmer mehr zur Verfügung hätte. – »Wie?« rief der Unbekannte entrüstet, »soll das etwa heißen, daß ich die Wohnung räumen soll? Sind Sie argwöhnisch? Halten Sie mich für arm? Fürchten Sie, nicht zu Ihrem Gelde zu kommen?« – »Durchaus nicht,« versetzte Cropolé geschmeidig, »allein Monsieur werden begreifen, es ist dies eine günstige Gelegenheit, ein Geschäftchen zu machen, die Zimmer teurer zu vermieten als sonst –« – »Herr Wirt,« versetzte der Fremde, »wenn der König nach Blois kommt, so ist dies für mich ein triftiger Grund, hier zu bleiben. Wieviel wollen Sie unter diesen veränderten Umständen für Ihre Zimmer haben?« – »Wenn Monsieur die ganze Wohnung haben wollen – oder wäre Monsieur damit einverstanden, ein paar Zimmer abzutreten, damit ich sie an das königliche Gefolge weitervermieten kann –?«
»Die ganze Wohnung behalte ich,« versetzte der Fremde, der eine etwas lispelnde Aussprache hatte, wie man sie bei Engländern findet. »Die ganze Wohnung, machen Sie Ihren Preis.«
»Jenun,« antwortete Cropolé, »der König kommt, viele Menschen werden Unterkunft suchen, da steigt der Tarif natürlich. Ich kann da spielend zwei Louisdors für das Zimmer herausschlagen.« – »Und ich habe drei Zimmer inne,« unterbrach ihn der Unbekannte. »Das wären also sechs Louisdors, und einen bewillige ich außerdem noch für Fütterung des Pferdes. Sind Sie zufrieden, Herr Wirt?« Mit diesen Worten zog er eine gestickte Börse, allein sie sah ziemlich schlaff aus, was dem scharfen Blick des Wirtes nicht entging. Sie enthielt denn auch nur noch sechs Louisdors, und um die erforderliche Summe vollzumachen, mußte der Gast seine Taschen umdrehen. Mit knapper Not fand sich soviel Geld zusammen, wie die Rechnung betrug.
»Ich danke bestens,« sprach der Wirt, das Geld einstreichend. »Dies wäre der Preis für heute. Gedenken Monsieur nun die Wohnung auch für morgen noch zu behalten? Oder könnte ich –?« – »Auch für morgen noch!« rief der Fremde. »Doch Sie haben es ja gesehen, Cropolé – ich habe kein Geld mehr. Nehmen Sie also diesen Diamantring – er ist unter Brüdern 300 Pistolen wert. Verkaufen Sie ihn so vorteilhaft wie möglich. So viel, wie die Wohnung kostet, schlagen Sie allemal heraus.«
»Aber ich bin kein Kenner von Schmucksachen,« wandte der Wirt bedenklich ein. – »So werden Sie hier einen Goldarbeiter finden, der Kenner ist,« erwiderte der Fremde. »Und nun lassen Sie mich in Ruhe. Unsere Rechnung ist beglichen.« – Cropolé verneigte sich. »Wenn ich Monsieur beleidigt haben sollte, so bitte ich die Umstände zu berücksichtigen und es mir nicht übelzunehmen,« sprach er noch, aber der Fremde machte eine so abweisende, energische Handbewegung, daß der Wirt es vorzog, sich zu empfehlen.
Als er gegangen war, senkte der Fremde den bisher so majestätischen Blick zu Boden, und ein bitteres Lächeln der Hoffnungslosigkeit spielte um seine zusammengepreßten Lippen. Stumm und unbeweglich saß er am Fenster und blickte hinaus, bis die Nacht einbrach und in allen Fenstern Licht aufflammte. Während er saß und schaute, erklang unten plötzlich der Ruf: »Der König kommt! Der König kommt!« – Gleich darauf näherte sich, begleitet von vielen lodernden Fackeln, der Zug des Hofes. Eine Kompagnie Musketiere und eine Schar berittener Edelleute bildeten den Vortrab. Dann folgte, von vier Rappen gezogen, die Equipage des Kardinals Mazarin, hinter der seine Pagen und Diener einherschritten. Dann kam die Kalesche der Königin-Mutter mit einer Escorte von Ehrendamen und Kavalieren. Dann – auf einem schönen Pferde mit langer Mähne – der König – zwei Schritte hinter ihm Prinz von Condé, Dangeau und zwanzig andere Hofherren, begleitet von einem zahllosen Gefolge an Dienern und Gepäckträgern. Der ganze Zug wies eine fast strenge militärische Ordnung auf, auch trugen fast alle Höflinge und Diener Soldatentracht, nämlich das Wams von Büffelleder mit dem Ringkragen à la Henriquatre.
Der Fremde lehnte sich zum Fenster hinaus. Das Schmettern der Trompeten, der Jubel des Volks brauste ihm in den Ohren und schien ihm auf einen Augenblick die ruhige Ueberlegung zu rauben. »Der König ist es!« flüsterte er mit einem Ausdruck der Seelenangst und Verzweiflung. Der Zug war vorüber, die Wirtsleute drängten sich noch in der Tür, als ein alter Mann, der ein irländisches Pferd am Zügel führte, herantrat und Einlaß forderte. Er überließ seinen Gaul dem Stallknecht und eilte die Treppe hinauf, wo der Fremde, der ihn hatte eintreten sehen, ihn schon erwartete.
Sie fielen sich in die Arme. – »O, Parry!« rief der junge Mann, »Sie kommen von England – eine so weite Reise in diesem Alter! Setzen Sie sich, Sie haben in meinem Dienste gar schwere Mühsal zu ertragen. Gönnen Sie sich Ruhe!« – »Vor allem,« antwortete der Alte, »habe ich Ihnen die Antwort zu überbringen.« – »Und sie lautet ungünstig, Parry,« unterbrach ihn der Fremde, »sonst würdest du nicht so anfangen. O wehe mir, du hast mir nichts Gutes zu melden.« – »Nicht verzweifeln, Mylord!« antwortete der Greis, »noch ist nicht alles verloren. Fester Wille, Beharrlichkeit und vor allem Ergebung – das tut uns not.«
»Parry,« antwortete der junge Mann, »durch tausend Gefahren habe ich mich bis hierher durchgekämpft. Zehn Jahre lang habe ich an dem Gedanken, diese Reise auszuführen, hartnäckig festgehalten. Heute habe ich den letzten Diamanten meines Vaters verkauft, um den Wirt hier zufriedenzustellen. Zweifelst du an meinem festen Willen?« – Der Greis hob seine zitternden Hände gen Himmel. – »Sei getrost,« fuhr der Fremde fort, »der Wirt hat den Edelstein verkauft, und nach Abzug seiner Forderung bleiben mir noch 274 Pistolen. Damit halte ich mich für reich. Doch nun erzähle mir alles! Was hat der General gesagt?«
»Zuerst wollte er mich gar nicht vorlassen, und nachdem ich in einem Briefe Ihre Lage und Ihre Absichten eingehend erläutert hatte, ließ er mir sogar mit Verhaftung drohen.« – »Aber du hattest doch mit ›Parry‹ unterzeichnet?« – »Gewiß, und dem Adjutanten des Generals war ich auch von St. James her wohlbekannt.«
»So drohte dir der General vor den Leuten,« sprach der junge Mann, »aber was tat er, als du mit ihm unter vier Augen warst? Was sagte er da?« – »Er schickte mir vier Reiter, Mylord, die mich zum Hafen Terby brachten – ohne Aufenthalt, ohne Rast. Vom Hafen schafften sie mich in ein kleines Fischerboot, das eben nach der Bretagne in Segel ging. Und nun bin ich hier.«
»Und das ist alles, Parry?« rief der junge Mann, den Kopf in beide Hände pressend. – »Das ist alles, Mylord.« – Dieser kurzen Antwort Parrys folgte ein langes Schweigen, der junge Mann schritt in heftiger Erregung auf und ab. Der Alte wollte dem Gespräch eine Wendung geben und fragte daher, was der Lärm auf den Straßen zu bedeuten hätte. – »Das weißt du nicht?« antwortete der junge Mann. »Der König von Frankreich ist zum Besuch nach Blois gekommen. Sein Minister, der ihm Millionen zusammenscharrt, führt ihn einer reichen Braut zu. Das Volk begrüßt ihn mit Jubelgeschrei. Und während dieser Ludwig in Saus und Braus lebt, haben meine Schwester und meine Mutter nicht satt zu essen. Und wenn Europa erfährt, was du eben erzählt hast, so werde ich in allen Landen verspottet werden. Doch freilich, Parry,« rief er mit ungestümer Gebärde und gürtete das Schwert um, »wenn ich wie eine feige Memme nichts für mich selbst tue, was soll mein Gott für mich tun. Noch habe ich zwei Arme, noch ein Schwert – –!«
»Mylord,« rief der Greis, »was wollen Sie tun?« – »Was meine ganze Familie tut, was meine Mutter und meine Schwester tun und meine Brüder! Betteln um ein Almosen.« Er lachte wild auf, nahm den Hut zur Hand, warf den schwarzen Mantel um und stürmte hinaus. Parry sprang ans Fenster und sah ihn bald verschwinden.
Inzwischen war der König von Gaston von Orléans empfangen worden und weilte nun in demselben Schlosse, in welchem vor 72 Jahren Heinrich III. zu Mord und Verrat gegriffen hatte, um seinem Haupte und seiner Familie eine Krone zu erhalten, die schon von seiner Stirn zu gleiten begann. Ludwig, der junge Herrscher, war ein vollendeter Kavalier. Von ganz besonderer Schönheit waren seine tiefblauen, zugleich feurigen und sanften Augen, die mit dem Blau der unendlichen Himmelsräume, aber auch mit dem schrecklicheren Blau der Meerestiefe wetteifern konnten. Er war nicht groß, kaum fünf Fuß zwei Zoll; aber in all seinen Bewegungen lag dennoch Adel und körperliche Gewandtheit.
Viele freilich mochten die jugendliche Erscheinung für nicht königlich genug halten, weil man an ihrer Seite immer die hohe Gestalt der Königin-Mutter und die stattliche Figur des Kardinals Mazarin erblickte, und namentlich dem letzteren galt das allgemeine Augenmerk, denn es war ja ein öffentliches Geheimnis, daß er der eigentliche König von Frankreich war.
Während Gaston von Orléans mit dem König und dem Kardinal sprach und sich angelegentlich nach dem Befinden der drei Nichten Mazarins erkundigte, die dieser vor kurzem aus Italien hatte herbeigerufen, machte die Herzogin die Königin mit ihren Hofdamen bekannt und stellte ihr der Reihe nach Mademoiselle Arnoulx, Mademoiselle von Montalais und Luise von Lavallière vor. Ludwig XIV. verließ die beiden Herren und trat zu Mutter und Tante hinüber, um die jungen Damen zu mustern, die sich vor den Hoheiten tief verneigten.
»Gnädigste Frau Tante,« sagte der junge König lachend, »ist denn Blois gar so weit von Paris entfernt, daß die Moden mehrere Jahre brauchen, um hier herüberzugelangen. Diese Damen erscheinen noch alle in der Tracht, die man längst in die Rumpelkammer verbannt hat. Das hat man vor zehn Jahren getragen. Sehen Sie nur das weiße, veraltete Kleid dort mit dem lächerlichen Spitzenbesatz! Lassen Sie die Dame nähertreten. Sie weiß sich selbst in diesem Aufputz noch graziös und ungezwungen zu bewegen. Die andern erscheinen mir gegen sie wie Holzpuppen, mit Stoff behangen. Wie heißt dieses Mädchen?« – »Treten Sie näher, Luise,« befahl Madame, und die schöne Blondine, die wir schon kennen, kam schüchtern heran. – »Fräulein Luise Franziska von Labaume-Leblanc, die Tochter des Marquis von Lavallière und Stieftochter meines Haushofmeisters, des Herrn von Saint-Rémy,« sagte Madame in feierlichem Tone zum König. – Luise sah und hörte nichts, es summte ihr in den Ohren, vor ihren Augen verschwamm alles, und der König streifte das Mädchen nur noch mit einem flüchtigen Blick und trat dann zu den Herren zurück.
»Meine Nichten müssen vor allem erst ihre Erziehung beenden, gnädigster Herr Herzog,« sprach Mazarin zu Gaston von Orléans. »Ist dieses geschehen, so hoffe ich anständige Partien für sie zu finden, was mir nicht schwer fallen wird, denn Gott hat ihnen Anmut, Schönheit und Geist verliehen. Namentlich der jüngsten, der Maria. Sie sind unterwegs nach Brouage und müssen zur Zeit schon weit weg von Blois sein.« – Diese Worte sprach der Kardinal absichtlich laut, daß Ludwig, der eben von den Damen wegtrat, sie hören mußte. Sie trafen sein Herz wie ein vergifteter Pfeil, und obwohl der junge König sich schon soweit beherrschen gelernt hatte, daß er jetzt nur durch ein leichtes Erröten seine Erregung verriet, so war es doch für einen Mann, der seit zwanzig Jahren alle Diplomaten Europas an der Nase herumführte, ein leichtes, die tiefe Wirkung seiner Worte zu erkennen. Von diesem Augenblick an hatte nichts mehr Interesse für den König. Seit er erfahren, daß Maria von Mancini nicht nach Blois kommen würde, fühlte er sich unerträglich gelangweilt und benutzte die erste Gelegenheit, sich zurückzuziehen. Monsieur selbst geleitete die Majestät in ihre Schlafgemächer. Es waren dieselben, die einst König Heinrich III. bewohnt hatte. Auf dem Wege in diesen Teil des Schlosses machte Gaston von Orléans plötzlich halt, öffnete die Tür eines düstern Vorzimmers und sprach: »Dies ist der Ort, wo der Herzog von Guise ermordet wurde. Genau an dieser Stelle sank er nieder und riß im Fall die Vorhänge des Bettes dort mit sich. Er stand fast ebenso da, wie jetzt Eure Majestät und neben ihm – so wie jetzt Euer Musketier-Leutnant neben Euch steht – stand Herr von Loignes. Das andere Gefolge befand sich ein paar Schritte hinter ihm.«
Der König, der von der Geschichte seines Landes nur beschränkte Kenntnis hatte, erbebte leicht und sah sich um. Sein Blick fiel auf einen Offizier, der mit seinen funkelnden Augen, seinem schwarzen Schnauzbart und der imposanten Adlernase ein Muster militärischer Schönheit war.
»Es ist wahr,« sprach dieser Haudegen und warf sein langes, graues Haar in den Nacken, »hinterrücks und meuchlerisch ist er niedergestoßen worden.« – »Und weil der Blutfleck auf den Dielen,« fuhr der Herzog von Orléans fort, »nicht auszumerzen war, sind ganze Stücke des Holzes herausgebrochen worden, wie Majestät bemerken werden.« – »Lassen Sie uns weitergehen, mein Herr Oheim,« sagte der König leise.
Als er sein Schlafzimmer betreten hatte, übernahm der Offizier mit der Adlernase den Kammerdienst, untersuchte plötzlich alle Zugänge und Nebengemächer und quartierte sich mit zehn Musketieren im Vorgemach ein.
Gleich darauf geleitete Monsieur, der Herzog, auch Mazarin in seine Gemächer, und Madame, die Herzogin, führte Anna von Oesterreich, die Königin-Mutter, in die ihrigen. Auf den Treppen, vor den Toren, bezogen die Soldaten von der Wache ihre Posten, und überall im Schlosse herrschte Ruhe.
Nicht lange, so fuhr einer dieser Wachtposten aus seinem Halbschlummer empor, reckte sich steif in die Höhe und rief in die nächtliche Stille: »Wer da?« – »Gut Freund!« erklang die Antwort, und die Gestalt eines fremden Mannes, in einen weiten dunkeln Mantel gehüllt, zeigte sich vor ihm. – »Euer Begehr?« – »Ich will mit dem König reden.« – »Das geht nicht an.« – »Führen Sie mich zum Offizier vom Dienst,« antwortete der Fremde. – »So gehen Sie die Treppe da hinauf!« sagte der Soldat, und gleichzeitig rief er nach oben: »Leutnant, es fragt jemand nach Euch!«
Der Offizier rieb sich die Augen und trat aus der Stube. Im nächsten Augenblick stand der Fremde, kein anderer als der Unbekannte aus dem Gasthause »Zu den Medicis«, vor ihm und wiederholte: »Ich muß mit dem König reden.« – Der Leutnant sah den Mann prüfend an und erkannte mit dem Blick eines Kenners, daß er eine hervorragende Persönlichkeit in unscheinbarem Gewande vor sich habe. – »Der König schläft schon oder ist beim Auskleiden. Sie wissen doch wohl auch, daß ohne Audienzschein niemand vorgelassen wird.« – »Wenn er erfährt, wer ich bin,« antwortete der Unbekannte, »so wird er eine Ausnahme machen und mich vorlassen.« – »Nun denn, wen soll ich melden?«
»Seine Majestät Karl II., König von England, Schottland und Irland,« war die Antwort. – Der Offizier unterdrückte einen Ausruf des Erstaunens und trat zurück. »Verzeihung, Majestät,« sagte er, »ich hätte Sie erkennen sollen.« – »Wieso? Haben Sie mich schon früher einmal gesehen?« – »Nein, Majestät, aber ich sah Ihren Vater in einem furchtbaren Augenblick –« Er verstummte und richtete einen tieftraurigen Blick auf den landesflüchtigen König. – »An dem Tage, wo –?« fragte Karl II. – und ein stummes Nicken des Offiziers war die Antwort. 1
»Tragen Sie noch Bedenken, mich zu melden?« fragte Karl II. – »Ich muß,« antwortete der Leutnant zaudernd, »ich muß Eure Majestät bitten, den Degen abzulegen.« – »Ich vergaß –« sagte Karl II., »es darf niemand bewaffnet vor den König treten. Hier ist mein Degen – und nun beeilen Sie sich!« – Der Offizier klopfte an das Zimmer des Königs, ein Kammerdiener öffnete. »Seine Majestät der König von England wünschen mit Majestät zu sprechen,« meldete der Leutnant. – Der Kammerdiener trat zurück, und gleich darauf wurde die Tür von einem Hofkavalier geöffnet. Ludwig XIV., ohne Hut und Degen, mit schon offnem Wams, trat unter Zeichen tiefsten Erstaunens hervor. – »Sie, mein Bruder, hier in Blois!« rief er aus. – »Ich war unterwegs nach Paris, als ich erfuhr, daß Sie hierher reisten,« antwortete der Brite. »Ich eilte infolgedessen hierher, denn ich habe Ihnen etwas sehr Wichtiges mitzuteilen.« – »Wollen Sie in dieses Zimmer treten, lieber Bruder?« – »Gewiß. Es kann uns hier doch niemand hören?« – »Wir sind allein,« antwortete Ludwig, als er mit Karl II. in das Zimmer zurückgetreten war. »Reden Sie, lieber Bruder, ich bin ganz Ohr.«
»Majestät, ich bitte um Mitleid Ihrerseits mit dem Unglück unseres Hauses.« – Der König errötete, rückte näher an Karl II. heran, bewahrte aber Schweigen. – »Sire, in England hat sich vieles geändert, Cromwell ist gestorben, sein Sohn hat sich unfähig erwiesen, das Erbe des Vaters zu verwalten, und vor einem Jahre das Protektorat niedergelegt. Nun spielt man in England um die Krone meines Vaters, und zwei Männer, Lambert und Monk, sind die eifrigsten Spieler. O Majestät, wenn ich eine Million hätte, um in dieses Spiel einzugreifen, um einen dieser beiden zu bestechen und für mich zu gewinnen, dann hätte ich Hoffnung, den Sieg an mich zu reißen.« – »Ich verstehe,« antwortete Ludwig, »Sie wollen von mir –«
»Hilfe will ich von Ihnen, Hilfe an Geld und an Leuten! Wenn Sie mir helfen, kann ich in einem Monate wieder auf dem Throne meines Vaters sitzen. Wünschen doch meine Untertanen selbst ein Ende dieses Protektorats herbei, ein Ende dieser Republik, und sie werden mich mit Freuden begrüßen.« – Der junge König von Frankreich rückte verlegen hin und her und wußte nicht, was er antworten sollte. Karl II., der zehn Jahre älter war, wußte seine Gefühle besser zu bemeistern und brach zuerst das peinliche Schweigen. – »Nun, Sire, ich erwarte eine Antwort! Sprechen Sie mein Todesurteil. Soll ich leben oder muß ich sterben?«
»Mein Bruder,« versetzte nun Ludwig, »Sie verlangen eine Million von mir, aber ich besitze ja doch nichts. Ich bin auch gar nicht König von Frankreich – ebensowenig, wie Sie König von England sind. Ich bin nur ein Name, nur ein mit einem Samtmäntelchen geschmückter Begriff. Sehen Sie dort hinüber! Dort, wo noch alles erleuchtet ist und eine huldigende Menge sich drängt, dort ist der wahre König von Frankreich.« – »Der Kardinal?« rief Karl II. »Dann habe ich nichts zu hoffen. Nie werde ich mich an diesen herzlosen Mann wenden, der meine Mutter und meine Schwester, als sie sich nach Frankreich geflüchtet hatten, fast verhungern ließ.«
Ludwig runzelte die Stirn, zupfte an seinen Spitzenmanschetten und schien plötzlich einen Entschluß zu fassen. »Majestät,« sprach er, »Sie brauchen eine Million und zweihundert Mann? Nun, wenn ich Ihnen beides verschaffe, werden Sie dann mit mir zufrieden sein?« – »O, Sire! ich werde Sie meinen Retter nennen, und solange ich regiere, soll England Frankreichs Schwester sein.« – »Gut!« sprach Ludwig und stand auf. »Was ich für mich nicht fordern würde, das will ich für Sie fordern. Ich will zu dem König von Frankreich gehen – zu jenem andern König – zu dem, der das Geld und die Macht hat – und will für Sie eine Million und zweihundert Mann verlangen. Das weitere wird sich finden.«
»O, Sire!« rief Karl II., »Sie sind ein wahrer, ein edler Freund! Sie retten mir das Leben!« – »Still,« unterbrach ihn Ludwig, »es darf uns niemand hören. Geld von Mazarin fordern, das ist schlimmer, als einen verzauberten Wald durchwandern, wo in jedem Baum ein böser Geist wohnt. Ich gehe alsbald. Warten Sie hier, bis ich zurückkomme.«
Bekanntlich ist König Karl I. von England 1649 hingerichtet worden.
Der König schritt, nur von einem Kammerdiener begleitet, dem Flügel zu, wo der allgewaltige Diplomat wohnte. Inzwischen trat aus einem kleinen Kabinett, das von dem Vorzimmer – dem Aufenthalt des Wachthabenden – durch eine dünne Bretterwand getrennt war, der Offizier mit dem Schnauzbart und kehrte leise an seinen früheren Platz zurück. Er hatte mitangehört, was zwischen den beiden Königen gesprochen worden war. Er schüttelte den Kopf und sprach in gaskognischem Dialekt: »Fürwahr, ich diene da einem traurigen Herrn!«
Darauf ließ er sich in seinen Lehnstuhl fallen, streckte die Beine von sich und schloß die Augen.
Mazarin hatte einen leichten Anfall von Gicht gehabt und war zeitig zu Bett gegangen. Aber er schlief noch nicht, sondern arbeitete an einem Pult, das er sich auf das Bett hatte legen lassen. – »Diese verwünschten Zahlen,« sprach er, während er seinem Kammerdiener Bernouin in die Feder diktierte. »Hast du geschrieben? – 3 900 000 Livres auf Lyon – 7 Millionen auf Bordeaux – 4 Millionen auf Madrid. Das Geld gehört dem König, Bernouin, ich zahle des Königs Geld. Die Leute sind verrückt, wenn sie mich für unermeßlich reich halten. Albernes Geschwätz das! Hast du geschrieben? Weiter! Allgemeine Einkünfte 7 Millionen – Grundbesitz 9 Millionen – Kassenbestand 600 000 Livres – Mobiliar verschiedener Schlösser 2 Millionen – was macht das alles zusammen, Bernouin? Sind 40 Millionen voll?«
»Nein, Eminenz, es fehlen daran noch 740 000 Livres.« – »Nicht einmal 40 Millionen!« rief Mazarin, wie bei sich selbst. »Diese Summe muß erreicht werden. Aber wie? Ich werde alt, wer weiß, ob mir noch Zeit verbleibt. Ei nun, ich werde aus Spanien noch etwas herausschlagen können. Die Leutchen haben jetzt Peru entdeckt, ein neues Goldland.«
Bernouin war hinausgegangen, denn ein Geräusch war vor der Tür zu hören gewesen, jetzt kam er ganz bestürzt zurück und meldete: »Seine Majestät der König!«
»Der König? Zu solcher Stunde noch?« rief Mazarin und versteckte rasch die Papiere mit den Rechnungen. »Was gibt es denn?« – »Nichts, Kardinal,« antwortete Ludwig selbst, indem er ins Zimmer trat. »Ich habe Ihnen nur etwas Wichtiges mitzuteilen.« – »Ich sollte Eure Majestät stehend anhören,« unterbrach ihn der Minister, »allein meine Gicht –« – »Keine Etikette zwischen uns, Eminenz,« versetzte der König. »Auch komme ich nicht als König, sondern als Bittender zu Ihnen. Hören Sie – soeben war mein königlicher Vetter Karl II. von England bei mir ...«
Mazarin, der schon vermutet hatte, der König wolle von Maria Mancini sprechen, fuhr wie elektrisiert auf. »Karl II.!« rief er in heiserm Tone, »Karl II. hat Sie besucht?« – »König Karl II.,« antwortete Ludwig mit einigem Nachdruck. »Der unglückliche Fürst hat mir sein Herz ausgeschüttet, und ich weiß ja auch schon aus Erfahrung, was es heißt, wenn einem König der rechtmäßige Thron streitig gemacht wird.« – »Ei, warum hat Karl II. nicht auch einen Giulio Mazarini?« entgegnete der Kardinal. »Dann würde sich niemand an seiner Krone vergriffen haben!« – »Ich weiß, was ich Ihnen verdanke, Eminenz, und werde es nie vergessen,« erwiderte der König stolz. »Aber da mein königlicher Vetter von England keinen so genialen Mann an der Seite hat, so bedarf er eben um so mehr des Beistandes.« – »Majestät,« versetzte Mazarin kalt, »die Briten sind tolle Kerle, sie haben ihren König geköpft, sie haben sich mit Fürstenblut besudelt, wir wollen nichts mit ihnen zu tun haben.«
»Es handelt sich aber jetzt darum, Karl II. wieder auf den Thron zu setzen.« – »Mein Gott,« rief Mazarin, »sollte die arme Majestät wirklich solchen Hirngespinsten nachjagen?« – »Seine Aussichten sind vielmehr sehr günstig,« antwortete Ludwig eifrig, »und um zum Ziele zu gelangen, braucht er nur eine lumpige Million.«
»Eine lumpige Million,« versetzte Mazarin in spöttischem Tone. »O, diese erbärmliche Familie von Bettlern!« – »Herr, diese Familie ist ein Zweig meines Hauses!« rief Ludwig und warf das Haupt in den Nacken. – »Haben Sie denn so viel Geld, daß Sie gleich eine Million wegschenken können? Wahrlich, Majestät, wir brauchen selber Geld – es fehlt uns an allen Enden daran. Sehen Sie hier!« rief er und zog das Blatt Papier unter seinem Kopfkissen hervor, indem er es nun mit kecker Stirn als einen Beweis für seine Behauptung verwendete, während es doch vielmehr das Gegenteil hätte beweisen können. »Hier sehen Sie die Summe, die wir selber haben müssen, um die notwendigen Ausgaben zu decken. Annähernd 40 Millionen!«
Der König ballte die Fäuste. »So muß also der König von England verhungern?« rief er zornig. – »Sire,« versetzte Mazarin kalt, »ich nannte Ihnen schon oft als Ausdruck der gesundesten Politik das alte Sprüchwort: Freue dich deiner Armut, wenn nur dein Nachbar auch arm ist.« – »Und es ist ganz unmöglich, mir die Million zu beschaffen, die ich verlange?« – »Ganz unmöglich.« – »Bedenken Sie, Karl II. wird unser Feind, wenn er später doch noch den Thron wieder besteigt.« – »Wenn das Ihre einzige Sorge ist,« antwortete Mazarin, »so können Sie einstweilen noch ruhig schlafen. Doch, Majestät, wenn ich Ihnen auch dies abschlagen muß, verlangen Sie etwas anders, und ich will all Ihre Wünsche erfüllen.«
»Gut!« rief Ludwig freudig, »ich halte Sie beim Wort. Ich verlange etwas, das leichter zu beschaffen ist als eine Million.« – »Etwas für sich selbst, Majestät?« fragte Mazarin, in der Erwartung, daß nun endlich die Rede auf Maria Mancini kommen würde. – »Nein, nicht für mich, sondern ebenfalls wieder für meinen Vetter Karl.« – »Majestät!« unterbrach Mazarin ihn in strengem Tone, »ich weiß sehr wohl, was nun kommen soll. Soll ich Ihnen wiederholen, was der Brite zu Ihnen gesprochen hat. ›Wenn dieser Geizhals,‹ hat er gesagt, ›dieser filzige Italiener –‹ – »Nicht doch, Eminenz!«
»In diesem Sinne hat er sich ausgedrückt, vielleicht genau in diesen Worten,« fuhr Mazarin unbeirrt fort. »Ich bin ihm deshalb nicht böse, Sire. Jeder Mensch sieht durch die Brille seines Temperaments. ›Wenn dieser filzige Italiener,‹ hat er also gesagt, ›Ihnen die Million verweigert, ob aus wirklichem Geldmangel, ob aus politischen Rücksichten, so fordern Sie für mich fünfhundert Mann –‹«
Der König sah den Kardinal betroffen an. Mazarin fuhr fort: »›Wenn sie Frankreichs Banner, französische Uniformen um mich geschart sehen,‹ – so hat Karl II. gesprochen – ›dann wird der Sieg mein sein. Ihnen aber wird die Ehre gehören.‹ Und das hat er wahrscheinlich noch mit ein paar Phrasen aufgeputzt, denn die ganze Familie ist geschwätzig; der König hat sich sogar noch auf dem Schafott als Schwätzer gezeigt.« – Ludwig war entrüstet, als er seinen Blutsverwandten so beschimpfen hörte, allein er wußte nicht, was er Mazarin entgegnen sollte. »Herr Kardinal,« antwortete er, »ich habe nie an Ihrem Scharfblick gezweifelt, und Sie haben im Grunde auch hier wieder richtig geraten; allein es handelt sich nicht um 500, sondern nur um 200 Mann. Ich war überzeugt, Sie würden meinem Vetter Karl eine solche Kleinigkeit nicht abschlagen.«
»Majestät,« erwiderte Mazarin, »ich treibe nun schon 30 Jahre lang Politik: erst unter Richelieu und nun selbständig. In dieser Politik habe ich nicht immer das Gebot der Ehrlichkeit befolgt, das gebe ich gern zu, aber ungeschickt waren meine Schachzüge nie. Die Politik jedoch, die Eure Majestät in diesem Augenblick befolgen will, ist beides zugleich: unredlich und ungeschickt.« – »Unredlich, Eminenz?« brauste der König auf. – »Sire, wir haben einen Vertrag mit Cromwell geschlossen, und dieser Vertrag besteht, obwohl Cromwell tot und sein Sohn das Protektorat niedergelegt hat, dennoch zu Recht. Warum wollen Sie ihn nun umgehen, Sire? Es hat sich ja noch nichts geändert in England. Das Unrecht würde auf unserer Seite sein. Ein Krieg könnte daraus entstehen; denn ob Sie 500 oder 200 Mann nach England schicken, das bleibt sich gleich. Ja, eine einzige französische Uniform repräsentiert in solchem Falle schon die ganze Nation, stellt eine Armee vor. Karl II. wird bereits von Holland beschützt. Nun, lassen Sie doch Holland mit ihm fertig werden. Lassen Sie doch England und Holland um seinetwillen aneinandergeraten und sich befehden. Es sind die beiden einzigen Seemächte, und sie mögen getrost ihre Flotten gegeneinander aufreiben. Aus den Trümmern bauen wir uns Schiffe. Nein, nein, Majestät, lassen Sie die Finger davon! Karl II. gibt Ihnen nicht die geringste Gewähr für einen vorteilhaften Ausgang des Unternehmens, und was er als Heerführer leisten kann, das hat er bei Worcester bewiesen.«
»Dort focht er gegen Cromwell, und Cromwell ist nicht mehr,« versetzte Ludwig. – »Aber Monk ist noch da, und der ist noch gefährlicher als Cromwell,« antwortete die Eminenz. »Cromwell war ein Bierwirt und zugleich ein Schwärmer. In Augenblicken der Begeisterung, der Verzückung deckte er seine ganze Seele auf. Aber Monk! O, Gott bewahre Eure Majestät vor Monk! Wegen dieses Menschen habe ich seit einem Jahre graue Haare bekommen. Monk offenbart uns nie, was in seiner Seele vorgeht, was für Ziele er verfolgt. O, fallen Sie nur nicht diesem verschlossenen, starrsinnigen Politiker in die Hände, der nicht nur Politiker, sondern auch Soldat und Feldherr ist. Sein Helm ist ein eiserner Koffer, der alle seine Pläne enthält, und den Schlüssel dazu hat kein Mensch. Und ebenso soll Karl II. sich ja hüten, mit Monk zusammenzugeraten, es würde vernichtend für ihn ablaufen. Majestät könnten Ihrem Vetter allenfalls eine Jahresrente aussetzen und eins Ihrer Schlösser zur Wohnung überlassen – doch nein! auch das können Majestät nicht, denn der Vertrag mit England enthält für Sie ausdrücklich die Verpflichtung, Karl II. nicht in Ihrem Lande aufzunehmen.«
»Halt!« rief Ludwig dazwischen, »Sie haben das Recht, mir eine Million und 200 Soldaten zu verweigern, denn Sie sind der leitende Staatsmann meines Reichs, aber Sie haben nicht das Recht, mir Gastfreundschaft gegen meinen Vetter zu verbieten. Hier endet Ihre Macht, hier beginnt mein Wille.« – »Majestät,« antwortete der Kardinal, der froh war, seinen Zweck soweit erreicht zu haben, »den Willen meines Königs werde ich stets respektieren. Geben Sie Karl II. Obdach auf einem Ihrer Schlösser, Mazarin darf darum wissen, der Minister allerdings nicht.« – Mit einem flüchtigen Gruß entfernte sich der König. Er fand Karl II. in fast unveränderter Haltung auf dem gleichen Fleck sitzend. Der Brite stand auf und sah den Franzosen prüfend an. »Sie bringen mir keine gute Nachricht,« sprach er, »doch gleichviel, Sie sind gut und freundschaftlich zu mir gewesen, und das werde ich Ihnen nie vergessen.« – »Es muß allerdings leider bei meinem guten Willen bleiben,« antwortete Ludwig traurig. – Karl wurde blaß und taumelte ein wenig. »Dann habe ich nichts mehr zu hoffen,« murmelte er und machte eine Bewegung, als wollte er gehen. – »Uebereilen Sie nichts, Vetter,« rief Ludwig, ihn zurückhaltend. »Begeben Sie sich auf eines meiner Schlösser und warten Sie ab, wie die Dinge sich entwickeln werden. Wir können dann gelegentlich beraten, was weiter zu tun ist.«
Karl trat zurück. »Ich habe den größten König der Erde erfolglos um Hilfe gebeten,« sprach er in schmerzlichem Tone, »nun kann ich nur noch Gott um ein Wunder bitten.« – Er verneigte sich und ging in stolzer Haltung, mit dem Ausdruck tiefsten Schmerzes in den Zügen, hinaus. Der Musketier-Leutnant schritt ihm auf dem Korridor mit einer Fackel voran. An der Tür richtete der verstoßene König das Wort an den Offizier. »Sie sagen, Sie haben meinen Vater gekannt?« sprach er, »vielleicht haben Sie für ihn gebetet. Ist dem so, dann vergessen Sie auch mich in Ihren Gebeten nicht. Begleiten Sie mich nicht weiter!« – Der Offizier verneigte sich und kehrte mit seinen Musketieren ins Schloß zurück. – »Ein erbärmlicher Dienst!« brummte er vor sich hin. »Ich habe es satt, mich für einen König aufzureiben, der am Gängelbande eines Ministers und einer Mutter hängen bleibt.«
Er trat eben ins Vorgemach, als aus dem Innenzimmer jemand ihn rief. – »Was gibt's?« versetzte er. – »Der König will Sie sprechen,« war die Antwort. – »Hollah!« murmelte der Recke, »vielleicht wird's nun doch anders.«
Als der König den Offizier eintreten sah, entließ er den Kammerherrn und Kammerdiener, schritt einige Male im Zimmer auf und ab, wie jemand, der gern reden möchte, aber den rechten Anfang nicht findet, und blieb schließlich vor dem Haudegen stehen, der in kerzengerader Haltung vor ihm stand und ihn fest ansah. Nach einer Pause drehte sich der König wieder um und begann von neuem hin und her zu schreiten. – »Er hat nicht für einen Heller Courage,« murmelte der Leutnant in seinen Schnauzbart. »Er ist nicht nur hochmütig und geizig, sondern auch furchtsam. Der Teufel hole solch einen Dienst.« – Endlich blieb Ludwig abermals stehen, und jetzt öffnete er zögernd die Lippen und sprach: »Leutnant, hören Sie mich an.« – »Ob nun doch einmal eine Probe von persönlichem Willen und Mut kommen soll?« dachte der mit dem Schnauzbart bei sich, warf die grauen Locken in den Nacken und schnarrte: »Zu Befehl, Majestät.«