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Das Zeitloch umgreift und erfährt alle Zeit und ist doch ganz außerhalb. In diesem Sinne tritt Alexander Zeitloch an, um im Geiste des Chaos an Weltbildern zu rütteln, die durch Herkömmlichkeit zu überzeugen trachten. Zum ersten Mal liegen hier alle Zeitlochgeschichten von Stefan Soeffky in einem Band vor, ergänzt durch Kurzgeschichten und Gedichte aus Soeffkys Studienjahren und seiner Zeit als Redakteur des Grossalarm.
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Seitenzahl: 91
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Alles – Nichts geht mehr
Wünsch dir was
Blutläppchen und das Böse…
Zeitloch im Horrorwitz
Ein eigener Wille
Einsichten
Eine Bewusste Fehlinterpretation der Einsichten
Zen-Duell auf einer Schweizer Luftmatratze
Liegengelassen auf einer Decke aus Schnee
Gut Getroffen
Aus der Traum
Walpurgislachen
Der schottische Elefant
Zenquisition
Hund und Zebra
Zeitlochs Testament
Zeitlochs Nachbarin
Kalte Katzen
Relative
Nichts – Alles geht wieder
Die Land weite weg
Das Auge öffnet sich.
Die Schleier verschwinden:
das Innere des TEMPELS,
eines Etablissements, in dem feuerspeiende Drachen üppige Frauen in winzigen Stofffetzen vergewaltigen und Trottel auf Einrädern die bekanntesten Songs von Andrew Lloyd Webber, Scooter und Pur zum Besten geben, während außerirdische Raumfahrer mit riesigen Köpfen und schwarzen schräg stehenden Augen die Caesaren, aus denen sich das Publikum zusammensetzt mit Pfauenfedern am Gaumen kitzeln und Armeen von Ratten und Ungeziefer für die schnelle Beseitigung von Exkrementen und Erbrochenem sorgen. Ab und zu erhebt sich aus dem Bodensatz eine ehemalige Raupe, die es nach langem Sparen und mit Hilfe der besten Anlageberater zum Schmetterling gebracht hat, und schwirrt hinauf in die Baumkronen, aus denen ohne Unterlass Blütenblätter in allen Farben des Orients und des Okzidents herabregnen, denn es ist Frühling.
Das Auge öffnet sich.
Die Schleier verschwinden:
eine feuchte Gasse,
am Hinterausgang des Tempels,
und die Tür öffnet sich.
Heraus tritt Alexander Zeitloch, der innerhalb kurzer Zeit zum Propheten werden aber vorläufig nicht als solcher in die Geschichte eingehen wird, da die Geschichtsschreibung erst etwa 250 Jahre nach seinem Tod wieder aufgenommen werden wird. Dann allerdings wird man die zahlreichen Mythen, die sich um ihn ranken, festhalten und sich wundern.
Man wird sich erzählen, er sei ein Waisenkind gewesen, das von einem Fernseher adoptiert und aufgezogen worden ist und deshalb schon im zartesten Kindesalter alles gesehen habe, was ein Mensch nur sehen könne. Eines Tages tritt er dann jedoch heraus an die Luft und ist – wider Erwarten (Ich, hoffe, lieber Leser, ihnen ist klar, warum diese Parenthese vollkommen überflüssig ist!) – überrascht, von dem, was er sieht.
Er sieht nämlich eine Gruppe von bleichen, dunkel gekleideten Gestalten, die ihre Körper langsam zu einer wohl nur für sie hörbaren Musik wiegen und Alexander mit einem Ausdruck in ihren Gesichtern ansehen, der unersättliche Gier und Todesangst in sich vereint.
„Wer seid ihr?“ fragt Alexander mit einer Naivität und Unvoreingenommenheit, die sich von Gleichgültigkeit nur durch einen großen Anteil Neugier unterscheidet, und die unter den Menschen einzigartig und auf Alexanders eigentümliche Erziehung zurückzuführen ist.
Ein Schauer geht durch die Gruppe der Schwarzgekleideten, und dann antworten sie im Chor:
„Wir sind der Zauberer von ICH!
Mit dünnen Hälsen, dunklen Mänteln,
langen Fingern, weißer Haut,
begaffen wir die Götter dieser Ära,
die schreiten,
auf dem Weg ins Licht
der Scheinwerfer,
vollbelippte gutbestückte Pornostars
beider rosigen Geschlechter
so frei, so sternengleich funkelnd
anzusehen,
so voller Geilheit auf Leben,
erfrischend sinnlos das Ganze,
und so keimt die Frage
auf im Geiste:
‚Wer hat mich verflucht?
Wer zog den Bannkreis,
der mich hält,
und wer befahl mir die quälende Frage
nach Sinn,
die mich umkreist,
seit Zeiten weit in der Vergangenheit?‘
So steht man in Scharen und Schatten
und im Warten züchtet man Fragen
bis man verzückt entzuckert
sieht,
wie sich Offenheit der Fragen weitet,
in Offenheit des Himmels mündet,
und konsterniert man konstatiert:
‚Ich bin im Paradies.‘“
Daraufhin verstummen die Gestalten und man hört nur das leise Rascheln ihrer Mäntel, während sie sich zu einer nur für sie hörbaren Musik wiegen.
„Möchtet ihr nicht wissen, wer ich bin?“ fragt daraufhin Alexander, der noch nicht versteht, dass nicht alle Menschen so neugierig sind wie er. Als er keine Antwort von dem raschelnden Chor erhält, antwortet er trotzdem:
„Ich war, bin und bleibe ein Loch in der Zeit.
Ich bin einer, der dem Schweigen seine Stimme weiht.
Ich will ein Loch in eure Zeit reißen,
will mich in eurem bunten Netz festbeißen,
will auf hunderttausend Schlipse treten,
nie mehr um eure Gnade beten,
will zu euren Herzen sprechen
und euch eure Hirne brechen,
werd´ mich mit eurem Glauben rangeln
und mit der Wahrheit eure Seelen angeln.
Ich habe keine Lust zu warten
auf Chancen oder bessere Karten,
denn jetzt und hier ist Zeitlochs Zeit.
Ich sprenge die Vergangenheit,
hab das Meer der Zeit verlassen
und lass im Himmel darüber eure Lügen verblassen.
Ich weiß meine Worte erscheinen nicht wahr,
denn im Reich der Blinden ist der Einäugige unsichtbar.
Notfalls werd´ ich allein am Ende der Zeiten
auf den Wellen der Intuition nach Hause reiten.
Denn ich war, bin und bleibe ein Loch in der Zeit,
bin der, dem das Schweigen seine Stimme leiht.“
Daraufhin fangen der Zauberer von ICH und alle seine Mitglieder schrill an zu kreischen und die Schwächeren von ihnen zerfallen zu Staub, eine besonders laut kreischende Greisin läuft auf Alexander zu, packt ihn am Kragen und brüllt: „Du verstehst uns nicht! Duu versteeeehst uuuuns niiiiicht! usw.“ Andere schreien: „Das hat dir der Teufel gesagt!“ oder „Ich schmilze! Ich schmilze!“ oder „Weiche von mir, Satan!“ oder „Hilfe, ich brenne!“
Angewidert rotzt ihnen Alexander entgegen: „Reißt euch doch mal zusammen! Ihr benehmt euch wie ein Klischee!“, worauf die Greisin entgegnet:
„WIR SIND EIN INDIVIDUUM!
Aber warte nur!
Mach die Augen weit auf
und die Beine breit,
und lass dich ficken von dieser Zeit!
Dann…
Ja dann…
Wirst du uns verstehen!!!“
Der Chor beendet seinen Vortrag mit schallendem bedrohlichem Gelächter. Doch einer von ihnen beginnt leise zu zweifeln. Er wird Alexander Zeitlochs erster Jünger.
Da Alexander in seinem Leben schon bessere Vorstellungen geboten bekommen hat, wendet er sich gelangweilt ab und geht. Auf dem Weg durch die nächtliche Stadt küsst ihn eine Muse und verlangt dafür 3 Euro 10. Alexander gibt ihr das verlangte Geld und beginnt sofort laut vor sich hin zu dichten:
„Der Stein der Weisen liegt in dir, mein Freund!
Dein kleiner Stein der Weisen…
Er flackert im Schein eines Bildschirms,
pulsiert im Rhythmus der E-Gitarren
und rast durch die Zeit
in Synchronizität mit den Wellen
des Äthers, des Handy-TV-Netzwerk-Betrugs.
Es liegt was in der Luft…
Eingestöpselt in Schwingungen…
Intravenös ins Internet…
In Wahrheit schwimmend
doch blind für das Wissen
liegst du Mercurius
- einst Zweifelskeim -
jetzt Licht unter Vielen,
Lampe unter Sternen
geduckt.
Aufrichtig kuschend,
betrogen,
verkauft,
denn nur du kannst Blei in Gold
verwandeln.
Doch hab keine Angst!
Du bist nicht allein,
bist Teil einer Zielgruppe.
Man saugt euren goldenen Schein,
du ehemals wissender Stein,
du gläubiger Spender von Scheinen.
Und bald schon erwachst du wieder
aus diesem Gedicht
in die Traumzeit Zweitausend
und blickst vielleicht in mein Gesicht.
Und während ich dir offen in die Augen seh,
fragt ein anderer hinterrücks in die
Bauchgegend zielend:
Where do you want to go today?“
Das Auge öffnet sich.
Die Schleier verschwinden:
Kinder spielen mit ihren Schreien; misstrauische Götter schmeißen mit faulendem Obst um sich, unersättlich wie nur Götter es können, doch ein kleines Mädchen hat sich wehgetan und weint um so lauter je länger es von niemandem beachtet wird, bis plötzlich eine der Göttinnen, sie trägt einen so alltäglichen Namen wie Katrin oder Christina oder Nicole oder Jennifer oder Marion, dem Mädchen mit einer Ohrfeige befiehlt aufzuhören. ERFOLG! Das kleine Mädchen, es hat einen so alltäglichen Namen wie Katrin oder Christina oder Nicole oder Jennifer oder Marion, wird Jahre später ein Instrument lernen und sich darüber wundern, dass es am liebsten traurige Stücke spielt, und weitere Jahre später wird es ihrem Freund Vorwürfe machen, die dieser nicht versteht, und noch ein wenig später wird es schlechtes Gras rauchen und mit einem ernsthaften Anfall von Paranoia in einer Ecke kauern und sich schwören: „Nie wieder!“
Das Auge öffnet sich.
Die Schleier verschwinden.
Einer der Götter lehnt an einer mit Konzertplakaten bedeckten Wand und singt:
FATE
PLAYS
SUCH DIRTY TRICKS ON ME
FATE
ist vielleicht auch nur die Rache von Zeus, von Jehova, von Odin, von Osiris, die alle zerquetscht am Boden liegen, zertrampelt von Göttern, die so alltägliche Namen tragen wie Katrin oder Christina oder Nicole oder Jennifer oder Marion oder Stefan oder Harry oder Christian oder Walter oder Markus, - am Boden -zusammen mit faulendem Obst. In diesem Augenblick kommt Alexander Zeitloch des Weges und der Gott, der an der Wand lehnt, sagt: „Fürchte dich vor mir, denn ich bin der Gott, der an einer Wand lehnt.“ Alexander Zeitloch antwortet: „Ich fürchte mich vor dir, denn du bist der Gott, der so mächtig ist, dass er an einer Wand lehnen muss. Aber was ist es, das du mir zu sagen hast.“
„Ich werde dir deinen Tod verkünden, Alexander Zeitloch!“ antwortet da der Gott, der an einer Wand lehnt. „Du wirst in zwei Minuten sterben, weil dich jemand verwechselt.“ Im nächsten Augenblick lässt ein anderer Gott die Wand verschwinden, und der Gott, der an einer Wand lehnt, fällt um.
Alexander Zeitloch geht noch um zwei Straßenecken, als ein Mädchen, es hat einen so alltäglichen Namen wie Katrin oder Christina oder Nicole oder Jennifer oder Marion, auf ihn zugestürzt kommt und brüllt: „Du hast mich als Kind geschlagen!“ Noch bevor Alexander etwas antworten kann, hat sie ein Messer in seine Brust gestoßen.
Das Auge öffnet sich.
Die Schleier verschwinden:
Jetzt ist Alexander Zeitloch endgültig jenseits der Zeit, und dort verfasst er sein, wie er glaubt, letztes Gedicht.
Der Rosengarten der Philosophen
Ideal wäre doch
eine Mischung aus Disneyland,
Universität
und Sozialismus,
und dazu ein Sigmund Freud,
der ein bisschen auf uns aufpasst.
Aber noch gibt es Mütter,
die ihre Söhne erschießen
und das als Befreiung verstehen,
und noch gibt es Menschen, die glauben
irgendjemand müsse
auf elektrischen Stühlen zugrunde gehen,
damit es uns gut geht,
während doch in mir jemand sitzt,
der hat mir mal einen Rosengarten
versprochen.
Aber wozu Kultur,
sagt ihr euch,
wenn wir auch wunderschöne,
blühende
Explosionen
aus Blut und Dreck und Exkrementen
erzeugen können,
wir ganz allein.
Gottgleich.
Allein.
Seit ihrer Geburt konnte Anna Schubert fühlen, riechen, hören und sehen. Aber sie konnte sich kaum selbständig bewegen und nicht sprechen. Sie konnte hauptsächlich nicken und lächeln. Ärzte hatten ihren Eltern gesagt, sie sollen mit ihr reden, damit Anna lerne zu denken, als könne sie ganz normal kommunizieren.
Als Anna zehn war, kam ihr kleiner Bruder Jan zur Welt. Sie mochte ihn. Als Jan fünf war, hasste er Anna, weil ihre Eltern ihr mehr Aufmerksamkeit schenkten als ihm.
Als Jan langsam in die Pubertät kam, begann Anna ihn zu hassen, weil er Dinge tat, die sie nie würde tun können.
Als Jan 14 und Anna 24 war, lasen ihre Eltern in einer Zeitschrift, einer Gruppe von Parapsychologen und Physikern sei ein bahnbrechender Durchbruch auf dem Gebiet der Psychophysik gelungen. Sie hatten einen per Gedankenkraft zu betätigenden Schalter entwickelt. Der Schalter könne nach einiger Zeit des Trainings von jedem auf jede beliebige