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Peri Reeds erster Fall
Eigentlich hatte Wissenschaftler Silas Denier nicht vor, ein Held zu sein. Alles was er wollte, ist an seiner Theorie über die Zeitagenten zu arbeiten. Doch mit seinen Nachforschungen kommt Silas Professor Milo, einem der Lehrer an der Opti-Akademie, in die Quere, denn Milo verfolgt seine eigenen finsteren Pläne. Pläne, die sowohl Silas als auch seine Freundin Summer und seinen besten Freund Allen in tödliche Gefahr bringen. Die einzige, die ihnen jetzt noch helfen kann, ist eine junge Zeitagentin namens Peri Reed.
Mit Zeitspiel, der einzigartigen Vorgeschichte zu ihrem neuen Roman Die Zeitagentin, gewährt Kim Harrison dem Leser einen ersten Blick in die aufregende neue Welt von Zeitagentin Peri Reed. Der Text umfasst ca. 85 Seiten.
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Seitenzahl: 117
DAS BUCH
Eigentlich hatte der Wissenschaftler Dr. Silas Denier nicht vor, ein Held zu sein. Alles, was er wollte, ist, an seiner Theorie über die Zeitagenten zu arbeiten. Doch mit seinen Nachforschungen kommt Silas Professor Milo, einem der Lehrer an der Opti-Akademie, in die Quere, denn Milo verfolgt seine eigenen finsteren Pläne. Pläne, die sowohl Silas als auch seine Freundin Summer und seinen besten Freund Allen in tödliche Gefahr bringen. Die Einzige, die ihnen jetzt noch helfen kann, ist eine junge Zeitagentin, namens Peri Reed.
Mit Zeitspiel, der einzigartigen Vorgeschichte zu ihrem neuen Roman Die Zeitagentin, gewährt Kim Harrison dem Leser einen ersten Blick in die aufregende neue Welt von Zeitagentin Peri Reed.
DIE AUTORIN
Kim Harrison wurde in Detroit, USA, geboren. Als einziges Mädchen in einer Großfamilie lernte sie rasch, ihre Barbies zur Selbstverteidigung einzusetzen. Sie spielt schlecht Billard und hat beim Würfeln meist Glück. Wenn sie nicht gerade schreibt, verbringt sie ihre freie Zeit mit Gartenarbeit und pflegt ihre Vorliebe für gute Schokolade und exquisites Sushi. Seit ihrer internationalen Bestsellerserie Rachel Morgan zählt Kim Harrison zu den erfolgreichsten Fantasy-Autorinnen weltweit.
KIM HARRISON
ZEITSPIEL
EINE STORY AUS
DER WELT VON PERI REED
Aus dem Amerikanischen
übersetzt von Frauke Meier
WILHELM HEYNE VERLAG
MÜNCHEN
Titel der amerikanischen Originalausgabe
SIDESWIPED
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Deutsche Erstausgabe 03/2016
Redaktion: Ursula Kiausch
Copyright © 2015 by Kim Harrison
Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe by
Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH,
Neumarkter Str. 28, 81673 München
Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, München,
unter Verwendung von shutterstock/Maxim Shmeljov
Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach
ISBN: 978-3-641-19476-5V001
www.heyne.de
1
Gut einen Meter hinter ihm atmete jemand durch den Mund, was Silas allmählich auf die Nerven ging. Er verlagerte sein Gewicht auf dem Stuhl mit der harten Lehne, beugte sich über die Testfragen auf dem zerkratzten Tablet und gab sich alle Mühe, sich auf seine Abschlussarbeit zu konzentrieren. Aber irgendwer klapperte mit einem Stylus, ein anderer änderte ständig seine Antworten, und das Klick, Klick, Klick lenkte ihn immer wieder ab. Dauernd seufzte jemand, und die frustrierte Anspannung in dem Raum mit der hohen Decke, dessen kunstvolle Dekoration einer eleganteren Vergangenheit entsprang, schlug sich in einem säuerlichen Schweißgeruch nieder.
Silas lehnte sich zurück, drückte die breiten Schultern durch und spürte, wie sich der Stoff seines weißen Hemds über seiner Haut spannte. Sein Jackett lag ordentlich über dem ungenutzten Arbeitsplatz vor ihm, gute sechs Reihen entfernt von dem leeren Lehrertisch. Die meisten Tische waren besetzt, aber er kannte die Leute nicht. Zur Abschlussprüfung hatte man ihn zu dieser Gruppe jüngerer Studenten gesteckt, weil sie genau überwacht wurde und man sich damit den Aufwand sparte, extra für ihn eine Aufsichtsperson bereitzustellen.
Jenseits der Fensterreihe, die weit über Kopfhöhe reichte, konnte er das Gebrüll von Leuten hören, die das Ende des Unterrichts feierten, doch hier, in diesem Raum, herrschten nach wie vor Anspannung und Nervosität. Während er sich wieder dem Test widmete, verzog Silas das Gesicht. Er fühlte sich auf dem schmalen Sitz eingeengt, aber der Arbeitsplatz war eigentlich gar nicht so klein. Nur war er für diesen Platz einfach zu groß und zu kräftig gebaut.
Die Aktivität von Synapsenverbindungen, die mit der Zeit in Resonanz gebracht werden können, kann direkt beeinflusst werden durch: Ernährung, Training, Traumata, synaptische Ermüdung, Umgebungsgeräusche, Drogen. Kreuzen Sie alle richtigen Faktoren an.
Silas benutzte seinen Stylus, um alles anzukreuzen, ließ dann aber Ernährung weg, obwohl er hätte schwören können, dass seine Studenten im Grundstudium nach dem Mittagessen leistungsfähiger waren. Er hatte bisher jedoch noch keine Gelegenheit gefunden, einen Nachweis für dieses Phänomen zu liefern, und als er seinen Dozenten das letzte Mal herausgefordert hatte, war er prompt um eine ganze Note herabgestuft worden.
Gelangweilt sackte er auf seinem Stuhl zusammen, streckte die langen Beine unter dem Tisch aus und überlegte, wie viel Ärger er auslösen wollte. Den Kopf in den Nacken gelegt, blinzelte er die leuchtende Kugel an der Decke an. Sie glühte in einem strahlenden Rot, was darauf hinwies, dass jegliche ein- und ausgehende Kommunikation unterbunden war. Opti liebte seine Spielzeuge beinahe genauso, wie diese Leute es liebten, ihre Studenten bei dem Versuch zu erwischen, solche Spielzeuge zu umgehen – sie förderten dieses Verhalten sogar, und die Strafen für diejenigen, die erwischt wurden, waren hart und erfolgten unverzüglich.
Schmunzelnd richtete er sich auf dem Stuhl auf und tippte auf das Ernährungsicon, um es doch noch hinzuzufügen. Sollte er deswegen Kritik einstecken, so würde er sich zur Wehr setzen. Er musste nur noch dieses Semester hinter sich bringen, um seine Doktorarbeit abzuschließen. Dann würde er auf zwei akademische Titel verweisen können. Gleich darauf schwand Silas’ Lächeln: Nach dem Abschluss würde er sie verlieren. Summer. Sie war mehr als nur irgendeine Freundin, aber wenn Zeitagenten einmal ihre Arbeit aufnahmen, unterhielten sie nur selten dauerhafte Liebesbeziehungen zu irgendjemandem, der nicht ihr Ankerpartner war. Wenn der Herbst kam, würde man Summer ihren ersten echten Anker zuweisen – vermutlich das Aus für ihr Zusammenleben.
Mit einem scharfen Knall und einem Klirren, das nach und nach die ganze Scheibe erfasste, zersplitterte eines der oberen Fenster. Silas blickte auf und hatte kaum genug Zeit, die Drohne von der Größe eines Gullydeckels auszumachen, ehe sie gegen eine Lampe raste, abprallte und direkt auf ihn zukam.
»Pass auf!«, brüllte jemand, und schon rammte sie ihn, und sein Kopf ruckte zurück.
»Ach, verdammt!«, rief er, eine Hand an die Stirn gelegt, als die Drohne abstürzte, über den Boden glitt und zwei Stühle weiter zum Stillstand kam. Das Opti-Logo glänzte im Licht, doch er war ziemlich sicher, dass sich jemand unberechtigt an ihr vergriffen hatte.
»Hey, alles in Ordnung?«, fragte jemand, aber niemand regte sich, denn alle fürchteten, ihre Examina könnten nicht anerkannt werden, sollten sie ihre Plätze verlassen.
»Ja.« Silas verzog beim Anblick des Bluts an seiner Hand das Gesicht. Auf dem Boden brummte und klickte die Drohne, ehe sie den Dienst einstellte. Vom Fenster her ertönte ein leises Knacken, als sich eine zierliche Frau durch den beschädigten Rahmen schwang. Mit der Fernbedienung in der Hand kauerte sie auf dem Sims und taxierte die Studenten, die sie samt und sonders anstarrten. Ihr Gesichtserkennungsschutz verzerrte ihre Züge und machte die Augen zu schwarzen Löchern, während das Kinn schmaler wirkte, als es aller Wahrscheinlichkeit nach war. Schließlich richtete sie sich auf, steckte die Fernbedienung in den Bund ihrer hautengen schwarzen Sportbekleidung und sprang die eineinhalb Meter bis zum Boden hinab, wo sie leichtfüßig wie eine aufreizende schwarze Katze landete.
»Entschuldigung«, sagte sie mit einer Stimme, die für eine so zierliche Gestalt erstaunlich tief klang. »Bin in einer Sekunde wieder weg.«
Silas lehnte sich zurück, und sein Stuhl knarrte vernehmlich. Während sie sich einen Weg zwischen den verdatterten Studenten hindurch bahnte und frohgemut die Arme schwingen ließ, flammte Wut in ihm auf, und er verschränkte die vom Gewichtheben muskulösen Arme vor der Brust.
Die Farbe machte ihr Gesicht unkenntlich, aber ihm fiel auf, dass ihr Haar kurz und schwarz und ihr Kinn kantig war. Sie wirkte athletisch, ohne deswegen aufgepumpt auszusehen. Sie hatte eine schmale Taille, runde Hüften, kleine Brüste, und ihre arrogante Haltung verriet, dass sie dem Programm für Agenten im operativen Einsatz angehörte. Sein bester Freund, Allen, konnte genauso einherstolzieren, und Summer besaß die gleiche, unbestreitbare Anmut.
Er ließ seine Knöchel krachen, als sie neben seinem Tisch stehen blieb und die wachsende Beule an seiner Stirn betrachtete. »Das tut mir leid«, sagte sie und hob die Drohne auf. Ihre Augen waren haselnussbraun, ihr Nagellack der letzte Schrei im Metallic-Look und die Schutzbrille von Gucci. Silas hatte nicht einmal gewusst, dass Gucci Schutzbrillen herstellte, und er nahm sich vor, sich das Angebot anzusehen. Die Frau hatte offensichtlich Geld, kannte es, allem Anschein nach, ihr Leben lang nicht anders. So wie sie aussah, war sie zu wohlhabend, um hier zu sein und zu lernen, wie man zur Waffe wurde.
Silas ballte die Hand zur Faust, um das Blut zu verbergen. »Willst du jetzt springen, um die Sache in Ordnung zu bringen?«, fragte er streitlustig. Sie lächelte und zeigte ihm ihre kleinen, auffallend weißen Zähne, unverkennbar erfreut darüber, dass er ihren Status korrekt eingeschätzt hatte.
»Du bist doch viel zu groß für Heile-heile-Segen. Du kommst schon ganz allein wieder in Ordnung.« Neugierig beugte sie sich über sein Tablet. Dann schoss ein schlanker Finger hervor und entfernte den Haken bei Ernährung. »Vertrau mir, das ist nur sekundär, nicht primär.«
»Hey!«, protestierte er. Der Rand des Tablets färbte sich rot, weil es erkannt hatte, dass nicht er diese Eingabe getätigt hatte, und es schaltete sich ab. »Du hast mir gerade das Examen versaut.«
Sie zuckte zusammen, und ihre Haarspitzen flogen durch die Luft, als ein Geräusch auf dem Korridor sie veranlasste, den Kopf zu drehen. »Entschuldige. Ich wusste nicht, dass die Dinger biometrisch sind. Unsere sind das nicht.«
Bei diesen Worten rannte sie bereits zum Fenster. Lärm brach aus. Silas erhob sich und keuchte auf, als jemand ihr ein Bein stellte und sie zum Stolpern brachte. Die Frau versuchte, den Sturz abzufangen, indem sie eine Judorolle schlug, doch da waren einfach zu viele Tische, und sie kollidierte mit einem davon und blieb, alle Viere von sich gestreckt, benommen am Boden liegen. Jemand lachte, und Silas lief vor Wut rot an.
Die Tür wurde aufgerissen, und ein geschäftsmäßig gekleideter zierlicher Asiat trat zusammen mit einer älteren Frau ein. Beim Anblick seines Professors verzog Silas in Anbetracht seines nunmehr gelöschten Abschlusstests das Gesicht.
»Jemand soll ihr aufhelfen. Wer ist sie?«, blaffte Professor Woo. Im nächsten Moment erstarrte Silas, denn ihm wurde plötzlich schwindelig. Das Licht, das durch das Fenster hereinfiel, blitzte blau auf, und der Schock plötzlicher absoluter Stille erfasste ihn.
Sie springt, dachte er, als die Zeit um fünf Sekunden zurückgedreht wurde.
Mit einem überraschenden Flackern färbte sich das Licht wieder in warmes Gelb. Die Tür zum Gang war noch geschlossen, und er saß wieder an seinem Tisch. Leute brüllten durcheinander, ahnten nicht, dass sie die letzten fünf Sekunden erneut durchspielten.
»Pass auf!«, rief er und stand auf – ohne zu wissen, warum. Sie musste sich schließlich an beide Zeitlinien erinnern, bis sie miteinander verschmolzen und ihre Psyche beide ausradierte.
Erstaunt grinste sie ihn an und setzte über den Fuß hinweg, noch ehe er ausgestreckt wurde, sprang wie eine Extremkletterin auf den dekorativen Wandvorsprung zu, und benutzte ihn dazu, sich nach oben zu hangeln, bis sie den beschädigten Fenstersims erreicht hatte – genau in dem Moment, in dem die Tür erneut aufgerissen wurde.
Mit wütend gerunzelter Stirn betrat sein Ausbilder, dieses Mal schweigend, den Raum, stemmte die Hände in die Hüften und schaute sich forschend um, offenbar auf der Suche nach der Person, die gesprungen war.
Und dann flammte das Licht rot auf und die Zeitlinien verschmolzen. Silas atmete tief ein und schaute sich im Prüfungsraum gewohnheitsmäßig nach irgendeiner Reaktion um, doch außer seinem Professor hatte offensichtlich niemand mitbekommen, was vorgefallen war. Sogar die Frau selbst hatte vergessen, was sie getan hatte. Nur eine Erinnerungslücke verriet ihr nun noch, dass sie einen Fehler gemacht hatte, den sie hatte ausmerzen müssen. Sie schaute Silas in die Augen, zwinkerte ihm zu, ließ sich vom Fenstersims nach draußen fallen und war weg.
Silas öffnete die kräftigen Hände und musterte den leeren Bildschirm. Seine Testantworten waren sämtlich gelöscht. Niemand in diesem Raum war ein potenzieller Anker. Da war nicht einmal ein Hauch eines Déjà-vu zu spüren. Die Studenten bei Opti gingen später zum FBI, zur CIA oder zu einem Sicherheitsdienst in irgendeinem Einkaufszentrum. Nur die Spitzenleute, vielleicht ein Prozent der Studierenden, setzte die Ausbildung fort, um Opti-Agent zu werden, und aus einem einzigen Prozent von diesen wurden später die Götter und Göttinnen, die die Zeit manipulieren konnten.
»Silas.«
Deprimiert von dem Gedanken an Summer und die großen, völlig überzogenen Pläne, die sie zusammen geschmiedet hatten, ignorierte er Professor Woo, während dieser näher kam. Er hätte Anker werden können, er war gut darin, veränderte Zeitlinien zu erkennen, und noch besser, wenn es darum ging, sie im Kopf eines Zeitagenten wieder in Ordnung zu bringen. Zu gut, um seine Fähigkeiten im operativen Einsatz aufs Spiel zu setzen. Mit der Begründung, er sei zu groß und kräftig für einen Agenten, hatte man ihn in den Theoriebereich abgeschoben, wo er sich damit hervortat, die Vorhersagbarkeit elektronischer Vorgänge mit den Unwägbarkeiten des menschlichen Geistes zu verzahnen. Er hatte bereits seinen Doktor in Psychologie gemacht – noch ehe er herausgefunden hatte, dass er ein Anker war. Einen weiteren Doktortitel in Zeitsprungtechnologie zu erwerben war leicht, zumal er die Vorarbeiten mehr oder weniger nebenher erledigen konnte.
»Silas.« Dieses Mal war die Stimme näher. Als er den fragenden Blick des Professors bemerkte, zuckte er mit den Schultern. Er kannte zwar die meisten Zeitagenten, aber nicht alle.
Mit finsterem Blick drehte sich Professor Woo zu der Lehrkraft um, die ihn begleitete. »Versuchen Sie herauszufinden, wer das war«, sagte er. Die ältere Frau nickte und ging rasch wieder hinaus auf den Korridor.
Studenten erhoben sich, Fragen wurden laut, und Professor Woo streckte eine Hand hoch. »Setzen Sie sich. Setzen!«, forderte er in perfektem Englisch mit einer für den Mittleren Westen typischen Aussprache. »Oder Ihre Tablets werden alle deaktiviert.« Mit hochgezogenen Brauen musterte er den roten Rahmen von Silas’ Tablet. »Doktor?«, fragte er.
»Sie hat mein Tablet angefasst«, erwiderte Silas mürrisch und überlegte, ob er dadurch vielleicht herausbekommen konnte, wer sie war.
Professor Woo beugte sich mit zusammengekniffenen Augen besorgt vor und zog ein Taschentuch aus seiner Jacketttasche. »Wie es aussieht, hat sie auch Ihre Stirn angefasst.«
Silas tupfte seine Stirn ab und stellte erleichtert fest, dass die Blutung nachgelassen hatte.