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Prometheus, der Teufel selbst, erzählt uns die Geschichte von Hannes Harlekin, der sich vom glücklichen Kind zum melancholischen Jugendlichen und dann fast zu einer Erlöserfigur entwickelt. Immer wieder und immer stärker greift Prometheus in Hannes´ Leben ein bis es eines Tages zum Eklat kommt. „Prometheus' Tod“ vereint Romantik und Humor, Mystik und Satire, Ansichten über die Ewigkeit und solche über den Zeitgeist. Zum Schluss wird ein seltsames Spiel mit Erzählperspektiven so manchen Leser bestricken und mit verändertem Blick von diesem Buch aufschauen lassen.
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Seitenzahl: 141
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Kapitel
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Am 18. April 2002 kehrte ich aus einer vier Tage andauernden, tiefen Meditation zurück. Ich hatte die Bibliothek bereist, die die Geschichten aller Menschen enthält, die bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt geboren wurden. Es ist nicht wirklich eine Bibliothek, oder eine Chronik, es ist auch kein Netzwerk, wie manche Mystiker, die nicht klar sehen konnten, es beschrieben. Es ist vielmehr eine Art Strang aus Empfindungen, ähnlich einem Baumstamm, von nicht ganz realen Orten und Ereignissen klar abgegrenzt durch die Sicherheit menschlicher Erkenntnis. Der Erfinder dieser ehrlich gesagt vermeintlichen Sicherheit bin ich, der Erzähler eines unverschämten Witzes, der nicht enden will, so sehr auch die Götter im Olymp und sonst wo über ihn lachen.
Mein Name soll kein Geheimnis bleiben. Er lautet Prometheus. Und der Name des jungen Mannes, dessen Vergangenheit ich nach meinem Erwachen aufzuschreiben begann, war zu jenem Zeitpunkt auch kein Geheimnis mehr. Sein Name, den ich niemals ohne Amüsement zu denken vermag, ist Hannes Harlekin.
Hannes Harlekin wurde geboren als Kind des Schaustellers Paul Harlekin und der Physikstudentin Marion Harlekin, geborene Waldsänger. Hannes’ Mutter war eine äußerst lebhafte blonde Schönheit, deren grüne Augen stets alles sahen, was kommentiert werden kann. Von ihr lernte der ansonsten häufig schweigsame Paul Harlekin vieles zu kommentieren, von dem man erwartet hätte, dass es seiner Aufmerksamkeit völlig entging. Paul Harlekin war niemals in seinem Leben dumm gewesen, er galt nur als dumm - bis er seine Marion gefunden hatte, die ihn verhext zu haben schien. So zumindest sahen es viele der Schausteller, die Paul von Kindesbeinen an kannten.
Als Marion, im vierten Monat schwanger, ihr Physikstudium an den Nagel hing und ihren Eltern, Karl und Eva Waldsänger, ihren Verlobten vorstellte, reagierten diese höflich. Aber entzückt waren sie nicht gerade darüber, dass ihre Tochter große Teile ihres Lebens nicht in einem Atomkraftwerk, sondern lieber in einem Wohnwagen zubringen wollte. Als bei der Hochzeitsfeier drei Wochen später, für die man einen Achtpersonentisch reserviert hatte, Marion sagte, dass sie beim ersten Geburtstag ihres Kindes in etwa sechzehn Monaten eine größere Feier veranstalten wolle als jetzt bei ihrer Hochzeit, horchten die Waldsängers auf und rechneten kurz nach. Dann entstand eine flüchtige Verwirrung als Großvater Karls Zigarre auf die türkisfarbene Tischdecke fiel und er ein Kännchen Kaffee bemühte, besser gesagt es über dem Tisch leerte, um das Brandloch nicht allzu groß werden zu lassen, während seine Frau in einen plötzlichen Weinkrampf verfiel.
Großmutter Harlekin erschrak viel mehr über die versaute Tischdecke als über die freudige Nachricht und Großvater Harlekin verfiel in ein nicht enden wollendes Klopfen auf die Schulter seines Sohnes, das nur unterbrochen wurde durch Kneifen in seine Wange und diverse Zeitlupenkinnhaken, die Marion zu einem verliebten Schmunzeln brachten und Paul in Verlegenheit. Er wurde sogar zu beiden Seiten seines Schnurrbartes rot.
Als Hannes Harlekin dann im Sommer auf die Welt kam, war sein Großvater Willi Harlekin auf der Kirmes, um seinen nicht enden wollenden Monolog von freier Auswahl und Hauptgewinn zum Besten zu geben. Aber die übrigen Großeltern und Paul und Marion hießen den Jungen herzlich Willkommen. Das Gesicht des Kleinen wurde fotografiert und mit allen an- und abwesenden, lebenden und toten Verwandten verglichen. Ein Rätsel konnte jedoch nicht geklärt werden: von wem der Junge nur das tränenförmige Muttermal unter seinem rechten Auge geerbt hatte.
Hannes fühlte sich auf Anhieb wohl in seiner Familie. Er schrie verhältnismäßig wenig für einen Neugeborenen und als er gefüttert wurde, schworen Oma Eva und Oma Teresa, dass der kleine lächle, wogegen Bankdirektor und Opa Karl Waldsänger sofort Einspruch erhob: „Kleine Kinder lächeln frühestens ab dem dritten Lebensmonat. Hannes schmatzt nur.“
Tochter Marion und Schwiegersohn Paul sahen all das als unwichtig an. Wichtig war ihnen nur, dass die so verschiedenen Großelternpaare bei allen Vorbehalten gegenüber einander und bei allen jeweils angeborenen oder mit der Zeit gewachsenen Schrullen wenigstens darüber einig waren, einen ganz vorzüglichen, weil gesunden Enkel zu haben.
Dass es vielleicht schwer werden würde für Hannes, daran glaubte in diesem Moment nur Marion, aber sie schwieg darüber. Sie wusste, dass ihre Eltern Paul niemals ganz akzeptieren konnten, denn jemand, der sein Zuhause, in dem weder eine Goethe- noch eine Nietzschegesamtausgabe zu finden ist, den ganzen Sommer über hinter sich lässt, musste für sie eine windige Person sein.
Die Vaterschaft wurde vorläufig als größte Leistung ihres Mannes angesehen, der nicht nur schwere körperliche Arbeit beim Aufbau von Geisterbahnen verrichten konnte, sondern es auch verstand, mit verschiedensten Menschen, seien es Betrunkene oder Kinder, am selben Tag auf die jeweils richtige Art umzugehen, wenn sie sich über ihre Gewinne an der Losbude freuten oder beschwerten.
Familie Harlekin besaß eine verspiegelte und pinkfarbene Losbude, eine Geisterbahn, die alle paar Jahre von Außen komplett umgebaut wurde, und einen Eisstand, von dem aus Teresa Harlekin Vanille- und Schokoladeneis unter die Leute brachte, das seit den zwanziger Jahren von ihrer Familie nach dem gleichen Rezept hergestellt wurde.
Zum ersten Mal nahm ich Hannes zur Kenntnis, als er mit viereinhalb Jahren vom Stand seiner Großmutter zu mir herübergelaufen kam und meine linke Hand ergriff. Der Eisstand war bereits fertig aufgebaut, aber der Geisterbahn fehlten noch einige Schreckgespenster, die an diesem Freitagnachmittag noch montiert werden mussten.
„Bringst du mich nach Hause?“ fragte Hannes und schleckte an seinem Schokoladeneis. Das Vanilleeis fand er schon in diesem Alter ungenießbar, wie ich übrigens auch seit ich es 1936 zum ersten Mal probiert hatte.
„Wo bist du denn zu Hause?“
„Hinter der Geisterbahn“, sagte Hannes. Die Geisterbahn war vom Eisstand nur durch die Harlekinsche Losbude getrennt, also begleitete ich Hannes sozusagen innerhalb seines Zuhauses ein paar Zimmer weiter. Als Teresa Harlekin von ihrem Stand aufschaute nahm sie natürlich Anstoß an mir und rief herüber: „Hannes, lass doch den Herren zufrieden!“
„Manno, Oma! der bringt mich doch nur nach Hause!“ rief Hannes zurück.
Natürlich waren sofort die Blicke der ganzen anwesenden Familie auf mich gerichtet. Willi und vor allem Paul waren alarmiert, aber warteten ab. Sie standen vor der Geisterbahn zusammen mit Wahrsagerin Marga, die den beiden gerade einen starken polnischen Kaffee gebracht hatte. Argwöhnisch wurde jeder meiner Schritte beobachtet, während ich Hannes oder er mich in einem großen Bogen auf die Geisterbahn zuführte. Eine der Figuren war übrigens ein äußerst muskulöser Teufel mit lang gezogenem Gesicht. Hannes hatte großen Respekt vor seinem glühenden Blick und ich bemerkte wie er mich etwas eilig weiter zog, bis der Dämon uns nicht mehr direkt angrinste, sondern nur noch den grauen Asphalt.
„Der sieht aus wie du“, sagte Hannes so laut flüsternd, dass man es bis zu der Gruppe von Schaustellern, der wir uns näherten, hören konnte. Tja, der Teufel ist tatsächlich niemand anderer als ich, aber dass Hannes das so sah, überraschte mich schon, denn mein Gesicht ist eigentlich ganz und gar menschlich. Es wirkt wohl etwas streng, bedingt durch die immense Verantwortung, die ich trage, aber meine Augen sind stets voller Mitgefühl und glühen niemals so lüstern und grausam wie die des großen roten Teufels mit dem schwarzen Pelz an den Bocksbeinen, der scheinbar von der Geisterbahn herab springen wollte. Aber Hannes hatte die Ähnlichkeit gesehen, die mir selbst nicht auffallen wollte und leider erkannte mich so auch Marga.
Ich hasse es, Hexen und Magier zu treffen, die mich als den identifizieren, der ich bin. Die meisten von ihnen wissen nicht, dass ich sie vergiftet habe, dass ich ihnen an irgendeinem Punkt in ihrem Leben eine Existenz geschenkt habe, die an der Absurdität von Gottes Schöpfung verzweifeln muss. Die meisten von ihnen verstehen so gut wie überhaupt nichts, können so wenig zweifeln wie die meisten Menschen und führen dann ein Leben in permanentem Selbstbetrug. Sie nehmen zumeist alles für bare Münze, was nur alt genug ist. Durch ihr Unverständnis der verborgenen Kausalität nehmen sie an, alte Mythen seien näher am Ursprung als neuere. Auf ihren Glauben an diese Mythen, diese Lügen und Irrtümer, auf ihr vermeintliches Verständnis davon führen sie ihre paranormalen Fähigkeiten zurück, während diese immer nur auf den einen Moment in ihrem Leben zurückgehen, in denen ich sie die paradoxe Verbindung zwischen Seele und so genannter materieller oder objektiver Wirklichkeit habe ahnen lassen.
Marga hatte ich, als sie siebzehn Jahre alt war, kurz in meine Nähe geholt als sie auf Grund des schweren Krebsleidens ihrer frommen Mutter an Gottes vermeintlicher Güte zweifelte. In meiner Heimat, in der Psyche, in dem, was Nietzsche Hinterwelt nannte, zog sie sogleich die richtigen Hebel und erwachte mit dem Wissen, dass sie ihre Mutter geheilt hatte, die sich bald schon von ihrer Krankheit erholte.
Als Marga mich nun an diesem sonnigen Nachmittag in den frühen achtziger Jahren auf sich zukommen sah, hatte sie so etwas wie ein Deja Vu. Sie erschrak so sehr als sei ich ihr Tod. Ihr wollte zuerst nicht einfallen, wie man mich einordnen könnte. Sie wusste, dass sie mich noch nie gesehen hatte und doch schien ihr meine Anwesenheit wie das Einlösen eines uralten Versprechens. Diese Intuition und die Tatsache, dass Hannes meine Identität offenbart hatte, ließen urplötzlich angstvolle Zweifel in ihr aufsteigen.
Durch ihre christliche Erziehung geprägt hatte sie sich nie wirklich als Hexe verstanden. Sie glaubte Gaben zu haben, und dachte sie habe diese von Gott. Mit schwarzer Kleidung, Kristallkugel und ausgestopften Raben umgab sie sich nur, weil man als Hexe in der modernen Welt überleben konnte, niemals jedoch hätte sie es als Heilige gekonnt, die sie ursprünglich zu sein geglaubt hatte. Jetzt fühlte sie aber, dass ihr ganzes Leben, alles was sie konnte, irgendwie mit mir zusammenhing. Ich nahm ihr förmlich den Gott, ich riss sie durch meinen Blick aus seiner Weltordnung und rückte ihr Dasein ins rechte Licht. Sie wusste jetzt, dass ich ihr die Ahnung verborgener Mechanismen verschafft hatte, die sie bis heute nicht vollständig bewusst erkannte, aber derer sie sich trotzdem in gewissem Maße bedienen konnte.
„Woher kennen wir uns?“ fragte sie mich mit strengem und misstrauischem Blick, als ich Hannes der Obhut seines Vaters und Großvaters übergab. Marga war von dem seltsamen Eindruck, den ich auf sie machte, glücklicherweise derart verblüfft, dass sie nur ganz offen und sachlich fragen konnte, anstatt sich in okkulten Märchenerzählungen und mystifizierenden formelhaften Mutmaßungen zu verlieren, wie es die meisten Anhänger ihrer „Zunft“ tun, wenn sie mir denn einmal in körperlicher Gestalt begegnen.
„Erinnerst du dich noch, als du im Winter 1976 unsere Loge in Heidelberg besucht hast?“ fragte ich sie.
Paul Harlekin kraulte seinem Sohn den Kopf, um ihn von uns abzulenken. Margas schwarze Katze Sibylle strich ihr um die Beine und schaute neugierig zu mir hoch. Marga hatte nie irgendeine Loge in Heidelberg oder sonst wo besucht. Sie hatte lediglich Kontakt zu einigen Kräuterweiblein und einem wenig erfolgreichen satanistischen Rocksänger gehabt, aber nie zu bürgerlichen Okkultisten, die in irgendwelchen Logen organisiert waren. Aber sie hatte tatsächlich einer alten Freundin in Heidelberg im Winter 1976 einen Besuch abgestattet, der ihr gut im Gedächtnis geblieben war, weil sie dort ihren besten Freund und sporadischen Liebhaber, einen immer unpolitischer werdenden 68er, dem ein Buchladen mit großem Esoteriksortiment gehörte, kennen gelernt hatte. Die Situation war für sie etwas verwirrend, da sie sich höchst selten mit der Magie anderer konfrontiert sah. Aber sie war sich sicher, dass sie sich mit mir unterhalten musste, und ich fand, ich war es ihr schuldig.
Hannes legte gerade das letzte Stück seiner Eistüte vor Sibylle auf den Boden, die zuerst vorsichtig an der Süßigkeit schnupperte und dann begann, die Reste von Schokoladeneis aus der Waffel zu schlecken.
„Hannes, möchtest du ein bisschen mit Sibylle spielen gehen?“ fragte ihn Marga. Hannes war begeistert, griff das Tier und wackelte brav auf Anraten seines Vaters zu seiner Mutter in Richtung Wohnwagen.
Mit einem barschen an mich gerichteten „Komm mal mit!“ riss Marga, aus bloßer Verwirrung unhöflich, Paul und Willi Harlekin die noch nicht ganz leeren Kaffeetassen aus der Hand und ich folgte ihr vor den Augen der an Margas schrullige Art gewöhnten Schausteller in ihr kleines schwarzes Zelt neben der Geisterbahn.
„Meinst du jetzt hat Marga endlich mal einen gefunden?“ fragte Willi Harlekin seinen Sohn. „Ich dachte schon, wir müssten sie noch mit dir verkuppeln.“
Paul ließ diese Aussage unkommentiert bis auf ein Schulterzucken und ein wissendes Grinsen, mit dem er sich abwandte, um seiner Arbeit weiter nachzugehen, während der er stets an Marion dachte.
Das Innere von Margas schwarzem Zelt war in jenen Jahren eine kurios eindrucksvolle Kammer, deren Ausstattung wohl letztlich und über Umwege vom deutschen
expressionistischen Kino inspiriert war, wie aber auch vom Jugendstil, der Margas charakterlichen Neigungen eigentlich am nächsten stand, ohne dass sie wirklich wusste, was Jugendstil heißt. Eine spanische Wand mit dunklen Farnmustern, an die Marga ein Poster von M.C. Eschers Möbiusstreifen I gehängt hatte, zierte die Rückseite des Raumes. An der Decke waren mehrere schwarze Raben befestigt, drei davon aus Plastik und einer ausgestopft und unerträglich hässlich, wie er so mit offenem Schnabel und hervorstehenden Augen seine Flügel für alle Zeiten zum Spreizen verdammt in einem künstlichen Nichts herumhing.
Erleuchtet wurde der leider gar nicht unwirklich wirkende Raum von einer immens teuren Kristallkugel aus irgendeinem Esoterikfachversand, die mitten auf einem pseudoantiken braunen Holztisch stand, und von zwei roten Lavalampen, die links und rechts neben der spanischen Wand vor sich hin changierten.
„Ich habe gelernt, Zeichen ernst zu nehmen, wenn sie mich aufsuchen“, sagte Marga, wodurch sie ihre lange Jahre verschleppte Paranoia bewies, die wohl das am weitesten verbreitete Leiden all derer ist, denen ich mal ein mystisches Geschenk gemacht habe. „Ich hatte ein Deja Vu, als du mit dem Jungen auf uns zukamst. Mein heiliger Meister sagt, solche Momente bedeuten immer etwas. Wer kannst du nur sein, dass Hannes in dir den Teufel sieht? Ich habe dich bisher jedenfalls noch nicht getroffen.“
Wer immer dieser heilige Meister sein mochte, von dem Marga da redete, er hatte sicherlich nicht durchschaut, was ein Deja Vu wirklich bedeutete, selbst ich war mir nicht sicher, aber ich sog mir eine Erklärung aus den Fingern.
„Ein Deja Vu entsteht, wenn die mediale Wahrnehmung eines Eingeweihten, der in der Zukunft über das betreffende Ereignis meditieren wird, in einen Zeitfelderkonflikt mit seinem Unterbewusstsein gerät, im Geist eines anwesenden Sensitiven.“
Marga machte große Augen und völlig verwirrt vom damals in Deutschland aufblühenden New Age schien sie ohne jegliche Kritikfähigkeit sofort zu glauben, was ich da erzählte. „Mein heiliger Meister hat mir genau dasselbe gesagt.“
Ich verkniff mir die Bemerkung, dass ich die Theorie, ein Deja Vu sei einfach eine kurzzeitige Fehlfunktion des Gehirns, viel plausibler fand, aber das konnte ich Marga nun wirklich nicht antun, zumal ich den Eindruck hatte, dass sie ihre Esoterikmärchen brauchte, um ihrem Beruf weiter nachzugehen.
„Woher weißt du so etwas? Du scheinst ein Eingeweihter zu sein.“
„Ich habe mich sehr lange nicht mit der Frage beschäftigt, was ein Eingeweihter eigentlich ist. Es gibt auf diese Frage einfach zu viele Antworten, deshalb kann ich dir im Moment nicht so genau sagen, ob ich einer bin oder nicht. Vielleicht träfe die Bezeichnung Teilzeiteingeweihter am ehesten zu.“
Marga war zwar schockiert von einer derart lässigen Intellektualität, aber impulsiv wie sie war, rang sie sich zu einem dogmatischen Protest durch: „Entweder du bist ein Eingeweihter und kennst die Mysterien, oder du kennst sie nicht.“
„Nun, sagen wir mal, ich bin jemand, der manchmal alles weiß, wenn ich es denn will und die Umstände dafür günstig sind, und der manchmal ganz gerne in einem gemütlichen Schlummer der Ignoranz versinkt, um einfach das zu genießen, was gerade vor ihm liegt.“
„Also bist du kein Eingeweihter. Jeder Eingeweihte lebt mit dem ständigen Bewusstsein der allerhöchsten Prinzipien und dient vollkommen der kosmischen Ordnung. Ich habe inzwischen lange genug die alten Mysterien studiert, um das zu wissen.“
Nun, auch wenn Marga sicher davon überzeugt war, eine ganz herausragende Protagonistin des Wassermannzeitalters zu sein, wirkte ihr Mangel an Ironie doch ein wenig entnervend auf mich. So entschloss ich mich dann also, sie mit okkultem Pathos zu überrollen, so gut ich es in jener Situation vermochte, schließlich hatte sie mir nicht einmal einen wahrscheinlich herrlich duftenden polnischen Kaffee angeboten, und wäre sowieso nicht in der Lage gewesen, meine Geisteshaltung nachzuvollziehen, ohne dabei in ein Denken zu verfallen, in dem die Farben Schwarz und Weiß ausgesprochen wichtige und obendrein vermutlich noch uralte ethische Qualitäten bezeichneten. Da jeder Mensch jedes anderen Menschen jüngstes Gericht ist, ist es unmöglich, derartigen Auswüchsen individueller Spekulationsfähigkeit mit heiler Haut zu entgehen, wenn man nicht seinen eigenen Standpunkt so vorbringt, dass das Gegenüber ihn verstehen muss.
Also holte ich einmal tief Luft und ergoss folgenden Wortschwall über Marga: „Ich war der erste der Mystiker. Ich stahl das Feuer, das allein bedeutet,